Gruppen- und Teamcoaching - Christine Thornton - E-Book

Gruppen- und Teamcoaching E-Book

Christine Thornton

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Beschreibung

Komplexe gruppendynamische Prozesse so einfach und nachvollziehbar darzustellen, dass sich konkrete Handlungsmöglichkeiten ableiten lassen: Dieses Ziel verfolgt Christine Thornton mit ihrem Buch. Coachs finden hier Anregungen für die praktische Arbeit mit Gruppen und Teams. Wesentlich ist dabei, welche Ziele eine Gruppe verfolgt, in welchem Umfeld sie agiert und wie die Mitgliederstruktur beschaffen ist. Je eingehender ein Coach sich mit diesen Faktoren beschäftigt, desto besser kann er seine Interventionen gestalten. Doch auch Führungskräften liefert das Buch Denkanstöße für Veränderungen in Unternehmen. Einer Untersuchung zufolge sind überhaupt nur 30 Prozent aller Veränderungsprozesse erfolgreich. Warum das nicht so bleiben muss und welche Maßnahmen wirklich Erfolg bringen, wird ebenfalls beleuchtet.

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Seitenzahl: 359

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Christine ThorntonGruppen- und Teamcoaching

Reihe Coaching Skills kompakt Band 5

Über dieses Buch

Komplexe gruppendynamische Prozesse so einfach und nachvollziehbar darzustellen, dass sich konkrete Handlungsmöglichkeiten ableiten lassen: Dieses Ziel verfolgt Christine Thornton mit ihrem Buch. Coachs finden hier Anregungen für die praktische Arbeit mit Gruppen und Teams. Wesentlich ist dabei, welche Ziele eine Gruppe verfolgt, in welchem Umfeld sie agiert und wie die Mitgliederstruktur beschaffen ist. Je eingehender ein Coach sich mit diesen Faktoren beschäftigt, desto besser kann er seine Interventionen gestalten. 

Doch auch Führungskräften liefert das Buch Denkanstöße für Veränderungen in Unternehmen. Einer Untersuchung zufolge sind überhaupt nur 30 Prozent aller Veränderungsprozesse erfolgreich. Warum das nicht so bleiben muss und welche Maßnahmen wirklich Erfolg bringen, wird ebenfalls beleuchtet.

Christine Thornton ist nach einem Studium der Psychologie seit mehr als 25 Jahren als Beraterin und Coach tätig. Sie hilft Teams und Unternehmen, Veränderungsprozesse in einer immer komplexer werdenden Welt konstruktiv zu gestalten.

Copyright: © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2016

Copyright: © der Originalausgabe: 2010 Christine Thornton

All rights reserved

Authorized translation from the English language edition Group and Team Coaching, published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group

Übersetzung: Claudia Campisi

Coverbild: © breamchub – Fotolia

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2016

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-423-9

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-468-0 (EPUB), 978-3-95571-470-3 (PDF), 978-3-95571-469-7 (MOBI).

Für John, der alles möglich macht.

Geleitwort

Dieses Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem Coaching, eine der anerkanntesten Methoden zur Förderung von Menschen und ihrer beruflichen Leistung, sich zu einem Berufsfeld entwickelt hat. Während es früher mehr um die Lernprozesse und die Entwicklung einzelner Führungskräfte ging, wird Coaching heutzutage auch zur Durchführung von Veränderungs- und Umgestaltungsprozessen in Organisationen eingesetzt.

Dieser Wandel beruht im Wesentlichen darauf, dass man inzwischen viel besser versteht, was Coaching vermag, und dass diejenigen, die in Unternehmen Lernprozesse anstoßen, offener für neue Perspektiven sind, wie man aus den gegenwärtigen und zukünftigen Fähigkeiten der Mitarbeiter den höchstmöglichen Ertrag ziehen kann. Wir müssen über die herkömmlichen Coaching- und Lernmethoden hinaus (d. h. 1:1-Entwicklung, „inhaltlich orientiertes“ Training) auch das Wissen von Gruppen anzapfen. Dieses kann sehr fruchtbar sein, doch stehen wir erst am Anfang. Das vorliegende Buch soll auf vielschichtige Weise dazu beitragen.

Die Zeit ist reif für Gruppen- und Teamcoaching. Es ist das erste Buch, das diesen wachsenden und wichtigen Coachingbereich im Detail behandelt. Auf jeder einzelnen Seite lässt Christine Thornton ihre Erfahrung als Coach und ihre guten Kenntnisse der Gruppenanalyse und der Systemtheorie durchscheinen, wobei sie eine schöne Balance zwischen Theorie – dem Grundstein sozusagen – und Praxis in Form von tauglichen Beispielen aus 25 Berufsjahren herstellt.

Der Berufszweig Coaching braucht ein Buch über die Entstehungsgeschichte des Gruppen- und Teamcoachings (das sich wie viele andere Formen des Coachings auch aus verschiedensten Quellen speist) und um „Flagge zu zeigen“. Das Buch ist voller Ideen: Lassen Sie sich davon inspirieren. Setzen Sie sie in die Praxis um, damit dieser so wichtige Coachingbereich Fortschritte macht, von denen Coachs, Gruppen und Organisationen profitieren.

In einem größeren Zusammenhang dient Gruppen- oder Teamcoaching als Katalysator für gemeinschaftliches Lernen und kollektives Wissen und kann, in den Worten der Autorin, „Gefühle des Zusammenhalts und der gemeinsamen Zielsetzung nähren“. „Wenn Menschen sich einer größeren, lohnenden Unternehmung zugehörig fühlen, strengen sie sich mehr an und bleiben länger, weil sie mit sich und ihrer Position in dem Unternehmen und in der Welt zufrieden sind.“

Mit dieser Haltung am Arbeitsplatz – und auch im Privatleben – werden sich zweifellos neue Energiequellen für stärkere Persönlichkeiten und Leistungen auftun. Nur so lassen sich Hindernisse auf dem Weg zur Veränderung abbauen. Auf diese Weise findet man Antworten in besonders schwierigen Zeiten; es eröffnen sich neue Möglichkeiten und Richtungen, die nicht nur Veränderungen in den Organisationen bewirken, sondern – was wir nur hoffen können – auch in der Gesellschaft.

Katherine Tulpa

Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Association for Coaching

Vorwort: Was dieses Buch bewirken soll

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil es mir ein Wunsch war, meine gruppenanalytischen Einblicke in das „geheime Leben der Gruppe“, die meine Arbeit mit Teams und Gruppen in den letzten 20 Jahren bereichert haben, mit anderen Gruppen- und Teamcoachs zu teilen.

In den Kapiteln 2, 3 und 4 – sozusagen dem „Pflichtteil“ des Buchs – werde ich das Geheimnis der elementaren gruppendynamischen Prozesse lüften und meine Theorien dazu gründlich erläutern. Diese werden in den folgenden Kapiteln auf den Gruppencoachingalltag übertragen. Die „Kurzanleitungen“ sind hauptsächlich für die Gruppenarbeit in Organisationen und Unternehmen gedacht, können aber auch von anderen Coachinggruppen angewandt werden.

Meines Wissens nach ist dies das erste Coachingbuch, das sowohl Gruppen als auch Teams behandelt. Zwar gibt es schon eine ganze Menge Literatur über Teams – doch nur wenig aus der Coachingperspektive und gar nichts im Zusammenhang mit Gruppencoaching. Wie beim Coaching habe ich auch beim Schreiben dieses Buches grundsätzlich einen pluralistischen Ansatz verfolgt und mich verschiedener, sogar augenscheinlich widersprüchlicher Traditionen bedient.

