Guuuter Hund! - Lutz H. Krake - E-Book

Guuuter Hund! E-Book

Lutz H. Krake

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Beschreibung

Bücher über die Erziehung des "besten Freundes des Menschen" (Voltaire) gibt es zuhauf. Die meisten beleuchten aber lediglich einzelne Aspekte: Wie bringe ich meinem Hund die Grundkommandos (Sitz, Platz, Fuß, Hier...) bei, wie gewöhne ich ihm unerwünschtes Verhalten (übertriebenes Bellen, Aggression gegenüber Artgenossen oder Menschen) ab usw. Den Hund jedoch als komplexes Lebewesen zu verstehen, ist wesentliche Voraussetzung für eine funktionierende Kommunikation und das harmonische Zusammenleben in der Sozialgemeinschaft (nicht: dem Rudel!) Mensch-Hund. Daher ist der Ansatz dieses Buches umfassender, breiter. Es schlägt den Bogen von der Domestikation vom Wolf zum Hund - wie wurde er also zum "besten Freund des Menschen" - über die Instinkte, die caniden Kommunikationsformen, die Lernvorgänge bei der Konditionierung bis hin zu den Entwicklungsphasen des Hundes von der Prägungsphase als Welpe bis hin zum älteren Hund. Ziel dieses Buches ist es, den Lesern bestmöglich zu helfen, ihren Sozialpartner Hund, mit dem sie idealerweise jahrelang zusammenleben, ganz grundsätzlich als auch bezogen auf die Bedürfnisse in den unterschiedlichen Lebensphasen zu verstehen. Dies ist das das Fundament artgerechter Haltung und Erziehung und Voraussetzung für ein harmonisches Miteinander von Mensch und Hund. Natürlich sollen auch die genannten praktischen Tipps nicht fehlen, um am Ende einen sozial verträglichen, in jeder Situation entspannten Hund zu haben, der auf Herrchen und Frauchen vertraut - mit dem Ziel einer Sozialpartnerschaft, in der man sich gegenseitig aufeinander verlassen kann.

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„Der Hund braucht sein Hundeleben.

Er will zwar keine Flöhe haben, aber die Möglichkeit, sie zu bekommen.“

Robert Lembke, 1913 – 1989

Für Lotte.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vom Wolf zum Hund

Das neue Familienmitglied

Instinkte und Triebe

Der Jagdinstinkt

Der Territorialinstinkt

Der soziale Rudelinstinkt

Der Sexualinstinkt

Kommunikation

Bellen

Riechen

Körpersprache

Lernvorgänge

Positive Verstärkung

Negative Verstärkung

Positive Bestrafung

Negative Bestrafung

Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen

Lernatmosphäre

Timing

Entwicklungsphasen des Hundes

Die Sozialisierungsphase (4.-12. Woche)

Die Aufgaben der Menschen

Training

Exkurs: Grundkommandos beibringen

Sitz

Platz

Hier

Steh

Fuß

Negativmarker

Rangordnungsphase (13. bis 16. Woche / 4. Lebensmonat)

Die Aufgaben der Menschen

Training

Rudelordnungsphase (5. und 6. Lebensmonat)

Die Aufgaben der Menschen

Training

Pubertätsphase (7.-12. Lebensmonat)

Die Aufgaben der Menschen

Reifungsphase (12.-18. Monat)

Unerwünschtes Verhalten abgewöhnen

Der Leinenzerrer

Der Pöbler

Der Ängstliche

Der Stürmische

Durchgängiges Lernen – Variable Dauer der Phasen

Der ältere Hund

Über den Autor Lutz H. Krake

Danksagung

Bildnachweis

Quellen und Verweise

Vorwort

Über zehn Millionen Hunde gibt es in Deutschland laut einer Umfrage des Zentralverbandes zoologischer Fachbetriebe, die in 21% der Haushalte leben1. Damit ist etwa jeder achte Deutsche Hundebesitzer – mit steigender Tendenz. Der Hund ist Familienmitglied, Spiel- und Sportkamerad und Alltagsbegleiter. Der französische Philosoph Voltaire bezeichnete ihn 1764 in seinem Philosophischen Wörterbuch als „besten Freund des Menschen“.

