Hairy Queen - Franziska Setare Koohestani - E-Book

Hairy Queen E-Book

Franziska Setare Koohestani

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine mitreißende Kulturgeschichte der Haare: klug, unterhaltsam und feministisch Franziska Setare Koohestani bezeichnet sich selbst als »Hairy Queen«. Und zwar nicht nur, weil sie seit jeher mit starkem Haarwuchs zu kämpfen hat, sondern weil sie erhobenen Hauptes aus diesem Kampf hervortritt. Schon in der Grundschule schickten ihre iranischen Tanten ihr Bleichcreme nach Deutschland, um den Oberlippenbart zu beseitigen. Seitdem folgten etliche Versuche sowohl der Haarentfernung als auch der Haarwuchs-Akzeptanz. Heute weiß Franziska Setare Koohestani: Unser Umgang mit Körperbehaarung hat wenig mit Hygiene und Körperpflege zu tun, sondern vielmehr mit den patriarchalen, rassistischen und kapitalistischen Normen, die unsere Gesellschaft verinnerlicht hat. Ausgehend von historischen, kulturellen und medizinischen Quellen sowie persönlichen Erfahrungen erklärt sie, warum Körperbehaarung politisch ist, und weist den Weg in eine Welt, in der Hairy Queens das Sagen haben und wir mit unserem Körperhaar endlich so umgehen können wie mit Kleidung: selbstbewusst, spielerisch und kreativ. Cause Baby, we were born this way.  »Koohestani zeigt die Politik hinter Haarwuchs. Ein wichtiges Buch, das Unerkanntes zur notwendigen Debatte stellt.« Fikri Anıl Altıntaş »Würde jedes Schönheitsideal so analytisch und unterhaltsam auseinandergepflückt wie glatte Haut in Hairy Queen, sähe es für viele Industrien schlecht aus. Ein Buch, das man mit einer Zeitreise seinem jüngeren Ich um die Ohren hauen will.« Özge Inan »Unerschrocken und einnehmend hat Franziska Setare Koohestani die oftmals verdruckste bis verlogene Verhandlung weiblicher Körperbehaarung hier aber mal so richtig rasiert.« Samira El Ouassil

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hairy Queen

FRANZISKA SETARE KOOHESTANI wurde 1996 in Köln geboren und bezeichnet sich selbst als »Hairy Queen«.Sie studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und ist als freie Journalistin tätig. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vor allem mit Diskriminierung, Migration, Aktivismus, Pop- wie Subkultur – und mit Schönheitsnormen.

Franziska Setare Koohestani bezeichnet sich selbst als »Hairy Queen«. Und zwar nicht nur, weil sie seit jeher mit starkem Haarwuchs zu kämpfen hat, sondern weil sie erhobenen Hauptes aus diesem Kampf hervortritt. Schon in der Grundschule schickten ihre iranischen Tanten Bleichcreme nach Deutschland, um den Oberlippenbart zu beseitigen. Seitdem folgten etliche Versuche sowohl der Haarentfernung als auch der Haarwuchs-Akzeptanz. Heute weiß Franziska Setare Koohestani: Unser Umgang mit Körperbehaarung hat wenig mit Hygiene und Körperpflege zu tun, sondern vielmehr mit patriarchalen, rassistischen und kapitalistischen Normen, die unsere Gesellschaft verinnerlicht hat. Klug, unterhaltsam und mit feministischem Blick erzählt sie davon, was da eigentlich warum auf unseren Körpern wuchert. Und wie wir zukünftig damit umgehen sollten.

Franziska Setare Koohestani

Hairy Queen

Warum Körperbehaarung politisch ist

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage März 2024© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Umschlaggestaltung: © Federico DelfratiUmschlagabbildung: © Federico DelfratiAutorinnenfoto: © Tizian Stromp ZargariE-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN: 978-3-8437-3121-8

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Einleitung Warum tun wir uns all das Zupfen, Waxen, Epilieren, Rasieren und Lasern überhaupt an?

Kapitel 1 Was ist das, was auf unseren Köpfen wuchert? – Oder was Körperbehaarung mit Biologie zu tun hat

Kapitel 2 Wie wir unsere Haare tragen, früher vs. heute – Oder was Körperbehaarung mit Normen zu tun hat

Kapitel 3 Glatte weiße Überlegenheit? – Oder was Körperbehaarung mit Rassismus zu tun hat

Kapitel 4 »You want a hot body? you better work, b*tch« – Oder was Körperbehaarung mit Kapitalismus zu tun hat

Kapitel 5 

Hairy Queens

vs. Not so

Hairy Kings

– Oder was Körperbehaarung (wirklich) mit Geschlecht zu tun hat

Ausblick »We’re all born hairy and the rest is Drag« – Wie wir zukünftig mit Körperbehaarung umgehen können (und was Drag damit zu tun hat)

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Einleitung Warum tun wir uns all das Zupfen, Waxen, Epilieren, Rasieren und Lasern überhaupt an?

