Günther Steiner - Surviving to Drive - Günther Steiner - E-Book

Günther Steiner - Surviving to Drive E-Book

Günther Steiner

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Beschreibung

Der Bestseller nun endlich auch in deutscher Sprache! Der Südtiroler Günther Steiner erzählt frei von der Leber, was im täglichen Formel 1-Business Sache ist, blickt auf seine Vergangenheit im Rallysport zurück, plaudert von Zusammenarbeiten mit Niki Lauda, Bernie Ecclestone und anderen und gibt Einblicke in diese Szene, die man zuvor noch nie erhalten hat: "Man sagt immer, Fußballmanager stünden unter enormem Druck. Glauben Sie mir, das ist noch gar nichts. Druck ist es, wenn man sieht, wie einer seiner Fahrer mit 300 km/h mit der Bande kollidiert und der Wagen in Flammen aufgeht."

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Seitenzahl: 419

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Originalausgabe

TRANSWORLD PUBLISHERS

Penguin Random House, One Embassy Gardens, 8 Viaduct Gardens, London SW11 7BW www.penguin.co.uk

Transworld is part of the Penguin Random House group of companies whose addresses can be found at global.penguinrandomhouse.com

First published in Great Britain in 2023 by Bantaman imprint of Transworld Publishers

Copyright © Günther Steiner 2023

Günther Steiner has asserted his right under the Copyright, Designs and Patents Act 1988 to be identified as the author of this work.

A CIP catalogue record for this book is available from the British Library.

ISBNs 9781787636279 (cased)

9781787636286 (tpb)

Deutsche Erstausgabe

© egoth Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Rechteinhabers.

ISBN: 978-3-903376-54-0

eISBN: 978-3-903376-74-8

Übersetzung und Lektorat: Christina Leitner

Coverbild: Design Anthony Maddock/TW; Fotos: ©Team Haas

Alle anderen Bilder: Siehe Bildverzeichnis auf Seite 271.

Wir haben versucht, die Rechteinhaber der Photos zu ermitteln. Falls wir jemanden übersehen haben sollten, bitten wir den Rechteinhaber sich beim Verlag zu melden um in zukünftige Auflagen angeführt zu werden.

Grafische Gestaltung: Clemens Toscani

Printed in the EU

Gesamtherstellung:egoth Verlag GmbHUntere Weißgerberstr. 63/121030 WienÖsterreich

GÜNTHERSTEINER

SURVIVING TO

DRIVE

EIN JAHR IN DER FORMEL 1

MIT EINEM VORWORT VON STEFANO DOMENICALI

Inhalt

VORWORTVON STEFANO DOMENICALI

NEBENSAISON

VORSAISON

TESTING

VORSAISON

TESTING

NEUE SAISON

SOMMERPAUSE

DIE SAISON GEHT WEITER

SAISONFINALE

DANKSAGUNGEN

BILDNACHWEISE

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

VON STEFANO DOMENICALI

Günther Steiner ist zweifelsohne einer der einzigartigsten Menschen, deren Bekanntschaft ich machen durfte. Nicht nur im Motorsport, sondern ganz generell. Gnadenlos ehrlich, alarmierend direkt, bisweilen unglaublich stur, ungewöhnlich verlässlich, mitunter inspirierend, ständig unterhaltsam und, solange keine Kinder anwesend sind, ohne Filter. Sogar die Art und Weise, wie Günther spricht, ist einzigartig. Oder kennen Sie irgendjemanden, der klingt, wie Günther Steiner? Ich nicht.

Zum ersten Mal habe ich Günther vor 22 Jahren getroffen, als er für Niki Lauda im Formel-1-Team von Jaguar arbeitete. Ich erinnere mich, dass ich mir nach unserem ersten Treffen dachte, wow, wo in aller Welt kommt dieser Typ denn her? Als ich dann erfuhr, dass Günther in der italienischen Stadt Meran, nahe der österreichisch-italienischen Grenze, geboren und aufgewachsen war und einige Jahre lang im Rallye-Bereich gearbeitet hatte, bevor er zu Niki stieß, machte alles Sinn. Menschen, die im Rallye-Bereich arbeiten, nehmen sich ebenso wie solche, die aus Italien kommen, selten ein Blatt vor den Mund. Er war und ist immer noch ein Produkt seiner Herkunft sowie seiner Umgebung.

Richtig kennengelernt habe ich ihn aber erst Jahre später, als er mich bei Ferrari ansprach. Er hatte den Traum, ein US-amerikanisches Formel 1-Team zusammenzustellen und wollte dafür meine Unterstützung. Günther wird die Geschichte selbst erzählen, aber was ich schon vorwegnehmen möchte, ist, dass seine Leidenschaft für das Projekt und sein Wissen in Sachen Formel 1 und Motorsport ein wesentlicher Grund dafür waren, dass ich ihm diese Unterstützung zugesagt habe. Sein Konzept war natürlich der Grundstein für das Haas F1-Team und auch wenn ich in meiner Position als CEO der Formel 1-Gruppe offensichtlich voreingenommen bin, bin ich dennoch stolz auf die Rolle, die ich in der Verwirklichung dieses Traums und des Teams gespielt habe.

Nachdem wir eine geschäftliche Beziehung etabliert hatten, entwickelte sich zwischen Günther und mir auch eine persönliche Freundschaft – eine Freundschaft, die über die Jahre gewachsen ist und die wir beide, denke ich, wirklich schätzen.

Eine Frage, die mir hin und wieder gestellt wird, ist, ob ich mir jemals hätte vorstellen können, dass Drive to Survive meinen Freund von einem mehr oder weniger anonymen, wenn auch respektierten, Teamchef zu einem Superstar machen würde. Die Wahrheit ist: Auch wenn ich Günther als Freund sehr schätze, hätte ich mir nie träumen lassen, welchen Einfluss er mit seiner Persönlichkeit und seinem Charakter auf die Öffentlichkeit – oder, wenn wir schon dabei sind, den Sport – haben würde. Hätte ich es geahnt, hätte ich alle anderen vorwarnen können! Tatsache ist: Die Show hat ein Monster hervorgebracht. Ein Monster, das offenbar die halbe Welt in Entzücken versetzt und das einer Naturgewalt gleich dafür sorgt, dass sich die Dinge in unserem Sport zum Besseren wenden.

Als es offensichtlich wurde, dass Günther sich zu einem echten Publikumsliebling entwickeln würde, gab ich ihm einen einzigen Ratschlag, und zwar jenen, so zu bleiben, wie er war. „Ändere dich nie, Günther“, sagte ich. „Bleib immer so, wie du bist.“ Zum Glück hat er sich das zu Herzen genommen.

Ich hoffe, Sie haben Spaß mit diesem Buch!

Stefano Domenicali

London, Januar 2023

NEBENSAISON

Montag, 13. Dezember 2021 –Yas Marina Circuit, Yas Island, Abu Dhabi

Es wird vermutlich nicht viele Menschen überraschen, dass ich mein Buch mit einem Kraftausdruck beginne, aber ich kann einfach nur sagen: „Wie gut, dass diese Saison vorbei ist. Thank fok!“ Sie war ein Alptraum vom Anfang bis zum Ende. Ich trinke normalerweise nicht sehr viel, aber dieses Jahr hätte nicht viel gefehlt, dass ich meine Karriere gewechselt hätte und zum professionellen Trinker geworden wäre. An einem mit Whisky gefüllten Tropf zu hängen war manchmal genau das, was ich am ehesten gebraucht hätte.

