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Dieses Buch enthält einige der bemerkenswertesten Aufsätze von Frédéric Bastiat zu den Themen Wirtschaft und individuelle Freiheit: - An die Jugend Frankreichs - Was man sieht und was man nicht sieht - Eine Petition - Eine negative Eisenbahn - Das Gesetz Frédéric Bastiat (1801 – 1850) war ein französischer Ökonom und Schriftsteller, der für seine Verteidigung der Freiheit, des Eigentums und des freien Handels bekannt ist. Er war ein entschiedener Gegner von Protektionismus und staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft und prägte die Ideen des klassischen Liberalismus. Wir haben Bastiats brillante Abhandlungen darüber, wie wirtschaftliche Aktivitäten und staatliche Eingriffe unsere Gesellschaft beeinflussen, neu aufgelegt. Bastiat argumentiert, dass das, was auf den ersten Blick ökonomisch sinnvoll erscheint, oft verheerende Folgen für den Wohlstand und die Freiheit der Bürger haben kann. Seine scharfsinnigen Analysen und klaren Argumente machen seine Texte zu zeitlosen Werken, die heute noch genauso relevant sind wie zu ihrer Entstehungszeit. Mit der Reihe Grundlagen der Ökonomie möchte Aprycot Media einen Beitrag zum Verständnis der Fundamente leisten, auf denen Bitcoin entwickelt wurde. Grundlegende Ideen und Prinzipien menschlichen Handelns und die Bedeutung individueller Freiheit sind die Eckpfeiler unserer Gesellschaft. In einer Welt, in der wir immer mehr Kontrolle abzugeben scheinen, bietet diese Serie eine wertvolle Perspektive auf die Bedeutung von Freiheit und Eigenverantwortung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Die Werke von Frédéric Bastiat sind ein unverzichtbarer Beitrag zu diesem Verständnis und ein Aufruf zur kritischen Reflexion wirtschaftlicher Entscheidungen und staatlicher Interventionen.
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Seitenzahl: 208
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Das Wesentliche von
Aus der Reihe„Grundlagen der Ökonomie“
Aprycot Media freut sich, dieses kleine Buch vorzustellen, das die Essenz des Denkens von Frédéric Bastiat vermittelt. Das gesamte in diesem Buch enthaltene Material wird von uns unter Creative Commons Attribution 4.0 veröffentlicht. Es steht dir frei, alle Inhalte für jeden Zweck nachzudrucken, sofern du die Quelle angibst. Darüber hinaus möchte Aprycot Media das ursprüngliche Quellenmaterial wie folgt anerkennen:
„To the Youth of France.” Economic Harmonies. George B. de Huszar, übers. and W. Hayden Boyers, ed. (Irvington-on-Hudson, NY: The Foundation for Economic Education, 1996).
“What is Seen and What is Not Seen.” Selected Essays in Political Economy. trans. Seymour Cain. (Irvington-on-Hudson, NY: The Foundation for Economic Education, 1995), 1–47.
“A Petition.” Economic Sophisms. übers. Arthur Goddard.
(Irvington-on-Hudson, NY: The Foundation for Economic Education, 1996) 56–60.
“A Negative Railroad.” Economic Sophisms. übers. Arthur Goddard.
(Irvington-on-Hudson, NY: The Foundation for Economic Education, 1996), 94–95.
The Law. übers. Dean Russell. (Irvington-on-Hudson, NY und Atlanta: The Foundation for Economic Education, 2007).
Änderungen und Anpassungen für kontextuelles Verständnis mit Hilfe des französischen Originaltextes: http://bastiat.org/fr/
Copyright © 2016 „The Foundation for Economic Education“ veröffentlicht unter Creative Commons Attribution 4.0 – Änderungen und Anpassungen für kontextuelles Verständnis mit Hilfe des französischen Originaltextes: http://bastiat.org/fr/
Copyright © 2023 Aprycot Media (deutsche Ausgabe) veröffentlicht unter der Creative Commons Attribution 4.0
ISBN 978-3-949098-28-4 (Print)
ISBN 978-3-949098-29-1 (ePub)
Übersetzung: Daniel Deckner
Lektorat: Der Kosmotoriker
Layout & Satz: Michi Nussbaumer
Cover: Michi Nussbaumer
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Verlag: Aprycot Media – Held & Troendle GbR – Rheinfelden
1. Auflage 2023
Aprycot Media – Der Bitcoin Verlag – www.aprycot.media
Twitter & Instagram: @aprycotmedia
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I. An die Jugend Frankreichs
II. Was man sieht und was man nicht sieht
III. Eine Petition
IV. Eine negative Eisenbahn
V. Das Gesetz
Lerneifer, das Bedürfnis, an etwas zu glauben, ein Geist, der noch frei von eingefleischten Vorurteilen ist, von Hass unberührte Herzen, Feuereifer, sehnliche Zuneigung, Selbstlosigkeit, Hingabe, Wohlwollen, Begeisterung für alles Gute, Schöne, Aufrichtige, Große, Ehrliche und Religiöse – das sind die unschätzbaren Gaben der Jugend. Darum widme ich ihr dieses Buch. Es ist ein Same, der tatsächlich steril sein müsste, wenn er in so fruchtbarer Erde nicht zum Leben erwachte.
