Großmütter und Hebammen - Rolf Schlegel - E-Book

Großmütter und Hebammen E-Book

Rolf Schlegel

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Beschreibung

Das vorliegende Buch ist ein gemeinsames, sechstes Opus von Rolf Leimbach und Rolf Schlegel zur Geschichte ihres Heimatortes Stadtlengsfeld. Viele Ereignisse und Personen wurden berücksichtigt, aufgearbeitet und auf die vorliegende Weise einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Der Inhalt basiert auf einer Fülle historischer Daten, auf persönlichen Lebensläufen sowie auf Gesprächen mit Zeitzeugen. Die populären Darstellungen zielen auf einen großen Leserkreis ab, v. a. auf Bürger von Stadtlengsfeld, Weilar, Gehaus oder Geisa, auf Heimatforscher, auf Lehrer und Schüler. Eintausend Jahre Geschichte eines kleinen Städtchens in der Rhön bieten genügend Stoff für Anekdoten, kuriose Begebenheiten und Intrigen. Sie bieten Anlass zum Staunen und Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken! Die souveräne Auswahl der Themen, Sortierung und ihre prägnante Abhandlung lassen Sachverstand und nötiges Einfühlungsvermögen der Autoren erkennen. Dass schon früh die Christianisierung der Rhön begann,, dass Juden enorm zum Ruf des Ortes beitrugen - einer sogar Hochhäuser in Amerika baute - und dass Hebammen maßgeblich zur stabilen Bevölkerung des Ortes beitrugen, sind nur einige von vielen Enthüllungen, die dieser Band enthält.

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Seitenzahl: 192

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Autoren

Prof. Rolf Schlegel, ist Emeritus für Zytogenetik, Genetik und Pflanzenzüchtung, nach über 40 Jahren Erfahrung in Forschung und Lehre. Er ist Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Publikationen und anderen Abhandlungen, Koordinator internationaler Forschungsprojekte und Mitglied mehrerer internationaler Organisationen. Er veröffentlichte bereits erfolgreich fünf Fachbücher in englischer Sprache, herausgegeben von drei amerikanischen Verlagen. Rolf Schlegel diplomierte 1970 auf dem Gebiet der Genetik und Pflanzenzüchtung und promovierte 1973. Die Habilitation (Dr. sc.) folgte 1982. Er war langjährig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Institut für Genetik und Kulturpflanzenforschung der Akademie der Wissenschaften, in Gatersleben, dem Institut für Getreide und Sonnenblumen-Forschung, Dobrich/Varna sowie dem Institut für Biotechnologie der Bulgarischen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, Kostinbrod/Sofia tätig, darüber hinaus an verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen der USA, Brasilien, England, Japan, Russland und anderer Länder. Seit geraumer Zeit hat er die Ahnenforschung seines Heimatortes Stadtlengsfeld zur Freizeitbeschäftigung gemacht. Dabei entstand eine Datei von mehr als 45.000 Personeneinträgen aus der mehr als tausendjährigen Geschichte des Ortes. Die Schicksale der Menschen und deren Leben bieten Stoff für eine Vielzahl von Geschichten und historischen Darstellungen. Diese einem breiten Publikum kundzutun, ist eine Passion des Autors.

Studienrat i. R. Rolf Leimbach war 47 Jahre Lehrer in Stadtlengsfeld. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für Unterstufenforschung an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR beteiligte er sich an der Weiterentwicklung von Lehrplänen sowie Lehrmaterialien für das Fach Heimatkunde. Seine Publikationen in der Fachzeitschrift „Die Unterstufe“ befassten sich mit methodischem Experimentieren und der Erziehung zur aktiven Fragehaltung. Er veröffentlichte zahlreiche methodische Handreichungen für den Heimatkunde-Unterricht. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher, Schüler-Arbeitshefte und Unterrichtshilfen für den Heimatkunde- und Sachunterricht. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Schuldienst intensivierte Rolf Leimbach seine heimatkundlichen Forschungen. Er veröffentlichte Beiträge zur Geschichte des Porzellanwerkes Stadtlengsfeld, zum Schulwesen, über das Kaliwerk am Menzengraben sowie über die Kirche. Weitere Arbeiten befassen sich mit den Hexenprozessen im 17. Jahrhundert, den Ereignissen des Jahres 1848 in der Stadt Lengsfeld, der Brandkatastrophe 1878 und dem Jahr 1945.

Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Erforschung der einstigen israelitischen Gemeinde im Heimatort, die zu den größten in Thüringen zählte. Rolf Leimbach ist es ein stetiges Anliegen, die facettenreiche Geschichte seiner Heimatstadt vielen Bürgern und Gästen nahezubringen. Deshalb engagiert er sich im Kultur- und Geschichtsverein mit Vorträgen, Führungen und Ausstellungen.

Vorwort

Man muss wohl erst zum älteren Semester gehören, bevor man die Zeit und Muße besitzt, um sich intensiver mit seiner Heimat und seinen Wurzeln zu beschäftigen. Beide Autoren haben neuerdings das Privileg. Obwohl beide in Stadtlengsfeld geboren wurden, aufwuchsen und zur Schule gingen, haben sich ihre Wege durch das Berufsleben verloren. Erst im Jahr 2011 war es soweit, dass sie sich wieder begegneten. Der eine schon länger befasst mit der Geschichte der Rhön, der andere über die Suche nach seinen Ahnen.

Bereits die ersten Gespräche waren von großem Konsens und individueller Begeisterung geprägt. Es brauchte somit nicht allzu lange, um neue Ideen und gemeinsame Pläne zu gebären. Basierend auf dem bereits angehäuften Fundus an geschichtlichen Daten, Personenbeschreibungen, Fotos sowie schriftlichen Belegen bestand die Frage, wie man die Vielzahl von Informationen einem breiteren Publikum, insbesondere aus Stadtlengsfeld nahe bringt.

Eine Möglichkeit sahen die Autoren in monatlichen Kurzgeschichten, die im Lokalanzeiger „Baier-Bote“ veröffentlicht werden. Sehr schnell war aber zu erkennen, dass die schriftstellerische Produktivität der beiden Autoren größer war als man in monatsweisen Publikationen unterbringen kann. Daher rührte der Gedanke, einzelne historische Beiträge in Buchform zu publizieren

Bereits fragmentarische Unterlagen wurden gesichtet, systematisiert und in ein geeignetes Format gestellt. Hinzu kamen eine Vielzahl von persönlichen Kontakten, Recherchen im INTERNET sowie Standesämtern, Kirchenbüchern und alten Gazetten. Das Ergebnis lässt sich sehen. Obwohl es niemals ein Ende gibt, sind bereits mehr als 35.000 Menschen über mehr als tausend Jahre jüngerer Geschichte des Heimatortes in eine elektronische Datenbank eingeflossen. Die dazugehörigen Einzelschicksale bieten Stoff für Generationen.

Die Autoren betrachten ihr Werk als Vermächtnis an die gegenwärtige Generation, Kinder und Enkel. Mögen sie sich ihren Wurzeln bewusst werden, ihren Vorfahren gedenken und die Sammlung eines Tages weiterführen.

Es ist in höchstem Maße interessant zu sehen, woher wir kommen, wie die Geschichte das Wohl und Wehe von Personen beeinflusste sowie Menschen schon immer versuchten, ihre Leben aufzuschreiben und zu dokumentieren.

Nicht die Suche nach LUCA (Last Universal Common Ancestor) trieb uns, sondern die Neugier nach den Wurzeln der Vielzahl von Lengsfelder Bürgern, ihren Familien sowie deren Rolle in der Geschichte. Dabei wird sichtbar wie sich lokale menschliche Populationen vermischen, wie geographische sowie gesellschaftlichen Grenzen überschritten werden, wie Kriege Familien auslöschen, wie Stammbäume enden und andere wachsen oder wie sich Berufe und Namen historisch wandeln.

Deutlich wird zugleich, dass die Mobilität in der Neuzeit immer größer wird und die Familien immer kleiner.

Der sechste Band der Serie von „Lengsfelder Geschichten“ ist wiederum eine Auswahl von Artikeln, die neu erstellt wurden. Es war nicht beabsichtigt, eine exakte geschichtliche Abfolge der Beiträge zu gestalten. Es ging vielmehr darum, die Zusammenstellung so zu arrangieren, dass eine möglichst große Aufmerksamkeit erzielt wird. Viele Details sind nicht in die Artikel eingeflossen, weil diese das Leseerlebnis gestört hätten. Diese können aber jederzeit bei den Autoren nachgefragt werden. Abbildungen, Schemata und Fotos dienen einem ähnlichen Zweck. Fußnoten und Quellenangaben wurden auf ein Minimum reduziert. Die Referenzen finden sich in einer an das Ende des Buches verlegten Bibliographie.