Ich beschäftige mich seit nunmehr rund 30 Jahren mit Hunden. Seit mehr als 10 Jahren bin ich als vom Deutschen Verband der Gebrauchshundsportvereine (DVG e.V.) zertifizierter Trainer in Vereinen tätig, seit mehreren Jahren Vorsitzender eines Hundesportvereins, seit kurzem Eigentümer einer mobilen Hundeschule. Als Pädagoge hat mich immer schon interessiert, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Hund funktioniert. Aus diesem Interesse heraus hat sich mir die Frage gestellt, wie der Mensch dem Hund eigentlich Gehorsam „beibringt“. Vor diesem Hintergrund habe ich gerade als Hundetrainer über die Jahre festgestellt, dass sich viele (Neu-) Hundebesitzer mit einer gewissen Unbedarftheit auf die „beste Freundschaft“ einlassen. Aussagen wie „Wir/die Kinder wollten immer schon einen Hund!“ oder „...der sah so süß aus, da konnten wir nicht widerstehen!“ oder „Erst mit einem Hund ist eine Familie vollständig!“ zeigen dies nachdrücklich. Die Corona-Pandemie und die Lockdowns in deren Folge haben nochmals zu einem deutlichen Anstieg der Nachfragen nach Hunden geführt. Nach Angaben des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH) sind im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden.

Was setzt aber eine Freundschaft voraus?

Wenn unter „Freundschaft“ eine Beziehung zu verstehen ist, die auf gegenseitiger vertrauensvoller Zuneigung beruht, dann setzt dies voraus, dass die Freunde wissen wollen, was der andere braucht und wie er sich fühlt. Voraussetzung dafür ist wiederum, dass man seinen Freund mit seinen Stärken und Schwächen kennt und in seinen Bedürfnissen respektiert. Übertragen auf den Hund sollte aus dieser Kenntnis über und Rücksicht auf die Bedürfnisse des Tieres das Vertrauen zwischen Mensch und Hund als Basis für die „beste Freundschaft“ entstehen und wachsen.

Die Menschen, die sich Hunde anschaffen, lassen sich oft leiten von dem hohen ideellen Wert, der Hunden beigemessen wird: Es wird seine Treue gerühmt, seine Anhänglichkeit beschworen, seine Klugheit gelobt. Es ist eine ganz überwiegend emotional und sentimental geprägte Sicht auf das Wesen Hund: Er versteht uns so gut, wir gehen gemeinsam durch Dick und Dünn, er ist uns so ähnlich, er reagiert so sensibel auf unsere Stimmungen – er verhält sich fast wie ein Mensch – ein Mensch im Pelz. Dieses Bild wird durch die Massenmedien auch bestärkt. Schließlich stecken konkrete wirtschaftliche Interessen dahinter, denn jedes Jahr werden Milliarden von Euro für Futter, Halsungen, Geschirre, Leinen, Regenmäntel und schmückendes Beiwerk aufgewendet, damit es dem „besten Freund“ auch ja an nichts fehlt.

Die Sichtweise, in der der Hund möglicherweise emotionale Lücken in unserem Sozialleben füllen soll, in den wir unsere Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen projizieren, mit der wir den Hund am Ende des Tages vermenschlichen, verstellt ganz oft den objektiven Blick auf dieses komplexe Lebewesen. Nun scheint diese Vermenschlichung (Ethologen sprechen von „Anthropomorphismus“) eine menschentypische Eigenschaft zu sein, indem wir gerne menschliche Sichtweisen und Erklärmuster zur Bewertung unserer Umwelt anwenden. Wir neigen dazu, in Tiere und sogar in Gegenstände (z.B. Autos) menschliche Eigenschaften hinein zu projizieren. Insbesondere bei Hunden fällt uns das aufgrund des engen Zusammenlebens so leicht, dass wir ihnen Menschennamen geben, mit Ihnen reden, als würden wir richtige Unterhaltungen mit Ihnen führen - und ihnen Mäntelchen stricken.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch den Aspekt der Versachlichung des Hundes: Oft genug habe ich auf Turnieren erlebt, wie Hunde bei vielen Hundesportlern „funktionieren“ müssen: 'Raus aus der Box oder dem Wurfzelt, einen Durchgang laufen, zurück in die Box, Stunden später zweiter Lauf – hoffentlich war der Hund am Ende des Tages gut genug, um Frauchen oder Herrchen mit einem Pokal oder einer Schleife glänzen zu lassen und damit sein oder ihr Ego aufzuwerten – der „beste Freund“ nur mehr ein „Sportgerät“ – und wenn’s am Ende dann doch nicht zu einer guten Platzierung gereicht hat, ist natürlich der Hund schuld...