Paradox ist auch das Anliegen dieses Buches: komplexe Ideen über Gruppendynamik so klar und einfach zu erklären, dass Coachs und Ausübende verwandter Berufe damit arbeiten können. Es …

geht der Frage nach: „Was ist Gruppencoaching?“erklärt die Grundlagen der Gruppendynamik und der zwischenmenschlichen Prozesse, auf denen Gruppencoaching aufbaut.ist ein praktischer Leitfaden zum Thema „Wie führt man Gruppencoaching in Organisationen durch?“

In Publikationen wie dieser suchen Coachs in der Regel nach neuen Erkenntnissen, anschaulichen Informationen und praktischen Ratschlägen, um sie dann auszuprobieren. Unter Anwendung der hier beschriebenen Prinzipien müssen wir Ziel, Kontext und Zusammensetzung der jeweiligen Gruppe möglichst genau abklären, damit wir die richtige Methode für jede Gruppe finden und das Coaching in Bezug auf Tiefe und Offenheit jeweils gut abstimmen können.

Leserinnen und Leser aus der Geschäftswelt werden das Buch wahrscheinlich etwas anders verwenden. Zur Erzeugung eines positiven Wandels nutzen Organisationen oft eine große Bandbreite an Gruppeninterventionen, ohne sich immer ganz im Klaren darüber zu sein, welche Ansätze in welchen Situationen von Vorteil sind. Wie eine Studie aus dem Jahr 1996 belegt und wie von vielen weiteren Studien in den Folgejahren1 bestätigt wird, haben nur 30 % aller Organisationsentwicklungsprogramme Erfolg. Das vorliegende Buch erklärt, woran das liegen könnte, und bietet Unternehmen, die vor der Wahl zwischen verschiedenen, miteinander konkurrierenden Coachingansätzen stehen, eine Orientierungshilfe.

Das Buch in aller Kürze

Das Buch ist in sechs Abschnitte unterteilt. Der erste beschäftigt sich mit der Frage: „Was ist Gruppencoaching?“ und mit den Unterschieden zwischen Gruppen und Teams. Teil II schlägt eine Brücke zwischen Gruppen- und Teamcoaching und der Gruppentheorie, die selbst erfahrenen Coachs oft relativ unbekannt ist. Teil III führt in die Systemtheorie ein, die erklärt, was eine Organisation als Ganzes ist. In Teil IV finden Sie Ratschläge zu drei Hauptbereichen des Gruppencoachings: Teams, Lerngruppen und Supervisionsgruppen. Teil V stellt spezifische Themen und Probleme in der Gruppenarbeit vor. Außerdem werden praktische Strategien im Umgang damit angeboten, sodass das Coaching gleich von Anfang an gut auf den Weg gebracht werden kann.

Abschließend möchte ich sagen, dass sich das Buch in der Erfahrung bewähren muss, damit die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis einfließen können. Bitte lesen Sie alles immer im Hinblick auf Ihre eigenen Erfahrungen mit Gruppen!

Christine Thornton

März 2010

Danksagung

Mein tief empfundener Dank gilt meinen Forschungspartnerinnen Amanda Bowens, Claudia Demuth, Hilary Fellows, Heather Williams und Tina Waterman-Roberts, deren großzügiger Input zu einer der Grundfesten dieses Buches wurde.

Die Entwicklung des Buchs wurde von einer ganzen Gruppe gefördert, allen voran von den beiden Herausgeberinnen und dem Herausgeber der Reihe: Averil Leimon, Gladeana MacMahon und Stephen Palmer sowie von Linda Aspey, Nick Barwick, Linda Bennett, Martin Bhurruth, Dick Blackwell, Sally Britton, Halina Brunning, Kate Buller, Alison Dale, William Erb, Irene MacWilliam, Morris Nitsun, Cynthia Rogers, Fiona Scrase, Meg Sharpe, Gill Smith und Katherine Tulpa. Sie alle haben mit unzähligen Kommentaren und Vorschlägen zur Verbesserung Ihrer Lektüre beigetragen. Sollten sich dennoch Fehler anfinden, tragen nicht die Genannten die Verantwortung, sondern ich selbst. Vielen Dank auch meinen hilfsbereiten Lektorinnen Joanna Forshaw und Dawn Harris sowie Judith Frank für ihre Hilfe bei der Erstellung des Registers.

Meinen Klienten, Kollegen und Supervisanden bin ich dankbar für unsere gemeinsame Arbeit, die sich in den Fallbeispielen und Ideen dieses Buchs widerspiegelt.

Mein Dank gilt auch Jacki Nicholas für die Mithilfe beim Thema Telefoncoaching in der Gruppe sowie Christina Bachini, Kate Greenwood, Adrian Goodall, Mandy Gutsell, Andie Heming, Michelle McCue, Polly McDonald, Jonathan Wilson und allen anderen Mitgliedern der AC (Association for Coaching), die ihre Ideen und Informationen so großzügig mit mir geteilt haben, egal ob ich sie in der endgültigen Fassung des Buches einbringen konnte oder nicht.

TEIL I

1. Einführung: Was ist Gruppencoaching?

Überblick

In diesem Kapitel erfahren Sie, was Gruppencoaching ist, wo es angewendet wird, was Sie in diesem Buch erwartet und wozu es Ihnen nützt.

1.1 Gruppen

Gruppen sind allgegenwärtig. Wir leben in Kleingruppen, sind Teil einer Familie, eines Freundeskreises, eines Arbeitsteams. Ihr Einfluss auf unsere Lebensqualität ist immens.

Gruppen haben Macht. In ihnen steckt viel positives Potenzial, doch fürchtet man sich (zu Recht) vor „schlechten“ Gruppenerfahrungen (siehe Kapitel 3 und 4). Um effektiv mit Gruppen zu arbeiten, müssen wir diese Veränderungsmacht der Gruppe kanalisieren und gleichzeitig destruktive Elemente auf ein Minimum reduzieren. Im günstigsten Fall bietet die Gruppe eine Chance auf tiefe zwischenmenschliche Begegnungen, die sich förderlich auf die Zusammenarbeit, die Kreativität und die Anpassungsfähigkeit auswirken.

Gruppen sind wichtig. In der Gruppe zu sein und darin kooperieren zu lernen ist nicht nur Voraussetzung für berufliches Gelingen, sondern für sämtliche Erfolge der Gattung Mensch. Selbst ein Genie baut auf den Entdeckungen derer auf, die ihm vorausgegangen sind – oder, um mit Newton zu sprechen: auf den Schultern von Riesen. Besonders begabt sind wir Menschen aber zur Anpassung; und wir passen uns an, indem wir voneinander lernen, das heißt also: „Die Beziehung kommt vor dem Individuum“.2 Erst durch die Interaktion mit anderen entwickelt das Individuum sein Selbstbewusstsein. Alles, was wir lernen, geschieht vom allerersten Atemzug an im Kontext der Beziehung. Mehr darüber erfahren Sie im zweiten Kapitel.

1.2 Gruppencoaching in Organisationen

Jede Organisation ist eine Gruppe, die bisweilen sogar recht groß sein kann und sich durch Aufteilung in kleinere Gruppen strukturieren lässt. Eine gut funktionierende Coachinggruppe potenziert die Lernerfahrungen, da man nicht nur etwas über die eigenen Probleme erfahren, sondern auch aus denen der anderen lernen kann. Auf diese Weise gewinnt man mit der Zeit immer mehr an Flexibilität und kann seine Kompetenz in zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern. Gruppen bringen also handfeste Geschäftsvorteile, beeinflussen aber auch die keinesfalls weniger wichtigen, für langfristig gesunde und erfolgreiche Unternehmen grundlegenden immateriellen Werte.

