Sanguis Corvi – Das Blut des Raben - Jess A. Loup - E-Book
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Sanguis Corvi – Das Blut des Raben E-Book

Jess A. Loup

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Beschreibung

Für alle Leser*innen, die nie den Glauben an Liebe und Magie verloren haben. Eine Neuinterpretation von Krabat, die sich fragt: Was würde der erwachsene Krabat tun, erführe er, dass der teuflische Müller noch immer sein Unwesen treibt? 

Hanka erhob wieder das Wort. »Als ich noch ein kleines Mädchen war, hörte ich Geschichten von einem Jungen aus der Teufelsmühle,  der anders war. Der Gefühle zuließ, der wusste, was Liebe heißt.« Krayan sah sie nicht an, beugte sich stattdessen zur Seite und suchte nach seiner Kleidung. »Aber auch jetzt erzähle ich nichts, das fremd in Euren Ohren klingt, nicht wahr?« Er zog seine Beinkleider an. »Dieser Junge ist tot.« 

Mit sechzehn gerät Krayan in die Abhängigkeit der Schwarzen Mühle und ihres teuflischen Meisters, doch ihm gelingt die Flucht. Ein Dutzend Jahre später ist er zurück, ein weit gereister Soldat, durch Kriege und Kämpfe hart und kalt geworden. Er hat nur ein Ziel: sich am Müller für den Tod seiner Freunde und des geliebten Mädchens zu rächen. Der Liebe selbst hat er abgeschworen - bis er eine Frau trifft, die sein dunkles Herz berührt. 

»Eins meiner persönlichen Highlights in diesem Jahr! Jess A. Loup schreibt einfach wunderbar, diese Adaption der Krabat-Legende dürft Ihr nicht verpassen.« ((Leserstimme auf Netgalley)) 
»Das ist eine Märchenadaption, wie ich sie liebe: Man erkennt das Original, aber es wurde neu interpretiert und das auf eine mega coole Art und Weise.« ((Leserstimme auf Netgalley)) 
»Der fesselnde Schreibstil hat mich nicht losgelassen, die Geschichte wird sehr bildhaft erzählt, oft hatte ich Gänsehaut, habe mich gefürchtet, war gespannt was als nächstes passiert und habe natürlich mit den Protagonisten mitgefiebert und gefühlt.« ((Leserstimme auf Netgalley)) 
»Ich habe die Sage schon immer geliebt, die Filme genossen und die Musik gehört über Krabat. Aber jetzt diesen neuen Roman zu lesen, war einfach ein unglaubliches Gefühl. Mich hat es gepackt und nicht mehr losgelassen bis zur letzten Seite« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Natalie Röllig

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Eerilyfair Design

Covermotiv: Unter Verwendung von Motiven von Depositphotos, Shutterstock und AdobeStock

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

Carny Młyn, Februar 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carny Młyn, Februar 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carny Młyn, Februar 1543

Carna Wódnjata Góla, August 1555

Carny Młyn, Februar 1543

Carna Wódnjata Góla, August 1555

Carny Młyn, März 1543

Carna Wódnjata Góla, August 1555

Carny Młyn, Mai 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carny Młyn, August 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carny Młyn, September 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carna Wódnjata Góla, September 1543

Carna Wódnjata Góla, August 1555

Carny Młyn, Oktober 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carny Młyn, Oktober 1543

Carna Wódnjata Góla, August 1555

Carny Młyn, Dezember 1543

Mały Kolmow, August 1555

Carna Wódnjata Góla, Dezember 1543

Carna Wódnjata Góla, August 1555

Carny Młyn, Dezember 1543

Carny Młyn, August 1555

Mały Kolmow, 31. August 1555

Dank

»Das ist aber ein trauriges Lied«, sagte er. In seiner Stimme schwang die leichtherzige Unbekümmertheit der Jugend mit.

»Ach, du Dummkopf. Warum denn? Weil das Vögelchen stirbt?« Ein helles Lachen, als würden Dutzende winzige Glöckchen aneinanderstoßen, begleitete ihre Frage.

»Ja. Findest du das nicht schade, Lubinka?«

Sie flocht Gänseblümchen in sein widerspenstiges Haar. »Du bist manchmal so ein Kind, wie Hanka, meine kleine Schwester. Immer ist alles schwarz oder weiß, gut oder böse, himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt.«

»Das stimmt gar nicht«, protestierte er halbherzig, rührte sich jedoch nicht aus seiner Position von ihrem Schoß. Zu angenehm waren ihre warmen, sanften Finger an seinem Kopf, selbst wenn sie so etwas Albernes taten, wie einen Blumenkranz in seinen Schopf zu winden. »Aber der Tod ist immer das Ende, und das hat das Vögelchen nicht verdient.«

»Der Tod ist gerecht, denn er ereilt jeden, Dummkopf«, beschied ihn das Mädchen. »Und wäre es in dem Fall nicht besser, sein Leben nach eigener Vorstellung zu führen und alles auszuschöpfen, sodass man in der Stunde seines Todes weiß, man hat nichts verpasst?«

Er seufzte mit geschlossenen Augen. »Das Vögelchen war noch viel zu jung, Lubinka. Was kann es schon erlebt haben?«

»Die Liebe«, sagte sie leise. »Du hörst wohl nicht zu, wenn ich singe? Dieses Vögelchen hat alles Schöne erlebt, was das Leben zu bieten hatte, und als dann der Falke kam, hat es ihm trotz allem ins Gesicht gelacht.«

»Haben denn Falken Gesichter?«

»Musst du alles hinterfragen?«, rief sie, doch selbst mit geschlossenen Augen wusste er, dass sie amüsiert war. Er konnte sich nie daran satthören, nicht an ihrem Lachen, nicht an ihrem Gesang. Das Lied kannte er bis auf die letzte Strophe auswendig. »Dann eben in den Schnabel gelacht. Aber davon und von der Liebe hast du ja keine Ahnung!« Sie ließ seinen Kopf sanft zu Boden gleiten und erhob sich.

Er sprang geschmeidig auf. »Willst du schon gehen?«

»Ich muss. Und du auch, sonst wird noch jemand misstrauisch.« Schon wandte sie sich ab, in dem seltsam hinkenden, hüpfenden Gang, zu dem sie verdammt war.

Schnell wie der Wind war er hinter ihr her und hielt ihren Arm fest. »Ich weiß sehr wohl, was Liebe bedeutet«, flüsterte er und sah auf sie hinab. Obwohl er nicht sonderlich groß war, ging sie ihm gerade einmal bis zum Kinn. »Ich sehe sie in deinen Augen.« Er küsste ihre Lider. »Deiner kleinen Stupsnase.« Auch dort landete ein Kuss. »Deinen Wangen.« Sanft berührten seine Lippen ihre weiche Haut. »Und deinem Mund.« Endlich presste er den seinen darauf. »Und ich habe etwas für dich.« Er griff in sein Wams und zog eine kleine, flauschige Rabenfeder hervor. »Wenn du mich brauchst oder du einfach Zeit für mich hast, rufe mich damit.«

Das Mädchen wusste um die Bedeutung seines Geschenks. Sanft strich sie über die weiche Daune. »Das werde ich«, versicherte sie. »Aber nur, wenn du mir versprichst, kein Risiko einzugehen. Dein Meister ist furchtbar und du weißt, was dir droht!«

»Ich passe schon auf.« Er stahl ihr einen letzten Kuss, bevor sie sich umdrehte und trotz ihrer Behinderung in einen leicht schaukelnden Lauf verfiel, der sie viel zu schnell von ihm wegführte.

