Hals- und Pfeilbruch - Jess A. Loup - E-Book

Hals- und Pfeilbruch E-Book

Jess A. Loup

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Beschreibung

Scho wieder a Leich. Es wird wieder gemordet im beschaulichen bayerischen Wald. Für alle Fans von Rita Falk und Helena Marchmont

» ›Und mia hob’m gehört, dass wieda was passiert is aufm Parcours.‹ Aha. Daher wehte der Wind. Woher bitte wussten die beiden alten Leutchen darüber schon jetzt Bescheid? Gab es irgendwo eine geheime Gesellschaft von Rentnern und Pensionisten, die ein Tratschnetzwerk führten und sofort jemanden anriefen, sobald sie etwas erfuhren?«

Bei einem Ausflug im Bayerischen Wald wird Ronja Zeugin, wie die Vorsitzende einer Autorinnenvereinigung vom Felsen stürzt und stirbt. Die Frau hatte nicht nur Fans. So finden sich Veit und Ronja inmitten von künstlerischem Unmut und berufenen MordschreiberInnen wieder, um einen Fall zu lösen, den jede Lektorin als unrealistisch anprangern würde. Zum Glück gibt es Kitten, deren Spürnase sich nicht täuschen lässt und die en passant noch einen vierzig Jahre alten Cold Case löst.

Achtung: Dieses Buch beinhaltet Catcontent, dezenten Dialekt und Humor. Allergiker bitte Abstand halten. 

»Der tolle Humor der Autorin hat es mir angetan. Man kann beim Lesen so einige Male lachen. Die Wendungen und Überraschungen sind geschickt eingearbeitet und so kommt keine Langeweile beim Lesen auf. Auch dieses Buch kann ich nur empfehlen.« ((Leserstimme von Netgalley))

»Ich habe schon den ersten Band richtig abgefeiert. Gut finde ich, dass hier der männliche Part nicht als supercool, sondern als einfach feiner, netter Kerl dargestellt wird und Ronja keine Zicke ist. Das Buch ist nicht lang, punktet aber mit viel Sympathie, Charme und Humor. Wo bleibt Teil 3?« ((Leserstimme von Netgalley))

»Die Autorin konnte mich mit einigen unvorhersehbaren Wendungen und der Auflösung am Ende überraschen. Zudem habe ich mich köstlich über Ronjas Sprüche und Gedankengänge amüsiert.« ((Leserstimme von Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Natalie Röllig

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Disclaimer/Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig

Kudos:

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Dieses Buch ist pure Fiktion.Jegliche Ähnlichkeit zu Personen oder Katzen ist rein zufällig.

Danke für die Inspiration, Thomas!

Eins

Man erwartete nicht alle Tage, auf einem Parcours über eine Leiche zu stolpern. Und zum Glück passierte mir das auch nicht. Zumindest nicht allzu oft.

Als ich die Leiche … ich meine, als ich die Frau sah, lebte sie noch. Und sie tat etwas erstaunlich Gefährliches. Sie kraxelte auf einem Felsen oberhalb des Rastplatzes herum.

Aber okay, ich zäumte das Pferd schon wieder von der falschen Seite auf. Diese Sache mit dem linearen Erzählen sollte ich mir unbedingt angewöhnen.

Also von vorn:

Es war schon wieder keine finstere und stürmische Nacht, als Veit und ich auf dem neuen Parcours aus dem Auto stiegen. Stattdessen begrüßte uns ein sonniger Septembermorgen. Es war gerade kurz nach neun, dennoch stand schon ein halbes Dutzend Autos mit verschiedenen Kennzeichen herum. Einige hatten so abenteuerlich eingeparkt, als hätten sie den Führerschein im Lotto gewonnen.

Mich störte das eigentlich eher wenig. Erstens fuhr Veit, zweitens quälte mich mein schlechtes Gewissen. Nur ein bisschen, aber trotzdem. Ich besaß einen eigenen Parcours, es gab keinen Grund, woanders hinzufahren. Zumal es mir Kitten verdammt übel nehmen würde, das wusste ich jetzt schon. Schließlich begleitete sie mich sonst meistens zum Schießen, doch heute hatten wir sie natürlich nicht mitgenommen.

»Ois in Ordnung?« Veits dunkle Stimme unterbrach mein Sinnieren.

Ich nickte und begann das übliche Ritual. Die leichten Barfußschuhe wurden gegen feste, wasserdichte Wanderschuhe ausgetauscht, Trinkflaschen in ihren Behältern am Köchergürtel befestigt, Pfeile überprüft. Veit holte seinen Compound aus der Tasche, befestigte die Stabilisatoren und war fertig, bevor ich mich überhaupt entschieden hatte, ob ich eine Jacke anziehen musste oder nicht. Noch war es kühl, aber der Wetterbericht hatte einen traumhaften Tag versprochen.

Ich riss mich aus meinen Grübeleien, ganz besonders, was Kitten anging. Ehrlich mal, ich stand völlig unter dem Pantoffel dieser kleinen grau-weiß-roten Katze. Sie brauchte nur mit der Kralle zu schnipsen, und ich sprang.

Es wurde Zeit, dass ich mir ein bisschen Privatleben abseits meines Daseins als Katzensklavin gönnte.

Ich lächelte Veit an, und als sich die kleinen Fältchen in seinen Augen kräuselten, stieg Vorfreude in mir auf. Ein neuer Parcours – zumal ein so nigelnagelneuer wie dieser – war immer aufregend.

