Gullivers Reisen - Jonathan Swift - E-Book

Gullivers Reisen E-Book

Jonathan Swift

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Beschreibung

Warnung: Kein Kinderbuch! Gullivers Reisen ist das bekannteste Werk des irischen Schriftstellers, Priesters und Politikers Jonathan Swift und gleichzeitig eines der wichtigsten der Literaturgeschichte. In der hier vorliegenden, unverfälschten und vollständigen Übersetzung der Originalfassung besteht der satirische Roman, der 1726 zuerst veröffentlicht wurde, aus vier Teilen: - Reise nach Lilliput - Reise nach Brobdingnag - Reise nach Laputa - Reise in das Land der Hauyhnhnms In farbenprächtiger und für damalige Zeiten äußerst satirischer Erzählweise bringt Swift seine Verbitterung über seine Zeitgenossen zu Papier und verpackt sie in vier Reiseberichte. Auch wenn die Reisen ins Lande Lilliput und nach Brobdingnag, ins Land der Riesen, die bekanntesten der vier Reisen darstellen, handelt es sich bei dieser Fassung nicht um ein Kinderbuch. Mit einer Biographie von Jonathan Swift Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 561

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Jonathan Swift

Gullivers Reisen

Jonathan Swift

Gullivers Reisen

(Gulliver’s Travels)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Franz Kottenkamp 2. Auflage, ISBN 978-3-954183-56-2

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Bio­gra­phie von Jo­na­than Swift – Sir Wal­ter Scott

I.

II.

III.

IV.

Buch 1: Rei­se nach Lil­li­put

Der Her­aus­ge­ber an den Le­ser

Brief des Ka­pi­täns Gul­li­ver an sei­nen Vet­ter Richard Sym­pson

Brief des Ka­pi­täns Gul­li­ver

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

An­hang zu der Rei­se nach Lil­li­put

Buch 2: Rei­se nach Brob­din­g­nag

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Buch 3: Rei­se nach La­pu­ta

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Buch 4: Rei­se in das Land der Hauy­hn­hnms

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Dan­ke

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Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

Das Buch

Gul­li­vers Rei­sen ist das be­kann­tes­te Werk des iri­schen Schrift­stel­lers, Pries­ters und Po­li­ti­kers Jo­na­than Swift und gleich­zei­tig ei­nes der wich­tigs­ten der Li­te­ra­tur­ge­schich­te.

In der hier vor­lie­gen­den, un­ver­fälsch­ten und voll­stän­di­gen Über­set­zung der Ori­gi­nal­fas­sung be­steht der sa­ti­ri­sche Ro­man, der 1726 zu­erst ver­öf­fent­lich wur­de, aus vier Tei­len:

Rei­se nach Lil­li­put

Rei­se nach Brob­din­g­nag

Rei­se nach La­pu­ta

Rei­se in das Land der Hauy­hn­hnms

In far­ben­präch­ti­ger und für da­ma­li­ge Zei­ten äu­ßerst sa­ti­ri­scher Er­zähl­wei­se bringt Swift sei­ne Ver­bit­te­rung über sei­ne Zeit­ge­nos­sen zu Pa­pier und ver­packt sie in vier Rei­se­be­rich­te.

Auch wenn die Rei­sen ins Lan­de Lil­li­put und nach Brob­din­g­nag, ins Land der Rie­sen, die be­kann­tes­ten der vier Rei­sen dar­stel­len, han­delt es sich bei die­ser Fas­sung nicht um ein Kin­der­buch.

Biographie von Jonathan Swift – Sir Walter Scott

Das Le­ben Swifts ist ein Ge­gen­stand voll In­ter­es­se und Be­leh­rung für alle die­je­ni­gen, die über die Wech­sel­fäl­le nach­den­ken mö­gen, aus de­nen das Ge­schick der Män­ner zu­sam­men­ge­setzt ist, die durch ih­ren Ruf und ihre Ta­len­te be­rühmt sind. Bei sei­ner Ge­burt von al­len Hülfs­mit­teln ent­blö­ßt, er­zo­gen durch das kal­te sorg­lo­se Mit­leid zwei­er Ohei­me, von aka­de­mi­schen Ehren aus­ge­schlos­sen, wäh­rend meh­re­rer Jah­re auf den un­zu­läng­li­chen Schutz Sir Wil­liam Temp­les be­schränkt, bie­ten die ers­ten Blät­ter der Ge­schich­te Swifts nur das Ge­mäl­de ei­nes er­nied­rig­ten, in sei­nen Hoff­nun­gen be­tro­ge­nen Ge­ni­us. Trotz al­ler die­ser Nach­tei­le brach­te er es da­hin, der Rat­ge­ber ei­nes bri­ti­schen Mi­nis­te­ri­ums, der ge­schick­tes­te Ver­tei­di­ger sei­nes Ver­wal­tungs­sys­tems und der ver­trau­te Freund al­ler der Män­ner zu wer­den, die un­ter der klas­si­schen Re­gie­rung der Kö­ni­gin Anna durch ih­ren Adel oder ihre Ta­len­te merk­wür­dig wa­ren.

Die Er­eig­nis­se sei­ner letz­ten Jah­re bie­ten einen nicht we­ni­ger auf­fal­len­den Kon­trast dar. In die Un­gna­de sei­ner Be­schüt­zer ver­wi­ckelt wur­de er ver­folgt, ver­ließ Eng­land, leb­te von sei­nen Freun­den ge­trennt, und er­reich­te dann auf ein­mal einen Grad von Po­pu­la­ri­tät, der ihn zum Ab­gott Ir­lands und zum Schre­cken de­rer mach­te, wel­che die­ses Kö­nig­reich re­gier­ten. Nicht we­ni­ger au­ßer­or­dent­lich ist sein Pri­vat­le­ben. Er lieb­te zwei der schöns­ten und an­zie­hends­ten Frau­en sei­ner Zeit und wur­de von ih­nen eben­falls zärt­lich ge­liebt; aber sein Schick­sal woll­te, daß er mit kei­ner der­sel­ben je­mals eine glück­li­che und fried­li­che Ver­bin­dung ein­ge­hen soll­te, und er sah sie nach ein­an­der in das Grab stei­gen mit der Über­zeu­gung, daß ihre töt­li­che Krank­heit durch den Schmerz über ihre be­tro­ge­nen Hoff­nun­gen und eine schlecht er­wi­der­te Lie­be ver­ur­sacht wor­den sei.

Swifts Ta­len­te, die Quel­le sei­ner Berühmt­heit und sei­nes Stol­zes, de­ren Glanz so lan­ge die Welt ge­blen­det und be­zau­bert hat­te, wur­den, je mehr er sich dem Ende sei­nes Le­bens nä­her­te, durch Krank­heit ver­dun­kelt, durch Lei­den­schaf­ten ver­kehrt, und ehe er das­sel­be er­reich­te, stan­den sie de­nen der ge­wöhn­lichs­ten Men­schen weit nach.

Swifts Le­ben ist also eine wich­ti­ge Leh­re für alle be­rühm­te Män­ner; es wird zei­gen, daß, wenn das Ge­nie auf der einen Sei­te vom Un­glück sich nicht nie­der­drücken las­sen soll, die Berühmt­heit an­de­rer­seits, so groß sie auch sei­en möge, den Ei­gen­dün­kel nicht er­mu­ti­gen müs­se. Wenn die­je­ni­gen, de­nen das Schick­sal die glän­zen­den Fä­hig­kei­ten ver­sagt hat, mit de­nen er be­gabt war, oder die­je­ni­gen, de­nen die Ge­le­gen­heit fehl­te, sie zu ent­wi­ckeln, die Ge­schich­te die­ses be­rühm­ten Man­nes le­sen, so wer­den sie die Über­zeu­gung ge­win­nen, daß das Glück we­der von ei­nem po­li­ti­schen Ein­fluß, noch von ei­nem großen Ruh­me ab­hän­gig ist.

I.

Jo­na­than Swift, Dok­tor der Theo­lo­gie und Dechant zu St. Pa­trick in Dub­lin, stamm­te von dem jün­ge­ren Zwei­ge der Fa­mi­lie Swift in der Graf­schaft York ab, die seit vie­len Jah­ren in die­ser Pro­vinz an­sä­ßig war.

Sein Va­ter war der sechs­te oder sie­ben­te Sohn des ehr­wür­di­gen Tho­mas Swift, Pfar­rers zu Goo­d­rich. Die Zahl der Kin­der die­ses Geist­li­chen und die Be­schei­den­heit ih­res Ver­mö­gens ge­stat­ten es nicht, die Auf­ein­an­der­fol­ge der­sel­ben ge­nau­er an­zu­ge­ben. Der Dechant selbst be­nach­rich­tigt uns, daß sein Va­ter ei­ni­ge Agent­schaf­ten und Äm­ter in Ir­land be­klei­de­te.

Jo­na­than wur­de zu Dub­lin in ei­nem klei­nen Hau­se im Court of Hoeys ge­bo­ren, das die Be­woh­ner die­ses Stadt­vier­tels noch zei­gen. Sei­ne Kind­heit war, wie die sei­nes Va­ters, durch einen son­der­ba­ren Um­stand be­zeich­net. Es war nicht die Wie­ge, die dies­mal von Sol­da­ten ge­raubt wur­de, wie es bei Tho­mas Swift ge­sche­hen war, son­dern dies­mal wur­de das Kind selbst ent­führt.

Die Amme, die von Whi­te­ha­ven war, wur­de von ei­nem ster­ben­den Ver­wand­ten, von dem sie ein Ver­mächt­nis er­war­te­te, in ihre Hei­mat zu­rück­ge­ru­fen. Sie war dem Kin­de, das ih­rer Sorg­falt an­ver­traut war, so zu­ge­tan, daß sie es mit sich nahm, ohne Frau Swift da­von zu be­nach­rich­ti­gen. Es blieb drei Jah­re in Whi­te­ha­ven; sei­ne Ge­sund­heit war so zart, daß sei­ne Mut­ter es kei­ne zwei­te Rei­se woll­te wa­gen las­sen, und es da­her der Frau über­ließ, die ihm die­se Pro­be ih­rer An­häng­lich­keit ge­ge­ben hat­te. Die gute Amme trug so viel Sor­ge für die Er­zie­hung des Kin­des, daß es, als es nach Dub­lin zu­rück­kam, buch­sta­bie­ren konn­te; mit fünf Jah­ren las es be­reits in der Bi­bel.

Swift teil­te die Dürf­tig­keit ei­ner Mut­ter, die er zärt­lich lieb­te, und leb­te von den Wohl­ta­ten sei­nes Oheims Go­di­vin. Die­se Ab­hän­gig­keit scheint von sei­ner Kind­heit an einen tie­fen Ein­druck auf sei­nen stol­zen Cha­rak­ter ge­macht zu ha­ben, und von die­ser Zeit an be­gann sich bei ihm je­ner men­schen­feind­li­che Geist zu zei­gen, den er nur zu­gleich mit dem Ge­brauch sei­ner in­tel­lek­tu­el­len Fä­hig­kei­ten ver­lor. Als nach­ge­bo­re­nes Kind, vom Mit­leid er­zo­gen, ge­wöhn­te er sich frü­he, den Tag sei­ner Ge­burt als einen Tag des Un­glücks zu be­trach­ten, und er ver­säum­te nie bei der all­jäh­ri­gen Wie­der­kehr die­ses Ta­ges die Stel­le in der Schrift zu le­sen, in wel­cher Hiob den Tag be­weint und ver­flucht, an wel­chem man im Hau­se sei­nes Va­ters an­zeig­te, »daß ein Männ­lein ge­bo­ren sei.«

In ei­nem Al­ter von sechs Jah­ren schick­te man ihn in die Schu­le von Kil­ken­ny, die von der Fa­mi­lie Or­mon­d ge­grün­det und aus­ge­stat­tet wor­den war. Hier zeigt man den Frem­den noch Swifts Pult, auf wel­chem er sei­nen Na­men mit ei­nem Mes­ser ein­ge­gra­ben habe.