Carny Młyn, Februar 1543

Der Mann saß hinter einem mächtigen Eichenschreibtisch, dessen zerkratzte Oberfläche auf viele Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte Gebrauch hindeutete. Er wühlte in einem Stapel Pergamente, bis er schließlich ein Blatt fand, das ihm zusagte oder nützlich erschien, breitete es vor sich aus und strich mit einer fast zärtlichen Bewegung darüber. Erst dann hob er den Kopf und sah den zitternden Jungen an, der mit zerschlissener, schmutzig grauer Kleidung im Eingang stehen geblieben war. Seine bloßen Füße starrten vor Dreck, waren blutig gekratzt und vor Kälte angelaufen. Sie zeichneten ein Muster in das feine weiße Pulver, das jede Oberfläche dieser Kammer bedeckte.

Mehl.

Es legte sich auf seinen schwarzen, verfilzten Schopf, verklebte die Poren seines Gesichts. Er hatte das Gefühl, es drängte sich bereits in seine Lungen, umschlänge die Atemwege und schnürte ihm die Luft ab.

Ein spöttisches Grinsen spielte auf den Lippen des Mannes. Sein Gesicht wäre fast schön zu nennen gewesen, so ebenmäßig waren die Züge, die Nase gerade und stolz wie die eines römischen Patriziers, die Wangen glatt rasiert. Dennoch musste der Junge ein Schaudern unterdrücken, dabei hatte er weiß Gott schlimmere Entstellungen gesehen. Die Augen des Mannes bildeten einen seltsamen Kontrast zu dem Rest seiner fast noblen Erscheinung. Das eine war klar und hellblau wie ein unberührter Bergsee, das andere …

Es wirkte, als hätte jemand aus einem Flussbett oder jenem unberührten Bergsee einen ausgewaschenen gräulichen Kieselstein entnommen und ihn in die Augenhöhle des Mannes gepresst.

Der Junge konnte diesen Blick kaum ertragen, alle seine Instinkte schrien: Lauf! Lauf schnell und weit und blick nicht mehr zurück!

Doch er konnte nicht einmal mehr gehen, geschweige denn laufen. Vor einer halben Meile war er mitten im Wald über einen unter Moos verborgenen Stein gestolpert, einen Abhang hinuntergestürzt und benommen liegen geblieben. Beim Aufrichten war er gleich wieder stöhnend zusammengesackt. Sein rechter Knöchel gab einfach unter ihm nach und schwoll nach kurzer Zeit an. Dass er auf den Bach stieß, empfand er als Glücksfall, und nicht einmal die dünne Eisschicht, die er durchbrechen musste, konnte ihn davon abhalten, seinen Fuß hineinzutauchen.

Ba-dumm.

Ba-dumm.

Sein Herzschlag wurde lauter und lauter, dröhnte in seinen Ohren. Oder war es gar nicht seiner? Ihm schien, das Trommeln eines gewaltigen Pulses hülle ihn ein wie das Lebenszeichen einer Kreatur jenseits seiner Vorstellungen. Trotz der Kälte bildete sich Schweiß auf seiner Stirn.

Ba-dumm.

Ba-dumm.

In diesem Moment vernahm er das typische Knarren eines Mühlrads.

Wo eine Mühle war, gab es auch Menschen, und die würden ihm vielleicht etwas zu essen geben oder ihm gar mit seinem Fuß helfen können. Ein warmer Windhauch strich über sein Gesicht. Komm!, schien er zu flüstern. Komm näher! Mit aller Macht drängte es ihn in diese Richtung.

Immer wieder umknickend fragte er sich nach einer Weile, ob er fieberte und sich etwas einbildete. Der Wald rechts und links des Baches war dicht und dunkel, wer sollte inmitten dieser Wildnis eine Mühle bauen? Und doch erschien sie unvermittelt vor ihm.

Eben kämpfte er noch damit, sich auf den Beinen zu halten, dann blickte er auf und befand sich am Rande einer Lichtung. Hier entdeckte er eine mit Raureif bedeckte dreistöckige Mühle, die größte, die er je gesehen hatte, sauber aus Stein und Holz errichtet. Nebengebäude schlossen sich an, alles wirkte gut gepflegt, aber dennoch verlassen. Raben stoben von den Bäumen, ihr heiseres Rufen glich einer Warnung, fast einer Drohung.

Der Junge blieb instinktiv stehen und wagte es trotz allem nicht, sich zu nähern. Etwas, das er nicht greifen konnte, zog ihn weiter auf die Mühle zu, etwas, das jenseits von Hunger und Schmerzen lag.

Ba-dumm.

Ba-dumm.

Es hämmerte in seinen Schläfen.

Ein kalter Klumpen brannte in seinem Magen, und je mehr er sich sträubte, desto übler wurde ihm. Die schwarzen Vögel kreisten, krächzten.

Forderten sie ihn auf zu gehen oder zu kommen? Einen letzten Blick warf er über die Schulter, doch der Pfad, dem er gefolgt war, verschwand in der einsetzenden Dämmerung. Hinter ihm drohte eine weitere eisige Nacht, vor ihm ein Gebäude. Seiner Erfahrung nach ging Gefahr nur von Menschen aus, nicht von Häusern, selbst nicht von Mühlen, die …

Seine Härchen stellten sich auf. Die Mühle war schwarz! Wer baute seine Mühle aus einem teuflisch schwarzen Holz, welches selbst dem Mehl widerstand, das überall in der Luft lag? Plötzlich war ihm, als bekäme er einen Schlag zwischen die Schulterblätter, und er stolperte, hinkte, kämpfte sich vorwärts. Jetzt, da er auf der Lichtung stand, erschien es ihm sinnlos, wieder umzudrehen. Falls hier jemand lebte, hatte er ihn mit Sicherheit bemerkt. Schneekristalle – oder war es gefrorenes Mehl? – fegten ihm ins Gesicht; die feinen Härchen auf Armen und Nacken stellten sich auf. Er würde erfrieren. Heute Nacht wäre es so weit, der Schnitter käme ihn holen, wenn er hier keine Zuflucht fand.

Er klopfte an dem schweren Holz der Eingangstür und zuckte zurück, denn sie ging lautlos auf, als hätte sie ihn erwartet.

Sie … die Tür? Oder jemand?

»Hallo?«

Keine Antwort. Nur das stetige Knarren des Mühlrads, das sanfte Plätschern von Wasser, das ununterbrochen von den Schaufeln zurückströmte in den Bach, der an dieser Stelle eine weitaus stärkere Strömung aufwies als dort, wo der Junge seinen Fuß gekühlt hatte. Mittlerweile spürte er vor lauter Frost nicht einmal mehr sein Bein.

Er wagte einen Schritt vorwärts. Noch einen. Zögernd wie ein wildes Tier, das eine Falle witterte.

Und dann öffnete sich am Ende des Flurs eine weitere Tür und er hörte die Stimme, die schon der Wind zu ihm getragen hatte. »Komm näher.«

Welche Wahl hatte er schon? Keine.

