Guter Hirte. Braune Wölfe. - Wilfried Manneke - E-Book

Guter Hirte. Braune Wölfe. E-Book

Wilfried Manneke

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Beschreibung

Mitternacht. Ein Molotow-Cocktail fliegt gegen die Hauswand von Pfarrer Wilfried Manneke und verfehlt nur knapp das Küchenfenster. Unbekannte malen Hakenkreuze an die Kirchentür, es gibt "Juden raus"-Rufe vor dem Haus oder Drohungen per Mail und auf Facebook ... Als Wilfried Manneke Mitte der 90er-Jahre eine Pfarrstelle in der Südheide antritt, glaubt er, in einem Idyll gelandet zu sein. Die Landschaft ist herrlich – aber sie hat "braune Flecken". Seine neue Wirkungsstätte befindet sich inmitten eines Zentrums der Neonazi-Szene in Deutschland: Hier veranstalten die extremen Rechten Brauchtumsfeiern, vernetzen sich und rekrutieren unter den Teenagern neue Anhänger. "Wir erobern die Städte vom Lande aus", lautet ihre Parole. Auch Beate Zschäpe kommt hierher, bevor der NSU seine Mordserie startet. Manneke, der als Auslandspfarrer das Apartheidsregime in Südafrika erlebt hat, weiß: "Als Christ ist mein Eingreifen gefragt." Er mobilisiert die Behörden, organisiert Mahnwachen, Proteste und Gegenveranstaltungen, wann immer ihm eine größere Zusammenkunft der Neonazis bekannt wird. Sein Buch ist ein Weckruf. Ein brennender Appell, nicht länger tatenlos zuzusehen, sondern sich zu engagieren und dem Hass entgegenzustellen. In der Südheide, in Sachsen – wo immer er aufkommt.

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Wilfried Manneke / Christoph Fasel

Guter Hirte Braune Wölfe

»Ich dachte, ich lebe in einer Idylle. Dann merkte ich, dass neue Rechte sich aufgemacht haben, die Städte vom Land aus zu erobern.«

Knaur e-books

Über dieses Buch

Mitternacht: Ein Molotow-Cocktail fliegt gegen die Hauswand von Pfarrer Wilfried Manneke und verfehlt nur knapp das Küchenfenster. Unbekannte kleben Hakenkreuze an die Kirchentür, es gibt »Juden raus«-Rufe vor dem Haus oder Drohungen per E-Mail und auf Facebook ...

»Wir erobern die Städte vom Lande aus«, lautet die Parole der extremen Rechten. Das muss auch Pfarrer Wilfried Manneke feststellen, als er eine Stelle in der Südheide antritt. Als Auslandspfarrer hat er das Apartheidsregime in Südafrika erlebt und kann hier nicht tatenlos zusehen. Er mobilisiert die Behörden, organisiert Mahnwachen, Proteste und Gegenveranstaltungen – aller rechten Gewalt zum Trotz.

Sein Buch ist ein Weckruf. Ein brennender Appell, nicht länger tatenlos zuzusehen, sondern sich zu engagieren und dem Hass entgegenzustellen. In der Südheide, in Sachsen – wo immer er aufkommt.

Inhaltsübersicht

Wenn wir aufgeben, haben die Nazis gewonnen. Die Mitte der Gesellschaft muss jetzt aufstehen.Sonnenwende»Wir kriegen dich!«»Ich kann nicht ausblenden, was ich erlebt habe«Aufmarsch-Ort Südheide»Wir sind gekommen, um zu bleiben«Der Terror geht weiter»Düütsche Deerns«»Fahr zu deinem Herrn, dem jüdischen Eselficker Jesus!«»Wir müssen die Kinder zurückholen!«»Neonazis sind Gift für unser Land«»Wir sind noch nicht am Ziel!«»Was würde Jesus sagen?«EpilogNachklangQuellennachweis
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Wenn wir aufgeben, haben die Nazis gewonnen. Die Mitte der Gesellschaft muss jetzt aufstehen.

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Prolog

Sonnenwende

Die Wiesen hier in der Südheide sind vom Sommerregen feucht. Über ihnen tanzen Mücken. Zwischen Kiefern und Birken grasen schwarz-weiße Kühe auf den Weiden. Bauernhäuser mit reetgedeckten Dächern dampfen in der Sonne. Ein einsamer Radfahrer strampelt die Landesstraße entlang. Wilfried Manneke überholt ihn auf der langen Geraden und drosselt dann den Motor.