Tragische Begleiterscheinung dieser Versachlichung ist auch, dass Hunde als „Ware“ gekauft und bei „Nichtgefallen“ (oder wenn es zu anstrengend oder zu teuer wird) weiterverkauft werden – wenn es gut läuft! Wenn es schlecht läuft, wird das Tier einfach ausgesetzt wie jedes Jahr ca. 500.000 Tiere deutschlandweit – übrigens ein Straftatbestand. In welchem Maße Hunde als „Konsumprodukt“ in einer Wegwerfgesellschaft gesehen werden, zeigen auch die vielen Versteigerungen von Welpen auf Onlineplattformen oder die Verkäufe aus Kofferräumen. Natürlich sind die Hunde hier günstiger als beim Züchter. Doch werden sie hier meist viel zu jung von ihrer Mutter getrennt und zu früh abgegeben, im Alter von fünf bis sechs Wochen. Nach deutschem Tierschutzgesetz müssen sie jedoch mindestens acht Wochen bei der Mutter bleiben. Die Tiere werden illegal aus dem Ausland exportiert, sind meist nicht geimpft, gechipt oder entwurmt (das würde ja den Gewinn schmälern) und oft immungeschwächt, meistens auch krank, und sterben dann. Der „beste Freund“ als Ware. Wie die in der Corona-Zeit sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Welpen befürchten lässt, ein Trend, der sich eher noch verstärken wird.

Die Bezeichnung „bester Freund“ suggeriert ein stets harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Hund. Jedoch herrscht hier nicht immer nur eitel Freude und Sonnenschein. Nicht umsonst versucht eine Vielzahl von Hundetrainern und -psychologen weltweit, die Probleme verhaltensauffälliger oder -gestörter Hunde mit mehr oder weniger modernen Methoden oder Arzneimitteln in den Griff zu bekommen. „Was aber den fünf Millionen Hunden nicht geholfen hat, die jedes Jahr in Tierheimen enden oder eingeschläfert werden, weil sie nicht erzogen werden können oder als gefährlich eingestuft werden. Es lässt auch nichts von den 17% der Hunde ahnen, die von Tierärzten wegen mitunter schwerwiegender Verhaltensprobleme behandelt werden.2

Ich spreche einleitend diese durchaus kritischen Aspekte an, weil es mir wichtig zu vermitteln ist, dass Hunde soziale Lebewesen sind, die in besonderer Weise zum Zusammenleben und zur Zusammenarbeit mit dem Menschen geeignet sind. Definitiv keine Ware, aber auch keine „verkappten Menschen“! Ihr Sozialverhalten, ihre Kommunikation, ihre Emotionen, ihr Lernverhalten, aber auch ihre Individualität gilt es zu verstehen, zu respektieren, bei der Integration in den Familienverbund zu berücksichtigen und im täglichen respektvollen Umgang mit ihnen zu beachten. Und an dieser Stelle bereits vorweggenommen: Das schließt ständige Machtdemonstrationen des Menschen gegenüber dem Hund aus, die „bedingungslose Unterwerfung“ des Hundes unter sein Frauchen oder Herrchen ist „out“ - und für einen Familien- oder auch Sporthund weder artgerecht noch notwendig. Mir geht es um Verstehen und Achtung des hochkomplexen, sozialen Lebewesens Hund als Grundlage für ein Zusammenleben, aber auch als Basis für eine artgerechte Erziehung.