Er folgte der Aufforderung, wobei er sich an der Wand abstützte. Ihn schwindelte, es schien, als würde der Flur länger und länger werden, sich verengen, wieder weiten, als kämen Schatten auf ihn zugeflogen und würden ihn durchdringen. Das war nicht gut, gar nicht gut. Er hatte Fieber und musste es schleunigst in den Griff bekommen. Vernahm er ein hohes Kichern? Die Dielen unter seinen Füßen, die er nicht mehr spürte, knirschten, als würden auch sie ihn auslachen. Alles ringsherum drehte sich, Stimmen riefen, Hunde bellten, Wölfe heulten, und die Raben … Immer wieder Raben! Sie krächzten ein schauriges Willkommen.

Der Junge biss die Zähne aufeinander, blieb stehen und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Er durfte nicht schlappmachen! Nicht zusammenbrechen, dem Fieber nicht nachgeben! Die Faust ballend hob er das Kinn, erreichte mit zwei weiteren wackligen Schritten die Tür und ging hindurch.

Mit einem Schlag war die Kakophonie aus Farben und Geräuschen verstummt, sein Blick hatte sich geklärt, war auf den Mann am Schreibtisch gefallen.

»Wir haben dich gerufen, Bursche«, sagte der.

Den Dialekt konnte der Junge nicht einordnen. Mittlerweile sprach und verstand er so viele Idiome, dass er beinahe instinktiv begriff, was jemand zu ihm sagte. Eine überlebensnotwendige Fähigkeit, manchmal.

Manchmal nützte nicht einmal sie ihm etwas.

»Ge… gerufen, Herr?«, brachte er hervor. Seine Kehle war trocken und ausgedörrt, das vermaledeite Mehl kratzte an seinen Stimmbändern.

»Wir haben dich gerufen, und du bist gefolgt.« Der Mann nickte. »Weißt du, wer ich bin?« Seine Sachen waren von ausgesuchter Qualität, und doch trug er über dem Leinenhemd eine Gugel; die Kapuze sollte beim Arbeiten das Mehl davon abhalten, durch den Kragen einzudringen und den gesamten Körper einzustauben.

»Ihr seid der Müller, Herr.« Es erschien ihm kaum möglich, denn dafür wirkte der Mann zu jung, er mochte kaum Mitte zwanzig sein.

Sein Gegenüber hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, dass es klatschte, und beugte sich vor. »Ich bin der Herr und Meister dieser Mühle, Bursche, begreifst du das?«

Nein, er hatte nicht das Gefühl zu verstehen, nur dass hier mehr vor sich ging, als er auch nur ahnte. Dennoch antwortete er. »Ja, Herr. Bitte, Herr: Gestattet mir, heute Nacht hierzubleiben und …« Sein Magen knurrte wie ein hungriger Wolf und ließ weitere Worte überflüssig werden.

Der Müller ignorierte sein Flehen, musterte ihn stattdessen von oben nach unten. »Wie alt bist du?«

Um Himmels willen, warum wollte er das wissen? Der Junge musste nachdenken, fühlte sich zu schwach, um sich zu konzentrieren. »Ich weiß nicht, Herr. Ist das alte Jahr bereits vorbei? Ich wandere schon so lange durch die Lande, dass mir jedes Zeitgefühl abhandengekommen ist, und dieser Winter scheint kein Ende nehmen zu wollen.«

»Vor sechs Wochen erblickte das neue Jahr das Licht der Welt«, erwiderte der Mann erstaunlich ruhig.

»Dann werde ich bald sechzehn, Herr. Mir wurde mitgeteilt, ich sei im April geboren worden.«

Der Müller lehnte sich zurück und strich sich mit der Hand über das Kinn. »Du bist klein und schwächlich für dein Alter. Und du siehst nicht aus, als kämest du aus diesen Gefilden. Woher stammst du?«

Sein verletzter Fuß drohte, unter ihm nachzugeben, und er musste sich an die Wand lehnen, um nicht umzufallen. »Herr, bitte!«

»Antworte!«, herrschte ihn der Müller scharf an.

»Ich wurde in einem kleinen Dorf in Dél-Dunántúl geboren. Ich glaube, Ihr nennt diese Gegend Transdanubien. Es gab nur wenige Einwohner, eine Mischung aus Kroaten und Ungarn.«

Die Augenbrauen des Müllers wanderten nach oben. »Sieh an, ein gebildeter Streuner. Kannst du lesen? Schreiben? Rechnen?«

»Ja, Herr. Der Pfarrer trug Sorge dafür, dass uns die Grundlagen vertraut waren.« Mit Rohrstock und Backpfeifen, wenn notwendig.

Und doch war der Junge dankbar, denn dieses Wissen hatte ihm in so manchen Städten eine warme Mahlzeit beschert.

Ein lauernder Ausdruck huschte über das Gesicht des Mannes. »Soso. Du sprichst von ihnen in der Vergangenheit – sie sind also tot? Alle?«

Konnte er seinen Geist lesen? Der Junge war kaum mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. »Ja, Herr. Eine kleine Abteilung des osmanischen Heers fand uns und …« Er schluckte. Wenn er die Augen schloss, vernahm er die kehligen Stimmen der Türken, sah ihre blitzenden Schwerter, hörte die Todesschreie der Männer, Frauen und Kinder. »Ich war im Wald gewesen, weil sich eine unserer Ziegen verirrt hatte. Als ich zurückkam …«

»Hast dich versteckt, Bursche? Dir in die Hosen gemacht?«

Ja und ja.

Er hatte sein Gesicht in den vom Regen schlammigen Boden gedrückt und gebetet. Doch Gott erhörte ihn nicht. Nachdem die wilden Reiter verschwunden waren, hatte er nur noch den Pfarrer gefunden, der sich an einen winzigen Lebensfunken und die aus seinem Bauch herausquellenden Eingeweide klammerte.

»Vielleicht hätten sie dir nichts getan«, hatte er geächzt. »Bist doch selbst zur Hälfte einer, wusstest du das? Als sie im Jahre des Herrn 1526 bei uns einfielen und den edlen König Ludwig erschlugen, da tat einer von ihnen deiner Mutter Gewalt an. Hat sie dir nicht erzählt, was?«

Nein und nein.

»Geh, mein Sohn. Such dir ein Leben irgendwo anders, finde dein Glück, Gott wird dich leiten. Hier gibt es nur noch verbrannte Erde«, hatte der Pfarrer gesagt. Und dann starb er. Ließ ihn allein zurück, allein mit vierundzwanzig toten Menschen. Bauern, die nie jemandem etwas zuleide getan hatten. Frauen, die ihm ab und zu etwas zu essen zugesteckt hatten. Kindern, mit denen er aufgewachsen war. Er begrub sie, jeden Einzelnen.

So hatte er sich auf den Weg gemacht, Monat um Monat. Hatte gearbeitet, gebettelt, gehungert, gefroren, war an glutheißen Feldern vorbeimarschiert, hatte sich in Städten und Dörfern verdingt als Schreiber, als Schäfer, als Knecht. Und jetzt war er hier und drohte jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren.

»Ich brauche einen Gehilfen«, drang die Stimme des Mannes wie von ferne an sein Ohr. »Ich habe schon welche, aber einer ist erst gestern Nacht gestorben. Du willst essen? Schlafen? Lernen?«

Der Junge horchte auf. »Lernen?«, wiederholte er schwach.

Der Müller lachte. »Das erregt dein Interesse, Bursche? Ausgerechnet das? Aber gut, gut. Umso besser. Ich lehre dich das Müllerhandwerk. Doch wenn du einwilligst, bringe ich dir weitaus mehr bei. Etwas, das dir niemand anderes anbieten kann.«

»Ja … Herr?« Was mochte das sein, hier an diesem Ort, der so abgeschieden und gar verloren wirkte?