Einfacher formuliert: Menschen, die sich einer größeren, lohnenswerten Unternehmung zugehörig fühlen, strengen sich mehr an und bleiben länger, weil sie mit sich selbst und ihrer Position im Betrieb oder überhaupt im Leben zufrieden sind. Unternehmenscoaching baut Brücken, weil es Einzelnen hilft, den Kontext ihrer Organisation zu verstehen und effektiv in ihr zu arbeiten. In einer gut geleiteten Gruppe bekommt man das Gefühl, dass alle miteinander verbunden sind und am selben Strang ziehen. Eine bessere Interventionsart gibt es nicht!

Gruppen sind ausschlaggebend für die Entwicklung effektiver Führungs- und Teamqualitäten. Das erkannte auch Daniel Goleman, der – von neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Neurowissenschaften angeregt – seine Theorie der emotionalen Intelligenz auf die der sozialen Intelligenz ausweitete, der zufolge die zur Inspiration anderer notwendige zwischenmenschliche Kompetenz auf Beziehungen basiert.3 Dass man diese Kompetenz am besten in der Gruppe erwirbt, liegt auf der Hand.

Wie erfolgreiche Unternehmen wissen, kommt es während einer Wirtschaftskrise auf langfristige Planung an und darauf, dass die Belegschaft motiviert bleibt und beim Lösen von betrieblichen Problemen mit einbezogen wird. Bestimmt haben Sie schon einmal den Begriff „Gruppendenken“ gehört: Aufgrund von selektiver Wahrnehmung blenden Mitglieder einer Gruppe ausgerechnet die Informationen systematisch aus, die in schwierigen Zeiten für besser fundierte Entscheidungen notwendig sind (siehe Kapitel 5.9, „Entscheidungsfindung in der Gruppe“). Eine gut geführte Gruppe kann sich den Herausforderungen hingegen stellen, zeigt Entschlossenheit und bringt kreative und realistische Problemlösungen hervor. Sie hilft Einzelnen bei der Bewältigung von Stress und anderen reflexhaften Reaktionen auf Bedrohungen oder Veränderungen, damit sie wieder produktiv arbeiten können. In wirtschaftlich turbulenten Zeiten bestimmt die Art der Entscheidungsfindung, ob das Unternehmen schwimmt oder sinkt.

Gruppencoaching gibt es für Teams und Lerngruppen (d. h. Einzelne, die zum Zweck des Lernens eine Gruppe bilden). Eine weltweite Untersuchung von Gruppencoaching aus dem Jahr 20084 ergab, dass rund 60 % der Coachings mit bereits bestehenden Teams und rund 40 % mit zu diesem Anlass neu zusammengestellten Gruppen durchgeführt worden waren.5 Demnach haben Gruppencoachs immer entweder mit der einen oder mit der anderen Art zu tun. Das ist zwar eine grobe Vereinfachung, in der Praxis jedoch ganz hilfreich. Der Unterschied zwischen Teams und Lerngruppen wird im Abschnitt 1.7 „Wann ist eine Gruppe ein Team?“ erläutert.

1.3 Die Grundprinzipien einer Gruppe

Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig man – bewusst – über die Dynamik und die Prinzipien des Gruppenlebens weiß. Vielleicht hält sich dieses Nichtwissen nur, weil es durch ein allen Menschen gemeinsames unbewusstes „Wissen“ ausgeglichen wird, das bei jeder Art von Zusammenkunft beobachtbar ist: ein allgemeines, intuitives Verständnis, das man in der Gruppe lernt.

Dies ist ein Vorteil, den man sich im Businesscoaching zunutze machen kann, gesetzt den Fall, man versteht die Gruppenprozesse, die Veränderungen unterstützen oder behindern und Lernen fördern oder hemmen, und setzt sich nicht nur mit dem Bewussten, sondern auch mit dem Unbewussten auseinander. Denn nur wenn wir auch besser verstehen, welche rational nicht fassbaren Hindernisse sich unseren sorgfältig erdachten Plänen querstellen, können wir sie auch besser überwinden; wenn wir verstehen, wie Gruppenprozesse Menschen um ein gemeinsames Ziel versammeln, werden Mitarbeiter sich entfalten und mit Erfindungsreichtum in ihrer Arbeit glänzen.

Doch wie lassen sich diese für alle Gruppen grundlegenden Prinzipien, die Menschen dazu ermutigen, Kontakt zueinander aufzunehmen und voneinander zu lernen, im Businesscoaching anwenden? Diese Frage wird in den folgenden Kapiteln anschaulich beantwortet.

Einzelne Gruppen können sich erheblich voneinander unterscheiden; Faktoren wie der Organisationskontext, die Größe, die Dauer, die physische Nähe und die individuellen Fähigkeiten behindern und / oder fördern die Lernkapazität der Gruppe. Erfahrene Coachs wissen um die Kunst der realistischen Einschätzung, sie überblicken die Sachlage und die Menschen – sich selbst nicht ausgenommen – und versuchen gleichzeitig ein Gespür dafür zu bekommen, wie es um das Veränderungspotenzial der Gruppensituation bestellt ist.

1.4 Die Vorteile von Gruppencoaching

Gruppen sind für Organisationen hochgradig zeit- und kosteneffizient. Sie können aber auch hochgradig ineffizient sein, beispielsweise wenn das „Gruppendenken“ sie fest im Griff hat (siehe Kapitel 5). Gruppencoachs arbeiten nicht nur mit mehreren Menschen gleichzeitig, sondern helfen ihnen auch, sich gegenseitig zu unterstützen und daraus Kraft zu schöpfen. Gerade in einem anstrengenden Unternehmensumfeld kann das Zusammenkommen zur Reflexion dringlicher Probleme neue Ideen hervorbringen, die dann getestet und so lange ausgefeilt werden, bis sie brauchbar sind und der Praxis standhalten. Das geschieht natürlich immer unter der Voraussetzung, dass der Gruppencoach das Team zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den eigentlichen Schwierigkeiten anregt. Das Bedürfnis, die Kunst der Gruppendiskussion zu erlernen, war noch nie so stark wie heute.

Je größer die Anzahl der Gruppenmitglieder, desto größer auch die Anzahl der Lernmöglichkeiten,6 da jede Person andere Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringt. Aber der Gruppenkontext bietet noch weitere lernfördernde Faktoren:

Vorbilder

Vervielfältigung und Verstärkung der Lernprozesse

positiver Konformitätsdruck

die Unvermeidlichkeit der Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten der Situation samt ihren Widrigkeiten

das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit etwas, das größer ist als man selbst

die direkte Korrektur und die natürliche Herausforderung durch Kollegen

die verstärkte Identifikation mit der Firma, ihren Zielen und Werten

mehr Flexibilität durch den direkten und wiederholten Kontakt mit den unterschiedlichen Ansichten und Herangehensweisen anderer

bessere Toleranz von Unsicherheit und Chaos durch die Erfahrung unberechenbarer Prozesse in einer Gruppe

Gruppencoaching bietet also die gleichen Vorteile wie Peer-Coachings und das Lernen durch kollegialen Austausch,7 fördert darüber hinausgehend aber auch die Zusammenarbeit im Team und führt zu einem besseren Verständnis des Arbeitsstils der anderen, deren Stärken und Schwächen. Man kann ja eigentlich in jeder Gruppe persönlich etwas lernen, weil man sich im Stillen mit anderen vergleicht und so die eigenen Stärken und Schwächen besser kennenlernt. Dieser Effekt ist in einer Coachinggruppe um ein Vielfaches stärker, da hier das individuelle Lernen ausdrücklich Ziel ist, die Teilnehmer offen über ihre Gedanken sprechen und diese an der Wahrnehmung der anderen austesten.