Widmung

Für alle Hairy Queens, Hairy Kings und Hairy non-binary Royalty

Einleitung Warum tun wir uns all das Zupfen, Waxen, Epilieren, Rasieren und Lasern überhaupt an?

This time I’m gonna take the crownWithout falling down, down, down.

Beyoncé, Pretty Hurts

In jedem Menschenleben gibt es Marker, die es in verschiedene Phasen unterteilen. In der Regel sind diese Marker die Jobs, die man hatte. Die Liebesbeziehungen und Freundschaften, die man führte. Die Orte, an denen man wohnte.

Meine Marker sind Haarentfernungsmethoden.

Wenn ich auf meine bisherigen Lebensphasen zurückblicke, kann ich an den jeweiligen Haarentfernungsmethoden einiges ablesen. Etwa wie groß die Bereitschaft war, meinem Körper Schmerzen zuzufügen, und damit der innere Drang, mich anderen Menschen anzupassen, ihrer Vorstellung von Schönheit zu entsprechen.

In meinen 28 Lebensjahren habe ich schon alles ausprobiert, was der weltweit etwa vier Milliarden US-Dollar[1] schwere Haarentfernungsmarkt zu bieten hat: Waxing, Rasieren, Epilieren, Bleichen, Wegcremen, Zupfen mit Pinzette und Faden und letztlich auch Lasern.

Denn ich habe mich in meinem Leben für kaum etwas so sehr geschämt wie für meine Körperbehaarung. Und das kommt mir gleichzeitig selbstverständlich und seltsam vor.

Selbstverständlich, weil ich nun einmal stark behaart bin. Jedenfalls stärker als die meisten Frauen, mit denen ich mich von klein auf verglichen habe. Und, um ehrlich zu sein: auch stärker als viele Männer und nicht-binäre Menschen, die ich kenne. Manchmal kommt es mir so vor, als hätten die meisten Menschen in Deutschland Körperhaare, die man erst im Sonnenlicht richtig sehen kann, während man meine oft sogar noch sieht, nachdem ich sie entfernt habe, wie eine Schraffur. Ich bezeichne mich deswegen selbst als eine Hairy Queen, um meine lange Zeit verhasste Behaarung wenigstens sprachlich zu adeln. Mich Hairy Queen zu nennen ist der erste Schritt im Kampf gegen meine tief sitzende Scham. Denn mir war schon immer klar, dass meine Körperbehaarung etwas ist, wofür ich mich schämen sollte.

Seltsam, weil ich überhaupt nichts dafür kann, dass ich eine Hairy Queen bin. Auch mein Vater kann nichts dafür, nur weil er mir mit seinem »iranischen« aller Wahrscheinlichkeit nach auch das »hairy« Genmaterial weitergegeben hat. In Wahrheit hat niemand zu verantworten, wo und wie dicht, dunkel und lang meine Körperbehaarung sprießt. I was born this way, baby (ich war tatsächlich schon als Baby sehr haarig). Entweder man ist eine Hairy Queen – oder nicht. Im Grunde könnte es eine bloße Gegebenheit sein, ein genbedingter Aspekt des Körpers: Manche kriegen blaue oder grüne Augen, volle oder dünne Lippen, lange oder kurze Beine, und ich kriege eben viel statt wenig Körperbehaarung. Doch all diese körperlichen Merkmale gelten gesellschaftlich nicht als gleichwertig schön. Insbesondere starke Körperbehaarung gilt bei weiblich gelesenen Menschen (und, wenngleich in anderem Maße und mit anderen Konsequenzen, auch bei männlich gelesenen) in der Regel nicht als besonders ansehnlich. Das spielt bei meiner Scham durchaus eine Rolle, auch wenn es auf den ersten Blick kein Grund dafür sein sollte. Aber ich kann es kaum verhindern: Ich schäme mich für meine Körperbehaarung. Und zwar so, wie man sich manchmal schämt, wenn man etwas Ungezogenes tut. Wenn man gegen Regeln verstößt. Wenn man stört. Allein schon das macht meine Scham verdächtig.