Von Kil­ken­ny aus wur­de Swift im vier­zehn­ten Jah­re in das Drei­fal­tig­keits-Kol­le­gi­um nach Dub­lin ge­sandt. Es scheint nach den Re­gis­tern, daß er da­selbst als Kost­gän­ger am 24. April 1682 auf­ge­nom­men wur­de und St. Ge­org As­he zum Leh­rer ge­habt habe. Sein Vet­ter, Tho­mas Swift, wur­de um die­sel­be Zeit auf­ge­nom­men und die zwei Fa­mi­li­enna­men, die ohne die Tauf­na­men in den Re­gis­tern auf­ge­führt wur­den, ha­ben über ei­ni­ge ge­ring­fü­gi­ge Um­stän­de im Le­ben des Dechan­ten Un­ge­wiß­heit ver­brei­tet. Als Swift an die Uni­ver­si­tät auf­ge­nom­men wur­de, for­der­te man von ihm, sich mit den ge­wöhn­li­chen Stu­di­en je­ner Zeit ab­zu­ge­ben. Aber dar­un­ter gab es ei­ni­ge, die sei­nem Geis­te nicht sehr zu­sag­ten. Ver­ge­bens emp­fahl man ihm die Lo­gik, die man da­mals als die Wis­sen­schaft par ex­cel­lence be­trach­te­te. Er hat­te einen na­tür­li­chen Wi­der­wil­len ge­gen die So­phis­men des S­migle­ci­us, Kecker­man­nus, Bur­gers­di­ci­us und an­de­rer ernst­haf­ter Dok­to­ren, die wir heut zu Tage kaum mehr ken­nen. Sein Leh­rer konn­te es nicht da­hin brin­gen, daß er auch nur drei Sei­ten von die­sen Ge­lehr­ten in us las, ob­gleich es un­er­läß­lich war, einen Be­griff von den Er­klä­rern des Ari­sto­te­les zu ha­ben, um durch das Ex­amen zu kom­men. Eben­so ver­nach­lä­ßig­te er alle Stu­di­en, die ihm nicht ge­fie­len. Er las we­ni­ger, um sich zu be­leh­ren, als um sich zu un­ter­hal­ten, oder um trau­ri­ge Ge­dan­ken von sich ab­zu­hal­ten. Aber sei­ne Lek­tü­re war je­den­falls man­nig­fal­tig; und er muß­te viel ge­le­sen ha­ben, denn er hat­te be­reits eine Skiz­ze des »Mähr­chens von der Ton­ne« auf­’s Pa­pier ge­wor­fen, die er Hrn. Wa­ryng ge­zeigt hat­te. Was muß man dar­aus schlie­ßen? Daß ein trä­ger Stu­dent des sieb­zehn­ten Jahr­hun­derts durch Lek­tü­re, die er zum Zeit­ver­treib in sei­nen Mu­ße­stun­den vor­nahm, Kennt­nis­se er­wer­ben konn­te, die einen flei­ßi­gen Stu­den­ten un­se­rer Zeit in Stau­nen set­zen wür­den.

Wir ha­ben kei­ne si­chern An­ga­ben, um über den Um­fang der Kennt­nis­se Swifts ur­tei­len zu kön­nen; man kann nicht sa­gen, daß er ein tie­fes Wis­sen be­saß, aber ge­wiß ein man­nig­fal­ti­ges. Sei­ne Schrif­ten be­zeu­gen, daß die Ge­schich­te der al­ten und neu­en Poe­sie ihm ver­traut war; er ist nie in Ver­le­gen­heit, zur Be­stä­ti­gung des Ge­gen­stan­des, den er ge­ra­de vor sich hat, die klas­si­schen Stel­len an­zu­füh­ren, die für sei­nen Zweck die ge­eig­nets­ten sind. Ob­gleich er kei­ne hohe Vor­stel­lun­gen von sei­nen Kennt­nis­sen hat und sich den Vor­wurf mach­te, durch sei­ne Träg­heit und Un­wis­sen­heit einen aka­de­mi­schen Grad ver­scherzt zu ha­ben; ob­gleich er die­je­ni­gen hef­tig ta­del­te, die ei­nem Man­ne den Ti­tel ei­nes Ge­lehr­ten ga­ben, der nicht den größ­ten Teil sei­nes Le­bens den Stu­di­en ge­wid­met hat­te, mach­te er doch nicht viel aus ei­nem Stu­den­ten, der nichts als Fleiß be­saß.

Wäh­rend so Swift sei­ne Stu­di­en ohne Be­harr­lich­keit, nach sei­nen Lau­nen be­trieb, hät­te er sie beim Tode sei­nes Oheims God­win, bei des­sen Ge­le­gen­heit die Zer­rüt­tung sei­nes Ver­mö­gens an den Tag kam, bei­na­he un­ter­bre­chen müs­sen, wenn er nicht in sei­nem Oheim Dry­den Wil­liam Swift einen Gön­ner ge­fun­den hät­te. Herr Dry­den kam sei­nem Nef­fen zu Hil­fe; er be­han­del­te ihn, wie es scheint, mit mehr Ge­wo­gen­heit und Wohl­wol­len, als sein Bru­der God­win; aber sein nicht sehr be­trächt­li­ches Ver­mö­gen er­laub­te ihm nicht, frei­ge­bi­ger zu sei­en, als sein Bru­der. Swift hat sein An­den­ken stets wert ge­hal­ten, und spricht oft von ihm als von dem bes­ten sei­ner Ver­wand­ten. Er er­zähl­te oft einen Vor­fall, der, wäh­rend er im Kol­le­gi­um war, sich er­eig­ne­te, und des­sen Held sein Vet­ter Wil­lough­by Swift, der Sohn Dry­den Wil­liams, war. Swift, der ohne einen Pfen­nig in der Ta­sche in sei­nem Zim­mer saß, be­merk­te im Hofe einen Ma­tro­sen, der nach dem Zim­mer ei­nes Stu­den­ten zu fra­gen schi­en. Es kam ihm der Ge­dan­ke, die­ser Mensch kön­ne mit ir­gend ei­ner Bot­schaft von sei­nem Vet­ter Wil­lough­by be­auf­tragt sei­en, der da­mals Kauf­mann in Lissa­bon war. Kaum war ihm die­se Idee durch den Kopf ge­fah­ren, als die Türe sei­nes Zim­mers sich öff­ne­te, und der Frem­de, sich ihm nä­hernd, eine große le­der­ne Bör­se voll Geld aus der Ta­sche zieht, die er als ein Ge­schenk sei­nes Vet­ters Wil­lough­by vor Swift hin­legt. Swift hoch er­freut, reicht dem Bo­ten einen Teil sei­nes Schat­zes, den der ehr­li­che Ma­tro­se nicht an­neh­men will.

Von die­sem Au­gen­blick an be­schloß Swift, der das Un­glück der Dürf­tig­keit ken­nen ge­lernt hat­te, sein be­schei­de­nes Ein­kom­men so zu ver­wal­ten, daß er nie mehr in die äu­ßers­te Not käme. Er führ­te eine sol­che Ord­nung in sei­ner Le­bens­art ein, daß es aus sei­nen Ta­ge­bü­chern, die man auf­be­wahrt hat, her­vor­geht, wie er sich je­des Jahr bis auf einen Sou hin­aus von sei­nen Aus­ga­ben Re­chen­schaft ge­ben konn­te von sei­ner Uni­ver­si­täts­zeit an, bis zu dem Au­gen­blick, wo er den Ge­brauch sei­ner Geis­tes­kräf­te ver­lor.

Im Jah­re 1688 brach der Krieg in Ir­land aus; Swift war da­mals 21 Jah­re alt. Ohne viel Geld; wenn auch nicht ohne Kennt­nis­se, doch mit dem Rufe, kei­ne zu be­sit­zen, mit dem Ma­kel ei­nes un­ru­hi­gen und stör­ri­schen Cha­rak­ters, und ohne einen ein­zi­gen Freund, der ihn hät­te auf­neh­men und un­ter­hal­ten kön­nen, ver­ließ er das Kol­le­gi­um in Dub­lin. Mehr von der Lie­be, als von der Hoff­nung ge­lei­tet, schlug er den Weg nach Eng­land ein und be­gab sich zu sei­ner Mut­ter, wel­che da­mals in der Graf­schaft Lei­ces­ter wohn­te. Frau Swift, die sich selbst in ei­ner ab­hän­gi­gen und ärm­li­chen Lage be­fand, emp­fahl ih­rem Soh­ne, den Sir Wil­liam Tem­ple um Schutz an­zu­ge­hen, des­sen Gat­tin mit ihr ver­wandt war und die Fa­mi­lie Swift ge­kannt hat­te. Tho­mas Swift, der Vet­ter un­sers Au­tors, war Ka­plan des Sir Wil­liam ge­we­sen.

Man bat, und die Bit­te wur­de ge­währt; aber län­ge­re Zeit hin­durch be­merk­te man von Sei­ten Sir Wil­liam Temp­les kein Zei­chen der Lie­be oder des Ver­trau­ens. Der vollen­de­te Staats­mann, der fein ge­bil­de­te Ge­lehr­te fand wahr­schein­lich kei­nen be­son­de­ren Ge­schmack an dem reiz­ba­ren Cha­rak­ter und den un­voll­stän­di­gen Kennt­nis­sen sei­nes neu­en Tisch­ge­nos­sen. Aber die Vor­ur­tei­le Sir Wil­liams zer­streu­ten sich nach und nach: der Beo­b­ach­tungs­geist Swifts gab ihm die Mit­tel, zu ge­fal­len und er ver­mehr­te sei­ne Kennt­nis­se durch ein an­hal­ten­des Stu­di­um, dem er acht Stun­den täg­lich wid­me­te. Die­se Zeit, wohl an­ge­wen­det, mach­te einen Mann mit den Fä­hig­kei­ten Swifts zu ei­nem un­schätz­ba­ren Schat­ze für einen Gön­ner, wie Tem­ple, bei wel­chem er zwei Jah­re blieb. Das üble Be­fin­den Swifts nö­tig­te ihn, sei­ne Stu­di­en zu un­ter­bre­chen; eine Un­ver­dau­lich­keit hat­te sei­nen Ma­gen er­käl­tet und ihm apo­plec­ti­sche Zu­fäl­le1 zu­ge­zo­gen, die ihn an den Rand des Gra­bes brach­ten; die Wir­kun­gen der­sel­ben be­glei­te­ten ihn durch das gan­ze Le­ben. Ein­mal war er so krank, daß er nach Ir­land ging, in der Hoff­nung, die Luft sei­nes Ge­burts­lan­des kön­ne ihm wohl­tä­tig wer­den; aber als er kei­ne Er­leich­te­rung fühl­te, kehr­te er nach Moor­park zu­rück, wo er die ru­hi­gen Zwi­schen­zei­ten, die ihm sein Un­wohl­sein ge­stat­te­ten, zum Stu­di­um an­wen­de­te.

Da­mals ge­sch­ah es, daß Sir Wil­liam Tem­ple ihm einen großen Be­weis sei­nes Ver­trau­ens gab, in­dem er ihm ge­stat­te­te, bei sei­nen ver­trau­li­chen Zu­sam­men­künf­ten mit dem Kö­nig Wil­hel­m, wenn die­ser nach Moor­park kam, ge­gen­wär­tig zu sei­en, eine Aus­zeich­nung, wel­che Tem­ple dem ver­trau­ten Ver­hält­nis­se ver­dank­te, das zwi­schen ih­nen in Hol­land be­stan­den hat­te, die er mit ehr­er­bie­ti­ger Un­ge­zwun­gen­heit auf­nahm und durch wei­se kon­sti­tu­tio­nel­le Ratschlä­ge be­lohn­te. Wäh­rend Sir Wil­liam durch die Gicht im Bet­te zu­rück­ge­hal­ten war, hat­te Swift den Auf­trag, den Kö­nig zu be­glei­ten; und alle Bio­gra­phen des Dich­ters ha­ben wie­der­holt, daß Wil­hel­m ihm eine Kom­pa­gnie Rei­te­rei an­bot und ihn die Spar­gel nach hol­län­di­scher Wei­se schnei­den lehr­te. Es wäre nicht recht, woll­te man den hier ge­won­ne­nen Vor­teil ver­schwei­gen, daß er die­ses Ge­richt durch das Bei­spiel des Kö­nigs auf hol­län­di­sche Wei­se, das heißt ganz mit Stumpf und Stiel es­sen lern­te. Noch so­li­de­re Vor­tei­le wur­den sei­nem Ehr­geiz ge­bo­ten. Man mach­te ihm Hoff­nung auf Be­för­de­rung im geist­li­chen Stan­de, dem er sich aus Nei­gung und durch die Aus­sicht, die sich vor ihm öff­ne­te, be­stimm­te. Das große Ver­trau­en, das man auf ihn setz­te, recht­fer­tig­te die­se Hoff­nung. Sir Wil­liam Tem­ple be­auf­trag­te ihn, dem Kö­nig die Grün­de vor­zu­stel­len, die ihn be­stim­men muß­ten, zu dem An­tra­ge auf die drei­jäh­ri­ge Dau­er des Par­la­ments sei­ne Zu­stim­mung zu ge­ben; und er führ­te für die An­sicht Temp­les meh­re­re wei­te­re Be­weis­grün­de an, die er aus der Ge­schich­te Eng­lands her­nahm. Aber der Kö­nig be­harr­te auf sei­ner Op­po­si­ti­on, und der An­trag wur­de durch den Ein­fluß der Kro­ne auf das Haus der Ge­mei­nen ver­wor­fen. Dies war die ers­te Be­zie­hung, in wel­che Swift mit dem Hofe kam; und er sag­te oft sei­nen Freun­den, dies habe dazu ge­dient, ihn von sei­ner Ei­tel­keit zu hei­len. Er hat­te wahr­schein­lich auf den Er­folg sei­ner Un­ter­hand­lun­gen ge­rech­net, und war tief ge­kränkt, als er sie schei­tern sah.

