Guten Tag zusammen - Michael Mansion - E-Book

Guten Tag zusammen E-Book

Michael Mansion

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Beschreibung

Es handelt sich um einen Roman zum aktuellen Zeitgeschehen, wobei unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen reflektiert werden.

Das E-Book Guten Tag zusammen wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Massenmigration, Genderdebatte, Energiewende, Kulturdebatte, Klimadebatte

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Ich bin allen zu Dank verpflichtet, die mich zum Schreiben ermuntert haben! Insbesondere danke ich meinem Bruder, Herrn Dr. Andreas Mansion, für seine stets wertvollen Anregungen und Korrekturen. Viele wertvolle Hinweise haben sich aus der umfangreichen Korrespondenz mit Prof. Günter Buchholz ergeben, dessen waches Auge zwar nicht diesen, jedoch manch anderen Text korrigierend begleitet hat. Viele gute Ratschläge verdanke ich Prof. Günter Scholdt aus dem saarländischen Dudweiler, was (durch räumliche Nähe) zu gelegentlich auch längeren (und ertragreichen) Spaziergängen mit ihm geführt hat.

Mein besonderer Dank gebührt Günter Knoblauch aus Neuried für dessen technische Unterstützung - der Voraussetzung dafür, dass dieses Buch entstehen und erscheinen konnte.

Die in diesem Buch genannten Personen sind real nicht existent und dies auch dann nicht, wenn es Namensgleichheiten mit lebenden Personen geben sollte.

Als Ausnahmen gelten benannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und namentlich benannte Wissenschaftler.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Guten Tag zusammen

Die Zeitung und das Personal

Das Miteinander in schwierigen Zeiten

Was zu erwarten ist

Die Konsequenz

Vorwort

Jede Zeit hat ihre besonderen Ereignisse und diese sind in der Regel von Menschen in Szene gesetzt.

Der Mensch wird damit zum Ereignisfaktor und dabei zugleich zum Problemfaktor, sowohl für sich selbst, als auch für die übrige Spezies, die ihn irgendwie ertragen muss, was umgekehrt natürlich auch gilt.

In weniger häufigen Fällen ist der Mensch für bestimmte Ereignisse nicht verantwortlich zu machen, auch wenn das manchmal wünschenswert wäre, damit man dem uns innewohnenden Gefühl von Gerechtigkeit einen Platz zuweisen kann und nötigenfalles auch der Justiz.

Das ist bei Erdbeben, Vulkanausbrüchen, etwas länger dauernden Kontinentalverschiebungen, extremen Sonnenaktivitäten oder der bekanntermaßen elliptischen Erdumlaufbahn allerdings schwierig.

Da bleibt den Gläubigen nur das Gebet und den Ungläubigen der Glaube an die Wissenschaft, was leider nie viel Trost gespendet hat, aber in Einzelfällen mal einen Nobelpreis.

Auffällig am aktuellen Zeitgeschehen ist ein seltsames Phänomen, welches (pseudo-) wissenschaftlich getarnt, als eine ganze Folge neuer Glaubensgrundsätze daher kommt, deren heiliger Gral in den Massenmedien zu verorten ist und von einer moral-beseelten politischen Klasse geboren wurde.

Diese geriert sich zeitgemäß religionsfeindlich, wenn es sich um das Christentum handelt, jedoch nicht im Falle des zugewanderten Islam, der als kulturelle Bereicherung inszeniert wird.

Den intimeren Kennern des Szenarios entgeht auch nicht die physikalische Erkenntnis, dass man nicht (wie beabsichtigt) die Energiesicherheit einer Industrienation mit Windrädern und Solar Paneelen garantieren kann, was wiederum nichts mit Religion zu tun hat, sondern eher mit deren Ersatz durch Aberglauben.

Um einen solchen handelt es sich auch, wenn man von deutschen Boden aus das Weltklima retten will, für dessen unterstelle Beschädigung das Konzept der deutschen Industriekultur verantwortlich gemacht wird.

Neuerdings wollen einige politisch durchaus verantwortliche Leute (glücklicherweise nicht alle…hoffentlich) die Nation mit der größten Landmasse auf unserem Globus militärisch besiegen, obwohl solche Versuche schon mehrfach gescheitert sind.

Die Astronomen sprechen gelegentlich von einem Ereignishorizont am Rande von sog. „Schwarzen Löchern“.

Da solche Ereignisse aber relativ weit von uns entfernt stattfinden, sind sie für unser Alltagsleben weniger relevant als es z.B. eine schleichende Deindustrialisierung als Folge einer erwünschten sog. Klimagerechtigkeit wäre. Ein zunehmender Verlust von Alleinstellungsmerkmalen, welche unseren Wohlstand begründet haben, führt nämlich leider zu Wohlstandsverlusten oder wenn man es so ausdrücken will, auch zu einem ziemlich schwarzen Loch etwa in der Geldbörse.

Wenn man sich als Nation zusätzlich mit einer ganzen Reihe sehr teurer, aber ineffektiver Projekte belastet hat, dann sind weder die göttliche Vorsehung, noch der Glaube an multiple Geschlechtlichkeiten sonderlich hilfreich und dies auch dann, wenn, wenn man sie als Sieg von Demokratie über vermeintliche Nazis feiert.

Mit Vorhersagen zu möglichen gesellschaftlichen Entwicklungen sollte man vorsichtig sein, aber es wäre zumindest sehr erstaunlich, wenn sich alle Parameter für ein erfolgreiches Handeln in ihr Gegenteil umkehren ließen, um weiterhin erfolgreich sein zu können.

Wir kennen aus Erfahrung besonders anpassungsfähige Klassen und Typen. Ihnen gelingt das Kunststück entweder durch eine direkte Teilnahme und Teilhabe am politischen Apparat, durch ein Zugehörigkeitsgefühl zur jeweils verordneten Agenda oder durch passive Duldung derselben unter Inanspruchnahme gewisser Vorteile, die sich aus der Zurückdrängung einer herrschaftskritisch- emanzipierten Gesellschaftlichkeit ergeben.

Dem noch wachen Rest bleibt die mühevolle Erarbeitung von Erkenntnis im Dschungel von Desinformationskampagnen und eine Aussicht auf Revolte, sowie von Fall zu Fall die Flucht.

Wallerfangen, am 01.08.2022

Michael Mansion

Guten Tag zusammen

Die Zeitung und das Personal

I ch will Ihnen was sagen, lieber Kollege Hellweg. Als ich in Ihrem Alter war oder ich glaube sogar noch ein bisschen jünger, da machte ich mein Volontariat in einer kleinen Regionalzeitung, die um ihr Überleben kämpfte. Wir witzelten damals darüber, dass wir uns mit Todesanzeigen über Wasser halten mussten, aber wie auch immer. Ich war hinter jedem noch so kleinen Skandal her und davon gab es leider zu wenige, verstehen Sie?

Skandale benötigen ein bestimmtes, wenn Sie so wollen größeres städtisches Umfeld, eine Aura, eine ausreichende Menge an dunklen Nebenstraßen, Hinterhöfen und Ruinen, aber keine Bauernhöfe in idyllisch ländlicher Umgebung und es bedarf ausreichend vieler Leute, die noch unterwegs sind, wenn man auf dem Lande bereits friedlich schläft. Ich weiß nicht, ob wir uns verstehen, aber wir können hier aus ein paar sexuellen Übergriffen keinen Aufstand machen. Das hat es bei Straßenfesten immer mal gegeben und natürlich auch Schlägereien und das übliche, wenn Sie so wollen, alkoholisierte Gesamtgeschehen. Natürlich müssen wir berichten, aber es ist nun mal ein Unterschied, ob und wir etwas auf einem Fest unter Einheimischen abläuft, wo man sich in der Regel kennt oder ob Fremde ins Spiel kommen. Leute etwa, die noch nicht lange bei uns sind, die Sitten und Gebräuche nicht kennen, verunsichert sind und zugleich am Leben teilhaben wollen. Junge Leute, Männer, verstehen Sie?

Wollen Sie damit ausdrücken, dass ich das Geschehen übertrieben dargestellt habe? Frank Hellweg fühlte ich unwohl, zumal er seinen Chef als sauber arbeitenden Journalisten schätzte.

Nein,- übertrieben ist nicht das richtige Wort. Sie haben in ihrem Bericht zu den Vorfällen - wie viele waren es eigentlich? - aber unglaublich weit ausgeholt. Das ist gut geschrieben, keine Frage, aber zugleich eine alles erklären wollende Kulturschelte, wenn Sie wissen was ich meine. Wen wollen Sie damit erreichen? Ich kann Ihnen sagen was die Folge sein wird. Auf der einen Seite werden uns die Leser glauben, weil wir ein seriöses Blatt sind. Die andere Reaktion wird aber sein, dass Ihre, den faktischen Vorgang weit übertreffende Kulturschelte, uns diejenigen zu Feinden macht, die uns Ausgrenzung unterstellen, Fremdenfeindlichkeit, eine europäische Kulturarroganz und eine Verallgemeinerung in der Sache selbst. Wir haben diese ja nicht neuen Probleme unter Redaktionsleitern kürzlich erst im „Rat“ besprochen und waren uns einig, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Kein voreiliger Aktionismus zugunsten von Quote war das Ergebnis,- mal auf Kurzform gebracht.