Die Autoren

Danksagung

Die Autoren möchten Petra Nüchter und Manfred Wolfram aus Stadtlengsfeld, G. Heidt (†), Dietlas, Helmut und Heidrun Schwarz (Baiershof) für die interessanten Anregungen und Hinweise danken.

Frau Dr. Gisela Schlegel sind wir sehr für die kritische Durchsicht des Manuskripts verbunden.

Inhalt

Autoren

Vorwort

Danksagung

Christianisierung der Rhön

Vom Stummfilm zum Farbfilm – Kino in Stadtlengsfeld

Feuer, Feuer, es brennt

Shanghai Tower nicht ohne Lengsfelder Dankmar Adler

Der gute Ort – Jüdischer Friedhof zu Stadtlengsfeld

Der Deutsche Krieg und Stadt Lengsfeld nahebei

Baiershof – Vorwerk von Lengsfeld

Lengsfelder Hexenprozess aus dem Jahr 1668

Pater Maurus Heidelberger – Amtmann zu Lengsfeld und Wanderer zwischen den Welten

Knüppelkrieg zu Lengsfeld

Hebammen

Bibliographie

Anhang

Christianisierung der Rhön

Rolf Schlegel

Die heidnische Zeit

Im altgermanischen Heidentum verehrte man heilige Orte, Götzen und Gottheiten. Haine oder auch einzeln stehende, recht breitkronige Bäume wurden mit Vorliebe ausgewählt. Der Eiche mit ihren immergrünen Misteln gab man im Tullifeld und Frankonien den Vorzug. Manchmal war es auch ein „gewiehter Born“, eine geweihte Quelle. Ein „Quieteborn“ gibt es noch immer bei Kaltennordheim. In der Nähe von Stadtlengsfeld, nahe Lenders gibt es den Bilstein, ein erodierter Vulkanschlot. Daneben fließt der „Bilstenborn“, der ähnlichen Ritualen diente.

Die Franken

Man geht heute davon aus, dass die Rhön zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert von den Franken kolonisiert wurde. Im Jahr 531 besiegte der Frankenkönig Theoderich im Bündnis mit den Sachsen bei Runibergun (Ronneberge bei Burgscheidungen an der Unstrut) die Thüringer. Schon Chlodwig I. hatte die Thüringer im Jahr 491 mit einem gewaltigen und grausamen Heer heimgesucht. [2]

Ziemlich sicher ist, dass mit dem 6. Jahrhundert die Franken das Fuldaer Land und die Rhön besiedeln. Sie kamen zunächst als politische Eroberer. Später waren sie Träger des Christentums und Gründer von Siedlungen. Ortsnamen auf (hus oder huson) deuten auf Gründung in fränkischer Zeit hin. Neben Frankenheim sind die Ortsnamen Völkershausen, Gehaus, Urnshausen, Bernshausen, Hümpfershausen, Friedelshausen, Öpfershausen, Aschenhausen, Erbenhausen beredte Zeugnisse der fränkischen Siedlungsgeschichte.

Es kommt zur weiteren Eingliederung Thüringens in das Fränkisch-Karolingische Reich. Die Karolinger gehen aus den Pippiniden, Langobarden und Bayern hervor. Nach dem Tod von Theoderich IV. im Jahr 737 übernahmen mit Karl Martell Hausmeier und eine längere Folge seiner Nachfahren die Macht der Franken (vgl. Anhang). Die Karolinger starben im 10. Jahrhundert vollständig aus.

Abbildung 1: Ausschnitt aus einer Landkarte „Deutschland unterer den sächsischen und fränkischen Kaisern bis zu den Hohenstaufen“. Quelle: K. Spruner von Merz, 1884, aus D. Ramsey Map Collection 2016, modifiziert

Im Jahr 782 führte Karl der Große die fränkische Grafschaftsverfassung ein und ernannte auf dem Reichstag in Lippspringe sächsische Adelige zu Grafen. Die Grenzen einer Grafschaft orientierten sich oft, aber nicht immer an den alten Gaugrenzen. Als Vertreter des Herrschers übte der Graf alle hoheitliche Gewalt aus, denn man unterschied noch nicht zwischen rechtsprechender und verwaltender Instanz. Er hatte somit die Verantwortung für die Rechtspflege, war militärischer Befehlshaber und wachte über die Leistungen öffentlicher Dienste und Abgaben.

