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“Gullivers Reisen” von Jonathan Swift beschreibt die vier Reisen von Lemuel Gulliver, einem Schiffschirurg. In Liliput entdeckt er eine Welt en miniature; er überragt die Menschen und ihre Stadt und kann ihre Gesellschaft aus der Sicht eines Gottes betrachten. In Brobdingnag, einem Land der Riesen, wird der kleine Gulliver jedoch selbst beobachtet und als Kuriosität auf Märkten und Messen ausgestellt. In Laputa, einer fliegenden Insel, trifft er auf eine Gesellschaft von spekulierenden und projektierenden Menschen, die den Bezug zur alltäglichen Realität verloren haben; während sie planen und rechnen, liegt ihr Land in Trümmern. Gullivers letzte Reise führt ihn in das Land der Hauyhnhnms, sanftmütige Pferde, die er schon bald bewundert – im Gegensatz zu den Yähus, schmutzigen Bestien, die eine beunruhigende Ähnlichkeit mit Menschen haben… Die Gesamtausgabe enthält alle vier Reisen.
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Seitenzahl: 521
JONATHAN SWIFT
GULLIVERS REISEN
ROMAN
Gesamtausgabe
GULLIVERS REISEN wurde im englischsprachigen Original zuerst veröffentlicht von Benjamin Motte, London 1726.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Anmerkungen zur Transkription: Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
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Gesamtausgabe (eBook)
ISBN 978-3-96130-479-0
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
GULLIVERS REISEN. Gesamtausgabe
Frontispiz
Impressum
Der Herausgeber an den Leser
Ein Brief von Kapitän Gulliver an seinen Vetter Sympson
Reise nach Liliput
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Reise nach Brobdingnag
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Reise nach Laputa
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Reise in das Land der Hauyhnhnms
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
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Zu guter Letzt
Lemuel Gulliver, der Verfasser dieser Reisen, ist mein alter, intimer Freund, auch verwandtschaftliche Beziehungen bestehen zwischen uns von mütterlicher Seite. Vor etwa drei Jahren kaufte Herr Gulliver, der des Besuches neugieriger Leute in seinem Haus in Redriff müde wurde, etwas Land mit einem geeigneten Haus nahe bei Newark in Nottinghamshire, seinem Heimatland, wo er jetzt zurückgezogen, aber von seinen Nachbarn sehr geachtet, lebt.
Obwohl Herr Gulliver in Nottinghamshire geboren war, wo sein Vater wohnte, habe ich ihn doch sagen hören, daß seine Familie aus Oxfordshire stamme; zur Bestätigung dessen habe ich auf dem Friedhof zu Banbery in jener Grafschaft mehrere Grabsteine und Denkmäler der Gullivers gesehen. Bevor er Redriff verließ, vertraute er mir die folgenden Papiere zu meiner freien Verfügung an. Ich habe sie sorgfältig dreimal durchgelesen. Der Stil ist sehr klar und einfach; der einzige Fehler, den ich finde, ist, daß der Verfasser nach Art der Reisenden ein wenig zu umständlich vorgeht. Über dem Ganzen liegt ein Schimmer offensichtlicher Wahrheit; und wirklich war der Verfasser wegen seiner Wahrheitsliebe so berühmt, daß es unter seinen Nachbarn zu Redriff zur sprichwörtlichen Redensart wurde zu sagen: »Es ist so wahr, als ob Herr Gulliver es gesagt hätte«, wenn einer etwas behauptete.
Auf Anraten mehrerer ehrenwerter Personen, denen ich mit des Verfassers Erlaubnis diese Papiere mitteilte, wage ich es jetzt, sie in die Welt hinausgehen zu lassen in der Hoffnung, daß sie wenigstens für eine Zeitlang für unsere jungen Edelleute eine bessere Unterhaltung sein mögen als das übliche Geschreibsel über Politik und Gesellschaft.
Dieser Band wäre mindestens zweimal so groß geworden, hätte ich es nicht gewagt, zahllose Stellen zu streichen, die von Wind, Ebbe und Flut handeln wie auch von den Veränderungen und Einflüssen innerhalb mehrerer Reisen zusammen mit den ausführlichen Schilderungen der Führung eines Schiffes bei Sturmwetter in der Seemannssprache; desgleichen die Erwähnung von Längen- und Breitengraden. Hier glaube ich befürchten zu müssen, daß Herr Gulliver etwas unzufrieden sein wird; aber ich war entschlossen, das Werk soviel als möglich der allgemeinen Aufnahmefähigkeit der Leser anzupassen. Wenn mich jedoch meine eigene Unkenntnis in Seeangelegenheiten zu einigen Fehlern verleitet haben soll, so bin ich dafür allein verantwortlich; und wenn ein Reisender darauf versessen ist, das ganze umfangreiche Werk, wie es aus der Hand seines Verfassers kam, zu sehen, so bin ich bereit, ihm Genüge zu tun.
Für alle weiteren Einzelheiten über den Verfasser wird der Leser aus den ersten Seiten dieses Buches Befriedigung schöpfen können.
Richard Sympson
Ich hoffe, daß Du, sooft Du dazu aufgefordert werden solltest, bereit bist, öffentlich anzuerkennen, daß Du mich durch Deine wiederholte dringende Bitte veranlaßt hast, einen sehr lockeren und ungenauen Bericht über meine Reise zu veröffentlichen in der Absicht, einen jungen Mann von der oder jener Universität zu gewinnen, um sie zu ordnen und den Stil zu verbessern, so wie es mein Vetter Dampier auf meinen Rat in seinem Buch »Eine Reise um die Welt« tat. Aber ich erinnere mich nicht, daß ich Dir die Ermächtigung gab, irgendwelchen Auslassungen oder gar Hinzufügungen zuzustimmen; daher erkläre ich hier mit Bezug auf letztere, daß ich nichts mit ihnen zu tun habe, besonders nicht mit einem Abschnitt über Ihre Majestät, die Königin Anna hochseligen und ruhmreichen Andenkens, obwohl ich sie wirklich mehr verehrte und achtete als irgend jemanden. Aber Du oder Dein Textfälscher hätten bedenken sollen, daß, da es nicht meiner Neigung entsprach, es auch nicht schicklich war, irgendein Lebewesen unserer Art über meinen Meister Hauyhnhnm hinaus zu loben; und zudem war der Sachverhalt gänzlich falsch; denn meines Wissens – ich war während eines Teils der Regierung Ihrer Majestät in England – regierte sie wirklich durch einen Hauptminister, ja sogar durch zwei aufeinanderfolgende, von denen der erste Lord Godolphin und der zweite Lord Oxford war; so daß Du mich also hast etwas sagen lassen, was gar nicht zutrifft. In gleicher Weise hast Du in dem Bericht über die Akademie der Plänemacher und in mehreren Stellen meiner Unterredung mit meinem Meister Hauyhnhnm entweder wesentliche Umstände weggelassen oder sie derart zerhackt oder verändert, daß ich kaum mein eigenes Werk wiedererkenne. Wenn ich Dich früher auf so etwas in einem Brief aufmerksam machte, antwortetest Du freundlicherweise, »daß Du befürchtetest, beleidigend zu wirken, daß einflußreiche Leute sehr über die Presse wachten und imstande seien, nicht nur etwas herauszulesen, sondern auch alles zu bestrafen, was wie eine Anspielung aussah« (so nennst Du es wohl). Aber, bitte, wie konnte das, was ich vor so vielen Jahren sprach und in einer Entfernung von über 5000 Meilen, in einem anderen Reich, bezogen werden auf einen der Yähus, die jetzt die Herde regieren sollen; besonders zu einer Zeit, da ich wenig von dem Unglück unter ihnen zu leben hielt oder befürchtete? Habe ich nicht den meisten Grund, mich zu beklagen, wenn ich sehe, wie gerade diese Yähus von Hauyhnhnms in einem Fahrzeug gefahren werden, als ob diese das wilde Vieh und jene die vernunftbegabten Geschöpfe wären? Und wirklich, die Vermeidung eines so ungeheuren und verabscheuungswürdigen Anblickes war ein Hauptbeweggrund dafür, daß ich mich hierher zurückzog.
So viel schien mir erwähnenswert für Dich selbst und für das von mir in Dich gesetzte Vertrauen.