Allerdings trübte sich meine Freude ein wenig, als wir den Einschießplatz erreichten. Er lag ein Stück hinter dem Parkgelände und befand sich vor einem einstöckigen, grauen Gebäude, das vermutlich einmal einem Forstbetrieb gehört hatte.

Dort wimmelte es bereits von Leuten.

Eine lärmende Meute, oje. Die meisten von ihnen keine Bayern, das ließ ihr Dialekt schnell erkennen und erklärte die verschiedenen Fahrzeuge, die ich auf dem Parkplatz gesehen hatte. Sie kannten sich offensichtlich alle, denn sie schnatterten und lachten miteinander. Dabei blickten sie immer wieder zu einer kräftigen blonden Frau um die vierzig, die wohl diesen Ausflug organisierte, denn sobald sie den Mund öffnete, verfielen die anderen in ein geradezu andächtiges Schweigen.

Sie sprach auf einen großen, glatzköpfigen Mann ein, der einen Bauch von der Größe einer Kindertrommel vor sich herschob. Er verteilte ein paar Ausrüstungen, bevor er die Frau mitten im Satz unterbrach.

»So, alle mal herhören!« Ah. Ein Österreicher, der sich bemühte, Hochdeutsch zu sprechen. Immer wieder lustig.

Veit und ich wechselten einen Blick, bevor wir uns zu dem Haus begaben, an dessen Mauer sich die Kassa und das Einschreibbuch befanden. Wir bezahlten die Parcoursgebühr, trugen uns ins Buch ein und kehrten zum Einschießplatz zurück.

Der Mann winkte uns zu sich. »Ihr seid erfahrene Schützen?«

Ich konnte erkennen, dass Veit bereits den Mund öffnete, um zu relativieren, aber ich wollte ganz sicher nicht, dass der Parcoursbetreiber uns zutextete und uns zusammen mit all den Leuten hier eine Einweisung gab.

»Ja«, sagte ich daher schnell. »Können wir da an der Seite ein paar Schüsse abgeben, bevor du dir die Gruppe hier vornimmst?«

»Könnt ihr machen.« Er starrte mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Kennen wir uns irgendwoher? Von einem Turnier oder so? Du kommst mir bekannt vor.«

Ich kam wahrscheinlich vielen Leuten in der Gegend bekannt vor. Es war noch keine zwei Monate her, dass auf meinem Parcours ein Toter gefunden wurde, und darüber hatten nicht nur regionale Zeitungen berichtet.

Dennoch schüttelte ich den Kopf. »Nein, ich schieße gar keine Turniere.«

»Trotzdem«, beharrte er, ohne die Gruppe in seinem Rücken zu beachten, die offensichtlich darauf wartete, dass er sich endlich mit ihnen beschäftigte. »Ich vergesse nie ein Gesicht, das ich mal gesehen habe. Ich komm schon noch drauf. Aber ja.« Er wedelte mit den Armen. »Schießt euch ein und geht los, dann habt ihr den Parcours für euch.«

Ich nickte dankbar und verzog mich mit Veit in die entfernte Ecke, auf der ein paar Scheiben in zehn, zwanzig, dreißig und vierzig Meter standen. Hinter uns begann der Mann mit volltönender Stimme seine Erklärungen.

Er war noch nicht fertig, als wir uns auf den Weg machten. »Und wenn ich einen von euch dabei erwische, wie er schon den Pfeil einlegt, obwohl er noch nicht mit Schießen dran ist, kracht’s!«

»Na hören Sie mal …« Irgendwer wollte sich wohl beschweren, doch die Stimmen wurden leiser, als wir tiefer in den Wald eintauchten.

Veit grinste mich an. »Wenn i besser schieß, lädst du mi zum Essen ein. Bist du vor mir, fahr’n mia nach Passau zum Inder, und ich zahle.«

Ah, den Herrn Kriminaler hatte wohl der Ehrgeiz gepackt. In dem neuen indischen Restaurant in Passau hatten wir unser erstes Date gehabt, und wir mochten es beide sehr. So oder so würde es wohl als Win-Win ausgehen, obwohl ich nicht vorhatte, Veit gewinnen zu lassen. Schließlich schoss er erst ein paar Wochen, während ich seit Jahren mit meinem Recurve über die Parcours zog.

»Deal«, stimmte ich zu.

Der Felsenschussparcours machte seinem Namen alle Ehre. Er lag nicht einmal zwanzig Kilometer von meinem eigenen entfernt mitten im Bayerischen Wald. Während es auf meiner Runde auf und ab ging und sich ein Bach am unteren Ende des Waldstückes befand, wurde der Weg hier immer wieder von Felsen gesäumt.

Bei einigen Schüssen stand man direkt auf dem blanken Stein und versuchte, sein Ziel unterhalb der eigenen Position zu treffen. Eine spannende Sache. Die 3-D-Tiere waren in ausgezeichnetem Zustand, die Schüsse abwechslungsreich und dennoch herausfordernd. Das Einzige, was mich hier wirklich störte, war der mangelnde Platz. Offensichtlich hatte der Betreiber nicht allzu viel Wald pachten können, sodass er gezwungen war, den Weg in Schlängellinien zu führen, sodass man immer wieder in einiger Entfernung an Zielen vorbeikam, die man bereits geschossen hatte. Trotzdem waren die Tiere so gut ausgerichtet, dass man nicht in die Gefahr geriet, in Schussrichtung zu laufen. Dieser Parcours würde echt eine Konkurrenz zu meinem darstellen. Wahrscheinlich musste ich langsam anfangen, über Werbung nachzudenken.

