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Fast alle tun es, aber kaum einer traut sich, über das Thema zu reden. Die Onanie ist eines der letzten Tabuthemen unserer Zeit und wird meist nur als Ersatzbefriedigung im Schatten der Partnerschaftserotik gesehen. Dabei findet sich in ihr ein sinnlicher Kosmos, der nicht nur Heranwachsenden die eigene Sexualität erschließen kann. 'Das Handbuch der Onanie' ermutigt dazu, die Facetten der Autoerotik zu entdecken und sich selbst und seine Vorlieben kennenzulernen. Und es beweist: Onanie bewusst erlebt und zelebriert schafft einen angstfreien und unbeschränkten Lustgarten, in dem man allein kraft seiner Fantasie auch von den verbotenen Früchten naschen darf. Gönnen Sie sich diese erotische Reise!
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Seitenzahl: 357
Wiebke und Axel H. Kunert
Für Janos, Janek und Jakob
Es war an einem sehr warmen Frühsommertag, als meine Frau und ich mit unseren drei Söhnen nach einem spontanen Kurzurlaub in Südfrankreich zurück in unser Schwarzwälder Heimatdorf fuhren. Hinter uns lagen einige sehr schöne versöhnliche Tage in der Provence, denen einige sehr schlimme Monate der Trennung, des Verlassen- und Betrogenseins vorangegangen waren. Doch bei allen Extremen, die wir im Hass und in der Liebe durchlebt hatten und die nun in einem Gefühl der wiederkehrenden familiären Normalität hinter uns lagen, hatten wir uns doch stets umkreist und neu ausgelotet, uns neu erfunden und neu erklärt. Und dabei ganz nebenbei entdeckt, dass die Autoerotik – die Onanie – jeden von uns beiden auf die eine oder andere Weise über diese schwierige Zeit gerettet hatte.
Wir waren wieder zusammen. Vielleicht nur vorerst. Aber wir hatten zumindest für den Augenblick geschafft, was viele andere Paare um uns herum, mal sehr laut – wie bei Boris und Babs Becker, mal von kaum einem anderen Menschen bemerkt – wie bei uns im Freundes- und Bekanntenkreis, nicht wagen wollten oder konnten: offen über die eigene, kleine Sexualität zu reden, über all ihre Ängste und Gier, ihr Hoffen und Sehnen, über ihre Höhen und Abgründe.
Die ganzen über tausend Kilometer vom Mittelmeer bis an die Donauquelle waren gepflastert mit den Geständnissen einer über elfjährigen Ehe, in der wir vordergründig stets jemand anderes waren, als wir es uns in unserem Innersten immer gewünscht hatten sein zu dürfen.
Das alles wäre wohl auch für uns nicht weiter der Rede wert gewesen, wären nicht auf einmal auch um uns herum die Menschen und ihre vermeintlich festgefügten Wahrheiten in Bewegung geraten. Wenn wir nach unserer zumindest im sozialen Umfeld offensichtlichen Geschichte befragt wurden und erläuterten, was uns getrennt und wieder zusammengeführt hatte, ernteten wir manchmal irritierte Ablehnung, manchmal aber auch entwaffnend ehrliche Geständnisse unserer Gesprächspartner über ihre eigenen sexuellen Unzulänglichkeiten und Enttäuschungen oder Siege und Gewohnheiten.
Der Dreiklang aus »Einsamkeit«, wegen ihr verübter »Masturbation« und daraus geborener »verheißungsvoller Erwartung« war auf einmal etwas unglaublich Gegenwärtiges, das so viele Menschen bewegte und in ihrem Alleinsein – in der Jugend, im Alter und auch in der Partnerschaft – ausfüllte mit Hoffnung und der ersehnten Befriedigung. Das Thema war all die Jahre des eigenen Lebens, war immer, zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft gegenwärtig, doch bis heute nie wirklich besprochen und diskutiert, nie bewusst erlebt und mit vertrauten Menschen geteilt worden. Es war – es ist – ein Tabu, selbst in einer Gesellschaft wie der unseren, die doch sonst keine dunklen Geheimnisse unter der Gürtellinie mehr kennt. Wir sind vertraut mit den seltsamsten sexuellen Prägungen, akzeptieren gesellschaftlich gleichgeschlechtliche Beziehungen, lassen jedem seine Vorlieben – aber was die Autoerotik alles bedeutet und einem Menschen sein kann, ist immer noch irgendwie »igitt«, ist schmuddelig und klebrig, auf jeden Fall nicht schicklich und mit unglaublich vielen Selbstzweifeln beim jeweiligen Akteur belegt – zumindestens ziemlich häufig.
Und wie es sich für einen investigativen Journalisten gehört, der sich für ein neues, noch unentdecktes Thema interessiert, machte ich mich auf die Suche nach geeigneten Quellen, um mehr über dieses Phänomen der Onanie zu erfahren, das die Menschen bewegt und sie treibt, das sie aber am liebsten verschweigen wollen – vor sich selber, auf jeden Fall aber vor allen anderen.
Aber was ich fand, war spärlich. Alte Sittlichkeits-Lektüren, neuere medizinische Leitfäden, manchmal eine literarische Textstelle, ein pointiertes Zitat – nicht mehr als ein eher verschämtes Reden um den heißen Brei.
»Dann schreib doch das Standardwerk zur Onanie selber, quasi das Handbuch der Onanie«, sagte deshalb eines Tages meine wiedergewonnene Frau zu mir, nachdem ich ihr wieder einmal von meiner Erschütterung berichtet hatte, dass ein den Menschen so gegenwärtiges Thema so wenig Beachtung in der allgemeinen Literatur genießt. »Nach allem, was du mir gebeichtet hast, müsstest du doch alle Fakten in den Händen halten, sozusagen ...«
Und ich begann tatsächlich darüber nachzudenken, was die Onanie in meinem Leben all die Jahre für eine Rolle gespielt hatte. Es war zweifellos eine dominante Rolle, was – wie ich heute weiß – normal ist für einen Mann, der kein sogenannter Frauentyp ist. Sicherlich ist es schmerzlich, sich einzugestehen, dass Mann all die Jahre nur ein kleiner Wichser war, wenn sich um einen herum der Wert eines wahren Mannes an der Zahl seiner Frauengeschichten definiert. Aber wäre es nicht für Boris Becker – und wohl auch für seine Familie – geschickter gewesen, er hätte sich in der bewussten Besenkammer allein mit seiner Vorhand einen runtergeholt, als einen Quicky mit der Putzfrau zu riskieren? – Der Thrill wäre der gleiche gewesen, nur mit geringeren Folgen.
Oder nehmen wir Bill Clinton, der so ungewöhnliche Praktiken für eine Praktikantin entdeckte. Seine mundgeblasenen Nachhilfestunden, die ja auch irgendwie Onanie mit fremder Hilfe waren, brachten seine Ehefrau Hillary die Anerkennung der gesamten Öffentlichkeit und mittlerweile eine eigene politische Karriere ein, weil sie aushielt, was ihr Ehemann an sexuellen Unzulänglichkeiten ziemlich öffentlich offenbarte. So gesehen war auch Billyboy in seinem Oral-Office nur ein kleiner Wichser und ich selbst mit meinen Wünschen und Begierden somit in ziemlich illustrer Gesellschaft.