An zweiter Stelle beklage ich mich über meinen eigenen großen Mangel an Urteilskraft, da ich durch die Bitten und falschen Beweisführungen von Deiner und anderer Seite sehr gegen meine eigene Meinung dazu gebracht wurde, die Veröffentlichung meiner Reisen zu dulden. Bitte, erinnere Dich, wie oft ich wünschte, Du würdest, wenn Du auf dem Motiv des öffentlichen Wohles bestündest, bedenken, daß die Yähus eine Gattung von Lebewesen waren, die ausgesprochen unfähig waren, sich durch Vorschrift oder Beispiel verbessern zu lassen; und so hat es sich auch erwiesen; denn anstatt wenigstens auf dieser kleinen Insel zu sehen, wie all den Mißbräuchen und Verderbnissen Einhalt geboten wurde, was ich mit gutem Grund erwarten konnte, kann ich – sieh da, nach halbjähriger Warnung – nicht in Erfahrung bringen, daß mein Buch einen einzigen zweckentsprechenden Erfolg hervorgebracht hat. Ich wünschte, Du würdest mich durch einen Brief wissen lassen, wann die Gesellschaft und Partei ausgelöscht wurden; die Richter gebildet und aufrecht; die Verteidiger ehrbar und bescheiden und mit einem Anstrich von gesundem Menschenverstand, und Pyramiden von Gesetzesbüchern auf dem Smithfield-Platz verbrannt; der jungen Adligen Erziehung gänzlich geändert; die Ärzte verbannt; die weiblichen Yähus an Tugend, Ehre, Wahrheit und Takt überströmend; Höfe und Empfänge großer Minister gründlich ausgerottet und weggefegt; Witz, Verdienst und Wissenschaft belohnt; alle Beschimpfer der Presse in Prosa und Dichtung dazu verurteilt, nichts als ihr eigenes Gespinst zu essen und ihren Durst mit ihrer eigenen Tinte zu löschen. Auf diese und eintausend andere Reformen rechnete ich fest dank Eurer Förderung, da sie in der Tat aus den in meinem Buch gegebenen Anleitungen leicht zu bewerkstelligen waren. Und es muß zugegeben werden, daß sieben Monate eine hinreichende Zeit waren, um alle Laster und Torheiten, denen die Yähus unterworfen sind, zu heilen, wenn nur ihre Natur der geringsten Neigung zur Tugend oder Klugheit fähig gewesen wäre. Indes bist Du so weit davon entfernt gewesen, meinen Erwartungen in einem Deiner Briefe zu entsprechen, daß Du im Gegenteil jede Woche unseren Boten mit Schmähschriften, Schlüsseln, Reflexionen und Memoiren sowie Fortsetzungen überhäufst; worin ich mich selbst der üblen Nachrede über große Staatsmänner, der Herabwürdigung der Menschennatur (denn so nennen sie es noch vertrauensvoll) und des Mißbrauches des weiblichen Geschlechtes angeklagt sehe. Auch finde ich, daß die Schreiber jener Bündel von Schriften unter sich selbst nicht einig sind; denn einige von ihnen wollen nicht zugeben, daß ich der Verfasser meiner eigenen Reisen bin, und andere wieder machen mich zum Verfasser von Büchern, mit denen ich gar nichts zu tun habe.
Ferner finde ich, daß Dein Drucker so nachlässig gewesen ist, daß er die Zeiten und Daten meiner verschiedenen Reisen und Heimfahrten verwechselt und vertauscht hat, indem er weder die richtige Jahreszahl noch den richtigen Monat, noch den Monatstag einsetzt; und ich höre, daß das Originalmanuskript seit der Veröffentlichung meines Buches ganz zerstört ist; auch habe ich keine Kopie übrig. Ich habe Dir aber einige Korrekturen gesandt, die Du einfügen kannst, wenn jemals eine zweite Auflage in Frage kommen sollte; und doch kann ich nicht darauf bestehen, sondern muß diese Sache meinen urteilsfähigen und aufrichtigen Lesern überlassen, sie nach ihrem Gutdünken in Ordnung zu bringen.
Ich hörte, daß einige unserer See-Yähus meine Seesprache tadeln als in vieler Hinsicht nicht angemessen und jetzt außer Gebrauch. Ich kann daran nichts ändern. Auf meinen ersten Reisen, als ich noch jung war, wurde ich von den ältesten Seeleuten unterrichtet und lernte sprechen wie sie. Aber seitdem habe ich gefunden, daß die See-Yähus wie die Land-Yähus geneigt sind, in ihren Worten erneuerungssüchtig zu werden, welch letztere sie jährlich ändern, und zwar so sehr, daß, wie ich mich erinnere, bei jeder Rückkehr in meine Heimat ihr alter Dialekt so verändert war, daß ich kaum den neuen verstehen konnte. Und ich beobachtete, daß, wenn Yähus von London kommen, um aus Neugier mich in meinem Heim zu besuchen, wir beide außerstande sind, unsere Gedanken in einer dem anderen verständlichen Weise auszudrücken.
Wenn die Kritik der Yähus mich irgendwie treffen könnte, so hätte ich allen Grund, mich darüber zu beklagen, daß einige von ihnen so dreist sind, mein Reisebuch nur für eine Einbildung meines eigenen Gehirnes zu halten; und einige sind sogar so weit gegangen, die Bemerkung fallenzulassen, daß die Hauyhnhnms und Yähus kein bißchen mehr Existenz haben als die Einwohner von Utopien.
Ich muß wirklich gestehen, daß ich im Hinblick auf die Leute von Liliput, Brobdingrag (denn so sollte das Wort geschrieben werden und nicht – irrtümlicherweise Brobdingnag) und Laputa noch niemals von einem Yähu gehört habe, der so anmaßend gewesen wäre, ihr Dasein oder die auf sie bezüglichen Tatsachen in Zweifel zu ziehen; weil die Wahrheit jedem Leser sofort mit Überzeugungskraft in die Augen springt. Und liegt vielleicht weniger Wahrscheinlichkeit in meinem Bericht von den Hauyhnhnms oder Yähus, wenn es, was letztere betrifft, offenbar ist, daß es so viele Tausende sogar in diesem Lande gibt, die sich von ihren ungeschlachten Brüdern in Hauyhnhnms-Land nur dadurch unterscheiden, daß sie eine Art Geplapper anwenden und nicht nackt gehen? Ich schrieb zu ihrer Besserung und nicht zu ihrer Billigung. Das vereinigte Lob der ganzen Rasse würde für mich von geringerer Bedeutung sein als das Wiehern von jenen beiden entarteten Hauyhnhnms, die ich in meinem Stall habe, weil ich von diesen, so degeneriert sie auch sind, immer noch etwas in einigen makellosen Tugenden für meine Besserung lernen kann.
Sollten diese elenden Geschöpfe wirklich meinen, ich sei so entartet, um meine Wahrheitsliebe zu verteidigen? Ich bin nun einmal ein Yähu, und jeder weiß im ganzen Hauyhnhnm-Land, daß ich durch die Belehrungen und das Beispiel meines erlauchten Meisters imstande war, im Laufe von zwei Jahren (obwohl, wie ich gestehe, mit der größten Schwierigkeit) jene teuflische Gewohnheit von mir abzulegen, die zutiefst im Seelengrunde meiner sämtlichen Artgenossen, besonders der Europäer, verwurzelt ist: die Gewohnheit des Lügens, Überlistens, Täuschens und der zweideutigen Rede.
Bei dieser verdrießlichen Gelegenheit hätte ich noch andere Klagen vorzubringen, aber ich unterlasse es, mir selbst oder Dir noch weiteren Kummer zu bereiten. Ich muß offen gestehen, daß seit dem letztenmal einige Verdorbenheiten der Yähu-Natur in mir wieder aufgelebt sind, und zwar durch den Umgang mit einigen ihrer Vertreter, und besonders – wie ganz unvermeidlich – mit denen meiner eigenen Familie; sonst hätte ich niemals ein so verrücktes Projekt wie das der Besserung der Yähu-Rasse in diesem Königreiche versucht; aber ich bin nun für immer und ewig fertig mit solchen Zukunftsplänen.
2. April 1727.
Mein Vater besaß ein kleines Gut in Nottinghamshire; ich war der dritte seiner fünf Söhne. Mit dem vierzehnten Jahre wurde ich auf die Universität Cambridge geschickt, wo ich drei Jahre lang blieb und fleißig studierte. Die damit verbundenen Kosten waren jedoch für das kleine Vermögen meines Vaters zu groß, obgleich ich nur einen unbedeutenden Wechsel erhielt; deshalb wurde ich bei Herrn James Bates, einem ausgezeichneten Wundarzt der Hauptstadt London, in die Lehre gegeben, bei dem ich drei Jahre blieb. Von Zeit zu Zeit schickte mir mein Vater kleine Geldsummen, die ich auf die Erlernung der Schifffahrtskunde und auf das Studium anderer mathematischer Wissenschaften verwandte, deren Kenntnis für die durchaus notwendig ist, die große Reisen unternehmen wollen; ich hegte immer ein gewisses Vorgefühl, dies werde früher oder später mein Schicksal sein. Als ich Herrn Bates verließ, kehrte ich zu meinem Vater zurück und erhielt von ihm, meinem Onkel James und einigen anderen Verwandten die Summe von 43 Pfund. Zugleich wurden mir 30 Pfund jährlich versprochen, so daß ich die Universität Leyden beziehen konnte. Dort studierte ich zwei Jahre und sieben Monate Medizin. Ich wußte, daß mir dies auf großen Reisen von Nutzen sein würde.
