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Chaos in der Küche, zu laute Musik oder die falsche Grünpflanze im Büro: Gründe zum Streiten finden sich in Familie, Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz fast jeden Tag. Doch anstatt sich gegenseitig zu verletzen und zu beleidigen, kann man Konflikte auch produktiv nutzen.
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LESEPROBE
Hertel, Anita von
Grrr! Warum wir miteinander streiten und wie wir davon profitieren können
LESEPROBE
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E-Book ISBN: 978-3-593-40133-1
»Das darf doch nicht wahr sein!«, dachte Christine. Die Chefin hatte den Urlaub gestrichen, der Praktikant nervte – und schon beim Frühstück hatte sie sich mit Tom gestritten. Alles hatte mit einer Kleinigkeit angefangen. Wenn sie es richtig bedachte, wusste sie gar nicht so genau, wie es zum Streit gekommen war. Christine hatte gefragt: »Was machen wir am Wochenende?« Und Tom hatte geantwortet: »Weiß ich noch nicht.« Sie hatte ein paar Vorschläge gemacht – keine Reaktion. Christine: »To-hom?« Tom: »Hmmm.« Christine: »Du hörst mir ja gar nicht zu!« Tom: »Jetzt fängt das wieder an.« Christine: »Was meinst du damit?« Tom: »Ich will jetzt frühstücken.« Christine: »Sag bloß, du kannst nicht gleichzeitig frühstücken und mit mir reden!« Tom (gereizter Tonfall): »Kannst du mich nicht wenigstens ein Mal am Tag in Ruhe lassen mit deiner dauernden Planerei?« Christine (sehr genervter Tonfall): »Ja, kann ich!« Tom: »Warum musst du eigentlich immer so gereizt sein?« Christine: »Wenn hier einer gereizt ist, dann bist das wohl du, mein Schatz.«
Zwei Minuten später sprangen beide vom Frühstückstisch auf. Christine schnappte ihren Mantel und knallte die Haustür zu. »Puuuuh!«, dachte sie. »Und ich habe mich so auf das Wochenende gefreut. Aber wenigstens habe ich nächsten Monat Urlaub. Zwei Wochen allein am Meer – das brauche ich jetzt!« Die frische Luft auf dem Weg zur Arbeit tat gut. Die Kollegen grüßten wie üblich. Die Aufgaben, die sie gestern nicht mehr geschafft hatte, waren auch über Nacht leider nicht von irgendwelchen Heinzelmännchen erledigt |8|worden. In der Firma waren alle etwas überlastet. Und dann kam ihre Chefin ... Die ersten Worte, die sie zu Christine sagte, waren harmlos. Es schien so, als hätte endlich mal jemand Verständnis für den ganzen Mist, der sich bei Christine angesammelt hatte. Und als sie gerade gehen wollte, drehte die Chefin sich noch einmal um: »Ach, übrigens, Miriam kommt noch nicht aus dem Mutterschutz zurück. Du bist die Einzige, die sie vertreten kann. Du musst deinen Urlaub verschieben.« Christine merkte, wie sie den Mund öffnete – und wieder zu machte. Ihr fehlten die Worte. Ein paar Minuten blieb sie so sitzen. »Das darf ja wohl nicht wahr sein!«, dachte sie. Dann versuchte sie sich erst einmal abzulenken. Die liegen gebliebenen Aufgaben waren dafür gerade richtig. Eine Viertelstunde später klopfte Ulli, der neue Praktikant, an. Eigentlich wollte Christine jetzt niemanden sehen. Etwas unwirsch murmelte sie: »Herein.« Leicht verloren wirkte er, einen zerbrochenen Lampenschirm und einen Riesenkarton balancierend. »Die Flurlampe ...«, stotterte er.
An jedem anderen Tag hätte Christine den armen Kerl vermutlich getröstet, wie er da mit seinem Karton und den Glasscherben, die wie ein zerbrochenes Ufo aussahen, im Zimmer stand. Heute war ihr nicht nach Trösten zu Mute. Christine: »Können Sie denn nicht |9|aufpassen?!« Hätte Ulli doch nur geschwiegen. Stattdessen jammerte er: »Ich kann überhaupt nichts dafür! Gestern stand die Lampe noch woanders. Was kann ich denn dafür, wenn hier ständig alles umgeräumt wird!« Christine hatte für seine Sündenbocksuche heute kein Ohr frei. Mit einem etwas zu heftigen »Raus, Sie elefantöser Kartonspezialist! Nicht mal zum Kartontragen seid Ihr Praktikanten zu gebrauchen!«, komplimentierte sie den Unglücksraben hinaus.
In der Mittagspause holte sich Christine nur ein Brötchen. Sie brauchte Zeit für sich. Ein Spaziergang würde ihr gut tun. Und sie dachte nach. Über ihren geliebten Tom, den sie manchmal an die Wand klatschen könnte. Über ihren Job, den sie eigentlich mochte. Über Ulli mit dem Karton – wenn sie jetzt an den armen Kerl mit dem Lampenschirmufo in der Hand dachte, erschien ihr die Szene ziemlich komisch – und darüber, wie sie ihren Urlaub retten konnte. Wie schnell aus winzigen Streitigkeiten Kriege werden konnten, wusste sie aus leidvoller Erfahrung. Das wollte sie auf keinen Fall.
