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Vier norwegische Volkssagen in denen die Welt des mittelalterlichen Sakandinaviens auflebt. Das karge Leben er Bauern, hinterhältige Trolle und die unwirtlliche Natur finden sich in den hier versammelten Geschichten wieder, die voller Abeteuer und Zaubereien sind. Dazu Könige, Hexen und Prinzessinnen. Aber auch der Humor fehlt nicht. Und so manches unwahrscheinliche Ereignis wird mit einem Augenzwinkern erzählt.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Grumblegizzard
Östlich der Sonne und westlich des Mondes
Der Junge, der zum Nordwind ging
Der Riese, der kein Herz im Leib hatte
Impressum
Es waren einmal fünf tugendhafte Frauen, die auf einem Feld die Ernte einbrachten. Jede von ihnen wollte Kinder, doch bisher war dieser Wunsch für keine von ihnen in Erfüllung gegangen. Nun trug es sich zu, dass sie eines Tages auf ein merkwürdiges Gänseei stießen. Fast so groß, wie der Kopf eines Mannes.
„Ich habe es zuerst gesehen“, sagte eine der Frauen.
„Ich habe es im gleichen Moment entdeckt wie du“, rief eine andere.
„Ich muss es haben, so wahr mir Gott helfe“, schwor eine dritte. „Ich war es, die das Ei als erste entdeckt hat.“
So versammelten sich die fünf Frauen um das Ei und zankten sich so heftig, dass sie damit begannen, sich gegenseitig an den Haaren zu ziehen. Nach einer Weile kamen die Frauen jedoch überein, dass es wohl besser wäre, wenn sie sich gemeinsam um das Gänseei kümmern würden. Alle fünf. Abwechselnd, so die Vereinbarung, solle jede von ihnen auf dem Ei hocken und das Gänsekücken ausbrüten. Die erste saß geschlagene acht Tage auf dem Ei, doch nichts geschah. Die anderen Frauen zogen inzwischen los, um etwas zu Essen aufzutreiben.
Am achten Tag sagte die Frau auf dem Ei: „Ich glaube, dass jemand in diesem Ei steckt. Ein Murmeln habe ich gehört. Die merkwürdige Stimme sagte: 'Heringe und Brot, Porridge und Milch. Und alles sofort.' Ich denke, es ist an der Zeit, dass eine von euch sich auf das Ei setzt, für die nächsten acht Tage. Die anderen suchen weiter nach Nahrung.“
Als sie schließlich alle der Reihe nach acht Tage auf dem Ei verbracht hatten, vernahm die letzte erneut eine Stimme.
'Heringe und Brot, Porridge und Milch.'
Auch sie vermutete deshalb, dass jemand in dem Ei war. Neugierig schlug die Frau ein Loch in das Ei, doch anstatt eines Kückens kam ein Mann heraus, nicht größer als ein Kind. Er war hässlich und hatte einen großen Kopf, aber den Körper eines kleinen Jungen. Das erste, was er grölte, als er sich aus dem Ei schälte war wiederum: „Heringe und Brot, Porridge und Milch.“
Die Frauen nannten ihn Grumblegizzard.
So hässlich er auch war, die fünf Frauen waren dennoch froh, ihn bei sich zu haben. Zumindest am Anfang waren sie froh darüber. Doch dann dauerte es nicht lange und Grumblegizzard wurde so gierig, dass er alle Fleischvorräte im Haus verspeiste. Wenn die Frauen einen großen Topf Suppe kochten, oder einen Topf bis zum Rand gefüllt mit Porridge, von dem sie dachten, es wäre genug für alle sechs, dann kippte Grumblegizzard die ganze Mahlzeit auf einen Sitz in seinen Schlund. Bis nichts mehr davon übrig war.
„Seit dieser Wechselbalg aus dem Ei gekrochen ist“, sagte eine der Frauen, „weiß ich nicht mehr, was eine vollständige Mahlzeit ist.“
Als Grumblegizzard hörte, dass auch die anderen Frauen dieser Meinung waren, teilte er ihnen mit, dass er sie nun verlassen würde. Wenn er ihnen nichts mehr bedeute, dann bedeuteten sie ihm auch nichts mehr. Mit diesen Worten verließ er die kleine Bauernhütte.