Er ist da. Auf einem sandigen Feldweg am Rande der L281 nahe Eschede stellt er seinen schwarzen Nissan ab.

Einige Hundert Meter weiter hat der Landwirt Joachim Nahtz seinen Hof. Seit 1990 veranstalten alte und neue Nazis hier in der Südheide »Sonnenwendfeiern«. Für heute Abend haben sich rechtsradikale Musiker angekündigt. Manche ihrer Namen sind Programm. Neben dem auf den ersten Blick eher unverdächtigen Barny aus Jena wird heute Abend eine Gröhl-Band mit dem bezeichnenden Namen Rommel aufspielen. Später sollen die beiden sich dann die Bühne mit einer in rechten Kreisen beliebten Unterhaltungsgruppe namens Flak und dem aus Braunschweig stammenden Neonazi-Barden Gassenraudi teilen.

Neonazis, NPD-Mitglieder, Der Dritte Weg und Die Rechte haben sich zu dieser Zusammenkunft auf dem Hof bei Eschede verabredet – auch wenn sie sonst miteinander in Konkurrenz stehen. Joachim Nahtz, Jahrgang 1935, gehört seit Jahrzehnten der NPD an. Und er weiß die extremen Rechten zu einen.

Doch es regt sich Widerstand gegen die Treffen. Denn hier, am Abzweig von der L281 zum Hof findet gleich eine Mahnwache gegen die rechtsradikale Veranstaltung statt. Und genau da will Pastor Wilfried Manneke hin.

 

Drei Typen fallen ihm gleich auf, als er aus seinem Wagen steigt. Sie stehen unweit seines Parkplatzes am Feldrand und beobachten ihn demonstrativ mit dem Fernglas, einer macht offensichtlich Fotos: Jedenfalls hat er den Pastor mit einem dicken Teleobjektiv ins Visier genommen. Die drei tragen so etwas wie eine Uniform: weiße Hemden, schwarze Hosen, kurz geschorene Haare. Einer ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt eine weiße Binde am Oberarm – darauf irgendein Text, in deutscher Fraktur, den Wilfried Manneke aus der Entfernung nicht richtig erkennen kann. Soll das »Ordner« heißen? Egal. Anscheinend will man Menschen wie ihn und die anderen Demonstranten beeindrucken – und einschüchtern. Das Signal setzen: »Pass auf, wir sind gut organisiert. Wir kennen dich. Wir kriegen raus, wo du wohnst …«

 

Pastor Manneke kennt solche Einschüchterungsversuche. Ach ja, solche Drohungen haben sie ihm auch schon in den Postkasten geworfen. Mehr als einmal.

Doch der evangelische Seelsorger ist entschlossen, sich all dem nicht zu beugen. Er öffnet die Seitentür seines Nissans und holt ein Plakat von der Rückbank. Darauf steht: »Die Heide blüht lila und nicht braun«. Es ist sein Plakat. Er will auch heute ein Zeichen setzen. Denn eines weiß er: Man kann denen, die jetzt dort drüben auf dem Hof hetzen und Hass verbreiten, die sich in ihrem Fanatismus gegen alles, was anders ist als sie selbst, suhlen, nicht einfach das Feld überlassen. Man darf vor allem nicht länger wegschauen, die braune Brut nicht gewähren lassen. Das wäre das falsche Signal. Denn dort, wo Neonazis ungestört ihre menschenverachtende Gesinnung verbreiten; wo sie gegen alles, was ihnen nicht ins rassistische Weltbild passt, Hetzparolen verbreiten; wo sie gegen Migranten, Andersdenkende, Schwule, Lesben und Menschen mit linker politischer Überzeugung in Wort und Tat vorgehen und andere zur Gewalt anstiften – dort gewinnen sie an Boden.

Da machen sie sich breit. Ihre Szene plustert sich auf, fühlt sich stark, erzeugt einen Sog bei Schwachen und Vernachlässigten. Und gerade dort, im Kreis derer, die sich in unserer Gesellschaft als Verlierer sehen, nutzen sie – die heutigen Neonazis, für die der Führer immer noch Vorbild ist – 70 Jahre nach dem schrecklichsten Krieg der Geschichte jede Gelegenheit, junge Menschen in ihren Bann zu ziehen. Manneke weiß: Das darf er nicht zulassen.