Gaue

Die Gauverfassung ist altgermanisch. Karl der Große (747-814) wandelte die Gaue nach und nach in Grafschaften um, d. h. Verwaltungsbezirke, an deren Spitze je ein Gaugraf stand (vgl. Abb. 1). Aus dieser Zeit stammt auch eine Schenkungsurkunde an die Abtei Hersfeld. Der erste von ihnen in der Region war Poppo von Henneberg, verantwortlich für das Grabfeld und somit auch für das Tullifeld. Zur Schlichtung von üblichen Grenzstreitigkeiten hielt er am 20. Februar 825 erstmals in Geismar ein öffentliches Gaugericht für das Tullifeld ab.

Die Henneberger beseelten auf lange Zeit das Feldatal. Sie treten zuerst als Gaugrafen auf und zählen zu den ältesten Geschlechtern Deutschlands. Das Tullifeld geriet im 9. und 10. Jahrhundert in ihren erblichen Besitz. Erpho I. von Neidhardshausen aus ebendiesem Geschlecht erbte um 1130 das Oberamt Fischberg. Nicht für lange. Die Nachkommen Erphos verloren schon 1214 das Oberamt und später den Besitz an Abt Heinrich III. von Fulda und die Frankensteiner.

Letztere behielten ihren Besitz im Feldatal auch nur etwa 100 Jahre. Nach kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 1295 verloren sie ihn an Fulda. Reste des Besitzes erwarb König Adolf 1317 für 450 Heller. Zum Schluss im Jahr 1326 kam Dermbach an die Fuldaer. Der Abt verlegt damit den Sitz des Amtes von Dermbach in die Burg Fischberg, oberhalb von Diedorf. Dort standen seinerzeit noch andere Zwingburgen, wie die Sachsenburg am Gerstengrund, die Röter- und Hessenburg.

Alle sog. Waldgaue wurden dem Grabfeld angegliedert. In späteren Urkunden erscheinen sie immer wieder als sogenannte Untergaue: Buchonia (Buchenland), Tullifeld (Föhrengau), Baringau (Eibengau), Aschfeld (Eschengau). Die älteste Bezeichnung unserer Heimat stammt somit aus dem Jahr 744, dem Gründungsjahr des Klosters Fulda unter dem Heiligen Sturmius: Tullifeld. Der Name hat sich bis in die Gegenwart erhalten in „Tollfeld“ oder „Tollifeld“ – volkstümlicher Name für den Feldagrund, einschließlich des Ulstertals, insbesondere das Gebiet um Zella und Dermbach. [1]

Christianisierung

Die Christianisierung des nachmaligen Deutschlands verlief in mehreren Schüben. In den römischen Provinzen Germaniens lebten schon im 2. Jahrhundert Christen. Das frühe Christentum dürfte die Völkerwanderungszeit jedoch nur vereinzelt überlebt haben. Ab dem 7. Jahrhundert kamen iro-schottische Missionare auf das europäische Festland1. Sie wurden im 8. Jahrhundert von angelsächsischen Mönchen abgelöst. Die fränkische Reichskirche war Träger der Christianisierung der Sachsen und der westlichen Slawen im 9. Jahrhundert.

Der erste Versuch im Bereich der Rhön ein der römischen Kirche verbundenes Benediktinerkloster zu errichten, fällt in das Jahr 716. In diesem Jahr schenkte der fränkisch-thüringische „dux“ Hetan II. dem angelsächsischen Missionar Willibrord Land bei Hammelburg zur Klostergründung. [7] Aus unbekannten Gründen unterblieb die Gründung aber. Erfolgreich war jedoch die Gründung von Kloster Fulda im Jahr 744 durch Bonifatius (vgl. Anhang 1).