Ich wollte Euch ein vollendetes Gemälde schenken, gebe Euch stattdessen aber nur einen rohen Entwurf. Verzeiht mir. Wer kann in diesen Zeiten schon ein bedeutendes Werk vollenden? Hier ist eine Skizze. Bei deren Anblick möge einer unter euch wie der große Künstler ausrufen: Anch’io son pittore,1 den Pinsel ergreifen, und meine unfertige Leinwand mit Farbe und Fleisch, Licht und Schatten, Gefühl und Leben füllen.
Junge Menschen, Ihr werdet den Titel dieser Arbeit für sehr ambitioniert halten. Wirtschaftliche Harmonien! War ich anmaßend genug, zu glauben, den göttlichen Plan aufzudecken, welcher in der Gesellschaftsordnung und all den Mechanismen steckt, mit welchen die Vorsehung die Menschheit segnete, um ihren Fortschritt sicherzustellen?
Bestimmt nicht, aber ich möchte euch auf den Pfad zu folgender Wahrheit führen: Alle legitimen Interessen sind harmonisch. Das ist die zentrale Idee dieses Werkes, und ihre Wichtigkeit kann nicht ausreichend betont werden.
Es war einmal in Mode, über das sogenannte soziale Problem zu lachen. Und man muss zugeben, dass einige Lösungsvorschläge diesen Hohn nur allzu verdient hatten. Aber an dem Problem selbst ist bestimmt nichts Lachhaftes. Es spukt um uns herum wie Banquos Geist während Macbeths Bankett, bleibt aber nicht still, sondern kreischt der in Angst erstarrten Gesellschaft entgegen: Finde eine Lösung oder sterbe!
Die Art dieser Lösung wird natürlich stark davon abhängen, ob die Interessen der Menschen miteinxander wirklich harmonieren oder einander (mangels Kohärenz – Anm. d. Hrsg.) zuwiderlaufen.
Liegt Kohärenz an, erwächst die Lösung aus freiheitlichem Boden, im ungünstigeren Rahmen würde der Zwang das Heft übernehmen. Im ersten Fall reichte es, sich herauszuhalten, aber in zweitem Szenario muss man sich notwendigerweise einmischen.
Dabei kennt Freiheit nur eine singuläre Erscheinungsform. Wenn wir uns dessen sicher sein können, dass jedes Molekül einer Flüssigkeit alles enthält, was notwendig ist, um ihre übergeordneten Eigenschaften zu bestimmten, schließen wir daraus, dass der einfachste und sicherste Weg, das Wesen der Materie zur Geltung kommen zu lassen, darin besteht, die Moleküle nicht zu beeinträchtigen. All jene, die den argumentativen Ausgangspunkt zu akzeptieren bereit sind, dass die legitimen Interessen der Menschen harmonisch sind, werden auch darin übereinstimmen, dass die praktische Lösung des sozialen Problems einfach darin besteht, diese Interessen nicht zu sabotieren oder umlenken zu wollen.
Zwang kann hingegen in Antwort auf mannigfaltige Sichtweisen eine Unzahl verschiedener Formen annehmen. Daher haben jene Denkschulen, welche von der Annahme ausgehen, dass die Interessen der Menschen einander zuwiderlaufen, noch niemals etwas zur Lösung eines sozialen Problems getan, sondern allenfalls Aspekte der Freiheit unterminiert. Sie sind bis dato noch immer damit befasst, zu ergründen, welche der unendlichen Erscheinungsformen, die der Zwang annehmen kann, die richtige ist bzw. ob es nicht doch eine quasi „optimale Version“ von Zwang geben kann. Und sollten sie sich jemals darüber einig werden, welche Form der Nötigung sie im gemeinsamen Eigeninteresse vorziehen, werden sie kurz darauf noch immer vor dem Problem stehen, freie Menschen zur allgemeinen Akzeptanz des Zwangs zu überreden.