Carsten Spohn hatte sich auf seinem Bürostuhl ein wenig zurückgelehnt und dabei die ineinander verschränkten Hände in den Nacken gelegt. Sein Blick ging an Frank Hellweg vorbei und verlor sich in der typischen Bürogeographie von ein paar Metallschränken, einem Großkopierer, drei PCs einer Menge beschriebener loser Zettel, vier Zimmerpflanzen, ein paar Stühlen, einer Kaffeemaschine und zwei großen Schreibtischen

Es war nicht so,

dass Frank Hellweg mit dieser Ansprache nicht gerechnet hätte. Sie war ihm eigentlich sogar relativ kurz erschienen und sie hatte ja vordergründig auch keine Drohung enthalten. Der Chef wollte den Beitrag auf kleiner Flamme gekocht wissen und Hellweg wusste, dass er, also Spohn, unter einem gewissen Druck stand, welcher im „Rat“ ausgeübt wurde. Deshalb war ihm auch nicht an einer Rechtfertigung gelegen, die er mit allerlei Hinweisen auf journalistische Rechtschaffenheit, Informationspflicht und Hintergrundrecherche hätte garnieren können. Aber wozu, fragte er sich. Es gab in solchen Fällen zwei Möglichkeiten. Entweder wurde entschieden, dass der Beitrag in der vorliegenden Form nicht übernommen und damit nicht gedruckt wurde oder er sparte sich bestimmte Anspielungen, welche in diesem Falle die mehrheitliche kulturelle Befindlichkeit der arabisch-muslimischen Welt gewesen wären, weil er sich erfolgreich einreden konnte, dass man dies nur ausgewiesenen Wissenschaftlern überlassen durfte. Der berüchtigte Mittelweg lief darauf hinaus, sich einer allgemeinen und besonderen Verunsicherung zu überantworten. Verunsicherungen können Spannungen in der Schwebe halten, leben vom Verzicht auf exakte Definitionen, sind deshalb allgegenwärtig, irgendwie gesichtslos und somit umfänglich gegenwärtig. Wenn sich alle gegenseitig verunsichern und irritieren, dann sind auch alle verantwortlich oder keiner und schließlich hatte sich ja niemand in die Luft gesprengt, gemessert oder geschossen. Man konnte im Falle solcher Verunsicherungen, die gelegentlich den Charakter von Nötigungen annahmen, eine gewisse historische Konsistenz erkennen. Das hatte es zu allen Zeiten gegeben und dies mit unterschiedlicher Intensität, so wie es ja auch kühlere Winter und heißere Sommer gibt.

Frank Hellweg hatte das Büro der Redaktionsleitung etwa gegen 15 Uhr verlassen und erreichte den Kollegen Wendler auf dem Mobiltelefon, als dieser gerade in der Autowerkstatt auf das Ergebnis einer Messung wartete, die man seit einiger Zeit als Diagnose bezeichnete, weil sich der medizinische Begriff wohl seriöser anhört.

Wendler hoffte, Aufschluss über einen Kriechstrom zu erhalten, der ihm den Wagen etwa alle vier Tage zwar nicht lahm legte, aber weit entfernt war es davon leider auch nicht.

Der Besitzer der Werkstatt war ein Nordafrikaner und ein begnadeter Schrauber, weil er in Marokko schon scheintote Fahrzeuge wieder zum Leben erweckt hatte und Herbert Wendler mochte ihn auch wegen seiner freundlichen Art, bei der nie der Eindruck entstand, er erwarte als Ausländer eine besonders zuvorkommende Behandlung oder so etwas wie einen antidiskriminierenden Sozial-Bonus

Ben Berissa war ein kleiner,

etwas untersetzter Mitvierziger, der zu allen Zeiten einen ganz wunderbaren und aromatischen Pfefferminztee im Angebot, bzw. in seinem Büro auch für seine Kunden verfügbar hatte und das war mehr, als die Deutsche Bahn AG ihren Kunden auf Langstreckenfahren zu bieten imstande war.

Was gibt’s denn Frank?- fragte Herbert Wendler. Ich muss mal was besprechen mit Dir hinsichtlich meines geplanten Beitrages zu den Übergriffen. Du weißt ja was ich meine. Ja ja und was ist damit?

Der Chef meinte, ich hätte da ein bisschen zu weit ausgeholt und quasi eine Kulturkritik, Kulturschelte oder nenne es wie Du willst, da angehängt.

Ich verstehe, die haben immer ihre „Ratsbeschlüsse“, wo sie sich gegenseitig vormachen, es sei sinnvoll, möglichst alle Straftaten, vor allem wenn sie von Zuwanderern begangen werden, unter eine Art von informatorischem Vorbehalt zu stellen. Es wird zwar von einer Straftat gesprochen, aber nicht wer sie begangen hat. In aller Regel heißt es dann: „Ein Mann hat…. usw. usf.“

Ich bin hier noch in der Werkstatt bei Ben, der gerade mit öligen Fingern einen Laptop bearbeitet, um mein beschissenes Elektroproblem zu finden, wobei ich mich mit seinem hervorragenden Pfefferminztee tröste. Da wird man glatt süchtig sage ich Dir. Aber pass auf, wir könnten uns doch so gegen 18 Uhr beim Ferdi treffen und dort noch eine Kleinigkeit essen.

Gute Idee, sagte Frank Hellweg und sie beendeten das Gespräch.

Wendler war ein wenig älter als Hellweg,

schon etwas länger in der Redaktion und bearbeitete den Bereich der landkreisbezogenen Informationen und Hellweg den Regionalteil. Den Bereich Internationales beackerte Kurt Enders und für das Feuilleton zeichnete der Kollege Friedhelm Kurz verantwortlich. Enders hatte Politikwissenschaft studiert und sich dabei eine angenehme Distanz zu diesem Studienfach bewahrt. Wie er gelegentlich meinte, sei Politik als ein wissenschaftlicher Gegenstand gar nicht greifbar. Sie vermittele sich höchstens als ein Ausdruck unterschiedlicher Interessen im nationalen und internationalen Umfeld. Einige Entscheidungen bewegten sich dabei in einem Milieu, das sich eher der Psychoanalyse erschließt, aber hierbei bestünde die Gefahr, dass die dabei gewonnene Erkenntnis fatale Rückschlüsse offenkundig werden lässt.

Friedhelm Kurz war als Germanist der unübertroffene Korrekturleser. Zugleich war er mit dem Feuilleton auf bewundernswerte Weise bemüht, der Unterhaltung den Geist nicht zu verweigern oder, anders gesagt, das Feuilleton geriet ihm auf bemerkenswerte Weise zum Diskursraum.

Das Wirtschaftsgeschehen oblag dem Kollegen Thomas Gebauer, der gelegentlich großen Gefallen daran fand, jene Gretchenfrage auf den Plan zu rufen, die sich nicht damit abfinden wollte, der Wirtschaft eine von den Mehrheitsinteressen losgelöste Eigendynamik zu gestatten.

Dabei konnte er unerbittlich auf den klassischen Widerspruch von gesamtgesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung verweisen, war dabei aber klug genug, nicht ständig eine neue Steuer als große Lösung erfinden zu wollen.

Die Redaktionsleitung durch Carsten Spohn war das Ergebnis einer Familientradition mit klassischen Abläufen, die in solchen Fällen in ein Journalistik-Studium münden. Spohn hatte dieses mit Betriebswirtschaft verbunden und fühlte sich dadurch imstande, gewisse Auf- und Abwärtsbewegungen der Verkaufsstatistik des Blattes zumindest erklärbar werden zu lassen.

Er machte deshalb den redaktionellen Inhalt auch nicht alleine für die Verkaufszahlen verantwortlich. Es gab eine Stammkundschaft, die eigentlich hätte wachsen sollen, was sie aber nicht tat. Die Krise der Print-Medien saß den Zeitungen wie ein Virus in den papierenen Knochen und das schon seit geraumer Zeit. Der Verkauf an Kiosken, in Zeitschriften- und Bücherläden, sowie gelegentlich auch in einigen Supermärkten, profitierte allerdings schon mal vom aktuellen Tagesgeschehen, aber mit Sicherheit nicht von den aufwändig analytisch erarbeiteten Beiträgen.

Spohn vermied wenn irgend möglich den Begriff Marketing, weil er ihn für eine Begrifflichkeit von Versicherungsvertretern hielt. Natürlich musste der Inhalt stimmen, aber ein Seriösitätsanspruch und das auch schon mal etwas hypertonisch angelegte aktuelle Zeitgeschehen, erzeugten Reibungspunkte die nicht zu sichtbaren Unsicherheiten entarten durften. Katastrophischer Angstjournalismus – in wessen Diensten auch immer – war noch schlimmer als halbseidene Recherche, die man eher verschmerzen konnte, wenn die Sache, um die es dabei ging, nicht vollständig an den Haaren herbeigezogen war.

Das schlimmste war jedoch eine ausbleibende Berichterstattung. Irgendein Thema, mit dem man sich lieber ausführlicher beschäftigt hätte. Eine Positionierung in der Warteschleife und dann waren die anderen schneller und unvoreingenommener gewesen, wenngleich nicht wissender, aber in der Nachsicht erfolgreicher. Der Leser verzeiht gewisse Übertreibungen leichter als Untertreibungen. Schwierig waren Trend-Themen, wie Spohn sie nannte und worunter er die verstand, bei denen ein unterschiedliches Meinungsbild nicht mehr möglich war, weil es hierzu bereits mehrheitlich eine medial verordnete Meinung gab. Im Grunde so etwas wie eine Staatsmeinung, ihrem Wesen nach mehrheitsfähig und nicht mehr grundsätzlich zu hinterfragen.

Das hatte es zu allen Zeiten gegeben und er hätte Friedhelm Kurz um eine historische Replik im Feuilleton bitten können.

Hellwegs sehr private Analyse von unüberwindlichen kulturellen Dissonanzen im Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen, war vor dem Hintergrund solcher Überlegungen ein Problem, denn sie stellte sich gegen einen Trend, der nicht müde wurde zu verkünden, dass alle Kulturen im Grunde gut und ähnlich wertvoll sind und einen Anspruch auf Anerkennung und Respekt haben. Zumindest war das auch der Tenor im „Rat“ gewesen. Es sei nicht hilfreich, ein angeblich umfänglich akzeptiertes Meinungsbild in Frage zu stellen oder sich ihn gar mit dem Hinweis auf wissenschaftlich fundierten Gegenwind zu verweigern.