Um die Mitte des 8. Jahrhunderts beginnt die Christianisierung unseres Rhöngebietes, maßgeblich befördert durch die Klostergründungen von Fulda und Hersfeld. In der Schenkungsurkunde Karls des Großen vom 31. August 786 an das Kloster Hersfeld wird zwar Lengsfeld nicht explizit genannt, wohl aber

Abbildung 2: Angeblich ältestes Massivhaus von Stadtlengsfeld (Mitte), die sog. Kemnate, oberhalb des Marktes; Fundamente mit hellem behauenem Sandstein aus dem Mittelalter; später mehrfach umgebaut und renoviert. Quelle: Archiv R. Schlegel, 2015

Orte der Stadtlengsfelder Umgebung, u. a. Steinfeld (später Wölferbütt), Öchsen- und Dietrichsberg, Badelachen, Schlägelbach und die Felda (vgl. Lengsfelder Geschichten II). [3,4] In einem Vertrag von Retzbach (827) wird auch die Meierei „Vahche“ (Vacha) erwähnt, die der Fuldaer Abt Ratgar erwarb.

Mit der Gründung des Bistums Würzburg (um 742) begann die eigentlich kirchliche Organisation unseres Raums. Fast die ganze (katholische) Rhön gehörte bis zur Errichtung der Diözese Fulda 1752 kirchlich zu Würzburg. Zur Gründungsausstattung des Bistums Würzburg gehörten die königlichen Eigenkirchen von Hammelburg, Brendlorenzen, Mellrichstadt, Königshofen und Untereßfeld. Damit war der Keim für die spätere Ausbildung der Würzburger Landesherrschaft gelegt. Der Aufbau einer dem Bischof allein unterstehenden Pfarrorganisation mit Pfarrzwang kam erst im 11. Jahrhundert zum Abschluss. Bis dahin gab es neben den bischöflichen Kirchen und Klöstern weiterhin adelige. Die Ausbildung eines breiten, verinnerlichten, von allen Schichten getragenen kirchlichen Lebens ist vor allem auf das Wirken der Bettelorden (Dominikaner, Franziskaner, Karmeliter etc.) ab dem 13. Jahrhundert zurückzuführen.

Von Fulda wurden durch Abt Raban (822-844) regelrecht Mönche ausgesandt, um Kolonien im Grenzland zu gründen. Sie sollten dem Volk das Evangelium verkünden und es für die Kultur empfänglich machen. Zella war eine solche Kolonie. Um das Jahr 837 besaß Zella schon Ländereien in der Umgebung bis nach Roßdorf (hrosdorpfero marcu) und Urnshausen (villa orentiles hus >>> orehusen). Das Land an der Felda war natürlich schon vor der neuen Zeitrechnung von keltischen Stämmen bewohnt. Sie verließen das Land gegen Ende des letzten Jahrhunderts vor der Zeitrechnung. Ihnen folgten die Hermunduren, die sich im Lauf der Zeit mit den Alemannen vermischten. Chlodwig, der Gründer des Frankenreiches, besiegte sie im Jahre 496 in einer bedeutsamen Schlacht im Elsass. So wurden auch die Alemannen der Rhöngegend zu tributarii, d. h. zu zinspflichtigen Untertanen. Dennoch hinterließen sie Orts- und Flussbezeichnungen, die noch heute fortleben. Das altgermanische Wort „affa“ weist auf ein Gewässer, Bach oder Fluss hin. Der Wortstamm wandelte sich u. a. zu „aha“, „acha“ oder „ach“. Diese Silben sind z. B. in Hulstraha (Ulster) und Geisaha (Geisa) und Vahche (Vacha) enthalten, vielleicht sogar in Feldaha (Felda).

Die Besiedlung des Feldatals ist somit lange vor Bonifatius bezeugt. Hier lebte eine festansässige Bevölkerung in Dörfern und Höfen. Die natürlichen Gegebenheiten mit seinen zahlreichen Nebentälern, den vielen Bergkuppen und fruchtbaren Auenböden boten bereits den Kelten günstige Zufluchtsstätten sowie auch Wanderungen von Sippen quer durch die Rhön. Schon zu jener Zeit entstanden Wander- und Handelswege von Norden nach Süden und von Bayern nach Thüringen. In den Annalen vom Heiligen Sturmius findet man die Namen derartiger Fernverbindungen: Antsanvia, Antsanweg oder auch Königsweg genannt (vgl. Lengsfelder Geschichten III). Er führte von Mainz nach Fulda, berührte bei Wenigentaft das Ulstertal, führte von Vacha und dem Thüringer Wald über Eisenach nach Erfurt. Im 9. Jahrhundert wird ein zweiter Fernweg beschrieben, der Fulda und Salzungen verband. Er tangierte bei Spahl den Ulstergrund, lief über den Rockenstuhl nach Geisa, Borsch und weiter nach Stadtlengsfeld.