Aber einfach nur zu allem »Ja und Amen« zu sagen, war erst recht keine Lösung. »Ich will diese zerstörerischen Kleinkriege nicht mehr, die doch zu nichts führen«, dachte Christine. »Ich will gewinnen!«
Wenn wir streiten, wollen wir etwas anders haben – das ist der Grund, warum wir streiten. Und wir bekommen es nicht – das ist der nächste Grund, warum wir streiten. Und dann versuchen wir im Streit, das zu ändern. Jetzt wird es richtig schwierig. Nun kommen noch drei Löffel voll Emotionen, eine Messerspitze Missverständnisse, eine Prise Vorurteile und drei wunde Punkte dazu. Fertig ist der emotionale Cocktail, der das schönste Leben vermiesen kann.
Und was wollen wir anders haben? Wir wollen, dass andere Menschen etwas anderes tun sollen … dass sie uns etwas nicht wegnehmen … dass sie uns etwas geben … dass sie gut mit uns zusammenarbeiten … dass sie uns Recht geben … dass sie uns nicht ärgern … dass sie netter zu uns sind … dass sie pünktlich kommen … dass sie mit uns das Wochenende planen … dass sie uns nicht mit ihren Plänen nerven … dass sie nur uns lieben … dass sie unsere Sachen nicht |10|nehmen, ohne zu fragen – und sie vor allem nicht kaputt machen … dass sie nicht nachtragend sind, wenn wir mal was kaputt gemacht haben … dass sie ihre Hausaufgaben machen … dass sie uns nicht mit unseren Hausaufgaben nerven … dass sie unsere Werte teilen … dass sie vernünftig Auto fahren … dass sie uns eine Gehaltserhöhung und die Beförderung geben, die uns zusteht … dass sie für das viele Geld, das sie bekommen, Leistung bringen … dass sie einfach nur verschwinden und nie wieder kommen … dass sie etwas leiser sind … dass sie ihre Sachen selber wegräumen … dass sie Zivilcourage haben und sich einmischen … dass sie sich nicht ständig einmischen und ihre Mitmenschen in Ruhe lassen, besonders einen … dass wir uns so richtig gut mit ihnen unterhalten können … dass wir nicht ständig kritisiert werden … dass wir sie kritisieren dürfen und sagen können, was wir denken … dass sie nicht im Stehen pinkeln … auch mal im Stehen pinkeln, ohne dass einer meckert … dass wir uns auch mal mit ihnen streiten können, ohne dass die Welt untergeht … uns mit ihnen wieder vertragen können. Wir wollen gewinnen.
Woran es liegt, dass das alles gar nicht so leicht ist, woran es liegt, dass es dann manchmal auch noch unnötig schwieriger wird – und was man tun kann, um von Streitsituationen zu profitieren und zu gewinnen, zeigt dieses Buch.
Warum ärgern uns unsere Mitmenschen eigentlich? Wie kommt es, dass wir uns über unsere Zeitgenossen aufregen müssen? Können Partner, Chefs, Kartonträger und andere Wesen nicht einfach nur tun, was wir gerne hätten? Wenn sie es tun würden, fielen die vielen unnötigen Anlässe weg, mit ihnen zu streiten. Wenn Eltern nerven, wenn Freunde falsche Versprechungen machen, wenn die pubertierenden Kinder weder ihre Zimmer aufräumen noch die Hausaufgaben machen, wenn die Schwiegermutter ihre Grenzen nicht kennt, wenn unsere Chefs die Falschen befördern und uns jemand vor der Nase wegschnappt, was wir gerne haben wollen, wenn der Nachbar uns ärgert, wenn irgendein Trampel kaputt macht, was uns wichtig ist ... kurzum: Warum kann die Welt um uns nicht so sein, wie wir sie gerne hätten?
Statt dass unsere Mitmenschen unsere Wünsche erfüllen, tun sie etwas völlig anderes – manchmal mit Absicht, manchmal aus Versehen. Und dann ist der schöne Friede vorbei. So geht es selbst dem friedlichsten Autofahrer: Geduldig steht er neben einem ausparkenden Fahrzeug. Wenn es sein muss, minutenlang. Und wartet. Plötzlich zieht ein anderes Fahrzeug vorbei und stibitzt sich »seinen« Parkplatz. Und dann? Viel schneller als jeder Automotor schnellt der Puls des eben noch so Friedlichen hoch. Die Gesichtsfarbe verändert sich. Der Körper schaltet von »denken« auf »kämpfen«. Das Gefühl sagt: »Den bring ich um!«; der kleine Verstandesrest, der nicht abgeschaltet ist, verhindert das Schlimmste. So bleibt es meist bei nicht sehr zarten Worten. Und der Körper könnte, wenn man ihn ließe.
|14|Woher kommen diese Gefühle? Wieso fühlen wir uns manchmal »gereizt«? Was passiert eigentlich, wenn andere Menschen »Nein« sagen zu Dingen, die wir gerne hätten oder – schlimmer noch – das Gegenteil von dem tun, was wir gerne hätten?
»Es ist einfach so in mich gefahren«, fühlen manche, wenn sie wütend werden und plötzlich mit Gegenständen um sich werfen oder mit Worten. Manchmal sind wir wie vom Donner gerührt, werden kalkweiß und wissen nicht, was wir sagen sollen. Manchmal würden wir am liebsten weglaufen. So schnell wie möglich.