Bald nach meiner Rückkehr von Leyden erhielt ich durch die Empfehlung meines guten Lehrers Bates die Stelle eines Wundarztes auf der »Schwalbe«, deren Kapitän der Kommander Abraham Pannel war. Mit diesem Schiffe machte ich einige Reisen nach der Levante und anderen Gegenden. Nach meiner Rückkehr beschloß ich, mich in London niederzulassen, wozu mich auch Herr Bates ermutigte, nachdem er mich mehreren seiner Patienten empfohlen hatte. Ich mietete mir ein Stockwerk eines kleines Hauses in Old Jewry, und da man mir riet, den Stand des Hagestolzen aufzugeben, verheiratete ich mich mit Maria Burton, der zweiten Tochter des Strumpfhändlers Edmund Burton in Newgate Street, durch die ich 60 Pfund Mitgift erhielt.
Nach zwei Jahren starb aber mein guter Lehrer Bates. Ich hatte nur wenig Freunde, und somit verschlechterte sich auch mein Geschäft, denn mein Gewissen erlaubte mir nicht, in meiner Praxis gelegentlich unerlaubte Handlungen vorzunehmen, wie dies bei so vielen meiner Kollegen üblich ist. Nachdem ich deshalb eine lange Beratung mit meiner Frau und mehreren meiner Bekannten gehalten hatte, beschloß ich, wieder in See zu gehen. Ich war Wundarzt auf zwei Schiffen und machte sechs Jahre lang verschiedene Reisen nach Ostindien und Amerika, wodurch ich mein Vermögen etwas vermehrte. In meinen Mußestunden las ich die besten älteren und neueren Schriftsteller, denn ich hatte stets eine nicht unbedeutende Anzahl Bücher mitgenommen; war ich ans Land gegangen, so beobachtete ich die Sitten und Charaktere der verschiedenen Nationen und erlernte ihre Sprachen, wozu ich durch die Stärke meines Gedächtnisses befähigt war.
Da die letzte dieser Reisen nicht sehr glücklich ausfiel, wurde ich des Seefahrens müde und beschloß, bei meiner Frau und meiner Familie zu bleiben. Ich zog aus Old Jewry nach Fetterlane und von da nach Wapping, denn ich hoffte, mir unter den dortigen Matrosen eine ärztliche Praxis zu verschaffen; allein diese Veränderung schlug nicht zu meinem Vorteil aus. Nachdem ich drei Jahre auf eine Besserung meiner Lage gewartet hatte, erhielt ich vom Kapitän William Prichard, dem Eigentümer der »Antilope«, die im Begriffe war, nach der Südsee abzusegeln, ein vorteilhaftes Anerbieten. Wir fuhren am 4. Mai 1699 von Bristol ab, und unsere Reise war anfangs glücklich.
Aus bestimmten Gründen will ich den Leser mit den Einzelheiten unserer Reise in jenen Meeren nicht langweilen; es genüge die Bemerkung, daß wir auf unserer Fahrt von Bristol nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nordwestlich von Van-Diemens-Land getrieben wurden. Durch nautische Beobachtungen bestimmten wir, daß wir uns in der zweiten Minute des 30. Grades südlicher Breite befanden. Zwölf Mann hatten wir durch übermäßige Arbeit bei schlechter Nahrung bereits verloren; die übrigen waren erschöpft. Am 5. November, dem Anfang des Sommers unter diesen Breitengraden, war das Wetter trübe; die Matrosen bemerkten ein Felsenriff in der Entfernung von einer halben Kabellänge; der Wind war stark. Wir wurden darauf zugetrieben und scheiterten. Sechs von der Mannschaft, unter denen ich mich befand, setzten das Boot aus und suchten vom Schiff und dem Felsenriff loszukommen. Wir ruderten nach meiner Berechnung drei Seemeilen, bis es nicht mehr möglich war, zu rudern, da unsere Kräfte durch fortwährende Anstrengung im Schiffe bereits aufgerieben waren. Wir gaben uns deshalb den Wogen preis, und nach ungefähr einer halben Stunde wurde das Boot durch einen plötzlichen Windstoß von Norden her umgeworfen. Ich kann nicht berichten, was aus meinen Gefährten im Boot und der Schiffsmannschaft geworden ist, vermute jedoch, daß sie ertranken. Was mich betrifft, so schwamm ich auf gut Glück, wohin Wogen und Flut mich trieben. Oft ließ ich die Füße herabhängen, konnte aber keinen Grund fühlen; als ich beinahe verloren war, denn ich konnte nicht länger mit den Wellen ringen, fand ich endlich festen Boden; zugleich ließ auch der Sturm nach. Der Strand war so flach, daß ich beinahe eine Meile gehen mußte, bevor ich um acht Uhr abends, wie ich glaube, auf das trockene Ufer gelangte. Alsdann ging ich noch eine halbe Meile, konnte aber keine Spur von Einwohnern und Wohnungen entdecken. Zuletzt wurde ich so schwach, daß ich gar nichts mehr bemerkte. Da ich sehr müde und das Wetter heiß war, ich auch, als ich das Schiff verließ, eine halbe Pinte Branntwein getrunken hatte, fühlte ich Neigung zum Schlaf. Ich legte mich auf das Gras, das mir kurz und weich zu sein schien, und schlief dann fester als jemals in meinem Leben, soviel ich weiß und wie ich glaube, an die neun Stunden. Als ich erwachte, war der Tag angebrochen. Ich versuchte aufzustehen, konnte mich aber nicht bewegen; während ich auf dem Rücken lag, bemerkte ich, daß meine Arme und Beine festgebunden an dem Boden hafteten. Dasselbe war mit meinen sehr langen und dicken Haaren der Fall. Auch fühlte ich mehrere kleine Binden am ganzen Leibe von den Achselhöhlen bis zu den Schenkeln. Ich konnte nur aufwärts blicken; die Sonne war sehr heiß, und ihr Licht blendete meine Augen. Ich vernahm ein wirres Geräusch in meiner Nähe; in der Stellung jedoch, die ich einnahm, konnte ich nur den Himmel sehen. Mittlerweile fühlte ich, wie sich etwas auf meinem linken Schenkel bewegte; irgendein Geschöpf rückte leise vorwärts und kam über meine Brust bis fast an mein Kinn; ich erkannte in diesem eine Menschengestalt von etwa sechs Zoll Höhe, mit Bogen und Pfeilen in der Hand und mit einem Köcher auf dem Rücken. Zugleich fühlte ich, daß wenigstens noch vierzig derselben Menschengattung dem ersten folgten. Ich war äußerst erstaunt und brüllte so laut, daß sie sämtlich erschrocken fortliefen; einige, wie ich nachher hörte, beschädigten sich durch den Fall, als sie von meiner Seite herabspringen wollten. Sie kamen aber bald zurück; einer von ihnen wagte sich so weit, daß er vollkommen in mein Gesicht blicken konnte, erhob voll Verwunderung seine Hände und Augen und rief mit schallender und deutlicher Stimme: »Hekinah Degul.« Die übrigen wiederholten dieselben Worte mehreremal; ich konnte damals aber ihren Sinn noch nicht verstehen.