Seine Studentin Karin Bruckner war ihm bedrängt erschienen,

als sie zu dem Gespräch erschienen war, um das sie ihn gebeten hatte. Nicht weil das grundsätzlich ungewöhnlich gewesen wäre, denn seine Studenten hatten mit der Anthropologie ein sog. kleines Studienfach gewählt, welches vordergründig vielleicht ein wenig einfacher zu bewältigen schien als Mathematik oder Literaturwissenschaften, aber Prof. Volker Mendes vermittelte einen hohen Anspruch und seine Studentinnen und Studenten wussten, dass sie sich im fortgeschrittenen Semester etwas einfallen lassen mussten. Diese Studentin gehörte für ihn nicht zu denjenigen, die sich schwer taten und er hatte schon daran gedacht, sie gemeinsam mit einem männlichen Studenten aus dem Semester zu einer Studienreise mitzunehmen, die er jedoch noch würde organisieren müssen. Auch die Finanzierung war keineswegs gesichert, aber man würde ja sehen. Er wunderte sich, sie noch nie in männlicher Begleitung gesehen zu haben oder es war ihm auch einfach nicht aufgefallen. Sie war eine attraktive Person und ihm war das nicht entgangen.

Sie hatten sich für 10:30 Uhr in seinem Büro verabredet, wo das von ihm verursachte Chaos an einem Punkt angekommen war, wo jede Revision, Reorganisation, ja selbst eine bescheidene Form von Ordnung ins Nichts münden musste und er beeilte sich, den Wust aus Papier, Büchern, Fotos, Karten und diversen Gegenständen, die er von seinen Reisen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit aus den letzten Winkeln der Welt mitgebracht und gesammelt hatte, irgendwie angemessen übersichtlich im Raum zu verteilen. Dann stellte er resigniert fest, dass er nicht mal einen Kaffee anbieten konnte, weil er selbst Tee bevorzugte, aber er fand im Schrank noch einen schäbigen Rest Pulverkaffee, von dem er Rettung in der Not erhoffte.

Seit dem Tode seiner Frau hatte sich eine gewisse häusliche Unordnung bei ihm etabliert, weshalb es seltsam gewesen wäre, wenn diese in seinem Büro keine Entsprechung gefunden hätte.

Karin Bruckner war pünktlich und klopfte an die Tür, bevor sie merkte, dass diese gar nicht geschlossen war.

Kommen Sie rein und nehmen Sie Platz, soweit das in diesem schändlichen Durcheinander möglich ist. Ich bin ein schlechter Organisator und hatte damit immer ein Problem.

Sie war ein wenig überrascht über den lockeren Ton, denn Mendes galt nicht als leutselig. Seine Vorlesungen waren stets sehr konzentrisch strukturiert und kompromisslos am Gegenstand der Betrachtung orientiert. Hier begegnete sie ihm in einer für sie ungewohnten Umgebung. Hier war er in gewissen Grenzen privat.

Mögen Sie einen schlechten Kaffee? - fragte er und fügte hinzu: Ich habe leider keinen anderen, weil ich gewöhnlich Tee bevorzuge.

Ich auch, sagte sie und Mendes setzte den Wasserkocher in Gang.

Sie haben uns noch nie die ganzen Sachen hier gezeigt, die Sie von Weißgottwoher mitgebracht haben.

Ihre Kritik ist berechtigt, sagte Mendes, aber wissen Sie, ich habe das nicht absichtlich getan, sondern einfach nur versäumt. Ich werde mich bessern – versprochen - und sie lachten beide.

Sie musste jetzt ein Entrée finden, eine Möglichkeit, ihm zu sagen was sie ihm sagen wollte und dass sie das Studium unter den gegebenen Umständen nicht fortsetzen konnte.

Sie saßen sich an seinem Schreibtisch gegenüber und Mendes hatte sogar noch ein paar Zuckerwürfel in den Tiefen einer Schublade gefunden. Was haben Sie denn auf dem Herzen und kann ich etwas für Sie tun?

Sie sah ihn an und ihr fiel auf, dass er zerbrechlich wirkte mit seinen vollständig weißen Haaren und seinem schlanken Körperbau. Ob das an der räumlichen Nähe lag oder einfach daran, dass es ihr noch nie aufgefallen war, hätte sie auch später nicht sagen können und auch nicht, warum sie ihn plötzlich fragte: Herr Professor,-wie geht es Ihnen eigentlich im Moment?

Damit hatte er nicht gerechnet, aber er nutzte die sich bietende Gelegenheit für ein kleines Understatement. Wissen Sie, andere Leute in meinem Alter züchten bereits Rosen, aber davon verstehe ich zu wenig und erspare mir das Scheitern.

Wie Sie sicher wissen, bin ich jetzt exakt 67 Jahre alt geworden und ich hoffe, dass dieser Fakt für meine Studentinnen und Studenten kein Problem darstellt, denn es reicht ja schon, dass es für mich eines ist und das merke ich vornehmlich bei den gelegentlich unvermeidlichen Reisen.

Sie hatte sich gefangen und war imstande, ihre eigentlich zentrale Frage zu stellen.

Das mag sich idiotisch anhören Herr Professor, aber das ist etwas, was mich umtreibt. Kann es sein, dass die Anthropologie rassistische Tendenzen festschreibt?

Frank Hellweg und Herbert Wendler waren fast

zur gleichen Zeit in Ferdis Kneipe angekommen. Diese gehörte zu der Sorte von Etablissements, bei denen man nicht schlüssig sagen kann, warum gewisse Leute dort gerne hingehen. Es gab da nichts, was entweder für eine sich intellektuell dünkende Schickeria oder im Sinne eines eher proletarischen Ambientes von Bedeutung hätte sein können. Ein solches Spannungsfeld war nicht auszumachen.

Durch die relativ kleinen Fenster war der Raum nicht sehr hell. Es gab eine recht große Theke und eine Reihe kleiner Tische, die mal jemand mit dem Pinsel braun gestrichen hatte. An den Wänden hingen ein paar Plakate, die auf längst vergangene Veranstaltungen verwiesen und einige gerahmte schwarz/weiß Photos, welche Personen, Gebäude und Straßenverläufe der Stadt aus dem vorigen Jahrhundert zeigten. Das alles war eher ein Ausdruck des ästhetischen Bewusstseins des Wirtes, also von Ferdi, der sein eigenes Äußeres schon lange keinem Zeitgeist mehr unterwarf. Es war höchstens auffällig, dass er zu allen Jahreszeiten Flanellhemden trug, bei denen er in der warmen Jahreszeit lediglich die Ärmel hochkrempelte.

Wie immer? - fragte er. Ja, wie immer und das bedeutete für beide zunächst mal ein Pils.

Hast Du Stress?- fragte Herbert Wendler. Nein nein, - es ist eher so ein komisches Gefühl. Es ist, als ob man sich seiner selbst nicht mehr sicher sein kann. Keine Bedrohung für Leib und Leben, aber irgendwie doch bedrohlich.

Wie bedrohlich? Wendler hatte ihn ruhig angesehen und konzentriert zugehört.

Na ja,- ich meine halt, wenn Du etwas erfährst, oft sogar siehst oder bestenfalls auch miterlebst und man sagt Dir dann: Das, was Du da erlebt und gesehen hast, ist eigentlich ganz anders gewesen. Also jetzt nicht unbedingt der Handlungsablauf selbst, aber die ihm zukommende Wertung.

Was meinst Du mit Wertung? Ich meine, dass es einen wertungsfreien Zustand beim Beschreiben, von was auch immer, nicht geben kann, denn diese Wertung ergibt sich aus dem aktuellen Kopf-Zustand des Beschreibenden. Es mag z.B. sein, dass sich ein Bauer über einen richtigen Landregen freut, aber für mich ist ein verregnetes Wochenende einfach große Scheiße. Verstehst Du? Da hast man ein und dasselbe Vorkommnis, aber eine höchst unterschiedliche Bewertung. Du würdest aber – um beim Landregen zu bleiben – trotz einem beschissenen Wochenende, jedoch nicht grundsätzlich auf Regen verzichten wollen und insoweit ist das nämlich eine dialektische Betrachtung, die in Anwendung zu bringen ist. Ich glaube aber zu wissen was Du meinst. Als Journalist sieht oder erfährt man etwas und versuchst es wie ein Fotograf bei der Motivsuche irgendwie zu bannen, der Sache habhaft zu werden, um daraus, wenn möglich, eine Story entstehen zu lassen. Dabei musst Du aber zunächst einmal für dich selbst dieses noch ungeordnete „Etwas“ in eine Verständniskategorie bringen, um darüber schreiben zu können.

Und das ist dann nämlich meine Kategorie, sagte Hellweg und wenn Du so willst auch meine Voreingenommenheit, die ich mir dann selbst unterstellen muss oder etwa nicht? Beide Männer hatten sich mittlerweile noch einen Milchkaffee bestellt, weil Ferdi zu den wenigen Kneipiers gehörte, bei denen dieses Gebräu wirklich gut schmeckte.

Ich kann Dich hinsichtlich des guten oder schlechten Regens beruhigen, weil ich ihn zumindest als wochenendlichen Dauerbegleiter und vor allem in einem Temperaturbereich von so zwischen 3 und 5°C auch nicht schätze, sagte Wendler nach einer Weile, während sie in ihren Tassen rührten.

Weißt Du,- ich frage mich, was ich da eigentlich mache, sagte Hellweg, auch ohne dass ich jetzt z.B. sexuelle Nötigungen in den Rang einer Katastrophe stilisiere, was ich ja auch nicht gemacht habe. Ohne Böswilligkeit kann man nämlich herauslesen, dass ich das mangelhafte Bewusstsein unserer neubunten Mitbürger vom Leben in anderen Kulturen als zentralen Grund für ihre Übergriffigkeit benenne und nicht irgendwelche politischen Ideologien.