Im Streit am Frühstückstisch ist erst Tom davongelaufen, dann Christine. Als die Chefin sie aus heiterem Himmel mit dem gestrichenen Urlaub überraschte, blieben Christine die Worte im Halse stecken. Und als der Praktikant mit seiner Lampenschirmbescherung vor ihr herumhampelte und die Schuld für seine Unachtsamkeit anderen in die Schuhe schieben wollte – und das an einem Tag, an dem die Nerven ohnehin schon gereizt waren –, erschrak sie über sich selbst. Ihr Ärger brüllte plötzlich aus ihr heraus – ohne, dass sie es eigentlich wollte.
Woher kommt das? Haben wir das im Fernsehen gesehen? Oder bei unseren Eltern? Natürlich gibt es für gereiztes Verhalten jede Menge Vorbilder im Alltag. Aber die Wurzeln sind viel älter. Auch kleine Kinder, die ohne Fernseher und Gewaltvorbilder aufwachsen, stampfen mit den Füßen oder werfen mit Bauklötzen, wenn sie in der ersten Trotzphase erkennen, dass die Welt nicht so ist, wie sie es gerade gerne hätten. »Woher hat er das nur?«, fragt sich die alleinerziehende Mutter, die ihren Sprössling friedvoll erziehen und ihn von allen Aggressionen fern halten wollte. Auch Menschen mit friedlichster Erziehung können plötzlich wütend um sich schlagen – mit Worten oder Taten. Aggressionen sind angeboren.
Die Fähigkeit, sich zu wehren, ist so alt wie die Menschheit. Wenn wir in der Geschichte unserer Vorfahren zurückblicken, dann stellen wir fest, dass der Mensch viele Millionen Jahre in täglicher Lebensgefahr zubrachte. Verglichen mit den Jahrmillionen der Wildheit sind die paar Tausend Jahre, die die Spezies Mensch in der |15|Zivilisation zubringt, wie ein Wassertropfen in einer Badewanne. Und wie sicherten unsere Vorfahren über Millionen Jahre hinweg das Überleben? Was taten UrUrUr-Opa und UrUrUr-Oma, wenn Feinde und Gefahren überall lauerten? Sie lernten zu überleben. Viele ihrer Artgenossen schafften es nicht. Die meisten starben schon als Kinder. Ins gebär- und zeugungsfähige Alter kamen viele Menschen in der Steinzeit gar nicht, weil sie schon vorher getötet wurden. Die moderne Wissenschaft hat herausgefunden, dass die meisten Steinzeitmenschen schon in sehr jungen Jahren eines unnatürlichen Todes starben. Im Kampf mit Tieren, Naturgewalten und Artgenossen überlebten nur die Besten. Und wer es schaffte, ins zeugungs- oder gebärfähige Alter zu kommen, gehörte zu den Allerbesten. Ist Ihnen klar, dass diese allerbesten Kämpfer, Flüchtenden und Luftanhalter Ihre und meine UrUrUr-Großeltern sind? Da alle anderen keine Nachkommen hatten, kann es ja nicht anders sein. Und was bedeutete das? Über Jahrmillionen mussten unsere Ahnen schnell sein, um zu überleben. Weil der Tod überall lauerte, mussten sie in Gefahrensituationen blitzschnell reagieren können. Wenn unsere steinzeitlichen Urahnen plötzlich ein Raubtier vor sich hatten, flogen die Steine, bevor sie überhaupt nachdenken konnten.
Viele Menschen spüren noch heute, wenn sie sich unter Druck fühlen, den Impuls, den nächstbesten Gegenstand durch die Luft zu schleudern. Wenn es Ihnen das nächste Mal so geht, können Sie an Ihre Vorfahren denken. Hätten die Ahnen diese Fähigkeit nicht so perfektioniert, wären sie vermutlich getötet worden, bevor sie unsere UrUr-Großeltern zeugten. Dann gäbe es uns gar nicht. Zusammen mit allen anderen Eigenschaften und Fähigkeiten haben wir auch diese Fähigkeit geerbt. Und auch wenn wir dieses Erbgut an unseren Schreibtischen, Werktischen und Küchentischen ebenso wenig brauchen können wie in Schlafzimmern und Kneipen, auf Autobahnen oder Marktplätzen: Kaum geraten wir unter Druck, reagieren unsere Körper – oft, noch bevor wir eine Chance haben nachzudenken. Christine sah Ulli mit der angeschlagenen Lampe – und schaltete in den Kampfmodus. Sie wusste, dass sie mächtiger |16|war als er, und ihr innerer Steinzeitkämpfer legte los, noch bevor sie ihn bremsen konnte. Stellen Sie sich vor, ein steinzeitlicher Ulli wäre mit seinem Gehampel nicht dabei, dem neuzeitlichen Lampenschirm, sondern dem steinzeitlichen Feuer den Garaus zu bereiten. Spätestens dann wird Christines Kampfansage verständlich. War in der Steinzeit ein Angreifer zu stark und ein Kampf aussichtslos, rannten unsere Ahnen um ihr Leben. Gegen Christine konnte Tom am Frühstückstisch gerade nicht erfolgversprechend siegen. Und das wollte er auch nicht. Also flüchtete er. Und war der steinzeitliche Angreifer nicht nur stark, sondern auch schnell, half nur noch eins: verstecken, Luft anhalten und hoffen, dass die Gefahr vorüber geht. So geht es Menschen, wenn ein Mächtiger direkt vor ihnen steht, wenn eine Kampfansage aussichtslos und der Fluchtweg abgeschnitten ist. So kommt es, dass wir manchmal regelrecht erstarren, wenn die Chefin uns mit der Mitteilung vom gestrichenen Urlaub überrascht.