Als Swift nach Ir­land zu­rück­kehr­te, und zu ei­ner Stel­le von hun­dert Pfund Ster­ling Ein­künf­te er­nannt war, for­der­ten die Bi­schö­fe, an die er sich wand­te, um or­di­niert zu wer­den, ein Zeug­nis sei­nes gu­ten Be­tra­gens wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts bei Sir Wil­liam Tem­ple. Die­se Be­din­gung war un­an­ge­nehm: um das Zeug­nis zu er­hal­ten, muß­te man sich fü­gen, muß­te man bit­ten. Swift brauch­te fünf Mo­na­te, um sich dazu zu ent­schlie­ßen. Er sand­te einen Ent­schul­di­gungs­brief und die Bit­te wur­de ge­währt; der Brief Swift’s war wahr­schein­lich der ers­te Schritt zur Ver­söh­nung mit sei­nem Gön­ner. In we­ni­ger als zwölf Ta­gen er­hielt er das ver­lang­te Zeug­nis, denn sein Or­di­na­ti­ons­schein als Dia­ko­nus ist vom 18. Ok­to­ber 1694 da­tiert, und der als Pries­ter vom 13. Ja­nu­ar 1695. Sir Wil­liam Tem­ple hat­te, wie man glau­ben muß, den ge­wünsch­ten Zeug­nis­sen noch eine Emp­feh­lung an den Lord Ca­pel bei­ge­legt, der da­mals Vi­ze­kö­nig von Ir­land war; denn bei­na­he un­mit­tel­bar, nach­dem Swift zum Pries­ter or­di­niert war, wur­de er auf die Pfrün­de von Kil­root, in der Di­öze­se Con­nor, er­nannt, die un­ge­fähr hun­dert Pfund Ster­ling jähr­lich trug. Er zog sich auf die­se be­schei­de­ne Stel­le zu­rück und leb­te hier als Dorf­pfar­rer.

Das Le­ben, das er in Kil­root führ­te, und das so ver­schie­den war von dem in Moor­park, wo er die Ge­sell­schaft al­ler durch Ge­burt oder Ge­nie aus­ge­zeich­ne­ten Män­ner ge­nos­sen hat­te, wur­de ihm bald ver­lei­det. In­zwi­schen fühl­te Tem­ple, seit er Swift ent­behr­te, die­sen Ver­lust schmerz­lich und drück­te ihm den Wunsch aus, er möch­te wie­der nach Moor­park kom­men. Wäh­rend Swift zö­ger­te, ehe er auf eine selbst ge­wähl­te Le­bens­wei­se ver­zich­te­te, um sei­ne frü­her ver­las­se­ne wie­der auf­zu­neh­men, scheint ein Um­stand, der die gan­ze Mil­de sei­nes Cha­rak­ters be­ur­kun­det, sei­nen Ent­schluß ent­schie­den zu ha­ben. Auf ei­nem sei­ner Aus­flü­ge war er ei­nem Geist­li­chen be­geg­net, mit dem er sich ver­band, weil er ihn sehr un­ter­rich­tet, be­schei­den und sitt­lich fand. Die­ser gute Pfarr­ver­we­ser war Va­ter von acht Kin­dern und sei­ne Stel­le trug ihm vier­zig Pfund Ster­ling ein. Swift, der kei­ne Pfer­de hat­te, ent­lehn­te von ihm sei­ne schwar­ze Stu­te, ohne ihm von sei­ner Ab­sicht et­was zu sa­gen, be­gab sich nach Dub­lin, ver­zich­te­te auf sei­ne Stel­le in Kil­root und setz­te es durch, daß sie auf sei­nen neu­en Freund über­tra­gen wur­de. Das Ge­sicht des gu­ten Grei­ses drück­te im ers­ten Au­gen­blick nur das Ver­gnü­gen aus, das er emp­fand, sich auf eine Pfrün­de er­nannt zu se­hen; aber als er er­fuhr, daß es die sei­nes Wohl­tä­ters sei, der zu sei­nen Guns­ten dar­auf ver­zich­tet hat­te, da nahm sei­ne Freu­de einen so rüh­ren­den Aus­druck der Über­ra­schung und der Dank­bar­keit an, daß Swift, selbst tief­be­wegt, sag­te: er habe nie­mals in sei­nem Le­ben so viel Ver­gnü­gen ge­nos­sen, als an die­sem Tage. Als Swift ab­reis­te, drang der gute Geist­li­che in ihn, die schwar­ze Stu­te an­zu­neh­men, die er nicht aus­schlug, um ihn nicht zu krän­ken. Be­rit­ten, zum ers­ten­ma­le auf ei­nem Pfer­de, das ihm ge­hör­te, mit acht­zig Pfund Ster­ling in der Bör­se, schlug Swift den Weg nach Eng­land ein, und be­klei­de­te in Moor­park wie­der die Stel­le ei­nes Se­kre­tärs Sir Wil­liam Temp­les.

Schlag­an­fall  <<<

II.

Wäh­rend Swift sei­ner Lie­be zur Li­te­ra­tur nach­hing und die­se hohe Freund­schaft ihm eine an­ge­neh­me Zu­kunft zu ver­spre­chen schi­en, be­rei­te­te er sich, ohne es zu mer­ken, eine Rei­he von Un­glücks­fäl­len für den Rest sei­ner Tage. Es ge­sch­ah, wäh­rend sei­nes zwei­ten Auf­ent­halts in Moor­park, daß er die Be­kannt­schaft von Esther John­son mach­te, die un­ter dem poe­ti­schen Na­men Stel­la be­kann­ter ist.

Swift, im Ver­trau­en auf sein kal­tes Tem­pe­ra­ment und sei­ne wan­del­ba­re Lau­ne, die kein un­klu­ges Ver­hält­nis ge­stat­ten wür­de, faß­te den Ent­schluß, nicht eher an eine Hei­rat zu den­ken, als bis sei­ne Exis­tenz ge­si­chert wäre. Auch dann noch, mein­te er, wer­de er so schwer zu­frie­den zu stel­len sei­en, daß er die Hoch­zeit wohl bis zu sei­nem Tode wer­de auf­schie­ben kön­nen; die An­zei­chen ei­ner Nei­gung, in wel­chen sein Freund die Sym­pto­me ei­ner Lei­den­schaft zu er­ken­nen glaubt, sind nur die Wir­kung ei­ner be­weg­li­chen, un­ru­hi­gen Lau­ne, die der Nah­rung be­darf. Er er­greift die ers­te Ge­le­gen­heit, sich zu un­ter­hal­ten, die sich dar­bie­tet, und sucht sie oft in ei­ner nichts­sa­gen­den Galan­te­rie; dies ist auch sein Zweck bei dem ge­nann­ten Mäd­chen; »es ist eine Ge­wohn­heit«, sag­te er, »die ich ohne Mühe wer­de ab­le­gen kön­nen, wenn ich ein­mal den Ent­schluß wer­de fas­sen wol­len, und die ich ge­wiß ohne Schmerz an der Schwel­le des Hei­lig­tums zu­rück­las­se.«

Auf die­se Nei­gung folg­te eine noch ernst­haf­te­re; Ja­ne Wa­ryng, die Schwes­ter sei­nes Schul­freun­des Wa­ryng, die er mit ziem­lich kal­ter poe­ti­scher Af­fek­ta­ti­on Va­ri­na nann­te, zog wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts in Ir­land, als er Wil­liam Tem­ple ver­las­sen hat­te, sei­ne Auf­merk­sam­keit auf sich.

Ein Brief, der vier Jah­re spä­ter an die­sel­be Per­son ge­rich­tet wur­de, ist in ei­nem ganz an­dern Tone ge­schrie­ben. Va­ri­na ist ver­schwun­den; un­ser Au­tor schreibt an Ja­ne Wa­ryng: In­ner­halb vier Jah­ren konn­ten vie­le Er­eig­nis­se vor­fal­len, die wir nicht wis­sen; und es wäre nicht ge­recht, das Be­tra­gen Swifts hart zu be­ur­tei­len, den der hart­nä­cki­ge Wi­der­stand Va­ri­na’s nicht auf das plötz­li­che Aner­bie­ten ei­ner Ka­pi­tu­la­ti­on hat­te vor­be­rei­ten kön­nen.

Der Tod des Sir Wil­liam Tem­ple setz­te dem fried­li­chen und glück­li­chen Le­ben, des­sen sich Swift vier Jah­re lang in Moor­park er­freu­te, ein Ziel. Sir Wil­liam hat­te die edle Freund­schaft Swifts zu schät­zen ge­wußt: er mach­te ihm ein Ver­mächt­nis an Geld und hin­ter­ließ ihm sei­ne Ma­nu­skrip­te, die er ohne Zwei­fel weit hö­her schätz­te.

Kur­ze Zeit nach­her be­gab sich Swift nach Ir­land mit Lord Ber­ke­ley. Nach ei­ni­gen Un­ei­nig­kei­ten mit die­sem Edel­mann er­hielt er die Pfrün­de Sa­ra­cor; aber nun warf er sich un­ver­züg­lich auf die Po­li­tik.

Im Jahr 1710 be­gab er sich nach Eng­land. Da­mals be­gan­nen sei­ne Feind­se­lig­kei­ten mit den Whigs und sein Bünd­nis mit Har­ley und der Ver­wal­tung.

Sei­ne Er­nen­nung zum Dechant zu St. Pa­trik wur­de den 23. Fe­bru­ar 1713 un­ter­zeich­net und Swift reis­te in den ers­ten Ta­gen des Ju­ni­us ab, um eine Pfrün­de in Be­sitz zu neh­men, die er, wie er oft sag­te, im höchs­ten Fal­le für nichts An­de­res an­sah, als für eine eh­ren­vol­le Ver­ban­nung. Man konn­te sich in der Tat nicht dar­auf ge­faßt ma­chen, daß die bei­spiel­lo­se Gunst, in der er bei der Re­gie­rung ge­stan­den hat­te, ihn zu nichts wei­ter, als zu ei­ner Pfrün­de in Ir­land füh­ren und ihn von den­sel­ben Mi­nis­tern ent­fer­nen wür­de, von de­nen er um Rat ge­fragt wor­den war, die sei­ne Ta­len­te zur Ver­tei­di­gung ih­rer Sa­che be­nütz­ten und mit eben so viel Ent­zücken sei­ne Ge­sell­schaft ge­no­ßen als sie zu­vor sei­ne Diens­te für die Ver­wal­tung so we­sent­lich ge­hal­ten hat­ten. Er moch­te sich al­ler­dings eben so ge­täuscht als über­rascht füh­len, daß sie ihn nicht zum Bi­schof in Ir­land er­nen­nen woll­ten. Mistreß John­son hat­te ihr Va­ter­land ver­las­sen, ih­ren Ruf auf­’s Spiel ge­setzt, um sein Schick­sal zu tei­len, zu ei­ner Zeit, als durch­aus kein An­schein war, es könn­te spä­ter glän­zen­der mit ihm wer­den, und die Ban­de, die Swift ver­pflich­te­ten, sie für die­se Op­fer schad­los zu hal­ten, wä­ren eben so hei­lig als ein fei­er­li­ches Ver­spre­chen ge­we­sen, wenn nicht wirk­lich ein förm­li­ches Hei­rats­ver­spre­chen von sei­ner Sei­te ge­ge­ben ward. Swift be­auf­trag­te den ehr­wür­di­gen Sr. Ge­or­gAs­he, Bi­schof von Clo­gher, sei­nen al­ten Leh­rer und Freund, sich nach der Ur­sa­che der Schwer­mut Stel­la’s zu er­kun­di­gen, und die Ant­wort war eine sol­che, wie sie ihm sein Ge­wis­sen zum Voraus hät­te ge­ben kön­nen. Es war nur ein Mit­tel, sie von sei­ner fort­dau­ern­den Lie­be zu über­zeu­gen und ge­gen die Ver­läum­dung zu schüt­zen. Swifts Ant­wort war, daß er zwei Ent­schlüs­se in Be­zie­hung auf den Ehe­stand ge­faßt habe, ein­mal nicht eher zu hei­ra­ten, als wenn er ein hin­läng­li­ches Aus­kom­men habe, und dann nur in ei­nem sol­chen Al­ter dar­an zu den­ken, wo er ver­nünf­ti­ger Wei­se noch hof­fen könn­te, sei­ne Kin­der so ver­sorgt zu se­hen, wie sie es zu wer­den wün­schen dürf­ten. Sei­ne Un­ab­hän­gig­keit sei noch nicht ge­si­chert, er habe Schul­den und die Le­bens­stu­fe über­schrit­ten, über wel­che hin­aus er ent­schlos­sen sei, nicht mehr zu hei­ra­ten. In­des­sen wol­le er Stel­la sei­ne Hand ge­ben, wenn ihre Hei­rat ge­heim ge­hal­ten, und un­ter der Be­din­gung, daß sie fort­fah­ren wür­den, ge­trennt, und mit der­sel­ben Zu­rück­hal­tung wie zu­vor zu le­ben. Stel­la un­ter­schrieb die­se har­ten Be­din­gun­gen. Sie ho­ben ihre Zwei­fel und be­schwich­tig­ten ihre Ei­fer­sucht, in­dem sie die Ver­bin­dung mit ih­rer Ne­ben­buh­le­rin un­mög­lich mach­ten. Swift und Stel­la wur­den im Jah­re 1716 im Gar­ten der De­ka­nei ver­mählt. Un­mit­tel­bar nach der Ze­re­mo­nie war Swift, wie es scheint, in ei­ner schreck­li­chen geis­ti­gen Auf­re­gung. So viel ich von ei­nem Freun­de sei­ner Witt­we er­fah­ren habe, er­zähl­te De­la­ny, als man in ihn drang, sei­ne Mei­nung über die­se selt­sa­me Hei­rat aus­zu­spre­chen, er habe um die Zeit, als sie zu Stan­de kam, be­merkt, daß Swift sehr fins­ter und au­ßer­or­dent­lich auf­ge­regt war, so sehr, daß er zum Erz­bi­schof King ge­gan­gen sei, um ihm sei­ne Be­sorg­nis­se mit­zu­tei­len. Als er in das Biblio­thek­zim­mer ge­gan­gen, sei Swift ei­lig mit ver­stör­ten Zü­gen her­aus­ge­kom­men und an ihm vor­bei­ge­eilt, ohne mit ihm zu spre­chen. Er habe den Erz­bi­schof in Trä­nen ge­fun­den, und auf sei­ne Fra­ge nach dem Grun­de die Ant­wort er­hal­ten: »Sie sind so eben dem un­glück­lichs­ten Men­schen auf der Welt be­geg­net, aber fra­gen Sie mich nie­mals über die Ur­sa­che sei­nes Un­glücks.« Bei die­ser Ge­le­gen­heit ist zu be­mer­ken, daß De­la­ny aus die­sem Um­stan­de schloß, Swift habe nach sei­ner Hei­rat mit Stel­la ent­deckt, daß sie in ei­nem ver­bo­te­nen Gra­de mit ein­an­der ver­wandt sei­en und dies dem Erz­bi­schof an­ver­traut. Aber die Aus­drücke des Präla­ten las­sen auf nichts Nä­he­res schlie­ßen, und es gibt si­che­re Be­wei­se da­für, daß die­se Ver­wandt­schaft gar nicht be­stan­den ha­ben kann.