 

*

 

»Sonnenwendfeiern« gehören im Kalender der extremen Rechten zu den sogenannten völkischen Höhepunkten im Jahr. Im September finden auf dem Hof von Joachim Nahtz auch sogenannte Erntefeste statt. Diese Feiern setzen offenbar die Tradition des nationalsozialistischen »Reichserntedankfestes« fort, das während des Dritten Reiches regelmäßig auf dem Bückeberg bei Hameln veranstaltet wurde. Im Dezember feiert man bei Nahtz gerne zudem die Wintersonnenwende.

»Brauchtumspflege« nennen es die Neonazis. Dabei geht es schlicht darum, Anlässe zu schaffen, bei denen man zusammenkommen und Kontakte pflegen kann. Und vielleicht auch Termine absprechen und neue Aktionen vorbereiten kann. Diese Feiern sind deshalb alles andere als harmlos. Es sind, wie Wilfried Manneke feststellt, »alles Feste, die Hitler selbst zu Feier- und Gedenktagen erhoben hat«.

Doch die Feiertagslaune der Neonazis wird empfindlich gestört. Die Südheide beginnt, aufzuwachen. Das Löns-Idyll mit Heidschnucken und lila Heidekraut beherbergt mehr aufrechte Demokraten, als es die braunen Agitatoren wohl erwartet haben. Schon seit dem Jahr 2007 finden Demonstrationen gegen diese Treffen auf dem Hof Nahtz in Eschede statt.

Nicht nur mit Mahnwachen, sondern auch mit Open-Air-Gottesdiensten setzen Wilfried Manneke, umliegende Kirchengemeinden, wackere Bürger, besorgte Künstler und andere Priester und Prominente ein Zeichen. Jedes Mal, wenn sie Wind davon bekommen, dass es wieder eine Zusammenkunft der Neonazis geben soll, organisieren sie via E-Mail, durch Aufrufe in sozialen Netzwerken, Ankündigungen in der Presse und mit Telefonketten eine Gegendemonstration. Sie stellen sich hier in Eschede mit Schildern und Transparenten seitlich des Sandweges auf, und jeder, der zum Hof Nahtz will, muss an ihnen vorbei. Näher lässt die Polizei die Demonstranten aus Sicherheitsgründen nicht an den Ort des Geschehens heran. Aber es ist ein Zeichen, dass die Menschen dort stehen. Ein wichtiges Zeichen. Denn überall in Deutschland regt sich wieder braunes Gedankengut.

 

»Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch …«: Bert Brechts Mahnung aus den 40er-Jahren gewinnt 70 Jahre nach ihrer Entstehung mehr Berechtigung als je zuvor. In Mecklenburg-Vorpommern versammeln sich die neuen Rechten in Jameln, dem Wohnort des mehrfach vorbestraften Ex-NPD-Kommunalpolitikers Sven Krüger. Im schwäbischen Günzburg und im nahen Allgäu trifft sich ein fester Kreis um den einschlägig bekannten Benjamin Einsiedler, Inhaber des rechten Plattenlabels Oldschool Records. Und das sind nur wenige Beispiele aus einer Reihe von vielen.

Hier in Eschede befindet sich eines der Zentren. Hier kommen wieder und wieder braune Wölfe zusammen. Der Hof des NPD-Aktivisten Joachim Nahtz ist seit Jahrzehnten ein Treffpunkt für Neonazis. Vor einigen Jahren haben hier schon einmal braune Barden aufgespielt, insgesamt sieben Gruppen, zu einem Konzert nach Rechtsaußen-Geschmack – vor 600 Besuchern. Rechtsradikale aus ganz Deutschland und der Schweiz sind damals extra fürs Konzert angereist.