Jetzt stand der Mann auf, schien zu wachsen, größer, dunkler, breiter zu werden. Er kam auf ihn zu, hüllte ihn in eine Schwärze, die selbst das weiße Pulver verschwinden ließ. Türmte über ihm, eine Präsenz, die mehr war als nur ein Müller oder Mann, und wieder glaubte der Junge, höhnisches Gelächter zu vernehmen.

Die Hand des Müllers erschien in seinem Gesichtsfeld, ein blutiger Schnitt zog sich über ihre Innenfläche. »Schlag ein, Bursche, zögere nicht. Ich gebe dir Arbeit und Nahrung für Körper und Seele. Ich lehre dich die Kunst der Künste, wenn dein Herz stark genug ist. Du musst dich entscheiden, jetzt und hier. Lehnst du ab, jage ich dich vom Hof und lasse die Hunde los.«

Die Hunde? Er hatte keine gesehen, aber auch ohne diese Drohung war er nicht mehr in der Lage, sich zu verweigern. Er hob die Hand, fühlte einen brennenden Schmerz und sah erst danach das kleine, scharfe Messer in der Rechten des Müllers. Das Kieselauge rotierte, das Bergseeauge leuchtete in einem unheiligen blau flackernden Feuer, als sich ihre blutigen Handflächen berührten. Dem Jungen war, als würden Flammen über seinen Arm lecken und ihn verzehren. Im letzten Moment unterdrückte er einen gequälten Aufschrei, und dann war es auch schon vorbei.

So schnell, wie er gekommen war, verschwand der Mann hinter dem Schreibtisch. Er nahm eine Feder, spitzte sie an und tauchte sie in das Fässchen, das neben seinem Ellenbogen stand.

Wo hatte er das aufbewahrt? Der Junge hätte schwören mögen, dass es bis eben noch nicht da gewesen war.

»Name?«

»Kray…« Der Husten schüttelte ihn heftig. Das Mehl hatte ihn am Ende doch besiegt.

»Kräh?« Der Müller lachte laut, als hätte er einen Scherz gemacht. »Passend, Bursche!«

»Nein, Herr. Krayan. Krayan Batur.«

»Zu lang. Viel zu lang. Das brauchen wir nicht.«

Der Junge beobachtete, wie sich ein dunkelroter, fast schwarzer Tropfen von der Feder des einäugigen Mannes löste und so langsam auf das Blatt herunterfiel, als würde er sämtlichen Naturgesetzen trotzen. Geradezu begierig saugte das Papier ihn auf, schien ihn zu verschlucken, nur um ihn sogleich wieder hervorzuwürgen.

Fassungslos beobachtete er, wie sich Zeichen bildeten, Buchstaben. Ein K erkannte er, ein R … war das ein A? Würde diese seltsame Tinte selbstständig seinen Namen bilden? Der Müller schrieb nicht, bewegte sich nicht, starrte nur mit seinem unheimlichen silbernen Auge hinunter, dann lächelte er auf eine furchtbare, zerstörerische Weise. Wie ein Wolf, der ein verirrtes Lamm entdeckt hatte.

Er hob den Kopf.

»Ich nehme dich zum Lehrling, Bursche. Die Mühle hat dein Blut als das ihre anerkannt.« Einen winzigen Moment lang fragte sich der Junge, was passiert wäre, hätten sich keine blutroten Buchstaben auf dem Pergament gebildet, doch ein leises, panisches Stimmchen warnte ihn davor, diesen Gedanken zu verfolgen, zumal der Mann weitersprach. »Ab heute bist du mein. Ich bin dein Herr und Gebieter, und was ich sage, ist Gesetz. Du gehorchst meinen Anweisungen ohne Zögern und nimmst an, was ich dich lehren werde. Vergiss dein bisheriges Leben und alles, was war. Ab heute nennst du mich Meister, und dein Name wird sein …«

Er beobachtete die letzten Schnörkel, die sich auf dem Blatt formten. »Krabat.«

Mały Kolmow, August 1555

Der Fremde näherte sich dem Dorf von Süden her. Schon lange, bevor er es sah, entdeckte er Anzeichen von Besiedlung. Dem Wald abgetrotzte Flächen zum Ackerbau, gefällte Bäume, die darauf warteten, mit Ochsenkarren abtransportiert zu werden, scheue Tiere, die die Furcht vor Jägern gelernt hatten.

Der Pfad, auf dem er ritt, war sandig und so weich, dass die Hufe seines Rappen tief versanken. Schweißflecken glänzten auf dem dunklen Fell des Tieres. Zu seiner Rechten hatte der Wald einem Feld weichen müssen; der Hafer stand gut und würde bald geerntet werden. Der Mann hörte das stetige Hämmern einer Axt, keine Zehntelmeile entfernt, wie er schätzte.

Dann verbreiterte sich der Weg und führte an einigen Häusern vorbei geradewegs auf einen Dorfanger. Zwei Frauen starrten ihn vom Brunnen aus an und zogen sich sofort zurück. Er spürte ihre Blicke in seinem Rücken, als er abstieg und das Pferd auf die Schmiede zuführte. Ein älterer, glatzköpfiger Mann unterbrach das Aufheizen seines Ofens, als er ihn erblickte. Langsam wischte er seine Hände und das schweißnasse Gesicht mit einem schmutzigen Tuch ab, bevor er auf ihn zutrat.

»Braucht Ihr Hilfe?« Er sprach laut; wie viele Schmiede war er wohl vom ewigen Lärm seines Berufs ein wenig schwerhörig. Mit seinen flinken, tief in den Höhlen liegenden, rot umränderten Augen musterte er den Fremden. Zweifellos entging ihm kein Detail. Weder das nur leicht gebogene Krummschwert, das in der Scheide hinter den staubigen Satteltaschen verstaut war, noch seine aus verschiedenen Regionen und Ländern gemixten Sachen, die keinen ernsthaften Rückschluss auf seine Herkunft zuließen. Das Misstrauen des Schmieds war geradezu greifbar, kein Wunder. Bewaffnete Männer zeigten sich in der Regel nie allein, und sie bedeuteten fast immer Ärger.

Er hatte nicht die Absicht, Ärger zu bereiten, nicht den Leuten aus Mały Kolmow jedenfalls.

»Ich habe gehört, hier gibt es ein Wirtshaus, in dem man auch übernachten kann.« Seine Stimme war rau und fühlte sich ungeübt an. Möglicherweise lag das daran, dass er – abgesehen von einem Einsiedler im Wald, der ihm auch von der Herberge hier erzählt hatte – seit Wochen mit niemandem außer dem Pferd gesprochen hatte. Und dieses neigte nicht dazu, Konversation zu betreiben, sodass er sich nicht in Höflichkeiten oder ausführlichen Gesprächen ergehen musste.

Der Schmied spuckte grauen Schleim aus. »Ein Wirtshaus, edler Herr? Wir haben da« – er deutete mit der linken Hand, an der ein Teil seines kleinen Fingers fehlte, hinter sich – »eine kleine Schankstube. Auf dem Dachboden kann man schlafen, wohl wahr. Aber das wird nichts für jemanden wie Euch sein. Ihr seid sicherlich Nobleres gewohnt.«

Der Fremde ließ seinen Blick schweifen. Diesem Dorf ging es gut. Die Häuser wirkten stabil und ordentlich, abgesehen von einer halb eingestürzten Ruine am anderen Ende des Weges, die rußverschmiert war und einem Gewitter zum Opfer gefallen sein mochte.

