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Günter Herburger zeigt sich auch in den hier versammelten Gedichten/Texten als jemand, für den nur wenig endgültig ist. Ob er von Verwandten, Freunden und über politische Probleme spricht, oder ob er die maßlose Zerstörung als "Begradigung der Natur" bezeichnet: in all seinen Gedichten mischen sich Trauer und Hoffnung. Beklagt wird, was unwiederbringlich verging und abstirbt, verlangt wird, was noch zu erreichen ist. Sowohl "Sprachartisten" (Schriftsteller*innen) wie auch "Laien" (Leser*innen) wählten Gedichte/Texte für dieses Bändchen aus und schrieben einen Begleittext dazu; einige berichten auch von Begegnungen mit Günter Herburger.
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Seitenzahl: 126
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GÜNTER HERBURGER
ausgewählte Gedichte
von Schriftstellern und Freunden
Mirko Bonné
Oswald Burger
Dietmar Dath
Gerd Holzheimer
Jürgen Klingel
Karlheinz Kluge
Susanne Lang
Dr. Wolfgang Proske
Anja Röhl
Hermann Schleicher-Rövenstrunck
Siegfried Späth
Jürgen-Peter Stössel
Anthimos Toupheksis
Jan Wagner
Herausgeber:
Jürgen Klingel | Siegfried Späth
Ulm im März/April 2019
„Der Wecker auf dem Marmortisch
im Haus wird lauter,
wir stehen auf, besinnen uns, schauen hinaus
und freuen uns, noch da zu sein.“
Günter Herburger
Es ist nun ein Jahr her, dass Günter Herburger starb.
Sie kennen ja seine Vita; 1932 in Isny im Allgäu geboren, ein
ungewöhnlich buntes Leben lebend, schrieb er in seltener
Vielfalt so gut wie in allen Genres der Literatur.
Wir haben nun die Idee, eine kleine Auswahl mit Gedichten von
Günter Herburger zu besorgen, schrieb er doch sein Lebtag in
allen und zu allen Zeitläuften Gedichte in ganz eigener Sprache
von großer Einprägsamkeit und Schönheit.
Unsere Idee also ist es, für diesen Gedichtband - wir dachten an
mindestens 50 Gedichte - auch einige Freundinnen und Freunde von
Günter Herburger zu bitten, ein Gedicht von ihm auszusuchen und
mit einem Begleittext in diese Sammlung zu geben.
Schön wäre es, wenn Sie bei diesem Unternehmen mittun würden.
Die Drucklegung des Bandes soll zu den baden-württembergischen Literaturtagen, die u.a. in Isny im Jahr 2020 stattfinden, erfolgen.
Daher wäre es gut, wenn Sie uns bis Ende Juli 2019 Ihr
Günter-Herburger-Lieblingsgedicht mit Begleittext zusenden.
Per email an: [email protected]
„ . . . in der Zukunft wird einer vom anderen lernen, wird in den Furchen die Mikroben um sich sammeln und im Weltraum Sternenstaub. Es soll, wenn es gelingt, ein Fest werden gleich den feurigen Flüssen aus dem Erdinnern, wie die Schreie über den Brutkolonien an den Vogelfelsen Grönlands, abgestimmt mit dem begeisterten Flüstern der Röntgensignale von fernen Galaxien. Das Netz das uns umfasst, ist längst geknüpft.
geboren am 6. April 1932 in Isny im Allgäu, gehört zu den wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur.
Er studierte in München Theaterwissenschaften, Literatur, Philosophie und Sanskrit und ging 1953 für drei Jahre nach Paris.
1964 erschien sein erstes Buch „Eine gleichmäßige Landschaft“. Im gleichen Jahr kam es zu einer ersten Teilnahme an der Tagung der Gruppe 47.
Günter Herburger veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Gedichtbände, Hörspiele und Filmdrehbücher.
Seit 1983 nimmt er regelmäßig an Marathon- und Extremlangstreckenläufen teil.
Für sein Gesamtwerk erhielt er zahlreiche Preise und Auszeichnungen, u. a. den Lübecker Autorenpreis, den Peter-Huchel-Preis und den Hans-Erich-Nossack-Preis.
Günter Herburger starb am 3. Mai 2018 in Berlin.
