Hans Küngs Projekt Weltethos als politische Ethik - Hans-Martin Schönherr-Mann - E-Book

Hans Küngs Projekt Weltethos als politische Ethik E-Book

Hans-Martin Schönherr-Mann

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Beschreibung

Das 'Projekt Weltethos' hatte an seinen Anfängen primär einen ökumenischen Sinn und wollte zum Frieden zwischen den Religionen beitragen, als sich religiöse Konflikte wieder verschärften. Die 'Weltethos-Erklärung' des Parlaments der Weltreligionen 1993 beruht auf den ethischen Gemeinsamkeiten der Weltreligionen. Ähnliches lässt sich auch für die Philosophie bemerken. Der philosophischen Ethik in demokratischer Perspektive geht es um die Vermittlung von Konflikten, beispielsweise zwischen Staat und Individuum. Im 20. Jahrhundert fordern viele Menschen Mündigkeit und politische Teilhabe ein und bestimmen ihre ethischen Orientierungen selbst. Wenn viele dabei ähnlichen Grundwerten folgen, erhält das Weltethos ein lebendiges Fundament. Das Weltethos avanciert dadurch zu einem einflussreichen Projekt der politischen Ethik.

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Zum Buch: Hans Küngs Projekt Weltethos hatte an seinen Anfängen primär einen ökumenischen Sinn und wollte zum Frieden zwischen den Religionen beitragen, als sich religiöse Konflikte wieder verschärften. 1993 verabschiedete das Parlament der Weltreligionen daraufhin die von Küng verfasste Weltethos-Erklärung. Küng eruierte Gemeinsamkeiten zwischen den Weltreligionen hinsichtlich ihrer ethischen Grundwerte, die sich auf die Philosophie übertragen lassen, selbst wenn diese sich nicht religiös orientiert. In der politischen Ethik, die von Aristoteles bis in die Gegenwart reicht und die sich mit dem Verhältnis von Ethik und Politik befasst, geht es in demokratischer Perspektive um eine ethische Vermittlung politischer Konflikte, beispielsweise um das Verhältnis zwischen Staat und Individuum. Wenn im 20. Jahrhundert die Menschen zunehmend Mündigkeit und politische Teilhabe einfordern, muss sich die politische Ethik diesen Ansprüchen auf Emanzipation stellen. Selbstbewusste Bürgerinnen überall auf der Welt gestalten häufig selbst ihre ethischen Orientierungen. Wenn viele Menschen dabei auch ähnlichen Grundwerten folgen, dann erhält das Weltethos ein lebendiges Fundament jenseits seiner religiösen Herkunft. Küngs Idee avanciert damit zum einflussreichsten Projekt der politischen Ethik, das man auch philosophisch beachten muss.

Hans-Martin Schönherr-Mann, Prof. für Politische Philosophie an der LMU München, Gastprof.: Uni Innsbruck, Venezia, Eichstädt, Regensburg, Torino, Passau. Bücher: Staat u. Kriegsmaschine – Staatsverständnis von Deleuze u. Guattari, Nomos 2023; Hannah Arendt – Vom gefährlichen Denken, Römerweg 2023; Gesicht und Gerechtigkeit –Lévinas‘ politische Verantwortungsethik, Innsbruck Uni Press 2021; Nietzsche, Römerweg 2020; Dekonstruktion als Gerechtigkeit – Derridas Staatsverständnis, Nomos 2019, Foucault als politischer Philosoph, IUP 2018; Untergangsprophet und Lebenskünstlerin – Über die Ökologisierung der Welt, Matthes & Seitz Berlin 2015; Albert Camus als politischer Philosoph, IUP 2015; Was ist politische Philosophie, Campus 2012; Die Macht der Verantwortung, Alber 2010; Der Übermensch als Lebenskünstlerin – Nietzsche, Foucault und die Ethik, MSB 2009; Miteinander leben lernen – Die Philosophie und der Kampf der Kulturen, Vorwort von Hans Küng, Piper 2008; Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht, dtv 2007; Hannah Arendt, C.H. Beck 2006; Sartre, C.H. Beck 2005

Für Irmi

INHALT

Vorwort

I. KAPITEL: WELTETHOS ALS GLOBALE ETHIK

1. Die Ethik als friedenstiftende Kraft

2. Mündigkeit und Urteilskraft

3. Wahrheit und Interesselosigkeit

4. Tugenden und Kompetenzen

II. KAPITEL: EMANZIPATION UND WELTETHOS

1. Globalität in der Ethik

2. Weltethos und emanzipatorische Bewegungen

3. Emanzipation im

Projekt Weltethos

4. Weltethos und individuelles Handeln

III. KAPITEL: WELTETHOS ALS ERWEITERTE VERNUNFT

1. Die fabelhaft gewordene Welt

2. Vernunft und Religion

3. Kommunikative Vernunft

4. Pragmatische Vernunft

IV. KAPITEL: WELTETHOS ALS UTOPIE

1. Das Ende der politischen Utopie nach 1989

2. Die klassischen Utopien als Ethik

3. Von der konkreten Utopie zum Pragmatismus

4. Utopie als ethische Orientierung

V. KAPITEL: WELTETHOS UND NEGATIVE ÖKOLOGIE

1. Ethik und Ökologie als verschiedene Diskurse

2. Die Schwierigkeit, Natur zu verstehen

3. Die Ethik des Denkens

VI. KAPITEL: WELTETHOS UND INVOLUTION

1.