Vielleicht auch etwas anderem.

Oder jemandem.

Er wusste, dass man ihn beobachtete. Kinder huschten zwischen den Häusern umher, alte Frauen erschienen in offenen Türen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Diese Dörfler kannten weder Hunger noch Kälte, dafür etwas anderes: Angst. Sie wollten, dass er verschwand, am besten noch gestern.

Dabei war es nicht er, den sie fürchteten, nicht wirklich. Zwei Meilen entfernt, mitten im Wald, wo er am tiefsten und dunkelsten war, lebte das wahre Objekt ihres Grauens. Nichts sollte ihn auf sie aufmerksam machen, und das konnte leicht passieren, wenn etwas den Alltag ihres Dorfes störte.

Er schob sich den breitkrempigen, von Wind und Wetter ausgebleichten Lederhut aus der Stirn und tiefer in den Nacken. »Ich bin auf der Durchreise und müde. Ein Soldat kann sich nicht aussuchen, wo er schläft, deshalb bin ich für ein Strohlager und ein warmes Mahl dankbar.«

Der Schmied schien eine Weile an seinen Worten zu kauen, schließlich nickte er. »Nun gut. Könnt Ihr denn zahlen?« Kurz erhellte sich sein Gesicht, als der Fremde in sein Wams griff und ihm eine Münze zuwarf, die golden aufleuchtete. Er testete sie mit den Zähnen, bevor sie flink unterhalb seines Hemdes verschwand. »Kommt. Das Pferd könnt Ihr bei mir unterstellen, mein Lehrling wird es abreiben und füttern.«

Er folgte ihm auf den Hof. Der Schmied stieß einen gellenden Pfiff aus, woraufhin ein Junge von etwa dreizehn Jahren aus dem Haus stürzte. Einen Moment lang fuhr die Hand des Fremden an seinen Gürtel, dann entspannte er sich, als der Gehilfe anfing, frisches Stroh in eine der zwei leeren Boxen zu schaufeln.

Er tätschelte das Pferd, das unruhig tänzelte und leise schnaubte, als der Junge fertig war und sich näherte. »Wie ist dein Name?«, fragte er leise.

»Beno, Herr«, war die ebenso leise Antwort.

»Beno, das ist Isyan. Er ist nicht nur ein Pferd, sondern mein Freund. Ich werde es zu schätzen wissen, wenn auch du ihn behandelst, als wäre er dir lieb und teuer. Es soll dein Schaden nicht sein, verstehst du?« Er tippte unauffällig gegen sein Wams, und ein sanftes Klimpern war zu vernehmen. Die Augen des Jungen glänzten.

»Euer Freund wird mein Freund sein, Herr«, versicherte er hastig.

Der Fremde neigte den Kopf, sattelte den Rappen ab und warf sich die ledernen Taschen über die Schulter. Schweigend ging er dem Schmied hinterher, der ihn um die Stallungen führte und in ein geduckt stehendes zweistöckiges Haus hinein. Staub tanzte im Licht der untergehenden Sonne, die durch blank geputzte Fenster in einen Schankraum fiel. Dunkle Balken kreuzten sich über ihren Köpfen, links führte eine halb offen stehende Tür in die Küche, rechter Hand ging es auf einer hölzernen, ausgetretenen Treppe nach oben. Es gab nur drei Tische, alle leer.

Der Schmied machte eine ausholende Handbewegung. »Fühlt Euch wie zu Hause«, polterte er und klang dabei nicht allzu spöttisch. »Ich hole Hanka, die sich um Euch kümmern wird.«

Der Soldat erwiderte nichts und ließ sich stattdessen an einem Tisch nieder, von dem er sowohl die Wand im Rücken hatte als auch den Eingang und die Fenster im Auge behalten konnte. Die Satteltasche legte er auf dem Boden ab, bevor er sich mit einem Seufzen zurücklehnte und die Beine auf den leeren Stuhl gegenüber platzierte.

Er musste nicht lange warten, bevor seine scharfen Ohren leise Schritte vernahmen. Eine Frau huschte durch den Eingang hinein, sie näherte sich ihm flink wie ein Eichhörnchen und mit derselben freundlichen Ausstrahlung.

Der Blick des Fremden fiel auf sie, und er fuhr hoch, starrte sie an, verkrampfte seine Hand um die Stuhllehne.

Sie wich ein wenig zurück, ihre dunklen Augen aufgerissen und unsicher. »Verzeiht, mein Herr. Geht es Euch gut? Ihr seid so weiß und blass geworden, als hättet Ihr einen Geist gesehen.« Ihre Stimme klang melodisch, nach Musik, nach Frühlingserwachen, nach Hoffnung, wie der Soldat halb betäubt dachte. Ihr Gesicht … Ihr Gesicht war ihm fremd, aber o so vertraut. Herzförmig, vom lang anhaltenden Sommer tief gebräunt und die Nase mit Sommersprossen bedeckt. Doch die, die er vor seinem inneren Auge sah, war jünger, ein Mädchen noch, während er sich hier einer jungen Frau gegenübersah. Um die zwanzig, vielleicht ein bisschen älter.

Ob er einen Geist gesehen hatte? Reumütig schüttelte er den Kopf. Nur eine Erinnerung an ferne Zeiten, und die waren vorbei, so tot wie seine Seele. »Nein, verzeih mir«, sagte er rau. »Du erinnerst mich an jemanden, den ich kannte und … Verzeih«, wiederholte er linkisch.

Die junge Frau – vermutlich die Hanka, von der der Schmied gesprochen hatte – zupfte an einer rötlich blonden Strähne, die sich unter ihrem Kopftuch hervorgeschlängelt hatte. »Ihr seht aus, als könntet Ihr einen kräftigen Wein und etwas Herzhaftes zu essen vertragen. Bestimmt geht es Euch danach besser.«

»Keinen Wein«, wehrte er entschieden ab. »Bring mir Wasser, falls ihr eine Quelle hinter dem Haus habt, ansonsten Dünnbier. Gegen etwas Herzhaftes habe ich nichts einzuwenden.«

Ihr Lächeln kam nicht bis zu den Augen. »Wie Ihr wünscht. Karel meinte, Ihr wollt übernachten?«

Der Fremde nickte.

»Ich bringe Euch gleich einen Eintopf und bereite danach das Zimmer vor. Es ist nichts Großartiges, aber Karel meinte, Ihr seid Soldat?« Sie ließ es als Frage ausklingen, offensichtlich unsicher, ob sie den Schmied richtig verstanden hatte.

»Ja.«

»Dann wird es Euch nicht allzu sehr stören, dass wir nur einen kleinen Raum mit zwei Schlaflagern haben. Wenigstens seid Ihr unser einziger Gast und müsst Euch nicht mit dem Schnarchen eines anderen herumärgern.«

Sie plappert wie ein aufgeregtes Vögelchen an einer Wassertränke, dachte er.

Sein Herzschlag hatte sich mittlerweile wieder beruhigt. Grübelnd blickte er ihr nach, als sie in der Küche verschwand, und das Geräusch klappernder Töpfe und Pfannen ertönte. Es dauerte nicht lange, bis sie ihm eine Schüssel mit dampfend heißer Suppe und gesäuertes Brot brachte, dazu zwei große tönerne Krüge, einen bis zum Rand mit klarem, kaltem Wasser gefüllt, den anderen mit ebenso kaltem Dünnbier.