Mein Anliegen ist es daher zunächst, vor diesem Hintergrund grundsätzliche Kenntnisse über den „besten Freund“ zu vermitteln. Die folgenden Ausführungen stellen keine nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen erstellte Arbeit dar – das kann und soll auch nicht das Ziel sein. Gleichwohl tragen sie aktuelle kynologische und verhaltensbiologische („ethologische“) Erkenntnisse wie auch eigene Erfahrungen als Hundeführer und Trainer zusammen und leiten daraus in der Folge vor dem Hintergrund der Disponierbarkeit der Hunde in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen Verhaltensempfehlungen für die Hundeführer und Hundeführerinnen ab. Diese Empfehlungen werden anhand von Beispielen aus der Praxis konkretisiert und um Trainingstipps ergänzt. Hinzu kommen Informationen und Ratschläge rund um die Haltung von Hunden in der Familie; dies schließt einzelne konkrete Tipps auch bei „Problemverhalten“ ein.

Dieses Buch kann selbstverständlich weder alle Eventualitäten im Zusammenleben noch alle rassetypischen (weltweit ist von nahezu 400 verschiedenen Hunderassen auszugehen) Besonderheiten berücksichtigen. Dazu sind Hunde (wie Menschen auch) einfach zu divers. Vielmehr geht es mir um ein grundsätzliches Verständnis für unsere vierbeinigen Freunde und, auf diesem beruhend, um generelle Tipps für eine artgerechte Haltung, Erziehung und Ausbildung, also gewissermaßen um einen Handlungsrahmen, innerhalb dessen sich das Zusammenleben mit dem Hund gestalten sollte.

Abb. 1: Der Autor mit einer Trainingsgruppe

Vom Wolf zum Hund

Wissenschaftler sind sich – weitgehend – einig: Der Hund stammt vom Wolf ab – er ist genetisch gesehen zu 99% identisch mit dem Wolf. Doch wann die Trennung stattgefunden hat, ist unklar; belgische, finnische und chinesische Forscher datieren sie unabhängig voneinander anhand von Schädel(teil-)funden auf einen Zeitraum vor 18.000 – 32.000 Jahren. Vor dem Hintergrund dieser sehr frühen genetischen Trennung stehen m.E. alle Erziehungs- und Lerntheorien über den Hund, die sich für Trainingstheorie und -praxis nahezu uneingeschränkt auf Kommunikation und Sozialverhalten von Wölfen im Rudel stützen, auf tönernen Füßen. Hierfür gibt es eine Reihe von ganz konkreten Indizien: Beispielsweise nutzen Wölfe das Bellen nur sehr sparsam und als Warnlaut. Demgegenüber hat sich das „Lautsystem Bellen“ bei unseren Hunden heute zu einer gebräuchlichen Form der Kommunikation untereinander und mit ihrer Umwelt entwickelt. Ausgangspunkt dafür ist, dass das Bellen in der Phase der Domestikation (also der „Haustierwerdung“) für Wach- und Schutzfunktionen gezielt hineingezüchtet wurde: es sollte vor möglichen Eindringlingen warnen und diese gleichzeitig abschrecken. Auch beim Hüten von Vieh oder für die Hilfe bei der Jagd konnte das Bellen sinnvoll unterstützen. Heute nutzen Hunde das Bellen in allen möglichen sozialen Situationen mit ganz unterschiedlicher Bedeutung – übrigens zum Leidwesen vieler Hundebesitzer.

Weiteres Indiz: die sogenannte „angeborene Zahmheit“ der Hunde, wonach sie – im Gegensatz zu Wölfen - dem Menschen gegenüber grundsätzlich keine Fluchttendenz zeigen. Im Gegensatz zu den Wölfen: Im Jahr 2019/2020 sind in Deutschland insgesamt 128 Wolfsrudel, 35 Wolfspaare und zehn sesshafte Einzelwölfe gezählt worden – mit steigender Tendenz. 3 „...Demgegenüber stellen gesunde Wölfe, die nicht provoziert oder angefüttert werden, für den Menschen...keine Gefahr dar. Seit dem Jahr 2000 – seitdem es Wölfe wieder in Deutschland gibt – hat es keine Situation gegeben, bei der sich freilebende Wölfe aggressiv gegenüber Menschen verhalten haben...“4. Das heißt, dass Wölfe wie alle Wildtiere dem Menschen aus dem Weg gehen. Für Hunde gilt das nicht.