Fridays for Future

als Bemühung um Teilhabe

2. Bottom-up-Prozesse in einer multipolaren Welt

3. Die Ethik der Schwäche

VII. KAPITEL: WELTETHOS UND HUMANISMUS

1. Universalismus und Relativismus in der Ethik

2. Menschenrechte und Menschenpflichten

3. Verantwortungs- und Gesinnungsethik

4. Humanismus und das

Prinzip Hoffnung

LITERATUR

PERSONENVERZEICHNIS

VORWORT

Welchen Beitrag kann die Ethik zur Lösung von sozialen oder internationalen Konflikten leisten? Die Antwort liegt keineswegs auf der Hand. Das Projekt Weltethos geht davon aus, dass die Weltreligionen zahlreiche essentielle Grundwerte teilen. Müsste das nicht zum Frieden zwischen den Religionen beitragen? Auch das versteht sich keineswegs von selbst, schließlich beherbergen die Weltreligionen diese Werte seit ihren Anfängen, bekriegen sich bis heute fleißig und lassen es dabei häufig an Grausamkeiten keineswegs fehlen.

Ein Blick in die Ethik zeigt zudem, dass die Ethik zumeist die innere Einheit einer Gemeinschaft herstellen soll, nicht aber den Sinn hat, den Konflikt mit anderen Gemeinschaften zu dämpfen. Im Gegenteil, die Ethik soll die Gemeinschaft stärken, z.B. die Opferbereitschaft ihrer Mitglieder befördern, um dadurch den Konflikt mit anderen Gemeinschaften um so erfolgreicher führen zu können. Die Ethik hat aus ihrer Tradition heraus nicht den Sinn, die Mündigkeit des Individuums zu fördern, sondern es der Gemeinschaft zu unterwerfen, indem der Mensch den vorgegebenen ethischen Code befolgt.

Besonders treffend beschreibt das Max Scheler, einer der bedeutenden katholischen Ethiker am Anfang des 20. Jahrhunderts, mitten während des ersten Weltkriegs freilich zur Unterstützung des kaiserlichen Deutschlands: „Gibt es (. . .) im Laufe der Geschichte eine wahrhaft dauernde Erhöhung des moralischen Status und eine Steigerung der Innigkeit und Tiefe in der Einigung der Menschheit, so sind nicht der Weltfriede, sondern der Krieg und die kumulierten, aus seinen Traditionen und tiefen Erinnerungen fließenden moralischen Dauereffekte in der menschlichen Seele die konstruktive Auslösekraft für diese Erhöhung und Einigung.“1 Auch wenn das eine Propagandaschrift war, so bringt Scheler den traditionellen Sinn von Ethik damit doch ziemlich präzise auf den Begriff.

Dass gemeinsame ethische Orientierungen zum Frieden miteinander konkurrierender Gemeinschaften beitragen, diesen Gedanken entwickelt Küng denn auch erst in einer Zeit, in der die Hoffnungen auf Krieg und Gewalt als Motoren des Fortschritts verblassten, nämlich nach den Weltkriegen, als vor allem viele verschiedene Sozial- und Emanzipationsbewegungen Teilhabe an der Politik verlangten, als sich auch Reformbewegungen innerhalb der Katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil anfingen, Gehör zu verschaffen, zu denen Küng maßgeblich beitrug.

Daher ist Küngs Idee auch keineswegs mehr abwegig. Wenn die Menschen einsehen, dass sie ihre Menschlichkeit ähnlichen Werten verdanken wie jene, die einen anderen religiösen Glauben pflegen oder einer anderen Gemeinschaft angehören, dann kann es für sie aus der Unterwerfung unter die Normen ihrer eigenen Gemeinschaft heraus doch keinen Grund mehr geben, andere Menschen abzulehnen, müssen sie vielmehr Gemeinsamkeiten erkennen.

Küng denkt indes noch nicht allein aus diesen Individualisierungsprozessen heraus. Er hofft einerseits, dass religiöse Führer solcherart Gemeinsamkeiten einsehen und sie ihren Gläubigen vermitteln. Dadurch würden sie dann den Friedensprozess zwischen den Religionen oder auch Nationen befördern. Damit argumentiert Küng zunächst noch aus einer traditionellen Perspektive.

Wenn man dagegen von den Emanzipations- und Sozialbewegungen im 20. Jahrhundert ausgeht, davon dass immer mehr Menschen ihr Leben nicht mehr nach vorgegebenen Regeln zu führen bereit waren, dass sie ihr Leben selber gestalten wollten, dann erhält das Projekt Weltethos eine andere, eine philosophische und soziologische Grundlage, Diese erweitert die religiöse Küngs und verleiht ihr erst das Fundament, das das Weltethos aus den Fängen einer autoritären Ethik befreit, der es nicht um die individuelle Entfaltung, sondern um die Unterordnung der Menschen unter die Gemeinschaft geht. Dann aber entfalten gemeinsame Normen keine friedenstiftenden Wirkungen.

Küng geht es aber um den Frieden zwischen den Religionen, ohne den kein Weltfriede möglich ist. Dass dergleichen von oben herab – top-down – dekretiert werden kann, erscheint historisch fraglich, scheint doch vielmehr die Gegenperspektive vonnöten, nämlich von den Bürgerinnen selbst, also von unten – bottom-up. So beschreibt Charles Taylor einen lange sich andeuteten Wandel der Werte: „das Gefühl des Epochenwandels spiegelt sich in den folgenden bekannten Worten Virginia Woolfs: ‚Ungefähr im Dezember 1910 änderte sich die menschliche Natur..„ (. . .) Es wird gang und gäbe, die ‚eigenen Angelegenheiten„ selbst erledigen zu wollen.“2

Dann muss der Blick darauf gerichtet werden, wie sich im 20. Jahrhundert die ethischen Orientierungen gewandelt haben und dabei auch darauf eingegangen werden, dass innerhalb der Philosophie die Perspektive von unten keineswegs besonders populär ist, stattdessen ein Universalismus, der die individuellen Gestaltungspielräume eher einschränkt als erweitert. Die Bemühungen um individuelle Mündigkeit verdanken sich dagegen den diversen Aktivitäten zur Emanzipation verschiedener Gruppen und zur politischen und sozialen Teilhabe, die ich 2017 als Involution bezeichnete – gegenintentional zum Begriff wie ihn 1967 Johannes Agnoli einführt.