»Lasst es Euch schmecken«, wünschte sie, wandte sich wieder ab und hielt inne. »Verzeiht, Herr, falls ich zu aufdringlich bin. Aber habt Ihr einen Namen?«

»Ja.« Eine ungewohnte Regung wollte an seinem Mundwinkel zupfen – amüsierte ihn diese junge Frau etwa?

»Oh, ich habe mich selbst noch nicht vorgestellt: Ich bin Hanka.« Sie knickste sogar.

Er legte den Löffel ab, den er soeben in die Schüssel tauchen wollte, und stand auf, um in eine elegante, unangebrachte Verbeugung zu gehen, wie man sie höchstens an Königs- oder Fürstenhöfen sah.

»Nenn mich Kray oder Hauptmann. Zu Diensten.«

Carny Młyn, Februar 1543

Da waren Stimmen. Sie schienen von weit entfernt zu kommen, aber Kr…

Seine Gedanken flossen träge wie das Wasser an der Mühle.

Die Mühle!

Mit aller Macht kämpfte er darum, das Bewusstsein festzuhalten, welches ihm wieder zu schwinden drohte. Was war passiert? Wieso fühlte er sich, als hätte er sich den Kopf gestoßen? Und warum konnte er sich nicht an seinen Namen erinnern?

Er musste einen Namen haben!

»Er erwacht! Ich hab’s euch doch gesagt!« Eine helle, aufgeregte Jungenstimme.

»Ja, ist schon gut. Schrei nicht so, du machst ihm ja Angst.« Nein, machte er nicht. Nur dass er im wahrsten Sinne des Wortes im Dunklen trieb, bereitete ihm Kummer. Er konnte sich nicht erinnern!

Kr… Er wusste genau, dass so sein Name begann, dennoch schien es, als würde etwas seine Erinnerung auflösen wie Sand, der von Wasser fortgespült wurde.

»Krabat«, sagte jemand, der älter klang, mit mehr Autorität.

Krabat.

War das sein Name? Er hatte das Gefühl, dass er es sein konnte und trotzdem nicht ganz stimmte. Es würde zumindest zu den anfänglichen Buchstaben passen, die durch seinen widerspenstigen Geist zogen.

»Krabat, du musst aufwachen. Jetzt!« Eine kühle Hand presste sich an seine Stirn, und Blitze zuckten durch seinen Körper. Er schrie auf, als seine Augen aufsprangen, als hätte jemand von innen gegen die Lider getreten, und er fuhr hoch, die Arme abwehrend erhoben.

»Oho!« Der mit den kalten Fingern und der tiefen Stimme trat einen Schritt zurück. »Bleib ruhig. Alles ist gut. Verstehst du mich?«

Kr… Krabat? Hieß er wirklich so? Seine Blicke flogen hin und her. Wie es aussah, befand er sich auf einem Dachboden und lag auf einer dicken Strohmatte, während eine kratzige, aber warme Decke über ihn ausgebreitet war. Er bemerkte noch mehrere Betten, mindestens zehn Stück, doch direkt vor ihm standen nur drei Jungen, zwei von ihnen etwa in seinem Alter, einer eher ein junger Mann. Das musste der sein, der ihn auf diese schmerzhafte Art geweckt hatte.

»Wie … wo … bin ich?«

»Auf den Kopf gefallen, was?« Dunkelhaarig, klein, schmächtig. Augen wie eine Haselmaus, eine große, offensichtlich mehrfach gebrochene und daher schief zusammengewachsene Nase. Er steckte den Kopf zwischen seinen Gefährten hindurch und musterte ihn so aufmerksam, als hätte er zuvor noch nie jemand Fremdes gesehen.

Krabat runzelte die Stirn. Gefallen war er, daran erinnerte er sich noch. Und dann?

»Hier, trink erst mal.« Hellbraune Stoppelhaare, abstehende Ohren, Schultern wie ein Ochse. Das freundlichste Lächeln, das Krabat je gesehen hatte. Und in der Hand einen Weidenbecher, den er ihm an die Lippen presste. Krabat zog den Kopf zurück und griff selbst danach. Seine Finger zitterten, aber es gelang ihm trotzdem, das Gefäß festzuhalten und das kostbare Nass die Kehle herunterrinnen zu lassen, ohne allzu viel zu verschütten.

Die Erinnerungen explodierten, als die Eiseskälte des Wassers auf seinen Gaumen traf. Er stellte den Becher ab und drehte seine Hand, um auf den tiefen Schnitt zu starren, der wütend rot leuchtete.

»Ah, ich sehe, es kommt alles wieder. Du bist vom Meister aufgenommen worden und jetzt ein Teil der Zwölf.« Der große junge Mann war so hübsch wie ein Mädchen, mit schulterlangen Kastanienlocken und Augen in derselben Farbe. Allerdings waren seine trotz des zugigen Windes entblößten Arme so sehnig und muskulös wie die eines Holzfällers.

»Ein Teil der Zwölf?« Sein Magen knurrte, und der kleine Haselmausling lachte.

»Frisst du uns, wenn wir dir nicht gleich antworten?«

»Hör auf, ihn zu necken. Geh, und hol ihm Brühe oder was immer Wilgor ihm erlaubt, schon zu sich zu nehmen.«

Der Junge mit dem kurzen Stoppelhaar hob die Hand. »Brühe und ein kleiner, harter Kanten Brot. Nicht mehr! Sein Magen muss sich erst wieder an Nahrung gewöhnen.« Warme Augen musterten Krabat. »Warst lange hungrig, oder? Nachdem der Meister dich initiiert hat, bist du umgefallen, deshalb haben wir dich erst einmal hier hochgebracht.«

Der Kleine stob davon, bevor Krabat antworten konnte. Er nickte nur.

»Also gut.« Der Hübschling setzte sich mit verschränkten Beinen vor Krabats Liegestatt. »Hör zu, denn ich möchte mich nicht wiederholen. Du bist jetzt ein Teil der Zwölf. Das sind wir, die Gehilfen des Meisters. Den Meister kennst du schon, das ist der Herr der Mühle, er hat einen Blutvertrag mit dir unterzeichnet, richtig?«

Wieder nickte Krabat.

Er tippte sich mit dem Daumen gegen den breiten Brustkorb. »Ich bin Merkov, der erste Schüler des Meisters. Ist der Meister nicht da, hörst du auf mich, verstanden?«

»Ja. Muss ich dich ›Herr‹ nennen?«

Das brachte die beiden Jungs zum Lachen. »Nein, natürlich nicht«, versicherte der andere, den sie Wilgor genannt hatten. »Es bedeutet, dass Merkov am längsten hier ist, die meiste Erfahrung besitzt und trotz seines Mädchengesichts eine harte Linke führt, wenn es sein muss.«

Krabat riss erschrocken die Augen auf.

»Er stellt mich als Schläger hin«, murrte Merkov, grinste jedoch. Schnell wurde er wieder ernst. »Du musst versprechen, auf mich zu hören. Wenn wir laufen, laufe ich voran. Wenn wir fliegen, fliege ich voran. Schwimmen wir …« Er hob fragend die Augenbraue.