Um kämpfen oder wegrennen zu können, braucht man blitzartig andere Körperfunktionen als zum Denken. Dann müssen vor allem die Muskeln gut mit Sauerstoff versorgt sein. Wenn Menschen geärgert werden, schießt das Adrenalin durch den Körper und der Pulsschlag steigt an. Die Gesichtsfarbe verändert sich, die Atemfrequenz auch. Der Körper kann jetzt losschlagen oder -sausen. Dazu reicht eine gemeine Bemerkung aus oder ein Mahnschreiben vom Anwalt. Und auch die anderen Autofahrer auf der Autobahn scheinen durch ihre Fahrweise einen direkten Draht zu unseren Körperfunktionen zu haben.
Unsere Körper sind die Update-Versionen eines millionenfachen Vererbungsprozesses. Ärgerlicherweise haben auch die Körper der Leute, die uns ärgern, diese Fähigkeiten nicht verlernt. Wenn ein Wort das andere gibt und aus einem harmlosen Gespräch plötzlich etwas ganz anderes wird, merken wir es deutlich: Dann vergessen unsere lieben Zeitgenossen Vernunft und gute Worte und meist sogar sich selbst. Hinterher tut es ihnen dann leid – oder auch nicht. Aber die Scherben sind da. Natürlich kann man lernen, mit den eigenen |17|Körperreaktionen besser umzugehen – angeboren ist diese Fähigkeit nicht.
Und wie kommt es, dass einige Menschen schnell auf 180 sind und fighten, andere am liebsten davonlaufen und wieder andere apathisch sitzen bleiben, als wären sie soeben zur Salzsäule erstarrt? Die Wurzeln können sehr verschieden sein: Persönliche Erlebnisse, Erfahrungen und Entscheidungen prägen unsere Welt. Vorbilder von der Familie bis zum Fernsehen sowie Vererbung können eine Rolle spielen. Aggressionsforscher untersuchen seit langem, wie sich Erfahrungen auf den Kampfgeist auswirken. Auch wenn über die genauen Ursachen noch Uneinigkeit herrscht: Fest steht, dass manche Menschen kampflustiger sind als andere.
Andere haben früh gelernt, zu flüchten. Wenn die Küche aufzuräumen war, mussten sie dringend Hausaufgaben machen. Wenn unliebsamer Verwandtenbesuch sich ankündigte, mussten sie mit ihren Freunden Referate vorbereiten. War das Auto zu waschen, der Rasen zu mähen oder nahte die Mathearbeit, nahmen sie die Beine in die Hand und waren nicht mehr gesehen.
Eine dritte Gruppe stellt sich einfach tot. »Falls jemand klingelt, ich bin nicht da.« »Du hast auf den Anrufbeantworter gesprochen? – Hab ich nicht abgehört.« Unerledigte Akten und andere unangenehme Dinge bleiben einfach liegen. Der Briefträger bringt Rechnungen, Mahnungen und Zahlungsaufforderungen. Kein Problem – die Umschläge bleiben zu. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Wer sich tot stellt, wird vielleicht nicht gefressen.
Häufig sind auch gemischte Varianten. Wenn der Kampf nicht siegreich beendet werden kann, wird die Flucht wenigstens noch mit einer Prise Kampfgeist gewürzt. Vor dem Verschwinden knallen Türen und eine im Gehen fallen gelassene fiese Bemerkung soll den Abgang wirkungsvoller machen. So soll der Zurückgelassene merken, wer hier im Recht ist. Er merkt es natürlich nicht. Stattdessen wird er noch wütender. Und irgendwann versucht man es dann vielleicht mit einer Versöhnung. Oder auch nicht. Sinnvoll ist dieses widersprüchlich-halbherzige Vorgehen nicht. Im Gegenteil: In |18|der Steinzeit musste man jederzeit und überall damit rechnen, von einem Gegner vernichtet zu werden. Es überlebte immer nur derjenige, der den anderen schneller tötete. Man musste kämpfen, bis der Gegner tot war. Da das jeder so machte, war klar: Wenn ich es nicht tue, wird der andere es tun. Das war konsequent. Und für den Überlebenden war sichergestellt: Diese Gefahr ist für immer ausgeschaltet.
Wer heutzutage von seinen Kollegen, Freunden oder Verwandten bis aufs Blut gereizt wird, weiß zwar vom Kopf her: Die Steinzeit ist vorbei. Mord ist keine Lösung. Also sollte ich erst gar nicht zurückbeißen mit den heftigen (Verbal-)Attacken. Aber der Körper scheint es nicht zu wissen – und poltert los. Und damit fängt das Drama erst richtig an: Jetzt wird es erst recht gefährlich. Mit jeder Reaktion wird der Streit ein bisschen heftiger. Bis einer die Bremse zieht und merkt – halt, stopp! Es reicht. So wird aus einer kleinen Missstimmung eine mittelgroße Verstimmung. Und aus einer Verstimmung wird Streit – im Beruf wie im Privatleben.
Eigentlich wünschen wir uns ein schöneres Miteinander. Und deshalb äußern wir unsere Veränderungswünsche. Aber irgendwie geraten sie beim andern oft in den falschen Hals, und dann wird es schlechter statt besser. So erreichen wir mit unseren Änderungswünschen oft das Gegenteil und der Ärger wird immer größer. Reicht unsere eigene Kraft nicht aus, rufen wir nach dem großen Bruder, dem Anwalt, Interessenvertretern oder der Polizei. So drohen Arbeitgeber mit der Abmahnung, Mieter drohen mit dem Mieterschutzbund und Ex-Partner mit Sorgerechtsentzug für den gemeinsamen Nachwuchs. Liebespartner laufen da weg, wo sie am meisten lieben, und manche stellen sich tot, obwohl sie eigentlich lustvoll leben wollen – weil sie nicht wissen, wie es anders geht.