Nicht nur davon wird das Projekt Weltethos befruchtet, sondern auch von den weiteren sozialen Bewegungen, vor allem der Ökologie wie auch der ökologischen Ethik. Freilich steht deren Begründer Hans Jonas noch in der autoritären Tradition von Max Weber, die Verantwortung nur den politischen und ökonomischen Führern zugesteht, nicht der Bevölkerung. Küng dagegen hat den Wertewandel im 20. Jahrhundert erkannt und ihn in sein Projekt als wesentliche Bereicherung aufgenommen und vermittelt ihn mit der Tradition.

In dieser Hinsicht entwickelt Küng auch eine Konzeption von Humanismus, die dem Existentialismus nahesteht, geht es ihm darum die humanen Kräfte zu erweitern. So hat sich das Nietzsche zwar nicht vorgestellt, aber in einem ähnlichen Sinn wie Küng greifen gerade existentialistische Philosophinnen auf Nietzsche zurück. Bei Hannah Arendt hat sich denn auch das Verständnis der Möglichkeiten der Vernunft verändert, die zwar nicht religiös orientiert sind, aber Beziehungen zu religiösen Fragen gerade nicht einfach ausschließen, wie es in weiten Teilen der Analytischen Philosophie der Fall ist. Arendt insistiert vor allem auf Kants erweiterter Denkungsart, also an der Stelle der Anderen zu denken. Just dadurch lässt sich denn erkennen, wenn die Andere die eigenen Wertungen teilt – die Grundlage des Projekts Weltethos. Diese Zusammenhänge leuchtet der folgende Text aus.

2002, bei meiner ersten Begegnung mit Hans Küng anlässlich eines Rundfunkgespräches, forderte er mich dazu auf, mich doch mit dem Weltethos zu beschäftigen. Es dauerte eine Weile, bis ich mir dazu einen Zugang geöffnet hatte. 2008 erschien dann Miteinander leben lernen, zu dem Küng das Vorwort und einen Essay schrieb, 2010 Globale Normen und individuelles Handeln, außerdem zwischenzeitlich zahlreiche Vorträge und Aufsätze. Der hier vorliegende Text fasst diese Auseinandersetzungen zusammen und setzt sie fort: Wie kann man Weltethos und globale Normen aus existentieller Perspektive denken?

1 Max Scheler, Der Genius des Krieges und der Deutsche Krieg (1915); in: Politisch-pädagogische Schriften, Gesammelte Werke Bd. 4, Bern, München 1982, 77

2 Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter (2007), Frankfurt/M. 2009, 792

I. KAPITEL

WELTETHOS ALS GLOBALE ETHIK

„Wir müssen doch miteinander leben lernen!“3 Dieser Satz Hans-Georg Gadamers avanciert zum Leitmotiv einer Philosophie des gegenseitigen Verstehens im Zeitalter der Globalisierung, wenn die Kulturen zusammenrücken und dabei drohen aufeinander zu prallen, weil Technologien, Ökonomie und Politik den Planeten umgreifen. Man mag sich lokal immer noch an vielen Orten der Welt um einheitliche Nationen und Religionen bemühen, tendenziell breiten sich indes durch weltweite Migrationsbewegungen und globale Kommunikation überall pluralistische Strukturen aus, d.h. ethnisch oder religiös homogene Staaten transformieren sich langsam in pluralistische. Doch dadurch prallen Kulturen unmittelbar, offen und überall aufeinander und nicht mehr nur an ihren Außengrenzen, sondern vor Ort in Marseille, Abuja, Mumbai.

Kriegs- und Terrorszenarien nicht endender Konflikte stellen keine apokalyptische Drohung mehr dar, wenn Samuel Huntington den Zusammenprall der Kulturen prognostiziert. Apokalypsen sollen ja gar nicht eintreten, sondern deren Androhung soll allein schon das Handeln der Zeitgenossen ändern. Ob am 11. September 2001, im heutigen Afghanistan oder in den vorderorientalischen Kriegen realisiert sich Huntingtons Vision. Dabei träumen die Kriegsparteien natürlich noch vom Sieg, der indes für alle Beteiligten in immer weitere Ferne rückt. Mit diesem Clash of Civilizations kehren die europäischen Religionskriege des 17. Jahrhundert global wieder und verschärfen sich durch das weltweite Erstarken von nationalistischen Parteien und totalitär werdenden Staaten, die ihre innere Stabilität häufig durch Kriege herstellen.

Allzu sehr verwundern sollte das nicht, waren die Lehren aus den Religionskriegen rund 100 Jahre später längst vergessen. Weite Teile der modernen Kultur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert setzen große Hoffnungen auf den Krieg, der nicht mehr die ungläubigen Teufel besiegen, sondern den Fortschritt beschleunigen soll: die Ausbreitung der Menschenrechte durch Napoleon, die Einigung der Nationen, der Aufbau kolonialer Reiche, der revolutionäre Fortschritt zum Sozialismus, eine rassistische Vormachtstellung oder deren Bekämpfung als Krieg aus humanitären Zwecken. Alles das entspringt der romantischen Kriegsbegeisterung. Europa exportierte dieses Denken in diesen Jahrhunderten auch fleißig in alle Erdteile, so dass dort viele Menschen im antikolonialistischen Krieg eine schöpferische Kraft erkannten.