Doch sollten wir tatsächlich die Hypothese akzeptieren, dass die lauteren Interessen der Menschen ihrer Natur nach einander im Konflikt gegenüberstehen und diese Auseinandersetzungen nur durch den hybriden Entwurf einer artifiziellen Gesellschaftsordnung vermieden werden können, so wäre der Zustand der Menschheit in der Tat prekär. In diesem Fall müssten wir betroffen folgende Fragen aufwerfen:
Werden wir im Lauf der Menschheitsgeschichte jemanden finden, der je eine zufriedenstellende Form des Zwanges entwickelt hat?
Wäre dieser Mensch jemals dazu in der Lage, all die unzähligen Denkschulen, welche andere Formen der Nötigung erfunden haben, für seinen Plan zu gewinnen?
Würde die Menschheit sich dieser Form von Zwang, die ihrer grundsätzlichen Verfasstheit nach dem Selbstinteresse eines jeden denkenden Individuums zuwiderlaufen muss, unterwerfen?
Angenommen, die Menschheit ließe sich bereitwillig mit dieser Art Aufmachung kostümieren – was würde passieren, wenn ein findiger Anderer mit einem “besseren” Entwurf von Zwang daherkäme? Würden die Menschen in einer Organisationsform verharren, die sie zunehmend als unzureichend erkannt haben, oder sich gar dazu aufraffen können ihre Lebensentwürfe jeden Morgen aufs Neue den Launen, der Mode oder den persönlichen Unzulänglichkeiten des Urhebers der Nötigung entsprechend anzupassen?
Würden nicht all jene Nötigungsexperten, deren Pläne inzwischen verworfen worden sind, sich gegen die aktuelle Version von Zwang verbünden und infolge dieser gesellschaftlichen Umbrüche umso bessere Gelegenheiten zur Machtübernahme finden, als dieser zur Disposition stehende Entwurf seiner Natur und Auslegung nach dem Selbstinteresse eines jeden Einzelnen zuwiderläuft?
Und kann es, in letzter Konsequenz, eine singuläre menschliche Intelligenz geben, die dazu imstande wäre, sämtliche Widersprüche zu überwinden, wenngleich gerade die Gegensätze es sind, welche den Menschen Mensch sein lassen??
Ich könnte diese Reihe an Fragen unendlich fortsetzen und im Zuge dessen beispielsweise folgenden bemerkenswerten Umstand erwähnen:
Wenn man individuelles Eigeninteresse als den Wünschen und Zielen der Allgemeinheit entgegengesetzt wirkend betrachtet – an welchem Punkt genau könnte man dann den Hebel der Nötigung zielgerichtet ansetzen? Wo wirkt der “Geißfuß” der Nötigung am effektivsten, inmitten eines komplexen, antagonistischen Gefüges? Überhaupt an einem Ort fernab der menschlichen Natur? So müsstet Ihr es zwangsläufig handhaben, um den Folgen zu entgehen, die sich aus der Übertretung Eurer eigenen Gesetze ergeben. Denn wenn Ihr einen einzelnen oder eine kleine Gruppe von Menschen mit willkürlicher Macht ausstattet, müsstet Ihr zuerst überprüfen, ob diese Menschen tatsächlich aus einem anderen Lehm geformt sind als der Rest von uns; dass sie, anders als wir, niemals durch das fatale Prinzip des Eigeninteresses motiviert, sogar in Situationen, in denen sie eigentlich über absolute Macht verfügten, frei von Gier, Irrtümern und unreinen Herzen sein werden.
Was die verschiedenen sozialistischen Schulen (und damit meine ich jene Denkungsarten, die eine durch Nötigung hervorgebrachte Gesellschaftsordnung als die Lösung gesellschaftlicher Dysfunktionalitäten ansehen) von der wirtschaftswissenschaftlichen Schule2 radikal unterscheidet, ist keine unerhebliche Nuance des Blickwinkels oder der präferierten Regierungsform. Es ist der Kontrast ihrer jeweiligen Grundannahmen und ihrer Antworten auf folgende elementare und zentrale Frage: Sind die Interessen sich selbst überlassener Menschen zueinander harmonisch oder antagonistisch?
Es ist offensichtlich, dass die Sozialisten es sich nur deshalb als Mission erkoren, eine künstliche Gesellschaftsordnung zu schaffen, weil sie die natürliche als entweder schlecht oder inadäquat beurteilen – und sie beurteilen sie nur deshalb als schlecht oder inadäquat, weil sie in den Interessen der Menschen eine fundamentale Gegensätzlichkeit zu sehen glauben. Andernfalls griffen sie nicht auf Zwang zurück. Es ist nicht notwendig, Dinge, die bereits harmonieren, in Harmonie miteinander zu zwingen.