Swift sah meh­re­re Tage Nie­mand. Als er aus sei­ner Zu­rück­ge­zo­gen­heit her­vor­kam, dau­er­ten sei­ne Be­zie­hun­gen zu Mistreß Dingley und Stel­la mit der­sel­ben Vor­sicht fort, um je­den Ver­dacht ei­nes ver­trau­ten Ver­hält­nis­ses ab­zu­weh­ren, wie wenn die­ses jetzt nicht recht­mä­ßig und tu­gend­haft ge­we­sen wäre. Stel­la war also fort­wäh­rend die Ge­lieb­te und ver­trau­te Freun­din Swifts; sie hielt ihm Haus, mach­te die Hon­neurs sei­nes Ti­sches, ob­gleich sie nur sein Gast zu sei­en schi­en; sie war sei­ne treue Ge­fähr­tin, pfleg­te ihn, wenn er krank war, aber sie war nie sei­ne Frau, und selbst die­se Hei­rat war ein Ge­heim­nis für die Welt.

Die An­ge­le­gen­hei­ten sei­ner Kir­che, die durch den Wi­der­stand sei­nes Ka­pi­tels und durch die Da­zwi­schen­kunft des Erz­bi­schofs King in Ver­wir­rung ge­bracht wor­den wa­ren, ho­ben sich un­merk­lich durch die Über­zeu­gung, die man von der Red­lich­keit der Ab­sich­ten des Dechan­ten und von sei­nem un­ei­gen­nüt­zi­gen Ei­fer für die Rech­te und In­ter­es­sen der Kir­che ge­wann. Er er­lang­te einen sol­chen Ein­fluß auf das Ka­pi­tel, daß man sei­nen Vor­schlä­gen sel­ten wi­der­sprach. Die An­ge­le­gen­heit der Ge­fäl­le und der Er­neue­rung der­sel­ben ver­schlang in der Fol­ge viel von sei­ner Zeit. Man darf an­neh­men, daß Swift wah­rend die­ser fünf bis sechs Jah­re das Stu­di­um nicht ver­nach­lä­ßig­te. Man fand sei­ne An­sich­ten über He­ro­dot, Phi­lo­strat und Au­lus Gel­li­us, was zu der An­nah­me ver­an­laßt, daß er sich mit die­sen Schrift­stel­lern haupt­säch­lich be­schäf­tig­te: er hat­te sei­ne Aus­ga­ben mit wei­ßen Blät­tern durch­schie­ßen las­sen, auf die er Be­mer­kun­gen schrieb. Man dürf­te wohl vor­aus­set­zen, daß er die klas­si­schen Au­to­ren nicht ver­ges­sen habe, wenn wir nicht wüß­ten, daß Lu­crez sei­ne Lieb­lings­lek­tü­re wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts zu Gaul­stown war. Das Ver­zeich­nis der Bü­cher, aus de­nen sei­ne Biblio­thek be­stand, mit sei­nen ei­gen­hän­di­gen Be­mer­kun­gen ist der si­chers­te Be­weis für sei­nen Ge­schmack.

Die­se Stu­di­en ge­nüg­ten in­des ei­nem Man­ne nicht, der wäh­rend sei­nes Auf­ent­halts in Eng­land einen so tä­ti­gen An­teil an der Po­li­tik ge­nom­men hat­te. Man hat dar­an ge­dacht, und es ist sehr wahr­schein­lich, daß Swift zu je­ner Zeit den Plan zu den Rei­sen Gul­li­ver­s ent­warf. Man fin­det den Keim die­ses be­rühm­ten Wer­kes in den Rei­sen des Mar­ti­nus Scrible­rus, die wahr­schein­lich zu­vor ent­wor­fen wor­den wa­ren, ehe die Ver­ban­nun­gen den li­te­ra­ri­schen Clubb zer­streut hat­ten. Der Zu­stand, in wel­chem der Dechant die öf­fent­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten nach dem Tode der Kö­ni­gin Anna er­blick­te, paßt zu ei­nem großen Tei­le der sa­ty­ri­schen Züge in den Rei­sen. Au­ßer­dem spielt ein Brief von Va­nessa auf das Aben­teu­er Gul­li­ver­s mit dem Af­fen von Brob­din­g­nag an, und man fin­det in der­sel­ben Kor­re­spon­denz, daß Swift im Jahr 1722 meh­re Rei­se­be­schrei­bun­gen las. Er sag­te zu Miß­treß Whit­way, was er nach­her wie­der­holt hat, daß er aus den Rei­sen, die er ge­le­sen, alle See­aus­drücke in Gul­li­ver ent­lehnt habe. Es ist also wohl an­zu­neh­men, daß die Rei­sen Gul­li­ver­s zu der Zeit, von der wir spre­chen, skiz­ziert wur­den, ob­gleich sie von der Po­li­tik ei­ner spä­tern Pe­ri­ode han­deln.

Swift ver­ließ im Jah­re 1720 sei­ne Be­schäf­ti­gun­gen und Un­ter­hal­tun­gen, um wie­der auf der po­li­ti­schen Büh­ne zu er­schei­nen, zwar nicht mehr als Sach­wal­ter und Lo­b­red­ner ei­nes Mi­nis­te­ri­ums, aber als der un­er­schro­cke­ne und be­harr­li­che Ver­tei­di­ger ei­nes un­ter­drück­ten Vol­kes. Kei­ne Na­ti­on hat je­mals so sehr ei­nes sol­chen Ver­tei­di­gers be­durft. Der Wohl­stand, des­sen sich Ir­land un­ter den Kö­ni­gen aus dem Hau­se Stuart er­freut hat­te, war durch einen Bür­ger­krieg un­ter­bro­chen wor­den, des­sen Aus­gang den Kern sei­nes Adels und sei­nes Hee­res ge­nö­tigt hat­te, sich aus dem Lan­de zu ent­fer­nen. Die ka­tho­li­sche Be­völ­ke­rung die­ses Kö­nig­reichs er­weck­te nur Miß­trau­en, und wur­de da­durch zur Füh­rung ih­rer ei­ge­nen Sa­che un­tüch­tig.

Das eng­li­sche Par­la­ment hat­te sich die Ge­walt an­ge­maßt, Ir­land Ge­set­ze zu ge­ben; und es be­nutz­te die­se Ge­walt dazu, den Han­del die­ses Kö­nig­reichs so sehr als mög­lich in Fes­seln zu le­gen, dem Han­del Eng­lands un­ter­zu­ord­nen und ihn in die­ser Ab­hän­gig­keit zu er­hal­ten. Die Ge­set­ze des zehn­ten und elf­ten Jah­res der Re­gie­rung Wil­helm III. ver­bo­ten die Aus­fuhr der Woll­wa­ren, au­ßer nach Eng­land und in das Fürs­ten­tum Wa­les. Die ir­län­di­schen Fa­bri­ken wur­den da­durch ei­nes Ein­kom­mens be­raubt, das man auf eine Mil­li­on Pfund Ster­ling schätz­te.

Nicht eine Stim­me er­hob sich in der Kam­mer der Ge­mei­nen ge­gen die­se eben so un­po­li­ti­schen, als ty­ran­ni­schen Maß­re­geln, die eher eine Kor­po­ra­ti­on klein­städ­ti­scher Krä­mer, als des auf­ge­klär­ten Se­nats ei­nes frei­en Vol­kes wür­dig wa­ren. Nach die­sen Grund­sät­zen han­delnd, häuf­te man Un­ge­rech­tig­keit auf Un­ge­rech­tig­keit und man füg­te den Hohn hin­zu, mit dem Vor­teil für die An­grei­fen­den, daß sie das un­ter­drück­te Volk Ir­lands ein­schüch­tern und zum Schwei­gen brin­gen konn­ten, in­dem sie es als Re­bel­len und Ja­ko­bi­ren ver­schrie­en! Swift sah die­se Übel­stän­de mit dem gan­zen Un­wil­len ei­nes Cha­rak­ters an, der von Na­tur zum Wi­der­stand ge­gen die Ty­ran­nei ge­neigt ist. Er ver­öf­fent­lich­te die »Brie­fe des Tuch­händ­lers« voll ge­wich­ti­ger Grün­de, blit­zend von Geist und be­son­ders durch die Ge­wandt­heit aus­ge­zeich­net, mit wel­cher die Be­weis­grün­de dar­ge­stellt und die Pfei­le ge­rich­tet wur­den.

Swifts Po­pu­la­ri­tät war die al­ler je­ner Män­ner, wel­che in ei­ner ent­schei­den­den kri­ti­schen Pe­ri­ode das Glück ge­habt ha­ben, ih­rem Va­ter­lan­de einen großen Dienst zu leis­ten. So lan­ge er sein Haus noch ver­las­sen konn­te, be­glei­te­ten ihn die Se­gens­wün­sche des Vol­kes; wenn er in eine Stadt kam, er­freu­te er sich ei­ner Auf­nah­me, wie sie sonst nur ei­nem Fürs­ten zu Teil wird. Bei der ers­ten Nach­richt von ei­ner Ge­fahr, die dem Dechant (so nann­te man ihn ge­wöhn­lich) droh­te, lief das gan­ze Land zu sei­ner Ver­tei­di­gung her­bei. Wal­po­le hat­te dann ge­droht, Swift fest­neh­men zu las­sen; ein klu­ger Freund frag­te ihn, ob er zehn­tau­send Sol­da­ten habe, um den Be­am­ten be­glei­ten zu las­sen, der da­mit be­auf­tragt sei, die­sen Be­fehl zu voll­zie­hen.

Swifts Schwä­chen, ob­gleich von der Art, die Bös­wil­lig­keit des Pö­bels zu rei­zen, wur­den mit der from­men Ach­tung kind­li­cher Lie­be be­ur­teilt. Alle Vi­ze­kö­ni­ge von Ir­land, von dem leut­se­li­gen Car­te­net an bis zu dem hoch­mü­ti­gen Dor­set, die we­der sei­ne Po­li­tik noch auch sei­ne Per­son lieb­ten, sa­hen sich ge­nö­tigt, sei­nen Ein­fluß zu ach­ten und mit sei­nem Ei­fer zu ka­pi­tu­lie­ren. Über die Ab­nah­me sei­ner geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten trau­er­te Ir­land; der Schmerz ei­nes Vol­kes be­glei­te­te ihn in’s Grab, und bei­na­he alle iri­sche Schrift­stel­ler ha­ben dem An­den­ken Swifts je­nen Tri­but der Dank­bar­keit ab­ge­tra­gen, der ihm mit so vol­lem Rech­te ge­bührt.

III.

Gul­li­ver­s Rei­sen er­schie­nen nach der Rück­kehr Swifts nach Ir­land, aber mit je­ner Heim­lich­keit, in die er bei­na­he im­mer die Ver­öf­fent­li­chung sei­ner Wer­ke hüll­te. Er hat­te Eng­land im Mo­nat Au­gust ver­las­sen; und um die­sel­be Zeit er­hielt der Buch­händ­ler das Ma­nu­skript, das ihm, wie er sag­te, von ei­nem Fia­ker in den La­den ge­wor­fen wur­de.

Gul­li­ver wur­de im nächs­ten Mo­nat No­vem­ber ver­öf­fent­licht, mit Ver­än­de­run­gen und Aus­las­sun­gen, die der Buch­dru­cker aus Ängst­lich­keit dar­in an­brach­te. Swift be­klag­te sich dar­über in sei­nem Brief­wech­sel und er­gänz­te die­sel­ben durch einen Brief Gul­li­ver­s an sei­nen Vet­ter Sym­pson, der an die Spit­ze der fol­gen­den Aus­ga­ben ge­setzt wur­de. Aber das Pub­li­kum sah nichts All­zuängst­li­ches in die­sem un­ge­wöhn­li­chen al­le­go­ri­schen Ro­man, der all­ge­mei­nes Auf­se­hen mach­te und von al­len Klas­sen, von Staats­män­nern wie von Kin­der­wär­te­rin­nen, ge­le­sen wur­de. Man woll­te durch­aus den Ver­fas­ser ken­nen ler­nen, und selbst die Freun­de Swifts, Po­pe, Gay, Ar­buth­not, schrie­ben ihm, wie wenn sie dar­über in Zwei­fel wä­ren.