Ich begann mich also zu trauen, meine eigene kleine Geschichte der Onanie niederzuschreiben. Wie von selbst entwickelte sich dieses von meiner Ehefrau angeregte Handbuch der Onanie, in dem ich exemplarisch versuche, die verschiedenen Facetten der Autoerotik zu umreißen. Und je mehr ich mein eigenes Leben durchforschte nach Begebenheiten mit der Onanie, nach den Wahrheiten und den Ursprüngen meiner eigenen sexuellen Bedürfnisse und Fantasien, desto mehr Dimensionen entdeckte ich in diesem jahrhundertelang verteufelten Handwerk, das den Menschen jedoch glücklicherweise nicht auszutreiben war.
Es war und ist ein ganzer Kosmos an sexuellen Möglichkeiten und Bedeutungen, den wir da in unserer Hand mit uns herumtragen. Onanie ist der einsame Akt, der immer voll unaussprechlicher Hoffnung auf einen anderen gerichtet ist, der uns Erfüllung bereitet in unerfülltem Verlangen, der unseren Hunger stillt und doch nicht satt macht, uns Enthaltsamkeit lehrt und damit erst zum Buhlen der Leidenschaft wird.
Die Arbeit an dem Manuskript zu diesem Buch wurde somit zum Befreiungsschlag eines verschämt gelebten Lebens. Es wurde formuliert in dem klaren Bewusstsein, im Moment der größten Erniedrigung, des größten Versagens – als »entlassener« Ehemann und Vater – den größten Erfolg in einem ganz gewöhnlichen, ganz alltäglichen Leben erzielt zu haben. Und das nur wegen dieser von eigener Hand entfesselten Leidenschaft.
Als mein Handbuch der Onanie schließlich fertig war, dieser umfassende Leitfaden durch das Wesen der Autoerotik, las ich es meiner Frau voller Erwartung vor; schließlich tat es unendlich gut, die Zusammenhänge des eigenen Lebens, die Verstrickungen und Wirrungen, die immer wieder auf unsere sexuellen Bedürfnisse zurückzuführen sind, einmal so deutlich vor Augen zu sehen. Als ich meinen Vortrag beendet hatte, schwieg meine Frau und Geliebte, sah mich mit gerunzelter Stirn an und sagte: »Das soll das ganze Handbuch der Onanie sein, das erste umfassende und vorbehaltlos ehrliche Werk über die Autoerotik, das das Abendland bisher gesehen hat?« – »Aber ja!?«
Ich war verwirrt, ahnte aber bereits ein verhängnisvolles Versäumnis als Ursprung dieser Nachfrage. Und richtig: »Es mag ja sein, lieber Axel, dass es in deiner autoerotischen Welt nur Männer gibt; aber auch wir Frauen wissen uns trefflich in Verzückung zu versetzen, wenn ihr Männer uns nur noch anätzt und vor lauter aufgestautem Trieb im Akt vergesst, auch uns über diese unaussprechlichen Gipfel zu tragen ...« Wiebke hatte recht. Über Wesen und Gestalt der weiblichen Autoerotik hatte ich in meinem Handbuch der Onanie kein einziges Wort verloren. Onanie war für mich ein rein männliches Thema gewesen, bestimmt von der Sicht auf meinen eigenen Körper und meine eigene Seele. Ich hatte einfach vorausgesetzt, dass das, was für mich und alle Männer gilt, so auch für alle Frauen gelten musste. Das stimmt wohl auch in vielen Fällen. Aber jetzt, wo Wiebke das sagte: sicher nicht in allen.
»Gib mir einmal das Manuskript; und gib mir den Laptop. Ich mache das schon«, sagte daraufhin meine Frau. Und sie zog sich für einige Tage in unser Arbeitszimmer zurück und überarbeitete mein Handbuch, das nun zu unserem gemeinsamen Werk wurde. Und so entwickelte sich aus dem rein männlichen Handbuch der Onanie unter den Fingern meiner Frau das wahre Handbuch der Onanie, in dem Frau und Mann zur Sprache kommen und meine manchmal zu maskuline Sicht der Dinge kompetent und feminin kommentiert wird (an der kursiven Schrift zu erkennen).
Wir als Autoren dieses Buches sind uns einig, dass wir nicht weniger als ein Tabu brechen wollen – nicht um irgendwelche gewaltigen gesellschaftliche Umbrüche zu erzielen, wie wir sie vielleicht den Aufklärungsfilmen der 60er und frühen 70er Jahre von Oswald Kolle verdanken –, sondern weil sich viel Leid vermeiden und viele Partnerschaften retten ließen, wenn mehr Menschen unverkrampfter mit ihrer Autosexualität umgehen könnten – sei es, weil sie wie jene, die nichts »anbrennen lassen können«, sich dann mehr auf ihren Partner konzentrieren würden, ohne stets von »fremden Früchten naschen zu wollen«, sei es, weil sie – wie die ewigen Gatten – lernten, die verschämten einsamen Aktivitäten mit der oder dem anderen zu teilen, sei es, weil sie – wie die meisten Heranwachsenden – sich nicht mehr verzweifelt, sondern genussvoll verzehrten nach dem ersten Mal.
Wir Menschen sind reif, die Onanie nicht mehr als das Schmuddelige zu sehen, das in irgendwelchen dunklen Ecken über irgendwelchen Pornoheften getrieben wird. Onanie ist völlig normal. Und wenn mit ihr ganz selbstverständlich umgegangen wird, tun wir uns viel leichter in unserem täglichen Leben – wir werden glücklicher! Es ist wirklich so.
Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Dieses Handbuch der Onanie haben keine schillernden Szene-Menschen geschrieben mit einem ausschweifenden Liebesleben, sondern ein ganz normales, bis dahin biederes Ehepaar mit drei Kindern, das in einem kleinen Häuschen in einem Dorf im Schwarzwald lebt, ein ganz normales Leben eben. Mit ganz normalen Sehnsüchten und Verlockungen. Und ganz normalen Problemen. Und genauso normal ist nämlich auch die Onanie.
Wiebke und Axel H. Kunert
1. KAPITEL
Meine Mama hat gesagt: »Meine Kinder sollen alle ein eigenes Bett haben; und was da unter der Bettdecke passiert, das geht nur sie selbst was an.« Was da aber passieren könnte, das sagte sie nicht und das war mir – gerade vier Jahre alt – auch auf Anhieb nicht so ganz klar; es musste aber was Heikles sein, was Dunkles, sonst wären meine durchweg größeren Geschwister nicht so auffällig rot im Gesicht geworden. Upps, das war ungewöhnlich. Es begann mich zu interessieren, was da unter der eigenen Bettdecke stattfinden konnte, von dem sonst keiner etwas wissen durfte und sollte. Etwas, das bei uns in der Familie hochoffiziell erlaubt sein sollte, anderswo – und vor allem bei meinen Großeltern – aber wohl ausdrücklich sanktioniert war. Das war ganz offensichtlich ein Geheimnis und Geheimnisse sind für ein kleines Kind, wie ich es damals war, immer gut.