Bist Du sicher, dass man das so verstehen kann?- sagte Wendler. Ich kenne ja Deinen Text und lese aus ihm heraus, dass ihre, also ihre muslimische Kultur hierher nicht passt. Nein,- da ist kein böser Unterton, aber es ist eine klare Ansage und – klug wie Du bist – hast Du damit gerechnet, dass Spohn Dich zum Rapport bitten wird, denn der hat Schiss vor den „Ratsbeschlüssen“, mit denen man sich gegenseitig versichert, auf der Seite des Wahren und Guten zu stehen und dieses Gute, das ist der aktuelle Kosmopolitismus unserer Eliten. Frag mich nicht was sie da reitet, aber das ist ein Teil des herrschenden Trends, vielleicht sogar der zentrale.

Man könnte ja mal die Frauen fragen, ob sie sexuelle Nötigung nicht auch als terroristischen Akt definieren?, sagte Hellweg. Also ich meine mal, auch bei den nicht deutschen Männern. Ich frage mich auch, was eigentlich passiert, wenn mal jemand auf die Idee kommt, ein Kaufhaus in die Luft zu jagen oder gleich sich mit ihm? Vielleicht ja auch das Kamener Kreuz mit der Folge, dass übermorgen der Aldi leer ist? Dann wird vermutlich eine ganze Armada von diplomierten Psychologen auf den Plan gerufen und sie werden zumindest einem noch lebenden Täter eine schwere Kindheit oder traumatische Kriegserlebnisse oder auch gleich beides bescheinigen. Die Kaufhauskunden aber, denen die Decke mortal auf den Kopf gefallen ist, die werden der bedauerliche Preis sein für die fröhliche bunte und weltoffene Gesellschaft, die nun mal von uns allen gewisse Opfer fordert.

Lieber Frank,- die von Dir zuvor gerade erwähnten Frauen würde ich eher nicht fragen, weil sie momentan in einer schweren Krise stecken. Über Generationen durch die Sprache schwerstens diskriminiert, gewaltsam von den finanziell reizvollen Arbeitsplätzen verdrängt und vom weißen Mann unter Gebärzwang gesetzt, müssen sie sich erst wieder ein wenig sortieren. Ein Teil von ihnen wird uns verloren gehen, denn sie werden lesbisch und der andere, leider zahlenmäßig geringere Teil, könnte den Unfug beenden. Wir brauchen ein wenig Geduld.

Hellweg hatte Wendler während dessen Redeflusses aufmerksam angesehen und konnte bei ihm keine emotional erwähnenswerte Regung feststellen. Das hatte bei Wendler irgendwie wie der Wetterbericht geklungen.

Doch, sagte Prof. Mendes.

Man kann eine Anthropologie betreiben, welche das Element einer rassischen Zugehörigkeit höher bewertet, als das einer kulturellen. Unter höher wäre hier zu verstehen, dass eine genetische Präformation oder Disposition als vor- oder nachteilig in einem intellektuellen Sinne unterstellt wird. Das klassische historische Beispiel hierfür sind die Nazis. Sie unterstellten bekanntlich ihrer eigenen, verkürzt und fälschlich als ausschließlich germanisch definierten Rasse, einen Herrschaftsanspruch, der ihnen als einer sogenannten Herrenrasse zustünde.

Dieser falsche Blick auf Biologie, erfuhr so im politischen Raum eine Ideologisierung, die propagandistisch in Szene gesetzt wurde.

Bin ich denn aus Ihrer Sicht unscharf im Hinblick auf eine eindeutige Distanzierung?

Nein,- um Gottes Willen. Es ist halt nur wegen der aktuellen Stimmung. Wissen Sie, man kann den Begriff von Rasse im Gespräch nicht mehr verwenden, ohne auf erheblichen Widerstand zu stoßen. Mendes wusste was sie meinte, fragte aber trotzdem:

Wie soll ich das verstehen und in welchem Kontext steht das zu dem, was ich vermittele? Es muss Ihnen und den anderen Studierenden klar sein, dass wir ohne diesen Begriff nicht wissenschaftlich korrekt arbeiten können, was übrigens in besonderer Weise auch auf die Humanmedizin zutrifft.

Herr Professor, ich habe daran gedacht, das Studienfach zu wechseln, sagte sie.

Und woran denken Sie alternativ? - fragte Mendes.

Ich weiß es noch nicht, sagte sie.

Volker Mendes wusste, dass er kurz davor war, seiner Studentin das Theater eines Unwissenden vorzuspielen. Mögen Sie noch einen Tee?, fragte er ausweichend.

Danke,- gerne!

Ich will Ihnen etwas sagen, begann er dann, als er merkte, dass die aufkommende Stille ein wenig peinlich wurde.

Es ist nicht so, dass ich die von Ihnen angesprochene und aus meiner Sicht wissenschaftsfeindliche Stimmung nicht spüren würde und das ist ja nicht nur hier so, sondern hat zum Beispiel an einigen französischen Universitäten den Charakter eines Pogroms angenommen. Wer jedoch meinen sollte, dass der Rassebegriff nicht biologisch, sondern in einem quasifaschistischen Sinne nur ideologisch gedeutet werden kann und darf, der ist ein Idiot. Verstehen Sie,- ein kompletter Idiot.

Herr Professor,- es ist im Asta angeregt worden, Ihre Vorlesungen zu boykottieren!

Und deshalb wollen Sie das Studienfach wechseln?

Nein,- nicht deshalb, aber ich wollte, dass Sie das wissen und was mich selbst betrifft, so will ich mich keinem solchen Spannungsfeld aussetzen, weil ich das einfach nicht kann. Vielleicht bin ich ja harmoniesüchtig, mag sein, aber ich brauche in meinem Umfeld etwas Einvernehmliches, was nicht durch ständige Neudeutungen und Ideologisierungen in Frage gestellt wird.

Womit Sie gerade den Kern der Sache angesprochen haben. Wissen Sie was man unter einer Deutungshegemonie versteht? - fragte Mendes.

Na ja,- so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch auf Richtigkeit.

Exakt,- eine bestimmte Zeitgeistgruppe vermittelt uns die Neudeutung oder noch besser, ihre Neudeutung von Welt und Mensch und alle sind begeistert, weil endlich jemand aufgestanden ist, der den Mut aufbringt, grundsätzlich alles in Frage zu stellen…... alles!

Sie sahen sich an und Mendes sah in ihrem gleichmäßig schönen Gesicht einen großen Ernst.

Wollten Sie mich warnen? - fragte er.

Na ja,- ich wusste nicht, inwieweit Sie informiert sind über die Vorgänge im Asta, über die zunächst ja nichts an die Öffentlichkeit dringen sollte, aber daran fühle ich mich nicht gebunden, weil ich das Studienfach ohnehin wechseln will.

Mendes schwieg eine Weile und fragte dann: Kennen Sie den Kollegen Conte? Raul Conte ist Kolumbianer und Gesellschaftswissenschaftler. Ich kann ihn ja mal fragen, ob er in seinen Vorlesungen den Rassebegriff verwendet und vielleicht kann er Sie ja noch unterbringen.

Jetzt habe ich Sie gekränkt, sagte Karin Bruckner.

Warum denn das?- nein - Unfug. Sie fühlen sich bedrängt durch eine für Sie sehr unangenehme Stimmung, deren Ursache die falsche Besetzung eines Begriffes ist, womit er zum Opfer eines Zeitgeistes wird. Vielleicht folge ich Ihnen ja auch noch in ein anderes Fach, wenn man die Anthropologen irgendwann zwingen sollte, sich am aktuellen Umdeutungszirkus zu beteiligen. Da gibt es noch viel Potential.

Vielleicht muss ich mir eines Tages vielleicht auch noch die Frage stellen, ob ich überhaupt ein Mann bin. Möglicherweise habe ich das bislang nicht richtig gedeutet….wer weiß?

Sie sehen nicht so aus, als ob Sie tägliche Besuche im Fitness-Center machen, aber wenn Sie mir als Frau die Bemerkung erlauben, so habe ich hinsichtlich einer männlichen Zuweisung ihrer Person eher wenig Bedenken.

Ich bin gerührt und beruhigt, antwortete er und beide mussten herzlich lachen.

Ach ja - und noch etwas, denn wenn Sie es wissen wollen, Sie sind für heute der erste Mensch der mit mir altem Griesgram gelacht hat und ich werde mir für die nächste Vorlesung etwas Heiteres ausdenken, aber dann sind Sie vielleicht ja schon gar nicht mehr dabei, was ich übrigens sehr bedauern würde. Soll ich mal mit Conte reden?

Nein, sagte sie, bitte nicht. Ich muss das noch mal in Ruhe durchdenken und vielen Dank für das Gespräch!

Das war ein schöner Monolog, sagte Frank Hellweg.

Ich frage mich aber wirklich, ob notwendige Lernprozesse nur über katastrophische Erfahrungen möglich sind? Es ist ja auch noch keine Katastrophe passiert und Spohn hat natürlich Recht, wenn er die Dimension einer Sache berücksichtigt wissen will, für die es noch eine Steigerungsmöglichkeit geben muss.

So ein bisschen ist das wie mit dem Begriff der oder einer Moderne, meinte Herbert Wendler. Verstehst Du, denn den kann man nicht mehr steigern. Da ist irgendwie Ende Gelände und man hilft sich mit der Postmoderne.

Bei Belästigungen oder Übergriffen ist das anders, so sie nicht direkt, na ja, sagen wir mal lebensbedrohlich sind.

Und wie bist Du jetzt auf den Begriff der Moderne gekommen?

Es beschäftigt mich schon lange, dass wir unsere Zeit so endzeitlich begreifen wollen, so unübertrefflich gut, so nachahmenswert in einem nahezu geheiligten Sinne und jeder 14-jährige kann uns vorrechnen, dass unser Weltmodell nicht übertragbar ist und es reicht dabei, wenn er oder sie bis zwanzig zählen kann.