Dabei war es nicht einmal nur dieses Jahr. Der ganze Mist ging schon viel früher los, vermutlich Anfang 2020, als wir in Melbourne raus gekickt wurden. Wir dachten, dass wir in spätestens zwei Wochen wieder im Rennen sein würden, aber stattdessen lagen lange Monate der Ungewissheit vor uns. Werden wir überleben? Werden wir überhaupt jemals wieder Rennen fahren? Niemand wusste Bescheid. Es ist kein Geheimnis, dass es bis zu vier Teams gab, die zu dieser Zeit dem Untergang geweiht waren, unseres inklusive. Pete Crolla, unser Teammanager, hatte zwei bis drei Treffen pro Woche mit der FIA und Formel 1 und während er Gene Haas und mich ständig auf dem Laufenden hielt, versuchten wir, das Schiff auf Kurs zu halten. Sogar der Sport selbst war eine Zeitlang bedroht, da wir nicht wussten, wie lange die Pandemie dauern würde. Würden es drei Monate sein? Drei Jahre? Drei Generationen?

Schlussendlich war es so, dass die Formel 1 rund 90 Tage lang mehr oder weniger außer Gefecht gesetzt war. Ziemlich unglaublich, wenn man sich das genau überlegt, vor allem, wenn man bedenkt, dass dieser Sport von der Progression – also vom Gegenteil des Stillstands – lebt. Die einzige Zeit, in der so gut wie nichts passiert, ist während der Sommerpause und über Weihnachten. Doch selbst dann drehen sich die Räder im Hintergrund weiter. Räder wie ich. Denken Sie etwa, dass ich im Sommer und über Weihnachten abschalte? Machen Sie sich nicht lächerlich! Ich habe Arbeit zu erledigen. Diese 90 Tage aber, die waren ziemlich beschissen.

Die Formel 1 hat während dieser 90 Tage allerdings auch etwas richtig gemacht und in dem Glauben, dass sich die Lage irgendwann verbessern würde, einfach so gut es ging weitergemacht. Damit konnten wir sicherstellen, dass wir startbereit sein würden, sobald die Lage sich entspannt hätte und Rennen wieder möglich wären. Jede Menge Leute arbeiteten hart an diesem Ziel, auch wenn es ein großes Risiko war. Man kann einen Motor schließlich nicht endlos in Betrieb halten – irgendwann wird der Sprit knapp oder es geht sonst etwas schief. Kurzum: Es war eine unsichere Zeit.

Als Team mussten wir viele Umstrukturierungen vornehmen, um das Getriebe am Laufen zu halten. Es war also nicht so, dass wir in der Hoffnung auf bessere Tage einfach weitermachen konnten wie gehabt. Niemand konnte das. Ein Element, das sich die FIA und die Formel 1 als Bestandteil des „Return to Racing“-Programms ausgedacht hatten, war es, die bestehenden Vorschriften und Bestimmungen beizubehalten. Anstatt ein brandneues Konzept für die Folgesaison zu entwerfen, waren wir gezwungen, an der Weiterentwicklung der bestehenden Fahrzeuge zu arbeiten. Aus Gründen, auf die ich bald näher eingehen werde, war unser 2020er-Bolide alles andere als großartig, daher trafen wir die Entscheidung, ihn mehr oder weniger im Ist-Zustand wiederzuverwenden anstatt für den Rest des Jahres 2020 und auch 2021 weiter an seiner Entwicklung zu arbeiten, denn das wäre einem Haufen Mist gleichkommen, wenn ich das so ganz frei heraus sagen darf. Stattdessen wollten wir uns mit dem Entwurf eines neuen Fahrzeugkonzepts ins Zeug legen, sobald die neuen Vorschriften und Reglements in Kraft treten würden.

Ich muss hier Gene Anerkennung zollen, denn er hätte ganz einfach einen anderen Standpunkt einnehmen können. Ich glaube, angesichts der Unsicherheit, mit der sich unser Sport nach wie vor konfrontiert sah, hätten das viele andere in seiner Situation wahrscheinlich auch gemacht. Selbst, als wir wieder die ersten Rennen fuhren, wusste niemand, wie lange diese Phase anhalten würde. Jeden Tag lasen wir über neue Covid-Varianten und so waren wir nie ganz unbeschwert und gelassen.

In all meinen Jahren im Motorsport war die Entscheidung, die Saison 2021 abzusagen, die schwierigste, an der ich je beteiligt war. Wir zeichnen uns alle durch einen angeborenen Wettkampfgeist aus und Stillstand ist das genaue Gegenteil all dessen, wofür wir stehen und woran wir glauben. Jedes einzelne Rennwochenende war für das Team wie eine Abwärtsspirale. Bei der Ankunft am Ring versuchten alle stets, zuversichtlich zu sein, aber die Stimmung brach über das Wochenende immer unweigerlich ein „Was machen wir hier eigentlich überhaupt?”, sagten sie. „Das ist doch Scheiße!“ Meine vorrangige Aufgabe während dieser Saison war es, das Team immer wieder daran zu erinnern, warum genau wir taten, was wir taten und dass wir eines Tages wieder Licht am Ende des Tunnels sehen würden. Oder sollte ich eher sagen, am Ende des Windkanals? Ich kann ein echter Komiker sein, ob Sie es glauben oder nicht.

„Hört zu, Jungs, es werden wieder bessere Zeiten kommen“, trichterte ich ihnen wieder und wieder ein. „Daran müsst ihr einfach glauben.“ Das haben sie zum Glück gemacht – sie haben den Glauben nicht aufgegeben und beharrlich weitergearbeitet. Momentan haben wir eine wirklich tolle Belegschaft. 60 Prozent unserer Jungs sind seit vier, fünf Jahren oder noch länger bei uns, was ziemlich bemerkenswert ist. Wir mögen nicht immer in der Lage sein, unsere Form und Leistung auf demselben Niveau zu halten, doch mit unserer Mannschaft schaut es anders aus.

Am Ende des Tages war es die richtige Entscheidung, die Saison 2021 abzuschreiben. Davon bin ich überzeugt, ebenso wie Gene übrigens. 2020 war in Sachen Ausgaben und Entwicklung eine normale Saison für uns (auch wenn sie sich dank verschiedener Faktoren schlussendlich als schlecht herausstellen sollte). Unser Gesamtbudget betrug in etwa 173 Millionen Dollar. Im Vergleich dazu hatte Ferrari 463 Millionen Dollar und Mercedes sogar noch mehr als das, nämlich fast eine halbe Milliarde, zur Verfügung. Das ist ein verdammt großer Unterschied. Selbst wenn wir die Hälfte der uns zugeschriebenen Zeit mit dem 2021er-Fahrzeug im Windkanal verbracht hätten, wären wir als Letzte über die Ziellinie gefahren. Warum sollten wir das also machen? Ich bin seit 36 Jahren im Motorsport tätig und manchmal muss man die Tatsachen einfach hinnehmen und an Verbesserungen arbeiten, sobald es möglich ist.

Als Teil der neuen Bestimmungen, die dazu gedacht waren, für einen größeren Wettbewerb zu sorgen, wurde 2021 der Budgetanteil für leistungsentscheidende Aspekte wie Design und Entwicklung, Bestandteilfertigung und Tests auf 145 Millionen Dollar pro Team begrenzt. Um von diesem Umstand zu profitieren, beschlossen wir, die Saison 2021 mit dem 2020er-Boliden zu fahren und so viel Geld wie möglich in die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs für 2022 zu stecken. Die drei Top-Gehälter eines jeden Teams werden bei dieser Rechnung nicht berücksichtigt, was bedeutet, dass die Herrschaften bei Mercedes, Ferrari und Red Bull einen Vorteil für sich herausholen können, indem sie die besten Leute anheuern. Oder zumindest drei der besten. Damit kann ich leben. Es ist besser als es war.