»Schwimmst du voran«, beendete Krabat den Satz. »Aber wir können nicht fliegen, wir sind keine Vögel!«

»Wir können alles, wenn unser Wille es erlaubt«, erwiderte Merkov ruhig. »Hat der Meister dir nicht versprochen, dich in die Kunst der Künste einzuführen?«

Krabat dachte nach. Das Gespräch mit dem Müller, da unten in der Kammer, lauerte noch immer verschwommen in seinem Kopf. Aber er meinte sich zu erinnern, dass der Mann etwas in der Art erwähnt hatte. »Doch«, sagte er zögernd.

In diesem Moment polterte der Haselmausling die Stiegen hinauf, in der Hand eine kleine Schüssel und ein ebenso knausriges Stück Brot. »Sieh mich nicht so an«, sagte er. »Hätte ich dir mehr gebracht, hätte Wilgor mir das Fell abgezogen und mich morgen zum Abendessen serviert.«

»Du hast alles richtig gemacht, Felnic. Krabat weiß es noch nicht, aber er wird uns hinterher dankbar sein, wenn sich seine Eingeweide nicht aufstülpen und er alles wieder von sich gibt, nur weil er lieber ein Festmahl hätte.« Er ließ sich von Felnic die Schüssel geben und hielt sie knapp außer Krabats Reichweite. »Iss langsam, hörst du? Sonst nehme ich es dir gleich wieder weg. Ich meine es ernst!«, warnte er, während Krabat das Wasser im Munde zusammenlief. Der Geruch, der aus der Schüssel aufstieg, war unerträglich – unerträglich lecker.

Trotzdem riss er sich zusammen und löffelte, so langsam es ihm möglich war, denn Wilgor sah aus, als würde er seine Drohung umsetzen, wenn er nicht gehorchte.

Er schaffte es sogar, einen Moment lang innezuhalten. »Ich weiß nicht, was die Kunst der Künste ist«, gab er zu. »Ich dachte, es wäre eine Besonderheit des Müllerhandwerks.«

Merkovs Augenbrauen führten eine Art Eigenleben, sie bewegten sich so ausdrucksvoll, dass von Zweifel bis Spott alles gesagt wurde, ohne dass er ein einziges Wort verlor. »Es ist jedenfalls eine Besonderheit dieses Müllerhandwerks«, antwortete er schließlich. Er legte seine Hände auf den Knien ab und richtete seinen Rücken so gerade auf, als hätte er einen Stock verschluckt. »Der Meister lehrt uns das Zauberhandwerk«, verkündete er ernst.

Krabat verschluckte sich und sah von einem zum anderen in der Annahme, dass sie alle drei gleich in Gelächter ausbrechen würden. Er wusste, dass in manchen Lehrlingsberufen der Neue gefoppt wurde, und wollte sich nicht an der Nase herumführen lassen. Doch Wilgor und Felnic sahen nicht so aus, als hielten sie das für witzig.

»Aber …«, stotterte er.

»Nichts aber«, schnitt ihm Merkov das Wort ab. »Es ist, wie es ist. Du hast dein Blut gegeben, bist von der Mühle akzeptiert worden und deshalb ein Teil von uns, unser Bruder, auf Gedeih und Verderb mit uns verbunden.«

Das klang nicht nur gewichtig, sondern fast schon drohend. Auch der Müller hatte davon gesprochen, dass die Mühle ihn aufgenommen hatte. Und seine ersten Worte waren gewesen: »Wir haben dich gerufen.« Wir. Nicht ich. Dabei war er weder ein Fürst noch ein König, sondern ganz allein gewesen.

Trotzdem konnte er nicht fassen, dass sie ihm ernsthaft weismachen wollten, er würde hier Zauberei lernen. »Wie soll das gehen?«, fragte er. »Ich meine, das ist eine Mühle. Sie mahlt Korn. Sie lebt nicht. Sie kann weder akzeptieren noch aufnehmen.« Er starrte in die ernsten Gesichter der Jungs. »Oder?«

»Der Meister sagte, du hättest Bildung. Glaubst nicht an Legenden oder Gerüchte, was?«, fragte Felnic.

Krabat schüttelte den Kopf.

»Und glaubst du an das, was du siehst?«, erkundigte sich Wilgor beiläufig, während sich Merkov geschmeidig erhob.

In seinem Fieberwahn hatte er gedacht, der Flur unten zur Kammer bewege sich, also war die Antwort wohl nicht grundsätzlich Ja. Trotzdem … »Eigentlich schon.«

Jeder der drei hielt plötzlich ein kleines Messer in der Hand, ähnlich dem, das der Müller benutzt hatte, um ihn zu zeichnen. Krabat fuhr zusammen, rutschte, so weit es ihm möglich war, zurück – er kam nicht weit, sondern stieß nach zwei Ellen gegen das Schrägdach. Sie würden ihn nicht erst füttern, um ihn dann zu töten. Oder gehörte das auch zum Initiationsritus der Müllergehilfen dazu, genau wie diese todernst vorgetragene Geschichte vom Zaubern? Doch die Jungs wendeten ihre Waffen nicht gegen ihn. Stattdessen stachen sie sich selbst in ihre Fingerkuppen, bis rote, dunkle Tropfen hervortraten.

»Sieh, was der Wille bewirkt«, sagte Merkov und breitete die Arme aus.

Nur dass da keine Arme mehr waren. Und auch kein junger Mann mehr. Stattdessen stand vor Krabat ein Rabe, groß, stolz, mit schwarz glänzendem Gefieder und klugen schwarzen Augen. Er legte den Kopf schief und krächzte. Im nächsten Moment waren auch Felnic und Wilgor verschwunden, während zwei weitere, kleinere Raben über Krabats Kopf segelten und triumphierend krächzten. Die drei schwarzen Vögel flogen aus dem Fenster hoch über Krabats Kopf; er konnte sie dort im Aufwind segeln sehen, bis sie zu kleinen, kaum noch erkennbaren Punkten geschrumpft waren. Schließlich fielen sie aus dem Himmel herunter, schneller, immer schneller, bis sie durch die Luke wieder zurück auf den Dachboden fegten. Die Schwingen gespreizt stoppten sie, als hätten sie zur gleichen Zeit denselben Befehl erhalten, und im nächsten Augenblick standen die drei Jungs wieder da – mit leuchtenden Augen und geröteten Wangen, die Haare zerzaust, als wären sie …

Als wären sie tatsächlich geflogen.

Sie waren tatsächlich geflogen.

Jetzt dämmerte es ihm, was die Kunst der Künste bedeutete, und die feinen Härchen auf seinen Armen sträubten sich. »Schwarze Magie!«, keuchte er. Seine Augen weiteten sich. Sie würden brennen, alle. Die ganze Mühle würde brennen, diese Jungs, der Müllermeister und auch er, einfach nur, weil er sich hier aufhielt. Mit zitternden Beinen kämpfte er sich hoch. »Ich muss weg!«

Merkov schenkte ihm ein dünnes Lächeln. In seinen Augen erkannte Krabat eine Mischung aus Melancholie und Resignation. »Diese Wahl hast du nicht mehr«, sagte er leise.