Ich malte mir die lustigsten Dinge aus, die man unter einer Bettdecke so alles treiben konnte: mit kleinen Autos spielen, mit der Taschenlampe durch die Gegend leuchten, mit Hilfe der Taschenlampe Bücher anschauen, wenn man eigentlich schon hätte schlafen sollen, sich einfach vor den anderen verstecken, ungezügelt vor sich hinpupsen ... Alles das kann man unter seiner eigenen Bettdecke machen. Aber muss man deswegen rot werden, wenn darüber gesprochen wird? Wegen des Pupsens vielleicht, aber das taten meine Geschwister auch außerhalb ihrer Bettdecken, ohne deswegen in Scham zu versinken, auch wenn es anschließend von irgendwoher aus der Erwachsenenwelt einen vorwurfsvollen Kommentar gab.
Also machte ich mich geflissentlich daran, die Dinge zu erforschen, die sich mit dem, was es unter Bettdecken so alles zu bewerkstelligen gibt, verbinden könnten. Und da ich damals alle relevanten Personen gerade beieinander hatte, fragte ich munter drauflos, mitten hinein in die nach dem Ausspruch meiner Mutter noch sichtlich irritierte Familienrunde: »Was passiert denn da, außer dass man da rumliegt?«
Meine Geschwister wurden noch ein wenig röter, besonders die Mädchen – das fiel mir auf. In meiner Erinnerung gibt es ein verschämtes Kichern dazu und ein wenig Gemurmel. Aber auch eine Antwort und das war für mich ziemlich wichtig: »Na, da kannst du deinen Pieschmann anfassen, ohne dass sich jemand dadurch gestört fühlt.« Sagte jetzt meine Mutter. Und sie erzählte noch, dass sie als kleines Mädchen keinen so minimal intimen Rückzugsbereich hatte, wo sie sich und ihren Körper erforschen konnte, weil sie sich Bett und Decke mit ihren Geschwistern teilen musste, damals in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Meine älteste Schwester war übrigens inzwischen nach dem letzten Satz meiner Mutter über Gebühr pikiert aus dem Wohnzimmer gelaufen, meine wild pubertierenden Brüder indes hatten wieder ihre normalen Gesichtsfarben, sieht man einmal von ihren Pickeln ab, die natürlich auch ohne Scham ihr Signalrot behielten. Und meine Brüder zeigten steigendes Interesse an dem so öffentlich diskutierten Thema, was ich darauf zurückführte, dass durch die Erwähnung meines Pieschmanns ja eher der männliche Teil der Diskussionsteilnehmer angesprochen worden war.
Ich hingegen war nur enttäuscht: Das sollte alles sein, was diese merkwürdigen Reaktionen erzeugte? Dieses fleischige Teil im Schritt, das, egal wie man es wusch, einen unangenehmen Geruch auf den Fingern hinterließ, wenn man es angefasst hatte? Das in seiner Form und Lage sich allerdings zwangsläufig dazu anbot, es anzufassen, zumal Gestalt und Struktur nicht mit den offensichtlichen Funktionen zusammenpassten – zumindest für einen Vierjährigen. Das zwar für ein Körperteil ungewöhnlich wandlungsfähig war, doch mit zunehmendem Alter – wie bei meinem Papa – nur größer wurde und nicht, wie etwa die Zähne, die mich weit mehr interessierten, irgendwann ausfiel und durch ein neues Ding ersetzt wurde. Deswegen das ganze Gewese?
Meinen Pieschmann oder in der Erwachsenensprache »Penis« – das wusste ich schon mit meinen vier Jahren –, den fasse ich auch weit abseits meiner Bettdecke viele Male am Tag an: auf dem Klo, wenn ich mich anziehe, wenn ich ihn zurechtrücke, weil er irgendwie bei Laufen wehtut, wenn ich mit anderen Kindern Doktor spiele. Ihn auch noch im Bett anzufassen, das ist doch nun wirklich nichts Besonderes! Zumal es wirklich kein Spaß ist, anschließend die ganze Nacht die stinkenden Finger riechen zu müssen. – Nein, nein, das konnte man mir nicht erzählen. Der Emotionskanon hier am Tisch musste tiefere Ursachen haben, solch eine Lächerlichkeit wie der Pieschmann, oder was immer die Mädchen da haben, konnte meine Geschwister nicht in solche Verhaltensabgründe stürzen. Da musste oder konnte zumindest mehr dahinterstecken.
Mein Vater, bisher ruhiger Beobachter der Szene, kam meinen weiteren Nachfragen zuvor: »Pass auf, Axel, glaube mir, du wirst noch herausfinden, was Mama meint. Und nun lass man gut sein.« Aber als jüngstes von sechs Kindern ist man gewohnt, sich durchsetzen zu müssen. Und so leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben. »Aber ...«, setzte ich an, um tiefer in dieses Geheimnis des Lebens vorzudringen, doch mein Vater schnitt mir das Wort ab: »Gib Frieden, Kurzer! Es ist viel aufregender für dich, wenn du selbst dahinterkommst.« Und ich schwieg. Denn etwas Aufregendes erleben ist tatsächlich tausend Mal besser, als etwas nur vom Hörensagen mitzubekommen. Und mein Vater sollte recht behalten.
Allerdings ahnte er wohl auch nicht, welchem ungezügelten Forscherdrang er bei seinem damals zwei Käse hohem Filius mit seinem Ausspruch in der Folge Tür und Tor geöffnet hatte. Fortan herrschte bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit rege Betriebsamkeit unter meinem Zudeck, wobei ich alle genannten Bedingungen des erteilten Forschungsauftrages penibel einhielt: Ich schritt nur im eigenen Bett und unter meiner eigenen Decke zu den verschiedenen forensischen Experimenten rund um meinen Schniedelwutz (diese Vokabel hielt übrigens im Alltagsgebrauch mit dem Aufstieg von Otto Waalkes als Blödelbarde der Nation in unserer sonst recht sittenstrengen Familie Einzug). Ich achtete sehr darauf – zumindest in der Frühphase meiner wissenschaftlichen Laufbahn –, nicht etwa auf Reisen, in Hotelbetten oder beim Camping meinen Wissensdrang in konkreten Versuchsreihen auszudrücken. Und ich betrieb meine Forschungen – wie jeder eifersüchtige Wissenschaftler – absolut im Verborgenen, um ja kein Ergebnis meiner Arbeit vor der Zeit nach außen dringen zu lassen.