Wenn Du mich fragst, so kommt eine gewissermaßen artifizielle Moderne auf uns zu, eine sich der bösen Welt und ihrer Realität verweigernde Gesellschaft humanoider Angestellter einer vermeintlich künstlichen Intelligenz, die sich in dem von ihr definierten und gewährten Raum bewegen und angemessen zu funktionieren haben.

Glaubst Du an eine solche Möglichkeit? Ist das der angesagte Geist der Utopie?

Nicht im Sinne von Ernst Bloch, der sich dazu viele Gedanken gemacht hatte, aber entscheidend ist doch immer, ob eine Verheißung geglaubt wird, was ja zunächst voraussetzt, dass man hierfür ausreichend viel Propaganda betreibt. Ob sie dann als absurd, anmaßend, wegen mir auch rassistisch oder ein ewiges Leben als Cyborg verheißend in Erscheinung tritt, ist ziemlich egal. Entscheidend ist ein mehrheitlicher Glaube daran.

Magst Du noch einen Kaffee?

Nein,- ich brauche jetzt ein Bier, sagte Herbert Wendler und außerdem wäre ich froh, wenn der Berissa diesen elenden elektrischen Kupferwurm an meinem Auto finden würde. Gewissermaßen als Reminiszenz an eine sog. Moderne, die auf den Mars fliegen will, aber störanfällige Autos baut.

Frau Riedel,- Sie sind bitte so gut

und informieren die Herren Enders und Kurz über die beiden Vorträge, die wir auf jeden Fall angemessen erwähnen müssen. Prof. Raoul Conte ist Kolumbianer und Soziologe und hat an mehreren Universitäten gearbeitet, sowohl in Bogotá, Yeale, Paris und Gießen, bevor er hier bei uns gewissermaßen sesshaft geworden ist. Ein temperamentvoller Zeitgenosse übrigens und als Vertreter eines Landes, welches wir gewöhnlich der sog. 3. Welt zurechnen, unbedingt beachtenswert.

Das sollte Enders auf die Reihe kriegen. Wie war noch mal der Vortragstitel? -ach ja: Die multikulturelle Gesellschaft als Neo- Idealismus .

Das andere war eine Buchvorstellung von….na helfen Sie mir mal mit dem Namen der Autorin. Ich glaube, das war eine Fr. Dorothea Niewald mit dem Titel:

Gleichstellung als kulturelle Revolte, wenn ich mich nicht irre.

Soll ich die beiden Kollegen mobil anrufen, fragte sie. Die sind nämlich gerade beide nicht im Hause, sagte Spohns an schnelle Entscheidungen gewohnte Sekretärin.

Ja, wo sind die denn? Spohn wirkte ein wenig ungehalten, obwohl die gelegentliche Abwesenheit seiner Redakteure weder ungewöhnlich, noch besorgniserregend war. Das waren alles erfahrene Leute, die zudem gut miteinander auskamen und gelegentlich gemeinsam recherchierten, wenn es um übergreifende Themen ging.

Er kam aber nicht mehr zu weiteren Überlegungen, weil das Telefon klingelte und er konnte sehen, dass sein alter Freund Anton Sawatzky anrief.

Mensch Carsten, dröhnte der durch die Leitung. Du kannst mir nicht erzählen, dass Dein Zeitfenster komplett geschlossen ist. Ich habe den Eindruck, dass immer ich den Anfang machen muss. Habe seit gut drei Wochen nichts mehr von Dir gehört!

Sawatzky hatte polnische Wurzeln,

betrieb ein mittleres Transportunternehmen und war wie viele Osteuropäer von einer ruhigen Beständigkeit, die kaum zu erschüttern war. Das war so eine Eigenschaft, die man als bodenständig bezeichnen konnte, obschon sie oft und fälschlich als spießig denunziert wird und bei Sawatzky hätte das ohnehin nicht gepasst, denn er gerierte sich augenzwinkernd als Lebemann und ließ buchstäblich nichts anbrennen. Er und Spohn waren geschieden und hatten zwei etwa gleichaltrige Töchter, die leidenschaftliche Reiterinnen waren und die beiden Männer hatten sich auf einem nahe gelegenen Reiterhof kennen gelernt, wo Kurse angeboten wurden.

Ich bin zerknirscht, sagte Carsten Spohn, aber Du wirst es vielleicht nicht glauben, denn ich habe hier einen ganzen Haufen Arbeit auch durch zusätzlichen organisatorischen Kram, um den ich mich bekanntlich nicht reiße. Ich mache meine Arbeit eigentlich gerne, aber mir geht es wie einem Förster, der seinen Beruf gelernt hat, weil er gerne in der Natur ist und was passiert? Er sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch!

Immerhin bist Du selbstkritisch, meinte Sawatzky und beide mussten lachen.

Lass uns doch mal eine Runde Golf spielen. Das ist gar nicht so langweilig wie Du immer behauptest und außerdem ist die neue Bedienung im Clubhaus ein flottes Modell, um es mal salopp zu formulieren.

Du meinst mit flott jetzt aber für Männer so um die Dreißig?

Carsten, -ich weiß ja, dass Du ziemlich angebunden bist, aber Du hast doch lauter gute Leute um Dich herum wie Du selbst gesagt hast und ich hole Dich ganz einfach um 19 Uhr mit dem Hummer ab und wir essen eine Pizza oder was auch immer. Mit dem Hummer?- da zieht es doch so erbärmlich mit dem halben Tuchverdeck. Mach keinen Wind wo er nicht bläst! Für uns beide ist das ein angemessenes Fahrzeug, weil es ein Anti-Auto ist gegen diesen Spießer-Zeitgeist.

Und gegen die Wirbelsäule, sagte Spohn, aber Du hast mich überredet. So ein bisschen Abwechslung tut mir mal ganz gut.

Ben Berissa hatte jetzt über zwei Stunden lang

die Elektrik von Herbert Wendlers Wagen ausgelesen und war ein Stück weitergekommen, wenngleich um den Preis, einiges tot legen zu müssen und das betraf leider auch die Freisprechanlage. Es war ihm unangenehm, Hellweg den Wagen im Grunde unfertig übergeben zu müssen, aber der brauchte ihn spätestens morgen, weil er heute noch mit dem Kollegen fahren konnte.

Berissas Geduld beim Fehlerfinden war bewundernswert, aber er vertrat zugleich die Meinung, dass die Mutation der Autos zum fahrenden Smart-Phone eine Entwicklung sei, mit der man eine Kultur der Überwachung und der Unzuverlässigkeit programmiere. Man würde solche Fahrzeuge künftig in mechanisch einwandfreiem Zustand irgendwann deshalb verschrotten müssen, weil der Stundenanteil einer kaum noch zu reparierenden Elektronik die Werkstattkosten in schwindelnde Höhen treiben würde.

Berissa war mit einer Deutschen verheiratet und weil er zu der Sorte Mann gehörte, die man als gutaussehend bezeichnen konnte, gab es gelegentliche Anspielungen bis hin zu Unverschämtheiten, die ihm so lange gleichgültig waren, wie man ihm nicht irgend eine Affäre andichten wollte, denn er hatte ja auch weibliche Kundschaft, bei der man nicht immer und mit Sicherheit hätte sagen können, ob sie die Werkstatt ausschließlich und nur wegen seiner Schrauberkünste aufsuchten.

Das hatte ihm schon mal eine Vorstrafe wegen Körperverletzung eingebracht, weil es ein Intrigant darauf abgesehen hatte, ihn gegenüber seiner Frau zu diskreditieren und der Grund war lediglich eine Rechnung, die der Herr nicht begleichen wollte.

Berissa hatte ihn dann zu Hause aufgesucht, an der Tür geklingelt und als er öffnete, ihm einen solchen Kinnhaken verpasst, dass er den Boden bereits à la Schlafwagen erreichte und einen Kieferbruch davontrug. Der Richter hatte das für in der Sache unangemessen gehalten und Berissa hatte nichts dazu gesagt.

Seine Frau war keine anmaßend eifersüchtige Person und sie kannte ihren Ben als aufrichtig und grundehrlich. Seine Reaktion war eigentlich ähnlich wie bei einer Fehlersuche gewesen,- konsequent und zielgerichtet.

Du bist mir einer, hatte sie damals gesagt und musste immer noch lachen, wenn sie daran dachte, dass er schlicht mit „ja“ geantwortet hatte.

Wie spät ist es eigentlich? -

fragte Frank Hellweg, denn er hatte ein bisschen Hunger und Ferdis famose Spaghetti waren ein Ausweg aus dem Dilemma, während mittlerweile zu dessen Freude auch einige weitere Gäste hinzugekommen waren.

Die zentralen kulturellen Befruchtungen, die wir von anderen Kulturen erhalten, vermitteln sich eher weniger über die Literatur, sondern fast ausschließlich über den Magen, sagte Hellweg.

Lieber Frank, das ist eine Erkenntnis, der ich eine gewisse Weisheit nicht absprechen würde, wobei Deine Beherrschung der asiatischen Küche, Dir ja wohl eher literarisch vermittelt wurde, wenn man denn bereit ist, Kochbücher als Literatur zu bezeichnen.

Das stimmt, aber die chinesische No-Musik und auch die Verehrung eines Gott-Kaisers, sind mir dafür irgendwie fremd geblieben.

Ja,- lass uns was essen, sagte Herbert Wendler. Ich brauche ja auch heute nicht mehr in die Werkstatt, wobei ich denke, dass ich dem Berissa einen Gefallen tue mit der Terminverlängerung, weil er den elenden Elektrokram, den er als Kupferwurm zu bezeichnen pflegt, noch nicht im Griff hat.