Der Leser wird wohl verstehen, daß ich mich in keiner bequemen Lage befand; ich suchte loszukommen und hatte zuletzt das Glück, die Stricke zu zerreißen oder die Pfähle abzubrechen, woran mein linker Arm befestigt war. Als ich diesen nun zum Gesicht erhob, bemerkte ich die Art, wie man mich gebunden hatte. Durch einen heftigen Ruck, der mir viel Schmerz verursachte, machte ich die Bande, die meine Haare auf der linken Seite hielten, etwas locker, so daß ich imstande war, meinen Kopf um zwei Zoll zu drehen; doch liefen die Geschöpfe noch einmal fort, ehe ich eins davon ergreifen konnte, worauf ein sehr lauter Ruf von mehreren Stimmen entstand, der aber schnell wieder verhallte. Hierauf hörte ich, wie einer »Tolgo Phonac« rief. Sogleich trafen mehr als hundert Pfeile meine linke Hand und prickelten mich wie Nadeln. Außerdem wurde eine andere Salve in die Luft, so wie wir die Bomben in Europa schleudern, geschossen. Ich glaube, eine Menge Pfeile fiel auf meinen Körper, ich habe sie aber nicht gefühlt. Einige richteten ihre Geschosse auf mein Gesicht, das ich sogleich mit der linken Hand bedeckte. Als dieser Pfeilschauer vorüber war, begann ich aus Gram und wegen meiner Schmerzen zu seufzen; ich versuchte wieder, mich loszumachen, und erhielt noch eine zweite und größere Salve; einige suchten mit Speeren in meine Seite zu stechen; zum Glück aber trug ich ein Wams von Büffelleder, das sie nicht durchbohren konnten. Ich hielt es deshalb für das klügste, regungslos liegenzubleiben, bis die Nacht einbräche. Da meine linke Hand bereits von den Banden gelöst war, konnte ich mich sehr leicht gänzlich befreien, und was die Einwohner betraf, so hegte ich die Überzeugung, ihrem größten Heere vollkommen gewachsen zu sein, wenn alle Soldaten von derselben Größe wären wie jenes Geschöpf, das ich gesehen. Allein das Geschick hatte mir ein anderes Los beschieden. Als die Volksmasse meine Ruhe sah, gab sie mir keine weitere Salve von Pfeilen; aus dem Lärm, den ich vernahm, konnte ich jedoch den Schluß ziehen, daß ihre Anzahl sich vermehrte. Auch vernahm ich, wie man in Entfernung von vier Ellen, meinem rechten Ohr gegenüber, ungefähr eine Stunde lang in der Art polterte, wie wenn dort Arbeiter beschäftigt wären. Deshalb drehte ich den Kopf nach der Seite hin, so gut es die Stricke und Pfähle erlaubten, und erblickte ein ungefähr anderthalb Fuß hohes Gerüst, das, mit zwei oder drei Leitern versehen, vier jener Eingeborenen tragen konnte. Von dort aus hielt eins der Geschöpfe, wie es schien ein Mann von Stande, eine lange an mich gerichtete Rede, wovon ich aber keine Silbe verstand. Jedoch muß ich noch erwähnen, daß jene Hauptperson, bevor sie ihre Rede begann, dreimal ausrief: »Langro dehul san« (diese sowie auch die früheren Worte wurden mir später wiederholt erklärt). Hierauf traten ungefähr fünfzig Einwohner näher, welche die Stricke an der linken Seite meines Kopfes abschnitten, so daß ich diesen nach rechts hin drehen und die Gestalt sowie die Handlung des Diminutivmenschen, der reden wollte, beobachten konnte. Er war ein Mann von mittleren Jahren und schlanker als die andern drei, die ihn begleiteten. Einer davon war ein Page, der ihm die Schleppe trug und etwas länger als mein Mittelfinger zu sein schien. Die anderen beiden standen an den Seiten der hohen Person, um sie zu halten. Diese spielte vollkommen die Rolle eines Redners, und ich konnte manche Perioden der Drohung, eine andere der Versprechung, des Mitleids und der Höflichkeit unterscheiden. Ich antwortete in wenig Worten, jedoch in der untertänigsten Weise. Die linke Hand und die Augen erhob ich zur Sonne, als wollte ich sie zum Zeugen anrufen. Da ich nun aber mehrere Stunden, bevor ich das Schiff verließ, nur einige sehr schmale Bissen gegessen hatte, war ich jetzt beinahe verhungert; die Ansprüche der Natur wirkten deshalb mit solcher Stärke, daß ich es nicht unterlassen konnte, meine Ungeduld, vielleicht gegen die strengen Regeln des Anstandes, dadurch zu zeigen, daß ich meinen Finger mehreremal in den Mund steckte, um anzudeuten, ich müsse durchaus Nahrung zu mir nehmen. Der Hurgo (so nannten die anderen, wie ich nachher erfuhr, den erwähnten vornehmen Herrn) verstand mich vollkommen. Er stieg von dem Gerüst herab und gab Befehl, mehrere Leitern an meine Seite zu stellen; ungefähr hundert Einwohner stiegen hinauf und gingen mit Körben voll Fleisch, das auf des Königs Befehl nach der ersten Nachricht von meiner Ankunft hierher gesandt worden war, auf meinen Mund zu. Ich erkannte dies als das Fleisch verschiedener Tiere, konnte es aber nach dem Geschmack nicht unterscheiden. Mir wurden Keulen und Rippenstücke, von der Gestalt der Hammelkeulen und Rippen, gebracht; sie waren sehr schmackhaft gekocht, aber nur von der Größe eines Lerchenflügels. Zwei oder drei steckte ich auf einmal mit drei runden Broten, so dick wie die Musketenkugeln, in den Mund. Jene Geschöpfe versahen mich nun so schnell wie möglich mit Nahrung und äußerten dabei mehr als tausendmal ihr Erstaunen über meine Größe und meinen Hunger. Darauf gab ich ein anderes Zeichen, daß ich zu trinken wünsche. Sie hatten durch meinen Appetit bereits erkannt, eine kleine Quantität würde mir nicht genügen, und da sie nun sehr verständig waren, zogen sie mit vieler Geschicklichkeit eines ihrer größten Fässer zu mir hinauf, rollten es auf meine Hand und stießen den Boden ein; denn es enthielt keine halbe Pinte und schmeckte beinahe wie der sogenannte Petit Bourgogne, aber köstlicher. Alsdann brachte man mir ein zweites Faß, das ich auf dieselbe Weise leerte; ich gab durch Zeichen zu verstehen, man möge mir noch mehr bringen, aber leider war nichts mehr vorhanden. Als ich diese Wunder vollbrachte, stießen die erwähnten Geschöpfe ein lautes Geschrei aus, tanzten auf meiner Brust und wiederholten mehreremal, wie früher, »Hekinah Degul«. Dann gaben sie mir durch Zeichen zu verstehen, ich solle die leeren Fässer fortwerfen. Zuerst aber hatten sie den Umstehenden erklärt, auf ihrer Hut zu sein. Als die Fässer nun durch die Luft flogen, ertönte ein abermaliges Freudengeschrei.
Ich muß gestehen, daß ich wohl in Versuchung kam, dreißig oder vierzig von jenen Herren, die auf meiner Brust herumspazierten und die ich packen konnte, mit kurzem Prozeß auf den Boden zu werfen. Allein die Erinnerung meiner soeben überstandenen Plage, wahrscheinlich noch nicht die schlimmste Peinigung, die in der Macht jener Geschöpfe lag, und dann auch mein Ehrenwort, ruhig zu bleiben (denn so deutete ich mir meine untertänigen Bewegungen), brachten mich bald auf andere Gedanken. Außerdem hielt ich mich durch die Gesetze der Gastfreundschaft jenen Leuten für moralisch verpflichtet. Sie bewirteten mich ja mit so viel Kostenaufwand und Freigebigkeit. Dennoch mußte ich über die Unerschrockenheit dieser Diminutivmenschen staunen, die keck genug auf meinem Leibe spazierengingen, während meine Hand durchaus zu meiner Verfügung stand, und die dennoch nicht vor einem so wunderbaren Geschöpf, wie ich ihnen erscheinen mußte, erzitterten. Als meine neuen Bekannten darauf bemerkten, daß ich nicht weiter zu essen verlangte, erschien eine Person hohen Ranges von seiten Seiner Kaiserlichen Majestät. Seine Exzellenz stieg auf mein rechtes Knie, unter meinen Waden hinauf, marschierte mit einem Dutzend Trabanten an mein Gesicht, präsentierte mir sein Kreditiv mit dem königlichen Siegel, hielt es mir dicht vor die Augen und sprach ungefähr zehn Minuten ohne Zeichen von Zorn, jedoch mit dem Ausdruck der Entschlossenheit; oftmals wies die Exzellenz nach einer bestimmten Richtung, wo, wie ich bald bemerkte, die Hauptstadt in der Entfernung einiger Meilen lag. Seine Majestät hatte nämlich im Geheimen Rat beschlossen, mich dorthin transportieren zu lassen. Ich antwortete in wenig Worten. Allein, was half mir das? Deshalb machte ich ein Zeichen mit meiner noch freien Hand. Ich legte sie auf die andere (beiläufig gesagt, ich mußte mich sehr in acht nehmen, den Kopf Seiner Exzellenz nicht zu berühren und ihn oder sein Gefolge zu beschädigen) und dann auf meinen Kopf und meinen Leib. Dies sollte nämlich bedeuten, ich wünsche meine Freiheit. Wie es schien, verstand Seine Exzellenz mich vollkommen, schüttelte jedoch mißbilligend ihr Haupt und hielt ihre Hand in solcher Art, daß sie mir zu verstehen gab, ich müsse als Gefangener fortgeführt werden. Zugleich aber eröffnete sie mir durch andere Zeichen, ich würde Getränke und Speise zur Genüge erhalten und sehr gut behandelt werden. Hierauf versuchte ich noch einmal, meine Fesseln zu zerreißen, allein zum zweitenmal empfand ich das Prickeln der Pfeile auf Gesicht und Händen, die bereits mit Blasen bedeckt waren; auch fühlte ich, daß noch einige Pfeile in der Haut steckten, und sah zugleich, wie die Zahl meiner Feinde sich vermehrte. So gab ich Zeichen, sie möchten mit mir tun, was sie wollten. Alsdann entfernte sich der Hurgo nebst seinem Gefolge mit vieler Höflichkeit und vergnügtem Gesicht. Bald darauf vernahm ich einen allgemeinen Schrei, worin die Worte »Peplom selan« häufig wiederholt wurden; ich fühlte zugleich, wie eine Menge von Leuten die Stricke an meiner linken Seite in der Art löste, daß ich mich auf die rechte umdrehen konnte, um endlich meine Blase zu erleichtern. Dies tat ich in vollem Maße, zum großen Erstaunen meiner neuen Bekannten, die aus meinen Bewegungen auf mein Vorhaben schlossen und sogleich rechts und links eine Gasse öffneten, den Strom zu vermeiden, der mit solchem Getöse und solcher Heftigkeit aus mir hervorbrauste. Zuvor jedoch hatten sie mir Gesicht und Hände mit einer angenehm duftenden Salbe eingerieben, die in wenigen Minuten den durch die Pfeile verursachten Schmerz heilte; dieser Umstand sowie auch die Erfrischung, die ich durch Getränk und Speise erhalten hatte, die wirklich sehr nahrhaft war, machte mich zum Schlaf geneigt. Wie man mir nachher gesagt hat, schlief ich acht Stunden, und dies war sehr natürlich, denn die Ärzte hatten auf Befehl des Kaisers ein Schlafmittel mit dem Weine gemischt.