Gelegentlich mag man ja überschaubare Ziele durch Kriegführung erreichen. Der globale Konflikt zwischen Kulturen, Religionen, Weltanschauungen, verquickt mit Nationen und ökonomischen Machtzentrum lässt sich jenseits eines bloßen Waffenstillstands dagegen nur friedlich ausgleichen, wenn einerseits ein Kriegspotential mit schauerlichen Zerstörungen und schier unerschöpflichen Vorräten droht, und andererseits missionarischer Eifer wie ideologische Verbohrtheit Kriege ins Unendliche verlängern. Immerhin hat sich die Sowjetunion ohne großen Krieg aufgelöst: der größte Glücksfall der bisherigen Geschichte oder hatte sie diese Lektion gelernt? Denn im anderen Fall hätte ein globaler Atomkrieg stattgefunden. Atomkriege lassen sich nicht geplant führen, sondern produzieren umfassende Katastrophen, gleichgültig wie sie ausgehen. Oder hat Leo Strauss recht, wenn er 1953 über das klassische Naturrecht und Aristoteles schreibt: „Eine wohlgesittete Gemeinschaft wird nicht in den Krieg ziehen, es sei denn, es handele sich um eine gerechte Sache. Was sie aber während eines Krieges tun wird, das hängt bis zu einem gewissen Grad von dem ab, was ihr der Feind – möglicherweise ein absolut gewissenloser und barbarischer Feind – zu tun aufzwingt.“4

Den Frieden herzustellen und zu sichern, stellt sich trotzdem im 21. Jahrhundert als vordringliche Aufgabe natürlich primär der Politik, der Wirtschaft und sozialen Kräften. Zudem sehen sich die Akteure auch vor eminenten ökologischen, technologischen und ökonomischen Herausforderungen, die zu einem großen Teil durch internationale Kooperation angegangen werden müssen – sei es die globale Armutsbekämpfung oder die Klimaerwärmung.

Können religiöse, wissenschaftliche, philosophische oder künstlerische Kräfte zu einer Suche nach Frieden etwas beitragen? Das versteht sich keineswegs von selbst. Generell entfaltet das Denken ein Reflexionspotential, das in vielfältiger Hinsicht Perspektiven aufzeigt, die zu einer Befriedung beitragen, beispielsweise Wirtschaftsmodelle, wie man die Armut bekämpft, Vorschläge für umweltfreundliche Technologien oder um die Entwicklung von Ländern zu befördern, Visionen globaler Kommunikation, oder selbstkritische Potentiale des Denkens, die die Kriegslust bremsen und die die Bereitschaft zum Frieden und zur Kooperation fördern. Dazu gehören auch ethische Konzepte, die das gegenseitige Vertrauen und die gegenseitige Rücksichtnahme stärken sollten, damit man Konflikte nicht mit Waffengewalt, sondern friedlich, also kommunikativ angeht.

1. Die Ethik als friedenstiftende Kraft

Es ist speziell für die Philosophie, die sich ja lange überlegen dünkte, wenig schmeichelhaft, dass das größte und offenbar wirkungsmächtigste geistige Projekt in dieser Richtung nicht philosophischen Bemühungen entspringt, sondern dem Engagement des Theologen Hans Küng und der Stiftung Weltethos. Hans Küng publizierte 1990 sein Buch Projekt Weltethos, das davon ausgeht, dass die Weltreligionen gar nicht so unterschiedliche Grundwerte vertreten. Derartige Gemeinsamkeiten festzustellen und festzuschreiben, soll ein globales Ethos fixieren, das wesentlich zu einem friedlichen Umgang der Weltreligionen beiträgt, die sich ja ansonsten häufig massiv bekämpfen. Küng schreibt: „Diese eine Welt braucht das eine Grundethos; diese eine Weltgesellschaft braucht gewiss keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, (. . .).“5

Hans Küng gelang es damit, das Parlament der Weltreligionen 1993 zu einer gemeinsamen Erklärung der Grundsätze eines Weltethos zu bewegen. In ihr heißt es: „Wir bekräftigen, dass es bereits einen Konsens unter den Religionen gibt, der die Grundlage für ein Weltethos bilden kann.“6 Damit erhält das Weltethos zwar einen religiösen Hintergrund, aus dem heraus es sich entbirgt, eben aus ähnlichen oder parallelen Normen und Werten der verschiedenen Weltreligionen, die in der Weltethos-Erklärung fokussiert und zusammengefasst werden. Ein zentrales Ziel des Projekts Weltethos stellt ja auch der Frieden zwischen den Religionen dar. Zugleich aber verdankt es sich gerade daher keiner bestimmten Religion, besitzt vielmehr einen interreligiösen Charakter, der es auch für säkulare Kreise attraktiv machen kann. Auch die zwischenzeitlich in vielen Ländern aufgestellte Stiftung Weltethos erhebt zu ihrem Programmpunkt, dass „kein globales Ethos ohne Bewusstseinswandel von Religiösen und Nichtreligiösen“7 möglich ist.