Gut zu wissen
Wenn wir in Konfliktsituationen geraten, liegt das daran, dass wir etwas anders haben wollen und es gerade nicht bekommen. |19|Aus der Steinzeit haben wir für solch schwierige Situationen drei Reaktionsmuster geerbt:
angreifen
flüchten
sich tot stellen
Außerdem gibt es Mischungen aus diesen drei Mustern.
Diese körperlichen Reaktionsmuster aus der Steinzeit kämpfen mit unserem Verstand, und heraus kommen halbherzige Aktivitäten. Und so lassen wir unsere Chefs und Kollegen, unsere Schwiegermütter und Partner, unsere Freunde und Bekannten dann doch am Leben. Unsere Angriffe, so heftig sie auch sein mögen, bleiben auf halber Strecke stehen.Das Ergebnis: Wir streiten. Und wir streiten immer weiter. Meist sinnlos – mit ungünstigen Folgen für alle Beteiligten. Oder wir streiten nicht sofort, sondern weichen erst aus – tage- oder jahrelang, und der Kragen platzt erst später,vielleicht bei einer Kleinigkeit. Dazu im nächsten Kapitel.
Sebastian Krollmann war nach längerer Arbeitslosigkeit als Pförtner eingestellt worden und hatte alle Kunden und Mitarbeiter zu kontrollieren, die auf das Betriebsgelände kamen. In den ersten Tagen passierte es ihm einmal, dass er bei der Eingangskontrolle seinen eigenen Chef nicht erkannte. Und sein Chef fand das offensichtlich gar nicht lustig. Jedenfalls schaute er ziemlich grimmig. Von dem Tag an machte Sebastian sich Sorgen, den neuen Arbeitsplatz gleich wieder zu verlieren. Erst Tage später erzählte er es zu Hause. Zunächst herrschte Stille. Plötzlich sagte sein kleiner Sohn: »Papi, warum fragst du deinen Boss nicht einfach, ob er dir böse ist? Das mach’ ich bei dir doch auch.« Sebastian: »Ach, das verstehst du noch nicht, mein Junge, bei Erwachsenen geht das nicht so einfach.«
Sebastian plagte sich noch eine Weile mit seinen Sorgen herum. Aber als der Chef neulich einmal an der Pforte stand und niemand in der Nähe war, traute er sich und fragte doch. Und der Chef antwortete: »Machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Krollmann. Ich hab mich zwar gewundert, aber es ist mir lieber, Sie erkennen mich mal nicht, als wenn Sie jeden Halunken reinlassen würden, nur weil er zufällig so eine Glatze hat wie ich.« Sebastian war mehr als erleichtert. Auf dem Nachhauseweg fiel ihm auf, wie schön der Frühling geworden war. Seine Jobsuche während der langen Arbeitslosigkeit war voller Rückschläge gewesen. Er hoffte, dass diese Zeit jetzt erst einmal vorbei war. Wer schwierige Zeiten hinter sich hat, ist vorsichtiger – aus Erfahrung.
|21|Aber wann fangen die ersten Schwierigkeiten eigentlich an? Als wir auf die Welt kamen, gab es Nahrung und Wärme bei den Eltern. Die Eltern fühlten sich im Einklang mit uns – und wir uns vermutlich eine Weile lang mit ihnen. Wenn wir uns verlieben, sind wir im Einklang mit der oder dem Geliebten. Wenn wir eine neue Stelle antreten, wollen uns die Menschen, die uns eingestellt haben, als Teamplayer. Und wenn wir neue Freunde gewinnen, geht es uns miteinander gut. In diesem Zustand sind Schwierigkeiten ganz weit weg. Da wollen wir nicht kämpfen, sondern zusammen arbeiten, leben, lieben, nicht flüchten, sondern kuscheln, und nicht in Todesstarre fallen, sondern den Menschen in die Arme.
Wir wissen alle, dass der Zustand des angenehmen menschlichen Miteinanders Glück, Zufriedenheit, Erfolg und Erfüllung bedeuten kann. Sebastian wünscht ihn sich für seinen neuen Arbeitsplatz, Christine mit Tom, mit ihrer Chefin, und wahrscheinlich auch mit Ulli. Wir alle wünschen ihn uns, wenn wir uns für neue berufliche Perspektiven entscheiden, in eine neue Hausgemeinschaft ziehen, heiraten, Kinder kriegen oder andere Pläne mit anderen Menschen verwirklichen wollen. Wir wissen auch aus Erfahrung, dass es früher oder später zu ersten Schwierigkeiten kommen kann. Sebastian wusste, wann seine Probleme angefangen hatten. Es war der Moment, als er seinen neuen Chef nicht erkannte. Er dachte nach: Vielleicht stimmte das gar nicht. Sein Chef war ihm ja gar nicht wirklich böse. Vielleicht waren seine unnötigen Sorgen danach der Beginn der Schwierigkeiten. Oder vielleicht waren die großen Sorgen während der langen Arbeitslosigkeit der Beginn der Schwierigkeiten. Nachdem Sebastian mit seinem Chef gesprochen hatte, stellte er fest: Eigentlich hatte er gar keine Schwierigkeiten. Sein Chef vertraute ihm. Und der kleine Patzer war gar nicht schlimm. Schwierigkeiten, die zu Konflikten führen können, bestehen immer aus zwei Teilen: einem Teil, der in der Welt passiert, und einem Teil, der in unseren Köpfen passiert.