Der Kaiser war, sobald man mich nach meiner Landung auf dem Strande schlafend gefunden hatte, wahrscheinlich sogleich durch Kuriere davon benachrichtigt worden und hatte im Staatsrat beschlossen, man solle mich in der von mir berichteten Weise fesseln und verhaften, wie es während meines Schlafes geschah; ferner solle mir Speise und Trank zur Genüge gereicht und eine Maschine zu meinem Transport in die Hauptstadt instand gesetzt werden.
Dieser Entschluß konnte vielleicht kühn und gefährlich erscheinen; auch würde ein europäischer Fürst bei ähnlicher Gelegenheit schwerlich eine solche Maßregel treffen. Nach meiner Meinung war er aber sowohl klug als edelmütig. Hätten nämlich jene Leute es versucht, mich mit ihren Pfeilen und Speeren zu töten, während ich schlief, so wäre mein erstes Gefühl beim Erwachen sicherlich ein heftiger Schmerz gewesen; dadurch wären meine Wut und alle meine Kraft erregt worden, so daß ich meine Bande sehr leicht würde zersprengt haben. Da sie in dem Fall mir keinen Widerstand hätten leisten können, durften sie auch keine Gnade erwarten.
Das Volk zeichnet sich durch mathematisches Wissen aus und hat es zu einer großen Vollkommenheit in mechanischen Arbeiten gebracht, weil der Kaiser, der überhaupt als berühmter Beschützer der Gelehrten gilt, jene Bestrebungen unterstützt und ermutigt. Dieser Fürst besitzt mehrere auf Rädern ruhende Maschinen zum Transport der Bäume und anderer Dinge von großem Gewicht. Er läßt seine größten Kriegsschiffe, wovon einige an neun Fuß lang sind, meist an Ort und Stelle, wo das Zimmerholz wächst, verfertigen und dann auf eine Entfernung von drei- bis vierhundert Ellen zur See fahren. Fünfhundert Zimmerleute und Ingenieure wurden sogleich in Tätigkeit gesetzt, um die größte Maschine der Art, die vorhanden war, in Eile herzurichten. Es war ein hölzerner um drei Zoll über dem Boden erhöhter Bau, sieben Fuß lang, vier Fuß breit, und mit zweiundzwanzig Rädern versehen. Der Freudenruf, den ich vernahm, erscholl wegen der Ankunft der Maschine, die, wie es schien, schon vier Stunden nach meiner Landung in Bewegung gesetzt wurde. Sie wurde mit meiner Lage parallel gestellt; aber nun kam die größte Schwierigkeit. Wie sollte ich auf das Fuhrwerk gehoben werden? Achtzig Pfähle von einem Fuß Höhe wurden zu diesem Zwecke eingerammt. Sehr starke Stricke, von der Dicke eines Bindfadens, wurden mit Haken an einer gleichen Zahl von Banden befestigt, welche die Arbeiter mir um Hände, Hals, Leib und Arme geschlungen hatten. An den Pfählen hingen diese Stricke auf Rollen; neunhundert der stärksten Männer wanden diese auf. Somit wurde ich in ungefähr drei Stunden emporgehoben, in die Maschine geworfen und dort festgebunden. Alles dies ist mir nachher erzählt worden, denn während der Operation lag ich, infolge des Schlaftrunkes in dem von mir genossenen Weine, im tiefsten Schlaf. Fünfzehnhundert Pferde, die größten, die der Kaiser besaß, die an Länge zwei Zoll und an Höhe einen halben Zoll betrugen, wurden vorgespannt, um mich zur Hauptstadt zu ziehen, die, wie ich hörte, eine halbe Meile entfernt war.
Nachdem wir ungefähr vier Stunden unterwegs gewesen waren, erwachte ich durch einen lächerlichen Umstand. Als nämlich das Fuhrwerk anhielt, damit irgendeiner plötzlichen Verwirrung abgeholfen werde, konnten zwei oder drei junge Eingeborene ihre Neugier, mich schlafen zu sehen, nicht unterdrücken. Sie kletterten auf das Fuhrwerk und schlichen sich auf den Zehen an mein Gesicht. Einer von ihnen, ein junger Gardeoffizier, steckte aber in mein linkes Nasenloch die Spitze seines Spontons, die mich wie ein Strohhalm kitzelte, so daß ich mehrere Male niesen mußte. Dann schlichen sie sich unbemerkt davon, und erst nach drei Wochen erfuhr ich die Ursache meines plötzlichen Erwachens. Während der übrigen Zeit machten wir einen langen Marsch; in der Nacht ward haltgemacht. Fünfhundert Gardisten waren an jeder Seite aufgestellt; die eine Hälfte von diesen trug Fackeln, die andere, mit Bogen und Pfeilen ausgerüstet, stand bereit, auf mich zu schießen, sobald ich mich rühren würde. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang setzten wir uns wieder in Bewegung und waren gegen Mittag nur noch zweihundert Ellen von den Stadttoren entfernt. Der Kaiser kam uns mit seinem ganzen Hofe entgegen; die Großoffiziere wollten aber durchaus nicht leiden, daß Seine Majestät durch das Besteigen meines Körpers sein Leben in Gefahr setze.
Der Wagen hielt bei einem alten Tempel an, der, wie es hieß, der größte im ganzen Königreiche war. Einige Jahre vorher war er durch einen scheußlichen Mord befleckt worden. Das Volk hielt ihn deshalb für entweiht, und man hatte ihn nunmehr zum profanen Gebrauch bestimmt und alle heiligen Geräte und Verzierungen daraus hinweggeschafft. Das Gebäude wurde mir als Wohnung angewiesen. Das große nach Norden hin gerichtete Tor war vier Fuß hoch und zwei Fuß breit, so daß ich bequem hindurchkriechen konnte. Auf jeder Seite dieses Tores befand sich, kaum sechs Fuß über dem Boden, ein kleines Fenster; an dem linken spannte der Hofschmied des Kaisers einundneunzig Ketten aus, von der Größe derer, woran die Damen ihre Uhren tragen; diese wurden mit einundsechzig Schlössern an meinem linken Beine befestigt. Dem Tempel gegenüber, auf der anderen Seite der Heerstraße, stand in der Entfernung von zwanzig Fuß ein wenigstens fünf Fuß hoher Turm. Diesen bestieg der Kaiser mit dem ersten Adel seines Hofes, um mich zu sehen. Ich selbst konnte die Herren nicht erblicken, habe aber den Vorfall nachher erfahren. Zu demselben Zweck sollen wenigstens hunderttausend Menschen aus der Stadt gekommen sein, und ich glaube, daß nicht weniger als zehntausend meinen Leib mit Leitern erstiegen und so den Verboten meiner Wachen trotzten. Bald aber erschien eine Verfügung, die diese Neugier bei Todesstrafe untersagte.
Als die Arbeiter sahen, daß es mir unmöglich war, meine Ketten zu brechen, durchschnitten sie alle Stricke, womit ich gefesselt war. Hierauf erhob ich mich in so melancholischer Gemütsverfassung, wie ich sie bisher noch nie empfunden hatte. Der Lärm und das Staunen des Volkes, als man mich aufstehen und herumgehen sah, sind nicht zu beschreiben. Die Ketten an meinem linken Beine waren ungefähr zwei Ellen lang und gestatteten mir nicht nur, im Halbkreis vorwärts und rückwärts zu gehen, sondern erlaubten mir auch, in das Tor zu kriechen und mich der Länge nach im Tempel auszustrecken, da sie vier Zoll vom Tore entfernt befestigt waren.