Es ist doch so: Jeder Mensch hat rund fünf Millionen Haare auf dem Körper. Davon wachsen, zumindest bei schwarzhaarigen Menschen wie mir, etwa 100 000 nur auf dem Kopf. Früher – also noch zu Beginn der Evolution – hatten wir sogar noch ein dichtes Fell. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, warum genau der Mensch im Laufe der Evolution den Großteil seines »Haarkleides« verloren hat.[2] Weil weniger Haare auch weniger Schweißgeruch bedeuten? Oder eine bessere Temperaturregulation? Bieten Haare nicht auch einen wichtigen Schutz vor UV-Strahlung? Aus medizinischer Sicht haben Haare zwar Vor- und Nachteile – überlebensnotwendig sind sie allerdings nicht. Für das gesellschaftliche Miteinander, also das soziale Überleben, spielen sie dafür eine umso größere Rolle.

Allein in Deutschland entfernen sich einer Studie der Universität Leipzig zufolge 69 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer im Alter von 14 bis 94 regelmäßig ihre Körperbehaarung.[3] Eine glatte, weitestgehend haarlose Haut ist mittlerweile zur Norm geworden – nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Kulturen und zudem (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) geschlechterübergreifend.

Aber was sind überhaupt diese Hornfäden, die auf unseren Körpern und Köpfen wachsen? Welche biologische und gesundheitliche Funktion haben sie? Inwiefern spielt ihre Funktion überhaupt eine Rolle in unserem Umgang mit ihnen? Wie wichtig ist uns dabei körperliche Gesundheit – und wie wichtig Schönheit? Weshalb finden wir bestimmte Haare schön, andere nicht und manche sogar eklig? Warum etablieren sich bestimmte Behaarungsnormen? Und warum schämen wir uns, wenn wir diesen nicht entsprechen?

Neben dem biologischen Aspekt hat all das auch – und vor allem – etwas mit Machtgefügen, Körperkultur und Körperpolitik zu tun. Im ersten Moment mag das abstrakt klingen. Konkret bedeutet es, dass ich in diesem Buch folgende Fragen untersuchen möchte: Welche gesellschaftlichen Umstände beeinflussen den Umgang mit Körperbehaarung? Wie sind Menschen früher mit ihrer Behaarung umgegangen? Welche Bedeutung hatten Körperhaare damals im Vergleich zu heute? Welche unserer heutigen Haarpraktiken sind das Überbleibsel jahrhundertealter Prägung (z. B. Rassentheorie, Kolonialismus und Patriarchat), und welche stehen wiederum ganz im Zeichen unserer Zeit (z. B. Spätkapitalismus, technischer Fortschritt und Konsumkultur)? Inwiefern profitieren wir davon, unsere Körper den herrschenden Schönheitsnormen entsprechend zu bearbeiten – ökonomisch wie sozial? Wer profitiert davon, wenn nicht wir? Und: Wie zeigt sich all das, ganz persönlich, in meinem Leben als Hairy Queen?

Der Vorteil daran, eine Hairy Queen zu sein, lautet nämlich so: Gerade weil man von einer äußerlichen Norm abweicht, erkennt man die teils absurden Verstrickungen, die diese Norm überhaupt erst zustande bringen. Ich dachte deswegen viel und intensiv über den Sinn und Unsinn von Haarentfernung nach. Warum tue ich mir all das Waxen, Epilieren, Bleachen, Zupfen, Lasern und Rasieren überhaupt an? Was würde passieren, wenn ich die Haare sprießen ließe? Und was hält mich eigentlich wirklich davon ab?

Die eigene Körperbehaarung wachsen zu lassen gilt als maskulin, glatte enthaarte Haut wiederum als feminin. Die Anerkennung von Körperbehaarung ist also geschlechtsspezifisch aufgeteilt, Körperbehaarung selbst – rein biologisch betrachtet – allerdings nicht zwingend. Das heißt, es gibt hier kein klares geschlechtsbinäres Glatt vs. Haarig-Schema. Die Zuordnung, die wir gesellschaftlich vornehmen, ist also ein Konstrukt (siehe: meine bloße Existenz als Hairy Queen). Es lohnt sich deshalb, genauer zu untersuchen, welche Rolle genetische und hormonelle Komponenten dabei tatsächlich spielen.