Wenn Ulli die Flurlampe zerdeppert, dann ist in der Welt eine Kleinigkeit in Unordnung geraten. Müssen wir deshalb mit Ulli in |22|Schwierigkeiten geraten? Nein, das müssen wir nicht, wir könnten auch ruhig und sinnvoll reagieren. Können wir das wirklich? Die Wissenschaft erforscht, wie wir Schwierigkeiten und andere Erfahrungen abspeichern. Sie nennt den Speicherort, der für so etwas im Körper zuständig ist, das »limbische System«. Unser limbisches System signalisiert nach jeder Erfahrung: »+ prima, mehr davon!« oder »– eher blöd – in Zukunft meiden!« Grüßt die Nachbarin freundlich, signalisiert das limbische System »+«, beschwert sie sich heftig über ruhestörenden Lärm, signalisiert es »–«. Macht sie mal das Eine, mal das Andere, werden wir vorsichtig – und sind auf alles gefasst. Es ist, als wäre unser limbisches System mit einer Art limbischem Taschenrechner ausgestattet. Er speichert alles, was im Leben passiert, nach einem sehr ausgeklügelten System ab.
Jede Erfahrung, die wir als »gut« abspeichern, ist wie ein kleines Plus. Das können schöne Erlebnisse mit einem Menschen sein – aber auch schwierige Erfahrungen, die wir gut gemeistert haben oder aus denen wir etwas Wichtiges gelernt haben. Jede unverarbeitete negative Erfahrung ist zunächst wie ein kleines Minus. Verarbeiten wir sie später, wird aus dem Minus ein Plus.
In Partnerschaften, Familien, Vereinen und unter Kollegen in Abteilungen gibt es früher oder später Missverständnisse und Reibereien. Selbst wenn das Miteinander und die Zusammenarbeit im Großen und Ganzen funktionieren und sich alle gegenseitig unterstützen. Selbst wenn die limbischen Taschenrechner ein Plus nach dem anderen speichern – irgendwann kommt das erste Minus.
Und jetzt kommt es darauf an. Schaffen es die Beteiligten wie Sebastian Krollmann mit seinem Chef, das Minus anzusprechen und auszuräumen, dann wandern sie wieder gemeinsam nach oben in die Pluszone. Schaffen sie es nicht wie Norbert, wird es immer schlimmer. Norbert war – in vielen Bereichen zumindest – ein tüchtiger Mann. Er hatte Tischler gelernt und führte seinen eigenen Handwerksbetrieb durch alle wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer wieder mit Erfolg hindurch. Nur mit seinen Auszubildenden hatte er Probleme. Die Fehler, die sie machten, speicherte er nicht |23|nur in seinem limbischen Taschenrechner. Er hielt sie ihnen auch jedes Mal wieder vor. Und zwar alle. Und mit jedem Fehler, den die unerfahrenen, jungen Leute machten, wurde die Liste länger. Seine Azubis nannten ihn »Meister Nachtragend«. Jeder einzelne Fehler war, für sich genommen, gar nicht weiter schlimm. Na ja, einige schon: Da war zum Beispiel das mühsam zugeschnittene Brett mit den Sondermaßen, bei dem plötzlich 30 Zentimeter fehlten. Oder der Leimtopf, der auf die frisch behandelte Oberfläche der antiken Vitrine gestellt wurde. Auch die wilden Fegearbeiten, bei dem sich Tausende von klitzekleinen Sägespänen auf der frisch lackierten Tür absetzten, waren nicht von Pappe. Aber andererseits: Vielleicht hatten diese vielen Fehler nicht nur etwas mit seinen Auszubildenden zu tun. Norbert jedenfalls zählte sie.
Solange ein Problem nicht bearbeitet und verarbeitet ist, sorgt der limbische Taschenrechner dafür, dass es nicht in Vergessenheit gerät. Auch die limbischen Taschenrechner bei Norberts Azubis hatten viel zu tun. Ständig wurde von ihnen etwas erwartet, was nicht erklärt wurde. Das machte Frust und führte zu weiteren Fehlern. Für jeden einzelnen Fehler – so glaubten sie – war zu mehr als 50 Prozent der Meister selbst verantwortlich. Wie soll man schließlich wissen, was in einer Tischlerwerkstatt gemacht werden muss, wenn es einem niemand erklärt. Aus der Schule wussten sie es nicht. Und zu Hause tischlerte niemand. Woher hätten sie es also wissen sollen? Und so fanden sie seine Kritik unfair. Bei jedem kritischen Wort fügte der limbische Taschenrechner bei den Azubis ein Minus hinzu. Und beim Meister natürlich auch. Weil sie sich nicht trauten, etwas zu sagen oder zu fragen, hielten die jungen Leute lange den Mund. Sie hörten sich die Vorwürfe des Meisters ziemlich reglos an. Eine ganze Weile lang jedenfalls. Aber irgendwann lief bei jedem das Fass über. Der sogenannte Tropfen, der das Fass überlaufen lässt, ist das letzte Minus im limbischen Taschenrechner, bevor das limbische System Alarm gibt.