Und während Wölfe Paarbindungen eingehen – oft lebenslang – und sich gemeinsam um den Nachwuchs kümmern, ist hierfür bei Hunden ausschließlich die Welpenmutter zuständig.

Berücksichtigt man den Umstand, dass Hunde und Menschen seit etwa 15.000 Jahren (über den genauen Zeitraum ist sich die Wissenschaft uneinig) zusammenleben, so ist darüber hinaus offensichtlich, dass diese lange Zeit des Zusammenlebens in Biologie und Verhalten der Hunde Spuren hinterlassen haben muss.

Einerseits sind bestimmte Verhaltensweisen des Wolfes, die dem Ziel des Beutefangs dienen, für den Haushund schlicht nicht mehr notwendig. Die bei Raubtieren (auch Wölfen, Dingos, Großkatzen...) nachgewiesenen Jagdsequenzen Beute orten – beobachten – anschleichen – jagen – zu Fall bringen – töten – fressen werden von Hunden nur bruchstückhaft, in unterschiedlicher Zusammensetzung und außerhalb des Kontextes „Beutefang“ gezeigt (z.B. beim Spiel mit Artgenossen) oder sie fehlen ganz. Durch den Wegfall der natürlichen Auslese leben Hunde in einem entspannten Umfeld und sind deshalb „freier“ in ihrem Verhalten als Wölfe, weil sie nicht mehr täglich ums Überleben kämpfen müssen. Der Mensch sorgt für Nahrung und Unterkunft. Im Vergleich zum Wolfsrudel konnte dies somit einhergehen mit einer Abflachung und Vereinfachung im Ausdruck, in der Kommunikation5. Während ein Wolfsrudel als Voraussetzung für eine erfolgreiche Jagd ein gut funktionierendes Zusammenwirken und damit komplexe Kommunikationsmuster braucht, ist das bei Hunden nicht mehr notwendig.

Abb. 2: Wolfsrudel

Auf der anderen Seite gab den Hunden das Zusammenleben mit den Menschen neue Lernmöglichkeiten – sie lernten, sich auf den Menschen einzustellen. So versteht beispielsweise kein anderes Tier Gesten, Blicke und Körpersprache eines Menschen so gut wie der Hund: Ein strenger Blick von Herrchen und sein Hund schleicht vermeintlich schuldbewusst mit eingeklemmter Rute davon. Ein Kopfnicken von Frauchen und ihre Hündin rennt mit hängender Zunge los, um das Stöckchen zu holen. Und viele Hundesportarten können nur deshalb so erfolgreich ausgeführt werden, weil Hunde bereits auf kleinste Signale des Menschen per Stimme, Körpersprache oder Zeigen gelernt haben zu reagieren. „Es lässt sich kaum bezweifeln, dass die Liebe zum Menschen beim Hund zu einem Instinkt geworden ist“, behauptete schon Charles Darwin. Kein Hundebesitzer würde dem wohl widersprechen.

Heutige Forscher würden – insbesondere was die „Liebe“ des Hundes zum Menschen angeht – nicht ganz so weit gehen, doch auch sie sind überzeugt: Zwischen Hund und Mensch gibt es eine Beziehung, die einzigartig ist und sich wohl nur durch das lange intensive Zusammenleben erklären lässt. So konnten japanische Forscher der Universitäten Tokio und Kanagawa in einer Studie nachweisen, dass Hunde das Hormon Oxytocin, welches auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet wird und das soziale Bindungsverhalten beeinflusst, immer dann verstärkt ausschütten, wenn sie Zeit mit ihren Besitzern und mit Artgenossen verbringen.6

Ebenfalls aus Japan stammt eine wissenschaftliche Studie, die jüngst veröffentlicht wurde.7 Hierbei konnten die Forscher nachweisen, dass, wenn Hunde ihr Herrchen oder Frauchen nach einer Trennung von fünf bis sieben Stunden wiedersahen, eine deutlich gesteigerte Tränenproduktion gemessen werden konnte. Die produzierte Tränenmenge war auch höher, als wenn ein Hund einen bekannten Menschen wiedersah, der nicht der Besitzer war. Den Forschern zufolge dürfte die erhöhte Tränenproduktion auch hier mit dem (Glücks-) Hormon Oxytocin zusammenhängen. Also: Nicht nur Menschen können bei einem Wiedersehen vor Freude weinen - auch Hunden treiben solche Momente des Glücks Tränen in die Augen.