Nun, nach knapp drei Jahrzehnten intensiver Recherchearbeit, dabei in den letzten Jahren tatkräftig unterstützt durch meine Forschungsassistentin und Ehefrau, möchte ich meiner Familie und allen anderen, die es interessiert – und das sind meines Wissens nach alle Menschen auf dem Erdenrund, denn ausnahmslos alle Leute onanieren –, die Ergebnisse meiner ausgefeilten Studien und aufregenden Exkursionen unter meiner und anderer Leute Bettdecken präsentieren. Ich möchte alle Welt teilhaben lassen an dem Prickeln der Autoerotik, an den von mir entdeckten sensationellen Auswirkungen der Selbstbefriedigung auf die Evolution und die Jugend-Kosmetik, aber auch auf die gesamtgesellschaftlichen Gefahren hinweisen, die abseits des normalen Verletzungsrisikos in der exzessiven Masturbation stecken. Und ich möchte jeden Interessierten anleiten, anhand meiner weitreichenden Erfahrung in diesem Bereich die eigene Lust am eigenen Geschlecht aus wirklich guten Gründen zu steigern.
Mein letztes und vielleicht wichtigstes Forschungsergebnis auf dem Gebiet der von meinem Vater initiierten und von mir begründeten Onanieologie möchte ich aber gleich zu Beginn dieser Veröffentlichung mitteilen: Stehen Sie zu Ihrem sexuellen Handwerk, zumindest zu Ihrem offenkundigen Interesse daran. Lesen Sie die folgenden Kapitel dieses Buches nicht heimlich dort, wo Sie normalerweise auch Ihrer Handarbeit nachgehen würden; sondern lesen Sie es ganz offensichtlich, auf einer Bank im Park, in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit oder daheim im Wohnzimmer oder im Ehebett. Die Wirkung wird für sie überraschend sein, auf jeden Fall. Denn aus dem gleichen Grund, aus dem meinen Geschwistern damals die Röte ins Gesicht fuhr, als meine Mutter im Rahmen einer Kindheitserzählung von ihrem Wunsch nach ungestörter Onanie berichtete, möchten Sie dieses Buch vielleicht vor Ihrer Umwelt verstecken: Schuldgefühle. Doch die sind völlig unnötig, denn jeder treibt es mit seinen Fingern – und wenn tatsächlich doch einmal einer nicht, so kann man auf den ersten Blick meist sagen: Der hätt’s aber wirklich nötig!
Befreien Sie sich von diesen Schuldgefühlen, stehen Sie zu dem, was uns Menschen Mensch sein lässt: eine vollständig selbstbestimmte Sexualität, die nicht mehr naturbedingt allein nur von der Arterhaltung festgelegt ist. Und vergessen Sie den Schmu, wer onaniert, dem fehle nur der richtige Partner. Dieses Buch wird Ihnen zeigen, warum nur das leidenschaftliche Feuer der Selbstbefriedigung einen wirklich geläuterten Liebhaber/eine wirklich geläuterte Liebhaberin aus Ihnen machen kann.
2. KAPITEL
Haben Sie sich mit dem Buch jetzt wenigstens in den Garten oder auf den Balkon getraut? – Dann ist es gut so, zeigt es doch, dass auch Sie die Heimlichkeiten rund um Ihren Schoß als einengend erleben, dass Sie sich frei machen wollen von den emotionalen Restriktionen, dass Sie nicht glauben wollen, dass irgendetwas in Ihrem Leben, das ja niemandem irgendeinen objektiven Schaden zufügt, so verwerflich sein kann, dass man es zu Tode schweigen müsste vor sich selbst und den anderen.
Okay, okay. So verklemmt ist die Gesellschaft nicht mehr. Das stimmt. Und das ist wohl auch angebracht in unserer modernen Welt. Aber die Selbstbefriedigung als Thema ist immer noch etwas, das im normalen zwischenmenschlichen Trott für Irritationen sorgt. In Talkrunden kann sich der Teilnehmer als Provokateur profilieren, wenn er irgendwie die Vokabel »onanieren« in seine Gesprächsbeiträge zwängt. Wenn er über die Onanie als Kunstform plaudert, vielleicht an sich selbst andeutet, wie er es machen würde. Die Rolle als Provokateur, die der geoutete Onanist dabei einnimmt, hat allerdings eine überraschend lange Tradition in der nicht nur abendländischen Welt, sodass es eigentlich gar nicht mehr so originell ist, über die eigenen Erfahrungen mit der Selbstbefriedigung öffentlich zu reden; die Tradition reicht sogar zurück bis in die Bibel, ins Alte Testament, hinein bis ins allererste Buch Mose. Hier im 38. Kapitel gibt es die kurze und bereits leidvolle Geschichte des Urahns aller Wichser, Onan.
Onan war der zweitälteste Sohn des Juda, eines der Stammväter des Alten Testaments. Die ganze Familie damals bestand aus umherziehenden Hirten, die Zeiten waren hart, Frauen in der damals von Männern geprägten Gesellschaft ein rares Gut – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das hatte allerdings damals völlig andere Konsequenzen, als man an dieser Stelle jetzt vermuten würde.
Als sich nämlich Onans älterer Bruder, Ger, als ziemlich ungebührlicher Knabe entpuppte, tötete ihn der Herr, wie damals üblich. Ob der Herr sein leiblicher Vater war oder ein im heutigen Sinne metaphysischer Vater, darüber kann man sich mit etlichen Gelehrten streiten. Jedenfalls war Papa Juda ob der damaligen Frauennot praktisch veranlagt und verlangte von seinem Zweitgeborenen Onan – wie sollte ein auf die Ziegen- und Schafzucht spezialisierter Unternehmer auch sonst denken können –, dass nun eben er die zurückgebliebene Witwe seines älteren Bruders schwängern sollte, um für einen Stammhalter des Clans zu sorgen. Leider ist nicht überliefert, wie diese Braut, Thamar mit Namen, aussah und wie alt sie eigentlich war. Da sie aber – so viel sei vorweggenommen – schließlich von Juda selbst in andere Umstände gebracht wurde, dürfte sie wohl nicht so ganz die gewesen sein, die sich Onan als Mutter seiner Kinder vorgestellt hatte.
Onan jedenfalls weigerte sich kategorisch, zu Thamar »einzugehen«, wie es eine historische Übersetzung der bewussten Bibelstelle ausdrückt, womit eigentlich gemeint war, dass er sie nicht poppen wollte. Der Grund für Onans Verhalten wird verständlich, wenn man die Motivation des biblischen Kupplers Juda erfährt. Onan sollte dafür sorgen, dass der Samen seines Bruders »erwecket« würde – sprich: Der Junggeselle hätte zwar locker die Schwägerin vögeln und schwängern dürfen, aber das Ergebnis seiner Arbeit würde seinem toten Bruder zugesprochen werden, nicht ihm – so waren die Sitten damals im noch nicht ganz so heiligen Land.