Abbildung 3: Ausschnitt einer Landkarte von Mercator aus dem Jahr 1592 mit Statlengesfelt (heute Stadtlengsfeld). Quelle: Archiv Heinrich Heine Universität Düsseldorf, 2015

Das Christentum hatte bereits durch den irischen Bischof Kilian Fuß gefasst. Er steht für die Christianisierung der Ostrhön. Er kam um das Jahr 685 nach Würzburg und verkündigte recht erfolgreich den neuen Glauben. Seine Missionstätigkeit dürfte sich auch auf das Tullifeld erstreckt haben, denn die Rhön ist zu dieser Zeit Teil der Würzburger Diözese. So ist denn auch die Geschichte des Feldatals mit der Geschichte der katholischen Pfarreien des alten Tullifelds aufs engste mit den weltgeschichtlichen Entwicklungen verknüpft, im Guten wie im Schlechten. Es gibt eine frühere Erwähnung von Lengsfeld aus dieser Epoche. In einem Verzeichnis von Gütern und Orten an die Abtei Hersfeld aus dem Jahr 780, die Zeit des ersten Mainzer Erzbischofs sowie Abt von Hersfgeld Lullus (gest. 786), findet sich die Ortsbezeichnung. Es ist allerdings nicht klar, um welches Lengsfeld es sich handelt.

Adel

Mit der Expansion der Klöster Fulda und Hersfeld ergaben sich auch strategische Aufgaben. Das passierte ab dem 12. Jahrhundert. Um 1265 ließ Fürstabt Bertho II. von Fulda die Orte Fischberg (heute Fischbach), Tann, Rockenstuhl, Geisa und Haselstein mit Mauern umgeben und durch Burgen sichern. Sie stellten den engeren Verteidigungsring gegenüber Thüringen dar. Der äußere bestand aus Vacha, Stadtlengsfeld, Salzungen, Frankenstein und Lichtenberg. Die Hersfelder ließen in Stadtlengsfeld schon 1125 eine Burg zu ihrem Schutz errichten (vgl. Chronik Stadtlengsfeld). Im Jahr 1250 ließ Abt Heinrich IV. Vacha mit Türmen und Mauern befestigen.

Im Zuge dieser Entwicklung entstand auch der Adel. Ursprünglich waren es Dienstleute der buchischen2 oder Hersfelder Äbte. Der buchische Adel umfasste jene Geschlechter, die zur Fürstabtei in einem Lehnsverhältnis standen. In größeren Ortschaften wurde ein fähiger Mann, der dem Kloster devot war, für besondere Dienste verpflichtet. Meist waren es Kriegsdienste mit „Ross und Harnisch“. Dafür verlieh man ihn ein Lehen, wie z. B. ein Hofgut, Teile von Klostergütern, Wälder, die er zu bewirtschaften hatte. Das Lehen war quasi der Sold für den Dienst. Dem Dienstmann oblagen darüber hinaus Verwaltungsaufgaben, der Schutz einer Gemarkung und auch die niedere Gerichtsbarkeit. Jene Dorfadligen hatten ihren Hof in der Nähe der Kirchhöfe. Das Haus bestand in der Regel aus massiven, behauenen Sandsteinen, die sog. Kemnate. Daher nannte man den niederen Adel auch Kemnatarii. In Stadtlengsfeld soll dieses Haus das älteste Massivhaus am Ort gewesen sein. Der Beschreibung nach befindet es sich noch heute oberhalb des Marktes, erkennbar an dem hellen Sandsteinsockel (vgl. Abb. 2).

Die Burg von Stadtlengsfeld wurde bereits um 1125 im Auftrag und zum Schutz des Hersfelder Klosters errichtet, das Schloss (castrum lengefuelt) um 1235 (vgl. Abb. 3). Die Ministerialen sind häufig aus dem niederen Adel hervorgegangen. Sie nannten sich nach ihrem Heimatort, wie Ludwig von Lengsfeld oder Berthold von Lengsfeld, zuweilen auch nach der ursprünglichen Herkunft, wie Härting von Buttlar oder Gunthram von Schweinsberg. Am Ende des 13. Jahrhunderts waren die anfänglich unfreien Dienstmannen des buchischen Adels gesellschaftlich so gestiegen, dass sie sich in den alten Urkunden als Domini (Herren) und als Nobiles (Edle) bezeichneten, was zuvor nur den Freigeborenen zustand.