Als ich nun auf den Füßen stand, sah ich mich ein wenig um, und ich muß gestehen, daß ich niemals eine so schöne Aussicht erblickt habe. Die Umgebung erschien wie ein Garten, und die eingehegten Felder, die meist vierzig Quadratfuß umfaßten, glichen Blumenbeeten. Diese Felder waren untermischt mit Wäldern von acht Fuß Umfang; die größten Bäume schienen sieben Fuß hoch zu sein. Links erblickte ich die Hauptstadt, die einer auf Theaterkulissen gemalten Stadt glich. Schon seit einigen Stunden wurde ich von Naturbedürfnissen heftig gedrängt, und dies war wahrlich kein Wunder, denn schon seit zwei Tagen hatte ich mich nicht entleert. Ich befand mich in großer Klemme zwischen Not und Scham. Das beste Auskunftsmittel, das mir einfiel, war, in mein Haus zu kriechen. Ich tat es, schloß das Tor, ging, soweit es die Länge meiner Ketten erlaubte, hinein und erleichterte meinen Körper. Dies war jedoch das einzige Mal, daß ich mich einer so unreinlichen Handlung schuldig machte; auch hoffe ich in diesem Punkte auf die Nachsicht des gütigen Lesers, wenn er reiflich und unparteiisch meinen Fall und meine schlimme Lage geprüft haben wird. Von dieser Zeit an war stets meine Gewohnheit, sobald ich aufstand, dieses Geschäft in der freien Luft abzutun; und jeden Morgen wurde auch gehörig Sorge getragen, daß der anstößige Stoff, ehe Gesellschaft kam, von zwei dazu angestellten Dienern auf Karren fortgebracht wurde. Ich würde vielleicht bei einem Umstande nicht so lange verweilen, der beim ersten Eindruck als nicht sehr wichtig erscheint, hätte ich es nicht für notwendig gehalten, meinen Ruf in betreff der Reinlichkeit vor der Welt zu rechtfertigen, da Verleumder, wie ich höre, bei diesem Anlaß und anderen Gelegenheiten diese in Frage gestellt haben.
Als dies Abenteuer zu Ende war, ging ich wieder aus meinem Hause, denn ich bedurfte der frischen Luft. Der Kaiser war bereits vom Turm herabgestiegen und ritt auf mich zu, was ihm beinahe teuer zu stehen gekommen wäre. Sein Pferd, obgleich trefflich zugeritten, bäumte sich bei dem ungewöhnlichen Anblick, denn es mußte ihm scheinen, ein Berg bewege sich vor seinen Augen. Der Fürst jedoch, der ein vorzüglicher Reiter war, hielt sich im Sattel, bis seine Begleiter herbeieilten und das Pferd am Zaume ergriffen, so daß Seine Majestät Zeit hatten abzusteigen. Als der Kaiser abgestiegen war, besah er mich von oben bis unten mit großer Bewunderung, hielt sich aber immer aus dem Bereich meiner Ketten. Er befahl alsdann seinen Köchen und Kellermeistern, die schon mit allem bereit waren, mir Essen und Trinken zu reichen. Diese Nahrung schoben sie mir auf einer Art von Fuhrwerken hin, bis ich sie ergreifen konnte. Ich nahm aber diese Fuhrwerke und leerte sie in kurzem sämtlich aus. Zwanzig waren mit Fleisch, zehn mit geistigem Getränk in irdenen Geschirren beladen. Jedes lieferte mir zwei oder drei gute Bissen. Das Getränk von zehn irdenen Gefäßen goß ich in einen solchen Wagen und leerte diesen mit einem Zuge. Die Kaiserin und die jungen Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt saßen mit einem Gefolge vieler Damen in einiger Entfernung auf Stühlen. Bei dem Unfall des kaiserlichen Pferdes standen sie auf und traten näher an die Person Seiner Majestät heran, die ich jetzt genauer beschreiben will. Der Kaiser ist um die Breite meines Nagels größer als seine Hofleute; und dies allein genügt, die, welche ihn sehen, mit Ehrfurcht zu erfüllen. Seine Gesichtszüge sind stark und männlich; seine Lippe ist österreichisch, seine Nase gebogen, Leib und Glieder in schönem Verhältnis gebildet, seine Bewegungen anmutig, seine Haltung majestätisch. Er war damals schon über die erste Jugendblüte hinaus, denn er zählte achtundzwanzigdreiviertel Jahre. Sieben Jahre hatte seine glückliche und im allgemeinen siegreiche Regierung gedauert. Um ihn besser betrachten zu können, legte ich mich auf die Seite, so daß sein Gesicht mit dem meinigen in gleicher Höhe stand, während er sich drei Ellen von mir entfernt hielt. Später habe ich ihn jedoch öfter in der Hand gehalten und kann mich deshalb in der Beschreibung nicht täuschen. Seine Kleidung war sehr einfach; die Mode halb orientalisch, halb europäisch. Er trug auf dem Haupte einen leichten goldenen, mit Juwelen geschmückten Helm, von dessen Spitze eine Feder herabwehte. Er hielt sein blankes Schwert in der Hand, um sich zu verteidigen, im Fall ich losbräche; es war beinahe drei Zoll lang, Scheide und Griff mit Diamanten besetzt. Seine Stimme klang schrill, war aber zugleich deutlich und vernehmlich; sogar wenn ich aufstand, konnte ich sie hören. Die Damen und Herren des Hofes waren sämtlich mit vieler Pracht gekleidet, so daß es scheinen konnte, als sei auf dem Orte, wo sie standen, ein mit gestickten Figuren in Gold und Silber ausgeschmücktes Damenkleid der Länge nach ausgebreitet. Seine Majestät erwies mir die Ehre, öfter mit mir zu reden, und gab auch Erwiderungen, allein wir konnten einander nicht verstehen. Auch waren mehrere Priester und Rechtsgelehrte gegenwärtig (auf den Stand schloß ich aus der Kleidung), die den Auftrag hatten, mich anzureden; ich wollte mich mit ihnen in allen Sprachen unterhalten, worin ich mich nur einigermaßen ausdrücken konnte: im Deutschen, Holländischen, Lateinischen, Französischen, Spanischen, Italienischen und in der Lingua franca. Allein meine Bemühung half zu nichts.
Nach zwei Stunden entfernte sich der Hof. Eine stärkere Wache ward vor mir aufgestellt, um die Impertinenz und wahrscheinlich auch die Bosheit des Pöbels abzuwehren, der sehr begierig war, mir so nahe zu kommen, wie er durfte. Einige waren sogar so unvorsichtig, ihre Pfeile auf mich abzuschießen, als ich auf dem Boden vor meinem Hause saß, und ein Pfeil hätte sogar beinahe mein linkes Auge getroffen. Allein der Oberst befahl, sechs der Rädelsführer verhaften zu lassen, und hielt es für die passendste Strafe, sie mir gefesselt zu überliefern; sein Befehl wurde von den Soldaten sogleich ausgeführt, indem sie die Gefangenen mit den Lanzenspitzen in mein Bereich trieben. Ich nahm sie sämtlich in meine rechte Hand, steckte fünf in meine Rocktasche und gab mir das Ansehen, als wollte ich den sechsten lebendig essen. Der arme Mann schrie furchtbar, und der Oberst wurde mit seinen Offizieren doch besorgt, besonders als sie sahen, wie ich mein Messer aus der Tasche zog; allein ich beschwichtigte bald diese Furcht, denn ich schaute ihn mit sanften Blicken an, durchschnitt seine Fesseln und setzte ihn auf den Boden. Natürlich lief er fort. Die übrigen behandelte ich in derselben Art, als ich sie einen nach dem anderen aus der Tasche gezogen hatte und ich bemerkte, daß sowohl Soldaten als Volk über dieses Zeichen meiner Gnade entzückt waren, was bei Hofe sehr zu meinen Gunsten berichtet wurde.
Am Abend gelangte ich mit einiger Schwierigkeit in mein Haus und legte mich dort auf den Boden nieder. Dies mußte ich ungefähr vierzehn Tage lang tun, während welcher Zeit auf Befehl des Kaisers ein Bett für mich vorgerichtet wurde. Sechshundert Betten von gewöhnlichem Maß wurden in mein Haus gebracht und dort bearbeitet; hundertundfünfzig Betten, zusammengenäht, bildeten die Länge und Breite einer Matratze; vier davon wurden übereinandergelegt, waren mir aber noch immer nicht bequem genug wegen der Härte des Fußbodens von poliertem Stein. In demselben Verhältnis wurde ich mit Kissen, Bettüchern und Decken versehen, die mir so ziemlich erträglich schienen, da ich so lange an Strapazen jeder Art gewöhnt gewesen war.