Seine letzen Werke:
Schatz, Liebesgedichte
Kugelberg-Verlag 2015, ISBN 978-3-945893-03-6
Wildnis, singend, Roman
Hanani 2016, ISBN 978-3-944174-24-2
In Planung: sein letzter Gedichtband „Stolz der Urnen“,
kurz vor seinem Tod vollendet.
Mirko Bonné
Oswald Burger
Dietmar Dath
Gerd Holzheimer
Jürgen Klingel
Karlheinz Kluge
Susanne Lang
Dr. Wolfgang Proske
Anja Röhl
Hermann Schleicher-Rövenstrunck
Siegfried Späth
Jürgen-Peter Stössel
Anthimos Toupheksis
Jan Wagner
Saurüssele (aus: Der Kuss)
Das Wichtigste,
was man von Schweinen
lernen kann: kein Mensch zu sein.
Sie sind sehr sauber,
sehr gefühlvoll, ein wenig zänkisch,
kämpferisch, aber dann lieben
sie einander wieder,
und wenn sie weinen,
was sie gerne tun, schreien
sie kaum und lächeln dabei.
Einen Tag, bevor sie
geschlachtet werden sollen,
sind sie nervös und konfus,
rennen umher und beschmutzen sich.
Dann beginnen sie zu singen,
sehr tief und sehr hoch,
wir vermögen es nicht zu hören.
Kein einziges Schwein ist bekannt,
das alt, krank und mager
noch auf der Weide lebte,
ganz und gar nicht allein,
weil umgeben von Igeln,
sodass, wenn es stirbt,
es auch ein Häufchen wäre,
bedeckt von Blättern und Geschmeiß,
deren Konzerte
wir niemals vernehmen.
Der Dornenbarsch (aus: Ein Loch in der Landschaft)
Sein Maul aufgerissen,
erstickt ist er, der kleine Mensch,
ein Lungen- und Kiemenatmer.
Ausgenommen, filetiert,
den Kopf abgeschnitten,
wird er mit Fischgarn umwickelt
und liegt auf einem Gemüsebeet,
kurz in Öl gebraten.
Manchmal steigt der Züchter,
ein Biologe, ins Bassin,
möchte, um ihn zu lieben,
seinen Tauchanzug ablegen,
was ihm erst gelingen wird,
wenn er geworden ist wie er.
Tausende schwimmen durcheinander,
gemästet von Fett- und Eiweißtropfen
sowie Spurenelementen. Die Gestapelten
reiben sich gegenseitig wund.
Der Dornenbarsch bricht aus,
treibt sich vor Helgoland herum.
Seine Hysterie und Doppeldeutigkeit
bedient sich akustisch-haptischer Nautik.
WeberknechtMirko Bonné für Günter Herburger
Auf haarfeinen acht Leitern
steigt ein silbernes Auge
durch Lichtvierecke, da,
gesehen? – es blinzelt.
Der Wald. Alles Messer,
Nadeln endlos. Worauf
so ein Augendesperado
auf acht Klingen steigt.
Er hat Dornenwimpern.
Bebt, wenn im Weiher
Forellen trauern, still
weinen unter Wasser,
oder ganz unfassbar
Blätter zittern, Pappeln
im erfinderischen Wind –
einmal so erfunden sein.
So kommt er auf dich zu,
du fahle Karkasse. Äugt,
nimmt dich in den Blick
und deinen mit sich fort.
24. 3. 2011Brief von Günter Herburger an Mirko Bonné
Lieber Mirko Bonné
ich habe solche Gedichte noch nie gelesen, nirgendwo. Sie stürzen schwebend wie vom Himmel herab. Was für eine Pracht der Vorsicht, der Sehnsucht, des versteckten Begehrens, und immer wieder dann und wann ein Schnörkel der Kokettheit. Es ist einzigartig.
Die Luft darin entzückt mich besonders. Es sind sehr moderne Gedichte der Abkürzungsmöglichkeiten (sic!) und der Gedankenschnelle. Ich weiß, daß solche Manöver im Englischen besonders leichter sind, aber Sie haben auch etwas dazu getan, indem Sie, um schließlich abzuschließen, den germanischen Spachtel zückten.