Onan muss sich so gefühlt haben wie ich, wenn ich die abgetragenen Klamotten meiner größeren Geschwister auftragen sollte: Der versammelte Abscheu aller Nervenzellen zauberte ein kategorisches »Nee, wirklich nicht!« auf seine Lippen, vielleicht mit einem verstörten, wohl eher noch irritierten Kopfschütteln. Zitat des Chronisten (in einer Übersetzung von Martin Luther): »Aber da Onan wusste, dass der Same nicht sein eigen sein sollte, wenn er einging zu seines Bruders Weib, ließ er’s auf die Erde fallen und verderbte es, auf dass er seinem Bruder nicht Samen gäbe.« Dieser Satz machte aus Onan einen Märtyrer, denn der Herr (wer auch immer) war sauer wegen des Ungehorsams und der Erguss-Verschwendung und tötete auch ihn wie zuvor bereits Ger – und das nur, weil Onan, zumindest auf den ersten Blick, seine Hände nahm, wo er eine Frau hätte gebrauchen sollen. Und wie jeder andere Märtyrer, der für seine Sache mit dem Leben einzustehen hatte, wurde auch Onan von der Nachwelt unsterblich gemacht, indem man seinem Namen in dem Wort ONANieren postmortem ein dauerhaftes Denkmal setzte.
Ob das nun wirklich die erste Masturbation der Menschheitsgeschichte war, müssen wir allerdings letztlich dahingestellt sein lassen. Lauter kluge Leute streiten tatsächlich darüber. Lassen wir sie streiten. Dass sie darüber streiten, zeigt aber, wie wir Menschen mit dem von Onan so oder so geprägten Thema umgehen: Alles in diesem Themenbereich ist von Alters her Sünde, Böses, muss (ab)getötet und niedergeleugnet werden. Wobei die Sprachwissenschaft davon ausgeht, dass das erst im gelehrten England geläufige »onania« ein Produkt der Aufklärung ist, nach Deutschland beispielsweise kam die Vokabel erst im Laufe des 18. Jahrhunderts. Was davor war, auf den einsamen Lagerstätten der Menschen in den Jahrhunderten zwischen Onan und den Aufklärern, verliert sich im Dunkel der Geschichte und über den Waschbrettern lästernder Waschfrauen.
Es wurde zumindest vom Geschichte niederschreibenden Klerus schlicht totgeschwiegen als Sünde, wahrscheinlich auch, weil es nun wirklich ein viel zu heikles und ungebührliches Thema war für eine Organisation, die von ihren natürlichen Vertretern unbedingte Keuschheit und das Opfer des Zölibats nebst artverwandten Befriedigungen verlangte. Was übrigens auch im gegenüber der »Onanie« noch pointierteren Begriff der »Masturbation« zum Ausdruck kommt: Der seit dem 19. Jahrhundert gebräuchliche Ausdruck kommt vom lateinischen »masturbari«, das wiederum an »manu stuprare« angelehnt ist. Und dessen wörtliche Übersetzung sagt eigentlich alles über den Umgang der Menschen mit dem handgemachten Orgasmus aus: Es bedeutet schlicht »mit der Hand schänden«!
Aber all das wusste ich natürlich mit meinen vier Jahren noch nicht. Da stellte sich lediglich heraus, dass das Teil da in meiner Hand unter meiner Bettdecke regelmäßig ganz lustig hart wurde zwischen meinen Fingern, dass es wild pulsierte und irgendwie eine direkte Verbindung zu meinem Kopf hatte, den es schwindelig werden ließ, vor allem wenn ich vorne an der Spitze herumtastete. Ich war auch schon damals fasziniert von der Weichheit der Hautfalte zwischen den Eiern, die sich gut streicheln ließ. Dies wirkte sich nämlich unmittelbar auf meine Lenden aus und sandte wohlige Schauer durch den Unterleib. Es war in der Tat ungemein spannend.
Und für mich gar nicht schändlich. Aber das verdanke ich in erster Linie den offenen Worten meiner Eltern, die für ihre Generation ungewöhnlich unbekümmert über ihre Sexualität und damit auch über die von uns Kindern sprachen. Bei sechs Kindern und den entsprechenden Anspielungen der Umwelt ließ sich das wohl auch gar nicht vermeiden. Allerdings kam diese wirkliche Aufklärung für meine Geschwister wohl zu spät, da war ihr »Igitt«-Verhältnis zum Geschlechtsteil schon zementiert – von der Umwelt, Lehrern, lieben Verwandten, den Freunden, und auch von denselben Eltern, die bei ihnen die Fehler gemacht hatten, die sie bei mir tunlichst vermieden; mich traf der Segen der späten Geburt, sozusagen.
Den jüngsten Bruder von Ger und Onan übrigens auch. Sela, so hieß der Junge, war noch zu jung, um die Stelle seiner beiden nun toten älteren Brüder einzunehmen, wenngleich die eheliche Pflicht, einen Stammhalter mit Thamar zu zeugen, offiziell auf ihn überging. Allerdings muss wohl ziemlich viel Zeit ins Land gegangen sein, jedenfalls war die Witwe Thamar irgendwann sauer, dass Juda offensichtlich vergessen hatte, ihr den Sela ins Bett zu schicken. Mit weiblicher List und Tücke lockte sie deshalb Juda selbst auf ihr Lager und ließ sich halt vom Schwiegerpapa schwängern, obenrum gut verschleiert, damit die List nicht auffiel. An eine unbefleckte Empfängnis glaubte damals nämlich noch niemand und eine Witwe, die einfach so schwanger wurde, war eine Hure, ganz einfach.
Da war es gut, dass Thamar mit einigen von Juda nach dem Schäferstündchen zurückgelassenen Gegenständen diesen der Vaterschaft überführen konnte. Sonst hätte der gestrenge Glaubensmann nämlich auch sie töten lassen, verbrennen, so wie damals in solchen Fällen üblich. Alles in allem ein Stoff, wie er heute auch in jeder Daily Soap gut recycelt werden könnte – zumindest grob.
Allerdings muss noch erwähnt werden, dass nach den neuesten Interpretationen der historisch belegten Bibelquellen, wie bereits angedeutet, von Onan nicht mehr als von einem verantwortungslosen Wichser gesprochen wird, sondern dass er lediglich den Prototyp für den Coitus Interruptus geliefert haben soll. Den Spaß mit der lieben Schwägerin nahm er demnach zwar mit, aber Kinder, bitte schön, wollte er nur auf eigene Rechnung machen. Wie auch immer, das Produkt seiner Lenden landete kurzerhand im Dreck und ihm brachte der sexuelle Ungehorsam den Tod.
Die sittliche Geschichte der Onanie und die mit ihr historisch geprägte Wortwahl beruht nach dieser Auslegung der uralten Quellen also auf einem grundlegenden Irrtum. Und so, wie Irrtümer selten losgelöst von anderen Gegebenheiten allein ihr Unwesen treiben können, sondern stets folgenschwer ihr Dasein mit immer neuen Irrtümern legitimieren, so hat sich auch die allgemeine und selten öffentliche Diskussion um die Autosexualität mit immer neuen bizarren bis absurden Aspekten angereichert, wobei ausnahmslos Mediziner sowie selbst ernannte Sittenapostel zu den Protagonisten der Schändung jeglicher sexueller Handarbeit wurden, mit fatalen Folgen für die einzelnen Menschen bis in die heutige Zeit hinein.