 

Einer der Strippenzieher der Szene ist Manfred B.. Seit den 70er-Jahren ist er in der Szene aktiv, beteiligte sich damals angeblich auch an Aktionen der »Wehrsportgruppe Werwolf«. Als »Gauleiter« führte er die Wiking-Jugend in Niedersachsen bis zu deren Verbot. 1979 wurde er in einem der ersten deutschen Rechtsterrorismusverfahren in Bückeburg wegen eines gemeinschaftlichen Raubüberfalls auf ein NATO-Waffenlager in Munster verurteilt. Er erhielt eine mehrjährige Haftstrafe – unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Auch Wehrsportlager fanden hier statt, zum Beispiel Pfingstlager der inzwischen verbotenen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) mit ungefähr 150 Kindern und Jugendlichen.

Die braune Szene ist in der dünn besiedelten Gegend präsent. Alleine im Umkreis von nur 50 Kilometern um Unterlüß herum gibt es vier Neonazi-Kameradschaften. Von der Kreisstadt aus agieren die Freien Kräfte Celle – vormals Kameradschaft 73 –, in Schneverdingen machen die Snevern Jungs von sich reden. Düütsche Deerns nennt sich der weibliche Ableger, eine Jung-Frauenvereinigung im militärblauen Maxi-Rock-Look, geschmückt durch geflochtene Zöpfe. Auf ihrer Facebook-Seite stellen sich die jungen Mädchen und Frauen mit Fotos von Flak- und Panzerkanonen zur Schau. Und bei den Treffen auf Hof Nahtz kümmern sich – stilgerecht – gerade diese jungen Frauen ums Essen.

 

Eine weitere Gruppe, die Division 88, hat in der Südheide früher auch mitgemischt. Allerdings ist sie inzwischen weg von der Bildfläche, denn die Gruppe wurde von der Polizei ausgehoben. Dabei haben die Beamten unter anderem einen Haufen Waffen gefunden. Das steht ganz in der Tradition früherer rechter Organisationen: Schon vor 25 Jahren hat die mittlerweile verbotene »Nationale Liste« in der Südheide Wehrsportübungen abgehalten.

Deshalb stehen heute wieder Demonstranten hier. Wie immer, wenn es gilt, gegen Neonazis Flagge zu zeigen.

 

*

 

Gastgeber Joachim Nahtz wirkt angestrengt. Er macht angesichts der Mahnwache aus seiner Gesinnung keinen Hehl. Wilfried Manneke und den anderen Demonstranten ruft er genervt zu: »Wir sind für unser Volk und Vaterland, und Sie sorgen dafür, dass wir rassisch gemischt werden! Hier kommen Leute ins Land, die nicht zu uns passen! Die wollen wir hier nicht!«

Ja, das merkt man. Die Schwelle zur Gewalt ist niedrig und allgegenwärtig. Die Konfrontationen wachsen. Und bei einer der Mahnwachen wird es irgendwann ernst. Wilfried Manneke erinnert sich: »Immer wieder fuhr eine Gruppe von vier Neonazis in einem Auto an uns vorbei, um Aufnahmen von uns zu machen und uns zu drohen. Doch Protest kann vielgestaltig und fantasievoll sein: Ich merkte, wie einige der jüngeren Demonstranten sich absprachen und offensichtlich auf eine bestimmte Gelegenheit warteten. Dann stellten sie sämtliche Gespräche oder Protestrufe ein. Mich wunderte ihr Schweigen. Doch kurz danach erfuhr ich den Grund dafür: Als die Typen in ihrem Auto mit offenen Seitenscheiben das dritte Mal an uns vorbeirollten, spuckten viele der Demonstranten auf Kommando durch die offenen Seitenscheiben in den Wagen! Eine herrliche Sauerei.«

Noch heute, ein Jahr danach, muss der Pastor lächeln, wenn er sich die Szene vor Augen führt. Dann fährt er ernst fort: »Es hat keine drei Sekunden gedauert, da rissen die Typen die Wagentüren auf und wollten auf uns losgehen. An diesem Tag war nur wenig Polizei vor Ort – und ich dachte schon, ›das wird eng‹. Aber die Beamten haben die Typen zum Glück sofort zurückgehalten und wieder in den Wagen gedrängt. Und weg waren sie – im Wagen haben sie uns noch wütend hinterhergeschaut.«