Am Anfang meiner Überlegungen stand die Frage: Warum machen wir das mit der Haarentfernung überhaupt auf diese (doch ziemlich komplizierte) Art und Weise? Weil ich mich selbst als Feministin bezeichne und das besser ins Bild passt, würde ich gerne behaupten, dass ich meine Körperbehaarung aus freiem Willen entferne – emanzipiertes Waxing und so. Aber wenn ich ehrlich bin, ist das Bullshit. Denn gerade weil ich eine Feministin bin, muss ich anerkennen, welche Macht- und Unterdrückungsverhältnisse ich verinnerlicht habe und mich zum vermeintlich selbstbestimmten Waxing veranlassen.[4] Wenn ich manch anderen Feminist*innen Glauben schenkte, sollte ich mich eigentlich davon befreien wollen. Praktisch heißt das: alles sprießen lassen. Die Schriftstellerin Bel Olid hat beispielsweise ein ganzes Buch darüber geschrieben, warum sie damit aufgehört hat, sich zu rasieren, und warum es gut wäre, würde man es ihr gleichtun. Sie schreibt: »Wenn das Rasieren eine soziale Belohnung hervorruft (wie hübsch man ist) und das Nicht-Rasieren einen Tadel (wie ekelhaft), hört die Entscheidung auf, unschuldig zu sein, und wird politisch.«[5] Ich finde das durchaus überzeugend – zumindest in der Theorie. Aber warum setze ich es dann nicht in die Praxis um?

Weil ich eben auch eine intersektionale Feministin sein möchte (also eine, die andere Formen der Unterdrückung als Sexismus mitberücksichtigt), muss ich einsehen, dass das für mich besonders schwierig sein könnte. Vermutlich noch schwerer als für weiße Frauen mit soft-blonder Körperbehaarung. Das erklärt auch die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner in ihrem Buch Riot, Don’t Diet (2021). Der Druck, der haarlosen Norm zu entsprechen, sei für Frauen of Color deshalb noch größer, weil sie durch den Rassismus, den sie erfahren, bereits als »Andere« positioniert werden: »Zusätzliche Stigmatisierung durch als exzessiv gelesene Körperbehaarung können sie sich oft nicht leisten.«[6] Wenn ich an das ein oder andere Erlebnis aus meinem Leben denke, dann finde ich sogar: Ich möchte es mir nicht leisten müssen. Und leider hilft es, wenn mich die Menschen, denen ich begegne, in dieser Hinsicht, also der Körperbehaarung, als »normal« und »zugehörig« wahrnehmen. Die Gewissheit, im Zweifelsfall signalisieren zu können: »Hey, ich bin eine von euch, denn ich hab auch glatte Beine!«

Aber müsste ich mir als Feministin – und generell als politische Person – nicht auch eingestehen, dass es aktuell wesentlich drängendere Themen gibt als … Körperbehaarung? Zum Beispiel Rechtsextremismus, Klimakrise, soziale Ungerechtigkeit, you name it?

Für sich genommen ist Körperbehaarung ganz sicher nicht eines der drängendsten politischen Themen unserer Zeit. Das zu behaupten wäre vielleicht edgy, und man könnte es philosophisch sogar halbwegs schlüssig dahingehend hochjazzen. Aber wenn ich hier eines nicht möchte, dann ist es, irgendetwas philosophisch hochzujazzen. Ganz im Gegenteil: Sich mit Körperbehaarung und Haarentfernung auseinanderzusetzen wirkt zwar erst einmal politisch oberflächlich. Das ist es aber keineswegs – und genau das möchte ich in diesem Buch zeigen. Denn unser Umgang mit Körperbehaarung ist maßgeblich beeinflusst von einigen der zentralen politischen Themen unserer Zeit: Rassismus, Kapitalismus und Geschlecht. Wir rasieren und epilieren uns schließlich nicht im luftleeren Raum. Daran, wie wir mit unserer und anderer Körperbehaarung umgehen, kann man ablesen, wie unsere gegenwärtige Gesellschaft strukturiert ist. Und zu verstehen, auf welche Weise so etwas Alltägliches wie eine Rasur von all den »-ismen« (also Rass-ismus, Femin-ismus, Kapital-ismus und so weiter) unserer Zeit beeinflusst ist, kann im Umkehrschluss auch den Druck aus all dem Schönheitswahn rausnehmen. Idealerweise.

Auch wenn es uns nicht unbedingt bewusst ist: Unser gesellschaftlicher Umgang mit Körperbehaarung ist anti-feministisch und rassistisch – und der Kapitalismus profitiert davon. Deshalb ist Körperbehaarung politisch. Aber muss sie ein Politikum bleiben? Können wir uns nicht von dem Zwang befreien, glatt und schön sein zu müssen? Von dem Begehren, glatt und schön sein zu wollen? Bleibt uns am Ende wirklich nur die individuelle Möglichkeit, die eigenen Haare sprießen zu lassen? Oder gibt es andere Optionen für einen kollektiven Umgang mit Körperbehaarung, der vielleicht sogar Spaß macht?