Es war kein besonders großer Tropfen, der zum überlaufenden Fass führte. Norbert hatte seinen Azubi Alex angefahren, weil er |24|die Pinsel nicht so sauber gemacht hatte, wie er es erwartet hatte. Und während Norbert, wie üblich, mit der Litanei der Verfehlungen loslegte, rastete Alex aus. Er stampfte mit dem Fuß auf und machte den lang aufgestauten Verletzungen Luft: »Wenn Sie uns nie etwas erklären und uns hinterher immer von oben herab fertig machen, dann reinigen Sie Ihre Pinsel doch in Zukunft alleine, Sie Oberpinsel, Sie ... Sie ... Sie unfähiger Pinsel von einem Meister! Sie glauben, Sie wüssten alles besser. Und dann stehen Sie da. Und dann machen Sie uns fertig. Wissen Sie, was ich glaube? ...« (Er holte tief Luft.) »... Ach, es hat ja alles doch keinen Zweck.« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte der junge Wüterich aus der Werkstatt – im Blaumann ohne Hausschlüssel, Handy und Portemonnaie, einen Lackpinsel in der Hand. Sein Denkapparat lief auf Sparflamme. Er brauchte seine gesamte Energie für die Flucht vor dem Kampf. Zu Hause angekommen, war er immer noch ganz aufgeregt. Seine Schwester machte die Tür auf. »Was ist denn mit dir los?« Alex: »Jetzt fang du bloß nicht auch noch an!« Schwester: »Da will man seinem Herrn Bruder helfen und erkundigt sich nach seinem Wohlergehen, aber der junge Herr ist sich ja zu fein zu antworten! Ich sag bloß: Männer!« Aus der Küche schallte eine mütterliche Stimme: »Kinder, hört sofort auf zu streiten! Wie oft habe ich euch gesagt, dass meine Nerven das nicht aushalten! Alex! Wieso bist du überhaupt schon zu Hause? Hast du wieder was ausgefressen? ... Alex? Aaaalex! Willst du auch mit essen?«
Unsere limbischen Taschenrechner sind übrigens sehr schlau. Geht es uns gut, registrieren sie nur ein kleines Minus, wenn jemand uns anpflaumt. Haben sie bereits drei oder mehr nicht ganz unbedeutende Minuszeichen einkassiert, warnen sie heftiger. Dann registrieren sie Kleinigkeiten, als würde die Welt halb untergehen. Damit wir endlich etwas unternehmen, um uns zu schützen. Auch das haben wir aus der Steinzeit geerbt. Wurde die Gefahrendichte größer, war es wichtig, zu entkommen – ganz gleich, ob durch Beseitigung der Gefahrenquelle oder Flucht – so weit die Beine tragen. Denn ein stilles Ausharren konnte den nahen Tod bedeuten.
|25|So kommt es, dass man nur über eine dusselige Flurlampe stolpern muss und als »elefantöser Kartonspezialist« etikettiert wird, oder dass man besorgt nach dem brüderlichen Befinden fragt und patzige Antworten bekommt. Wann immer wir Menschen begegnen, bringen sie ihre limbischen Taschenrechner schon mit. Manchmal erkennt man an der Position der Mundwinkel, ob sie gerade mehr im Plus oder im Minus stehen – manchmal aber auch nicht. Zum Streit kommt es immer, wenn der limbische Taschenrechner sagt: Alarm! Alles, was vorher passiert, wird addiert, im Guten wie im Schlechten.
Wenn Menschen laut werden, merkt man es deutlich: Der limbische Taschenrechner gibt Alarm. Das kann sehr nützlich sein, denn dann besteht die Chance, den Streit richtig zu klären, und aus den Minuszeichen wieder Pluszeichen zu machen, die Wurzel des Übels zu finden und daraus zu lernen. Manchmal ist der Alarm des limbischen Taschenrechners leise. So war es bei Svenja.
Svenja war gut drei Jahre mit Toni verheiratet. Als sie sich kennen gelernt hatten, verbrachten sie jedes Wochenende zusammen. Mal gingen sie mit Freunden weg. Dann gingen sie ins Kino. Oder sie fuhren irgendwo hin. Es war nichts Großartiges, aber Svenja genoss diese Wochenenden. Und ihr limbischer Taschenrechner speicherte |26|ein Plus nach dem anderen. Irgendwann waren sie in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Und das war herrlich. Sie brauchten nicht auf die Wochenenden zu warten. Jeden Abend konnten sie sich sehen und genießen. Svenja wusste nicht mehr, wann sich dieses Gefühl eigentlich geändert hatte. Es waren nur Kleinigkeiten. Keine dieser Kleinigkeiten lohnte, angesprochen zu werden. Aber ihr limbischer Taschenrechner registrierte sie. Und ohne, dass Svenja es merkte, addierte er eine Kleinigkeit nach der anderen. So hatte Toni neulich gesagt, er käme um sieben nach Hause. Svenja hatte Lust auf ein kleines Überraschungsabendessen und zauberte seinen Lieblingsauflauf. Toni kam um sieben nicht. Auch um neun war er noch nicht da. Die Konferenz hatte länger gedauert. Und zwischendurch anzurufen wäre sehr schwierig gewesen. So aß Svenja alleine und stellte den Auflauf in den Kühlschrank. Sie hatte ja Verständnis für Toni. Und das sagte sie ihm auch. Er konnte ja wirklich nichts dafür. Außerdem hatte er keine Ahnung von Svenjas Überraschung. Aber der limbische Taschenrechner zählte…
Und dann war da die Sache mit den Musicalkarten. Zum ersten Hochzeitstag hatte er ihr einen Gutschein geschenkt: ein Musicalwochenende in Wien. Sie erinnerte sich noch genau, wie sehr sie sich darüber gefreut hatte. Mittlerweile waren mehr als zwei Jahre vergangen. Ein paar Mal hatte sie vorsichtig nachgefragt. Aber dann war immer zuviel zu tun – oder es passte gerade nicht. Dabei war Toni wirklich ein Partner, wie man sich ihn nur wünschen konnte. Er konnte wunderbar zuhören, half im Haushalt, kümmerte sich um die Finanzierung des Hauses, konnte herrliche Geschichten erzählen. Mit ihm wurde es nie langweilig.