Aber ob­gleich sie sich so aus­ge­drückt hat­ten, daß ei­ni­ge Bio­gra­phen da­durch ge­täuscht wer­den konn­ten, die der Mei­nung wa­ren, sie wä­ren wirk­lich über die Sa­che im Zwei­fel, so ist es doch ge­wiß, daß sei­ne Freun­de das Werk schon vor sei­ner Er­schei­nung mehr oder we­ni­ger kann­ten. Ihre Zu­rück­hal­tung war er­heu­chelt, um sich in die Lau­ne Swifts zu schi­cken, oder viel­leicht auch aus Furcht, sie möch­ten, im Fal­le ihre Brie­fe auf­ge­fan­gen wür­den, ge­nö­tigt wer­den, ge­gen den Ver­fas­ser zu zeu­gen, wenn das Werk den Mi­nis­ter er­bit­tern wür­de. Nie­mals viel­leicht war ein Buch so ge­sucht von al­len Klas­sen der Ge­sell­schaft; die Le­ser aus den hö­he­ren Krei­sen fan­den dar­in eine per­sön­li­che und po­li­ti­sche Sa­ty­re; der Pö­bel Aben­teu­er nach sei­nem Ge­schmack; die Freun­de des Ro­man­ti­schen Wun­der­ba­res; die jun­gen Leu­te Geist; ernst­haf­te Män­ner mo­ra­li­sche und po­li­ti­sche Leh­ren; das ver­nach­lä­ßig­te Grei­sen­al­ter und der ge­täusch­te Ehr­geiz Grund­sät­ze ei­ner ver­drieß­li­chen und bit­te­ren Mi­san­thro­pie.

Der Plan der Sa­ty­re ist in sei­nen ver­schie­de­nen Tei­len ein ver­schie­de­ner. Die Rei­se nach Lil­li­put ist eine An­spie­lung auf den Hof und die Po­li­tik Eng­lands. Sir Ro­bert Wal­po­le ist in der Per­sön­lich­keit des ers­ten Mi­nis­ters F­lim­nap1 ge­malt; und er ver­zieh dies Swift nie­mals, und wi­der­setz­te sich auch be­harr­lich je­dem Pla­ne, der den Dechan­ten nach Eng­land wie­der zu­rück­füh­ren könn­te.

Die Par­tei­en der To­rys und Whigs sind durch die Par­tei­en der ho­hen und der nie­dern Ab­sät­ze be­zeich­net; die mit dem klei­nen und mit dem großen Zip­fel sind die Bap­tis­ten und Pro­tes­tan­ten. Der Prinz von Wa­les, der die To­rys und Whigs gleich gut be­han­del­te, lach­te von Her­zen über die Nach­gie­big­keit des prä­sum­ti­ven Thron­fol­gers, der einen ho­hen und einen nie­dern Ab­satz trug. Ble­fu­sen, wo Gul­li­ver vor der Un­dank­bar­keit des lil­li­pu­ta­ni­schen Ho­fes eine Frei­stät­te su­chen muß, da­mit ihm nicht die Au­gen aus­ge­sto­chen wer­den, ist Frank­reich, wo­hin sich der Her­zog von Or­mon­d und Lord Bo­ling­bro­ke vor der Un­dank­bar­keit des eng­li­schen Ho­fes flüch­ten muß­ten. Die­je­ni­gen, wel­che die ge­hei­me Ge­schich­te der Re­gie­rung Ge­orgs I. ken­nen, wer­den leicht die üb­ri­gen An­spie­lun­gen ver­ste­hen. Das Är­ger­nis, wel­ches Gul­li­ver gibt durch die Art und Wei­se, auf wel­che er den Brand des kai­ser­li­chen Palas­tes löscht, ist eine An­spie­lung auf die Un­gna­de, in wel­che der Ver­fas­ser bei der Kö­ni­gin An­na fiel, weil er das Mähr­chen von der Ton­ne ge­schrie­ben hat­te, des­sen man sich er­in­ner­te, um ihm ein Ver­bre­chen dar­aus zu ma­chen, wäh­rend man den Dienst ver­ges­sen hat­te, wel­chen die­ses Werk der ho­hen Geist­lich­keit ge­leis­tet. Auch müs­sen wir dar­auf auf­merk­sam ma­chen, daß die Ver­fas­sung und das Sys­tem der öf­fent­li­chen Er­zie­hung im Kai­ser­tum Lil­li­put als Mus­ter dar­ge­stellt ist, und daß das Ver­der­ben, wel­ches am Hofe herrsch­te, erst von den letz­ten drei Re­gie­run­gen sich her­schrieb. Es war dies Swifts An­sicht über die eng­li­sche Ver­fas­sung.

In der Rei­se nach Brob­din­g­nag hat die Sa­ty­re eine all­ge­mei­ne­re An­wen­dung und es ist schwer dar­in et­was zu fin­den, das sich auf die po­li­ti­schen Er­eig­nis­se und auf die Mi­nis­ter je­ner Zeit be­zieht. Es ist hier die An­sicht, daß sich aus den Hand­lun­gen und Ge­füh­len des Men­schen We­sen bil­de­ten von ei­nem kal­ten, be­rech­nen­den, phi­lo­so­phi­schen Cha­rak­ter, und mit un­end­li­cher Ge­walt be­gabt. Der Mon­arch die­ser Gnacks­kin­der ist die Per­so­ni­fi­ka­ti­on ei­nes pa­trio­ti­schen Kö­nigs, der ge­gen al­les Merk­wür­di­ge gleich­gül­tig, ge­gen das Schö­ne kalt ist und an nichts An­teil nimmt, als an dem, was den all­ge­mei­nen Nut­zen und das öf­fent­li­che Wohl be­trifft. Die Int­ri­gen und die Är­ger­nis­se ei­nes eu­ro­päi­schen Ho­fes sind in den Au­gen ei­nes sol­chen Fürs­ten eben so ge­hä­ßig in ih­ren Re­sul­ta­ten als ver­ächt­lich in ih­ren Mo­ti­ven. Der Kon­trast, den Gul­li­ver­s An­kunft von Lil­li­put, wo er ein Rie­se ge­we­sen war, bei ei­ner Men­schen­ras­se, un­ter wel­cher er nur ein Pyg­mäe ist, macht, ist von glück­li­cher Wir­kung. Es keh­ren not­wen­dig die­sel­ben Ide­en zu­rück; aber da sie sich durch die Rol­le, wel­che der Er­zäh­ler spielt, um­keh­ren, so ist es mehr eine Ent­wick­lung, als eine Wie­der­ho­lung.

Über den Hof von Brob­din­g­nag gibt es ei­ni­ge Stel­len, die man auf die Ehren­da­men am lon­do­ner Hofe hat an­wen­den wol­len, vor wel­chen Swift, wie uns De­la­ny er­zählt, kei­ne große Ach­tung hat­te.

Ar­buth­not, der ein Ge­lehr­ter war, bil­lig­te die Rei­se nach La­pu­ta nicht, in wel­cher er wahr­schein­lich eine Ver­spot­tung »der kö­nig­li­chen Ge­sell­schaft« er­blick­te; das ist ge­wiß, daß man dar­in ei­ni­ge An­spie­lun­gen auf die ge­ach­tets­ten Phi­lo­so­phen je­ner Zeit fin­det. Man be­haup­tet so­gar, es fin­de sich dar­in ein Zug ge­gen Sir I­saak New­ton. Der glü­hen­de Pa­tri­ot hat­te die An­sicht der Phi­lo­so­phen zu Guns­ten der Kup­fer­mün­ze von Wood nicht ver­ges­sen. Man meint, der Schnei­der, wel­cher, nach­dem er die Ge­stalt Gul­li­ver­s mit ei­nem Halb­krei­se aus­ge­mes­sen und sein Maß mit ei­ner ma­the­ma­ti­schen Fi­gur ge­nom­men hat­te, ihm sehr schlecht ge­mach­te Klei­der bringt, sei eine An­spie­lung auf einen Irr­tum des Buch­druckers, der durch Hin­zu­fü­gung ei­ner Zif­fer zu ei­ner astro­no­mi­schen Be­rech­nung New­tons über die Ent­fer­nung der Son­ne von der Erde, die­se zu ei­ner un­be­re­chen­ba­ren Höhe ge­stei­gert habe. Swifts Freun­de glaub­ten auch, die Idee des Schlä­gers (Flap­per)2 ihm durch die be­stän­di­ge Zer­streu­ung New­tons ein­ge­ge­ben wor­den sei. Der Dechant sag­te zu Dry­den Swift: »Sir I­saak sei der al­le­run­ge­schick­tes­te Ge­sell­schaf­ter von der Welt und wenn man eine Fra­ge an ihn stel­le, so dre­he und wen­de er sie zu­vor im Krei­se in sei­nem Hirn her­um, ehe er dar­auf ant­wor­ten kön­ne.«3 (Wenn Swift dies er­zähl­te, so be­schrieb er zwei oder drei Krei­se auf sei­ner Stir­ne.)

Aber ob­gleich Swift den größ­ten Phi­lo­so­phen sei­ner Zeit viel­leicht mit Unehr­er­bie­tig­keit be­han­delt hat, und in meh­re­ren sei­ner Schrif­ten sehr we­nig auf die Ma­the­ma­tik zu hal­ten scheint, so ist doch die Sa­ty­re Gul­li­ver­s mehr ge­gen den Miß­brauch der Wis­sen­schaft, als ge­gen die Wis­sen­schaft selbst ge­rich­tet. Die­je­ni­gen, wel­che den Plan ei­ner Aka­de­mie von La­pu­ta ent­wer­fen, wer­den als Men­schen dar­ge­stellt, wel­che mit ei­nem leich­ten An­strich von Ma­the­ma­tik ihre me­cha­ni­schen Plä­ne nach blo­ßer Lau­ne oder aus Ver­kehrt­heit des Ver­stan­des ver­voll­komm­nen wol­len. Zur Zeit Swifts gab es vie­le Leu­te die­ser Gat­tung, wel­che die Leicht­gläu­big­keit der Un­wis­sen­den miß­brauch­ten, sie zu Grun­de rich­te­ten und durch ihre Un­ge­schick­lich­keit die Fort­schrit­te der Wis­sen­schaft hemm­ten. Bei der Ver­spot­tung die­ser Pro­jekt­ma­cher, der Ei­nen als selbst ge­täuscht durch die Halb­heit ih­rer Kennt­nis­se, der An­dern als wirk­li­che Be­trü­ger, ent­lehn­te Swift, der sie, seit sie sei­nen Oheim God­win zu Grun­de ge­rich­tet hat­ten, ver­ab­scheu­te, vie­le Züge und viel­leicht den gan­zen Ge­dan­ken aus Ra­be­lais (fünf­tes Buch, drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel); wo Pan­ta­gruel die Be­schäf­ti­gun­gen der Hofleu­te der Quint­es­senz, Kö­ni­gin von En­te­le­che­ria be­ob­ach­tet.