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Kapitel 1

»Wir kriegen dich!«

Wie rings umher Neonazis Hass und Gewalt säen – und ausüben

Es ist der 15. Dezember 2011. Mitternacht. Das Pfarrhaus von Unterlüß ist mit der in den 90er-Jahren neu erbauten Friedenskirche durch ein gepflegtes Rasenstück verbunden. Das Pfarrhaus selbst: ein weißer, zweistöckiger Bau aus den 20er-Jahren, mit dicken Ziegelmauern, tiefen Fenstern; Parkett- und Fliesenböden unter einem bergenden Dach. Der Holzofen im Wohnzimmer verspricht Gemütlichkeit an kalten Tagen. Die Wohnküche mit ihrer bequemen Essecke lädt zum Verweilen ein. Im ersten Stock, zu erreichen über die stilvolle nach links geschwungene Holztreppe, schläft die Familie Manneke: der zu dieser Zeit siebenjährige Sohn Benedikt, Mannekes Frau Sabine und ihr Mann Wilfried.

Die Idylle trügt: Immer wieder hat es Drohungen gegen den Pastor gegeben: »Wir kriegen dich!«

Irgendwann in dieser Nacht schleicht sich eine Gestalt über die Garageneinfahrt in Richtung Haus und Küchenfenster. Das kurze Aufflackern eines Feuerzeuges. Ein lautloser Wurf, dann ein Klirren.

Der Molotowcocktail verfehlt nur knapp das Küchenfenster, die Flasche zerschellt auf dem Boden direkt vor der Hauswand der Familie Manneke. Flammen des Brandsatzes schießen an der Wand empor. Der Vollwärmeschutz, mit dem die Wand isoliert ist, beginnt im unteren Bereich zu schmelzen. Dann verlöschen die Flammen von selbst. Der Täter entkommt unerkannt durch die Nacht.

 

Familie Manneke schläft oben im Haus – und pflegt einen gesunden Schlaf. Keiner der drei wird in dieser Nacht durch das Klirren des Brandsatzes geweckt.

Erst am Morgen entdeckt Mannekes Sohn Benedikt, als er zur Schule aufbrechen will, die Scherben einer Bierflasche mit abgebrannter Lunte am Fuß der rußgeschwärzten Hauswand – und bekommt einen Schreck. Er ruft seine Eltern. Zu dritt stehen sie vor dem Brandherd, schauen sich ungläubig an. Kann es wirklich Menschen geben, die ihnen auf diese Weise nach dem Leben trachten? Der Pastor hat das Bild seither nicht vergessen.

 

*

 

»Die Flammen waren zwei Meter hoch, der Molotowcocktail hat nur ungefähr 30, 40 Zentimeter unser Küchenfenster verfehlt. Wenn er durch das Fenster geflogen wäre – die Schlafzimmer sind oben, im ersten Stock –, wir hätten das gar nicht so schnell mitbekommen, wenn es unten angefangen hätte zu brennen. Und ich weiß nicht, ob wir noch lebend aus dem Haus rausgekommen wären.«

 

*

 

Die Wut der Neonazis trifft weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter: Wenig später erfährt der Pastor von Anna Jander und Klaus Jordan, einem befreundeten Paar aus dem benachbarten Niederohe, dass auch deren Haus in der Nacht mit einer benzingefüllten Bierflasche attackiert wurde. Bei diesen beiden ist es nicht der erste Anschlag. Vor einiger Zeit haben Unbekannte einen Pflasterstein mit der Aufschrift »letzte Warnung« auf dem Grundstück des Paares hinterlassen.

Die Polizei schickt zunächst einen Streifenwagen, man sichert die Spuren am Haus, sammelt die Scherben der Bierflasche und die Reste der Lunte ein. Der Staatsschutz übernimmt die Ermittlungen. Aber von den Tätern fehlt jede Spur.

 

Wilfried Manneke weiß nur zu gut, wie es einem ergeht, der es wagt, gegen den rechten Mob aufzustehen. Immer wieder erreichen ihn und seine Mitstreiter Hass-Mails und Warnungen auf Internet-Plattformen. Sogar konkrete Bedrohungen bis vor die Haustür. Gezielt bauen Rechtsradikale auf diese Weise Druck auf, schüren Angst und Verunsicherung und verbreiten unter dem Schutz einer schweigenden Mehrheit von Bürgern, die »damit nichts zu tun haben wollen«, Terror. Sie schüchtern ihren politischen Gegner ein. Ihr Ziel: Jeden Widerstand gegen den braunen Mob im Keim zu ersticken.