Einen ersten Schatten dieser auf jeden Fall seltsamen Sicht auf der eigenen Hände Arbeit warf für meine Person eine meiner zahlreichen Tanten mütterlicherseits, die vielleicht, so will es mir heute zumindest erscheinen, von den moralischen Extratouren ihrer Schwester – meiner Mutter – über die Zeit etwas ahnte oder zumindest zu ahnen glaubte. Diese Tante Bertha, ein Dragoner bis in die rötlich gefärbten Haarspitzen hinein, war der Inbegriff der resoluten Oberschwester, wie sie jeder klinikerprobte Patient in seinem Leben zu fürchten weiß. Bei ihren regelmäßigen Heimsuchungen, die wohl nur ich als solche auch erlebte, denn für die anderen Familienmitglieder war es ein ganz normaler Familienbesuch, weil von ihnen keiner zum unausweichlichen Kuschelstar dieser lieben Verwandten geriet, bekam ich neben Streicheleinheiten auch immer wieder die eine oder andere Lebensweisheit mit auf den Weg.
Ich mochte vielleicht acht, neun Jahre alt gewesen sein, als Oberschwester Bertha wieder einmal unvermittelt vor der Tür meines Elternhauses auftauchte, um unsere gute Stube mit ihrer Anwesenheit auszufüllen. Ich befand mich gerade auf dem Klo im ausgebauten Dachgeschoss unseres hinter dichten Büschen versteckten Bungalows, sicher verschlossen in dieser Örtlichkeit vor den unberechenbaren Attacken neugieriger Mitbewohner, als ich unten vom Flur her das hereinbrechende Begrüßungsgetöse vernahm.
Nachdem das Familien-Halali nach unendlichen Momenten, in denen mir die nun für mich unvermeidlich bevorstehenden Torturen ins Bewusstsein sickerten, langsam in Richtung Wohnzimmer verebbte, kam der unvermeidliche Ruf meiner Mutter nach uns Kindern, damit wir dem artigen Begrüßungsritus beiwohnten. Gehorsam aus Gewohnheit, rührte sich bei keinem von uns zu keiner Zeit bei solchen Anlässen irgendein rebellischer Gedanke, der uns dem Familientreff hätte fernbleiben lassen können. Nein, sogar ich, der Kleinste und Betroffenste dieser widrigen Umstände, beeilte mich, meine mich bis eben ungemein dringend einnehmenden Geschäfte fast ein wenig überstürzt zu beenden, um auch meine Guterzogenheit durch braves Handgeben und wohl ein Küsschen zu dokumentieren – ich mache keinen Hehl daraus, dass auch die gewöhnlich in Aussicht stehende Belohnung für so viel Zuvorkommenheit in Form von ein paar Mark Extra-Taschengeld meine immer wieder neue Unvoreingenommenheit für meine Tante beschleunigte.
Aber als ich nun in rasender Eile mein Geschäft beendet, die Hände hastig gewaschen, mich – schon das Klo verlassend – unten rum gehörig verpackt hatte, die Klotür nun scheppernd ins Schloss fallen lassend und anschließend die Treppe hinunterstürzend das Wohnzimmer erreichte, traf mich wohl wegen meines aufgrund der großen Eile sichtlich erhitzten Gesichts erst einmal ein deutlich prüfender Blick meiner Tante, der eindeutig nach der erfolgten Musterung und einem Gleiten hinunter zu meinem Schoß einen wissenden Ausdruck annahm. Bevor ich aber den Charakter dieses Blickes und die damit möglicherweise zusammenhängenden Ursprünge weiter ergründen konnte, überfuhr mich erst einmal die übliche Prozedur, bei der ich reichlich und ausdauernd geherzt wurde, sodass ich heute annehmen muss, ich war weit mehr als das liebe Kind der Schwester für diese Verwandte.
Schließlich saß ich aber neben der Oberschwester auf dem elterlichen Sofa, meine Geschwister hatten sich wieder im Haus zerstreut, wohl froh, dass ich als Handreichung des Besuchs herhalten musste und sie weitgehend ungeschoren davongekommen waren, und vernahm, da auch meine Mutter zum Kaffeebereiten in der Küche verschwunden war, eine fast verschwörerisch geraunte Anrede der in Patientenfragen erfahrenen Besucherin. »Na, war es ein wenig eiliger mit dem Hosenlatz?« Ich erschrak natürlich wegen der unerwarteten Intimität, aber auch, weil, wie ich nun abrupt feststellen musste, ich mich tatsächlich mit offener Hose und freiem Blick auf meine gar nicht mehr so frische Unterwäsche dem Einflussbereich des Dragoners ausgesetzt hatte.
Eilig schloss ich den Reißverschluss, wurde wohl auch rot, war jedenfalls deutlich wortkarg und druckste nur irgendeine schnelle Entschuldigung aus meiner Umklammerung, in der ich mich dicht an meine Tante gedrängt befand, heraus. »Nun, mein Poger (ein ostpreußischer Ausdruck für »mein kleiner Liebling«; Anmerk. des Autors), ich hoffe ja nicht, dass du zu jenen gehörst, die an ihrem Pillermann herumspielen.« Sie sagte dies nicht als Frage, sondern als Feststellung und die gewählte Betonung stellte klar, dass sie es auf keinen Fall duldete, wenn irgendjemand an seinem Pillermann derart herumspielte, dass es für andere Weltenteilnehmer offensichtlich würde.
Meine Tante hatte selbst drei Söhne, die allerdings schon längst ihrer Vormundschaft entwachsen waren, womit zu erklären ist, wieso sie sich dieses Themas sogleich bei der erstbesten Gelegenheit, die in diesem Fall eigentlich keine war, weil ich wirklich nur vom Klo, wo ich tat, was man dort tut, in großer Eile in Richtung Wohnzimmer durchgestartet war, in ihrer pädagogisch prophylaktischen Art annahm. So als hätte ich als widerspenstiger Patient die Tablettenaufnahme verweigert oder heimlich unter der Bettdecke geraucht, wurde ich nun mit der seit Urzeiten herrschenden klinischen Hausordnung der mich umgebenden Gesellschaft vertraut gemacht.
»Du musst nämlich wissen, am Pillermann herumspielen macht krank; ich muss es ja wissen.« Ich habe mich erst sehr viel später getraut zu hinterfragen, warum sie genau dies – und mit so viel Nachdruck – hätte wissen müssen, wo sie doch irgendwie ein Mädchen war; im Augenblick habe ich ihre diesbezüglichen Kenntnisse mit ihren für ein Kind uferlosen medizinischen Fähigkeiten in Zusammenhang gebracht. Und als echter Onanieologe war ich natürlich mächtig daran interessiert, eine zusätzliche Expertenmeinung zu hören, zumal eine medizinisch-fundierte, die unter Umständen einzelne Aspekte beleuchten mochte, die mir vielleicht so noch nicht geläufig waren, zumal sie von jemandem kamen, der sich als Mädchen – wenn man das so sagen kann – in diesen Dingen mit völlig anderen Gegebenheiten zurechtfinden musste als meine Person.