Ich hätte lieber über meine Konzentration nachdenken sollen, denn ich brauchte für einen Tiger auf etwa dreißig und einen Auerhahn auf weniger als zwanzig Meter jeweils einen zweiten Pfeil.

Veit amüsierte sich prächtig. Obwohl er diesem Hobby erst so kurz verfallen war, hatte er ein gutes Auge und konnte Entfernungen fantastisch einschätzen. Alles, was ihm noch fehlte, war ein bisschen Erfahrung, doch wenn er so weitermachte, würde ich es wirklich, wirklich schwer gegen ihn haben.

In der Mitte des Parcours befand sich als Raststätte ein kleiner Holzunterstand aus grob behauenen Baumstämmen, einem Bretterdach, rustikalen Bänken und Sitzflächen. Wir ließen uns für eine kurze Pause nieder.

»Er hod ned viel Platz hier«, stellte auch Veit fest. Aus einer seiner zahlreichen Westentaschen zog er einen Apfel hervor, brach ihn durch und bot mir eine Hälfte an. Ich teilte dafür meinen Riegel mit ihm, bevor ich einen Schluck Wasser trank.

»Stimmt. Schön gestellt ist er ja, aber bisher sind wir kaum anderthalb Kilometer gelaufen, schätze ich. Wahrscheinlich bekam er nicht so viel zu pachten, wie es nötig wäre, weil die Tierfreigehege von Neuschönau zu nahe sind. Das ist auch der einzige Vorteil, den mein Parcours ihm gegenüber bisher hat.«

Veit zuckte mit den Schultern. »Hier gibt’s genügend Schützen für eich beide. Zumal mia in Deggendorf und Bischofsmais keinen Compound schießen dürf’n. Die Compounder san froh, wenn sie gleich zwei weitere Parcours in der Gegend hobm, auf denen sie sich austoben dürf’n.«

Da war was dran. Ich kaute meine Apfelhälfte, als ich Stimmen hörte. Das war seltsam. Anfangs waren natürlich noch die Leute vom Einschießplatz zu hören gewesen, auch ab und zu später noch. Doch seit gut einer halben Stunde war es ruhig gewesen. Außerdem erklangen die Stimmen von oben, irgendwo auf dem Felsen vor uns.

Beunruhigt stand ich auf. Es kam immer mal wieder vor, dass Leute die Warnschilder ignorierten und direkt auf einem Parcours spazieren gingen oder Pilze sammelten. Das konnte gefährlich werden, wenn sie von den Schützen nicht gesehen wurden, und ich wollte notfalls jemanden davon abhalten, sich in Gefahr zu bringen.

Als ich mich umschaute, konnte ich niemanden sehen. Hatte ich mir das nur eingebildet? Ich drehte mich zu Veit um, der sich ebenfalls erhoben hatte und auf mich zukam. »Hast du auch gerade jemanden reden gehört?«

»I bin ned sicher. Vielleicht jemand auf der anderen Seite, am Ende des Parcours? So oane Art komische Akustik?«

Okay. Das war natürlich möglich. Dort, wo man den Parcours beendete, befand sich ein Wanderweg, der genau auf den Parkplatz zulief. Luftlinie konnte das nicht allzu weit von hier weg sein.

Gerade wollte ich Veit zustimmen, als ich die Stimmen wieder hörte. Und sie kamen von oben, nicht von der anderen Seite des Waldes. Ich legte den Kopf in den Nacken, um den Felsen hochzuschauen. Vielleicht gab es ja da oben den nächsten Pflock zum Schießen?

Bevor ich begriff, was ich da sah, stellten sich die feinen Härchen in meinem Nacken auf. Wäre da wirklich eine Abschussposition gewesen, hätte der Felsen gesichert sein müssen. Doch da war nichts – nur ein schmales Plateau, auf dem jemand stand. Eindeutig eine Frau. Ihre Stimme klang zu mir herunter, auch wenn sie zu leise sprach, als dass ich sie verstehen könnte. Telefonierte sie? Aber warum war sie überhaupt auf dem Felsen?

»Hallo?«, rief ich. Ich bemühte mich um einen ruhigen Klang, um sie nicht zu erschrecken, denn ich fand, dass sie ganz schön knapp an der Kante stand. Es mochten zwar nur sechs oder sieben Meter sein, zum Runterfallen war das jedoch schon eine ordentliche Höhe.

Die Frau reagierte nicht – jedenfalls nicht auf mich. Stattdessen schien sie mit jemandem zu streiten. Mich blendete die Sonne dermaßen, dass ich nichts weiter sehen konnte als ihre Figur im gleißenden Licht. Wie ein Schattenriss hob sie sich malerisch auf dem Felsenplateau über uns ab.

»Wir müssen sie da runterholen«, sagte ich zu Veit. »Wenn die Gruppe kommt und vielleicht unkontrolliert herumballert, kann sie von einem abprallenden Pfeil getroffen werden.«

»Dann schnell!«, sagte er, und wir eilten los, um den Felsen herum, die Anhöhe hinauf. Der Untergrund war tückisch; es hatte länger nicht geregnet, sodass der Boden knochentrocken war und man keinen Halt fand. Ich verlor die Frau aus den Augen, allerdings nicht aus den Ohren.

Ein schriller Schrei durchbrach die Stille des Waldes. Über uns raschelte es, krachte. Als ich herumwirbelte, sah ich einen Körper fallen.

»Scheiße!«, schrie ich. Wir drehten um und rannten zurück zum Rastplatz.