Pastor Manneke erinnert sich an einige der Vorkommnisse: »Neonazis versuchen immer wieder, Herrschaft auch über den öffentlichen Raum zu gewinnen. Das gehört zu ihrer Strategie. So haben sie den Laternenpfahl vor dem Haus wiederholt mit Hakenkreuzen beschmiert und sind sogar zweimal nachts vor unserem Haus aufmarschiert. Dabei schrien die – wohl ebenso alkoholisierten wie selbst ernannten – Herrenmenschen unablässig solche Sprüche wie: ›Das Land ist unser!‹

Man kann ihnen zugestehen: Sie haben einen gewissen Sinn für Theatralik. Sie haben dann – vielleicht als Ausweis ihres mangelhaften Bildungsstandes – auch Parolen wie ›Juden raus!‹ gegrölt. Einer kam näher an das Haus und trat mit dem Stiefel gegen die Pfarrhaustür.

Auch die Kirchentür haben sie mit Hakenkreuz-Aufklebern verunstaltet. Ein trauriger Höhepunkt solcher Aktionen: An der Türklinke des Kirchenzentrums baumelte vor Kurzem eine tote Ratte.«

 

*

 

Mannekes haben Glück: Als die Jungbraunen ihre Haustür attackieren, sind sie gerade mit ihrem Sohn in Urlaub. Nachbarn berichten ihnen nach ihrer Rückkehr, was in der Nacht geschehen ist.

Der Hass ist unübersehbar. Der Pastor weiß nicht, ob die Ratte als eine spezielle Warnung für ihn gedacht ist, wegen seines Engagements gegen die Neonazis – oder auch als brutales Zeichen an die Flüchtlinge, die seine Kirchengemeinde betreut. Denn diese stehen öfter im Eingangsbereich unter dem Kirchenvordach, wenn es wieder nieselt, was es in der Südheide gerade im Herbst oft tut. Die Gemeinde hat nämlich mehrere WLAN-Router aufgestellt, damit die Flüchtlinge hier E-Mails abrufen und im Internet surfen können.

 

*

 

Als Wilfried Manneke am 1. September 1995 seine Pfarrstelle in Unterlüß antritt, meint er, in einem Idyll gelandet zu sein – nach einer langen Pastoren-Tätigkeit in Südafrika.

Er weiß, dass er nach zwölf Jahren wieder zurück nach Deutschland muss – so sind die Regeln der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Kurz vor seiner Rückkehr ruft ihn der Unterlüßer Diakon Helmut Sdrojek in Südafrika an und fragt ihn, ob er nicht als Pastor nach Unterlüß kommen wolle. Das sei doch ganz in der Nähe von Hermannsburg, was er doch gut kenne.

Manneke überlegt und sagt noch nicht zu. Denn es gibt ja auch noch andere offene Pfarrstellen in der Landeskirche Hannovers.

 

Im Mai 1995 kommt er in Deutschland an, nutzt die jedem Auslandspfarrer zustehende Orientierungsphase und spricht mit vielen Menschen, um sich klar zu werden, wo er demnächst arbeiten möchte.

Entscheidend wird das Gespräch mit dem Hermannsburger Missionsdirektor Ernst-August Lüdemann, einem alten Vertrauten. Er rät Manneke, nach Unterlüß zu gehen.

Der Pastor erinnert sich: »Am Ende gab es eine ganze Reihe guter Gründe, die für Unterlüß sprachen. Zum einen traf ich dort meinen vertrauten Freund, Jugenddiakon Helmut Sdrojek, wieder. Ich hatte ihn während meines Vikariats in Oldenburg-Ofenerdiek kennengelernt, und wir haben gut zusammengearbeitet. Er leistete in Unterlüß eine fantastische Jugendarbeit – das spielte für mich eine wichtige Rolle. Ich war ja nebenamtlich in Südafrika auch Jugendpfarrer gewesen. Deshalb war es vor allem auch die tolle Jugendarbeit hier vor Ort, die mich sofort begeistert hat.