Ich war also begierig, ähnlich wie meine pickligen Brüder einst, einem hoffentlich folgenden, anregenden Diskurs in dieser Sache folgen zu dürfen und, gleichfalls wie meine Brüder bei den Erklärungen meiner Mutter vor ein paar Jahren, nicht mehr rot im Gesicht zu werden, woraus ich nun nach der Wiederholung dieses Phänomens lernte, dass die Neugier die Scham in der Regel zu übertölpeln weiß. Aber nichts kam. Meine Tante blieb stumm, fuhr lediglich fort, mich – sagen wir – zu herzen. Also fragte ich nach. »Wieso mag denn der Pillermann nicht, wenn man mit ihm spielt?«
Ich traue mich heute zu sagen, dass ein wollüstiger Unterton die Stimme meiner Tante nun bei ihrer folgenden Antwort überfiel; damals wusste ich das Klirren in ihrer Stimme noch nicht so recht zu deuten, vermutete lediglich bei ihr die gleiche wissenschaftliche Begeisterung an diesem Thema wie bei mir. Und die Antwort wollte mich auch eingangs darin bestätigen: »Na, mögen tut er das natürlich ...«, brachte meine Tante sich leichtfertig in Erklärungsnot, um dann, nach einer Fortsetzung ihres angefangenen Satzes hektisch suchend und gemessener zu ergänzen: »Aber nicht, wenn man es selber tut, und nicht, wenn man so jung ist wie du.« Doch keine begeisterte Forscherkollegin?
Aber es gibt wohl keinen brauchbaren Disput ohne Widerrede. Daher tat ich es ihr gleich und forderte ihr Expertenwissen mit improvisierter Brillanz heraus: »Woher weiß denn der Pillermann, wer mit ihm spielt? Er hat doch gar keine Augen.« Eine wirklich kluge und durchaus logische Frage, wie ich fand, würdig des intellektuellen Disputs, an dem ich hier die Ehre hatte, teilnehmen zu dürfen.
Meine Tante bewies Sportsgeist und parierte tapfer meinen ausgefeilten Einwand. »Na, du weißt es doch, du hast doch Augen. Du bist doch dein Pillermann.« Man kann sich meine Überraschung wohl vorstellen; so unvermittelt in meiner Persönlichkeit auf eines meiner, wenn auch zugegebenermaßen, wichtigeren Ausscheidungsorgane so ausdrücklich reduziert worden zu sein, traf mich tief in meinem Selbstwertgefühl. Ich bin mein Pillermann, mein Penis, mein Geschlechtsorgan – und sonst nichts?
Das konnte und wollte ich nicht akzeptieren. Ich blickte meine Tante aus der Umklammerung und den Augenwinkeln heraus ernsthaft an. Sie blickte ebenso ernsthaft zurück, aber nachgemachte kindliche Ernsthaftigkeit entartet bei großen Leuten allzu schnell in Ironie und wird auch als solche selbst von kindlichen Zuhörern unmittelbar entlarvt. Na warte, einen reputierlichen Kollegen so zu behandeln! – Ich werde dich schon noch erwischen, liebes Tantchen. »Also, ein Erwachsener dürfte an meinem Pillermann spielen?« Das war wieder eine durchaus logische Schlussfolgerung, fand ich, mit allen gewünschten Folgen: Die Ironie verschwand, die werte Kollegin aus dem Medizinischen glitt in sichtliche Unsicherheit ab, anstatt einer sauber artikulierten Parade folgten gejapste Umlaute und es war an mir, eine diebische Freude über die so unschuldig erzielte Wirkung zu entwickeln.
»Um Gottes willen, nein, nein, nein«, brach es sich schließlich Bahn, »nur das nicht.« Die dem Weib eigenen mütterlichen Instinkte verschafften sich bei so viel von mir zur Schau getragenen kindlichen Naivität ihre gehörige Geltung und riefen sämtliche Schutzmechanismen auf den Plan, die eine Frau – selbst Mutter gar – zu aktivieren vermag, mit der Folge, dass ich fast keine Luft mehr bekam, weil ich so heftig von meinem Tantchen in den Schwitzkasten genommen wurde, damit ja kein Unheil von irgendeinem schwarzen Mann oder einer rosafarbenen Frau auf mich herniederfallen könnte. Dann kam zum weiblichen Instinkt die fraueneigene Intuition und damit der entspannende Ausweg aus dieser kritischen Diskussion. »Es sei denn, du bist dann selbst schon ein Erwachsener ...«, wurde mir mit zum Schluss koketter Stimme von der alternden Amazone ein verlockender Korb voll köstlicher Lustbarkeiten für die Zeit jenseits meines 18. Lebensjahres in Aussicht gestellt.
Aber ich lebte schon damals im Jetzt und die Wende ins Erwachsensein als Schwelle zur einzig statthaften erotischen Erlebniswelt dauert für einen erst Neunjährigen noch ein ganzes weiteres Leben – also viel zu lange. Ich vertraute auf die Erfahrungen meiner rechten und manchmal auch linken Hand, die mir nun auf Nachfragen noch einmal bestätigten, dass dem ersten noch unschuldigen Herumgetaste in der Pyjamahose eine Vielzahl von außergewöhnlichen Gefühlsstürmen folgten, als ich erst einmal die ganze Reizwelt meiner so hochempfindlichen Nervenzellen auf Eichel und Hoden entdeckt hatte. Aber auch bei objektivster Betrachtung konnte ich bisher keinerlei gesundheitlichen und geistigen Schaden bei mir entdecken, sieht man mal von gelegentlich schmerzenden Handgelenken ab, wenn im Liegen die abgewinkelte Haltung vor dem Körper für die eingesetzte Hand einfach zu lange dauerte.
Doch es verunsicherte mich, dass das Onanieren krank machen sollte; und das nicht zu wenig. Meine körperliche Unversehrtheit war mir wichtig, vor allem, nachdem ich nach einem Sportunfall meine aussichtsreiche Karriere als Fußballprofi bereits vor einiger Zeit viel zu früh für ewig hatte an den Nagel hängen müssen. Düstere Szenarien entspannen sich vor meinem geistigen Auge, welcher Art die körperlichen Restriktionen hätten sein können, die man sich mit der Selbstbefriedigung so alles zuziehen konnte. Eitrige Abszesse durch übersensibilisierte Haut, angeschwollene Hoden wegen der drohenden Überbeanspruchung, vielleicht sogar der Verlust des gesamten Joy-Sticks als direkte Folge exzessiver Masturbation. Ich sah schon meinen Pimmel eines Tages plötzlich losgelöst von meinem Körper in meiner Hand ruhen, leblos, schlaff, ausgenutzt.
Ich wollte hier unbedingte Aufklärung über die möglichen Krankheiten, die die Onanie bei mir, der noch nicht einmal einen echten Orgasmus hatte, verursachen könnte. Doch meine Kaffeegedeck-beladene Mutter, die gerade von der Küche her ins Wohnzimmer hereinrauschte, machte alle intime Vertrautheit zwischen Tante Bertha und mir zunichte und der kurz aufkeimende Mut, das Thema auch vor meiner in diesen Dingen nachweislich illuminierten Mutter auszubreiten, wurde durch einen unmittelbar einsetzenden Redeschwall meiner Erziehungsberechtigten über lauter familiäre Dinge zertreten. So schwieg ich, bang im Herzen, eng an an das weibliche Wesen an meiner Seite geschmiegt, das Trost aus der erwachsenen Reife und der so gegenwärtigen Oberschwesterkompetenz ausströmte.