Nachteilig ist Gruppencoaching dann, wenn die Gruppe zu groß ist, die Einzelnen nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, sich unterschiedlich stark an der Diskussion beteiligen (d. h. wenn manche zu dominant, andere zu still sind) und wenn der Austausch durch eine kultur- und situationsbedingte Vermeidung des Gesichtsverlusts gehemmt wird. In einer in Bezug auf Größe, Zusammensetzung, Methodik und Didaktik sorgfältig konzipierten Gruppe können die meisten dieser Nachteile jedoch durchaus angesprochen werden.8

Damit eine Gruppe auch wirklich eine Coachinggruppe ist (und nicht etwa ein Lehrgang oder eine Vorlesung), muss sie so klein sein, dass den persönlichen Lernbedürfnissen Genüge getan wird. Nicht dass man in einer größeren Gruppe nicht lernen könnte. Nur handelt es sich beim Coaching prinzipiell um einen individuellen Lernprozess, ob nun im Einzel- oder Gruppenkontext. Sogar beim Teamcoaching, wo es ja ein gemeinsames Lernziel gibt, kommt es ganz darauf an, dass jedes einzelne Mitglied etwas lernt und sein Verhalten ändert.

1.5 Normen und Standards für Gruppencoaching

Bis zu dem Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, gibt es keine klaren Abgrenzungskriterien für Gruppencoaching. Beispielsweise differenzieren viele Coachs nicht genau zwischen Teams und anderen Gruppen. Daher möchte ich mit meinem Buch eine Definition sowie Anwendungsrichtlinien für Gruppencoaching vorschlagen und so hoffentlich eine breitere Diskussion im gesamten Berufsfeld anstoßen. Kurt Lewin, einer unserer „Gründungsväter“, sagte einmal, dass vor allem auf dem Gebiet der Gruppendynamik Theorie und Praxis aufs Engste miteinander verbunden seien:9 Als Praktizierende sollten wir diese theoretischen Fragen gemeinsam angehen.

Coaching ist ein weites, pluralistisch orientiertes Feld, das gleichzeitig aber bestimmten Regeln folgt. Klare und präzise Bedingungen und Maßstäbe, die gegenseitiges Coachen in der Gruppe ermöglichen, sind hilfreich – Vorschriften hinsichtlich der konkreten Aktivitäten jedoch nicht. Die Frage nach den Normen ist wichtig, da gerade beim Gruppencoaching das Risiko der Verwässerung durch unangemessene Bezeichnungen noch größer ist als bei Einzelcoaching. So dürfte man weder Gespräche im Gruppentraining noch telefonische Unterrichtsstunden mit 25 Unbekannten als Gruppencoaching bezeichnen. Zwar wird bei beiden gelernt, die persönliche Entfaltung kommt jedoch zu kurz.

Da in einer Coachinggruppe dem Lernbedürfnis der Einzelnen viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, dürfen nicht zu viele daran teilnehmen. Des Weiteren muss die Gruppe innerhalb eines bestimmten Zeitraums zusammenkommen, damit ein didaktischer Aufbau möglich ist und das Gelernte sich setzen und perfektioniert werden kann. Es kommt also auf Dauerhaftigkeit an, auf die Größe sowie auf die Art der Beziehungen. Genau hierin besteht der einmalige Vorteil des Gruppencoachings: eine Gruppe, die klein genug ist, damit alle Teilnehmer in der Interaktionaktiv lernen können.

Um den Standard des Berufsfelds generell auf das höchstmögliche Niveau zu heben, müssen die mit Gruppencoaching erreichbaren Ziele bekannt sein. Welche Ergebnisse in Coachingteams und Lerngruppen möglich sind, erfahren Sie in den Kapiteln 6, 7 und 8. Die vorgestellten Prinzipien lassen sich mit sorgfältiger Überlegung auf jeden Gruppencoachingkontext übertragen. Unabhängig von ihrem Ansatz sollten jedoch alle Gruppencoachs mit dem Thema Gruppendynamik bestens vertraut sein. Und tatsächlich sind es eher die erfahrenen Coachs, die mit Gruppen arbeiten.10

Es wird also dafür plädiert, dass Gruppencoaching in Bezug auf Arbeitsstile und Prozesse offen definiert wird, in Bezug auf Praxisstandards wie etwa Teilnehmerzahl und Dauer jedoch engere Definitionen gelten.

1.6 Was ist Gruppencoaching?

Eine Coachinggruppe ist:

eine kleine Gruppe von Menschen, die zum Zweck des Lernens und zur Entwicklung neuer Fähigkeiten mehrmals zusammenkommen. Gelernt wird im Austausch und in der Interaktion mit den anderen.

Es handelt sich beim Gruppencoaching also nicht um eine bestimmte Methode, sondern um die Anwendung gruppendynamischer Prinzipien bei verschiedenen Methoden zur Steigerung der Effektivität und Reichweite der Ergebnisse. Entscheidend ist dabei die Interaktion zwischen den Teilnehmenden.

Gruppencoaching findet in Kleingruppen statt, Teamcoaching (wo die Gruppe gemeinsame Lernziele hat) mit bis zu zehn und Lerngruppencoaching (wo alle individuelle Ziele verfolgen) mit noch weniger Personen. Action-Learning-Sets bestehen in der Regel sogar nur aus sechs Mitgliedern. (Siehe Kapitel 7.1, „Lerngruppen coacht man anders als Teams“). Bei mehr als zehn Teilnehmenden kann nicht genug auf die Lernbedürfnisse Einzelner eingegangen werden.11

An einer Face-to-Face-Gruppe sollten erfahrungsgemäß etwa fünf oder sechs Personen teilnehmen. Dadurch ist sie einerseits groß genug für eine gute Bandbreite an Erfahrungen und Sichtweisen und eine flexible Beteiligungsintensität, andererseits auch wieder klein genug, damit sich alle Mitglieder motiviert beteiligen. Bei Telefoncoaching, das eine höhere Konzentration auf die auditive Wahrnehmung erfordert, sollte die Gruppe sogar noch kleiner sein.

Ist die Gruppe zu klein, ist sie nicht vielfältig genug und setzt Coachs unter Druck, eine Doppelrolle zu spielen und zusätzlich auch als Gruppenmitglied zu fungieren. Ist die Gruppe dagegen zu groß, können nicht alle aktiv teilnehmen und bekommen nicht gleich viel Aufmerksamkeit. Falls ein schon bestehendes Team größer ist, empfiehlt es sich, es zum Coaching zu unterteilen und Teamaktivitäten wieder im Plenum durchzuführen.

Je größer die Gruppe, desto passiver der Lernstil – wie bei einer Vorlesung, wo man Informationen bekommt, Meinungen erfährt und im Stillen darüber nachdenkt. In Kapitel 5 werden einige kreative Methoden für die Arbeit mit größeren Gruppen vorgestellt.

In größeren Gruppen schaltet man innerlich eher ab, weshalb Trainingsgruppen bei aktiven Aufgaben regelmäßig in kleinere Einheiten aufgeteilt werden. Abschalten passiert auch eher bei Telefongruppen, wo es keine visuellen Kommunikationssignale gibt, und in E-Gruppen, wo es – im Gegensatz zum Hörsaal – nicht unbedingt bemerkt wird, wenn man sich (virtuell) dünn macht.