»Lasst mich gehen! Ich will mit Hexern und Hexen nichts zu tun haben!«

Wilgor seufzte und es klang, als hätte er diese Worte schon unendlich viele Male gehört und kenne den Ausgang der Debatte. »Du kommst nie wieder fort, Krabat«, flüsterte er. »Wer einmal beim Meister unterschrieben hat, gehört ihm. Er hat es dir gesagt, nicht wahr?«

»Er hat nicht gesagt, dass er mit dem Teufel im Bunde steht!« Krabat rang nach Atem, er bekam nicht genügend Luft. »Das habe ich nicht gewusst, und ich hatte keine Wahl, fiebernd und halluzinierend!«

Merkov verschränkte die Hände vor dem Körper. »Gefiebert magst du haben, halluziniert wohl eher nicht. Was immer du auch gesehen hast, war zweifellos echt.« Er sah zu Boden, schien eine Weile zu überlegen. »Komm mit, ich zeige dir alles. Es wird Zeit, dass du weißt, was von dir erwartet wird.« Mit einer beiläufigen Handbewegung in Richtung der anderen Jungs scheuchte er sie fort. »Geht wieder an die Arbeit, das Mehl mahlt sich nicht von allein, und der Rest wird sich auch nicht wie von Geisterhand erledigen.«

Der Haselmausling klopfte Krabat auf die Schulter. »Wirst schon sehen, in ein paar Tagen ist der größte Schock vorbei. Für die nächsten elf Monate hast du auch kaum etwas zu befürchten …«

»Sei still!«, fuhr ihn Merkov an, und Wilgor zerrte den schmächtigen Jungen mit sich fort, die Stiegen hinunter. Der Meisterschüler warf Krabat ein Bündel zu. »Hier, das ist für dich. Solltest du mehr Sachen brauchen, wendest du dich an Davtan, er ist dafür verantwortlich, dass alle sommers wie winters ausreichend eingekleidet sind. Warte mit dem Anziehen noch, bis du dich gereinigt hast, nach deiner Einweisung bringe ich dich in unser Badehaus, das dich wie einen König mit warmem Wasser empfangen wird.«

»Wirklich?«, staunte Krabat. Als er noch weit fort von hier gewohnt hatte, in einer Zeit, in der seine Mutter, Freunde und alle Bewohner seiner damaligen kleinen Welt lebten, hatten sie manchmal in den kältesten Tagen des Winters Wasser in dem großen Waschbottich erhitzt, um sich zu waschen. Von Badehäusern hatte er gehört und sogar einmal eines in einer großen Stadt von außen gesehen, von innen konnte er es sich nicht einmal vorstellen.

»Wirklich«, bestätigte Merkov. »Die Kunst der Künste kann dir viele Vorteile bringen, nur eines musst du immer bedenken: Alles hat seinen Preis. Merke dir das gut.«

»Welchen Preis?« Krabat besaß nichts von Wert und würde daher nichts geben können.

Als hätte Merkov seine Gedanken gelesen – und wer wusste schon, wozu der erste Schüler des Meisters in der Lage war –, lächelte er ohne Freude. »Kein Gold, Silber oder Edelsteine und doch das Wertvollste, was wir besitzen«, erklärte er.

»Ich besitze nichts Wertvolles!«

Merkov tippte ihm mit dem Finger an die Brust. »Du wirst schnell genug merken, dass das nicht stimmt. Jetzt komm, der Abend bricht bald herein.«

Krabat blinzelte verwirrt. »Wie lange habe ich geschlafen?«

»Geschlafen?« Merkov lachte. »Du warst bewusstlos, fast zwei Tage lang.«

Um Himmels willen! Kein Wunder, dass er sich schwach wie ein Neugeborenes fühlte! Immerhin war das Fieber zurückgegangen, ihm war nicht mehr gar so heiß und kalt zur selben Zeit.

Krabat beeilte sich, dem großen Jungen zu folgen, und wäre fast die schmalen Stufen der Stiege hinuntergefallen, die durch viele Jahre und das Gewicht vieler Füße ausgetreten und tückisch waren. Sie erreichten das erste Stockwerk und Merkov deutete auf verschiedene Türen. »Hier lehrt uns der Meister alles, was wir können müssen, aber ohne seine oder meine Erlaubnis und Anwesenheit wirst du niemals einen dieser Räume betreten, verstanden?«

Krabat nickte, und sie eilten die Treppe ins Erdgeschoss hinab, die breit und sicher war. Sie landeten in einer großen, schwarz verrußten Küche, in der mehrere Herde von einem hageren, schwarzhaarigen Jungen bedient wurden. Er nickte ihnen nur stumm zu, als sie eintraten, enthielt sich jedoch jeder Bemerkung.

»Krabat, stell dich gut mit ihm. Das ist Antsas, unser Koch. Antsas, unser neuer Bruder.«

Die einzige Reaktion des etwa siebzehnjährigen Jungen war das Anheben seiner Schultern, dann schüttete er Hirse in einen Topf und arbeitete weiter, als wären sie überhaupt nicht da.

»Ja, er ist kein großer Redner, der Antsas«, erklärte Merkov, als sie das Haus verließen. Es befand sich gegenüber der Mühle; erst jetzt fiel Krabat der Lärm auf, den das Mühlrad und der strömende Bach machten. Er runzelte die Stirn, ging durch die Tür zurück und befand sich in angenehmer Stille. Als er wieder zu Merkov trat, wartete der mit vor der Brust verschränkten Armen. »Natürlich hat der Meister dafür gesorgt, dass wir im Inneren aller Gebäude unsere Ruhe haben.«

Natürlich. Krabat schüttelte den Kopf, beschloss jedoch, sich vorläufig nicht mehr zu wundern, sondern alles in Erfahrung zu bringen, was ihm möglich war. Merkov hatte zwar etwas anderes behauptet, aber Krabat war sicher, dass es einen Weg gab, noch vor dem nächsten Morgengrauen zu fliehen und dieser Hexerei den Rücken zu kehren. Er hatte die Inquisition schon bei der Arbeit gesehen und nicht die Absicht, ihnen in die Hände zu fallen.

Merkov strebte schnurstracks auf die Mühle zu. Krabat rieb sich die Stirn. Er hätte schwören können, dass an dem Abend, als er hier eingetreten war, nur ein schmaler Flur existierte, der ihn in die Kammer des Meisters führte. Jetzt befanden sie sich in einem großen, offenen Raum, dessen Mittelpunkt das Kammrad bildete, das durch den Wellbaum mit dem Mühlrad verbunden war. Krabat hatte nur eine rudimentäre Ahnung, wie die hölzernen Rollen, Rohre und steinernen Teile der Mühle funktionierten, allerdings erkannte er über sich den Trichter. Eine breite, stabile Treppe führte nach oben, und ihnen gegenüber befand sich eine geöffnete Tür, durch die ununterbrochen Jungs stampften, auf den Schultern Säcke mit Korn. Er erblickte Wilgor, der ihnen zunickte, und auch den Haselmausling Felnic; die anderen hatte er noch nie gesehen.

»Keine Angst, du wirst sie alle kennenlernen«, sagte Merkov, der ihn weiterwinkte. »Das also ist unser Arbeitsplatz bei Tag. Jeder von uns muss sechs Stunden die Mühle füttern.« Krabats Augenbrauen wanderten ohne sein Zutun in den Haaransatz. Merkov schien alles zu bemerken. »Nur sechs Stunden, denkst du dir jetzt? Das ist leicht, hm? Wo doch die Lehrlinge anderer Meister vierzehn oder mehr Stunden am Tag schuften? Dazu bekommen wir auch noch drei Mahlzeiten am Tag, geradezu ein Luxus, wie ihn kaum hohe Herren haben, ja?«