Ein vom Ansatz her vergleichbares Konzept entwickelt innerhalb der Philosophie nur John Rawls in seiner politischen Philosophie der achtziger, neunziger Jahre, das er auch auf die Weltpolitik überträgt. Doch zunächst geht er von einer innenpolitischen Situation aus, in der zwar vielleicht die politischen Ideologien niedergehen, doch die Religionen wiederkehren. Wie bringt man Weltanschauungen in US-amerikanischer Verfassungstradition dazu, sich auf einen Konsens über die politische Grundstruktur einzulassen, der unabhängig von den jeweiligen religiösen Vorstellungen entwickelt wird? Wie gelangt man zu einem übergreifenden Konsens, der sich auf keine Weltanschauung stützt und die Grundprinzipien einer fairen gerechten Grundordnung sichert? Rawls schreibt: „Eine praktikable Konzeption politischer Gerechtigkeit (. . .) muss der Verschiedenheit der Weltanschauungen und der Vielfalt miteinander konkurrierender und inkommensurabler Konzeptionen des Guten gerecht werden, wie sie von den Mitgliedern bestehender demokratischer Gesellschaften vertreten werden.“8 Trump und seine Anhänger gehören offensichtlich nicht dazu.

Im Gegensatz zu Küng fragt Rawls nicht nach den gemeinsamen Werten, gar gemeinsamen ethischen Vorstellungen vom Guten, die den Weltanschauungen inhärent sind, sondern nach Prinzipien der Gerechtigkeit, die man von solchen Vorstellungen unabhängig konstruiert und auf die sich diese Weltanschauungen einlassen sollen. Die verschiedenen Weltanschauungen haben dabei den Vorteil, dass ihre jeweiligen Wertvorstellungen vom Guten erhalten bleiben, aber den Nachteil dass diese dann in politischen Fragen keine fundamentale Rolle mehr spielen dürfen. Vergleichbar mit der Konzeption des Weltethos erscheint der übergreifende Konsens insoweit, wie sich die verschiedenen Weltanschauungen auf ihn nicht nur freiwillig einlassen, sondern diesen Konsens als so notwendig wie sinnvoll akzeptieren. Sie betrachten ihn nicht als unvermeidbares Übel oder gar als faulen Kompromiss, als keinen schieren modus vivendi, nicht als Minimalvorstellungen, die man so schnell wie möglich hinter sich lässt, wenn einem selber genug Macht zuwächst, die eigenen Vorstellungen politisch allgemein durchzusetzen. Nein, selbst wenn eine bestimmte Weltanschauung an die Schalthebel der Macht gelangt, wird sie sich an den übergreifenden Konsens gebunden fühlen. Trump fühlte sich daran offenbar nicht gebunden.

Diese Konzeption von Rawls stellt zweifellos den durchdachtesten philosophischen Vorschlag dar, den man dem Konflikt der Kulturen entgegensetzen kann. In bestimmten politischen Fragen wird man auch auf ihn zurückgreifen. Doch im Hinblick auf gemeinsame ethische Werte kann und will er mit dem Weltethos nicht konkurrieren, geht es ihm eben nicht um gemeinsame Vorstellungen vom Guten, sondern um notwendige Übereinkünfte über Grundrechte, nicht um ethische Maxime für das Handeln des einzelnen, sondern um Grundprinzipien der Gerechtigkeit innerhalb einer politischen Ethik. Insofern ergänzen sich beide Konzepte, haben sie vergleichbare Ziele, begehen aber unterschiedliche Wege.

Indes auch Hans Küng konzentriert sich auf einen pragmatischen Ansatz, durch den Religionen zur friedlichen Bewältigung der gegenwärtigen globalen Konfliktlage etwas beitragen können. Wenn man generell bei Konfrontationen gewaltsame Auseinandersetzungen vermeiden will, bieten sich zunächst wirtschaftliche Kompensationen an, die wahrscheinlich auch am schnellsten wirken. Aber nicht überall lassen sich damit Erfolge erzielen, entweder weil das Geld dazu fehlt oder dort, wo die Konflikte zu verbittert geführt werden oder die Gegensätze zu unüberwindbar erscheinen.

Wie sollte dabei die Ethik helfen? Klingt das nicht etwas absurd? Doch auch bei harten Auseinandersetzungen gibt es immer verschiedene Grade der Verbitterung unter den Beteiligten. Wie bringt man die Moderaten beider Konfliktparteien miteinander ins Vernehmen? Wie gelingt es, dass sie, anstatt aufeinander schießen zu lassen, miteinander reden? Eine zentrale Voraussetzung dazu ist, dass sie sich gegenseitig in einem gewissen Maße überhaupt vertrauen, sich gegenseitig als Gesprächspartner anerkennen. Wenn ihnen die Bemühungen um das Weltethos vorführen, dass sich die andere Seite hinsichtlich der Basisnormen von ihnen selbst kaum unterscheidet, könnte sich ein solches Vertrauen in der Tat leichter aufbauen, das am Ende womöglich sogar zu einem gewissen gegenseitigen Respekt führt.

Das klingt wiederum arg einfach: Religiösen Menschen folgen ähnlichen ethischen Prinzipien. Wenn das so ist, war das auch immer schon so! Warum sollte es dann plötzlich jetzt zum Frieden beitragen, Vertrauen, schaffen, gar zum gegenseitigen Verständnis führen? Warum sollte heute klappen, was bisher scheiterte?

Ist dergleichen überhaupt der Zweck ethischer Systeme? Schließlich kann man einwenden, dass ethische Systeme regelmäßig nur für die Mitglieder der eigenen Gruppe galten. Zugleich regelten sie den Umgang mit Fremden durch spezielle Prinzipien. Selbst der Islam oder das Christentum, die universelle Ansprüche verfolgen, grenzten in der Alltagspraxis die Ungläubigen aus. Universalismus hieß hier lange nicht mehr, als das Angebot an alle Menschen, sich zum jeweiligen Glauben konvertieren zu lassen. Wieso sollte die Einsicht in gemeinsame Normen also plötzlich befriedend wirken?