Ein Coaching besteht nicht nur aus einem einzigen Termin. Egal, ob man sich einzeln oder in der Gruppe coachen lässt – man muss sich für einen gewissen Zeitraum auf die Beziehung einlassen. Der Lernprozess braucht seine Zeit. Mehrere Sitzungen sind notwendig, damit durch wiederholte Reflexion auf dem Vorherigen aufgebaut werden kann und Fortschritte sich festigen. Gruppencoaching unterscheidet sich von Einzelcoaching insofern, dass es sich um eine Mehrfachbeziehung handelt. Jedes Mitglied hat eine Beziehung zum Coach, zu den anderen Mitgliedern und zur Gruppe als Ganzes, was zusätzliche Lern- und Wahlmöglichkeiten bedeutet.

Gruppencoaching

zeichnet sich durch die aktive Interaktion zwischen den Coachees ausfunktioniert nur in Kleingruppen (3-10 Personen)findet über einen bestimmten Zeitraum statthat einen Lernschwerpunkt, den nicht die Coachs bestimmen, sondern die Teilnehmenden selbsterfordert wenigstens teilweise persönliche Anwesenheitverfolgt individuelle Ziele (bei Lerngruppen) bzw. gemeinsame Ziele (bei Teams)

Da im Coaching die Teilnehmenden bei der Festlegung des Lernziels immer mit einbezogen werden, ist ein Trainingskurs, wo die Ziele ja von vornherein festgelegt sind, keine Coachinggruppe. Trotzdem sind viele Gruppenprinzipien die gleichen, etwa die, dass man gut beginnen und enden sowie die Übertragung des Gelernten auf den Alltag anregen sollte (vgl. Kapitel 11). Ein mehrere Termine umfassendes Trainings- oder Bildungsprogramm beispielsweise für angehende Führungskräfte kann auch einige Gruppencoachingsitzungen beinhalten, um so die Lernerfahrung zu maximieren.

Der fünfte Punkt in der Aufzählung, die persönliche Anwesenheit, ist vielleicht der umstrittenste. Mehr über Telefon- und Ferncoaching erfahren Sie in Kapitel 6.16 („Coaching von virtuellen Teams“) und Kapitel 7.4 („Telefoncoaching in der Gruppe“).

1.7 Wann ist eine Gruppe ein Team?

Etwas mehr als die Hälfte aller Gruppencoachings finden mit intakten, d. h. aufeinander eingespielten Teams statt. Man sollte sich aber unbedingt fragen: Handelt es sich wirklich um ein Team oder um eine Lerngruppe?

Alle Teams sind Gruppen,12 doch nicht alle Gruppen sind Teams. Der Zweck bzw. die Aufgabe eines Teams ist eindeutig und für alle Mitglieder gleich. Ein Team ist Teil eines breiteren Organisationskontexts, seine Kommunikationsmuster und Beziehungsnetzwerke sind bereits etabliert, denn es besteht meist schon vor der Coachingintervention und bleibt auch danach noch bestehen.

Teams und Lerngruppen haben unterschiedliche Ziele. Beim Teamcoaching kommt es auf die gemeinsamen Lernziele an, wobei individuelles Feedback und Lernen nicht ausgeschlossen, sondern sogar erforderlich sind. Diese stehen jedoch ganz im Dienst der optimalen und gemeinsamen Erreichung des Ziels.

Wenn die Gruppenteilnehmer keinem Team angehören, sich relativ fremd sind und nur zum Zweck individuellen Lernens zusammenkommen, hat man es tatsächlich mit einer Lerngruppe zu tun. Hier besteht das Ziel der Gruppe im selbstbestimmten Lernen der Einzelnen; die Vielfalt der Ziele und gegenseitige Unterstützung führen zu einer tief gehenden und gegenseitig befruchtenden Lernerfahrung. Dieser Lernreichtum kommt daher, dass die Lernenden unterschiedliche Ziele setzen und daran arbeiten, was nicht ausschließt, dass man umfassende Erkenntnisse miteinander teilt oder zwischenmenschliche und kooperative Fähigkeiten wesentlich verbessert – in einer erfolgreichen Lerngruppe lässt sich dies in der Tat gar nicht vermeiden.

Die Differenzierung Team – Lerngruppe ist zwar eine komplexe, jedoch keine philosophische Frage. Sie hat einfach wesentlichen Einfluss darauf, wie der Coach die Lerninterventionen konzipiert. Auf der Organisationsebene, beispielsweise in größeren Firmen, dienen Lerngruppen als Instrument für einen breit angelegten organisatorischen Veränderungsprozess, indem einzelne strategisch gut positionierte Mitarbeiter verschiedener Teams das Gelernte abteilungsübergreifend aussäen.

Lerngruppen

Eine „Lerngruppe“ ist eine Gruppe, die zum Zweck des Lernens gebildet wird. Die Coachin arbeitet in der Regel von Anfang an mit der Gruppe und ist bei allen Terminen dabei.13 Zwischen den Mitgliedern besteht keine enge kollegiale Verbindung; da sie nicht demselben Team angehören, stehen sie im normalen Arbeitsprozess auch nicht in Konkurrenz zueinander. Möglicherweise kommen sie sogar aus unterschiedlichen Firmen oder Organisationen. Beispiele für diese Art von Coachinggruppen sind Action-Learning-Sets, Balint-Gruppen, reflexive Praxisgruppen, berufliche Weiterbildungsgruppen und Supervisionsgruppen.

Teams

Aus der Sicht der Coachs ist ein Team eine Arbeitsgruppe mit gemeinsamen Zielen oder Aufgaben. In der Regel ist es Teil eines größeren Organisationskontexts. Teams unterscheiden sich in Bezug auf Größe, Dauerhaftigkeit, Stabilität sowie die Kriterien für eine Mitgliedschaft und ihren Zweck. Alle Parameter beeinflussen die Arbeit der Coachs (vgl. Kapitel 7). Teamcoaching ist sehr komplex. Es gibt neuartige Teamstrukturen, zeitlich begrenzte, auf nur ein Ziel ausgerichtete oder flexibel gestaltete Teams. Aufgrund der Fortschritte in der Kommunikationstechnologie können Teams inzwischen sogar auf globaler Ebene operieren. Eine stabile Mitgliedschaft oder geografische Nähe gilt nicht mehr als Voraussetzung; es gibt neue Unsicherheiten und, besonders in kulturell gemischten Teams, reichlich Möglichkeiten für Missverständnisse in der Kommunikation.

1.8 Was alle Coachs wissen sollten

Managementcoaching, egal ob einzeln oder in der Gruppe, findet immer im Organisationskontext statt. Dies wird im Diagramm auf Seite 100 veranschaulicht. Wer mit einzelnen Mitgliedern einer Organisation arbeitet, muss auf mindestens drei Gebieten bewandert sein: Psychologie – um die Klienten verstehen zu können; zwischenmenschliche Kompetenz – um den Lernprozess zu unterstützen; und Organisationstheorie – um mit den Klienten ein Verständnis des Arbeitskontexts zu entwickeln.

Zudem gibt es noch einen vierten Bereich, in dem fähige Coachs Kenntnisse benötigen: Gruppendynamik. Mehr darüber erfahren Sie in Kapitel 2.6.1, „Wie man fähig wird, eine Gruppe zu halten“, 2.7, „Halten, ein Prozess, in dem Zeit eine wichtige Rolle spielt“ und „Was befähigt Coachs zum optimalen Halten?“ sowie in Kapitel 4.10, „Die Aufgaben von Gruppencoachs“.