Wir sind alle von Natur aus auf Wettbewerb aus und jeder einzelne, der für uns in der Startaufstellung arbeitet, möchte selbstverständlich nur das Beste für das Team. Okay, aller Voraussicht nach werden wir so schnell nicht allzu viele Rennen gewinnen. 2018 jedoch, als Haas das kleinste Team war – was es übrigens nach wie vor ist – erreichten wir 93 Punkte und belegten Platz fünf in der Konstrukteursmeisterschaft. Das ist nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass wir zu jener Zeit erst drei Jahre auf dem Buckel hatten. Wir sind schließlich nicht dumm.

Das einzige, was das Team letzte Saison am Laufen hielt, war die Tatsache, dass wir hinter den Kulissen einen Boliden entwickelt hatten, der uns 2023 hoffentlich wieder wettbewerbsfähig machen wird. In unserer Geschichte hatten wir bis dato zwei vielversprechende Saisonen, nämlich 2016 und 2017, eine verdammt großartige Saison 2018, eine ziemlich schwierige Saison 2019, eine beschissene Saison 2020 und eine tote Saison 2021. Das ist also ziemlich ausgeglichen – drei auf jeder Seite. Es hängt verdammt viel davon ab, was wir aktuell zu erreichen versuchen, ganz zu schweigen von dem, was als nächstes passieren wird.

Aber wie dem auch sei, ich fliege in ein paar Stunden nach Italien, darum muss ich erst mal Schluss machen. Ciao!

Samstag, 18. Dezember 2021 –Castello Steiner, Norditalien

Würde ich von jedem, der mich gefragt hat, was meiner Meinung nach in den letzten sechs Tagen zwischen Lewis und Max in Abu Dhabi vorgefallen ist, einen Dollar kriegen, wäre ich in der Lage, Adrian Newey abzuwerben! Nicht, dass ich das wollte. Er ist viel zu rasant für mich. Nach dem Rennen war ich für ein paar Tage bei meiner Mutter zu Besuch und alle, denen ich in der Stadt über den Weg lief, wollten von mir wissen, was ich dachte. Ich sagte: „Ich habe viel zu viel zu tun, um mir Gedanken über einen Russen, der das Rennen nicht beendet hat, und einen Deutschen, der 14. wurde, zu machen.“

Was denke ich also wirklich? Nun, es war definitiv sehr verwirrend. Ich erinnere mich, dass ich auf der Boxenmauer saß und, während ich den Anweisungen des Renndirektors zuhörte, dachte: „Was zur Hölle geht hier ab?“ Zu der Zeit machte das alles keinen Sinn, aber ich hatte auch nicht alle Fakten. Es war jedoch sehr unterhaltsam. Der arme Toto hatte beinahe einen verdammten Herzinfarkt!

Es ist so: Am Ende des Tages haben beide Teams eine Weltmeisterschaft gewonnen – gut für sie! Red Bull hat bei den Fahrern und Mercedes bei den Konstrukteuren. Ich wäre mit beidem zufrieden und Mercedes hat auch nicht protestiert, also weiter in der Tagesordnung!

Die letzten paar Tage haben mir extrem gut getan. Ich lebe entsprechend dem Grundsatz, dass das Glas halb voll ist, weshalb ich mich auf die nächste Saison freue, sobald die unmittelbaren Nachwehen der vergangenen vorüber sind. Die meisten Menschen glauben, dass man nach einer abgeschlossenen Saison in erster Linie einmal entspannen möchte, aber das ist Bullshit. Ich entspanne nur, wenn mein Fahrzeug und meine Fahrer gute Leistung bringen. Das heißt folglich, dass ich seit über drei Jahren nicht mehr richtig entspannt war.

Alles, woran ich im Moment denken kann, ist der neue Bolide, und die ersten Vorzeichen stimmen mich leicht positiv. Ich weiß natürlich noch nicht, was die anderen Teams im Gange haben und das macht mich leicht nervös, aber ich war gestern in Maranello, um mir einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und es schaut alles gut aus. Für die Burschen dort war es nicht einfach, denn sie saßen in einem Büro in Italien fest, während ihr Team zum Nichtstun verdammt war. Dank der durch Covid verursachten Einschränkungen konnte ich nicht so oft wie normalerweise dort vorbeischauen. Das war vielleicht gar nicht so schlecht, denn wenn ich vor Ort bin und ihnen die Ohren voll quassle und Blödsinn mache, halte ich sie nur von der Arbeit ab – und das möchte ich nicht, speziell nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Zum Glück sind unsere Teams in Maranello und Banbury guter Dinge geblieben. Sie sind ebenso fokussiert und engagiert wie ich, wenn es darum geht, uns wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Ich werde Weihnachten zu Hause in Italien verbringen und drei Wochen lang keine Reisen unternehmen. Das passiert nicht sehr oft. Ich werde aber sicher mindestens bis zum 23. Dezember arbeiten. Die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr ist eine der wenigen im Jahr, in denen arbeitstechnisch so gut wie nichts passiert, weshalb ich gezwungenermaßen abschalten muss. In der Vergangenheit habe ich immer wieder versucht, in dieser Woche neue Projekte anzustoßen, aber es ist sinnlos. Zwar kriege ich immer von allen Seiten zu hören „Ich melde mich morgen“, aber passieren tut dann nie etwas.

Ein weiterer großer Unterschied zwischen der letzten und der kommenden Saison ist der Umstand, dass wir zwei Fahrer haben, die keine Neulinge mehr sind – das sollte doch ein Vorteil sein. Wir mussten relativ behutsam mit den beiden umgehen, vor allem in Anbetracht des Boliden, den wir hatten. Nächstes Jahr sollten sie aber hinreichend Gelegenheit haben, sich zu beweisen und wir werden sehen, was wir schaffen können. Abgesehen von einigen Ausnahmen konnten unsere Fahrer 2021 nur um den 19. oder 20. Platz kämpfen. Ich glaube, nächstes Jahr wird das anders, wodurch auch die Ansprüche des Teams an die beiden enorm wachsen werden. Am Ende des Tages sind sie beide gut bezahlte Angestellte, die liefern müssen. Da gibt es keine Gnade.

Montag, 20. Dezember 2021 –Castello Steiner, Norditalien

Warum zur Hölle sollte irgendjemand fünf Tage vor Weihnachten ein Interview zur Formel 1 führen wollen? Haben diese Leute nichts Besseres zu tun? Haben sie kein eigenes Leben? „Sie stellen besser keine Fragen über die Saison, die gerade zu Ende gegangen ist.“ Zum Glück wollte der Journalist über die Entstehungsgeschichte von Haas reden und die ist ziemlich gut, daher werde ich sie Ihnen jetzt auch erzählen.

Erinnern Sie sich an die Zeit, als die großen Hersteller wie BMW, Honda und Toyota nach und nach dem Sport den Rücken zukehrten? Das führte zu einer gewissen Angst, dass nicht mehr ausreichend Teams verbleiben würden, was wiederum Anlass zu einer Diskussion über Kundenfahrzeuge und Drittfahrzeuge gab. Das führte jedoch zu nichts und so wurde der Zugang zu den Lizenzen erleichtert. Einer der Anträge kam von einem Team namens USF1, das seinen Sitz in North Carolina hatte, ganz in der Nähe des jetzigen Standorts von Haas. Der Antrag wurde im Juni 2009 eingereicht und das Team sollte im Folgejahr erstmals Rennen bestreiten.

Das Team wurde von Ken Anderson, einem Ingenieur, gemeinsam mit dem Journalisten und Teammanager Peter Windsor aufgestellt. Nachdem ihr Antrag angenommen worden war, nahm Peter Kontakt mit mir auf. Er wollte einige Arbeiten bei meiner Verbundstofffirma in Auftrag geben und so lernte ich ihn und das Team kennen. Kurz darauf erhielt ich einen Anruf von einem besorgten Bernie Ecclestone, der meinte, dass USF1 die Vorbereitungen für die Saison 2010 nicht rechtzeitig schaffen würde und meine Meinung dazu hören wollte. Anfänglich konnte ich ihm nicht viel sagen, aber nach ein paar Monaten war es offensichtlich, dass das Team nicht für erste Tests im Januar bereit sein würde.