Ich brach meine verschiedenen Forschungsreihen, deren Wesen und tatsächliche Systematik ich später noch ausführlicher erklären werde, selbstredend unmittelbar nach diesen Erkenntnissen ab. Mir wurde als längst erprobtem Schul-Schüler bewusst, dass ich ein großes Prinzip der wissenschaftlichen Gesellschaft bei meinen ziemlich privaten Studien völlig außer Acht gelassen hatte: Vor der Praxis steht die Theorie; bei mir stand gleich alles praktisch. Das war mein Fehler.
Also vergrub ich mich bei erstbester Gelegenheit in literarische Studien, wobei es in der Zeit vor dem Internet noch unglaublich schwer war, anhand von ausgewählten Stichwörtern, die man – schon gar nicht als Kind – nicht öffentlich aussprechen durfte, sein Wissen gezielt zu vermehren. Ich traute mich ganz einfach nicht, in die städtische Bücherei zu gehen und die nickelbebrillte, altjüngferliche Bibliothekarin zu fragen: Wo – bitte schön – kann ich was Wissenswertes über die Onanie nachlesen? Purer Fleiß musste mir ersetzen, was heute irgendeine Suchmaschine in Bruchteilen von Sekunden liefert.
Fündig wurde ich nach unendlich vielen Anläufen aber nicht in irgendeiner gutsortierten Lesehalle, sondern ausgerechnet im Bücherschrank meines Vaters, der für einen ehemaligen Volksschüler ohne Abschlusszeugnis eine ganz außergewöhnliche Schriftensammlung sein Eigen nannte, mit speziellem Blick auf historische Kleinode und didaktische Anleitungen zur Kindererziehung, die ja bei einem halben Dutzend Kinder nun auch wirklich eine sinnvolle Investition darstellten.
Wo ich schließlich die folgenden Zitate fand, ob im historischen Originaleinband oder bereits als Zitat in einem Züchtigungsratgeber späterer Machart, der die zu seiner Zeit amtierenden Irrtümer wie üblich mit historischen Irrtümern belegte, ist mir leider entfallen; unverzeihlicher Fehler eines sonst akribischen Forschergeistes. Da es aber eh zweifelhaften Inhalts ist, vernachlässigen wir die Quellenkunde zugunsten des tatsächlich ermittelten Wortlauts:
Sylvanus Stall: Was ein Knabe wissen muss (1906)
Neunter Brief: »Mein lieber Heinrich! Gott gab dem Menschen Hände, aber er verlieh ihm auch Vernunft, das sittliche Gefühl und das Gewissen, damit er sie in rechter Weise gebrauche. Mit Hilfe der Hände sollte er sich nach Gottes Willen weit empor über die anderen Geschöpfe erheben. Und dennoch, bis weit unter das niederste Tier finden viele Männer und leider auch Knaben gerade durch einen Missbrauch ihrer Hände herab! Anstatt mit ihnen das zu tun, was sie als vernunftbegabte und sittliche Wesen damit tun sollten, gebrauchen sie die Hand dazu, ihren Körper zu beflecken. Sie fassen damit an ihr Geschlechtsglied und spielen daran, um eine besondere Empfindung, ein gewisses Gefühl hervorzurufen, das für den Augenblick wohl angenehm ist, aber die ernstesten Schäden für ihre sittlichen und geistigen Kräfte und für ihre Gesundheit nach sich zieht. Man nennt diese Gewohnheit Selbstbefleckung oder Masturbation. Aber Gott hat uns dieses Glied nicht zu solchem Missbrauch verliehen.« (S. 86–87)
Zehnter Brief: »Mein lieber Heinrich! In meinem letzten Briefe habe ich davon gesprochen, dass viele Knaben, jüngere und ältere, ihren Körper schänden und beflecken, indem sie in unnützer Weise und zu ihrem großen Schaden an ihr Geschlechtsglied fassen und daran herumspielen und reiben. Nach Gottes Absichten hat nun aber dieses Glied eine doppelte Bestimmung: Seine erste ist, zur Ausscheidung der wertlosen und verbrauchten Flüssigkeiten aus dem Körper zu dienen, und seine zweite liegt darin, dass es einen Teil des Fortpflanzungsorganismus bildet.« (S. 93)
Elfter Brief: »Wo solche ungünstigen Verhältnisse vorliegen und aus Unkenntnis nicht beseitigt werden, da bildet sich die Selbstbefleckung leicht zu einer steten Gewohnheit aus und wird schließlich mit solcher Leidenschaft betrieben, dass Verblödung und Tod eintreten können und häufig wirklich erfolgen.« (S. 107)
Zwölfter Brief: »Von dem verzweifelt hilflosen Zustand, in welchen ein Knabe, bei dem dieses Laster zur hartnäckigen Gewohnheit geworden ist, schließlich gerät, kannst du dir daraus eine Vorstellung machen, dass man ihn, um ihn an einer Wiederholung seiner lasterhaften Handlungen zu hindern und, wenn möglich, dauernd von dem Übel zu befreien, oft in eine Zwangsjacke stecken oder seine Hände auf den Rücken oder an die Bettpfosten binden oder mit Stricken und Ketten an Ringe in der Wand befestigen muss.« (S. 119–120)
Mary Wood-Allen:
Was ein junges Mädchen wissen muss. (1910)
19. Kapitel. Geheime Laster: »Sobald die Geschlechtsorgane in ihre Funktionen eintreten, wird sich ihnen naturgemäß die Aufmerksamkeit des jungen Mädchens zuwenden; man muss sich dann ernstlich bemühen, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben. Romanlektüre ist, wie ich schon einmal erwähnt habe, höchst nachteilig. Die Beschreibungen leidenschaftlicher Liebesszenen rufen in den Geschlechtsorganen der Leserin Erregungszustände hervor, die diese Organe zu erhöhter Tätigkeit anreizen und ihre Gesundheit zerstören. Junge Mädchen werden oft früher als nötig zur Reife gebracht, weil ihre Sinnlichkeit durch Romanlesen, durch die Anspielungen ihrer Freundinnen auf Liebhaber, durch sentimentale Fantasien, in denen sie sich ergehen, ungebührlich gereizt und erregt wird. Solche Erregungen führen manchmal zu der schlechten Gewohnheit, die unter dem Namen Selbstbefleckung bekannt ist. Die Reizung der Geschlechtsorgane ist von einer angenehmen Empfindung begleitet. Sie kann durch mechanische Mittel, ja schon durch bloße Gedanken hervorgerufen werden. Viele Mädchen, die dieser verderblichen Gewohnheit verfallen sind, ahnen die Gefahren nicht, die ihnen drohen, obgleich sie intuitiv fühlen, dass niemand etwas davon erfahren darf, was sie treiben.« (S. 142–143)