1.9 Wie das Buch zustande kam und wie Sie es verwenden können

Seit 25 Jahren arbeite ich mit Gruppen. Dabei hat mich eines ganz besonders fasziniert: die Prozesse, durch die einzelne Menschen in Gruppen lernen. So begann ich vor 18 Jahren eine Ausbildung zur Gruppenanalytikerin. Ich arbeitete mit Organisationen, leitete nebenher Analysegruppen und begeisterte mich für gruppenanalytische Theorie. Irgendwie erklärten die neuen Erkenntnisse viele Dinge, die ich in meinen Gruppen beobachtet hatte. (Die systematische und analytische Beobachtung der Verhaltensweisen von Organisationen und Einzelpersonen wusste ich bereits zu schätzen.) Durch meine Erfahrung mit Gruppen war ich überzeugt von den grundlegenden Ähnlichkeiten der Prozesse, über die Menschen in Gruppen lernen und sich verändern14, ganz egal, um welche Art von Gruppe es sich handelt und welche Ziele sie verfolgt.

Diese Prozesse und die Art, wie sie sich in Gruppen abspielen, bilden die theoretischen Pfeiler meines Buches. Lesen Sie auf jeden Fall Kapitel 2, 3 und 4, wo ich die Grundprinzipien erkläre, die in allen Arten von Gruppen in ganz unterschiedlichen Kontexten anzutreffen sind: Teamentwicklung, berufliche Weiterbildung, Supervision, Lerngruppen und Training. Diese Seiten dürfen Sie nicht überblättern, weil der Rest sonst kaum verständlich wird.

In Abbildung 1 sehen Sie die Bewegung vom Einzelnen über das Team bis zur Organisation und darüber hinaus. Der theoretische Teil des Buches verläuft ähnlich. Zunächst geht es um Lernprozesse, die die persönliche Entwicklung fördern, dann darum, wie sich diese in Gruppen abspielen, und schließlich um die zwischenmenschlichen Prozesse in der Gruppe. Kapitel 3 handelt von den zentralen analytischen Konzepten und Kapitel 4 von den Selbstvertrauen und Kompetenz fördernden Aspekten des Gruppenlebens, die die neuere Forschung – einschließlich meiner eigenen (2006–2008) – zutage gefördert hat. Diese drei Kapitel liefern die Materialien, aus denen Sie ein Gerüst für die Entwicklung kontextspezifischer Interventionen bauen können.

Auf die Verbindung zwischen der Lernfähigkeit von Organisationen und den zwischenmenschlichen Lernprozessen wurde in der Forschung bereits hingewiesen;15 es gibt jedoch noch eine weitere Verbindung: die zwischen der Gruppeninteraktion (auf die sich Gruppen- und Teamcoachs konzentrieren) und dem Organisationskontext, der das Geschehen beeinflusst und wiederum von diesem beeinflusst wird. Das dürfen Team- und auch Einzelcoachs nicht ignorieren. Hier haben wir es mit der um die Komplexitäts- und Chaostheorie erweiterten Systemtheorie über die Beziehung zwischen Teilen und Ganzheiten zu tun. Daher nehme ich Sie in Kapitel 5 mit auf einen Ausflug ins Systemdenken, das die Funktionsweise von Organisationen erklärt. Außerdem bekommen Sie eine Einführung in die Erforschung der Entscheidungsfindung von Gruppen sowie in Techniken, die für die Arbeit mit größeren Gruppen auf dem sich selbst organisierenden Prinzip der Emergenz aufbauen. Zu den wichtigsten Lehrsätzen der Gruppenanalyse gehört auch, dass man abweichende, ja sogar sich widersprechende Ansichten gelten lässt, weil diese ein umfassenderes Bild abgeben. Coachs, die ja die Vielfalt von Organisationen zu schätzen wissen, werden dies verstehen.

Alles bisher Gesagte unterstreicht die Wichtigkeit von Theorie und Praxis, doch befindet sich die auf Praxis und Forschung basierende Literatur eines so jungen Berufszweigs wie der des Coachings gezwungenermaßen noch in den Kinderschuhen. Und da dies erst recht auf das Gruppencoaching zutrifft, muss man für das Theoretische auf „Nachbarberufe“ zurückgreifen. So stammt die hier beschriebene Theorie hauptsächlich aus den beiden oben erwähnten Bereichen, mit ein wenig Unterstützung vonseiten der psychologischen Disziplinen. Die Grundprinzipien des Gruppenlebens stammen weitgehend aus der Gruppenanalyse, die der Organisationen aus der Systemtheorie. Beide Wissenszweige sind durch gemeinsame Wurzeln in einem neuen (sozial-)wissenschaftlichen Paradigma miteinander verbunden und im Bereich der Organisationsberatung häufig in Anwendung.

1.10 Gruppenanalyse: die wesentliche Dynamik der Gruppe

Die international etablierte Disziplin der Gruppenanalyse kann schon auf siebzig Jahre praxisbasierter theoretischer Abhandlung zurückschauen: „Gruppenanalyse ist das Instrument, mit dessen Hilfe die Dynamik der Gruppe untersucht werden kann, eine neue Wissenschaft, in der sich Psychologie und Soziologie treffen.“16 Es kommen fundamentale Prozesse zum Ausdruck, die in allen Gruppen beobachtet werden können. Im Vordergrund stehen sowohl die Beziehung der Teilnehmenden untereinander als auch die Beziehung zwischen Individuum und Gruppe als Ganzem.

Für Coachinggruppen ist es sehr wichtig, dass die Einzelnen und die Gruppe gleich viel Aufmerksamkeit bekommen. Dies gilt besonders für Teams, bei denen hoch qualitative Arbeitsweisen eine optimal ausgeglichene Beziehung zwischen einzelnen Mitgliedern und der Gruppe als Ganzes erfordern. In einem anspruchsvollen modernen wirtschaftlichen Umfeld können sich Teams nicht mehr erlauben, aufgrund von Unfähigkeit zur Zusammenarbeit suboptimale Ergebnisse zu liefern. Ein Team, das seine Ziele erreichen (und diese, wie in vielen Industriezweigen üblich, immer wieder neu definieren) will, muss zwischenmenschliche Hindernisse auf dem Weg zur erfolgreichen Zusammenarbeit unbedingt abbauen lernen.

1.11 Systemdenken: die grundlegende Dynamik der Organisation

Um ein Team oder eine Gruppe innerhalb einer Organisation zu verstehen, braucht man Kenntnisse des betrieblichen Kontexts. Neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge sind Kontexte so komplex und ihre Wechselbeziehungen so vielfältig wie niemals zuvor. In den vergangenen 50 Jahren haben die Entdeckungen vieler Wissenschaften sich einander angenähert. Neue Erkenntnisse in der Biologie, den Neurowissenschaften, der Mathematik und der Physik treffen auf die Forschungsergebnisse der Psychologie, Soziologie und Ökologie, was auf eine komplexe universelle Vernetzung hinweist und Teil eines tief greifenden Paradigmenwechsels17 ist. Wie all das auf den Bereich der Organisationen angewendet wird, das erklärt die Systemtheorie, die die Komplexitäts- und Chaostheorie in sich vereint. Das Organisationsverständnis des vorliegenden Buchs basiert auf diesen Ideen.

1.12 Was finden Sie in diesem Buch?

Authentische Fallbeispiele: Die beschriebenen Vorgehensweisen werden durch zahlreiche Fallbeispiele veranschaulicht und in Zusammenhang mit Gruppencoachingsituationen gebracht. Die Beispiele stammen aus meiner eigenen Praxis sowie der meiner Kolleginnen und Supervisorinnen, wobei Einzelheiten zur Wahrung der Anonymität verändert wurden.