Ich wünsche mir, dass sich meine Haltung zur eigenen Körperbehaarung verändert, aber auch die anderer Hairy Queens zu ihrer – weg von der schambehafteten hin zu einer spielerisch-gestalterischen. Und das kann nur dann gelingen, wenn wir sie nicht mehr als individuelle, heimliche Praxis begreifen. Sondern indem wir verstehen, was uns bisher dazu bringt, uns zu enthaaren – und was uns zukünftig dazu bringen kann, es nicht mehr tun zu wollen, nur um dazuzugehören. Am Ende sind die Haare, die aus meinem Körper sprießen, kaum mehr als totes Material. So wie die Fasern, aus denen unsere Kleidung gemacht ist, kaum mehr als totes Material sind. Warum also können wir in Zukunft nicht mit unserer Behaarung so umgehen wie mit Kleidung? Gestalterisch, kreativ, expressiv – so, wie es bei Kopfbehaarung und Drag-Performances häufig schon der Fall ist. Denn glaubt man Philosoph*in Judith Butler, ist all das, was wir täglich tun, gewissermaßen schon konstruiert, künstlich und eingeübt: wie eine Drag-Performance. Drag ist nach Butler nämlich »keine sekundäre Imitation[7]«. Das heißt: Drag ist nicht die Nachahmung von etwas Echtem – von der »echten« Frau oder dem »echten« Mann. Die gibt es nämlich gar nicht. Auch solche Kategorien entstehen erst durch ständige Nachahmung. Etwa dadurch, dass man im Alltag vieles daransetzt, wie eine »echte Frau« oder eine »schöne Frau« rüberzukommen, sich dafür einen BH und ein Kleid anzieht, Make-up aufträgt und die Beinhaare abrasiert.

Vielleicht würde es also helfen, solche gesellschaftlichen Konstruktionen auch als Konstruktionen anzuerkennen. Zu erkennen, dass man sie immer auch verändern – also umkonstruieren – kann. Denn erst dadurch wird uns bewusst, wie fake all das ist, was sich uns als real präsentiert. Und dazu gehört eben auch glatte, haarlose bis mäßig behaarte Haut. Vielleicht – hoffentlich! – nimmt das endlich den Druck aus unserem Umgang mit Körperbehaarung. Wenn ich mir eins wünschen würde, dann wäre es: weniger fake Nacktmull-mit-Perücke-Realness und mehr Strassbesetzte-Monobrauen-und-mit-Gel-gestylte-Armhaare-Extravaganza.

Kapitel 1 Was ist das, was auf unseren Köpfen wuchert? – Oder was Körperbehaarung mit Biologie zu tun hat

I’m on the right track, baby, I was born this way, hey.Same DNA, but born this way.

Lady Gaga, Born This Way

Vor 14 Jahren, ich muss etwa 12 gewesen sein, stellte mir ein Mitschüler eine Frage, die ich erst heute beantworten kann. Es war eine dieser Fragen, die kindliche Ehrlichkeit offenbaren (und schließlich waren wir beide ja auch noch Kinder). Man kann so eine Ehrlichkeit süß finden oder gemein. Damals fand ich sie gemein. Aber das tut nichts zur Sache. Wichtiger ist, dass die Frage meines Mitschülers im Grunde genau das betraf, womit ich mich hier beschäftige. Eines muss ich ihm also lassen: Er hatte ein gutes Gespür für die deepen Dinge des Lebens.

Es war Frühling, und ich trug ein kurzärmeliges T-Shirt. In einer Freistunde vor dem Nachmittagsunterricht vertrieben meine Freundinnen und ich uns die Zeit auf dem Schulhof. Wir waren in dem Alter, in dem man in Freistunden nicht mehr spielt und noch nicht abhängt, sondern irgendetwas dazwischen macht. Es waren auch einige Jungs aus der Parallelklasse dabei. Ihre Namen weiß ich heute nicht mehr. In meiner Erinnerung verschwimmen die Einzelpersonen zu einer Gruppe, die ich besonders »cool« fand. Meine Freundinnen und ich versuchten selbstverständlich auch, uns möglichst »cool« zu geben, was in meinem Fall schnell scheiterte. Denn auf einmal zeigte einer der Jungs aus der Parallelklasse auf meine entblößten Arme und fragte betroffen:

»Warum hast du da so viele Haare?!«

Seine Freunde kicherten, aber in seiner Stimme lag eine Ernsthaftigkeit, die mich nur noch mehr irritierte. Dabei war sie vollkommen angemessen – angesichts des hochkomplexen Themenfeldes, in das er mit dieser Frage ungewollt zielte. An der Frage, warum ich ›da so viele Haare‹ habe, hängt nämlich eine ganze Kette weiterer Fragen:

Warum haben Menschen überhaupt Haare an den Armen?