Das Dach war durchbrochen, und auf dem groben Tisch darunter lag eine blonde Frau mit ausgebreiteten Armen wie eine umgefallene weibliche Jesusfigur.

Nur dass diese nicht aus Holz, sondern aus Fleisch und Blut war. Noch während des Rennens riss Veit sein Handy aus der Tasche und wählte den Notruf. Meine Zähne klapperten aufeinander, als wir bei der Frau eintrafen.

Ich erkannte drei Dinge sofort. Die gedrungene Gestalt der blonden Frau, die bei der Gruppe den Ton angegeben hatte. Den seltsamen Winkel ihres Kopfes, der genauso gebrochen schien wie der Pfeil unter ihrer Hand.

Und dass sie tot war.

Wie gesagt. Man erwartete nicht alle Tage, auf einem Parcours über eine Leiche zu stolpern.

Nur dass mir das bereits zum zweiten Mal passierte.

Zwei

Notarzt, Polizei und die Gruppe von vorhin trafen beinahe zur gleichen Zeit ein. Ich fühlte mich ein wenig abwesend, als wäre mein Kopf ein Ballon mit zu viel heißer Luft. Rational war mir bewusst, dass ich unter Schock stand, aber Vernunft war gerade nicht meine große Stärke. Wir hatten versucht, die Frau wiederzubeleben, allerdings ohne Erfolg.

Veits Hand auf meinem Rücken war warm und beruhigend, seine Aussagen brachte er in ganzen Sätzen vor. Wie machte er das nur? Schien zu helfen, dass er als Kriminaler arbeitete.

Im Gegensatz zu dem, was Filme uns immerzu vermittelten, war nicht immer ein- und derselbe Polizist für sämtliche Unfälle, Unglücke und Verbrechen zuständig. Wir befanden uns hier in einem anderen Landkreis als dem von Veits Dienststelle, sodass er genau wie ich einfach nur als Zeuge erzählte, was wir gesehen hatten.

Der Notarztwagen war in einem Affenzahn auf dem Wanderweg entlanggerumpelt und hatte so gehalten, dass die Mediziner nur noch etwa hundert Meter quer durch den Wald zu uns laufen mussten. Jetzt fuhr er sehr viel langsamer und behutsamer wieder fort. Das Stimmengewirr um uns herum schwoll an. Die Gruppe, bestehend aus sieben Frauen und vier Männern jeder Altersgruppe, schaffte es offensichtlich nicht, ihre Lautstärke runterzuschrauben. Ich verstand, dass sie entsetzt waren, wirklich. Aber mussten sie sich gegenseitig übertönen in ihren Erklärungsversuchen, was passiert sein konnte? Ich wollte nur noch weg, doch Veit sprach noch immer mit einer Kollegin, die sich uns als KHK’in Oldhaver vorgestellt hatte. Sie war eine bedächtig sprechende, grauhaarige Frau Ende fünfzig, die genau die Ruhe ausstrahlte, die mir abging.

Ich hatte eine Art Déjà-vu. Heute saß ich zwar auf einer hölzernen Bank anstelle eines Findlings, und um mich herum wuselte es bedeutend mehr als vor ein paar Wochen, aber dennoch.

Ein Parcours war ein Parcours, ein toter Mensch war ein toter Mensch. Langsam kam ich mir vor wie Miss Marple, dabei konnte ich überhaupt nicht stricken. Ich nestelte an meinem Köcher herum, zog einen Pfeil halb heraus, strich über die Spitze, ließ ihn wieder zurücksinken. Dabei dachte ich über den zerbrochenen Pfeil nach, der unter der Toten gelegen hatte. Seine Federn hatten eine andere Farbe gehabt als die im Köcher der Frau.

Es handelte sich ebenso um einen Ausleihpfeil des Parcoursbetreibers, der, wie ich mittlerweile mitbekommen hatte, Thomas Kosinger hieß. Den Namen kannte ich. Nur weil ich selbst keine Turniere schoss, bedeutete das nicht, dass ich nicht regelmäßig Ergebnisse von Turnieren auf Facebook verfolgte. Kosinger war ein Superstar des Compoundschießens. Es gab nur wenige, die ihm das Wasser reichen konnten; mehrere österreichische Staatsmeistertitel bewiesen sein Können. Warum hatte er wohl ausgerechnet hier einen Parcours aufgemacht und nicht in Oberösterreich, wo er eigentlich herkam?

Abwesend lauschte ich einem der Männer aus der Gruppe, der jetzt beschwörend auf die Leute einsprach.

»Ich weiß nicht, warum Ella da oben war.« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und strich dunkle Strähnen schulterlangen Haars aus seinen Augen und hinter die Ohren. Sein Mund verzog sich zu einer Grimasse. »Sie wollte doch nur irgendwo austreten. Ich habe ihr noch gesagt, sie soll nicht so weit fortgehen – ich verstehe überhaupt nicht, wie sie hierherkommen konnte.« Er schniefte, zog ein Taschentuch hervor und schnäuzte lautstark. Seine Augen blieben trocken, was man von einigen der anderen nicht behaupten konnte.

Zwei Frauen hielten einander im Arm, die jüngere der beiden heulte leise, während ihre Freundin blinzelnd ins Leere starrte und ihr mechanisch über den Rücken streichelte. Ein paar wandten sich alle paar Minuten an die Polizisten, die das Gebiet abgesperrt hatten, und stellten sinnlose Fragen.