Daher haben sie überall fundamentale Antagonismen gefunden:
Zwischen Eigentümer und Proletarier,
Zwischen Kapital und Arbeit,
Zwischen dem gemeinen Volk und der Bourgeoisie,
Zwischen Landwirtschaft und Industrie,
Zwischen dem Land- und dem Stadtbewohner,
Zwischen Einheimischen und Ausländern,
Zwischen Produzent und Konsument,
Zwischen Zivilisation und Organisation,
Und, um es mit einem Wort zu sagen:
Zwischen Freiheit und Harmonie.
Und das erklärt, warum trotz des Umstandes, dass sie eine Art sentimentaler Philanthropie in ihren Herzen tragen, Hass von ihren Lippen strömt. Jeder von ihnen behält seine gesamte Liebe jener Gesellschaft vor, die er erträumt hat. Die natürliche Gesellschaft, in welcher zu leben unser Schicksal ist, kann für sie nicht früh genug zerstört werden, auf dass aus ihrer Ruine das neue Jerusalem entstehe.
Ich habe bereits gesagt, dass die wirtschaftswissenschaftliche Schule, die im Gegensatz dazu davon ausgeht, dass die Interessen der Menschen natürlicherweise harmonieren, zu einem die persönliche Freiheit bevorzugenden Schluss kommt.
Dennoch muss ich zugeben, dass die Prinzipien der Wirtschaftswissenschaftler, auch wenn letztere sich generell für persönliche Freiheit aussprechen, ihre Grundannahme, dass die Interessen der Menschen harmonieren, nicht ausreichend bekräftigen.
Doch bevor wir fortfahren, und um Sie bezüglich der Rückschlüsse vorzuwarnen, die man unweigerlich aus diesem Eingeständnis ziehen wird, muss ich ein paar Worte zu den jeweiligen Standpunkten des Sozialismus und der Volkswirtschaftslehre sagen.
Es wäre unsinnig von mir, zu behaupten, dass die Sozialisten niemals Wahrheit entdeckt und die politischen Ökonomen niemals Fehler begangen hätten.
Was die Kluft zwischen diesen Schulen auftut, ist die Verschiedenheit ihrer Methoden. Der Sozialismus agiert wie Astrologie und Alchemie über die Vorstellung; die politische Wirtschaftswissenschaft schreitet wie Astronomie und Chemie mittels Beobachtung voran.
Zwei Astronomen, die dasselbe Phänomen beobachten, mögen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen.
Trotz dieser einstweiligen Uneinigkeit fühlen sie den Bund einer gemeinsamen Methodik, welche sie früher oder später zusammenführen wird. Sie sehen sich als Teil derselben Gemeinschaft. Doch zwischen dem Astronomen, der beobachtet, und dem Astrologen, der sich etwas vorstellt, klafft ein unüberbrückbarer Abgrund, obgleich es ab und an durch Zufall zu einem Einverständnis zwischen beiden kommen kann. Dasselbe trifft auf die politischen Wirtschaftswissenschaften und den Sozialismus zu.
Ökonomen beobachten den Menschen, die Gesetze seiner Organisation sowie die gesellschaftlichen Beziehungen, die aus diesen hervorgehen. Der Sozialist beschwört eine Gesellschaft aus seiner Einbildungskraft herauf und ersinnt dann ein menschliches Herz, das zu dieser Gesellschaft passt.
Sollte eine Wissenschaft aber nicht irren, so irren sich Wissenschaftler. Ich streite nicht ab, dass Ökonomen fehlerhafte Beobachtungen machen können, und füge dem sogar hinzu, dass sie solche zu Beginn unweigerlich machen mussten.