(…)
Verehrter Mirko Bonné, Sie haben mir mit diesen Gedichten ein riesiges Geschenk gemacht. Als ich zum ersten Mal las, weinte ich zweimal, aber nur nachts. Im Bett liegend wie ein Brett mit angelegten Armen, stellte ich mir vor, wie (statt „wir“. M.B.) gingen vorsichtig nebeneinander spazie(ren,) denn ich war in sie verliebt, und so wird es immer wieder geschehen,
Einmal faßten wir uns an den Händen, dann rieben die Schultern zart aneinander, und irgendwann, vor ihrer Tür, zu (der) eine Treppe hinaufführte (), küßten wir uns mit trockenen Lippen. Mehr hätte niemals geschehen können.
Wer war sie? Immer in derselben Stadt? Hatte sie noch Eltern, Geschwister? Von was lebte sie? Wie entstand die glühende Einsamkeit. Aus Religiosität? Daran glaube ich nicht. Denn sie hat den ewigen Geliebten stets vor sich hergeschickt, als wollte sie allein den Himmel erforschen, auch hatte der Geliebte kaum einen Makel. (…)
Manchmal gab sie ihm eine kaum ausgeführte Ohrfeig(e,) um wieder Platz zu kriegen für ihre Sehnsucht, die sie am Leben hielt. Was für ein einzigartiges Geschöpf, dessen Dichtung sich zu uns herüberwölbt () und ganz und gar zu nichts auffordert, allein den Schein behält eines wunderbaren (sic!) Begehrens, das nie erfüllt wird. Es ist, als würde(n) wir mehrmals zur Blutspendung gehen, um wenigstens (äußer?)lich schüchterner zu werden.
(…)
Wenn Sie in Friedenau sind, möchte ich Sie gern treffen, aber das schrieb (ich) wahrscheinlich auch ()(schon). Ich werde wie ein bekleideter Esel vor Ihnen stehen. (Na, na, zurück, Haltung, so wird’s nicht sein.)
Herzlich Ihr Günter Herburger
19. 2. 2012Brief von Günter Herburger an Mirko Bonné
Ich habe mir verboten, zwei, drei Jahre keine Gedichte mehr zu schreiben, dafür kommt im Frühjahr ein Erholungsbüchlein heraus: ‘Haitata‘, kleine geschwinde Romane.
Lieber Mirko Bonné,
ich schwebte in Ihren Gedichten dahin, dachte, wieso macht er sie, denn ich könnte solche nicht schreiben, aber dann fand ich, daß eine Menge Mädchen und junger Frauen dabei waren, denen auch nicht gewidmet wird, was ich niemals tun würde, denn Gedichte werden dadurch nicht besser, eher gewöhnlicher, wie nach einem Abwasch in der Küche, doch dann stakste der Weberknecht auf mich zu, mit seinen Karkassen-Augen unbeirrt und nahm mich mit.
Jesus, dachte ich, wer ist denn das? Und jetzt erst sah ich, daß das Gedicht mir gewidmet ist. – Danke, obzwar unnötig, ich hätte auch ohne Widmung begriffen.
Bei Emily Dickinson breche ich sofort ein und () erhalte ziemliches Flattern im Magen. Es ist wunderbar, wie Sie übersetzen können, neuzudichten vermögen. Ich weiß nicht, woher Sie diese Fähigkeit haben? Mich hat übersetzen nie sehr interessiert.
Ich las zuerst immer den englischen Text, dessen Fähigkeiten ich nicht ermessen kann, auch, weil mir Vokabeln fehlen. Dann las ich die Übersetzung und staunte immer wieder, wie elegant und leicht Sie diese Schwanenhals-Gedichte in ihre anderen Formen bringen, die manchmal bei der Dickinson bis zum Rand geraten, als breche der Hals ab.
(…)
Ich habe nur einmal aus dem Französischen übersetzt, doch der Text gefiel mir oft nicht, also habe ich meinen hineingeschrieben. Niemand hat es gemerkt.
Ach, die Dickinson in ihrem Haus. Ich stünde davor, sie käme heraus, wir gingen durch den nächtlichen Garten, und beim Abschied wieder vor der Tür, umarmte sie mich flüchtig, und wir küßten uns mit einem Hauch. – Sehen Sie, schon wieder, wegen ihr, wurde eine Art Gedicht daraus.
Ich wünsche ein harmloses Jahr,
was (sic!) ich es auch mir wünsche, herzlich Ihr
Günter Herburger (geschrieben mit einem „Parker rolled Gold, made in England“, der zu spitzig schreibt. Diese Verehrung mit einem Edelgerät ging daneben.