»War es ein Unfall?«

»Hat sie leiden müssen?«

»Können wir gehen?«

»Ich muss mal, können Sie sich beeilen?«

Sie kamen mir ein bisschen wie kleine Kinder vor, die sich langweilten. Mich irritierte ihr Verhalten auch in anderer Hinsicht.

Einige aus der Gruppe standen allein herum, machten Fotos von dem Felsen, kritzelten in kleine Notizbücher oder diktierten in ihre Smartphones.

Was ich davon so hörte, war seltsam. Sie beschrieben detailliert und akkurat die Umgebung, die Handlungen der Beamten und sogar das Benehmen der Anwesenden. Ein junger Typ mit schwammigem, blassem Gesicht äugte sogar auffällig unauffällig zu mir rüber, während er hastig etwas in eine Kladde schrieb.

Meine Beine fühlten sich viel zu schwer an, sonst wäre ich zu ihm rübergegangen, um ihn zu fragen, ob er vielleicht noch ein Ganzkörperfoto von mir machen wollte.

So wie ich diese merkwürdige Gruppe einschätzte, hätte der Kerl vielleicht noch Ja gesagt. Brrr. Creepy.

»Ronja?«

Ich schrak auf. Anscheinend hatte mich Veit schon mehrmals angesprochen.

»Ja?«

»Mia san fertig und können geh’n.«

Ich atmete tief aus und marschierte los, ohne mich noch einmal umzudrehen.

»Was denkst du?«, fragte ich, als wir außer Hörweite waren.

Er wand sich. Veit war ein toller Mann, aber er hasste es, irgendwas Berufliches preiszugeben, selbst wenn es nicht einen seiner Fälle betraf. Spekulationen waren ihm ein Graus, und ginge es nach ihm, würden selbst in Filmen und Büchern die Ermittler erst sämtliche Fakten und Informationen zusammentragen, bevor sie sich überhaupt äußerten. Offenbar war ihm überhaupt nicht klar, wie langweilig in dem Fall Krimis wären.

»Zum jetzigen Zeitpunkt …«, hob er an und sprach so geschwollen Hochdeutsch, als müsste er eine Pressekonferenz geben.

Ich unterbrach ihn sofort. »Nein, bitte nicht.« Mit zwei großen Schritten war ich vor ihm und zwang ihn zum Anhalten. »Es macht mich fertig, ehrlich. Das Universum bestraft mich doch dafür, dass ich ein Klischee auslebe, oder?«

»Oan Klischee?«

Fahrig fuchtelte ich mit den Händen vor seinem Gesicht herum, bis er sie festhielt. »Du weißt schon. Das arme Schneewittchen, das von einem reichen unbekannten Onkel erbt und sich damit ihren Lebenstraum erfüllen kann …?«

Seine dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen. »War des ned eher Aschenputtel? Wobei i ned glaub, dass die oan reichen Onkel g’hobt hod.«

War ja klar. Der Herr Kriminalbeamte musste Erbsen zählen. Dabei gab es doch gerade bei Aschenputtel genügend Tauben, die das für ihn erledigen konnten. Die guten ins Töpfchen, die schlechten … Ich dachte nach. Wo kamen die überhaupt hin? Was, bitte, reimte sich denn auf Töpfchen? Und überhaupt verstand ich unter einem Töpfchen wohl was anderes als die Gebrüder Grimm, denn dort würde ich sicherlich keine Erbsen reinwerfen.

Okay. Wer war jetzt hier der Erbsenzähler?

»Ich glaube, diese seltsame Gruppe bestand aus lauter Journalisten oder so was. Im Ernst, die haben angefangen, sich Notizen zu machen, als wollten sie gleich bei der BLÖD anrufen und ihren Bericht durchgeben.«

Veit schmunzelte auf seine typisch zurückhaltende Art. »Tatsächlich ist da oane von denen a Journalist. Oba die anderen san …« Er machte eine bedeutungsvolle Kunstpause, während er sich wieder in Bewegung setzte und mich damit zwang, ebenfalls weiterzugehen.

»Was denn?«

»Ois Bestsellerautoren!«

»Was?« Ich starrte ihn an. »Hab ich irgendwen nicht erkannt? Fitzek? Oder Kerstin Gier? Oder …«

Veits Gesichtsausdruck war so … nun ja … ausdruckslos, dass klar wurde, er nahm mich auf den Arm. Ich hieb ihm auf selbigen.

»Aua! Wofür war des?«

»Für das Nichternstnehmen deiner … ähm … Freundin?«

Er rümpfte die Nase. »Freundinnen hob i in da Schule g’hobt. Da hobm mia immer Zettelchen geschrieb’n. ›Mogst mit mia geh’n? Ja? Nein? Vielleicht?‹«

»Vielleicht«, betonte ich, »mag ich dir einen Pfeil in deinen Allerwertesten rammen, wenn du nicht bald mit der Sprache herausrückst. Also. Was für eine Gruppe ist das?«

»Wie i g’sogt hob.« Er zuckte mit den Schultern. »Na ja. Eventuell koa Bestsellerautoren. Oba hoid Autorinnen und Autoren, die sich im Internet kennengelernt hod und jetzat regelmäßig Ausflüge z’samma machen.«

Wie lernten sich denn Autorinnen im Internet kennen? Gab es da so was wie Tinder für das schreibende Volk?

Egal. Ich wollte wissen, was mit der Frau passiert war.