Warum haben sie in der Regel mehr Haare an den Armen als zum Beispiel am Bauch oder Rücken?

Warum haben manche Menschen wiederum mehr Haare am Bauch oder Rücken als andere an den Armen?

Warum bin ich eine der Personen, die behaarter ist als andere? Eine, die ›da so viele Haare‹ hat?

Und das, obwohl ich als Mädchen doch eigentlich hätte weniger behaart sein müssen als mein männlicher Mitschüler, der von meiner Armbehaarung, geschweige denn einem ähnlichen Bartwuchs wie meinem, zu diesem Zeitpunkt vermutlich nur träumen konnte?

Die Chancen stehen gut, dass ich auf seine Frage damals verschämt geschwiegen habe. Ich tendierte in solchen Situationen dazu, unangenehme Kommentare runterzuschlucken, sie innerlich zu verstärken, gegen mich selbst zu wenden. Dabei war es sicher nicht das erste Mal, dass ich mich für meine Körperbehaarung geschämt hatte. Mein Oberlippenbart war längst gebleicht, meine Augenbrauen gezupft – aus Gründen. Aber an meine Armbehaarung hatte ich damals noch nicht gedacht. Weder hatte ich sie als exzessiv wahrgenommen, noch hatte mich bisher jemand darauf angesprochen, wie es nun mein Mitschüler tat. Also schmiedete ich in meinem Kopf sofort Pläne, wie ich meine Armhaare loswerden könnte. Auch bleichen? Zu auffällig, bei schwarzen Augenbrauen und dunkelbraunem Kopfhaar. Oder zupfen? No way, damit wäre ich Stunden beschäftigt. Vielleicht waxen? Könnte ich mal probieren, aber dafür müsste ich erst noch meine Mutter überzeugen. Irgendwer musste schließlich das Wachs besorgen. Und dann dachte ich darüber nach, wo ich so schnell wie möglich eine Jacke herbekäme, um meine haarigen Arme vor den neugierigen Blicken meiner Mitschüler*innen zu verbergen – als Quick Fix. Ich war sofort mit all dem beschäftigt, was die Frage meines Mitschülers in mir losgetreten hatte. Das ärgerte mich.

Mich ärgerte, dass er mir damit zuvorgekommen war, etwas ›Unnormales‹ an meiner Armbehaarung zu erkennen. Und mich ärgerte, dass er mir eine Frage gestellt hatte, die ich nicht beantworten konnte. Natürlich hätte ich widerständig sein können, irgendetwas Schlagfertiges antworten und meine Armbehaarung daraufhin erst recht mit Stolz tragen können. Aber mein Stolz war verletzt. Ich wusste nicht, warum meine Armbehaarung so war, wie sie war. Dichter und dunkler als die meiner Freundinnen, dichter und dunkler als die meines Mitschülers. Und ich verstand nicht, warum sie plötzlich zum Thema wurde.

Damals wusste ich noch nichts über den kulturwissenschaftlichen, medizinischen, sozio- und biologischen Diskurs um Körperbehaarung. Das heißt: Ich hätte ihm ohnehin keine inhaltlich angemessene Antwort geben können. Aber wer hätte das in dieser Situation schon gekonnt? Ich glaube nicht, dass mein Mitschüler mich mit seiner Frage beleidigen oder sich über mich lustig machen wollte. Okay, vielleicht ein bisschen. Aber ich mache ihm das nicht zum Vorwurf, denn auch ich war nicht immer nur lieb als Kind und Teenie. Das war vermutlich niemand. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es ihm nicht nur darum ging: Mein Mitschüler hätte mir diese Frage nicht gestellt, hätte er selbst schon eine kompetente Antwort darauf gehabt. Das Wissen um die Gründe für die Behaarung von Menschen ist verklärt von normierten Körperbildern, die wir aus Serien, Filmen, Fernsehen, Zeitschriften oder Werbung kennen. Und verklärt von unseren Versuchen, diesen Bildern zu entsprechen. Von der Scham, die uns nicht offen darüber sprechen lässt, warum wir ihnen entsprechen wollen, und dass es verdammt viel Arbeit erfordert. Vielleicht kamen mein Mitschüler und all die Menschen, die nach ihm folgten und meine Behaarungssituation kommentierten, einfach nicht darauf klar, jemanden zu sehen, der mit dem eigenen Körper aus der Reihe tanzt. Vielleicht wollten sie ihrer Überforderung Ausdruck verleihen. Womöglich deshalb, weil sie selbst keine umfangreiche Erklärung dafür hatten. Dass ich damals nicht die schlagfertige Hairy Queen war, auf die ich gerne zurückblicken würde, finde ich heute nicht weiter schlimm. Mittlerweile würde ich auf die Frage meines Mitschülers nämlich nicht mit Schlagfertigkeit reagieren. Sondern mit einer der Ernsthaftigkeit des Themas angemessenen Gründlichkeit. Ich würde weit ausholen. Ich würde ganz am Anfang anfangen.