Es war nicht allzu viel los gewesen

die ganze Zeit in Ferdis Kneipe. In der Woche war er froh, ein paar Essensgäste zu haben, damit es für die Stromrechnung reichte. Ansonsten waren die Gäste sparsam und hielten sich ewig an einem Bier oder einer Cola fest, wenn sie angstfrei nach Hause fahren wollten. Die Abwesenheit des zu früheren Zeiten allgegenwärtigen Zigarettenrauches war angenehm, aber der Anblick der zwischen Tür und Angel gekrümmt in der Kälte stehenden rauchenden Männer war jämmerlich. Vielleicht würden sie sich irgendwann als diskriminierte Minderheit zusammenfinden und einen geschützten Sonderstatus einfordern. Staatlich finanzierte, geheizte Raucherpavillons oder etwas Ähnliches. Das mit den Minderheiten lag ja gerade im Trend.

Friedhelm Kurz hatte sich vor einiger Zeit mal im Feuilleton darüber ausgelassen und von einer um sich greifenden Lustfeindlichkeit gesprochen, die sich als Vernunft tarne, in Wirklichkeit aber totalitär sei.

Der Beitrag hatte die Frage aufgeworfen, ob es so etwas wie lustfeindliche Trends gibt und worauf sie gründen.

Natürlich kann es sich mit Vernunft begründen lassen, wenn jemand nicht oder nicht mehr raucht oder auch keinen Alkohol mehr trinkt, aber wer immer mal das zweifelhafte Glück hatte, meist älteren und wohlbeleibten Damen beim Verschlingen von Sahnetorten zuzusehen, der wird begriffen haben, dass Vernunft und Genuss schon immer einen fröhlichen Antagonismus gepflegt haben. Das hat die Fraktionen der endzeitlichen Mensch- und Weltenretter stets aufs Neue verunsichert und wohl auch animiert, das Lustprinzip generell in Frage zu stellen.

Anderen unter Strafandrohung etwas zu verbieten, bzw. de jure dazu kraft herrschaftlicher Angemaßtheit imstande zu sein, ist derweil in einem nachgerade hämischen Sinne höchst lustvoll und trägt sadomasochistische Züge.

Frank, sagte Wendler, nachdem sie gegessen hatten. Erstens sollten wir bezahlen und zweitens werden sich vermutlich auch weiterhin höchst unangenehme Dinge im Umfeld kultureller Unverträglichkeiten ereignen. Da wirst Du stets Schuldige finden, entweder auf beiden Seiten oder vermehrt nur auf der einen.

Du meinst also, man sollte einfach ein bisschen warten bis es knallt oder sagen wir mal vorsichtiger, bis es zu erneuten unerwünschten Vorfällen kommt nach dem Motto: Die Zeit arbeitet für den Katastrophenjournalismus.

Nein Frank, denn Du weißt, dass der Spohn kein Idiot ist und wir beide wissen, dass er Angst hat. Was sie im „Rat“ beschlossen haben, kann er nicht einfach ignorieren. Man wird ihm vorwerfen, das Blatt bewusst fremdenfeindlich zu positionieren, so absurd übrigens auch dieser Begriff daher kommt, um bestimmten Leserschichten zu gefallen, die normalerweise nicht unsere Leser sind.

Verstehst Du,- es geht gar nicht um die Wahrnehmung bestimmter Phänomene, wenn man das mal so nennen will, sondern um ihre Einbettung in ein Konzept möglicher Verständigung. So etwas wie eine integrative Zielfindung.

Martina Riedel hatte zumindest Enders und Kurz

auf dem Mobiltelefon erreicht, aber Kurz war mit einem größeren Beitrag über das österreichische Burgenland beschäftigt und Enders hatte sich den Vortrag von Raoul Conte vorgemerkt, so dass sie zumindest bei ihm offene Türen aufgestoßen hatte.

Der Titel ist ein bisschen sperrig, dachte Kurz. Die multikulturelle Gesellschaft als neo-idealistisches Konzept oder Neo-Idealismus. Er wusste es nicht mehr so genau. Irgendwie klang das professoral, aber ihm war auch aufgefallen, dass Conte den Begriff multikulturell in bewusster Vermeidung des Begriffes multiethnisch verwendet haben mochte, was aus soziologischer Sicht durchaus bedeutsam war.

Ethnisch formierte Gesellschaften bilden ihre Kultur über sehr lange Zeiträume unter der Einwirkung dessen, was sie vorgefunden hatten, der Struktur der Landschaft, den Bedingungen des vorherrschenden Klimas, den Möglichkeiten einer Sesshaftwerdung und Substituierung und aus ihren Erfahrungen miteinander und mit den Fremden, denen sie als Tauschwillige oder als Feinde begegnen.

Der Idealismus, den Conte hier mit dem Multikulturalismus im Blick hatte, berief sich wohl auf die schon seit geraumer Zeit vorherrschende Idee von kosmopolitisch gesonnenen Eliten, deren Bild von Gesellschaft in den verschiedenen Kulturen keine Antagonismen mehr zulassen will. Hegels Staatsbegriff konnte er nicht gemeint haben, denn Hegels Idealismus wäre auf das Konstrukt eines europäischen Großstaates unter zentraler Leitung via Brüssel kaum in Anwendung zu bringen gewesen. Vermutlich und vor allem deshalb nicht, weil der idealistisch gedachte Staat kein Gebilde von amorpher Kulturvergessenheit sein kann, welche ihm die Möglichkeit entzieht, Bedürfnisse in historischen Dimensionen zu denken.

Wenn Sie den Kollegen Conte doch mal hören wollen,

empfehle ich Ihnen die morgige Abendveranstaltung im Audi-Max, hatte Volker Mendes seiner Studentin noch ans Herz gelegt, bevor sie sein Büro in dem Bewusstsein verlassen hatte, ihm etwas anvertraut zu haben, was sie selbst nur zu dem Teil betraf, der sich auf ihre gewachsene Unsicherheit hinsichtlich des Studienfaches bezog. Der andere Teil hatte den Charakter einer wohlmeinenden Warnung gehabt, die als Hilfskonstrukt in eigener Sache diente.

Ihr war eigentlich nicht nach schwieriger soziologischer Kost zumute, aber ein anderes und durchaus ungewohntes Thema würde sie ablenken. Den Versuch war es allemal wert. Sie hatte Raoul Conte schon einige Male gesehen, aber bei ihm keine Vorlesungen oder gar einen Vortrag gehört.

Das Audi-Max war bereits gut gefüllt, als sie am Abend dort eintraf. Conte und Mendes standen im Flur und unterhielten sich und als sie an ihnen vorbeiging, winkte ihr Mendes freundlich zu.

Kennst Du die Dame? - fragte Conte.

Ja,-natürlich, das ist eine meiner Studentinnen.

Raoul Conte war mittelgroß und hatte lockiges Haar, das an den Rändern und um die Ohren herum ein wenig grau geworden war, aber es war schwer, sein Alter zu schätzen. Bei seinen Hinweisen auf den Kollegen, hatte Mendes darauf auch keinen Bezug genommen. So um die vierzig ist er wohl, dachte sie, während der Rektor der Universität, Dietmar Geisinger, über das Mikrofon darum bat, die Veranstaltung als Gastgeber eröffnen zu dürfen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, begann er. Wir sind in diesem Hause glücklich, einen Kollegen in unserer Mitte zu haben, der nicht nur ein bisschen herumgekommen ist, sondern mit seiner Herkunft aus einem anderen Kulturkreis einen etwas distanzierten Blick auf unsere Gesellschaft geltend machen kann.

Distanz ist hier nicht als trennend zu verstehen, sondern als eine Sicht, die aus anderen Quellen schöpfen kann.

Es ist dies eine zugewandte Sicht, welche Unterschiede ausfindig macht, die zugleich keinen Antagonismus beschreiben und damit eine Gesellschaftlichkeit, die in positiver Vielfalt erlebbar wird.

Ich wünsche Ihnen allen einen interessanten Abend!

Nach dieser Vorstellung begrüßte Conte die Anwesenden mit dem Hinweis, dass ihm die erste Zeit in Deutschland keineswegs leicht gefallen sei.

Wissen Sie, sagte er,

es ist für Menschen aus Süd- oder Zentral-Amerika nicht einfach, sich in einem Lande zurecht zu finden, wo Autofahrer und Fußgänger an roten Ampeln stehen bleiben, auch ohne dass außer ihnen weit und breit jemand zu sehen ist. Das ist kein Plädoyer für die Missachtung roter Ampeln, zumal bei uns in Kolumbien die Anzahl der Verkehrstoten exorbitant hoch ist, aber vielleicht verstehen Sie was ich meine. Es geht um das Prinzip von Disziplinierbarkeit, die auch dann noch wirkt, wenn unabhängig aller roten Ampeln eine Politik gemacht werden kann, die sich weder der Wirklichkeit noch der Vernunft erschließt. Und glauben Sie mir, eine wirklichkeitsfremde Politik ist keine südamerikanische Spezialität, wie ich mittlerweile gelernt habe.

Raul Conte vermittelte sich in kurzer Zeit auch denjenigen, die nicht seine Studenten waren, als ein äußerst temperamentvoller, witziger und wortgewandter Redner, der sich seinem Thema ohne Umwege nähern konnte.

Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, wenn man in meinem Falle bei dem Gedanken an ein kulturell-kunterbuntes Allerlei, welches sich im Begriff eines Multikulturalismus findet, die Frage zu beantworten versucht, wes Geistes dieses zugegeben wohlmeinende Kulturverständnis eigentlich ist?

Ich spreche deshalb ganz bewusst von einer multiethnischen Welt-Gesellschaft, als einer Form vorfindlich genetischer Vielfalt, deren höchst unterschiedliche Werteverständnisse über lange historische Abläufe gewachsen, zur Kultur geronnen und deshalb nicht in jedem Falle kompatibel sind.

Vielfalt kann deshalb begrifflich nicht grundsätzlich und in jedem Falle positiv gedeutet werden. Verstehen Sie, denn hier ist ja der Antagonismus noch gar nicht angesprochen, welcher ein anderes Werteverständnis nicht tolerieren will, es bekämpft und dies gelegentlich recht umfänglich auch militant.