Dann kam der vierte Hochzeitstag. Als Svenja aufwachte, war der Frühstückstisch schon gedeckt. Zwischen den roten Rosen steckte ein Umschlag. Als sie ihn öffnete, wusste sie selbst nicht, wie ihr geschah: ein Gutschein für ein Wochenende in Paris. Svenja sagte nichts. Sie stand einfach nur auf, nahm ihre Tasche und schloss die Tür. Ganz leise. Sie kam ins Büro und funktionierte wie ein Schweizer Uhrwerk. Am Abend ging sie spät nach Hause. Mit Toni sprach |27|sie kein Wort. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Der limbische Taschenrechner war beim Minus-Alarm angekommen. Sie hatte Verständnis für alles, was Toni machte – gleichzeitig wurde ihr kalt, wenn sie an ihn dachte. Eigentlich konnte sie ihm nichts vorwerfen. Trotzdem fühlte sie sich leer und traurig. Der mittlerweile drei Jahre alte Gutschein für das Wien-Wochenende schmerzte, wenn sie nur daran dachte. Der Paris-Gutschein lag noch immer auf dem Tisch. Svenja fühlte sich wie eine Statue ohne Worte.
Dem limbischen Taschenrechner nützt es nichts, wenn unser Verstand »Verständnis« hat für das, was unsere Mitmenschen tun. Natürlich hatte Toni viel zu tun, und für alles, was er tat, gab es gute Gründe. Trotzdem hätte sich Svenja etwas anderes gewünscht. Und solange sie es nicht aussprechen und klären kann, addiert der limbische Taschenrechner solange munter vor sich hin, bis das Maß voll ist. Dann folgt – je nachdem – Erstarrung, Flucht oder Kampf.
Streit entsteht immer auf dieselbe Weise. Wir hätten gerne irgendetwas anders: Die Lampe soll nicht zerbrochen werden, der Tischlermeister soll besser erklären, der Ehemann soll Gutscheine einlösen, die Chefin soll den Urlaub nicht streichen, der Bruder soll nicht wortkarg in seinem Zimmer verschwinden und die Azubis sollen ihr Gehirn einschalten.
Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ein einziges großes Minus den limbischen Taschenrechner in Großalarm versetzt. Der Zahnarzt zieht den einzigen gesunden Zahn, der Mitarbeiter klaut silberne Löffel, statt der versprochenen Treue findet die Freundin ihren Partner in flagranti mit der nackten Nachbarin auf dem Küchentisch, oder die Schwiegermutter kündigt der Putzfrau, zieht im Gästezimmer ein und ersetzt die Anti-Baby-Pillen durch Placebos…
Gut zu wissen
Jeder Mensch will, dass manches so bleiben soll, wie es ist, und dass sich anderes ändern möge. Das Leben besteht aus Wünschen. Es gibt wichtige Wünsche und weniger wichtige Wünsche|28|. Manche erfüllen sich wie von selbst, mit anderen machen wir eine Bauchlandung. Immer, wenn sich wichtige Wünsche erfüllen, macht der limbische Taschenrechner ein großes Plus; machen sie eine Bauchlandung, ein Minus. Werden zu viele Wünsche nicht erfüllt, schlägt der limbische Taschenrechner Alarm und es kommt zum Streit. Dann tun wir das, was schon unsere steinzeitlichen Vorfahren gemacht haben. Wir fallen in eines der drei Muster zurück,die uns unter Druck zurVerfügung stehen.
Im ersten Kapitel war zu lesen, woher wir unsere Notfallstrategien in Konfliktsituationen haben. Im zweiten Kapitel haben Sie gesehen, wie der limbische Taschenrechner dafür sorgt, dass die Notfallstrategien zum Einsatz kommen. In diesem Kapitel erfahren Sie, wie unterschiedlich Menschen im Streit sein können. Sie lernen verschiedene Streittypen zu unterscheiden, damit niemand Sie mehr als nötig in einen Krach hineinziehen kann und Sie besser erreichen, was Ihnen wichtig ist. Denn bei allen individuellen Verschiedenheiten gibt es vier logische Grundmuster. Wenn Sie diese Grundmuster kennen, können Sie lernen, Ihre Streitpartner immer besser zu erkennen.
Die meisten Ihrer Zoffpartner werden eine sehr individuelle Mischung aus allen vier Typen sein. Je besser Sie zuordnen können, aus welcher Ecke die aktuelle Verhaltensweise Ihrer Streitpartner gerade kommt, umso besser können Sie reagieren und umso sinnvoller können Sie streiten – und vom Streit profitieren. Lernen Sie zunächst vier ausgeprägte Vertreter der Streittypen kennen und erfahren Sie anschließend, wie Sie mit welchem Streittyp besser umgehen – und wie nicht.
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