Abbildung 4: Ehemaliges Kloster Zella in der Rhön, um 2010. Quelle: Archiv R. Schlegel, 2010

Sankt Kilian

Als der Heilige Bonifatius nach Thüringen kam, fand er schon Christen und christliche Priester vor. Man kann folglich annehmen, dass das Tullifeld bereits Missionsziel des Heiligen Kilian gewesen ist. Er wirkte in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts in Franken. Die Gemahlin des fränkischen Herzogs Gosbert ließ ihn später im Jahr 689 zusammen mit seinen beiden Gefährten heimtückisch ermorden.

Als das Feldatal im 9. Jahrhundert an das Stift Fulda kam, hatte der Würzburger Bischof schon das Recht, den Kirchenzehnten zu erheben. Die kirchliche Entwicklung war demnach schon so weit fortgeschritten, dass im Tullifeld geordnete Verhältnisse bestanden und es kilianisches Missionsgebiet war.

Diese Entwicklung ging einher mit einer zweiten fränkischen Siedlungswelle, die etwa bis in 13. Jahrhundert andauerte. Man spricht von der sog. „hochmittelalterlichen Rodungsperiode“, in deren Verlauf man in die großen, bislang unbesiedelten Waldgebiete vordrang. Die Frankenherrscher ließen von weltlichen und geistlichen Fürsten neue Siedler aus den verschiedensten Völkerschaften wie Wenden, Friesen und Sachsen heranholen. Die Siedlung „Wüstensachsen“ im Wald bei Stadtlengsfeld geht mit großer Wahrscheinlichkeit auf diese Zeit zurück (vgl. Lengsfelder Geschichten I). Heidnische Wenden dienten auch auf den Klostergütern. [1] Ortsnamen, die mit der Silbe „winden“ enden, gehen gleichfalls auf die Slawen – wie die Wenden auch genannt wurden – zurück. Wir haben Hartschwinden in unserer unmittelbaren Nähe. Es wird im Jahr 1298 erstmals urkundlich erwähnt. [9]

Pfarreien

Sollte das Christentum bleibenden Bestand haben, musste es durch gewisse Orte, bestimmte Gebäude und Einrichtungen gleichsam fest und stehend gemacht werden. Kapellen, Kirchen und Klöster waren geeignete Mittel.

Als eine der ersten (Mutter-)Pfarreien der Region wird die in Schleid vermutet. Sie soll am Rockenstuhl gelegen haben. Schleid selbst wird bereits in den Jahren 1015 und 1186 erwähnt. Zuvor im Jahr 827 gibt es einen Hinweis auf Voulfricheshuson (Völkershausen), das schon im Jahr 874 als kirchlicher Zinsort von Fulda galt.

Die Pfarreien waren anfänglich keine eigenständigen Gebäude, sondern Bestandteil der Festungen und Burgen. Gottesdienste unter freiem Himmel waren nicht unüblich. Eigenständige Gotteshäuser entstanden erst um die Jahrtausendwende. Die ersten Kirchen waren noch aus Holz gebaut. Täglich um 9 Uhr wurde Messe gehalten, die kanonischen Gebetsstunden wurden eingehalten, mindesten alle 2-3 Wochen war Sonntags zu predigen, in der Zeit vor Ostern hatte der Pfarrer die Gemeinde zur Beichte aufzufordern, die Ablösung von Strafen konnte auch durch Geld erfolgen. Die politische Macht verteilte sich auf mehrere edelfreie Geschlechter, zu denen auch die Herren von Frankenstein bei Salzungen gehörten. [11]

Später waren die Kirchen auch befestigt wie z. B. die Wehrkirche in Spahl. In den ersten Kirchen wurde gepredigt und die heilige Eucharistie gefeiert. In dieser Zeit durften Taufen und Begräbnisse nur in den wenigen Pfarrkirchen durchgeführt werden, Messen und Predigten auch in Kapellen, für die der Pfarrer Gehilfen hatte. Urpfarreien für das Bistum Erfurt waren in der Region in Hausen (ehemaliges Dorf bei Salzungen), Vacha, Geisa, Dermbach und Kaltensundheim. Das Tauf- und Begräbnisrecht verblieb auf längere Zeit bei der Mutterpfarrei, die deshalb auch ecclesia baptismalis (Taufkirche) hieß. Schrittweise erhielten aber auch Tochterkirchen in den größeren Siedlungen entlang der Felda diese Berechtigung. Der Prozess ging bis ins 13. Jahrhundert hinein. Die Geistlichkeit in den Tochterkirchen heißt in den frühen Urkunden sacerdos (Priester), später plebanus (Volkspriester), was man oft mit Pfarrer gleichsetzte. Eine Pfarrkirche in Stadtlengsfeld kann um das Jahr 1500 belegt werden. [15]