„Keine Chance, Bernie“, sagte ich. „Die haben keine verdammte Ahnung!“

Im Dezember 2009 machte Bernie seine Bedenken öffentlich und im Februar 2010 stattete Charlie Whiting dem Hauptsitz des Teams einen Inspektionsbesuch ab. Einige Tage später bestätigte er, dass das Team auch seiner Meinung nach nicht rennbereit sei. Das war es dann erst mal.

Nachdem das Team kollabiert war, rief mich einer der Hauptinvestoren, der YouTube-Gründer Chad Hurley, an. Er wollte wissen, ob meiner Meinung nach eine Chance bestand, ein amerikanisches Team so weit zu kriegen, dass es 2011 einsatzbereit wäre. Angesichts des USF1-Fiaskos war meine erste Reaktion, sofort abzuwinken, doch dann hatte ich eine Idee. Das dem Untergang geweihte HRT-Team hatte einen Boliden in ziemlich fortgeschrittenem Zustand, also rief ich Chad an und riet ihm, den Hersteller zu kontaktieren und einen Kaufpreis zu verhandeln.

„Aber ich kenne sie nicht“, meinte Chad.

„Ich weiß“, sagte ich. „Aber ich kenne sie.”

Sehen Sie? Ich bin unabkömmlich. Ich habe keine verdammte Idee, wie die Welt ohne mich zurechtkommen würde.

„Lass mich mit dem Eigentümer sprechen“, sagte ich. „Er ist ein guter Freund von mir.“

So kam es, dass Chad mich nach Europa einfliegen ließ, um den Hersteller persönlich zu besuchen und abzuwägen, ob das Unterfangen realistisch war. Die Treffen verliefen ganz okay, aber bevor ich ihm eine Rückmeldung gab, wollte ich noch die Meinung eines Branchenkenners einholen. Der beste Mann dafür war mein alter Freund und Landsmann Stefano Domenicali, der zu jener Zeit beim F1-Team von Ferrari das Sagen hatte. Er lud mich zum Mittagessen nach Maranello ein und teilte mir seine Meinung mit.

„Das wirst du nicht durchkriegen, Günther,“ sagte er. „Das ganze Projekt ist ein einziges Desaster. Du hast einen guten Ruf im Sport, ruinier ihn nicht. Lass die Finger davon.“

Im Anschluss hatte ich auch einige Treffen mit Bernie, um die Wiederbelebung des Projekts zu besprechen, doch in der Folgewoche rief ich Chad an und riet ihm, aufzugeben.

„Es ist einfach zu vertrackt“, sagte ich ihm. „Es liegt an dir, Chad, aber wenn ich du wäre, würde ich es sein lassen.“

Ein paar Wochen vergingen und obwohl das ursprüngliche Projekt totgeschrieben war, erschien mir die Idee eines amerikanischen F1-Teams nach wie vor sehr vielversprechend – nicht nur für denjenigen, der das zustande bringen könnte, sondern für den Sport im Allgemeinen. Es war an der Zeit, Stefano noch einmal anzurufen.

„Würde Ferrari es in Erwägung ziehen, einen Kunden-Boliden für ein neues Team zu bauen?“, fragte ich. ”Und wenn dem so wäre, würden sie ihn mir verkaufen, falls ich einen Investor auftreiben könnte?“

„Kein Problem, Günther“, meine Stefano. „Bring mir die richtigen Leute und ich verkauf dir das Auto.”

Ich musste also einen Businessplan aufstellen. Dazu brauchte ich weder Anwälte noch sonstiges Schnickschnack – es war einfach nur eine simple PowerPoint-Präsentation, zusammengestellt von einem hässlichen, großen Italiener mit einer noch größeren Klappe.

„Okay“, sagte ich zu meiner Frau eines Tages. „Ein Milliardär ist jetzt alles, was ich noch brauche.“

Zwei Wochen später traf ich zufällig auf Joe Custer, den ich aus meiner Nascar-Zeit kannte. Er stand dem Stewart-Haas Racing-Team vor und da wir uns seit einigen Jahren nicht gesehen hatten, unterhielten wir uns ziemlich lange. Als ich an diesem Abend nach Hause kam, begriff ich, dass das meine Chance gewesen wäre. Der Eigentümer seines Teams, Gene Haas, war genau die richtige Person für mein Vorhaben, also rief ich Joe ohne Umschweife an und fragte ihn nach seiner Meinung.

„Denkst du, Herr Haas könnte Interesse haben?“, fragte ich, nachdem ich ihm von meiner Idee erzählt hatte.

„Lass uns auf einen Kaffee treffen“, meinte Joe. „Du kannst mir deine Präsentation zeigen und wenn ich der Meinung bin, dass Gene interessiert sein könnte, dann leite ich sie ihm weiter.“

Zwei Tage später trafen wir uns bei Starbucks in Mooresville, wo zahlreiche Nascar-Teams stationiert sind, und ich zeigte ihm meine Präsentation.

„Das ist ziemlich interessant“, sagte Joe. „Ich werde das an Gene weiterleiten und melde mich bei dir, sobald ich Rückmeldung habe.“

Das war kein Vollzeitprojekt für mich. Es war nur ein Hobby. Was die Präsentation jedoch glaubwürdig machte, war, dass ich Ferrari hinter mir hatte. Kein schlechter Ausgangspunkt.

Exakt einen Monat nach unserem Treffen rief mich Joe Custer an, um mir zu sagen, dass Gene Haas für das Nascar-Rennen in Charlotte in der Stadt sei.

„Gerne möchte er dich treffen“, sagte er. „Lass uns gemeinsam zu Abend essen.“

Und das war der Moment, in dem das Projekt zum Leben erwachte. Genes Interesse bedeutete, dass aus einer Idee Realität werden konnte. Was, wenn er tatsächlich ja sagt, ging es mir durch den Kopf. Du lieber Himmel!

Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, wie das Abendessen verlaufen war. Gene sagte kaum ein Wort, was normal ist, wie ich mittlerweile weiß, und ich sagte mehr als tausend Worte, was immer schon normal war. Es ist das einzige, worin ich seit jeher gut war und ich glaube, dass ich während des ganzen Abends kein einziges verdammtes Mal Luft geholt habe. Trotzdem ist Gene nicht eingeschlafen, was ich als gutes Zeichen wertete.

Ein paar Wochen vergingen, ohne dass ich etwas hörte. Ich muss es in den Sand gesetzt haben, dachte ich. Na gut, dann eben zurück auf null. Doch dann, ungefähr zwei Wochen später, rief mich Gene aus dem Nichts an und bat mich um weitere Infos. Weder erwähnte er dabei, ob er Interesse hatte oder nicht, noch gab er mir irgendein Feedback auf meine Präsentation. Er stellte nur ein paar Fragen und nach fünf Minuten war das Telefonat erledigt.

In den nächsten Monaten rief mich Gene immer häufiger an und über kurz oder lang trafen wir uns in seinem Büro, wann immer er in der Stadt war. Das ging mehr als ein Jahr so und obwohl er nie viel preisgab (Gene Haas wäre ein großartiger Poker-Spieler!), ließ mich die Tatsache, dass er so viele Fragen stellte, doch vermuten, dass er zumindest Interesse an dem Projekt hatte. Nach weiteren sechs Monaten war schließlich der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen. Stefanos Angebot würde nicht für immer gelten, wir mussten also handeln.

„Okay“, sagte Gene endlich – und sehr leise, „gehen wir’s an.“

„Übrigens“, fügte er hinzu, „wie kommen wir an eine Lizenz, Günther?“

Gute Frage!

„Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Gene“, sagte ich ihm. „Ich besorg dir die verdammte Lizenz.“

War ich mir sicher, dass ich eine kriegen würde? Natürlich nicht, aber wie üblich ließ ich meiner italienischen Mentalität freien Lauf und hoffte auf das Beste.

Ich kam zwar gut mit den Entscheidungsträgern, darunter Bernie und Charlie Whiting, aus, aber das hieß noch lange nicht, dass ich deshalb eine Lizenz kriegen würde.

„Besorg dir einen Anwalt“, meinten sie. „Den wirst du brauchen, wenn es um den Lizenzantrag geht.“

„Warum zum Teufel sollte ich eine Anwalt engagieren?“, antwortete ich. „Ich habe einen Günther.“

Rückblickend hätte ich vermutlich auf sie hören sollen, aber damals dachte ich, Wozu brauche ich schon einen Anwalt? Scheiß drauf! Ich wollte nicht jetzt schon Gene um Geld anpumpen müssen und war sicher, dass ich es auch ohne juristischen Beistand schaffen würde. Ich, ein Kontrollfreak? Aber sicher doch – und zwar der beste, den es gibt.

Aber im Ernst, was in jenen Anfangszeiten für mich sprach, waren meine zahlreichen Kontakte in der Formel 1 (wie ich zur F1 kam, dazu kommen wir noch). Also, anders als heute gab es noch Leute, die mich mochten und ich hatte einen ziemlich guten Ruf. Die erste Person, die ich anrief, war mein alter Boss Niki Lauda. Wenn es einen Menschen gab, der Bernie und die FIA davon überzeugen konnte, uns eine Lizenz auszustellen, dann war es Niki. Er war zudem ganz begeistert von der Idee eines amerikanischen F1-Teams, was schon einmal nicht schlecht war.

Ein paar Tage, nachdem ich mit Niki gesprochen hatte, war ich geschäftlich in Europa und eines Nachts, während ich schlief, klingelte auf einmal mein Telefon. „Wer zur Hölle spricht?“, sagte ich, während ich auf das Display starrte. Ich kannte die Nummer nicht, ging aber trotzdem dran.

„Ja, wer spricht?“

„Günther, Niki hier. Ich bin mit Bernie in Indien. Er ist gerade bei mir und hört über Lautsprecher mit. Er hat ein paar Fragen zu deinem Lizenzantrag.“

„Wirklich?“, fragte ich, während ich aufstand und beinahe auf meinem Hintern landete. „Okay Bernie, leg los.“

So kam es, dass ich um zwei Uhr morgens Bernie Ecclestone unseren Businessplan erklären musste. Ein Weckruf im wahrsten Sinn des Wortes, der ungefähr anderthalb Stunden dauerte. Aber die reichten aus, um Bernie für die Idee zu gewinnen, was der bestmögliche Ausgangspunkt war. Danach hatte ich ein ähnliches Gespräch mit Charlie Whiting, mit dem ich gut befreundet war, und danach mit Jean Todt, der zu diesem Zeitpunkt Präsident der FIA war. Ich kannte Jean nicht besonders gut, aber da Stefano und einige andere Herrschaften ein gutes Wort für mich eingelegt hatten, konnte auch er sich für die Idee erwärmen.

Und was war mit dem Businessplan? Nun, der ursprüngliche Plan war es, mit einigen Teilen von Ferrari, die schon ein Jahr auf dem Buckel hatten, loszulegen.

„Aber sind wir damit denn überhaupt wettbewerbsfähig?“, wollte Gene wissen. „Ein Jahr alte Getriebe, ein Jahr alte Motoren, eine ein Jahr alte Aufhängung. Das ist nicht gut. Wir brauchen gleichwertige Ware.“

Schlussendlich trafen wir uns mit Stefano und Mattia Binotto, der damals der Motorenabteilung bei Ferrari vorstand, und fragten sie geradeheraus, ob wir gleichwertige Ware bekommen könnten.

„In den Richtlinien steht nichts davon, was euch davon abhalten würde“, meine Stefano. „Sicher, wieso nicht?“

Für sie war es im Endeffekt sogar das geringere Übel, da es bedeutete, dass Ferrari nicht ganz so viele Teile herstellen musste. In ihren Augen machte es also absolut Sinn und so wurde das folglich unser Businessplan. Um ehrlich zu sein, war es letztlich wohl Stefano, der das Konzept des Satellitenteams austüftelte.

Heutzutage wäre so etwas unmöglich, aber damals war die Menge der Bestandteile, die ein Kundenteam von einem Hersteller kaufen konnte, nicht durch FIA-Reglements festgelegt. Der Grund dafür war einfach: Es hatte noch nie jemand daran gedacht, sodass alles noch ziemlich offen und man zu Gesprächen bereit war. Damit wir nicht wie Caterham oder HRT enden würden, mussten wir aber anders denken. Entweder geht einem Team das Geld aus, wie es bei den beiden genannten der Fall war, oder ein Investor verliert das Interesse. Gene und ich wollten wettbewerbsfähig sein und mit dem Geld, das uns zur Verfügung stand – Genes Geld, das vermutlich in etwa dem Budget zahlreicher Teams ebenbürtig war – war das Satellitenteam unsere einzige Lösung. Im Endeffekt hat jeder von dieser Lösung profitiert: Die Formel 1 gewann ein neues Team mit einer weniger riskanten Zukunft als jene, die den Bach runtergegangen waren; wir erhielten einen wettbewerbsfähigen Boliden plus Unterstützung vom Hersteller (beides ziemlich gut); und Ferrari bekam einen neuen Kunden, der, anders als andere, seine Rechnungen zeitnah begleichen konnte. Was war daran auszusetzen? Zahlreiche maßgebliche Personen beklagten sich zwar später, aber wen interessiert’s? Man kann es nicht immer allen recht machen. Wir hatten schließlich nichts anderes getan als eine gute Idee, auf die bisher noch niemand gekommen war, mit der Hilfe von Stefano und Ferrari in die Tat umzusetzen.

Trotz des anfänglichen Optimismus war der Lizenzantrag für Gene und mich kein Kinderspiel. Ganz im Gegenteil. Wie ich bereits erwähnt habe, hatten zahlreiche Teams in letzter Zeit aufgegeben und so mussten Gene und ich die FIA davon überzeugen, dass wir es ernst meinten und uns nicht nach ein paar Monaten einfach aus dem Staub machen würden. Das USF1-Debakel hatte sie nervös gemacht und wir verstanden das auch.

Zuerst musste ich bei der FIA eine sogenannte Interessensbekundung einreichen. Ich weiß nicht, ob das immer noch nötig ist, aber dabei ging es im Groben um die Leute, die hinter dem Antrag standen. Der nächste Schritt war dann die eigentliche Antragstellung. Die Gebühr dafür betrug 150.000 Euro und war nicht erstattungsfähig. Im Falle eines erfolglosen Antrags also ziemlich beschissen, aber das war wohl dazu gedacht, Schwätzer abzuschrecken. Wurde der Antrag aber angenommen, dann konnte man seine Ideen beim FIA-Gremium vorbringen.

Ich muss zugeben, dass ich etwas Muffensausen hatte, während wir auf den positiven Bescheid für unseren Antrag warteten. Es ging jedoch alles gut und Gene, Joe Custer und ich wurden nach Genf eingeladen, um vor der FIA zu präsentieren. Spätestens jetzt hätten wir vermutlich einen Anwalt hinzuziehen sollen, aber da war es bereits zu spät. Die Präsentation dauerte länger als zwei Stunden und war im Großen und Ganzen eine Auflistung von Punkten, die ich der Reihe nach vortrug. Ich hatte kein Drehbuch, an dem ich mich orientieren konnte, aber ich kannte die Thematik in- und auswendig und habe aus dem Stehgreif präsentiert. Ich bekam mehrfach zu hören, dass ich verrückt sei, aber eine vorbereitete Rede auswendig zu lernen hätte mir zu viel abverlangt. Ich bin ein Weltmeister im Reden, ganz einfach. Also lasst mich verdammt noch mal reden.