Nach einer langen Wanderung kam Grumblegizzard zum Bauernhaus einer anderen Familie. Es lag in einem steinigen Land. Grumblegizzard fragte bei den Anwohnern, ob er bei ihnen unterkommen könne. Sie benötigten tatsächlich einen Arbeiter und der wohlgesonnene Bauersmann schickte ihn aufs Feld um Steine zu sammeln. Das tat er auch. Grumblegizzard sammelte Steine vom Feld bis ein Berg vor ihm lag, der so groß war, dass die Steine für mehrere Pferdefuhrwerke gereicht hätten. Doch er stopfte sich die Steine in die Tasche. Die Großen ebenso wie die Kleinen. Die Arbeit war somit bald erledigt und Grumblegizzard fragte alsbald was es noch zu tun gäbe.
„Ich habe dir gesagt, dass du die Steine aus dem Feld holen sollst“, sagte der Bauer. „Du kannst diese Arbeit wohl nicht erledigt haben, ehe du damit angefangen hast.“
Da drehte Grumblegizzard seine Taschen nach außen und die Steine fielen heraus bis ein riesiger Haufen vor ihnen lag. Der Bauer sah, dass die Arbeit tatsächlich getan war und dachte sich, dass es wohl besser wäre einen so kräftigen Mann zu behalten.
Grumblegizzard, so sagte er, solle doch bitte herein kommen und etwas essen. Daran hatte Grumblegizzard auch schon gedacht. Als er endlich am Tisch saß aß er alles, was dort vorbereitet war. Auch die Portionen die für die Familie des Bauern bestimmt waren. Danach verschlang er auch die Portionen für die Diener. Als Grumblegizzard fertig gegessen hatte und kein Brotkrumen mehr auf dem Tisch lag, war er noch nicht einmal zur Hälfte satt.
„Der Kerl arbeitet mindestens für zwei“, sagte sich der Bauer. „doch er verputzt erschreckend viel. Am Tisch ist er wohl genauso wenig aufzuhalten, wie bei der Arbeit. Ein solcher Kerl frisst eine arme Bauersfamilie aus ihrem Haus, noch ehe sie sich auch nur einmal nach ihm umsehen kann.“
Der Bauer eröffnete Grumblegizzard, dass er nichts mehr für ihn zu tun hätte. Er solle sich am Besten auf den Weg zum Gut des Königs machen.
Wenn das so ist.
Grumblegizzard machte sich auf den Weg zum Gut des Königs, so er auch gleich eine Anstellung bekam. Auf dem Gutshof gab es genug von allem: Genug Arbeit und Genug zu Essen. Auf dem Gut wurde Grumblegizzard aufgetragen alle möglichen Handlanger Arbeiten. Er solle den Mägden beim Holz- und Wasserholen helfen und bei anderen Aufgaben. Also fragte er, womit er anfangen könne.
„Hol ein wenig Feuerholz aus der Scheune.“
Das tat er. Grumblegizzard begann zu hacken und zu hauen, bis die Holzsplitter nur so um ihn herum sprangen. Es dauerte nicht lange, ehe er alles klein gehauen und kurz geschlagen hatte, was es in der Scheune zu hauen und schlagen gab. Feuerholz und Bauholz. Bretter und Balken. Nichts war mehr übrig. Als er fertig war fragte er, was es als Nächstes zu tun gäbe.
„Holz schlagen.“
„Nichts mehr da zum schlagen“, antwortete Grumblegizzard.
„Das kann nicht stimmen“, meinte der Verwalter des Königs.
Er ging mit Grumblegizzard zur Scheune und sah, dass es tatsächlich zutraf, was Grumblegizzard behauptet hatte. Er hatte alles zerlegt, aus allem Feuerholz gemacht was greifbar war. Aus den Baumstämmen ebenso wie aus dem in der Scheune gelagerten Bauholz. Der Verwalter meinte, dass das keine so gute Arbeit gewesen sei. Er stellte klar, dass Grumblegizzard keinen Bissen zu Essen bekommen würde, bis er nicht das Bauholz, das er eben zu Kleinholz verarbeitet habe, ersetzt haben würde.