Gefühlte Weitevon Mirko Bonné
Zur Erinnerung an Günter Herburger
Ein letztes Mal
den Baum bestaunt,
der die Straße baut,
zum letzten Mal
abgetastet Zähne
mit der Zunge,
zuletzt noch mal
die Küste besucht,
Küsse im Dunkeln.
Der Fürst liegt
auf seinem Bett,
wird angezündet.
Hinter ihm steht seine Frau,
tief ein und ausatmend.
Das Boot wird irgendwann
lodernd im Fjord versinken.
Der ganze Stamm
steht noch an der Küste,
schickt brennende Pfeile nach.
Kein Kind weint,
kein Wolfshund jault.
(aus: Schatz. Liebesgedichte)
Als ich erfuhr, dass Rosemarie Herburger am Ostersonntag 2018 gestorben war und man mir die Umstände ihres Todes schilderte, erinnerte ich mich sofort an das Gedicht, mit dem der Band „Schatz“ beginnt.
Und als vier Wochen später, am 3. Mai 2018, auch Günter Herburger starb, stürzte mich das in kuriose Verwirrungen.
Hatte er geahnt, dass seine Frau die Wohnung anzünden würde?
Wusste er, dass er dabei selbst auch umkommen könnte?
Oder hatte ich das Gedicht nicht richtig verstanden?
Als schließlich die Beerdigung in Isny bevorstand, war ich mir sicher, dass Günter Herburger nicht christlich beerdigt werden wollte, sondern dass er als Freidenker keine religiöse Feier wollte.
Erst am Vorabend der Beerdigung rief mich der evangelische Pfarrer Ziegler aus Isny an, ob ich einen Nachruf auf der Schriftsteller Günter Herburger sprechen könne. Er selbst werde ihn als Christ bestatten. Offenbar war Günter Herburger nie aus der evangelischen Kirche ausgetreten und habe wohl einmal im Jahr seine Frau zu einem Gottesdienst begleitet. Daraufhin verzichteten die Freidenker auf ein eigenes Beerdigungsritual und konnten auch nicht Günter Herburgers Wunsch durchsetzen, dass er stehend beerdigt werden wollte.
Nach einigem Zögern sagte ich zu, auf der Beerdigung zu sprechen. Es war dann eine ganz formelle christliche Zeremonie mit Gebeten (22. Psalm, „Vater unser“), Liedern („Großer Gott wir loben dich“, „Von guten Mächten“, „Befiehl du deine Wege“), Schriftlesung (Röm. 8, 31-39), Predigt, am Grab einem „Auferstehungswort“ und am Ende dem Segen des Pfarrers. Mein Part war dabei ein „Nachruf“ mit Erinnerungen an den Autor und Aufklärer Günter Herburger und an seine legendären Auftritte beim Literarischen Forum Oberschwaben.
Etwa 40 Personen waren anwesend, von den literarischen Kolleginnen und Kollegen nur zwei, Stefanie Kemper und Claudia Scherer. Ich sah die beiden Kinder Katrine und Oliver, Verwandte, Freunde und den Isnyer Bürgermeister, kein Kind, keinen Wolfshund.
Die „grüne Hölle Allgäu“, wie er gelegentlich seine Heimat nannte, hatte ihn wieder. Ich verließ das Allgäu mit der sicheren Empfindung, dass Günter Herburger es so nicht gewollt hatte.
Als ich wenige Wochen danach an Günter Herburgers Wohnhaus in der Blissestraße 65 in Berlin vorbei kam, stand auf dem Klingelschild immer noch „Herburger“, die Wohnung im ersten Stock des schönen Jugendstilhauses sah leer und unbewohnt aus.
Brandschäden waren nicht mehr sichtbar.
Poetische Technik (aus: Operette)
Das harte kleine Leistungsgesicht meines Sohnes,
wenn er sich von oben bis unten wäscht,
was er hygienisch nennt.
Das zarte reine Begeisterungsgesicht auf einen Sohn,
das von oben bis unten gewaschen wird,
wenn verschämte Rührung brennt.
Rabiate Verheißungsgedicht auf einem Thron,
von oben bis unten gewachst,
daß das Zeilenmaß rennt.