1.1     Enthaarungsmittel Evolution: Wieso wir »nackte Affen« geworden sind

Am Anfang war das Fell. Sehr lange, bevor ich Menschen in Hairy Queens und Not so Hairy Queens einteilen konnte, waren wir nämlich: Furry Queens.[8] Wir hatten Fell, viel Fell, überall Fell. Um das also gleich mal klarzustellen: Für manche mag meine Behaarung heute nach »viel« aussehen. Betrachtet man sie im großen Kontext der Millionen Jahre andauernden Menschheitsgeschichte, ist sie allerdings mickrig. Vielleicht wäre das ein erster hilfreicher Gedanke für Hairy Queens in schwierigen Momenten: Da, wo jetzt vermeintlich »viele« Haare sind, war früher mal ein ganzes Fell. Alles ist relativ. Auch die Haardichte.

Die Evolution war also das erste und beste Enthaarungsmittel, bevor es überhaupt Enthaarungsmittel gab. Während unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, immer noch ein Fell tragen, haben wir Menschen es im Laufe der Zeit verloren. Zwar besitzen Menschen zahlenmäßig fast genauso viele Haare wie Menschenaffen, nämlich etwa 60 Haare pro Quadratzentimeter. Aber unsere Haare sind feiner, kürzer und weniger stark pigmentiert.[9] Vor allem optisch sind wir also zu »nackten Affen« geworden. Dabei hat so ein Fell viele Vorteile. Fell schützt vor Sonneneinstrahlung, Kälte und Nässe. Fell dient zur Tarnung und zur Kommunikation.[10] Hunde stellen ihre Haare auf, wenn sie ein Eichhörnchen entdecken, und Katzen, wenn sie gerade auf gar keinen Fall gestreichelt werden wollen. Aber wenn ein Fell in so vielerlei Hinsicht praktisch ist, warum haben wir Menschen es dann verloren?

Tatsächlich beschäftigt diese Frage bis heute Evolutionsbiolog*innen und Anthropolog*innen. Zwar konnte man anhand von Fossilien bisher gut nachvollziehen, wie sich andere Evolutionsschritte im Laufe der Zeit vollzogen haben müssen – der Körperbau und Gang zum Beispiel. Aber da bei keinem der Funde Hautabdrücke überliefert wurden, ist die Entwicklung der Körperbehaarung schwerer nachzuvollziehen. Die Forschung konnte anhand der Fossilien nur indirekt Hinweise darauf finden.[11] Die Frage nach einer Evolution von der Furry zur Hairy Queen ist wissenschaftlich also nicht restlos geklärt, doch es gibt verschiedene Theorien.

Die Jäger*innen-Theorie

Als Erstes wäre da die Jäger*innen-Theorie. Oder, wie ich sie nennen möchte: die Schweiß-Theorie (denn eigentlich geht es dabei vor allem ums Schwitzen, warum sollte man das nicht zugeben). Die Schweiß-Theorie ist auf eine Reihe von Essays aus den 80ern zurückzuführen. Sie besagen, dass der Haarverlust damit zu tun hatte, dass weniger Haare die Jagd erleichtern – insbesondere bei Hitze.[12] Jagen mit Fell ist nämlich stressiger als ohne, die Erfolgsaussichten sind dabei tendenziell eher niedrig. Denn wer jagen will, muss sich bewegen. Und das heißt: schwitzen. Da bereitet ein Fell natürlich Probleme, vor allem bei der Temperaturregulation. Die ist wiederum essenziell, um einen Hitzestau zu verhindern, der Gewebe und Organe schädigt. Hunde hecheln zum Beispiel, um ihre Körperwärme zu regulieren. Beim Menschen läuft das anders: Wir haben mit der Zeit im Gegensatz zu anderen Säugetieren besonders viele sogenannte ekkrine Schweißdrüsen entwickelt, zwischen zwei und fünf Millionen, die einen eher wässrigen Schweiß produzieren. Das können an einem Tag bis zu zwölf Liter werden. Diese ekkrinen Drüsen befinden sich unter anderem in den Handinnenflächen oder der Ellenbeuge – also auch da, wo in der Regel wenig Haare wachsen. Ohne Fell kann der Schweiß sehr leicht auf der Haut verdunsten und so den Körper kühlen.[13]