Doch es passiert Folgendes: Wenn die Interessen der Menschen harmonieren, folgt daraus, dass jede falsche Beobachtung logischerweise zur gegenteiligen Schlussfolgerung des Antagonismus führt. Was sind in Anbetracht dessen die Taktiken der Sozialisten? Sie picken ein paar fehlerhafte Beobachtungen aus wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten heraus, leiten alle möglichen aus diesen folgenden Rückschlüsse daraus ab, und beweisen dann, dass sie desaströs sind. Bis zu diesem Punkt sind sie im Recht. Dann erheben sie ihre Stimmen im Protest gegen den Beobachter – Malthus3 und Ricardo4 zum Beispiel. Sie sind noch immer im Recht. Doch sie harren hier nicht inne. Sie wenden sich gegen die Wirtschaftswissenschaften selbst und beschuldigen sie der Herzlosig- und Böswilligkeit. Indem sie das tun, stellen sie sich Vernunft und Gerechtigkeit entgegen, denn die Wissenschaft ist nicht für fehlerhafte Beobachtungen des Wissenschaftlers verantwortlich. Schlussendlich gehen sie aber noch weiter. Sie beschuldigen die Gesellschaft selbst und drohen ihre Zerstörung und Rekonstruktion an. Und warum? Weil die Wissenschaft, wie sie sagen, beweist, dass unsere gegenwärtige Gesellschaft auf einen Abgrund zusteuert. Damit empören sie den gesunden Menschenverstand, denn entweder irrt die Wissenschaft nicht – warum sollte man sie dann attackieren? –, oder sie irrt, und in diesem Fall sollten sie die Gesellschaft in Ruhe lassen, da sie nicht in Gefahr ist.
Doch diese Taktiken können, wie unlogisch sie auch sein mögen, den politischen Wirtschaftswissenschaften dennoch schaden, insbesondere dann, wenn deren Anhänger dem verständlichen, aber unheilvollen Impuls nachgeben, sich untereinander und ihren Vorgängern gegenüber solidarisch zu zeigen. Die Wissenschaft ist eine Königin, deren Gangart offen und frei sein muss. Eine klüngelhafte Atmosphäre erstickt sie.
Wie ich bereits sagte, führt in der Volkswirtschaftslehre jede fehlerhafte Behauptung unweigerlich zu dem Schluss, dass es antagonistische Elemente innerhalb der Gesellschaftsordnung gibt. Auf der anderen Seite müssen die zahlreichen Schriften selbst der eminentesten Ökonomen unweigerlich einige falsche Aussagen enthalten. Im Interesse unserer Wissenschaft und Gesellschaft obliegt es uns, auf diese hinzuweisen und sie gegebenenfalls zu korrigieren. Damit fortzufahren, sie im Namen des Prestiges der gesamten Schule hartnäckig zu verteidigen, würde nicht nur uns selbst den Angriffen der Sozialisten aussetzen, was irrelevant wäre, sondern die Wahrheit selbst bloßstellen, was wesentlich schlimmer ist.
Ich sage also nochmals, dass die Schlussfolgerung der Ökonomen die Freiheit ist. Doch damit diese Idee die Geister und Herzen der Menschen für sich gewinnen kann, muss sie durch die Grundannahme untermauert werden, dass die Interessen der Menschen, wenn diese sich selbst überlassen werden, dazu tendieren, harmonische Gefüge zu bilden und im Einklang miteinander das Gemeinwohl fördern.
Nun haben jedoch manche Wirtschaftswissenschaftler, und unter diesen einige, denen beträchtliche Autorität zukommt, Behauptungen aufgestellt, die Schritt um Schritt logischerweise zur entgegengesetzten Schlussfolgerung führen, nämlich dass das absolut Böse existiert, Ungerechtigkeit unumgänglich ist, die Ungleichheit notwendigerweise zunehmen wird, dass Verarmung unabwendbar ist usw.
So gibt es beispielsweise meines Wissens nur wenige Ökonomen, welche natürlichen Ressourcen, den Geschenken, mit denen Gott sein Geschöpf, den Menschen, kostenlos überhäufte, keinen Wert zusprechen. Der Begriff ‚Wert‘ impliziert, dass wir Dinge, die ihn besitzen, nur gegen Bezahlung aufgeben. Darum sehen wir in Menschen, besonders in Landbesitzern, welche die Gaben Gottes für die Arbeit anderer verkaufen und so Leistungen erhalten, ohne im Gegenzug ihre eigene Arbeit beizusteuern – eine diesen Autoren zufolge offen ersichtliche, aber notwendige, Ungerechtigkeit.
Dann gibt es da die berühmte Theorie Ricardos. Sie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Der Preis der Subsistenzmittel richtet sich nach dem Aufwand, den der kargste Ackerboden zu deren Erzeugung erfordert. Bevölkerungswachstum zwingt uns jedoch dazu, auf immer unfruchtbarere Flächen zurückzugreifen. Die gesamte Menschheit (abzüglich der Landbesitzer) ist also gezwungen, eine ständig wachsende Menge an Arbeit für eine gleichbleibende Menge an Subsistenzmitteln zu leisten, oder, was dasselbe ist, eine ständig abnehmende Menge an Subsistenzmitteln für eine gleichbleibende Menge an Arbeit zu erhalten, während die Einnahmen von Landbesitzern jedes Mal steigen, wenn darangegangen wird minderwertigeres Land zu bewirtschaften. Die Schlussfolgerung? Wachsender Reichtum von Müßiggängern bei wachsendem Elend der Arbeiter – oder: fatale Ungleichheit.