Die von ihm organisierten Jugendfreizeiten wurden von Kindern und Jugendlichen quasi überrannt. Die Gruppen reisten mit 50 Jugendlichen und den ehrenamtlichen Betreuern nach Italien, nach Schweden oder nach Frankreich. Wie begehrt diese Freizeiten waren, konnte man stets am ersten Advent nach dem Gottesdienst sehen. Traditionell konnten sich die Jugendlichen nämlich erst ab diesem Zeitpunkt anmelden. Das Orgelnachspiel war kaum verklungen, als nahezu jeder Teenager nach vorne stürmte, um nur ja einer von denen zu sein, die bei diesen begehrten Reisen mitfahren durften! Ja, so sieht lebendige Gemeinde aus!

Natürlich reizte mich auch die Nähe zu Hermannsburg, zu meiner geschätzten theologischen Ausbildungsstätte. Das traditionsreiche Missionsseminar war so etwas wie ein Stück Afrika in meiner Nähe. Denn die meisten Kollegen, die im Ausland unterwegs sind, müssen immer wieder mal nach Hermannsburg – und der nächste Bahnanschluss ist der Bahnhof in Unterlüß. So, dachte ich mir, wird mancher auch gerne mal für eine Stunde auf eine Tasse Tee vorbeischauen, wenn ich an diesem Ort Pastor werde.

Woran ich mich allerdings gewöhnen musste, war, dass ich in Unterlüß zwar auf dem Land lebe, es aber direkt vor Ort keinen Bauernhof gibt. Vornehmlich gibt es hier nur zwei Arten von Arbeitsplätzen: Panzer und Munition produzieren oder in den Forst gehen. Denn in Unterlüß, einem Ort mit 3500 Einwohnern, befindet sich die größte Rüstungsfirma Deutschlands. Und dazu ein insgesamt 50 Quadratkilometer großer Schießplatz, auf dem die Haubitzen und Kanonen ausprobiert werden. Die brauchen ziemlich Platz. Es ist laut eigene Angaben der Firma Rheinmetall das größte private Test- und Versuchsgebiet dieser Art in Europa.«

 

*

 

Doch auch wenn es immer wieder donnert und die Fensterscheiben der schmucken Backsteinhäuser klirren, wenn auf dem Schießplatz die Panzerkanonen ausprobiert werden müssen: Es ist schön hier in der Südheide. Wilfried Manneke freut sich, bald hier zu wohnen. Zumal eine sozusagen völlig neue Kirche auf ihn wartet. Sie steht am Platz der alten Kriegergedächtniskirche, die im Jahre 1922 im nationalen Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Unterlüß errichtet worden war.

Eine Kirche mit einem martialischen Namen. Man kann es fast einen glücklichen Umstand nennen, dass der Bau damals mit zu weich gebrannten Ziegeln errichtet wurde und ihre Mauern nach 70 Jahren brüchig waren. Deshalb muss der Bau Anfang der 90er-Jahre fast komplett erneuert werden.

 

Die Gemeindemitglieder wünschen sich eine Kirche, die in ihre Landschaft passt. Und was passt in die Südheide besser als ein Schafstall – dort, wo es viele Heidschnucken gibt.

Die Gemeinde in Unterlüß bekommt ihre Wunsch-Kirche: einen warmen, bergenden, die Gemeinde umhüllenden Bau, den traditionellen Schafställen der Nachbarschaft nachempfunden, mit tief gezogenem Dach und feinem Fachwerk. Mit farbintensiven Fenstern und einem viel beachteten Altarbild.

1993 wird das Gotteshaus geweiht. Gemäß ihrem einfühlsamen Baustil hätte die Kirche auch gut den Namen Zum Guten Hirten tragen können. Doch Mannekes Vorgänger im Pastorenamt, ein Pfarrersehepaar, das sich die Stelle teilt, stehen nicht erst seit dem Golfkrieg der Rüstungsproduktion und den Panzer-Produzenten in Unterlüß kritisch gegenüber.

Es kommt zum Gemeindeentscheid: Die Mehrheit stimmt für den Namen Friedenskirche. 1994 bekommt die Kirche diesen Namen. Er wird zum Omen für die Arbeit von Pastor Manneke – nicht nur gegen Panzerrohre, sondern vor allem gegen alltäglichen Rassismus.

 

*

 

Wilfried Manneke erinnert sich: »Die Kirche war noch gar nicht gestrichen, als ich meinen Dienst antrat. Das Altarbild hatte man schon aufgestellt. Es stammt von Werner Petzold, ebenso wie die künstlerische Gestaltung der Fenster.