Pfarrei Dermbach

Im Jahr 1186 wird „Tirmbach“ erstmals urkundlich genannt. Zusammen mit dem Kloster in Zella wird in einem Schutzbrief des Würzburger Bischofs Reginhard im Jahr 1186 eine Pfarrkirche in „Tirmbach“ (Dermbach) erwähnt. Schon früh dient der Ort im Feldatal als Gerichtssitz am historischen Ortesweg. Im Jahr 1214 wird Dermbach von den Grafen von Nithardishusen an die Herren von Frankenstein verkauft, während der Jahre 1317 bis 1325 an Fulda.

Aus späteren Unterlagen (1394) kann man entnehmen, dass die Kirche dem Heiligen Kilian in „Ternbach“ (Dermbach) gewidmet war. Obschon in einer anderen Urkunde des Bischofs Emmerich aus dem Jahr 1141 die Kirche3 in Lengsfeld genannt wird, dem der Geistliche Udalrich sowie der Archediakon Günter vorstand, scheint Dermbach die Urpfarrei4 im mittleren Feldagrund gewesen zu sein. Von ihr zweigten sich später mehrere Tochterkirchen ab. [5] Der angeblich erste Pfarrer von Dermbach nannte sich Hermann. Er wird wiederum in einer Urkunde des Bischofs Otto I. von Bamberg aus dem Jahr 1191 erwähnt: „Dits seind gezeugen die ehrbarn Priester … Hermann von Dermbach.“ [6] Die gleiche Quelle berichtet auch von einem Bertold von Lengefeld, der 1191 als Zeuge in einer anderen Verhandlung wirkte.

In Stadtlengsfeld sind folgende Geistliche urkundlich belegt:

Jahr

Name

Bemerkungen

1141

Udalrich

Parochial Archidiacon

Günther

Parochial Archidiacon

1170

Bolt

Priester

1360

Heinrich Blaufuß

-

um 1230

Conrad von Lengsfeld

-

1306

Heinrich von (Wilere Weilar) [

12

]

Pfarrer

um 1318

Berthold von Lengsfeld

-

um 1327

Eberhard von Lengsfeld

-

1370

Heinrich Wallraben

-

1523

Martinus

-

1536

Kilian

Letzter kath. Pfarrer

130 Jahre später wird ein weiterer Pfarrer, Berthold von Buttlar genannt: Er unterschrieb 1321 eine Schenkungsurkunde an das Kloster Allendorf mit: „sacerdos, rector ecclesiae in Ternbach“. [1] Im Jahr 1357 wird Johannes von Salzungen als „Capellanus in Ternbach“ ausgewiesen, 1380 Heinrich Sachse als Pfarrer und 1403 Walter Fayt, 1485 Heinrich Mucke, 1487 Wilhelm Westhausen. Der letzte katholische Pfarrer vor der Reformation war wohl Johannes Scheffer aus Geisa und der erste protestantische Georgius Rubner (Georg Rupner), der 1547 in Schmalkalden ordiniert worden war. [14]

Kloster Zella

Das Benediktiner-Nonnenkloster Zella wurde im Jahr 1136 durch den Grafen Erpho von Neidhartshausen gestiftet (vgl. Abb. 4). Grundmauern des ursprünglichen Konventsgebäudes konnte man an der Ostfassade des heutigen Schlosses nachweisen. Zuvor, im Jahr 813 wurde angeblich auch in Fischbach ein Kloster gegründet, immerhin denkbar ist, dass es sich dabei um das Fischbach in der Rhön handelte. [11]

Abbildung 5: Zusammenstellung von ausgewählten Hinweisen auf mittelalterliche christliche (und jüdische) Anlagen in der Region um Stadtlengsfeld. Quelle: R. Schlegel, 2016