Swift spot­tet noch über die Leh­rer der spe­ku­la­ti­ven Wis­sen­schaf­ten, die mit dem Stu­di­um des­sen be­schäf­tigt sind, was man da­mals phy­si­sche und ma­the­ma­ti­sche Ma­gie nann­te, ein Stu­di­um, wel­ches, auf kei­nem so­li­den Grun­de ru­hend, von der Er­fah­rung we­der her­ge­nom­men noch be­stä­tigt wur­de, son­dern zwi­schen Wis­sen­schaft und Mys­ti­zis­mus mit­ten inne schwamm; -- da­hin ge­hört die Alchy­mie, die Be­rei­tung von bron­ze­nen Fi­gu­ren, die spre­chen, von sin­gen­den Wald­vö­geln, von sym­pa­the­ti­schen Pul­vern, von Sal­ben, die man nicht auf die Wun­de leg­te, son­dern an die Waf­fe, die sie her­vor­ge­bracht hat­te, von Es­senz­fläsch­chen, mit wel­chen man gan­ze Mor­gen Lan­des dün­gen könn­te, nebst an­dern ähn­li­chen Wun­dern, de­ren Kräf­te die Be­trü­ger an­prie­sen, die un­glück­li­cher­wei­se im­mer Leu­te fan­den, die sich da­durch täu­schen lie­ßen. Die Ma­schi­ne des gu­ten Pro­fes­sors von La­ga­do, um den Fort­schritt der spe­ku­la­ti­ven Wis­sen­schaft zu be­schleu­ni­gen und um Bü­cher über alle Ge­gen­stän­de ohne die Hil­fe von Geist und Kennt­nis­sen zu ver­fas­sen, war eine Ver­spot­tung der von Rai­mun­dus Lul­lus er­fun­de­nen und von sei­nen wei­sen Er­klä­rern ver­voll­komm­ne­ten Kunst, oder des me­cha­ni­schen Pro­zes­ses, ver­mö­ge des­sen nach Cor­ne­li­us Agrip­pa, ei­nem der Schü­ler des Lul­lus, »je­der Mensch über ir­gend eine Ma­te­rie spre­chen und mit ei­ner ge­wis­sen An­zahl großer Wor­te, Na­men und Zeit­wör­ter einen Satz mit viel Glanz und Fein­heit län­ge­re Zeit be­han­deln könn­te.«

Der Le­ser konn­te sich mit­ten in die große Aka­de­mie von La­ga­do ver­setzt glau­ben, wenn er die kur­ze und große Kunst der Er­fin­dung und Be­weis­füh­rung las, wel­che dar­in be­steht, den Ge­gen­stand, den man be­han­deln soll, ei­ner aus ver­schie­de­nen fest­ste­hen­den und be­weg­li­chen Zir­keln zu­sam­men­ge­setz­ten Ma­schi­ne an­zu­pas­sen. Der Haupt­zir­kel war fest, und man las dar­in die Na­men der Sub­stan­zen und al­ler Din­ge, die ir­gend ein The­ma an die Hand ge­ben konn­ten, in Ord­nung auf­ge­stellt, z.B. Gott, En­gel, Erde, Him­mel, Mensch, Tier usf. In die­sem fes­ten Zir­kel war ein an­de­rer be­weg­li­cher Zir­kel an­ge­bracht, in wel­chem die von den Lo­gi­kern so­ge­nann­ten Ak­zi­den­zi­en4 auf­ge­schrie­ben wa­ren, wie Quan­ti­tät, Qua­li­tät, Re­la­ti­on usf. In an­dern Krei­sen wa­ren die ab­so­lu­ten und re­la­ti­ven At­tri­bu­te zu se­hen usw., mit den Fra­ge­for­meln. Wenn man die Krei­se so dreh­te, daß die ver­schie­de­nen At­tri­bu­te auf die auf­ge­stell­te Fra­ge zu ste­hen ka­men, ent­stand da­durch eine Art me­cha­ni­sche Lo­gik, wel­che Swift un­strei­tig im Auge hat­te, als er die be­rühm­te Bü­cher­ver­fer­ti­gungs­ma­schi­ne be­schrieb.

Man hat mehr­mals ver­sucht, durch die­se Art zu­sam­men­zu­set­zen und zu fol­gern, die so­ge­nann­te Kunst der Küns­te auf die höchs­te Stu­fe der Voll­kom­men­heit zu brin­gen. Kir­cher, der hun­dert ver­schie­de­ne Küns­te ge­lehrt hat, hat die Ma­schi­ne des Lul­lus ver­jüngt und ver­voll­komm­net; der Je­sui­te K­nit­tel hat nach dem­sel­ben Sys­tem das Com­pen­di­um al­ler Wis­sen­schaf­ten und Küns­te ver­fer­tigt; Bru­nus hat nach dem­sel­ben Pla­ne die Kunst der Lo­gik er­fun­den; und Kuhl­mann setzt vollends in Er­stau­nen, wenn er eine Ma­schi­ne an­kün­digt, die nicht nur die Kunst der all­ge­mei­nen Kennt­nis­se, oder das Haupt­sys­tem al­ler Wis­sen­schaf­ten ent­hal­ten soll, son­dern auch die Kunst, die Spra­che zu er­ler­nen, die Kunst der Aus­le­gung, der Kri­tik, die Kunst die hei­li­ge und pro­fa­ne Ge­schich­te, die Bio­gra­phien al­ler Art zu ler­nen, die Biblio­thek der Biblio­the­ken gar nicht zu zäh­len, wel­che die Es­senz al­ler ge­druck­ten Bü­cher ent­hält. Wenn ein Ge­lehr­ter in er­träg­li­chem La­tein ver­kün­de­te, alle die­se Kennt­nis­se kön­ne man mit Hil­fe ei­nes me­cha­ni­schen In­stru­ments, das viel Ähn­lich­keit mit dem Spiel­werk ei­nes Kin­des hat­te, er­wer­ben, dann war es Zeit, daß die Sa­ty­re die­sen Chi­mä­ren Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren ließ. Also nicht die Wis­sen­schaft hat Swift lä­cher­lich zu ma­chen ge­sucht, son­dern nur die chi­mä­ri­schen Stu­di­en, de­nen man zu­wei­len den Na­men der Wis­sen­schaft gab.

In der Ka­ri­ka­tur der po­li­ti­schen Pro­jek­ten­ma­cher läßt Swift sei­ne to­ris­ti­schen An­sich­ten durch­schim­mern; und wenn man die trau­ri­ge Ge­schich­te der Struld­bruggs liest, er­in­nert man sich an die Zeit, wo der Ver­fas­ser eine Gleich­gül­tig­keit ge­gen den Tod faß­te, die er in den letz­ten Jah­ren sei­nes Le­bens mit mehr Recht füh­len soll­te.5

Die Rei­se zu den Huy­hn­hnms ist eine bei­ßen­de Sa­ty­re ge­gen die mensch­li­che Na­tur; sie konn­te nur durch den Un­wil­len ein­ge­ge­ben sei­en, der, wie Swift in sei­ner Grab­schrift an­er­kennt, so lan­ge an sei­nem Her­zen ge­nagt hat­te.

In ei­nem Lan­de le­bend, wo das Men­schen­ge­schlecht in klei­ne Ty­ran­nen und un­ter­drück­te Skla­ven ein­ge­teilt war, ein An­be­ter der Frei­heit und Un­ab­hän­gig­keit, die er täg­lich mit Fü­ßen tre­ten sah, ließ ihn die un­ge­zähm­te Ener­gie sei­ner Ge­füh­le ein Ge­schlecht ver­ab­scheu­en, das fä­hig war, sol­che Un­ge­rech­tig­kei­ten zu be­ge­hen und zu dul­den. Da­bei dür­fen wir nicht aus dem Auge las­sen, sei­ne mit je­dem Tage ab­neh­men­de Ge­sund­heit, sein durch den Ver­lust ei­ner Frau, die er ge­liebt, und durch den be­trü­ben­den An­blick der Ge­fahr, wel­che dem Le­ben ei­nes an­dern Frau­en­zim­mers, das ihm so teu­er war, droh­te, ge­stör­tes häus­li­ches Glück; sein ei­ge­nes, seit sei­nem Herbs­te wel­ken­des Le­ben; die Ge­wiß­heit, es in ei­nem Lan­de zu be­schlie­ßen, das er ver­ab­scheu­te, und nicht das be­woh­nen zu kön­nen, in wel­chem er so schmei­chel­haf­te Hoff­nun­gen ge­faßt und alle sei­ne Freun­de zu­rück­ge­las­sen hat­te.

Die­se Ver­bin­dung der Um­stän­de kann einen Men­schen­haß ent­schul­di­gen, der gleich­wohl Swifts Herz nie­mals ge­gen die Wohl­tä­tig­keit ver­schloß. Die­se Er­wä­gun­gen be­schrän­ken sich nicht bloß auf die Per­son des Ver­fas­sers; sie sind auch eine Art Ent­schul­di­gung für das Werk. Trotz dem Has­se, von dem es ein­ge­ge­ben ist, gibt der Cha­rak­ter der Ya­hus eine sitt­li­che Leh­re. Nicht den Mann woll­te Swift schil­dern, der durch Re­li­gi­on auf­ge­klärt ist, oder auch nur die na­tür­li­che Auf­klä­rung be­sitzt; son­dern den Mann, der durch die frei­wil­li­ge Skla­ve­rei sei­ner geis­ti­gen Fä­hig­kei­ten und sei­ner Trie­be er­nied­rigt ist, so wie man ihn lei­der in den nie­ders­ten Klas­sen der Ge­sell­schaft fin­det, wenn er der Un­wis­sen­heit und den Las­tern, die hier ein­hei­misch sind, preis­ge­ge­ben ist. Un­ter die­sem Ge­sichts­punkt kann der Wi­der­wil­le, den die­ses Ge­mäl­de ein­flö­ßt, für die Moral nur nütz­lich sei­en; denn der Mensch, der sich ei­ner phy­si­schen Sinn­lich­keit, der Grau­sam­keit, dem Gei­ze hin­gibt, nä­hert sich dem Yahu.

Wir wol­len nicht so weit ge­hen, zu be­haup­ten, daß ein sitt­li­cher Zweck die Nackt­heit des Ge­mäl­des recht­fer­ti­ge, wel­ches Swift von dem Men­schen in die­sem Zu­stan­de der Er­nied­ri­gung ent­wirft, der ihn den Tie­ren nahe bringt. Die Mora­lis­ten sol­len die Rö­mer nach­ah­men, die den Ver­bre­chen, de­ren Ab­scheu­lich­keit em­pö­ren konn­te, öf­fent­li­che Züch­ti­gun­gen auf­leg­ten, und wel­che die An­grif­fe auf die Scham­haf­tig­keit heim­lich straf­ten. Trotz die­ser auf die Ver­nunft oder auf Vor­ur­tei­le ge­grün­de­ten Un­wahr­schein­lich­kei­ten, er­reg­ten Gul­li­ver­’s Rei­sen ein all­ge­mei­nes In­ter­es­se; sie ver­dien­ten es, durch ihre Neu­heit und durch ih­ren in­ne­ren Wert. Lu­ci­an, Ra­be­lais, Mo­rus, Ber­ge­rac, Al­letz und vie­le an­dern Schrift­stel­ler wa­ren schon auf den Ein­fall ge­kom­men, durch Rei­sen­de er­zäh­len zu las­sen, was sie in idea­len Re­gio­nen be­ob­ach­tet hat­ten. Aber alle be­kann­ten Uto­pi­en wa­ren auf kin­di­sche Er­dich­tun­gen ge­grün­det, oder dienten zum Rah­men für ein Sys­tem un­aus­führ­ba­rer Ge­set­ze. Swift war es vor­be­hal­ten, die Moral sei­nes Wer­kes durch den Hu­mor zu er­hei­tern, die Un­ge­reimt­heit durch bei­ßen­de Sa­ty­re zu ver­mei­den, und die un­wahr­schein­lichs­ten Er­eig­nis­se durch den Cha­rak­ter und Styl des Er­zäh­lers das An­se­hen der Wahr­schein­lich­keit zu ge­ben. Der Cha­rak­ter des er­dich­te­ten Rei­sen­den ist ge­nau der Cha­rak­ter Dam­pier­s oder ei­nes an­dern hart­nä­cki­gen See­manns je­ner Zeit, der, mit Mut und Ver­stand be­gabt, die fer­nen Mee­re durch­steu­ert, mit sei­nen eng­li­schen Vor­ur­tei­len die er alle wie­der nach Ports­mut oder nach Ply­mouth zu­rück­bringt, und der nach sei­ner Rück­kehr ernst­haft und ein­fach er­zählt, was er in den frem­den Län­dern ge­se­hen und was man ihm ge­sagt hat. Die­ser Cha­rak­ter ist so ganz eng­lisch, daß die Aus­län­der ihn nur mit Mühe wür­di­gen kön­nen. Die Be­mer­kun­gen Gul­li­ver­s sind nie­mals fei­ner oder tiefer, als die des Ka­pi­täns ei­nes Han­dels­schif­fes, oder die ei­nes Chir­ur­gen aus der Lon­do­ner City, der eine lan­ge Rei­se ge­macht hat.

Ro­bin­son Cru­soe, der Er­eig­nis­se er­zählt, die der Wahr­heit weit nä­her kom­men, steht in Be­zie­hung auf den Ernst und die Wahr­schein­lich­keit der Er­zäh­lung viel­leicht nicht über Gul­li­ver. Die gan­ze Per­son Gul­li­ver­s ist mit sol­cher Wahr­heit ge­schil­dert, daß ein Ma­tro­se be­haup­te­te, er habe den Ka­pi­tän Gul­li­ver recht gut ge­kannt, aber er woh­ne zu Wap­ping und nicht in No­ther­hi­the. Die­ser Kon­trast der na­tür­li­chen Leich­tig­keit und Ein­fach­heit des Styls mit den er­zähl­ten Wun­dern ist es, was einen Haup­treiz die­ser merk­wür­di­gen Sa­ty­re auf die Un­voll­kom­men­hei­ten, Tor­hei­ten und Las­ter des mensch­li­chen Ge­schlech­tes aus­macht. Die ge­nau­en Be­rech­nun­gen, die sich in den zwei ers­ten Tei­len fin­den, tra­gen dazu bei, der Fa­bel ei­ni­ge Wahr­schein­lich­keit zu ge­ben. Man be­haup­tet, bei der Be­schrei­bung ei­nes na­tür­li­chen Ge­gen­stan­des, wenn die Ver­hält­nis­se rich­tig be­ob­ach­tet sei­en, sei das Wun­der­ba­re, möge nun der Ge­gen­stand ver­grö­ßert oder ver­klei­nert sei­en, für das Auge des Zuschau­ers we­ni­ger fühl­bar. Das ist ge­wiß, daß die Pro­por­tio­nen im All­ge­mei­nen ein we­sent­li­ches At­tri­but der Wahr­heit und folg­lich der Wahr­schein­lich­keit sind. Wenn der Le­ser ein­mal das Da­sein der Men­schen zu­gibt, wel­che der Rei­sen­de ge­se­hen ha­ben will, so ist es schwer, einen Wi­der­spruch in der Er­zäh­lung zu fin­den. Im Ge­gen­teil scheint es, Gul­li­ver und die Men­schen, die er sieht, be­tra­gen sich ge­ra­de so, wie sie sich un­ter den vom Ver­fas­ser er­dich­te­ten Um­stän­den be­tra­gen muß­ten. Un­ter die­sem Ge­sichts­punk­te be­trach­tet, ist das größ­te Lob, das man für Gul­li­vers Rei­sen an­füh­ren kann, das Ur­teil, das ein ge­lehr­ter ir­län­di­scher Prälat dar­über fäll­te, wel­cher sag­te, es gebe Din­ge dar­in, die man ihm nie­mals glau­ben ma­chen kön­ne. Es ge­hört eine große Kunst dazu, uns Gul­li­ver zu zei­gen, wie er stu­fen­wei­se durch den Ein­fluß der Ge­gen­stän­de, die ihn um­ge­ben, sei­ne Ide­en über die Pro­por­tio­nen der mensch­li­chen Ge­stalt bei sei­ner An­kunft in Lil­li­put und Brob­din­g­nag ver­liert, und sich an die Pro­por­tio­nen der Rie­sen und Pyg­mä­en ge­wöhnt, in de­ren Mit­te er lebt.