Schließlich gibt es die sogar noch berühmtere Theorie Malthus‘. Die Bevölkerung tendiert zu jedem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte dazu, schneller als die Subsistenzmittel anzuwachsen. Nun können die Menschen aber nicht in Frieden und Glück zusammenleben, wenn sie nicht genug zu essen haben. Es gibt nur zwei Hemmnisse, die der allgegenwärtigen Bedrohung durch Überbevölkerung entgegenwirken: eine Reduzierung der Geburtenrate oder eine mit all ihren typischen Schrecken einhergehende Erhöhung der Sterberate. Moralische Selbstbeherrschung müsste, um effektiv zu sein, universell greifen, womit niemand rechnet. Es bleiben damit nur düstere Kontrollmittel wie Armut, Krieg, Krankheit, Hunger und Tod – gleichbedeutend mit unvermeidlichem Pauperismus.
Ich werde keine weiteren, weniger relevanten Systeme erwähnen, die ebenfalls in äußerst entmutigenden Sackgassen münden. Beispielsweise behaupten Herr de Tocqueville5 und viele ihm Gleiche, dass man eine formal enge Aristokratie erhält, wenn man das Ältestenrecht einräumt. Wenn man es aber nicht einräumt, führt dies unweigerlich zu Aufspaltung und sinkender Produktivität des Territoriums.
Das Bemerkenswerte ist, dass keine dieser vier melancholischen Theorien auf irgendeine Weise mit den übrigen in Konflikt gerät. Täten sie das, könnten wir Trost aus dem Umstand schöpfen, dass sie sich gegenseitig aufheben. Doch dies ist nicht der Fall. Sie stimmen überein und sind Teil einer einzigen allgemeinen Theorie, welche, durch zahl- und artenreiche Fakten gestützt, scheinbar den krampfartigen Zustand der modernen Gesellschaft erklärt. Da eine erkleckliche Anzahl eminenter Wissenschaftler dieser Theorie beipflichtet, stellt sie sich unserem entmutigten und verwirrten Geist mit erschreckender Bestimmtheit dar.
Es bleibt eine Herausforderung, zu verstehen, inwiefern die Vertreter dieser unheilvollen Theorie zugleich in der Lage waren, sich die Harmonie der menschlichen Interessen als ihre Grundannahme zu bewahren und von dieser zum Rückschluss der persönlichen Freiheit zu gelangen.
Denn sollte die Menschheit durch die Gesetze des Wertes unweigerlich der Ungerechtigkeit, durch die Gesetze von Einnahmen der Ungleichheit, durch die des Bevölkerungswachstums der Armut und durch jene der Vererbung der Sterilisation entgegengetrieben werden, können wir nicht behaupten, dass Gottes Gestaltung der sozialen Ordnung so harmonisch ist, wie seine Gestaltung des physischen Universums, und müssen stattdessen mit in Kummer gesenkten Köpfen eingestehen, dass er es angemessen fand, sie auf abstoßender und unauflöslicher Zwietracht zu gründen.
Junge Menschen, Ihr dürft nicht glauben, dass die Sozialisten die Theorie widerlegt und verworfen haben, die ich, um niemandem zu nahe zu treten, die Theorie der Zwietracht nennen werde. Nein – ihrer Einsprüche zum Trotz haben sie sie als wahr akzeptiert, und aus genau dem Grund, dass sie sie als wahr akzeptieren, schicken sie sich an, den Zwang an die Stelle der Freiheit, eine künstliche Gesellschaftsordnung an die Stelle der natürlichen und ihr Werk an die Stelle des göttlichen zu setzen. Ihren Widersachern (denen sie in dieser Hinsicht wohl an Logik voraus sind) entgegnen sie: Falls die Interessen der sich selbst überlassenen Menschen, wie Sie dargelegt haben, ein harmonisches Ganzes ergäben, begrüßten und feierten wir die Freiheit, wie Sie es tun. Doch Sie haben unwiderleglich bewiesen, dass diese Interessen, sofern sie sich frei entwickeln dürfen, die Menschheit in die Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Armut und Sterilität treiben. Wir reagieren also genau deswegen gegen Ihre Theorie, weil sie wahr ist. Wir ersehnen gerade deswegen die Zerstörung der gegenwärtigen Gesellschaft, weil sie den unentrinnbaren Gesetzen folgt, die Sie beschrieben haben. Wir wollen nun unsere Macht ausprobieren, da die Macht Gottes versagte.