Die Paläoanthropologin Nina Grace Jablonski forscht hauptsächlich zur Evolution der Hautfarben des Menschen. In einem Artikel mit dem Titel »Warum Menschen nackt sind« gibt sie einen Überblick über den Forschungsstand zum evolutionsbedingten Fellverlust: Die frühen Menschen hätten all die Bewegung in der Savanne »ohne die Fähigkeit, ausgiebig zu schwitzen, nicht überstanden. Mit einem Fell und ohne zusätzliche ekkrine Schweißdrüsen hätte die starke, andauernde Muskelaktivität ihren Körper zu sehr aufgeheizt.«[14]

Aber warum haben unsere Vorfahr*innen sich überhaupt so viel bewegt? Warum haben sie mit dem Jagen begonnen? Anthropolog*innen kamen anhand von Pflanzen- und Tierfossilien zu der Vermutung, dass dabei eine Veränderung des Klimas eine Rolle gespielt haben könnte. Durch diese Veränderung verknappte die Hauptnahrung der Furry Queens, der Hominiden, die vor allem aus Früchten, Samen und Blättern bestand. Aus diesem Grund soll es zu einer Ernährungsumstellung gekommen sein – und somit zur Jagd.[15]

Kurz zusammengefasst lautet die Schweiß-Theorie also: Unsere Vorfahr*innen haben ihr Fell verloren, weil sich das Klima verändert hat, die pflanzliche Nahrung knapp wurde, sie mit dem Jagen und Fleischessen angefangen haben – und in dem Zuge auch mit dem Schwitzen. Und weil sie beim vielen Schwitzen die Körpertemperatur mit weniger Haaren leichter regulieren konnten, durch Schweiß-Verdunsten, wie bei einer Klimaanlage mit Wassertank. Noch kürzer: Wir haben das Fell verloren, weil wir zu schwitzen begannen.

Als Hairy Queen imponiert mir diese Schweiß-Theorie sehr, sie amüsiert mich richtig. Nämlich gerade, weil sie irgendwie eklig ist. Mir gefällt die Vorstellung, dass es ausgerechnet die Schweißproduktion gewesen sein könnte, die uns im Laufe der Evolution enthaart hat. Heute empfindet man glatte Haut meist als hygienisch und schön. Schweiß dagegen erregt tendenziell Ekel (starke Behaarung sowieso). Was aber, wenn die Geschichte des Glatt-Werdens auch eine Ekel-Geschichte ist? Wenn das Eklige mal ganz eng mit dem Glatten und Schönen verbunden war? Und zwar deshalb, weil wir beim Mensch-Werden nur haarloser geworden sind, um viel und ausgiebig schwitzen zu können. So linear und zugespitzt lässt sich das alles natürlich nicht rekonstruieren. Aber in meiner Vorstellung wäre es ein lustiger Plot-Twist in der Körpergeschichte des Menschen.

Nun aber zu den Schwachstellen der Schweiß-Theorie: Mit dem Fellverlust im Zuge der Jagd ergibt sich unter anderem ein Problem, das mir als Heavy-Userin von Sonnenschutz sofort einleuchtet. Eine Jagd in der prallen Sonne – ohne viele Haare als natürlichen UV-Schutz – erhöht auch das Hautkrebs- und Sonnenbrand-Risiko. Wenn man also den Verlust des Fells im Laufe der Evolution zugunsten der Jagdfähigkeit als eine Art Selektionsvorteil deutet – also als ein Merkmal einer Spezies oder eines Individuums, das sich evolutionär vorteilhaft auf dessen Überleben auswirkt –, dann wäre dieser Vorteil hiermit mindestens zweifelhaft. Sonnenschäden bergen schließlich ein enormes Gesundheitsrisiko.[16]

Interessant ist dabei auch: Forscher*innen um Alan R. Rogers von der University of Utah in Salt Lake City haben ein 1,2 Millionen Jahre altes Gen entdeckt, welches nahelegt, dass unsere Vorfahr*innen in der Savanne mit dem Haarverlust auch eine höhere Hautpigmentierung bekommen haben könnten – sowie durch das Melanin einen zumindest kurzzeitig höheren Schutz vor Sonneneinstrahlung.[17] Auch Gene, die für eine widerstandsfähigere Haut sorgen – zum Beispiel bei Schürfverletzungen –, sollen mit dem Haarverlust aufgetreten sein.[18] Außerdem: Der Mensch hat offensichtlich nicht all seine Haare verloren (sonst würde ich dieses Buch nicht schreiben). Das Kopfhaar etwa fungiert bis heute als wichtiger Schutz vor der Sonne.