»War es ein dummer Unfall?«

»Woher soll i des wissen?«

Seine fragend nach oben gezogene Augenbraue täuschte mich kein bisschen. »Komm schon. Du hast dich sehr angeregt mit der Partnerin von Hauptkommissarin Oldhaver unterhalten. Sie hat dir bestimmt irgendwas gesagt, so von Kollegin zu Kollege.«

Veit legte seinen Compound über der linken Schulter ab und schwieg eine Weile, während wir zum Ende des Parcours strebten.

»Sie hoaßt Sanne Simon, und mia kennen uns noch von da Polizeischule«, sagte er schließlich. »I wusst gar ned, dass sie wieda in Niederbayern is’, weil sie sich damals zurück in ihre Heimat versetzen hod lassen. Ruhrpott, glaub i.«

Er lenkte ab, aber falls er dachte, dass ich darauf ansprang, weil er andere Frauen kannte, irrte er sich. Himmel. In seinem Job kannte er wahrscheinlich Hunderte Frauen. Das war mir egal. Mich interessierte nur, ob Oldhaver und Simon kompetent waren und was sie bereits herausgefunden hatten.

Also wartete ich einfach. Als Stilmittel in Krimis funktionierte das immer wunderbar, Veit jedoch mochte Stille. Und kannte dieses Stilmittel leider auch.

Ich musste nachhaken. »Wie heißt die Tote? Hat sie Familie? Wo kommt sie her?«

Das waren harmlose Fragen, die er sicherlich beantworten konnte.

Falls er wollte.

Er wollte zumindest nicht völlig stur sein. »Sie heißt Ella. Ella von Schmierk-Walther. Sie hod diese Gruppe namens WKEB gegründet.«

»WKEB? Was bedeutet das? Wir können es besser?«

Veit schnaubte. »Naaaa. Eigentlich is’ … i mein, eigentlich war Ella als Lebens- und Schreibcoach tätig. Daher auch Walthers Künstler- und Emotionen Beratung: WKEB. Sie hod oan Forum auf Facebook gegründet, des immer mehr zu oanem reinen Schreibforum wurde. Und jetzat treffen sich jedes Jahr immer oan paar der Mitglieder an verschiedenen Orten im Land, um …« Er hielt inne und dachte nach.

»Was denn?« Eigentlich wirkte er gerade nicht so, als wollte er mich auf die Folter spannen.

»I versuch, des genau wiederzugeb’n.« Er blinzelte langsam. »Ja, so hod ihr Stellvertreter es g’sogt. Um die richtigen Vibes zu empfangen.«

Vor uns war endlich der Parkplatz zu sehen. »Die richtigen Vibes?«, wiederholte ich. »Was bedeutet das?«

»I woaß ned. Host den Mann mit den Mädchenhaaren g’seng?«

Was waren denn Mädchenhaare, bitte schön? Dann fiel mir der Typ ein, der sich seine braunen Locken hinter die Ohren gestrichen hatte.

»Der, um den alle versammelt waren?«

»Genau.«

»Warum ist der so wichtig?«

»Host du überhaupt ned zugehört, was dort gesprochen wurde?«

Ich hob die linke Schulter an. »Entschuldige. Im Gegensatz zu knallharten Kriminalern stolpere ich nicht alle Tage über eine Leiche. Möglicherweise fühlte ich mich ja ein wenig abgelenkt, und meine detektivischen Spürsinne waren nicht aktiv.«

»Zumal die echte Spürnos’ zu Hause sitzt und wahrscheinlich schmollt.« Ha! Er scherzte, aber mir war nicht zum Lachen zumute. Kitten würde es mich definitiv spüren lassen, dass ich es gewagt hatte, ohne sie auf einen Parcours zu gehen, Nase hin oder her.

»Jedenfalls is’ des Sebastian Nguyen, der Stellvertreter der Toten.«

Nguyen? War das nicht ein vietnamesischer Name? Hatte ich schon jemals das Buch eines vietnamesischen Schriftstellers gelesen? Ich verscheuchte meine Gedanken, bevor ich wieder etwas Wichtiges verpasste.

Wir erreichten das Auto, und Veit verstaute seinen Compound. »Er hod g’sogt, des diesjährige Thema für die Vibes seien Mordschauplätze.«

Ich verstand nur Bahnhof. »Deshalb rennen die mit Pfeil und Bogen in der Natur herum? Klar können die auch als Mordwaffen hergenommen werden, aber im Prinzip ist jedes Küchenmesser effektiver.«

Ein kalter Schauder fuhr mir trotz der warmen Luft über den Rücken. Ich dachte an Nane Gallhuber. Als ich vor ein paar Wochen aus einem dummen Zufall heraus über die Tatsache stolperte, dass sie ihren Mann umgebracht hatte, war sie mit einem echt fiesen Messer auf mich losgegangen.

Na gut, sie war aber wohl auch nicht das beste Beispiel für einen effektiven Messermord. Schließlich hatte sie ihren Mann tatsächlich mit Pfeil und Bogen erlegt.

Veit, der gerade die Parcoursschuhe gegen seine hochglanzpolierten Alltagstreter tauschte, hielt inne. »Ois in Ordnung?«

Manchmal wachte ich nachts schweißgebadet auf, weil ich träumte, dass Nane mich doch mit dem Messer erwischte. Tagsüber konnte ich das eigentlich gut verdrängen oder wenigstens so tun, als wäre alles wunderbar. Nur dass Veit es trotzdem jedes Mal spürte, wenn dem nicht so war.