Nachdem die Präsentation beendet war und das Gremium sich verabschiedet hatte, fragte mich Gene, wie es meiner Meinung nach gelaufen war. „Denkst du immer noch, dass wir die Lizenz bekommen werden?“, fragte er. „Ganz ehrlich, ich weiß es nicht, Gene“, antwortete ich. „Es liegt am Gremium. Aber wir haben unser Bestes gegeben.

Just in dem Moment erhielt ich eine SMS vom FIA-Gremium. Ich möchte lieber nicht darauf eingehen, wer sie geschrieben hat, aber die Nachricht lautete: „Zur Hölle, Günther. Niemand kann so viel Scheiße erzähen wie du. Aber wenn du es mit dieser Vorstellung nicht schaffst, eine Lizenz zu erhalten, dann schafft es niemand!“

Daraufhin konkretisierte ich meine Antwort: „Wenn ich es mir genau überlege, Gene, bin ich leicht zuversichtlich.“

Donnerstag, 30. Dezember 2021 –Castello Steiner, Norditalien

Frohe Weihnachten!

Anscheinend gibt es online ein T-Shirt mit meinem Konterfei und den Worten „We look like a bunch of wankers“ zu kaufen. Stuart Morrison, unser Kommunikationschef, meint dazu nur, das stamme aus einer Folge der Netflix-Serie Drive to Survive.

„Kannst du dich nicht erinnern, Günther?“, fragte er mich.

„Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, was ich zum Frühstück hatte, Stuart, wie soll ich mich daran erinnern, was ich in einer TV-Show gesagt haben soll, die ich noch nie gesehen habe? Aber wie dem auch sei, weshalb bekomme ich kein Geld für diese T-Shirts?“

Das ist eigentlich eine gute Frage.

Ich habe keine einzige Folge von Drive to Survive gesehen und werde ich vermutlich auch in Zukunft nicht – nicht, weil ich etwas dagegen hätte oder so. Wenn ich etwas dagegen hätte, würde ich nicht darin auftreten. Ich bin der Meinung, die Serie hat der Formel 1 extrem gut getan, speziell in Amerika. Ich befürchte allerdings, dass mir Aspekte meines Verhaltens nicht gefallen würden und ich dieses Verhalten ändern wollen würde. Ich weiß, dass ich nicht nur Fans habe, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit mir, so wie ich bin. Und wenn jemand etwas an mir auszusetzen hat, ist das nicht mein Problem.

Es gibt Menschen, die glauben nach wie vor, Drive to Survive sei komplett oder zumindest teilweise inszeniert, aber ich kann Ihnen versichern, dass dem nicht so ist. Den Mist, den ich mir so ausdenke, kann man nicht erfinden. Das ist unmöglich! In meinem Fall bekommen Sie tatsächlich die Realität zu sehen, ohne Wenn und Aber, ob Sie es glauben oder nicht. Einigen Menschen scheint das zu gefallen, was großartig ist (sie werden eines Tages vermutlich eine Therapie benötigen), und anderen Menschen gefällt es nicht, aber das ist auch okay. Um ehrlich zu sein, ist es mir scheißegal. Ich mache einfach meine Arbeit, so wie immer, und manchmal taucht ein Kamerateam auf, das mir hin und wieder Fragen stellt und mir im Weg umgeht. Ich versuche, diese Fragen immer so ehrlich wie möglich zu beantworten, bevor ich mich vom Acker mache und weiter meiner Arbeit nachgehe. Das Format ist für mich also mit ziemlich wenig Aufwand verbunden.

Ich werde von den Zusehern von Drive to Survive ziemlich oft gefragt, ob ich auch im echten Leben so viel fluche. Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe tatsächlich einen Filter und wenn Kinder oder so im Raum sind, versuche ich, ein bisschen zahmer zu sein und nur hin und wieder Kraftausdrücke zu verwenden. In meinem Arbeitsumfeld schaut es aber ganz anders aus. Ich habe mein Englisch in einem Rallye-Team gelernt und im Rallye-Bereich ist es verdammt noch mal Pflicht, einen ordinären Umgangston zu pflegen, ob’s einem gefällt oder nicht.

Einige von Ihnen werden vielleicht wissen, dass mir Ana Colina, ein F1-Fan, eine sogenannte Fluchkiste gekauft hat – ich glaube, 2019 war das. Wir waren in Baku und eines Tages stand sie damit vor mir. Ich weiß nicht mehr, wie viel ich 2019 und 2020 hinein gegeben habe, aber 2021 war es so gut wie nichts. Ich fluche nur, wenn ich von etwas begeistert bin und da wir nicht wirklich wettbewerbsfähig waren, hatte ich kaum einen Grund, mich für irgendetwas zu begeistern. Wenn sie mir die Fluchkiste Anfang 2018 gekauft hätte, hätte ich zu Jahresende vermutlich das ganze Team auf eine verdammte Kreuzfahrt einladen können.

Weihnachten war sehr ruhig. Für meine Familie freudig ruhig. Für mich weniger. Ein bisschen Ruhe und Frieden macht mir hin und wieder nichts aus, aber in diesem Ausmaß ist es mir zu viel. Ich nenne es den „Waffenstillstand“, der jedes Jahr um dieselbe Zeit die F1 heimsucht. Ich bin es gewohnt, zwischen 100 und 150 E-Mails am Tag zu erhalten und diese Woche hatte ich alles in allem vielleicht 15 in meinem Posteingang. Kann mir irgendjemand zumindest versichern, dass noch alle am Leben sind?

Die einzigen wichtigen Nachrichten Haas betreffend waren, dass unser neuer Bolide, der VF-22, am 23. Dezember einen seiner Crashtests bestanden hat. Wenn man bei einem Crashtest versagt, ist das zwar nicht weiter schlimm und das Problem ist eher ein psychologisches, da die Verantwortlichen – in unserem Fall unser technischer Direktor Simone Resta und sein Team – alles daran setzen, voranzukommen und vorwärts zu schauen. Fällt ein Wagen bei einem Crashtest oder einem anderen Test durch, muss das Team gezwungenermaßen Rückschau halten. Abgesehen davon, dass ein Job zu erledigen ist, kommt selten etwas Gutes dabei heraus, wenn man etwas wiederholen muss. Es führt lediglich dazu, dass am Ende des Tages weniger Geld und weniger Zeit zur Verfügung stehen.

Simone kam letzten Januar von Ferrari zu uns, wo er Head of Chassis Engineering war. Er ist der erste technische Direktor, den Haas je hatte und das VF-22-Projekt startete ziemlich zeitgleich mit seiner Ankunft.

Der Test betraf übrigens nicht das gesamte Monocoque, sondern nur die Seiten. Anhand eines Tests wird ermittelt, ob das Monocoque vor dem finalen Crashtest verstärkt werden muss. Aufgrund der Art des Unfalls, den Romain Grosjean 2020 in Bahrain hatte, wurden die Tests strenger und die FIA haben die Aufprallkraft, die das Monocoque aushalten können muss, von 20 Kilonewton (Newton ist die Krafteinheit) auf 30 Kilonewton erhöht. Das ist ein ziemlich großer Unterschied.

Es gibt Tausende von Kästchen, die während der Konstruktion eines neuen F1-Boliden abgehakt werden müssen und dieses eine Kästchen war wie ein vorweihnachtliches Geschenk, hat es doch das Selbstvertrauen der gesamten Mannschaft, aber vor allem jenes des technischen Teams, gestärkt. Jetzt bleibt nur noch eins: Sie müssen das verdammte Ding bauen.