Um die­se Be­trach­tun­gen nicht wei­ter aus­zu­deh­nen, bit­te ich nur den Le­ser zu be­mer­ken, mit welch un­end­li­cher Kunst die mensch­li­chen Hand­lun­gen zwi­schen die­sen zwei ver­schie­de­nen Ar­ten er­dich­te­ter We­sen ge­teilt sind, um die Sa­ty­re an­zie­hen­der zu ma­chen. In Lil­li­put wer­den die po­li­ti­schen In­tri­ken und Ka­ba­len, wel­che die Haupt­be­schäf­ti­gung der eu­ro­päi­schen Höf­lin­ge sind, auf ei­nem Hof von klei­nen sechs Zoll ho­hen Ge­schöp­fen über­ge­tra­gen, ein Ge­gen­stand des Ge­läch­ters; wäh­rend der Leicht­sinn der Frau­en und die Tor­hei­ten an den eu­ro­päi­schen Hö­fen, wel­che der Ver­fas­ser den Da­men am Hofe von Brob­din­g­nag an­dich­tet, bei ei­ner Na­ti­on von so er­schre­cken­der Höhe un­ge­heu­er und ab­sto­ßend wer­den. Durch sol­che Mit­tel und durch tau­send an­de­re, in de­nen man den Grif­fel ei­nes großen Meis­ters fin­det, und bei de­nen man die Wir­kung fühlt, wäh­rend man der Ur­sa­che nur durch eine lan­ge Zer­glie­de­rung hab­haft wer­den kann, hat Swifts Ge­nie aus ei­nem Feen­mär­chen einen Ro­man ge­macht, dem man, was Kunst der Dar­stel­lung und ech­ten Geist der Sa­ty­re be­trifft, kei­nen an­dern an die Sei­te stel­len kann.

Der Ruf von Gul­li­vers Rei­sen ver­brei­te­te sich bald in Eu­ro­pa, Vol­tai­re, der sich da­mals in Eng­land be­fand, rühm­te sie sei­nen Freun­den in Frank­reich an, und emp­fahl ih­nen, sie über­set­zen zu las­sen. Der Abbe Des­fon­tai­nes un­ter­nahm die­se Über­set­zung. Sei­ne Zwei­fel, sei­ne Be­sorg­nis­se, sei­ne Ent­schul­di­gun­gen sind in ei­ner merk­wür­di­gen Ein­lei­tung auf­ge­zeich­net, die sehr ge­eig­net ist, von dem Geist und den An­sich­ten ei­nes fran­zö­si­schen Ge­lehr­ten je­ner Zeit eine Vor­stel­lung zu ge­ben. Die­ser Über­set­zer ge­steht, er füh­le, daß er alle Re­geln ver­let­ze; und wäh­rend er um Gna­de bit­tet für die selt­sa­men Er­dich­tun­gen, die er in ein fran­zö­si­sches Ge­wand zu klei­den ver­sucht habe, be­kennt er zu­gleich, daß ihm bei ge­wis­sen Stel­len vor Schre­cken und Ver­wun­de­rung die Fe­der aus den Hän­den ge­fal­len sei, als er alle Wohl­an­stän­dig­keit von dem eng­li­schen Sa­ti­ri­ker so keck habe ver­let­zen se­hen. Er zit­tert, es möch­ten ei­ni­ge Züge bei Swift auf den Hof von Ver­sail­les an­ge­wen­det wer­den, und er be­teu­ert mit vie­len Um­schwei­fen, es sei nur von den to­ri­z und wigts (to­rys und whigs) in dem auf­rüh­re­ri­schen Kö­nig­rei­che Eng­land die Rede. Er schließt mit der Ver­si­che­rung an sei­ne Le­ser, daß er nicht nur dem Ge­schmack sei­ner Lands­leu­te zu Ge­fal­len vie­les ver­än­dert habe, son­dern daß er auch alle Ein­zeln­hei­ten der See­rei­se und vie­le an­de­re Ei­gen­tüm­lich­kei­ten, die im Ori­gi­nal so ver­werf­lich sei­en, un­ter­drückt habe. Ohn­ge­ach­tet die­ser Af­fek­ta­ti­on von Ge­schmack und Zart­ge­fühl ist die Über­set­zung er­träg­lich. Zwar hat sich der Abbe Des­fon­tai­nes ent­schä­digt, in­dem er eine Fort­set­zung der Rei­sen in ei­nem, wie man leicht den­ken kann, von dem des Ori­gi­nals sehr ver­schie­de­nen Sti­le ver­öf­fent­lich­te.6 Auch in Eng­land hat man eine Fort­set­zung von Gul­li­ver­s Rei­sen (an­geb­lich einen drit­ten Band) ver­öf­fent­licht. Es ist dies die un­ver­schäm­tes­te Ver­bin­dung von Dieb­stahl und Ver­fäl­schung, die man sich je­mals in der li­te­ra­ri­schen Welt er­laubt hat. Wäh­rend man be­haup­tet, die­se Fort­set­zung sei vom Ver­fas­ser des ech­ten Gul­li­ver, fand es sich, daß sie nicht ein­mal das Werk sei­nes Nach­ah­mers war, der nur ein ganz un­be­kann­tes fran­zö­si­sches Werk, die Ge­schich­te der Se­ver­am­ben, ab­ge­schrie­ben hat­te.7

Ab­ge­se­hen von die­sen Fort­set­zun­gen muß­te ein Werk, das ein so großes Auf­se­hen ge­macht hat­te, not­wen­dig auf die Idee füh­ren, es nach­zuah­men, zu par­odie­ren und zu er­klä­ren; es muß­te not­wen­dig ei­ni­ge Dich­ter be­geis­tern, sei­nem Ver­fas­ser Lob­sprü­che und Sa­ty­ren ein­tra­gen, kurz, es muß­te Al­les ge­sche­hen, was ge­wöhn­lich einen sol­chen Tri­umph be­glei­tet, selbst den Skla­ven hin­ter dem Tri­um­phwa­gen nicht aus­ge­nom­men, des­sen rohe Be­lei­di­gun­gen den tri­um­phie­ren­den Au­tor dar­an er­in­ner­ten, daß er noch ein Mensch sei.

Gul­li­ver­s Rei­sen konn­ten die Gunst, in wel­cher der Ver­fas­ser am Hofe des Prin­zen von Wa­les stand, nur ver­meh­ren. Man schrieb ihm sehr fei­ne und sehr herz­li­che Brie­fe und vie­le Scher­ze über Gul­li­ver, die Ya­hus und die Lil­li­pu­ta­ner. Als Swift Eng­land ver­ließ, hat­te er die Fürs­tin und Mistreß Ho­ward um ein klei­nes Ge­schenk ge­be­ten, als An­den­ken an die Aus­zeich­nung, die sie ihm vor ei­nem ge­wöhn­li­chen Geist­li­chen zu­zu­er­ken­nen schie­nen. Er hat­te das Ge­schenk der Fürs­tin auf einen Wert von zehn Pfund Ster­ling und das Ge­schenk der Mistreß Ho­ward auf eine Gui­nee be­stimmt, die Fürs­tin ver­sprach ein Ge­schenk in Denk­mün­zen, die sie aber nie­mals über­schick­te. Mistreß Ho­ward, ih­rem Wor­te ge­treu­er, sand­te Swift einen Ring und kün­dig­te ihm ihn durch einen Brief an, auf den er im Na­men Gul­li­ver­s ant­wor­te­te; Swift füg­te zu der Ant­wort eine klei­ne gol­de­ne Kro­ne hin­zu, die das Dia­dem von Lil­li­put vor­stell­te. Die Fürs­tin ge­ruh­te, ein Stück Sei­de aus ei­ner iri­schen Fa­brik an­zu­neh­men, aus dem sie sich ein Kleid ma­chen ließ. In sei­nem Brief­wech­sel kommt Swift ein we­nig all­zu­oft auf die­ses Ge­schenk zu­rück. Al­les schi­en dar­auf hin­zu­deu­ten, daß, im Fall der Fürst den Thron be­stei­gen wür­de, Gul­li­ver, um uns der Aus­drücke des Lord Pe­ter­bo­rough zu be­die­nen, »sei­ne Tanz­schu­he nur mit Krei­de zu be­strei­chen und auf dem Sei­le tan­zen zu ler­nen brau­che, um Bi­schof zu wer­den.«

Der Sturz des Groß­schatz­meis­ters von Lil­li­put, der von dem Sei­le fällt, auf wel­chem er tanz­te, und der an ei­nem Kis­sen des Kö­nigs das Bein bricht, ist eine An­spie­lung auf die Ent­las­sung Wal­po­les im Jah­re 1717, die in Fol­ge der Ver­wen­dung der Her­zo­gin von Ken­dal zu sei­nen Guns­ten nicht an­ge­nom­men wor­den war. Die Ver­spot­tung der Rit­ter­or­den durch das Ge­mäl­de der ed­len Lil­li­pu­ta­ner, wel­che über einen Stock sprin­gen, um ein blau­es, ro­tes oder grü­nes Band zu er­hal­ten, ist ein ge­gen Wal­po­le ge­schleu­der­ter Pfeil, der, um die Ehren und Be­loh­nun­gen zu ver­viel­fäl­ti­gen, den Ba­tor­den wie­der her­stell­te, als ers­te Stu­fe zu dem Ho­sen­bandor­den.  <<<

Der­je­ni­ge, wel­cher be­auf­tragt ist, die Ide­en der Gro­ßen in La­pu­ta wach zu er­hal­ten.  <<<

Der Dechant er­zähl­te auch von New­ton, sein Die­ner sei ein­mal, nach­dem er ihm an­ge­zeigt, daß das Mit­ta­ges­sen auf­ge­tra­gen und lan­ge auf ihn ge­war­tet hat­te, zu­rück­ge­kom­men, und habe ihn auf ei­ner Lei­ter ge­fun­den, die an ei­nem Fach sei­ner Biblio­thek stand, in sei­ner lin­ken Hand ein Buch hal­tend, den Kopf auf sei­ne Rech­te ge­stützt und so in Be­trach­tung ver­tieft, daß er ge­nö­tigt ge­we­sen sei, nach drei­ma­li­gem ver­geb­li­chem Ru­fen ihn zu schüt­teln, um ihn aus sei­nen Be­trach­tun­gen auf­zu­we­cken. Dies war al­ler­dings das Amt ei­nes »Schlä­gers.«  <<<

Ak­zi­den­zi­en nennt man die zu­fäl­li­gen, nicht re­gel­mä­ßi­gen wie­der­keh­ren­den Ein­künf­te vor­zugs­wei­se der Geist­li­chen und Schul­leh­rer. (Brock­haus Bil­der-Con­ver­sa­ti­ons-Le­xi­kon, Band 1. Leip­zig 1837., S. 16-17.)  <<<

Meh­re­re Jah­re lang sag­te er, wenn er sei­ne Freun­de ver­ließ a­dieu! der Him­mel be­schüt­ze euch, ich hof­fe, wir wer­den uns nie mehr se­hen. Als einst ein an­de­rer Geist­li­cher und Er sich so eben von ei­nem großen sehr schwer­fäl­li­gen Spie­gel ent­fernt hat­ten, ris­sen plötz­lich die Stri­cke, die ihn fest­ge­hal­ten hat­ten, und er fiel mit großem Geräusch her­ab. Als der Geist­li­che be­merk­te, wie glück­lich sie sich schät­zen durf­ten, so gut da­von ge­kom­men zu sei­en, sag­te Swift: Wäre ich al­lein ge­we­sen, so wür­de ich be­dau­ern, mei­nen Platz ver­än­dert zu ha­ben.  <<<