Auch eine Vielfalt korrespondiert unter gelegentlich schwierigen Bedingungen miteinander, aber sie korrespondiert und versteht sich dabei als säkular und liberal, wobei ich hinzufüge, dass das Thema Liberalismus einen eigenen und ganzen Vorlesezirkel rechtfertigen würde.

Versetzt in ein ganz neues kulturelles Umfeld, mit einer nahezu vollständig fremden Wertewelt, entfallen die letzten affirmativen Gesamtzusammenhänge des Individuums und können vordergründig nur durch historisch tradierte Formen des Zusammenhaltes der Gruppen bzw. Clans und ihrer Vernetzung temporär erhalten bleiben.

Das führt zu einer Regression in gleich mehrfacher Hinsicht, bestehend aus unbefriedigter Sehnsucht nach einem Zurück und in der Folge auch als eine Verweigerung gegenüber dem Neuen, dem Anderen, das sich kulturell nicht erschließen will und in seiner Unverstandenheit feindliche Form annimmt.

Ich komme aus einem Land, den kein fehlender Sprachzusammenhang mehr plagen kann. Wir sprechen dort alle die Sprache unserer ehemaligen Kolonialisten und sie gestatten mir den Hinweis, dass wir in Mittel- und Südamerika z.Z. nicht beabsichtigen, Chinesisch zu lernen.

Einige lachten, aber es hatte sich auch Unruhe im Saal ausgebreitet. Ein Transparent wurde entrollt, auf dem „Nieder mit dem weißen Neo-Kolonialismus “ stand, aber Conte blieb ruhig.

Was sich mir jedoch ganz und gar nicht erschließt, sagte er, das ist diese seltsame Servilität, die ich in Deutschland kennen gelernt habe, eine Servilität, die sich den Einwanderern, die ja nur in Ausnahmefällen Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention sind, buchstäblich anbiedert, als gelte es, mit ihnen etwas gut zu machen, was zuvor einmal schuldhaft angerichtet wurde.

Bitte gestatten Sie mir dabei auch einen Hinweis auf den Kolonialismus, weil ich gerade ihr ausgerolltes Transparent sehe. Der war zweifellos ein Unrecht. Aber erstens war er nie ausschließlich weiß und zweitens erleben wir die aktuellen Probleme in diesen Regionen in der Form hausgemachter Bürger- und Religionskriege.

Der durch internationale Konzerne wie etwa die Royal Dutch Shell in Nigeria angerichtete Schaden, spielt in einer ganz anderen Liga und ist aus kolonialistischer Sicht nicht wirklich zu beantworten, sondern nur aus kapitalistischglobalistischer.

Der Kolonialismus begründet sich selbst nämlich mit einer kulturellen Überlegenheit und die Konzerne begründen ihr Handeln mit dem Anrecht auf Profite. Das ist ein wesentlicher Unterschied!

Währenddessen war deutlich Unruhe aufgekommen. Rechte Propaganda, rief jemand und Conte wusste, dass nur wenig genügen würde, um die Stimmung kippen zu lassen. Ich erlaube mir in diesem Gesamtzusammenhang eines konstruierten Schuld-Reaktionsschemas auch auf etwas hinzuweisen, was einigen nicht gefallen wird, fuhr er fort.

Die offenkundige und modern gewordene Unterstellung, kulturell benachteiligt zu werden, ist ja längst nicht mehr nur der Habitus von Zuwanderern. Wir finden ihn mittlerweile vermehrt sogar in den eigenen Gesellschaften, wo er begonnen hat, die Sprache zu verunstalten, aber ich bleibe mal im Begründungsmodus der Zuwanderer nach Deutschland. Diese profitieren von einer kompletten sozialen Dauer-Alimentierung, ohne nachweislich mehrheitlich bereit zu sein, die zentralen kulturellen Elemente ihres Gastlandes zu akzeptieren, welche sich in der Tradition der Aufklärung begründen. Zumindest die Muslime fordern ständig Sonderrechte ein und reagieren im Modus einer gut gespielten Dauerkränkung. Bei uns in Südamerika gibt es auch die mannigfaltigsten Formen von politischer Anmaßung, zum Teil auch von kleinen Gruppen und wenn man die gewähren lässt, dann ist Chaos der ständige Begleiter von Gesellschaftlichkeit.

Auch ein freundliches, will sagen gut gemeintes gewähren lassen, bei gleichzeitiger Ausblendung sichtbarer Antagonismen, kann in bürgerkriegsähnliche Verhältnisse münden und ist Ausdruck eines weltabgewandten Idealismus.

Mittlerweile war es laut geworden. Einer der Studenten drängte sich zum Mikrofon, das Conte ihm belustigt überließ.

Kommilitoninnen und Kommilitonen,

begann er. Wir haben es hier erneut mit einem klassischen Fall von kolonialer Verleugnunsstrategie zu tun.

Aber sie ist ja dann wenigstens nicht so ganz weiß, antwortete Conte und einige lachten.

Ein weiteres Transparent wurde entrollt: „Kolonialismus und Rassismus als neofeudale Ideologie der Ausgrenzung “.

Ich bin gerne bereit, auf Ihre Fragen einzugehen, auch wenn Sie an der wesentlichen Aussage meines Vortrages vorbeigehen, den ich ja noch gar nicht beenden konnte.

Rektor Geisinger bat um Ruhe und versicherte, dass ausreichend Zeit für eine Aussprache bleiben würde.

Kurt Enders hatte an einigen, ihm wichtig erscheinenden Stellen, ein zwar altes, aber gut funktionierendes kleines Tonbandgerät mitlaufen lassen.

Über den Referenten hatte er sich sachkundig gemacht und wusste, dass Conte als junger Mann in den Reihen der regierungskritischen kolumbianischen FARC Guerilla zugange gewesen war und eine marxistische Vergangenheit hatte. Dort hatte man es ihm aber verübelt, dass er große Teile von ihnen als theorieferne Desperados bezeichnet hatte, mit denen er nichts mehr zu tun haben wolle.

Dass ihn die konservative Presse dann später vor allem im Ausland als Geläuterten bezeichnet hatte, war ihm unangenehm, aber das ließ sich nicht vermeiden. Ihm war ein emanzipatorisch-herrschaftskritischer Blick auf Gesellschaft wichtig und unverzichtbar.

Dass er bei sich selbst einiges hatte korrigieren müssen, war ihm anfänglich mühsam erschienen. Später begriff er es als prozesshafte Vermittlung der Wirklichkeit.

Es war ihm irgendwann klar geworden, dass die in politisch linken Kreisen so oft zitierte Dialektik nicht umfänglich verstanden wurde, was intellektuellen Stillstand zur Folge hatte. Diese Erfahrung hatte er vor allem mit den linken Bewegungen in West-Europa gemacht, die theoretisch weit hinter ihre Vorgänger in den 70er und 80er Jahren zurückgefallen waren, was sich ihm nicht nur in einschlägiger Fachliteratur vermittelt hatte. Es war im Rückblick auch wichtig, viele der Forderungen aus den 70er Jahren in den Bereich abgehobener Arroganz zu verweisen, zumal ein Kontakt zur viel zitierten Basis nie wirklich vorhanden war.

Mittlerweile hatten sich zwei Gruppen gebildet, die darüber debattierten, ob Conte, seinen Vortrag fortsetzen sollte oder nicht.

Er selbst stand ruhig und etwas amüsiert neben dem Rednerpult und machte keine Anstalten, in irgendeiner Weise einzugreifen, weil er wusste, dass er damit die Lage nur verschlimmert hätte.

Karin Bruckner konnte sehen, wie Prof. Mendes noch vorne ging und mit Conte einige Worte wechselte, zu denen dieser bestätigend nickte.

Mendes ging zum Rednerpult und schlug den Anwesenden vor, dass Conte seinen Vortrag an dieser Stelle zu beenden bereit sei, um in eine gemeinsame Kulturdebatte eintreten zu können.

Das wäre zur Not auch ohne die rassisch formierte Anthropologie und ihre Büttel möglich gewesen-! kam ein Zwischenruf und einige lachten.

Wir fordern ein Ende solcher Zumutungen von quasi-kolonialistischer Sprachführung, die Kulturfremdheiten beschwört und wissenschaftlich zementieren will! Conte solle weiterreden, wurde von anderer Seite geäußert, was dieser auch kurz versuchte, sich aber gegen das Stimmengewirr nicht mehr durchsetzen konnte.

Plötzlich flogen Eier.

Es war klar, dass dieser Eklat geplant war und als es Conte gelungen war, einige aufzufangen und zurückzuwerfen, war dies ein entscheidendes Signal.

Volker Mendes wurde von einem offenbar harten Gegenstand am Kopf getroffen und Karin Bruckner sah, wie er erschöpft auf seinem Stuhl zusammensank. Auch Raoul Conte war das nicht entgangen und er verließ das Rednerpult mit beachtlicher Geschwindigkeit, sah die etwas unschlüssig und verängstigt herumstehende Karin Bruckner und rief ihr zu: Helfen Sie mir mal, Ihr Professor wurde mit irgendwas am Kopf getroffen.

Mendes blutete ein wenig an der linken Augenbraue und jemand hatte wohl auch Kartoffeln im Portfolio gehabt und damit die übliche Lebensmittelmunition aus Eiern und Tomaten recht unfreundlich bereichert. Haben Sie vielleicht Papiertaschentücher? - fragte Conte.

Ja,- natürlich, sagte sie und Conte war daraufhin mit dem Kollegen Mendes in der Toilette verschwunden, aus der nach kurzer Zeit Gelächter erscholl. Mendes hatte nämlich auch einen Tomaten Streifschuss erhalten und da Conte ihm die Reste aus den Haaren gewaschen hatte, wirkte Mendes ungewohnt komisch mit seinen nassen weißen Haaren und der bekleckerten Jacke, was Conte offensichtlich außerordentlich zu amüsieren schien.