Nach diesem einleitenden Kapitel (Teil I) finden sie in den Kapiteln 2, 3 und 4(Teil II) gerade die theoretischen Grundlagen dieses Buches. Die Prinzipien des Gruppenlebens werden hier erläutert. Kapitel 2 handelt von Beziehungen als Basis menschlichen Lernens und deren Anwendung im Gruppencoaching. In Kapitel 3 werden neun elementare Gruppenprozesse vorgestellt. In Kapitel 4 geht es um acht Faktoren, von denen abhängt, wie wir in Gruppen lernen, und die Rolle des Gruppencoachs bzw. Teamcoachs.

Kapitel 5(Teil III) befasst sich mit dem Organisationskontext von Gruppencoaching und gibt eine Einführung in die Systemtheorie, anhand derer verständlich wird, wie Coach und Team bzw. Coach und Gruppe in der Organisation verortet sind. Außerdem geht es um Fragen, die für Unternehmensleitende womöglich dringender sind als die Leistung eines bestimmten Teams, etwa darum, wie zwei oder mehrere Teams miteinander interagieren, wie man zu richtigen Entscheidungen findet oder über die nicht offizielle firmeninterne Kommunikation. Ein weiteres Thema, das in diesem Zusammenhang angeschnitten wird, ist die Forschung zum Entscheidungsfindungsprozess. Und schließlich enthält dieser Teil auch eine Übersicht über die in größeren Gruppen verwendeten Methoden.

In Teil IV werden die neuesten Anwendungen im Gruppencoaching vorgestellt, mit denen man erfolgreiche Interventionen zusammenstellen kann. Kapitel 6 konzentriert sich auf Teamcoaching und einen pragmatischen Ansatz, bei dem auf den Ausgangspunkt und die Ziele der Klienten eingegangen wird, sowie auf Richtlinien für die Auswahl aus der großen Anzahl von Instrumenten, die Teamcoachs offenstehen. Die Auseinandersetzung mit der schwierigen Dynamik von Teams wird hier nur angestoßen und in Kapitel 10 ausführlicher wieder aufgegriffen. Kapitel 7 handelt von den vier Arten der Lerngruppe, Kapitel 8 von der Dynamik eines bestimmten Lerngruppentyps, nämlich der Supervisionsgruppe, und von Supervision für Gruppencoachs.

Teil V bietet praktische Unterstützung bei Problemen, die für gewöhnlich in unserer Arbeit mit Gruppen und Teams auftreten. So beschäftigt sich Kapitel 9 mit der Frage, wie man mit problematischen Verhaltensweisen in Gruppen am besten umgeht und wie sie dem Lernprozess eines Teams sogar nützen können. Kapitel 10 handelt von nicht funktionierenden Teams und Gruppen, Kapitel 11 von der Zeit (Anfang, Mitte und Ende) und der „Systemadministration“ (die Infrastruktur der Umgebung) von Gruppencoaching.

TEIL II

Worum geht es in Teil II?

Kapitel 2

Lernen, Halten und Austausch

Kapitel 3

Einblicke in das geheime Leben der Gruppe

Kapitel 4

Acht Gruppenfaktoren in Lern- und Veränderungsprozessen

Zwei Grundprinzipien

Neun Gruppenprozesse

Acht Gruppenfaktoren

Halten

Austausch

Gruppenmatrix

Kommunikation

Translation (Übersetzung)

Spiegeln

Austausch

Resonanz

Verdichtung

Lokation (Verortung)

Reflexion

Verbundenheit und Zugehörigkeit

Zwischenmenschliches Lernen

Konkurrenz, Neid und Bewunderung

Idealisierung und Nachahmung

Mut und Handlungsfreiheit

Zeuge sein und Zeugen haben

Ermutigung

Leistungscoaching durch die Gruppe

Die Kapitel 2, 3 und 4 bilden den theoretischen Kern dieses Buches. Hier werden die komplexen zwischenmenschlichen Prozesse dargelegt, auf dem alles Lernen aufbaut. Damit diese aus Psychologie und Soziologie stammenden Theorien auch von einem breiten Publikum praktisch genutzt werden können, erkläre ich so einfach wie möglich, wie Gruppen Menschen helfen, zu lernen und Selbstvertrauen zu gewinnen.

2. Lernen, Halten und Austausch

Überblick

Das Kapitel beginnt mit einer Vorstellung der Grundbausteine aller Kommunikationsprozesse sowie der emotionalen und sozialen Intelligenz: „implizites Wissen“, „Projektion“ und „Übertragung“. Es geht um das Thema Lernen, wobei zwei Gedanken besonders hervorgehoben werden: „das Halten“ – die Herstellung eines Gefühls der Sicherheit – und „der Austausch“ – die Möglichkeit der Begegnung mit etwas Neuem. Da diese nicht nur fürs Lernen wichtig sind, sondern auch fürs Coaching, werden sie in den Zusammenhang mit Gruppencoaching gestellt.

2.1 Die Gruppe als Archetyp

Die Erkenntnis, dass man in der Gruppe besser lernt und dass Gruppen Veränderungen herbeiführen, wird zwar meist als selbstverständlich betrachtet und akzeptiert, doch kaum wirklich nachvollzogen. Warum Gruppen diese Wirkung haben und wie das kommt, das ist für viele Menschen irgendwie ein Rätsel.

„Vor dem Individuum kommt die Beziehung“18 – vermutlich ist die Lernerfahrung in der Gruppe deswegen so prägend, weil wir selbst, als Lebewesen Mensch, nur im kooperativen Zusammenleben der Gruppe überleben konnten. Dieser notgedrungen soziale Kontext des Lernens wurde von vielen Seiten wissenschaftlich belegt.19 In der Gruppe ist der Mensch immer schon in seinem Ursprungselement; in einer gut funktionierenden Gruppe fühlt man sich wohl und behütet. Umgekehrt graust es einem vor schlechten Gruppenerfahrungen. Meist reagiert der Mensch in der Gruppe automatisch, aus dem Bauch heraus, weil er sich an die unbewusste, nonverbale Gruppenkommunikation angepasst hat und sie versteht. Neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge ist unser Gehirn tatsächlich so konstruiert, dass wir auf andere reagieren. Daniel Goleman, der sein Konzept der „emotionalen Intelligenz“ um das der „sozialen Intelligenz“ erweitert hat,20 legt beispielsweise nahe, dass gute Führungskräfte unbedingt die Fähigkeit brauchen, die Stimmung und das Erleben anderer Menschen zu beeinflussen.

2.2 „Implizites Beziehungswissen“

Daniel Stern vereint in seinen Schriften entwicklungspsychologische und psychoanalytische Erkenntnisse und spricht vom impliziten Beziehungswissen – unserem nonverbalen, nicht symbolisch kodierten, prozeduralen Bewusstsein:

„Wir spüren es in Körper und Psyche gleichzeitig. Obendrein können wir sogar spüren, was in Gruppen vorgeht. Unser Nervensystem ist so konstruiert, dass es vom Nervensystem anderer Menschen ‚verstanden‘ werden kann ... Potenziell steht uns eine Art emotionaler Pfad offen, der direkt in den Anderen hineinführt; wir nehmen an seinem Erleben teil und lassen es in uns widerhallen, und umgekehrt gilt das Gleiche.“21

In der Gruppe können diese unbewussten Wissensanteile besonders gut in den bewussten Bereich transportiert werden, weil die große Perspektivenvielfalt der verschiedenartigen Mitglieder die Kommunikation „amplifiziert“ und der gegenseitigen Realitätsüberprüfung dient.