Die einzige weitere Nachricht von Haas während der Weihnachtszeit war die Bestätigung von Mick Schumacher als Ersatzfahrer. Wenn ich mich nicht täusche, soll er in der Saison 2022 in elf Rennen zum Einsatz kommen und Antonio Giovinazzi bestreitet den Rest. Das war natürlich keine Überraschung, denn wenn du einen Entwicklungsfahrer anheuerst. Mattia und ich hatten erst vor wenigen Wochen darüber gesprochen. Ein ähnliches Arrangement gab es auch im letzten Jahr, als Mercedes George als Ersatz für Lewis ins Boot holte, als dieser Covid hatte. Das zeigt, dass Ferrari Mick zu schätzen weiß, was gut ist. Seit er zu uns gestoßen ist, haben wir Ferrari auf dem Laufenden gehalten und sie sind erfreut über seine Entwicklung. Und falls Mick jemals zur Diskussion stehen sollte, um Charles oder Carlos zu ersetzen, haben wir Pietro Fittipaldi, der dann seinen Platz einnehmen kann. Wir haben Pietro kurz vor Abu Dhabi bestätigt, was ihn sehr gefreut hat, da das seine Chancen auf ein Rennen erhöht. Kurzum: Alles ist gut.

Ich weiß noch immer nicht, was wir zu Silvester machen werden, doch was es auch sein mag, es wird auf keinen Fall zu ausufernd werden. Ich bin zu alt, um mich zu betrinken und zu Neujahr einen ganzen Tag zu verlieren. In meinem Alter ist es gut möglich, dass nicht mehr allzu viele Tage bleiben. Am Neujahrstag werden wir wahrscheinlich einen Spaziergang in den Bergen machen, aber abgesehen davon werde ich Ruhe geben, um mich auf das kommende Jahr und, noch wichtiger, die kommende Saison vorzubereiten.

Na gut, bis dann. Wir sehen uns im neuen Jahr.

Donnerstag, 13. Januar 2022 –Steiner Ranch, North Carolina, USA

14.00 Uhr

Howdy! Willkommen im Wilden Westen.

Wir sind am 4. Januar von Italien zurück nach North Carolina geflogen und abgesehen von einem Trip nach Los Angeles, auf den ich gleich näher eingehen werde, reise ich bis Anfang nächsten Monats nirgendwo hin. Ich habe Mitleid mit meiner Frau und meiner Tochter. Da bin ich übrigens nicht der einzige. Die meisten Menschen, die mich kennen, haben Mitleid mit meiner Frau und meiner Tochter! Zum Glück ist unser Hauptsitz nicht weit entfernt, er befindet sich in einem Ort namens Kannapolis. Ich muss allerdings vorsichtig sein. Mit der aktuellen Covid-Lage ist es am besten, wenn ich so viel wie möglich von zu Hause aus arbeite.

Am Montag dieser Woche habe ich das Haus um fünf Uhr morgens verlassen, um für ein paar Sitzungen mit Gene von Charlotte nach Los Angeles zu fliegen. Um 23.45 Uhr bin ich dann zurück nach Charlotte geflogen. Das sind hin und retour gut 8.000 Kilometer.

Aufgrund des Zeitunterschieds landete ich um 7.15 morgens in Charlotte und war ziemlich verwirrt. Ich habe es zwar geschafft, ein paar Stunden zu arbeiten, aber spätestens am Nachmittag habe ich alles doppelt gesehen. Das ist allerdings nicht ungewöhnlich für mich. Reisen, meine ich, nicht doppelt sehen.

Was gibt es also Neues bei Haas? Es ist nach wie vor ziemlich ruhig, aber die Mechaniker sollten irgendwann nächste Woche schön langsam nach Italien aufbrechen – nur eine Handvoll, mehr brauchen wir im Moment nicht. Ich habe vorhin mit Ayao Komatsu, unserem Director of Engineering, telefoniert. Er stellt gerade ein Programm zusammen, das wir in Italien mit dem alten Simulator von Ferrari nutzen können (Ferrari hat gerade einen neuen gebaut). Die FIA hat jedoch klargestellt, dass das Programm, das wir verwenden, eine separate Einheit zu sein hat, um den Austausch von Daten untereinander zu verhindern. Offensichtlich ist ihnen unser Schutz ein Anliegen – ich würde schließlich auch nicht wollen, dass Ferrari unsere verdammten Geheimnisse kennt!

Die erste Einheit mit einem Testfahrer am Simulator sollte Anfang Februar über die Bühne gehen. Dafür setzen wir keine Rennfahrer ein, denn wenn es Probleme oder Pannen mit dem Programm gibt, könnte sie das verwirren. Nach den ersten Sessions legen wir dann fest, wann wir die Rennfahrer an den Simulator lassen – ich hoffe, ziemlich bald!

Zu dem Zeitpunkt ist es entscheidend, die Erwartungen der Fahrer zu bedienen, vor allem, wenn es sich um junge und unerfahrene Fahrer wie Mick und Nikita handelt. Man kann sich vorstellen, dass sie es kaum erwarten können, endlich an den Simulator gelassen zu werden. Da wäre es ein Leichtes, einfach zu sagen, „sicher doch, kein Problem. Bis zu dem Termin haben wir alles fertig.“ Aber wenn man dann nicht liefern kann, wird der Fahrer nervös und verliert sein Vertrauen ins Team, was offensichtlich nicht ideal ist. Am besten fährt man damit, offen zu sein und zu sagen, dass man alles an eine schnelle Umsetzung und Realisierung setzt und so schnell wie möglich einen Termin festlegen wird. Das mag ziemlich einfach klingen, aber jeder Fahrer hat eine ganze Entourage von Managern und Assistenten, die in seinem Namen intervenieren. Wenn man da klein beigibt und ihnen sagt, was sie hören wollen, kommt man schnell einmal in Teufels Küche.

Den Fahrern sage ich das zwar nicht, aber Ayao und ich sind guter Dinge und hoffen, dass wir Mick und Nikita etwas zum Testen geben können, bevor wir nach Barcelona aufbrechen. Ich weiß zwar nicht, wie gut es sein wird, aber Ayao und sein Team geben ihr Bestes.

Abgesehen davon gibt es nur einige Probleme mit der Konstruktion des Chassis. Wenn wir zum aktuellen Zeitpunkt keine Probleme hätten, wäre ich echt besorgt. Probleme sind ein Zeichen für Fortschritt. Die Herrschaften in der Einkaufsabteilung sind vermutlich diejenigen, die momentan am härtesten arbeiten, denn zu dieser Jahreszeit ist es schwierig, Lieferanten zu finden. Das kann offensichtlich echte Bauchschmerzen verursachen, aber andererseits ist es ein Zeichen dafür, dass die Branche genug zu tun hat. Das gefällt mir.

Der neue FIA-Präsident, Mohammed Ben Sulayem, wird bald mit allen Teams Meetings vereinbaren, so auch mit uns. Er möchte wissen, wie es uns allen geht und was uns beschäftigt. So ein bisschen wie eine Rede zur Lage der Nation. Ich kenne Mohammed Ben Sulayem schon seit meinen Rallye-Tagen, also ziemlich lange. Er ist ein guter Typ. Alle FIA-Präsidenten verfolgen offensichtlich ihre eigenen Interessen und wollen dem Sport ihren Stempel aufdrücken, und ich weiß, dass Mohammeds Interesse vor allem sportlicher Natur ist. Er hat 14-mal die Middle East Rallye-Meisterschaft der FIA gewonnen, daher überrascht das nicht wirklich. Jean Todts Stärke war es, den Sport weiterzubringen und er war genau das, was die FIA brauchte, als er zum Präsidenten gewählt wurde. Jeder hat seine Stärken. Aber wie dem auch sei, ich muss es schaffen, irgendwo in diesem Buch von meiner Rallye-Zeit zu erzählen. Ich werde mir was überlegen.