Aus welchem Grund ist wohl niemand im Zeitalter des Kriegs der Ideologien, also seit der Französischen Revolution, auf die Idee eines Weltethos gekommen und prüfte, ob es zwischen den verfeindeten Ideologien nicht gemeinsame ethische Standards gibt? Und dass es solche gemeinsamen Standards gab und gibt, das darf man wohl annehmen; wenn man von den Nazis absieht, die sich trotzdem weitgehend der gängigen ethischen Normen bedienten, wiewohl sie deren Anwendungsbereich so massiv einschränkten, dass jeder universelle ethische Sinn zerstört wurde, den sie auch gar nicht beabsichtigten. Doch jenseits gemeinsamer Standards glaubte man erstens an die Fortschritt stiftende Kraft des Kriegs und hielt die Ethik für schwach. Zweitens selbst wenn man einsah, dass die Feinde denselben ethischen Normen folgten, so sah man darin keine besondere Gemeinsamkeit, ging es primär um eigene Interessen, die man für wichtiger als jede Ethik hielt. Gerade weil die Ethik salopp formuliert überall Ähnlichkeiten aufweist, stiftet sie nicht die Identität, sondern die eigenen Interessen, die von anderen abgrenzen und unterscheiden, stellt die Ethik Gefolgschaft her, indem sie ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt.

Bezeichnenderweise beruft sich der Pragmatismus, die erste originär US-amerikanische Philosophie, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts entsteht, nicht wie Hans Küng auf die Ethik, um die großen ideologischen Konflikte zu schlichten oder um diesen wenigstens zu entgehen. Nein, der Pragmatismus möchte Debatten, die zu keinem konstruktiven Ergebnis gelangen, ausklammern und sich nur noch mit solchen Fragen beschäftigen, die sich auch beantworten lassen. William James konstatiert: „Die pragmatische Methode ist zunächst eine Methode, um philosophische Streitigkeiten zu schlichten, die sonst endlos wären.“9 Trotzdem kann man den Pragmatismus als ersten philosophischen Versuch betrachten, die weltanschaulichen Kriege zu beenden. Daher findet er gerade heute im Konflikt der Kulturen wieder zahlreiche Anhänger. Im Neopragmatismus nimmt denn auch die Ethik einen breiteren Raum ein.

2. Mündigkeit und Urteilskraft

Die christlichen Religionen machten die Erfahrung des nicht endenden Bürgerkriegs bereits im 17. Jahrhundert in Europa und weltweit spätestens mit dem Kolonialismus der europäischen Mächte, im letzten Jahrhundert vornehmlich in Palästina, Indien oder Nordirland. Wenn man die Kriege nicht gewinnen kann, dann verlieren die religiösen Dogmen oder – säkular formuliert – materielle Interessen an Sinn stiftender Kraft. Dogmen oder Interessen drohen, zu Obsessionen zu werden, an denen Zweifel offenbar angebracht erscheinen oder die man pragmatisch ausklammern sollte. Vielleicht gelangt man dann zur Einsicht, dass sich Menschen stärker durch ihr Ethos bestimmen als durch religiöse Dogmen, philosophische Lehren oder ihre materiellen Interessen, dass gar Ähnlichkeiten im Ethos stärker verbinden könnten, als die Interessen trennen.

Ethos stabilisiert nicht mehr so sehr eine Gemeinschaft, die sich durch gemeinsame Interessen nach außen abgrenzt. Vielmehr könnte das Ethos jenseits solcher Gemeinschaftsorientierung verbindend wirken. Trotz der immer noch vorhandenen intuitiven Unterschiede im Verhalten zwischen Menschen aus Gegenden, in denen die Gegenreformation die ethischen Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken weitgehend einebnete, und Menschen aus Gegenden, in denen weder die Reformation noch die Gegenreformation eine große Rolle spielten, hat eine sehr ähnliche ethische Lebensgestaltung die Unterschiede zwischen Franzosen und Deutschen längst aufgehoben. So darf man in der Tat hoffen, dass die Einsicht in ethische Gemeinsamkeiten auch dem gegenseitigen Fremdeln zwischen Muslimen und Christen entgegenwirken wird.

Daher tritt das Projekt Weltethos in einer historisch veränderten Lage auf den Plan. Im 17. Jahrhundert war man noch längst nicht bereit, den anderen ob eines ähnlichen Ethos als ebenbürtig anzuerkennen, zählte das Ethos eher als sekundär gegenüber dem richtigen Glauben oder später gegenüber den nationalen oder Klasseninteressen. Überhaupt zielte die Ethik ob im mittelalterlich christlichen Sinn oder im aufklärerischen Verständnis doch eher auf die Anpassung des Individuums an die Gemeinschaft durch die Unterdrückung seiner egoistischen Neigungen. Damit gründet sich Humanität eher am Rande auf das Ethos, wie die Ethik umgekehrt unter diesen Bedingungen schwerlich nachhaltige Beiträge zur Lösung massiver politischer oder internationaler Konflikte fähig erscheint.

Nach den historischen Erfahrungen der religiösen, ideologischen und nationalen Auseinandersetzungen der letzten Jahrhunderte legt der Konflikt der Kulturen heute dagegen nahe, nach friedlichen Lösungen zu suchen, da sein globaler und religiöser Charakter ansonsten in einen nicht endenden Krieg führt. Und nicht durch Zufall lenkt Hans Küng dazu den Blick auf die Ethik, eben nicht nur auf ökonomische Entwicklungen oder technologische Anbindungen, wie sich liberale Konzeptionen normalerweise um eine Friedensstiftung und –Sicherung bemühen.