Er legte seinen Arm um meine Schulter. »Vielleicht host ja wirklich oan Talent dafür, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Oane Leich’ auf oam Parcours is’ Zufall, zwei san scho …« Er dachte nach. »Pech. Kosmisches Pech.«

Ein winzig kleines Grinsen zupfte an meinem Mund. Ein Hoch auf sensible Männer, die eine Situation nicht mit Kitsch, sondern feinem Amüsement entschärften. Das nannte man wohl Galgenhumor.

Ich rieb mir über die Arme, auf denen sich plötzlich die feinen Härchen um einen Stehplatz rauften.

»Wos?«, fragte Veit.

Mein Lachen verging mir schon wieder. »Keine Ahnung«, gab ich zu. »Aber meinen Galgenhumor habe ich wohl gerade zu Grabe getragen.«

»Des kommt in den besten Familien vor.«

Wir räumten unsere Ausrüstung zusammen und fuhren los.

»Also«, fasste ich zusammen. »Die Frau Ella von Irgendwas …«

»Von Schmierk-Walther«, warf der Herr Erbsenzähler ein.

»Ebenjene. Sie ist eine Art Guru für Autorinnen und Autoren, die sie auch in Lebensbelangen coacht, oder was?«

Veit zuckte lediglich mit den Schultern. Bedeutete, darüber besaß er zu wenige Informationen, als dass er sich eine Meinung erlauben wollte.

»Und coachte sie wie ein Trainer von der Bank aus oder schrieb sie selbst auch?«

»Oiso, ganz so einfach is’ des ned mit den Trainern auf der Bank«, fing Veit an. Da: Was sagte ich? ERBSENZÄHLER!

Bevor er einen ausführlichen Vortrag über Fußball halten konnte, fuhr ich gnadenlos fort.

»Schrieb sie jetzt selbst oder nicht?«

Wie jeder Mann fühlte sich auch Veit genötigt, auf eine direkte Frage mit einer direkten Antwort zu reagieren. »Sie is’ sogar sehr erfolgreich g’wesen, wurde mir gesagt.«

Ich zog mein Handy aus der Tasche und tippte ihren Namen in meine Ecosia-Leiste. »Oha. Das war sie echt, obwohl sie nicht mal für einen Verlag schrieb«, stellte ich überrascht fest. Eine Weile scrollte ich durch ihre gesammelten Werke. Sie hatte fleißig veröffentlicht, auch wenn sie nicht gerade meine Genres bediente. Dafür tauchten für meine Begriffe auf ihren Covern zu viele männliche Brustkörbe und Anzugtypen auf. Dennoch. Auf gut einem Drittel ihrer E-Books prangte ein Bestseller-Fähnchen.

»Wie es scheint, kann man mit starken Männern, schnellen Motorrädern und heißen Ständern …« Ich unterbrach mich, damit Veit meinen schlechten Witz auch ja mitbekam, doch er seufzte nur. »Jedenfalls kann man mit Bikern, Millionären und Aschenputteln offensichtlich richtig gut verdienen.«

»Es hoaßt ja ned umsonst ›Sex sells‹.«

Hm. Wenn er das so sagte mit seiner dunklen Stimme … Brrr. Was war denn mit mir los? Hatten mich die Cover doch mehr beeindruckt, als ich zugeben wollte?

»Wie auch immer. Sie wusste also, wovon sie sprach, wenn sie coachte. Aber was haben jetzt deine Kolleginnen gesagt? Halten sie es für einen Unfall?«

Veit hob eine dunkle Augenbraue. »Du ned?«

»Da waren Stimmen!«

Er schüttelte den Kopf. »I hob koane gehört.«

»Du standst ja auch hinter mir. Ganz sicher habe ich sie reden gehört. Und sie wird ja wohl keine Selbstgespräche geführt haben!«

Er hielt nur die Hand ans Ohr, als würde er telefonieren, und setzte den Blinker, um auf die Hauptstraße abzubiegen.

»Wurde ein Handy gefunden?«

»Des woaß i ned.«

»Falls sie wirklich allein war, warum hatte sie dann einen falschen Pfeil bei sich?«

Er blinzelte schnell. Das tat er eigentlich nur, wenn man ihn eiskalt erwischte, er es aber nicht zugeben wollte.

»Wos?«

»Das heißt ›Wie bitte?‹«, sagte ich würdevoll.

Er ging nicht drauf ein. »Oan falscher Pfeil?«

»Es war schon einer von den Ausleihpfeilen, aber in ihrem Köcher befanden sich die mit roten Federn. Unter ihr hat einer mit grünen Federn gelegen.«

Veit starrte konzentriert geradeaus, obwohl die Straße sich nicht gerade durch komplizierte Windungen auszeichnete.

»Des hob i ned gemerkt«, gab er zu. »Hod oba ned unbedingt was zu sagen. Vielleicht hod der Pfeil scho vorher dageleg’n?«

»Auf keinen Fall! Ehrlich mal! Den hätten wir gar nicht übersehen können, als wir Pause gemacht haben!«

Er wiegte nur den Kopf. Manchmal übertrieb er wirklich, was dieses »alle Umstände müssen in Erwägung gezogen werden« anging.

»Jedenfalls …«

Ausnahmsweise war er es, der mich unterbrach. »Jedenfalls is’ es tragisch, dass du scho wieder über oane Leich’ gestolpert bist, oba du solltest versuchen, es zu vergessen. Sanne und Yvonne san erfahrene, kompetente Beamtinnen, die wissen, wos sie tun. Überlass des eana.«

Mir blieb glatt einen Moment lang die Luft weg. Er tat ja gerade so, als hätte ich vorgehabt, mich in irgendwelche Ermittlungen einzumischen. So was würde ich nie tun! Nur weil ich ein einziges Mal einer Mörderin begegnet war – aber das auch nur, weil sie in der Nachbarschaft gewohnt hatte. Nicht, dass in meiner Nähe allzu viele Mörder wohnten. Hoffte ich zumindest.