Die­se Fort­set­zung hat den Ti­tel: »Der neue Gul­li­ver; das heißt, die Rei­sen Jo­hann Gul­li­ver­s, des Sohns vom Ka­pi­tän Le­mu­el.« Sie ste­hen mit dem Ori­gi­nal in kei­ner en­gern Ver­bin­dung als Fe­ne­lons Te­le­mach mit der Odys­see. Der Abbe Des­fon­tai­nes hat die küh­nen und un­re­gel­mä­ßi­gen Er­dich­tun­gen, die bei­ßen­den sa­ty­ri­schen Leh­ren, die ein­fa­che ins Ein­zel­ne ge­hen­de Dar­stel­lung Swifts ver­mie­den. Jo­hann Gul­li­ver ist ein er­dich­te­ter Rei­sen­der, der kein In­ter­es­se ein­flöst, der in ein Land reist, in wel­chem die Frau­en herr­schen; in ein an­de­res, wo die Ein­woh­ner nur einen Tag le­ben; in ein drit­tes, wo die Häß­lich­keit Lie­be und Be­wun­de­rung ein­flöst. Ob­gleich Des­fon­tai­nes hin­ter der an­zie­hen­den Ori­gi­na­li­tät sei­nes Mus­ters weit zu­rück­bleibt, so ist doch sein Werk nicht ohne Phan­ta­sie und Ta­lent. Er rich­te­te einen Brief an Swift we­gen sei­ner Über­set­zung: aber die­ser nahm sei­ne Ent­schul­di­gung über die Ver­stümm­lun­gen und Ver­än­de­run­gen nicht an, die er an sei­nem Wer­ke an­ge­bracht hat­te, um es dem fran­zö­si­schen Ge­schma­cke an­zu­pas­sen.  <<<

Gleich im An­fang des Jah­res 1727 er­schi­en der drit­te Band von Gul­li­ver­s Rei­sen ohne den Na­men ei­nes Buch­druckers, in dem­sel­ben For­mat wie die Rei­sen, Der Ver­fas­ser läßt Gul­li­ver eine zwei­te Rei­se nach Brob­din­g­nag ma­chen, aber ob­gleich er sei­nen Geist nicht be­son­ders an­streng­te, wird er doch bald sei­ner Ver­pflich­tung, selbst zu er­fin­den, müde, und füllt den Rest des Ban­des mit der Ko­pie ei­ner er­dich­te­ten Rei­se, die fran­zö­sisch ge­schrie­ben und »Ge­schich­te der Se­ver­am­ben« be­ti­telt ist, und wel­che dem Schrift­stel­ler Al­letz zu­ge­schrie­ben wird. Das Werk wur­de in Frank­reich und in den üb­ri­gen ka­tho­li­schen Rei­chen we­gen der dar­in ent­hal­te­nen deis­ti­schen Ide­en un­ter­drückt, und da es so­mit sel­ten war, glaub­te der Pla­gia­ri­us, es ohne Ge­fahr als ein Ori­gi­nal­werk ver­öf­fent­li­chen zu kön­nen.  <<<

IV.

Swift war von ho­her Ge­stalt, kräf­tig und wohl­ge­bil­det. Er hat­te blaue Au­gen, brau­ne Far­be, schwar­ze di­cke Au­gen­brau­en, eine Ad­ler­na­se, und sei­ne Züge drück­ten die gan­ze Stren­ge, Uner­schro­cken­heit und den gan­zen Stolz sei­nes Cha­rak­ters aus. In sei­ner Ju­gend galt er für einen sehr schö­nen Mann und in sei­nem Al­ter war sei­ne Ge­stalt, ob­gleich fins­ter, im­mer noch edel und ehr­furcht­ge­bie­tend. Er sprach in sei­nen Re­den mit Wär­me und Leich­tig­keit; sein Ta­lent zur Po­le­mik war zu po­li­ti­schen De­bat­ten so ge­eig­net, daß die Mi­nis­ter der Kö­ni­gin An­na oft be­dau­ern muß­ten, es nicht da­hin ge­bracht zu ha­ben, ihm einen Sitz auf der Bank der Bi­schö­fe in der Pairs­kam­mer zu ver­schaf­fen. Die Re­gie­rung von Ir­land fürch­te­te sei­ne Be­redt­sam­keit eben­so als sei­ne Fe­der.

Sein Be­tra­gen in Ge­sell­schaft war ge­fäl­lig und leut­se­lig und nicht ohne ori­gi­nel­len An­strich; aber er wuß­te sich so gut in die Um­stän­de zu fü­gen, daß sei­ne Ge­sell­schaft all­ge­mein ge­sucht war.

Als das Al­ter und die ge­rin­ge­re Bieg­sam­keit sei­nes Geis­tes dem Gleich­mut sei­nes We­sens schon Ein­trag ge­tan hat­ten, lieb­te man noch sei­ne Un­ter­hal­tung. Man fand sie in­ter­essant nicht bloß durch sei­ne Kennt­nis der Welt und der Sit­ten, son­dern auch durch den sa­ty­ri­schen Hu­mor, mit wel­chem er sei­ne Be­mer­kun­gen und An­ek­do­ten würz­te. Es war dies nach Or­re­ry die letz­te sei­ner Fä­hig­kei­ten, die er ver­lor; aber der Dechant selbst be­merk­te, daß, je mehr sein Ge­dächt­nis ab­nahm, er sei­ne Ge­schich­ten öf­ter wie­der­ho­le.

Sei­ne Un­ter­hal­tung, sei­ne wit­zi­gen Ein­fäl­le und spit­zi­gen Ant­wor­ten wur­den als un­ver­gleich­lich be­trach­tet; aber wie es bei al­len de­nen der Fall ist, die dar­an ge­wöhnt sind, die Un­ter­hal­tung des­po­tisch zu be­herr­schen, leg­te ein un­er­war­te­ter Wi­der­stand ihm zu­wei­len Still­schwei­gen auf.

Er lieb­te sehr die Wort­spie­le. Ei­nes der bes­ten die viel­leicht je ge­macht wor­den, ist die An­wen­dung des Vir­gi­li­schen Ver­ses:

»Man­tua vae! mi­se­rae ni­mi­um vi­ci­na Cre­mo­nae«

auf eine Dame, die mit ih­rem Man­tel eine cre­mo­ne­ser Vio­li­ne auf den Bo­den ge­wor­fen hat­te. Das Wort­spiel, mit wel­chem er einen be­tag­ten Mann trös­te­te, der sei­ne Bril­le ver­lo­ren hat­te, ist groß­ar­ti­ger: »Wenn es die gan­ze Nacht fort reg­net, wer­den Sie die­sel­be un­fehl­bar mor­gen früh fin­den.«

Noc­te plu­it tota, re­deuntspec­ta­cu­la mane.1

Sei­ne Ver­le­gen­heit in ei­ner bes­se­ren Sor­te von Wit­zen wird durch meh­re­re An­ek­do­ten be­stä­tigt. Ein vor­neh­mer Mann, des­sen Be­tra­gen nicht das ge­ord­nets­te war, hat­te zur De­vi­se ge­nom­men: »eques haud male no­tus.«

Swift über­setz­te die­se Wor­te so: »So gut be­kannt, daß ihm kein Mensch mehr traut.«

Er hat­te eine ei­gen­tüm­li­che Nei­gung, Sprich­wör­ter zu im­pro­vi­sie­ren. Er ging einst mit ei­ni­gen an­dern Per­so­nen im Gar­ten ei­nes Man­nes von sei­ner Be­kannt­schaft spa­zie­ren und als er sah, daß der Herr des Hau­ses nicht dar­an den­ke, ih­nen Obst an­zu­bie­ten, sag­te Swift: ei­ner der Sprü­che sei­ner Groß­mut­ter sei ge­we­sen:

Al­ways pull a pe­ach, When it is in your re­ach.2

und mit die­sen Wor­ten ging er der Ge­sell­schaft mit sei­nem Bei­spiel vor­an.

Ein an­der­mal fiel ein Mann, mit dem er einen Spa­zier­ritt mach­te, in eine Pfüt­ze:

The more dirt, the less hirt.3

sag­te Swift zu ihm; der Mann stand auf, bei­na­he ge­trös­tet über sei­nen Fall. Er war ein großer Lieb­ha­ber von Sprich­wör­tern und wun­der­te sich, daß er das, wel­ches der Dechant so eben so glück­lich an­ge­wen­det hat­te, nicht kann­te. Swift fand eine Un­ter­hal­tung dar­in, Sprich­wör­ter zu­sam­men­zu­set­zen; sein Ta­ge­buch an Stel­la be­weist, mit wel­cher Leich­tig­keit er die ge­ring­fü­gigs­ten Ge­gen­stän­de in Rei­men brach­te, und sei­ne Poe­si­en be­ur­kun­den eine un­er­schöpf­li­che Frucht­bar­keit.

Er hielt au­ßer­or­dent­lich auf Rein­lich­keit. Die­se Ge­wohn­heit ging bis in’s Gril­len­haf­te. Er übte sich gern, na­ment­lich im Fuß­ge­hen. Un­se­re mo­der­nen Fuß­gän­ger wür­den la­chen über die Wet­te, die er ein­ging, zu Fuß nach Che­s­ter zu ge­hen, und da­bei täg­lich zehn Mei­len zu­rück­zu­le­gen (es sind un­ge­fähr zwei­hun­dert Mei­len). Gleich­wohl glaubt man, Swift habe sich zu sehr an­ge­strengt und sei­ne Ge­sund­heit habe dar­un­ter ge­lit­ten. Er war ein ziem­lich gu­ter Rei­ter, ritt gern und war Pfer­de­ken­ner: er wähl­te die­ses edle Tier aus zum Sinn­bild des sitt­li­chen Ver­diens­tes, un­ter dem Na­men Huy­hn­hn­m. Swift be­wog sei­ne Freun­de, be­son­ders Stel­la und Va­nessa, Reit­stun­den zu neh­men; er mach­te ih­nen bei­na­he eine Pf­licht dar­aus. Bei­na­he in je­dem Brie­fe spricht er da­von, als von ei­ner für sei­ne Ge­sund­heit we­sent­li­che Sa­che, die durch Taub­heit und apo­plek­ti­sche Zu­fäl­le sehr schwan­kend ge­wor­den war. Er war mit Scro­pheln be­haf­tet, die viel­leicht die Zer­rüt­tung sei­nes Geis­tes be­schleu­nig­ten. Die ei­gent­li­che Ur­sa­che war in­des eine An­samm­lung von Was­ser im Ge­hirn, wie es sich bei der Öff­nung nach sei­nem Tode er­wies.

Die Wohl­tä­tig­keit des Dechan­ten er­hob sich über die ge­wöhn­li­che Mild­tä­tig­keit, und ob­gleich er im­mer eine ge­wis­se Sum­me in ver­schie­de­nen Mün­zen bei sich trug, um sie an die zu ver­tei­len, die ihm des Bei­stan­des wür­dig schie­nen, so war sein Haupt­zweck doch der, den wahr­haft Be­dürf­ti­gen zu Hil­fe zu kom­men, ohne fürch­ten zu müs­sen, von Müs­sig­gän­gern ge­täuscht zu wer­den. Er schrieb meh­re­re Ab­hand­lun­gen über die­sen Ge­gen­stand. Man emp­fing ihn über­all mit den Zei­chen der tiefs­ten Ehr­furcht; er sag­te, man dür­fe eine Sub­skrip­ti­on er­öff­nen, um ihn mit Hü­ten frei zu hal­ten, denn die Sei­ni­gen wer­den durch die vie­len Be­grü­ßun­gen, die er er­wi­dern müs­se, im Au­gen­bli­cke ab­ge­nützt.

Er stell­te ein­mal das Ver­trau­en, wel­ches das Pub­li­kum auf alle sei­ne Wor­te setz­te, auf eine sehr hei­te­re Pro­be.

Es war eine große Mas­se Volks um das Dechan­ten­haus ver­sam­melt, um eine Son­nen­fins­ter­nis zu be­ob­ach­ten. Swift, über den Lär­men un­ge­hal­ten, ließ durch den Küs­ter ver­kün­di­gen, auf Be­fehl des Dechan­ten von St. Pa­trick wer­de die Son­nen­fins­ter­nis auf­ge­scho­ben. Die­se au­ßer­or­dent­li­che Nach­richt wur­de sehr ernst­haft auf­ge­nom­men und das Volk zer­streu­te sich.

Der Cha­rak­ter Swift, als Schrift­stel­ler, bie­tet drei merk­wür­di­ge Ei­gen­tüm­lich­kei­ten dar.

Die ers­te Ei­gen­schaft, die ihn aus­zeich­net, und die ei­nem Au­tor, we­nigs­tens von sei­nen Zeit­ge­nos­sen, sel­ten zu­ge­stan­den wird, ist die Ori­gi­na­li­tät. Der strengs­te Kri­ti­ker kann sie ihm nicht ab­spre­chen. Selbst John­son ge­steht, daß es viel­leicht kei­nen Au­tor gebe, der so we­nig von An­dern ent­lehnt und so viel Recht habe, für ori­gi­nell ge­hal­ten zu wer­den.

Es war in der Tat nichts ver­öf­fent­licht wor­den, das Swift zum Mus­ter hät­te die­nen kön­nen, und die we­ni­gen Ide­en, die er ent­lehnt hat, sind durch das Sie­gel, das er ih­nen auf­drück­te, die Sei­ni­gen ge­wor­den.

Die zwei­te Ei­gen­tüm­lich­keit, auf die wir be­reits auf­merk­sam ge­macht ha­ben, ist Swifts