Denn das in den letzten Jahrzehnten wiedererwachte Interesse an der Ethik bekräftigt, dass die Ethik für das Selbstverständnis der Zeitgenossen zwischenzeitlich eine wichtige Grundlage der eigenen Existenz darstellt und längst nicht nur Anpassung an die Gemeinschaft bedeutet. Bereits im Protestantismus dient die Ethik primär der Gestaltung der individuellen Identität. Da der protestantische eher ferne Gott den Menschen weitgehend sich selbst überlässt, stellen mystische Praktiken zu diesem Gott keine lebensgestaltende Verbindung mehr her. Stattdessen muss der einzelne sein Leben innerweltlich in den Griff bekommen. Dazu aber dienen ihm die diversen asketischen Praktiken der protestantischen Ethik: „Stets aber bleibt das spezifische Ziel vor allem: ‚wache„ methodische Beherrschung der eigenen Lebensführung“10, bemerkt Max Weber über den asketischen Protestantismus, der vor allem in den USA einflussreich wurde.

Dadurch gewinnen asketische Regeln immer größere Bedeutung für die Selbstkonstitution des Individuums. Sören Kierkegaard erkennt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann definitiv, dass Ethik längst nicht mehr primär dazu taugt, das Individuum der Gemeinschaft unterzuordnen, sondern dass sie dem individuellen Leben Form gibt, über die aber das Individuum in letzter Konsequenz selbst befindet. „Indem die Persönlichkeit sich selbst wählt, wählt sie sich selbst ethisch“11, so Kierkegaard, gestaltet sie ethisch ihr eigenes Leben für sich selbst und nicht bloß unterworfen unter ein allgemeines Sittengesetz.

Dieses Verständnis von Ethik als individueller gestalterischer Kraft hat sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt, waren zuvor die abendländischen Gesellschaften primär hierarchisch bzw. militärisch strukturiert, orientierten sie sich am Krieger und am Priester als soziale Leitbilder. Seither trägt diese individuelle Perspektive wesentlich zur neuerlichen Bedeutung der Ethik in einer demokratischen Welt bei, in der der einzelne so mündig und wenig autoritätsgläubig ist, wie man es in der Geschichte wahrscheinlich kaum findet. So schreibt Ulrich Beck: „Der Vulkan politischer Freiheit ist keineswegs erloschen. Wir haben es nicht nur mit einem Zusammenbruch bisheriger Gewissheiten, sondern mit einem Aufbruch in neue Freiheitsräume zu tun und damit in Felder vorbildloser Fragen.“12 Wiewohl man doch nachfragen darf, ob heute dieser Vulkan nicht doch erloschen ist.

Dieser Freiheitsräume ist sich auch Küng bewusst. Das Projekt Weltethos darf man als Produkt just einer solchen Entwicklung verstehen. Denn Küng bemerkt 2002 auf die Frage nach den Aufgaben des Papstes: „Er sollte realisieren, was mittlerweile an Freiheit in der Menschheit und in der Kirche gewachsen ist. Er müsste zur Kenntnis nehmen, dass man die Menschen im Zeitalter der Säkularisierung, der Pluralisierung und der Individualisierung nicht mehr wie Schafe behandeln kann.“13

Was kann nun die Philosophie zur weltethischen Perspektive angesichts des Konflikts der Kulturen beitragen? Nun, zunächst muss sie sich von ihrer früheren Kriegsorientierung verabschieden und grundsätzlich einsehen, dass Gewalt weder der Vernunft noch der Humanität auf die Sprünge zu helfen vermag. Ob das die Mehrheit der Philosophen heute vertritt, darf man trotzdem bezweifeln. Besonders friedfertig waren und sind Philosophen nicht unbedingt – man denke an Kant, Hegel, Marx, Nietzsche, Scheler, Strauss, Sartre, Jonas.

Doch angesichts des Konflikts der Kulturen sollten sich die Philosophen auf das erste natürliche Gesetz des Thomas Hobbes rückbesinnen, das da lautet: „Suche Frieden und halte ihn ein!“14 Was Hobbes primär innerstaatlich intendierte, wäre heute auf alle Konflikte zu übertragen, ganz besonders auf die interkulturell aufgeheizten, die sich zugleich als innere wie als äußere Konflikte entladen. Dabei lässt sich Gewalt in der Tat gelegentlich kaum vermeiden. Ihre Auswirkungen, mit denen man anderer Gewaltanwendung begegnet, werden dieser eventuell auch gerecht und können ihr widerstehen. Doch sie schaffen indes nicht mal die elementaren Voraussetzungen einer friedlichen oder gar lebenswerten Entwicklung. Dazu muss man zumeist noch sehr viel friedliche Aufbauarbeit leisten – man denke an Südafrika, Nordirland, den Irak oder Afghanistan (gescheitert) oder allgemein an die Wehrpflicht, wie sie auch in der Ukraine besteht. Ohne die Arbeit für den Frieden verlängert die Gewalt immer nur Gewalt.