Der ungarische Hundeforscher Ádám Miklósi ist sogar davon überzeugt, dass dieses innige Verständnis bei den Hunden tatsächlich, wie Darwin sagen würde, zum Instinkt geworden ist, sprich: Es ist genetisch verankert und damit angeboren. Schließlich, so sein Hauptargument, reagieren schon ganz junge Welpen auf Sichtzeichen und Körpersignale des Menschen - im Gegensatz zu Wölfen, die, selbst wenn sie von Menschen aufgezogen werden, nie wirklich verstehen, was diese eigentlich von ihnen wollen. „Wir sind sicher, dass die Hunde im Verlauf der Domestikation viele sozial-kognitive Fähigkeiten des Menschen übernommen haben und dass so etwas wie eine gemeinsame Evolution stattgefunden hat“, formuliert es der US-Psychologe Brian Hare von der renommierten Duke-Universität etwas wissenschaftlicher.

Heute zeigen sie selbst ein Verhalten, das tatsächlich als menschenähnlich bezeichnet werden kann: Sie pflegen lebenslange Bindungen, sind Kooperations- und Kommunikationstalente, können andere hervorragend imitieren und sind in der Gruppe weniger aggressiv.

Forscher der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität in Wien wollten genauer herausfinden, weshalb Menschen und Hunde so gut miteinander kommunizieren und haben in einem Forschungsprojekt untersucht, ob Hunde zum Verstehen der Mimik von Menschen fähig sind: Versteht der Hund sein Herrchen? Weiß er, was sein Frauchen fühlt? Kann er Stimmungen seiner Menschen an deren Mimik erkennen? Dabei wurden die Hunde in einem Versuch mit dem Kopf fixiert und dann mit verschiedenen Gesichtsausdrücken von Menschen konfrontiert. Mit einem „Eyetracker“ wurden die Bewegungen der Hundeaugen gemessen – mit einem erstaunlichen Ergebnis: Bei negativen Emotionen, z.B. der Konfrontation mit einem zornig wirkenden Menschengesicht, schauten die Hunde meist nicht direkt ins Gesicht, sondern nur darum herum und vermieden vor allem die Augen. Bei den fröhlichen, lächelnden Gesichtern schauten sie sofort in die Mitte des Gesichts, vorwiegend auf die Augenregion. Viele Hunde können demnach tatsächlich verstehen, was der Blick eines Menschen bedeutet!

Unter dem Strich ist klar: Wenngleich in sehr vielen Verhaltensweisen ihr wölfisches Erbe auch heute noch deutlich erkennbar ist, so haben sich Hunde doch insgesamt sehr weit von Wolf entfernt. Es gibt eine Reihe über die Jahrtausende entwickelter genetischer Änderungen, die den Hund zum idealen Menschenbegleiter gemacht haben. Hunde sind andererseits auch abhängig vom Menschen geworden. Dieser sollte sich daher seiner besonderen Verantwortung stets bewusst sein. Einer Verantwortung sowohl als überlegter Züchter als auch sachkundiger Hundeführer, die den Hund vor Vermenschlichung einerseits als auch Versachlichung andererseits schützen müssen. Sie müssen es ihren Vierbeinern ermöglichen, Vertrauen zu gewinnen, das zur Achtung einer sozialen Stellung gehört, die verdient sein will.8

Das neue Familienmitglied

Jetzt also wird es konkret: Die Anschaffung eines Hundes ist beschlossene Sache, die Familie ist sich einig! Von Züchter oder Tierheim mit der Grundausstattung versorgt, kann das neue Familienmitglied einziehen, auf das sich alle schon freuen!