So oder so. Ich war nicht nur über eine Leiche gestolpert, sie war geradezu … na ja … fast auf mich draufgefallen. Da durfte man doch wohl ein paar Fragen stellen?

Doch Veit schien entschlossen zu sein, den Vorfall zu vergessen. Was natürlich verständlich war. Da hatte er einmal einen freien Tag unter der Woche und dann passierte so was. Wie es schien, war ich nicht die Einzige, die von kosmischem Pech verfolgt wurde.

Drei

Natürlich war Kitten stinksauer. Wir hatten uns nicht abgemeldet, wir waren ohne sie irgendwohin gefahren, und wir hatten geschossen, wie man unschwer an der Ausrüstung erkennen konnte, die wir aus Veits Auto holten. Sie saß auf der Bank unter dem Kastanienbaum, und ihr Schwanz peitschte hin und her, als sie uns beobachtete.

Es spielte keine Rolle, dass sie am Morgen überhaupt nicht im Haus, sondern irgendwo auf der Jagd gewesen war. Sie hatte die Schuldigen für ihre schlechte Laune ausfindig gemacht und nicht vor, uns so einfach davonkommen zu lassen. Als ich mich näherte und sie streicheln wollte, duckte sie sich unter meiner Hand weg und sprang von der Bank. Anstatt wie üblich lautstark nach ihrem Futter zu verlangen, sauste sie davon.

»Na super.« Ich drehte mich zu Veit um. »Was für ein trauriger Tag. Eine Frau stirbt vor unseren Augen, und jetzt ist auch noch Kitten beleidigt. So hatte ich mir unsere gemeinsame freie Zeit nicht vorgestellt.« Obwohl ich selbstständig war, weil ich von meinem Bogenshop und dem Parcours direkt hier hinter dem Haus lebte, waren diese Momente nicht so häufig, wie wir beide es gerne hätten. Veit arbeitete als Polizist manchmal zu so unterschiedlichen Zeiten, dass es schwer werden konnte, Quality Time freizuschaufeln.

Er brachte die Bögen ins Haus und kehrte wieder zurück, setzte sich auf die Bank und zog mich neben sich. Ohne Widerstand ließ ich mich festnehmen … ich meine, fest in den Arm nehmen.

»I muss dir wos sog’n«, flüsterte Veit in mein Ohr.

»Ja?« Ein wohliges Kribbeln überlief meinen Nacken.

»I könnt’ oan Kaffee gebrauchen.«

Whoa! Romantik, dein Name sei Veit Leonhardt!

Bevor ich mich aufrichten und beschweren konnte, galoppierte Kitten in einem Mordstempo in unsere Richtung zurück. Sie trug etwas im Maul, und ich stöhnte.

Nicht etwa, weil sie eine großartige Mäusejägerin war. Ich hatte mich schon lange daran gewöhnt, immer aufzupassen, wo ich hintrat, weil sie gerne auch mal Eingeweide in der Gegend liegen ließ. Doch in letzter Zeit jagte Kitten nicht nur Nager, sondern ging auch auf Diebestour. In den vergangenen Wochen hatte sie mir unter anderem Sandkastenspielzeug, einen kleinen, extrem hässlichen Gartenzwerg, Geschirrhandtücher, diverse Tageszeitungen und eine Babydecke mitgebracht.

Es war auch so gar nicht peinlich für mich, bei meinen Nachbarn zu klingeln und zu fragen, ob diese Gegenstände ihnen gehörten.

Dieses Mal hatte Kitten wohl den Jackpot der Müllgrube geknackt. Mit gewisser Anstrengung, aber nicht ohne Würde, legte sie einen alten, zerschlissenen und stinkenden Stiefel mit einem abgetretenen Mörderabsatz vor uns ab, stellte korrekt ihre Vorderpfötchen zusammen und legte den Kopf schief.

Schaut mal, schien sie zu sagen. Was für ein grandioser Fund! Bin ich nicht die Beste?

Und klar, das war sie. Ich streichelte und lobte sie und versuchte, die schleimige Konsistenz der Erde oder was auch immer das auf dem Schuh sein mochte, zu ignorieren. Mit spitzen Fingern packte ich ihn schließlich und trug ihn in den Schuppen in die Ecke mit allen Gegenständen von Kittens Raubzügen, die ich bisher noch niemandem zuordnen und zurückgeben konnte. Kitten inspizierte ihren Schatz mit hochgerecktem Schwanz. Man könnte meinen, sie wäre ein Drache und das ihr Hort. Vielleicht würde ich zu Halloween ein Drachenkostüm besorgen und es ihr anziehen. Das würde sie furchtbar nerven, wäre aber auch schrecklich süß.

Da Kitten sich davon überzeugt hatte, dass ich mich gut um ihre Diebstähle kümmerte, marschierte sie wie ein kleiner General aus der Scheune, blieb im Eingang stehen und warf mir über ihre grau-weiße Schulter einen herrischen Blick zu.

»Mau.«

Ich seufzte. Jaja. Natürlich würde ich mich beeilen und ihr etwas zu essen kredenzen.

Als wir die Küche betraten, telefonierte Veit gerade, die Kaffeemaschine lief und Kittens Schälchen war gefüllt.