Daher ist die Gruppe in Bezug auf das Zwischenmenschliche allen anderen Arten der beruflichen Weiterbildung haushoch überlegen. Zwar erhält man auch im Einzelcoaching nützliche Rückmeldungen, doch ist die Spannbreite der Wahrnehmungen und Reaktionen im Gruppencoaching natürlich weitaus größer. Fazit: Wer seine zwischenmenschlichen Fähigkeiten verbessern möchte, fährt in einer gut geleiteten Gruppe am besten.

2.3 Projektion

In der Psychologie ist die Projektion ein Abwehrmechanismus, bei dem man anderen Menschen Teile von sich selbst zuschreibt. Dabei handelt es sich um Eigenschaften, die man an sich selbst nicht mag, ablehnt und lieber nicht wahrnimmt. Da der Prozess unbewusst abläuft, merkt man nicht, dass die projizierten Eigenschaften die eigenen sind.

Beispiele für Projektion

Ich halte mich nicht gerne für arrogant, also verleugne ich meine Arroganz und finde jemand anderes arrogant.Ich bin treulos und unterdrücke meine Schuldgefühle, mache mir aber gleichzeitig Sorgen, ob mein Partner mir wirklich treu ist.Ich mag mich selbst nicht und stelle mir daher vor, dass andere mich nicht mögen.

In meinen Augen ist es der andere Mensch, der mit der von mir abgelehnten Arroganz, Treulosigkeit oder Zurückweisung behaftet ist. Möglicherweise hat er genau die Eigenschaften, die ich bei mir selbst ablehne, und projiziert sie dann auf mich, sodass wir einander für die gleichen Dinge kritisieren. Im gruppenanalytischen Denken benutzt man dafür den Begriff „negatives Spiegeln“ (vgl. Kapitel 3).

Doch nicht alle Projektionen sind negativ: Man kann auch positive Aspekte projizieren, zum Beispiel dass der Gruppencoach oder eine Vorgesetzte „superkompetent“ ist, man selbst dagegen „nicht den blassesten Schimmer“ hat. Egal ob der Inhalt positiv oder negativ ist – Projektion verhindert, dass man sich seiner selbst ganz bewusst ist.

Projektion kann als extremere Form eines alltäglichen psychischen Prozesses betrachtet werden. In der Kommunikation vergleicht man sich ständig mit anderen, man begreift sich gegenseitig über unzählige kleine Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Unsere Wahrnehmung wird immer von früheren Erfahrungen beeinflusst und manchmal auch verzerrt: Nie sieht man hundertprozentig scharf.

2.4 Übertragung

Die Übertragung ist eine besondere Art der Projektion, ein aktuelles Verhaltensmuster, das von Projektionen früherer Beziehungsmuster beeinflusst wird. Durch die Wiederholung in der Gegenwart kommt es zu sich selbst bewahrheitenden Beziehungsfehldeutungen. Starke Gefühle im Hier und Jetzt werden auf frühere Erfahrungen bezogen, sodass die Vergangenheit durch etwas, das in der Beziehung passiert, in der Gegenwart wieder auflebt. Dieser Prozess läuft unterhalb der Bewusstseinsgrenze ab, vergleichbar mit einem Geruch, der eine starke Erinnerung wachruft.

Beispiele für Übertragung

Mich überkommt gerade das Gefühl, dass mein Chef genauso ist wie mein Vater, den ich sehr liebe.Ich empfinde für jemandem aus meinem Team dasselbe wie für meinen Bruder, der für mich immer ein Rivale war.Meine derzeitige Arbeitssituation erinnert mich total an eine traumatische Phase als Teenager in der Schule.

Das Verhalten gegenüber dem Menschen, der Objekt der Übertragung ist, wird in diesem wahrscheinlich ein Verhalten provozieren, das mit der Übertragung „zusammenpasst“ und den Übertragenden in seiner Annahme bestärkt.

Projektion und Übertragung haben beide mit dem „Spiegeln“ in Gruppen zu tun, das in Kapitel 3 erläutert wird. Da wir jede neue Erfahrung auf der Basis früherer Erfahrungen bewerten, sind kleinere Projektionen und Übertragungen aber durchaus normal und verbreitet – beispielsweise wenn wir etwas, das uns neu ist, entweder wohlwollend oder ablehnend begegnen oder wenn wir sagen: „Du bist genau wie meine Freundin Jane.“

Dass eine Übertragung problematisch ist, merkt man am Grad ihrer Intensität und Angemessenheit: Fällt eine emotionale Reaktion unverhältnismäßig stark aus oder wirkt sie in der augenblicklichen Realität unangemessen, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Übertragung.

In einer Coachinggruppe geht es in erster Linie darum, Menschen zu helfen, ihre augenblickliche Situation wieder in den Griff zu bekommen, was im Gruppenfeedback oft am besten gelingt. In der Gruppe können kleinere projektive Missverständnisse – je besser man einander „kennenlernt“ – immer wieder geklärt werden, manchmal sogar ohne darüber zu sprechen. Hartnäckigere Missverständnisse, die die persönliche Leistung oder die der Gruppe beeinträchtigen, erfordern vom Coach eine aktive Haltung.

2.5 Die zwei Grundprinzipien des Coachings: Halten und Austausch

Die Grundlage des Coachings ist immer eine entwicklungsfördernde Beziehung, die sicher genug ist für die Begegnung mit neuer Information – von Gregory Bateson als „Nachricht von einem Unterschied“ definiert.22 Das Gefühl der Sicherheit entsteht durch das „Halten“, die dadurch ermöglichte Begegnung mit dem Neuen im „Austausch“.

2.5.1 Halten

Die wichtigste Fähigkeit in jeder Art von Coaching, wie überhaupt in allen entwicklungsfördernden Beziehungen, ist das sogenannte Halten:23 Klienten, die gehalten werden, fühlen sich sicher genug, um Neues zu lernen. Den Begriff „Halten“ prägte Donald Winnicott in seiner Forschung zur Mutter-Säugling-Beziehung: die erste Lernbeziehung im Leben des Menschen. Halten bezeichnet nicht nur das physische Halten des Kindes, sondern dessen ganze Versorgung durch die Umwelt. Im Gehaltenwerden findet der Säugling zu seinem wahren Ich und macht die Erfahrung, „in Gegenwart der Mutter allein zu sein“.24 Wird das Kind ausreichend gehalten, kann ein Austausch erfolgen.

Eng mit dem Halten verbunden ist ein weiteres Konzept der frühkindlichen Entwicklung, das „Containing“.25 Der Unterschied zwischen beiden ist weithin eine Frage der Perspektive: Halten bezieht sich mehr auf die Gesamterfahrung, Containing auf einen Teil, nämlich die Umwandlung von Frustration oder Unwohlsein zum Zweck des Denkens. Im Gruppenkontext sind beide Prozesse eng mit der Idee der „Gruppenmatrix“ verbunden (siehe Kapitel 3); die Gruppe wird als Sicherheitsnetz betrachtet, das den einzelnen Menschen „hält“ und dessen Erfahrungen „aushaltbar“ macht, sodass er für Neues „aufnahmefähig“ wird.26 Auch in der Supervision sind Halten und Containing Voraussetzung für die erfolgreiche Beziehung (Kapitel 8).

 Praxisbeispiel: Halten in der Reflexion des beruflichen Werdegangs