Wissen Sie, sagte er zu Karin Bruckner, blaue Bohnen sind viel schlimmer als Eier und Tomaten und sogar noch schlimmer als Kartoffeln, weil man die in der Regel nicht abwischen kann. Man muss sie nämlich herausoperieren. Wer sind Sie eigentlich? Ich habe Sie schon mal auf dem Campus gesehen.

Ich bin eine Studentin von Herrn Prof. Mendes. Ach ja - und wie heißen Sie?

Ich heiße Bruckner, Karin Bruckner.

Wunderbar, ich heiße Raoul Conte und wissen Sie was? Wir haben hier jetzt so etwas wie eine temporäre Kampfgemeinschaft. Es ist doch erstaunlich, wobei man sich so kennen lernen kann und er lachte, als ob man ihm einen Witz erzählt hätte.

Danke, sagte Volker Mendes

zu seinem Kollegen und auch Ihnen natürlich vielen Dank! Ich hatte keine Papiertaschentücher dabei und Sie haben mich vor der Schmach eines jämmerlichen Äußeren gerettet. Mit sowas hatte ich eigentlich nicht gerechnet.

Wirklich nicht?- warf Conte ein. Dann bist Du leider naiv und ich sage Dir, du wirst der nächste sein den sie fertigmachen wollen.

Das hört sich jetzt aber fast biblisch an, wenn Du noch „wahrlich ich sage Dir “ hinzugefügt hättest. Habe ich aber nicht und bin trotzdem katholisch und da wir uns jetzt ganz wunderbar aus dem Staube machen können, wenn wir uns anstandshalber vom geplagten Direktor verabschiedet haben, dann mache ich einen Vorschlag:

Du, lieber Volker, Du trittst kurzfristig mit uns den Heimweg an und beseitigst die Spuren des Kulturkampfes, während die gnädige Frau mit dem Namen des von mir sehr geschätzten Komponisten und ich zuvor die Verabschiedung vom Direktor übernehmen, denn wir brauchen einen Grund für die schnelle Entfernung.

Und welchen Grund sollen wir anführen? - sagte Karin Bruckner.

Na ja, wir sagen ihm, dass wir den Herrn Mendes nach Hause fahren müssen, weil er im Rahmen der universitären Kampfhandlungen eine Verletzung davongetragen habe. Oder…was denken Sie? Nein, das war ein Witz und das machen wir natürlich nicht, sagte Conte, weil der sonst unendliche Nachfragen stellen wird und Du Volker mach Geschick, denn ich lade Euch zum Essen nach Südamerika ein, beziehungsweise in ein solches Lokal hier in der Nähe, das ich durchaus empfehlen kann. Und Sie Fr. Bruckner, Sie sind so etwas wie unser Schutzengel und auch ohne alle Kampfhandlungen ein ausreichender Grund für eine Änderung der Tagesordnung. Raoul Conte hatte sie bei diesen Worten durchaus ernst angesehen und sie hatte gemerkt, dass sie rot wurde.

Tags darauf hatte Frank Hellweg

den Kollegen und Freund Herbert Wendler zu Berissas Werkstatt gebracht und sie hatten unterwegs an der Tankstelle noch eine kleine Blechschachtel Zigarillos gekauft, von denen sie wussten, dass Berissa sie gerne rauchte und dabei die Fähigkeit besaß, sie von einem in den anderen Mundwinkel zu rollen, was wohl so etwas wie Abwehr gegen aufkommenden Stress war. Berissa war ein eher mechanisch als elektrisch oder gar elektronisch orientierter Schrauber und hatte sich bei der Fehlersuche große Mühe gegeben, wurde aber nicht vollständig fündig.

Du kannst das Auto aber jetzt ruhig mal 14 Tage lang stehen lassen, was, wie ich Dich kenne, kaum mal passieren dürfte, sagte er zu Wendler. Er wird dann unter der Voraussetzung einer halbwegs intakten Batterie auf jeden Fall anspringen. Eine Rechnung kann ich Dir nicht schreiben, weil mein Stundenlohn den Wert deiner Karre restlos auffressen würde.

Das hatte Wendler befürchtet; aber er kannte Berissas Schwäche für wirklich gutes Werkzeug und er würde ihm einen Satz erstklassiger Schlüssel besorgen, denn in der Nähe seines Wohnortes gab es einen kleinen aber feinen Hersteller, der einen Direktverkauf betrieb und er hatte sich ohnehin vorgenommen, mal ein regionales, mittelständisches Unternehmen im Landkreis etwas ausführlicher zu erwähnen. Da konnte man gleich zwei Seiten glücklich machen. Immerhin war das ein Unternehmen, das Handfestes herstellte und keine Vermittlungsagentur für elektronisches Massengeschwätz mit eingebauter Garantie für mindestens tausend neue Freunde. Es gab in der Umgebung eine ganze Reihe von kleineren, vornehmlich metallverarbeitenden Betrieben, die mit einem relativ hohen Personalaufkommen arbeiteten und sie waren alle entweder direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhängig.

Gerade diese stand aber momentan gewissermaßen unter Vorbehalt. An ihrer Bedeutsamkeit zweifelte niemand, aber Hellweg hatte den Eindruck, dass man diese auch ausblenden konnte, wenn es dabei etwa um weltpolitische Zielvorstellungen ging, die einen erlösungstheoretischen Charakter annehmen konnten, wofür nahezu jedes Opfer gerechtfertigt schien. Zumindest das der Anderen. Das eigene steht bekanntlich stets unter Vorbehalt!

Erdacht werden solche Konzepte innerhalb von Parteiblasen, deren Mitglieder ihr Geld zuverlässig vom Steuerzahler erhalten und wo nach zwei Legislaturperioden Ansprüche entstehen, für die sich ein gewöhnlicher Arbeitnehmer mindestens 35 Jahre lang schinden muss.

Der für den Fachbereich Wirtschaft zuständige Kollege Thomas Gebauer, hatte vor etwa zwei Monaten hierzu einen Beitrag geliefert, dem man augenzwinkernd das Prädikat von Feinsinnigkeit verleihen konnte und Hellweg musste grinsen, wenn er sich an Spohns hierzu geäußerte Anmerkung erinnerte.

Na dann schaun wir mal, wer uns diesmal einer völlig überzogenen Kritik an den uns gnadenreich zuteilwerdenden Führungsqualitäten der politischen Klasse bezichtigen wird, hatte dieser gesagt.

Das ließ erkennen, dass Spohn den politischen Selbstbedienungsladen nicht liebte, wenn er eine Vokabel wie gnadenreich verwendete.

Aber er hatte auch Angst, denn die Methoden der Einschüchterung waren subtiler geworden und Spohn hatte nicht zuletzt seine Anzeigenkunden im Blick und es war ohnehin schwierig geworden, sie bei der Stange zu halten.

Irgendein Getöse zu unpassender Zeit mit einem unpassenden Thema und sie waren weg…unwiederbringlich.

Anton Sawatzky hatte den Hummer in Gang gesetzt

und der 6,5L GM-Diesel nagelte verhalten vor sich hin. Das einst in Diensten der US-Armee stehende Militärfahrzeug, hatte die Eigenschaft einer unaufgeregten, gewissermaßen raumgreifenden Fortbewegung, was seine Dimensionen betraf, wenngleich nicht unbedingt seine Endgeschwindigkeit. Sie war im Falle von Kriegseinsätzen aber von ähnlich zu vernachlässigender Bedeutung, wie eine Euro 5-Zulassung für die Abgasregelung.

Sawatzky war nicht der typische Anhänger von Militarias, aber der Hummer hatte etwas Handfestes. Es gab da keinen elektronischen Firlefanz, sondern nur on und off. Als er langsam durch das Wohnviertel rollte, wo Carsten Spohn eine Eigentumswohnung hatte, war er bereits zum Star für ein paar Kinder geworden, die den Wagen umringten, als er an der Hausnummer 14 stoppte.

Habt Ihr mal auf eure Uhr geschaut? - wandte er sich an die Kinder. Zeit zum Abendessen bei Mama oder gibt’s heute nichts?

Dürfen wir mal mitfahren?

Ja, aber erst wenn der Herr Spohn hier eingestiegen ist und dann bis unten an die Ecke. Alles klar? Setzt euch mal hinten auf die Bank, aber nichts anfassen. Ich komme gleich.

Carsten Spohn hatte ihn vom Fenster aus kommen sehen und als er die Kinderschar auf der Rückbank sah, musste er lachen. Du hättest für eine militärische Werbeagentur arbeiten sollen,- am besten im Bereich Früherziehung, war sein Kommentar.

Am unteren Straßenende angekommen, wo sie auf die Hauptstraße abbiegen mussten, ließ Sawatzky die Kinder aussteigen, die sich dann einen Spaß daraus machten ihn mit „Jawohl Herr General“ zu verabschieden und dabei militärische Haltung anzunehmen versuchten.

Ich wäre aber ganz froh, sagte Sawatzky nach einer Weile, während der Hummer wenig wirbelsäulenfreundlich ein paar Schlaglöcher genommen hatte, wenn Du darauf verzichtest, einen Deiner Qualitätsjournalisten mit einer kleinen Geschichte z.B. im Feuilleton aufwarten zu lassen, wo dieser sich dann mit einem gewissen Anton Sawatzky beschäftigt, der Kinder militarisiert. Gute Werbung kann ich dagegen immer gebrauchen, wenn Du verstehst, was ich unter gut verstehe.

Ich verstehe sehr wohl, sagte Spohn und beide lachten.

Ist das o.k. für Dich, wenn wir im Golfclub essen? Es muss ja nicht immer Pizza sein, obwohl die das dort auch anbieten.

Dann sehe ich dort wohl auch die von Dir beschriebene Bedienung?