Die Entscheidung der Familie ist sicher wohlüberlegt: Alle wissen, dass der Hund Arbeit machen wird – aber auch viel Freude. Schließlich ist sogar auch wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein Hund dem Menschen auch gesundheitlich gut tut: Ein vierbeiniger Begleiter verringert Stress, senkt den Blutdruck und die Cholesterinwerte, stabilisiert die Psyche in Krisenzeiten, hilft beim Knüpfen sozialer Kontakte und stärkt das Selbstwertgefühl. Studien haben nachgewiesen, dass der Puls von Hundebesitzern, nachdem sie drei Minuten lang ihren Hund gekrault hatten, noch eine Stunde danach niedriger war als bei einer Kontrollgruppe!9 Hundebesitzer gehen nachweislich seltener zum Arzt und nehmen weniger Schlafmittel – sicher auch eine Folge der Notwendigkeit zu mehr oder weniger ausgedehnten Spaziergängen mehrfach am Tag und damit zu gesundheitsfördernder Bewegung. Zusammenfassend ließe sich die Wirkung des Hundes auf den Menschen gut mit den Worten des Journalisten und Hochschullehrers Ernst Elitz formulieren: „Ohne den Hund käme der Mensch auf den Hund“.

Abb. 3: Welpe vor dem Einzug

Doch was weißt Du bzw. wissen die Angehörigen der Familie über das Lebewesen, welches die nächsten, hoffentlich langen Jahre das Familienleben bereichern, aber auch den Tagesrhythmus mitbestimmen wird? Worauf solltest Du Dich als verantwortungsvoller, stolzer Besitzer und Hundeführer vorbereiten, um den Vierbeiner nicht nur bestmöglich zu fordern und zu fördern, sondern ihn auch mit dem Ziel eines in jeder Situation gelassenen und entspannten Familienhundes zu erziehen?

Sicherlich gehört zum Grundwissen die Auseinandersetzung mit den Sinnesorganen des Hundes, um zu verstehen, wie der Hund seine Umwelt wahrnimmt: Er hört Geräusche aus vier Mal weiterer Entfernung als der Mensch, hat 18 Ohrmuskeln, die es ihm ermöglichen, die Quelle des Geräuschs genau zu orten – mit einer Abweichung von nur 2% (funktioniert tatsächlich auch bei „Schlappohren“!). Vor diesem Hintergrund ist es übrigens unsinnig, den Hund – aus welchen Gründen auch immer – anzubrüllen: Er hört Dich sehr gut; ob er Dich auch versteht, ist jedoch eine andere Frage, die im Laufe der weiteren Ausführungen noch genauer betrachtet werden soll.

Obwohl der Hund im Vergleich zum Menschen nur über eingeschränktes Farbsehen verfügt, sieht er Bewegungen schneller als der Mensch: die Augen des Hundes machen 80 „Fotos“ pro Sekunde, die des Menschen nur 60 (die Maus, die er jagt, hast Du noch nicht einmal gesehen). Das Gesichtsfeld des Menschen beschränkt sich auf ca. 180 Grad. Der Hund sieht aufgrund der weiter außen als beim Menschen angeordneten Augen sein Umfeld in bis zu 250 Grad – eine unbemerkte seitliche Annäherung an den Hund ist dadurch fast unmöglich. Hunde verfügen über mehr Stäbchen in den Augen als Menschen. Diese sorgen dafür, dass das Tier bereits sehr geringe Lichtmengen aufnehmen kann, wie sie im Morgengrauen oder in der Dämmerung vorherrschen. Hinzu kommt das sogenannte „Tapetum“ in einer Schicht der Netzhaut. Dieses wirkt wie ein Reflektor und verbessert das Sehvermögen in der Dunkelheit deutlich. Es ermöglicht sogar eine doppelte Ausnutzung des einfallenden Lichtes bei Dunkelheit. Das heißt, dass Hunde weniger Licht brauchen, um mit ihrem Hundeblick alles sehen zu können. Daraus folgt, dass Hunde mit ihrem großen peripheren Gesichtsfeld auf Bewegungs- und Dämmerungssehen spezialisiert sind, allerdings zu Lasten der Sehschärfe.

Und dann der Geruchssinn! Je nach kynologischer Bewertung riecht der Hund bis zu einer Million mal besser als der Mensch: Er verfügt