Man ist sich also über die Prämissen einig. Nur im Hinblick auf die Konklusion herrscht Uneinigkeit.
Die Ökonomen, von denen ich sprach, meinen: Die Ewigen Gesetze der Vorsehung treiben die Gesellschaft dem Bösen entgegen; doch wir müssen uns davor hüten, in sie einzugreifen, da ihnen glücklicherweise durch andere, sekundäre Gesetze entgegengewirkt wird, welche die endgültige Katastrophe verzögern. Ein willkürlicher Eingriff unsererseits würde den Damm nur schwächen, ohne den Anstieg der Flut, die uns letztendlich verschlingen wird, zu stoppen.
Die Sozialisten meinen: Die Ewigen Gesetze der Vorsehung treiben die Gesellschaft dem Bösen entgegen; wir müssen diese Sozialisten loswerden und andere aus unserem unerschöpflichen Arsenal erwählen.
Die Katholiken sagen: Die Ewigen Gesetze der Vorsehung treiben die Gesellschaft dem Bösen entgegen; wir müssen uns ihnen entziehen, indem wir niederen menschlichen Gelüsten entsagen und Zuflucht in Selbstaufgabe, Opferbereitschaft, Askese und Systemflucht suchen.
Und inmitten dieses Tumults, den Schreien der Verzweiflung und Not, den Aufrufen zu Subversion oder resignierter Verzweiflung, erhebe ich meine Stimme, um die Menschen diese Worte hören zu lassen, die, wenn sie wahr sind, alle widersprechenden Münder zum Schweigen bringen müssen: Es ist nicht wahr, dass die Ewigen Gesetze der Vorsehung die Gesellschaft dem Bösen entgegentreiben.
Während die verschiedenen Schulen sich also über die Schlüsse, die sie aus ihrer Prämisse ableiten, uneinig sind, streite ich ihre Prämisse grundsätzlich ab. Ist dies nicht der beste Weg, Spaltung und Kampf beizulegen?
Die zentrale Idee dieses Werkes, die Harmonie der Interessen, ist einfach. Und ist nicht die Einfachheit der Prüfstein der Wahrheit? Die Gesetze, denen Licht, Schall und Bewegung folgen, erscheinen uns umso wahrhaftiger, je schlichter sie sind. Warum sollte dasselbe nicht für das Gesetz der menschlichen Interessen gelten?
Dieses Gesetz ist versöhnlich. Denn was könnte versöhnlicher sein, als auf die Bande hinzuweisen, welche Industrien, Klassen, Nationen und sogar Doktrinen miteinander verstricken?
Es ist tröstlich, da es die Fehler in jenen Systemen aufzeigt, die uns glauben machen wollen, dass das Böse sich verbreiten und zunehmen muss.
Es ist religiös, da es uns einsehen lässt, dass nicht nur die himmlischen, sondern auch die sozialen Mechanismen Gottes Weisheit offenbaren und seine Herrlichkeit verkünden.
Es ist praktisch, da sicherlich keine Maxime leichter in die Praxis umzusetzen ist als diese: Lasse die Menschen arbeiten, tauschen, lernen, sich zusammenschließen, handeln und aufeinander reagieren, da nach den Gesetzen der Vorsehung aus ihrer intelligenten Spontanität nur Ordnung, Harmonie, Fortschritt und Gutes, Besseres, sich immer weiter Verbesserndes und sich bis zum unendlichen Grade weiter Verbesserndes entspringen kann.
Nun das, werdet Ihr sagen, das ist der Optimismus der Ökonomen! Sie sind so vollständige Sklaven ihrer eigenen Systeme, dass sie ihre Augen aus Angst, sie zu sehen, vor den Fakten verschließen. Angesichts aller Armut, Ungerechtigkeit und Unterdrückung, welche die menschliche Rasse verheeren, leugnen sie ungestört die Existenz des Bösen ab. Der Geruch in Aufständen verbrannten Schießpulvers erreicht ihre indifferenten Sinne nicht; für sie sind Straßenbarrikaden geräuschlos, und sollte die Gesellschaft auch kollabieren, so werden sie fortwährend wiederholen: „Alles steht zum Besten in der besten aller möglichen Welten.“
Sicherlich nicht. Wir denken nicht, dass alles zum Besten steht.
Ich habe volles Vertrauen in die Ewigen Gesetze der Vorsehung und aus diesem Grund vertraue ich auf die Freiheit.
Die Frage ist, ob wir Freiheit haben.
Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist, ob diese Gesetze mit voller Kraft wirken, oder ob ihre Wirkung nicht tiefgreifend durch die entgegengesetzte Wirkung von Institutionen menschlicher Herkunft gestört wird.
Das Böse abstreiten! Leid abstreiten! Wer könnte das? Man müsste vergessen, dass wir von Menschen sprechen. Man müsste vergessen, selbst Mensch zu sein. Die Ewigen Gesetze der Vorsehung müssen das Böse nicht ausschließen, um als harmonisch gelten zu können. Es reicht aus, wenn das Böse seine Erklärung und Zweck hat, dass es selbstbegrenzend ist und dass alles Leid ein Mittel darstellt, noch größeres Leid zu verhindern, indem es seinen eigenen Ursprung ausmerzt.
Das tragende Element der Gesellschaft ist der Mensch und damit eine freie Kraft. Da der Mensch frei ist, kann er wählen; da er wählen kann, kann er irren; da er irren kann, kann er leiden.
Ich gehe noch weiter: Er muss irren und er muss leiden, denn sein Ausgangspunkt ist Unwissenheit und in seiner Unwissenheit sieht er eine unendliche Anzahl an Straßen vor sich, von denen alle außer einer zu einem Fehler führen.
Nun, jeder Fehltritt führt zu Leid. Und dieses Leid sucht entweder denjenigen heim, der selbst irrte und dieser realisiert so die Eigenverantwortung, oder es sucht unschuldige Dritte heim und aktiviert auf diese Weise die wundervollen Mechanismen der Solidarität.
Die Entfaltung dieser Ewigen Gesetze muss uns in Kombination mit der uns geschenkten Fähigkeit, eine Verbindung zwischen Ursache und Wirkung zu erkennen, angesichts des bloßen Umstandes des Leides wieder auf den Pfad des Guten und der Wahrheit zurückführen.
Deshalb streiten wir nicht nur nicht ab, dass das Böse existiert – wir gestehen ihm einen Sinn und Zweck in der Gesellschaftsordnung wie auch im physischen Universum zu.
Doch wenn das Böse seinen Nutzen haben soll, dürfen die Mechanismen der Solidarität nicht künstlich ausgeweitet werden und auf diese Weise die Verantwortung ausschalten. Mit anderen Worten: Die Freiheit des Individuums muss respektiert werden. Wenn nun aber menschengemachte Institutionen die göttlichen Gesetze aufheben, folgt Böses noch immer auf begangene Fehler, es sucht nun aber die falsche Person heim. Es trifft jenen, den es eigentlich nicht treffen sollte; es fungiert nicht mehr als Warnung oder Denkzettel; es ist nicht länger selbstbegrenzend, wird nicht mehr unmittelbar durch sein eigenes Wirken zerstört. Es verbleibt, wächst sich aus, so wie es in der physischen Ordnung passieren würde, wenn die unbedachten Handlungen und Exzesse der Einwohner der einen Hemisphäre ihren Tribut nur unter den Einwohnern der anderen Hemisphäre forderten.
Genau das ist jedoch die Tendenz nicht nur der meisten unserer staatlichen Institutionen, sondern auch und zu einem noch größeren Ausmaß die jener Institutionen, die als Heilmittel gegen die Übel, die uns befallen, konzipiert wurden. Unter dem philanthropischen Vorwand, eine gekünstelte Solidarität unter den Menschen zu schaffen, wird das Verantwortungsbewusstsein immer stumpfer und wirkungsloser. Durch missbräuchliche Eingriffe der öffentlichen Gewalt wird das Verhältnis von Arbeit und Lohn manipuliert, werden die Gesetze von Industrie und Handel gestört, die natürliche Entwicklung der Bildung verzerrt, Kapital und Arbeitskräfte umgeleitet, Ideen verfälscht, absurde Ansprüche provoziert, wilde Hoffnungen vorgegaukelt, unerhörte Mengen menschlicher Energie verschwendet, Ballungsräume umgesiedelt, die Erfahrung selbst impotent gemacht – kurz gesagt werden allen Interessen künstliche Fundamente unterlegt. Man lässt sie kollidieren und ruft dann aus: Seht, die Interessen sind antagonistisch. Es ist die Freiheit, die diese Übel verursacht. Lasst uns die persönliche Freiheit verfluchen und einschränken.
Und da dieses heilige Wort – FREIHEIT – noch immer die Macht hat, die Herzen der Menschen zu rühren, versuchen ihre Feinde sie ihres Namens und Ansehens zu entkleiden. Unter dem Namen Wettbewerb