Als die Nachricht von meiner Ankunft sich im Königreiche verbreitete, strömte eine wunderliche Menge reicher, fauler und neugieriger Leute herbei, um mich zu sehen. Die Dörfer standen beinahe leer, und eine bedeutende Vernachlässigung der Landwirtschaft hätte die Folge sein müssen, wenn Seine Kaiserliche Majestät diese Nachteile nicht durch mehrere Proklamationen verhindert hätte. Sie gebot, alle diejenigen, die mich bereits gesehen hätten, sollten nach Hause kehren und sich nicht unterstehen, ohne Erlaubnis des Hofes bis auf fünfzig Ellen in den Bereich meines Hauses zu kommen. Hierdurch erlangten zugleich die Staatssekretäre bedeutende Honorare.
Mittlerweile hielt der Kaiser häufig Ratsversammlungen ab, um zu überlegen, wie man mit mir verfahren solle. Ein besonderer Freund, zugleich ein Mann von höchstem Stande, der alle Geheimnisse vortrefflich kannte, hat mir nachher die Versicherung gegeben, der Hof sei meinetwegen in bedeutender Verlegenheit gewesen. Man fürchtete, ich möchte meine Fesseln zerreißen oder so viel essen, daß eine Hungersnot die notwendige Folge sein müßte. Einige Male beschloß der Hof, mich verhungern zu lassen, oder Gesicht und Hände mit vergifteten Pfeilen zu beschießen, die mich bald getötet haben würden; dann aber überlegte man wieder, der Gestank einer so großen Leiche könne eine Pest in der Hauptstadt verursachen, die sich dann wahrscheinlich im ganzen Königreiche verbreitet hätte. Während dieser Beratungen traten mehrere Offiziere an die Tür des Saales, wo der Rat versammelt war. Zwei von ihnen wurden herein gelassen und berichteten über mein Verfahren gegen die sechs vorher erwähnten Verbrecher. Dies machte auf das Herz Seiner Majestät und auf den ganzen Rat einen so günstigen Eindruck, daß ein kaiserlicher Befehl erlassen wurde, wonach alle Dörfer bis auf die Entfernung von neunhundert Ellen jeden Morgen sechs Ochsen, vierzig Schafe und andere Nahrung zu meinem Lebensunterhalte liefern sollten; darunter befand sich eine verhältnismäßige Masse von Brot, Wein und anderen geistigen Getränken. An Zahlungs Statt gab Seine Majestät Anweisungen auf die Schatzkammer, denn dieser Fürst bestreitet seinen Hofhalt fast ausschließlich aus den Einkünften seiner Domänen. Nur selten und bei außerordentlichen Gelegenheiten werden Abgaben von den Untertanen erhoben, die dagegen auf ihre eignen Kosten Kriegsdienste leisten müssen. Auch wurden sechshundert Personen als meine Bedienten angestellt, die bestimmten Lohn für ihre Nahrung und passend eingerichtete Zelte an den beiden Seiten meiner Tür zur Wohnung erhielten. Ferner wurde befohlen, dreihundert Schneider sollten mir einen Anzug nach der Mode des Landes verfertigen; sechs Gelehrte, und zwar die bedeutendsten im Reiche Seiner Majestät, sollten mich in der Landessprache unterrichten; endlich sollten die Pferde des Kaisers, die des Adels und der Garden häufig vor mir geritten werden, damit sie sich an meine Person gewöhnten. Alle diese Befehle wurden gehörig zur Ausführung gebracht; nach ungefähr drei Wochen hatte ich bedeutende Fortschritte im Erlernen der Sprache gemacht; währenddessen beehrte mich der Kaiser häufig mit seinen Besuchen und hatte die Gnade, meinen Lehrern beim Unterricht zu helfen. Wir fingen bereits an, uns einigermaßen zu verständigen, und die ersten Worte, die ich lernte, waren der Satz: Er möge mir gütigst meine Freiheit schenken, eine Phrase, die ich täglich kniend wiederholte. Seine Antwort, soviel ich begreifen konnte, lautete: Nur die Zeit könne meine Freiheit erwirken. Er dürfe ohne ein Gutachten seines Geheimen Rates mir diese nicht erteilen, und zuerst müßte ich Lumos kelmin pesso desmar lon emposo, das heißt, ihm und seinem Königreiche Urfehde schwören. Ich würde übrigens mit aller Milde behandelt werden. Dann riet er mir, durch Geduld und kluges Betragen mir seine und seiner Untertanen Achtung zu erwerben. Er sprach den Wunsch aus: Ich möge es ihm nicht übelnehmen, wenn er bestimmten Beamten den Befehl erteile, mich zu durchsuchen; wahrscheinlich würde ich verschiedene Waffen mitgebracht haben, die notwendigerweise höchst gefährliche Dinge sein müßten, wenn sie meiner Größe entsprächen. Ich antwortete: Seine Majestät werde zufriedengestellt werden. Ich sei bereit, mich zu entkleiden und meine Taschen vor ihren Augen auszuleeren. Diese Antwort gab ich teils durch Zeichen, teils auch durch Worte. Er sagte hierauf: Nach den Gesetzen des Königreichs müsse ich mich von zweien seiner Beamten durchsuchen lassen; er wüßte, dies könne ohne meine Einstimmung und Hilfe nicht geschehen. Alles, was sie mir nehmen, werde mir zurückerstattet werden, sobald ich das Land verließe, oder ich würde nach einem von mir festgesetzten Preise die Zahlung des Wertes erhalten. Die beiden Beamten setzte ich dann auf meine Hand, steckte sie zuerst in die Taschen meines Überrocks und hierauf in die übrigen meiner Kleider, nur ließ ich in meinen Beinkleidern einige Behälter aus, die kleine, mir notwendige Artikel enthielten, die ihnen jedoch gleichgültig sein konnten. In einer Tasche trug ich eine silberne Uhr und in der anderen einen Beutel mit einigem Geld. Da diese Herren Feder, Tinte und Papier bei sich hatten, schrieben sie ein genaues Verzeichnis von allem, was sie sahen, nieder, und als sie fertig waren, baten sie mich, sie wieder auf den Boden zu setzen, damit sie das Verzeichnis dem Kaiser überbringen könnten. Dies Verzeichnis übersetzte ich nachher ins Englische, und es lautet Wort für Wort folgendermaßen:
Erstens: In der rechten Tasche des großen Bergmenschen (so übersetzte ich die Worte Quinbus Flestrin) fanden wir nach der genauesten Untersuchung nur ein großes Stück rauhen Tuches, breit genug, einen Fußteppich für Euer Majestät erstes Staatszimmer zu bilden. In der linken Tasche sahen wir eine große silberne Kiste mit einem Deckel von demselben Metall, welchen wir, die Visitatoren, nicht aufheben konnten. Wir baten deshalb, die Kiste zu öffnen; einer von uns trat hinein und geriet bis an die Mitte des Beines in eine Art Staub, der uns ins Gesicht flog und uns beide heftig und mehreremal niesen ließ. In seiner rechten Westentasche fanden wir ein ungeheures Bündel weißer und dünner Substanz, die übereinandergelegt ungefähr die Dicke von drei Menschen betrug. Sie war mit einem starken Tau umwunden und mit schwarzen Figuren bemalt. Nach unserer untertänigsten Meinung bestehen diese in Buchstaben, von denen jeder halb so groß ist wie die Fläche unserer Hand. In der linken Westentasche befand sich eine Art Maschine, von deren Rücken zwanzig lange Pfähle sich ausdehnten, denen ähnlich die Palisaden vor dem Palaste Eurer Majestät bilden. Hiermit kämmt sich der Bergmensch, wie wir vermuten, seine Haare. Wir haben ihn nämlich nicht immer mit Fragen belästigt, weil wir es sehr schwierig fanden, uns einander verständlich zu machen. In der großen Tasche rechts an seiner Mittelkleidung (so übersetze ich das Wort Pan-fu-to, womit sie meine Beinkleider bezeichneten) sahen wir einen hohlen Pfeiler aus Eisen von einer Mannslänge, mit einem starken Stück Zimmerholz von noch größerem Umfange als der Pfeiler. Auf einer Seite des Pfeilers ragten große Eisenstücke in sonderbaren Figuren hervor, die wir nicht zu erklären vermögen. In der linken Tasche befand sich eine Maschine derselben Art. In der kleinen Tasche rechts waren mehrere runde und flache Stücke von weißem und rotem Metall; einige weiße, wie es schien, aus Silber bestehend, waren so groß, daß ich und mein Kamerad sie kaum in die Höhe heben konnten. In der linken Tasche waren zwei Pfeiler von unregelmäßiger Gestalt. Wir konnten nicht ohne Schwierigkeit bis auf ihren Gipfel reichen, als wir auf dem Boden der Tasche standen. Einer davon war bedeckt und schien aus einem Stück verfertigt zu sein, an dem obern Ende des anderen befand sich aber eine weiße runde Substanz, zweimal so dick wie unsere Köpfe. In jedem war eine wundersame Stahlfläche eingelassen, die wir ihn durch unseren Befehl zu öffnen zwangen; wir befürchteten nämlich, dieses könnten gefährliche Maschinen sein. Er nahm die Stahlflächen aus ihrem Gehäuse und sagte uns, in seinem Lande sei es Sitte, sich mit der einen zu rasieren und mit der anderen die Fleischspeisen zu zerschneiden. In zwei Taschen konnten wir nicht eindringen; er nannte diese seine kleineren Behälter; sie bestanden in zwei breiten Schlitzen an dem obern Teile seines Mittelkleides, die aber durch die Spannung seines Leibes eng geschlossen waren. Aus dem rechten Behälter hing eine dicke, silberne Kette mit einer wunderbaren Maschine am Ende. Wir befahlen ihm, sie herauszuziehen, was auch immer sich dort befinden möge. Sie bestand aus einer Kugel, zur Hälfte von Silber, zur Hälfte von einem anderen durchsichtigen Metall. An der durchsichtigen Seite sahen wir mehrere sonderbare kreisförmige Figuren und glaubten, diese berühren zu können, bis unsere Finger durch die helle Substanz aufgehalten wurden. Als er die Maschine an unsere Ohren hielt, machte sie ein fortwährendes, dem einer Wassermühle ähnliches Geräusch: Wie wir vermuten, ist das entweder ein unbekanntes Tier oder der Gott, den er verehrt. Wir sind aber zu der letzteren Meinung geneigter, weil er uns versicherte (wenn wir ihn nämlich recht verstanden haben, denn er ist noch immer nicht imstande, sich richtig auszudrücken), er tue selten etwas, ohne jenes Ding um Rat zu fragen. Er nannte es sein Orakel und sagte, es bezeichne die Zeit jeder Handlung seines Lebens. Aus der linken Tasche zog er ein Netz heraus, groß genug, um einem Fischer bei seinem Geschäft zu dienen; er verstand es jedoch, dieses wie einen Geldbeutel zu öffnen und zu schließen, und es versah ihm wirklich die Dienste eines solchen. Wir fanden darin mehrere massive Stücke gelben Metalls, die von ungeheurem Wert sein müssen, wenn sie wirklich aus Gold verfertigt sind.