Freitag, 21. Januar 2022 –Steiner Ranch, North Carolina, USA

Ich habe gerade mit Simone in Italien gesprochen und erfahren, dass das Chassis nächste Woche Montag in der Konstruktion in Dallara sein sollte. Die Werkstatt, das IT-System und die Stores sind alle eingerichtet, sodass wir bereit sind und jederzeit loslegen können. Dallara ist jener Rennwagen-Hersteller, der den Boliden mit uns gemeinsam entwickelt hat. Wir arbeiten seit 2016 mit Dallara, und die Jungs sind großartig. Die Bereiche, in denen wir hauptsächlich zusammenarbeiten, sind Aerodynamik, Fahrzeugdynamik sowie Design und Strukturberechnung. Sie helfen uns auch, die verschiedenen Komponenten in Motor und Transmission zu integrieren. Wir haben eine gute Beziehung und ich kenne den Eigentümer des Unternehmens, Gian Paolo Dallara, seit Jahrzehnten. Sobald sie mit der Konstruktion beginnen, werden die ersten Probleme nicht lange auf sich warten lassen, aber das ist ganz normal. Es ist nicht unbedingt meine liebste Zeit im Jahr, aber irgendwie dann doch wieder, denn schön langsam nehmen alle unsere Träume Gestalt an.

Abgesehen von den Geschehnissen in Italien hat das Budget diese Woche den Großteil meiner Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. Sorry, besser gesagt: „Es war ein notwendiges Übel und hat mich vor Langeweile beinahe umkommen lassen.“ Ich musste die ganze Woche mit dem Vorstand verhandeln, um verschiedene Sachen abgesegnet zu bekommen. Dabei handelt es sich im Großen und Ganzen um letzte unerledigte Dinge, das heißt, ein Ende ist absehbar und übernächste Woche geht es dann richtig los. Bis dahin werde ich mich aber noch mit zahlreichen lästigen Anrufen und E-Mails herumschlagen müssen – sobald die Konstruktion beginnt, werde ich mit Fragen bombardiert werden, die sich alle darum drehen, warum wir dieses und jenes nicht haben oder liefern können. Ich habe mein halbes Leben mit diesem Theater zugebracht, aber ich liebe es. Warum? Weil Leute nur jammern, wenn etwas passiert. Und weil ich nichts zu tun hätte, wenn die Leute nicht jammern würden. So einfach ist das.

Donnerstag, 27. Januar 2022 –Steiner Ranch, North Carolina, USA

14.00 Uhr

Heute bin ich voller Vorfreude, denn morgen fliege ich zum 24-Stunden-Rennen von Daytona nach Florida. Es startet am Samstagnachmittag und geht bis Sonntag. Ich werde nur einen Tag dort sein (es sind nur zwei Stunden Flug) und um ganz ehrlich zu sein, fliege ich in erster Linie, um Freunde zu treffen. Kevin Magnussen wird am Rennen teilnehmen, was gut ist. Ich habe ihn nicht gesehen, seit er Haas verlassen hat. Hoffentlich spricht er noch mit mir. Ich muss Romain noch eine Nachricht schicken, um herauszufinden, ob er auch dort sein wird. Er wird selber nicht fahren, aber er lebt in Miami, daher ist es leicht möglich, dass er vorbeischaut. Es sind immerhin nur vier Stunden Fahrt und das ist in Amerika so gut wie nichts. Wir drei könnten ein kleines Stelldichein haben. Ich vermisse die Jungs, wir haben immerhin viel gemeinsam durchgemacht.

Für Romain läuft es super bei IndyCar, seit er von uns weg ist. Ich muss zugeben, dass ich schon etwas überrascht war, wie schnell er ist, denn IndyCar ist nicht einfach. Diese Dinger fahren nicht von selbst. Ich dachte, er würde sich am Anfang schwer tun, aber da habe ich mich getäuscht. Auf der anderen Seite ist es vielleicht genau Romains Ding, ein Gefährt zu steuern, das keine Servolenkung hat und schwer zu fahren ist. Ich war schon immer der Meinung, dass Romain an einem guten Tag Weltmeister hätte werden können. Das einzige, was dazu gefehlt hat, war die nötige Konsistenz. Dazu kam, dass seine schlechten Tage wirklich schlecht waren. Es trifft vermutlich auf viele Fahrer zu, dass sie an guten Tagen jeden schlagen können, nur sind die wirklich guten Tage einfach zu selten. Romain hat zudem manchmal versucht, etwas zu erzwingen. Am Ende des Tages kann ein Fahrer die Schwächen eines Rennwagens nicht wettmachen, zumindest nicht ausreichend. Doch er hat das versucht und wollte Manöver fahren, die der Wagen einfach nicht leisten konnte. Ist das der Fall, geht meistens etwas schief.

Kevin war sehr jung und unreif, als er zur Formel 1 kam. Meiner Meinung nach hätte er von einem zusätzlichen Jahr unter einem Mentor profitiert. Außerdem glaube ich, dass er anfangs im falschen Team war. Die Magnussens sind altmodische Rennfahrer und brauchen eine gewisse Freiheit. McLaren hat Kevin diese Freiheit nie gegeben und ich glaube, das hat ihn zurückgehalten. Später hatte er dann einen schlechten Ruf und fiel ein Jahr lang aus. Wenn so etwas passiert, speziell in jungen Jahren, verlieren die meisten ein gutes Stück Selbstvertrauen. Darum lief es für ihn bei uns so gut, glaube ich. Wir haben ihm die nötige Freiheit gegeben und wir haben ihn unterstützt. Solange jemand gute Rennen fährt und solange er das tut, was ich ihm sage, ohne einen verdammten Unfall zu bauen, bekommt er von mir alle Freiheit, die er braucht.

Ich hoffe wirklich, dass wir drei uns in Daytona ein bisschen austauschen können. Klar, wir werden zuerst 20 Minuten lang in alten Geschichten schwelgen und dann werden Kevin und Romain mich eine Stunde lang verarschen – darin sind sie echte Meister.

Ich werde oft gefragt, was ich in meiner Freizeit so mache und wenn ich antworte, dass ich gerne in Flugzeuge steige und zu Autorennen fliege, dann glauben das die wenigsten.

„Du siehst dir Autorennen an? Welche Drogen nimmst du denn?“

„Ich kenne mich doch sonst nirgends aus“, sage ich dann. „Was sollte ich sonst schon groß machen?“

Ich mag natürlich auch andere Sachen. Aber abgesehen vom Motorsport gibt es in meinem Leben nichts, wofür ich eine Flugreise auf mich nehmen oder Geld für eine Eintrittskarte ausgeben würde. Da bin ich nicht der einzige. Motorsport ist mein Leben und ich habe nie etwas anderes gekannt. Ich habe seit 1986 nichts anderes gemacht und kenne alle meine Freunde von dort. Gerade heute Morgen habe ich mit meinem alten Chef, Malcolm Wilson, gesprochen. Sein Team M-Sport, dessen Vorstand ich war, hatte vor ein paar Tagen die Eröffnungsrunde der Rallye-Weltmeisterschaft in Monte Carlo 2022 gewonnen und wir haben uns darüber unterhalten. Malcolm ist neben Niki Lauda, Carlos Sainz senior und Gene Haas einer der vier Menschen, die den größten Einfluss auf mich im Motorsport hatten und ich verdanke ihnen verdammt viel. Klar kann es manchmal etwas inzestuös werden, aber solange wir uns nicht paaren, interessiert das doch niemanden, oder?