Im Sinne des Projekts Weltethos könnte man nun philosophische Ethiken auf die ihnen zugrundeliegenden Normen hin untersuchen und hoffen dass diese sich nicht allzu sehr unterscheiden, auch und gerade nicht von jenen, die die Erklärung des Weltethos enthält. Andernfalls stünde man vor dem Dilemma, entweder zu gemeinsamen Prinzipien nichts beitragen zu können, oder sogar mit den im Weltethos propagierten in Wettbewerb treten zu müssen. Indes würde sich ein philosophisches Konkurrenzunternehmen angesichts der Uneinigkeit der Philosophen schwerlich realisieren lassen und wäre auch kaum sinnvoll, würde es die Bemühungen um ein Weltethos doch höchstens konterkarieren. Zudem bleiben philosophische Ethiken zumeist so abstrakt, dass sie kaum auf ein breites Verständnis stoßen, darf man Richard Rorty wohl zustimmen, dass in der Moderne Literatur, Film und Kunst mehr zur ethischen Bildung der Zeitgenossen beitragen als philosophische Traktate über Moral. So würde sich die Philosophie höchstens in den Elfenbeinturm zurückziehen, um dort an trickreichen Begründungen ethischer Normen zu basteln, was durchaus verdienstvoll sein kann, aber nicht der Intention eines Weltethos gerecht wird mit seiner Frage nach ethischen Basisnormen.

Daher bietet sich ein anderer Weg an: Angesichts dessen dass ein solches Konzept für ein Weltethos bereits vorliegt, dem obendrein die Vertreter der Weltreligionen auf ihrem Kongress 1993 in Chicago zustimmten, sollte man philosophisch eher prüfen, ob man den dort propagierten ethischen Orientierungen nicht zustimmen kann. Im Zentrum der Weltethos-Erklärung stehen nämlich folgende vier Prinzipien: Gewaltlosigkeit und Ehrfurcht vor dem Leben verbunden mit dem Gebot, nicht zu töten; Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung verbunden mit dem Gebot, nicht zu stehlen; Toleranz und Wahrhaftigkeit verbunden mit dem Gebot nicht zu lügen; Gleichberechtigung und Partnerschaft von Mann und Frau verbunden mit dem Gebot, keine Unzucht zu treiben. Probleme ergeben sich eigentlich nur beim letzten Gebot, das indes so unbestimmt ist, dass man damit auch nur den Missbrauch von Kindern meinen kann, so dass man diesem Prinzip auch von liberaler Seite jederzeit zustimmen kann. Problematisch wäre es eher, forderte man damit positiv gewendet die womöglich gar lebenswährende Monogamie im Rahmen der Ehe, dem viele Menschen heute nicht mehr zustimmen – auch nicht islamische und mormonische Vertreter einer Polygamie. Andererseits können mit dieser Formulierung verschiedene kulturelle Vorstellungen miteinander verknüpft werden. Zugleich klammert die Weltethos-Erklärung heiß umstrittene Fragen wie Abtreibung, Sterbehilfe, Stammzellenforschung bewusst aus, um Konflikte zu vermeiden. Eine philosophische Vernunft dürfte somit den angeführten Prinzipien wohl weitgehend problemlos zustimmen.

Jedoch eröffnet sich eine andere Differenz. Den Weltreligionen gelten diese ethischen Grundprinzipien als universell gültig, weil sie zumeist göttlichen Ursprungs sind, was für eine philosophische Vernunft kein starkes Argument darstellt. Es bedeutete nicht mehr, als dass viele religiöse Menschen diese Normen als universell akzeptieren. Höhere Weihen versteht die Philosophie regelmäßig nicht, handelt es sich dabei logisch betrachtet um einen Fehlschluss auf die Autorität. Die mündige Bürgerin ordnet sich aber keiner Autorität mehr unter, auch und schon gar nicht einer göttlichen, also einer, die man nicht hinterfragen dürfte, sind freilich heute an die Stelle der göttlichen Autorität die Experten getreten, denen man genauso gehorchen soll.

Postmoderne Philosophien operieren zwar durchaus mit Paradoxien und Paralogismen, allerdings bleiben sie innerweltlich im Rahmen der Vernunft bzw. der vorgegebenen philosophischen Verfahren. Dabei sind sie sich der mangelnden Letztbegründung bzw. der Zirkularität der eigenen Argumentation zumeist bewusst und versuchen dieser Zirkularität gar nicht zu entgehen. Vielmehr richten sich diese Philosophien mit der unvermeidbaren Zirkularität ein. Dieser Zirkel lässt sich auch nicht durch die Berufung auf eine Autorität durchbrechen; denn woher hätte diese Autorität ihre Autorität?

Auch der Universalismus der philosophischen Vernunft liefert kaum wirklich eine breit akzeptierte Letztbegründung, mag sich dies auch primär der Eitelkeit der Philosophen verdanken. Wichtige Vordenker einer solchen Bemühung sind die beiden Vertreter einer kommunikativen Vernunft, vor allem Karl-Otto Apel und tendenziell Jürgen Habermas. Sie propagieren beide ein Ideal einer Kommunikationsgemeinschaft, die Konflikte durch einen vernünftigen Diskurs löst, der frei von Einflüssen der Macht oder gar der Gewalt sein soll, um derart über gültige ethische Prinzipien entscheiden zu können. Apel formuliert einen entsprechenden kategorischen Imperativ: „‚Handle so, als ob du Mitglied einer idealen Kommunikationsgemeinschaft wärst!'“15 Doch ein Zirkel bleibt auch hier, wenn die Diskursethik eben bestimmte Voraussetzungen machen muss, die man schwerlich als definitive Begründung verstehen kann oder die viele aus welchen Gründen auch immer nicht nachvollziehen wollen. Und gibt es wirklich eine Situation, in der Macht, Abhängigkeit, Interessen keine Rolle spielen? Bestimmt nicht in den Wissenschaften und in der Politik, sowenig wie in den Medien!