Nachdem wir so auf Befehl Eurer Majestät mit Sorgfalt seine Taschen durchsucht hatten, bemerkten wir einen Gürtel um seinen Leib, aus der Haut eines wunderbaren Tieres verfertigt, an dem links ein Degen von fünffacher Mannslänge herabhing, rechts ein in zwei Zellen abgeteilter Sack oder Beutel; jede Zelle kann ungefähr zwei Untertanen Eurer Majestät aufnehmen. In einer dieser Zellen befanden sich Kugeln oder Bälle von sehr schwerem Metall von der Dicke unserer Köpfe, die eine sehr starke Hand zum Aufheben erforderten; die andere Hälfte enthielt einen Haufen schwarzer Körner von keinem großen Umfang oder Gewicht, denn wir konnten ungefähr fünfzig auf unserer Handfläche halten.
Dies ist ein genaues Verzeichnis aller Dinge, die wir an dem Leibe des Bergmenschen gefunden haben, der uns mit vieler Höflichkeit behandelte und der geziemende Achtung vor dem Auftrage Eurer Majestät bewies. Unterschrieben und besiegelt am vierten Tage des neunundachtzigsten Monats der glücklichen Regierung Eurer Majestät
Flessen Frelock. Marsi Frelock.
Als dieses Verzeichnis dem Kaiser vorgelesen worden war, befahl er mir, jedoch in höflichen Ausdrücken, alle angeführten Artikel auszuliefern. Zuerst verlangte er meinen Degen, den ich mit Scheide und allem Zubehör herbeibrachte. Mittlerweile ließ er 3000 Mann auserwählte Truppen, die ihn begleiteten, manövrieren, um mich zu umringen. Bogen und Pfeile wurden in der Art bereitgehalten, daß eine Salve auf Befehl sogleich gegeben werden konnte. Dies jedoch bemerkte ich nicht, denn meine Augen waren allein auf Seine Majestät gerichtet. Dann bat er mich, den Degen zu ziehen, der fast überall noch sehr glänzte, obgleich er durch Seewasser etwas verrostet war; ich tat es, und sogleich erscholl von den Truppen ein lauter Ruf, der teils von Schrecken, teils von Überraschung zeugte. Die Sonne schien hell, und der Lichtreflex blendete die Augen der Leute, als ich den Degen in meiner Hand hin und her schwang. Seine Majestät ist ein sehr mutiger Fürst und erschrak weniger, als ich erwarten konnte. Er befahl mir, den Degen wieder in die Scheide zu stecken und dann so sanft wie möglich in der Entfernung von ungefähr sechs Fuß, soweit es meine Kette erlaubte, auf den Boden zu legen. Zunächst wurde dann einer der hohlen eisernen Pfeiler verlangt, worunter sie meine Taschenpistolen verstanden. Ich zog eine derselben heraus und machte ihnen so gut wie möglich den Gebrauch verständlich; alsdann lud ich sie nur mit Pulver aus dem engen Schlusse meiner Pulvertasche, in die kein Tropfen Seewasser hatte dringen können (kluge Seeleute pflegen sich stets mit einer solchen zu versehen). Zuvor ermahnte ich den Kaiser, nicht zu sehr zu erschrecken, und schoß dann in die Luft. Hier war das Erstaunen noch größer als bei dem Anblick des Degens. Hunderte fielen wie tot zu Boden, und sogar der Kaiser, obgleich er stehen blieb, konnte sich nicht so bald vom Schreck erholen. Ich lieferte meine Pistole in derselben Weise wie meinen Degen aus, hierauf auch meine Pulvertasche mit den Kugeln, indem ich bat, die erstere vom Feuer entfernt zu halten, denn der kleinste Funke würde den Inhalt sogleich entzünden und sein kaiserlicher Palast könnte alsdann in die Luft fliegen; ich überlieferte ferner meine Uhr, auf die der Kaiser sehr neugierig war; er befahl deshalb zweien seiner größten Gardisten, sie auf den Schultern herbeizubringen, indem sie an einem Pfahle in der Art hing, wie Kärrner in England ein Bierfaß tragen. Er wunderte sich über ihr Geräusch und über die Bewegung des Zeigers, den er sehr gut erkennen konnte, denn das Gesicht jener Leute ist bei weitem schärfer als das unsrige. Dann fragte er seine Gelehrten nach ihren Meinungen hierüber, die, wie sich der Leser leicht denken kann, auf sehr verschiedene Weise ausfielen; ich brauche sie wohl nicht zu wiederholen und konnte sie auch wirklich nicht ganz verstehen. Hierauf lieferte ich mein Silber- und Kupfergeld, meine Börse mit neun größeren Goldstücken und einigen kleineren aus, mein Taschen- und Rasiermesser, meine silberne Schnupftabaksdose, meinen Kamm, mein Schnupftuch und Tagebuch. Die Pistolen und die Pulvertasche wurden auf Wagen in die Vorratshäuser Seiner Majestät gebracht; mein übriges Eigentum wurde mir jedoch zurückgegeben.
Wie ich schon erwähnte, hatte ich noch eine besondere Tasche, die man bei den Nachsuchungen nicht bemerkt hatte. Hierin befand sich eine Brille (die ich wegen meiner schwachen Augen bisweilen gebrauchen muß), ein Taschenperspektiv und einige andere Geräte, die dem Kaiser von keinem Nutzen sein konnten, weshalb ich mich denn auch mit gutem Gewissen nicht für verpflichtet hielt, sie herauszugeben. Ich befürchtete nämlich, sie möchten verlorengehen oder verdorben werden, wenn ich sie überlieferte.
Meine Sanftmut und mein gutes Betragen hatten den Kaiser und seinen Hof sowie auch Heer und Volk im allgemeinen so sehr gewonnen, daß ich anfing, die Hoffnung zu hegen, ich würde in kurzem meine Freiheit erhalten: Ich gab mir alle mögliche Mühe, diese günstige Stimmung zu erhalten. Die Eingebornen fürchteten allmählich weniger Gefahr; bisweilen legte ich mich nieder und ließ fünf oder sechs auf meinen Kopf; Knaben und Mädchen wagten zuletzt, Verstecken in meinem Haare zu spielen. Auch hatte ich schon ziemliche Fortschritte im Verständnis der Landessprache gemacht. Eines Tages hatte der Kaiser den Einfall, mich mit dem Schaugepränge des Landes zu unterhalten, worin sein Volk alle anderen, die ich kenne, an Gewandtheit und Pracht übertrifft. Keines gefiel mir aber so sehr wie ein Seiltanz, der auf einem dünnen weißen Faden ausgeführt wurde, der ungefähr vier Fuß lang war und zwölf Zoll über dem Boden ausgespannt wurde. Ich nehme mir die Freiheit und des Lesers Geduld in Anspruch, hierüber ein wenig weitläufiger zu werden.