Grumblegizzard ging zur Schmiede und bat den Schmied, ihm eine Axt herzustellen, die fünfzehn Pfund wog. Damit ging in den Wald und räumte auf. Die Bäume stürzte nur so übereinander, Fichten ebenso, wie Tannen, auch solche, die hervorragend dafür geeignet wären Schiffsmasten daraus zu zimmern. Grumblegizzard schlug alles um, was immer er auf dem Grund und Boden des Königs fand, oder auf dem des Nachbarn. Er nahm sich keine Zeit dafür, die Äste abzuschlagen und die Baumstämme zu schälen. So lagen sie herum, wie nach einem Sturm. Grumblegizzard packte eine große Ladung auf einen Schlitten und spannte alle Pferde, die er bei sich hatte, davor. Doch sie brachten den Schlitten nicht von der Stelle. Als er die Pferde schließlich am Kopf packte um sie zu ziehen riss er ihnen die Köpfe ab. Er warf die Pferde aus der Spur, ließ sie liegen und zog die Schlittenladung selbst zurück zum Gut.
Als Grumblegizzard dort eintraf erwarteten ihn der König und sein Verwalter in der großen Halle des Gutshauses, um ihn dafür zur Rede zu stellen, dass er oben im Wald so heftig gewütet hatte. Der Verwalter hatte sich selbst ein Bild von dem angerichteten Schaden gemacht. Doch nun, als Grumblegizzard des Weges kam, den halben Wald hinter sich herziehend, war der König nicht nur wütend – er fürchtete sich sogar. Er dachte sich, dass er wohl vorsichtig sein musste, wenn der Kerl so außerordentlich stark war.
„Das nenne ich einen guten Arbeiter“, sagte der König. „Keine Frage. Doch, sag mir eins, wie viele Mahlzeiten braucht du nach solch einer Arbeit? Du musst sehr hungrig sein.“
Wenn es gut gemachten Porridge gäbe, meinte Grumblegizzard, dann könne er wohl zwölf Mele davon gebrauchen. Mit einem so gut gefüllten Bauch könne er es dann aber auch eine Zeit lang aushalten. Wenn es sein müsse.
Natürlich dauerte es eine Weile, bis diese enorme Menge Porridge gekocht war. In der Zwischenzeit holte Grumblegizzard Brennholz für die Küche. Er zog das Holz auf einem Schlitten hinter sich her, womit er allerdings im Türrahmen stecken blieb. Als Grumblegizzard den Schlitten mit Gewalt in die Küche riss, ächzte jedes Brett und erzitterte jeder Balken des Gutshauses. Das Haus stand kurz davor, in sich zusammen zu stürzen.
Als bald danach die Essenszeit nahte schickte man Grumblegizzard los, um die Feldarbeiter zu holen. Er grölte und brüllte, dass es nur so von den Bergen und Hügeln zurück hallte. Als die Männer nicht schnell genug kamen, erschlug er, ohne sich lange mit Fragen aufzuhalten, zwölf von ihnen.
„Du hast zwölf meiner Arbeiter erschlagen“, sagte der König. „Und du isst für zwölf mal zwölf Arbeiter. Also sage mir: Für wie viele Männer kannst du arbeiten?“
„Für zwölf mal zwölf“, erwiderte Grumblegizzard.
Als er zu Mittag gegessen hatte schickte man ihn in auf den Heuboden, um Stroh zu dreschen. Als erstes nahm Grumblegizzard den Dachfirsten ab um daraus eine Dresche zu bauen. Als das Dach der Scheune einzustürzen drohte nahm er eine riesige Fichte, an der noch die Äste hingen und stützte damit das Dach. Danach begann er, auf alles einzudreschen, was auf dem Heuboden lag. Gerste, Hafer, Heu, Stroh. Alles. Ohne Unterschied. Der Schaden, den er anrichtete, war nicht zu übersehen. Die Körner, das Spreu und die Granen – alles flog durcheinander. Über dem Gut lag eine Wolke aus Staub.
Als Grumblegizzard mit dem Dreschen fast fertig war, überfielen Feinde das Land. Es herrschte Krieg. Der König befahl ihm, einige Männer zu holen, sich auf den Weg zu machen und den Feind zu bekämpfen. Damit verband der König natürlich die Hoffnung, Grumblegizzard auf diese Weise loszuwerden.
Nein, er bräuchte keine Männer, die ohnehin nur getötet würden, sagte Grumblegizzard. Er würde alleine Kämpfen. Genau das würde er tun.
'Um so besser', sagte sich der König. „Desto eher bin ich ihn los.“
Was Grumblegizzard für den Kampf allerdings fehlte war ein großer Knüppel. Der König forderte den Schmied auf, einen fünfzig Pfund schweren Knüppel herzustellen.
„Der mag gut sein, um Nüsse zu knacken“, sagte Grumblegizzard.
Also schmiedete man ihm einen hundert Pfund schweren Knüppel.