Wer Leser hat, bereut es schon, wenn er verspricht,
von oben bis unten gewaschen oder nicht,
was keine Lösung kennt.
Das harte kleine mürrische Gesicht meines Sohnes
von oben bis unten abgeküßt und naß,
wenn es gewaschen wird und flennt.
In Gedichten von Gedichten zu sprechen und davon, wie das geht, ein Gedicht machen, ist verboten. Nur Asoziale machen das, die nicht dankbar dafür sind, dass sie sich zurückziehen dürfen, um mit Menschen zu reden, also das Beste aus beiden Sphären mitnehmen, der privaten und der öffentlichen. Aber dann macht Herburger das Verbotene, und er macht es so:
Das harte kleine Leistungsgesicht meines Sohnes,
wenn er sich von oben bis unten wäscht,
was er hygienisch nennt.
Die Überschrift verrät, zu welchem verbotenen Zweck diese erste Strophe hinführt, und dann kommt die zweite, die es bereits erreicht, dieses Verbotene:
Das zarte reine Begeisterungsgedicht auf einen Sohn,
das von oben bis unten gewaschen wird,
wenn verschämte Rührung brennt.
Es reimen sich also nicht einfach Zeilen, sondern Strophen, und später wird‘s noch raffinierter; das Gedicht erreicht, obwohl (oder weil) am Ende geflennt wird, eine Perfektion, die von allen Schwierigkeiten loskommt, ohne sie zu leugnen, den lyrischen und den menschlichen. Man darf, lehrt das Schmuckstück, auch mal asozial sein, solange es in der Familie bleibt.
Nähe (aus: Im Gebirge)
Jetzt sind Tankstellen
auch nachts geöffnet.
Es gibt Bier,
vielerlei Liköre, verschweißte Brote,
Zeitungen und aufblasbare Puppen,
überlebensgroß.
Manchmal treten Ameisen,
aufrecht gehend, an den Rand der Kasse,
was niemanden zu stören scheint,
und verlangen nach Wechselgeld.
Vielleicht stammt diese Pracht
aus kleinen, gelben Lexika,
die ebenfals vorrätig sind?
Mitunter landet ein Fallschirmspringer,
der bittet, Stellen aus seinen Lehrbüchern
über Philosophie und Strömungstechnik
nicht mehr zu erwähnen, auf dem Flachdach
und verlangt nach Petroleum,
weil er am nächsten Tag in großer Höhe
Fenster putzen müsse.
Schwarze, umhereilende Inseln
in den Glaskörpern der Augen,
fügten sich zusammen;
es war nichts mehr zu sehen
jedoch im Hintergrund
lief einer durch Straßen.
Jesus, dachte ich,
wie schnell und leicht er ist!
Er beginnt morgens,
ohne zu essen, wie ich.
Zwei Seiten, darauf die gesamte Teichweite der Lyrik, erstes Wort: „Jetzt“, letztes Wort: „ich“. Dazwischen passiert alles, unter anderem „landet ein Fallschirmspringer“, kein reiner Abenteurer und Action-Kerl natürlich, wir sind bei Herburger, es ist ein sportlicher Gelehrter. Auch das Gedicht lehrt etwas, ohne Anstrengung: Wie „jetzt“ für immer gilt und dass „ich“ eine Einladung an alle ist, sich anzuschauen, was wir noch nicht wissen. Zum Staunen, „wie schnell und leicht er ist!“ So schreiben: eine unglaublich raffinierte Art, Freiheit zu fordern, indem man auf etwas deutet, das schon fast frei ist.
Meine Tochter und ich(aus: Orchidee)
Im Zoo, wo die grauen Elefanten
mit ihren großen Ohren,
schweren Häuptern
und langen Rüsseln
vor Langeweile leise zanken,
stehen wir und essen
kleine, gesalzene Nüsse,
verachten die unnatürliche
Menschlichkeit der Affen,
beugen uns nieder, immer tiefer
gleich den Giraffen, die nur
mit auseinandergestellten Beinen
Wasser lassen können,
streicheln uns im Anblick
von Schlangen langsam und schön
und geben uns flüchtige Küsse,
die schon vorüber sind,
bevor sie uns bewegen.
Im Zoo, wo die vielen Tierarten
auch bei Regen auf Besuch warten,
weil jeder Schatten
ihnen wenigstens ein Echo
ihrer Instinkte bringt,