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Stimmt es wirklich, dass die meisten Männer ihre Frauen im Dunkeln nicht erkennen würden? Bei einer Party lassen sich drei miteinander befreundete Paare auf ein Spiel ein, das Folgen hat.
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Seitenzahl: 91
Veröffentlichungsjahr: 2012
Doris Dörrie
Happy
Ein Drama
Die Erstausgabe erschien 2001 im Diogenes Verlag
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen und das des öffentlichen Vortrags, auch einzelner Abschnitte
Die Rechte sind nur von der Diogenes Verlag AG, Sprecherstraße 8, CH-8032 Zürich, zu erwerben
Umschlagillustration: Jack Vettriano, ›Something in the Air‹, 1999
Mit freundlicher Genehmigung der Portland Gallery, London
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2012
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] Erste Szene
Flug über Berlin bei Nacht. Anfangs nur glitzernde, unscharfe Lichter, dann erkennt man Gebäude, Straßen, Häuser. Schließlich ein Wohnhaus mit erleuchteten Fenstern, ein Fenster – durch das wir in eine ziemlich ärmliche Einzimmerwohnung sehen. Emilia, 30, allein. Sie ist ungeschminkt, trägt schlabberige Allerweltsklamotten, hört ganz laut Musik und tanzt dazu. Überhört fast das Klingeln an der Haustür. Macht endlich auf. Es ist Felix, 32, er trägt einen smarten Anzug, der nicht wirklich gut sitzt. Beide gehören nicht unbedingt zu den Gewinnern, so viel ist auf den ersten Blick schon klar.
FELIX Ich klingle schon seit fünf Minuten.
EMILIA ’tschuldigung. Ich hab nur ein bißchen getanzt… Aggressionen rauslassen, damit ich nachher nicht meine Pumpgun aus der Handtasche hole und alle umlege.
FELIX Wie du aussiehst!
EMILIA Wie seh ich denn aus?
FELIX Scheiße. Scheiße siehst du aus.
EMILIA Selber.
FELIX Wir haben eben prima zusammengepaßt. Komm her, altes Haus, laß dich küssen.
[6] Emilia wendet sich ab.
EMILIA Willst du was trinken? Wir haben noch Zeit, und ich will nicht die erste sein, sonst muß ich erzählen wie’s mir geht.
Emilia gibt ihm ein Glas.
FELIX imitiert Ooooh, Felix, long time no see… Bussi, Bussi… Wie geeeht es dir?
EMILIA Sie haben dich lange nicht gesehen.
FELIX Nach unserer Trennung haben sie mich behandelt, als hätte ich Lepra.
EMILIA Sie haben eben automatisch angenommen, daß du das Schwein bist, das gegangen ist. Also wie geeeeeht es dir?
FELIX Willst du das wirklich wissen?
EMILIA Ich weiß nicht.
FELIX Wenn ich sage, gut, bist du sauer, weil ich nicht mehr leide. Wenn ich sage, schlecht, bist du sauer, weil du Schuldgefühle bekommst. Warum fragst du dann?
EMILIA O Gott, machen wir jetzt den ganzen Abend so weiter?
FELIX Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war, daß wir zusammen da hingehen. Schüttet das Glas in sich hinein.
EMILIA Sie wollen uns beide als Freunde behalten. Ist doch eigentlich ganz nett.
FELIX Ich war nie mit Boris und Dylan befreundet.
EMILIA Du bist nur vier Jahre lang jeden Sonntag mit ihnen Fußballspielen gegangen…
[7] FELIX Zum Beispiel.
EMILIA Okay, markier nur den starken Mann.
FELIX Willst du nicht was anderes anziehen?
EMILIA Warum sollte ich?
FELIX Damit nicht jeder gleich sieht, daß du unsere Trennung nicht verkraftest.
EMILIA Was wäre denn, wenn’s so wäre?
FELIX Ich wäre geschmeichelt.
EMILIA seufzt theatralisch Ich verkrafte unsere Trennung nicht.
FELIX Ach, Putzi. Du bist doch schließlich gegangen.
EMILIA Nur weil ich die Mutigere von uns beiden bin.
FELIX Komm, gib mir noch einen, ich muß mir Mut für unsere Freunde antrinken. Setz dich her zu mir, so wie früher.
Er klopft auf den Platz auf dem Sofa neben sich. Emilia setzt sich. Sie ist traurig.
FELIX Ach, Mensch, du bist ja wirklich ganz kümmerig…
EMILIA Kümmerig…
FELIX Was ist denn los?
EMILIA Nix.
FELIX Jetzt kannst du mir die Wahrheit sagen. Wir sind nicht mehr zusammen, du brauchst mir nichts mehr vorzumachen – ich hau nicht ab in meine Höhle und knalle die Tür zu.
EMILIA Gibt ja auch keine Tür mehr außer die zum Klo.
FELIX Du mußt hier raus aus diesem Loch.
[8]Emilia zuckt die Schultern und wirkt noch trauriger als zuvor. Felix rutscht ein bißchen näher und legt ihr den Arm um die Schultern.
EMILIA seufzt Ich komme mir so, …so zurückgelassen vor. So, als wäre ich plötzlich zu langsam. Ihr rennt alle weiter, und ich komme nicht mehr mit.
FELIX Was meinst du denn damit?
EMILIA Ach, als wir noch zusammen waren, hat es nichts gemacht, daß ich nur diesen blöden Job als Sekretärin am Max Planck habe, das war eher Nebensache. Die anderen, Charlotte und Anette, hat das auch gar nicht so interessiert, aber jetzt plötzlich ist überall der Faden gerissen, und ich bin mit einem Mal weniger als vorher…
FELIX Weil wir uns getrennt haben?
EMILIA Sie kommen mir alle so von oben herab vor. Und Boris fragt immer so beschissen gütig, wie’s mir geht. Als hätte ich ’ne Krankheit. Und Anette bezahlt immer für mich, wenn wir Kaffeetrinken gehen, wie für die arme alte Tante, der man mal was Gutes tun muß…
FELIX Du übertreibst.
EMILIA Na ja, guck dir mal an, wie ich lebe und wie die anderen. Bei Dylan und Charlotte werden dir heute abend die Augen übergehen in ihrer neuen Wohnung, ein verdammter Palast ist das, …aber es ist gar nicht das Geld, sondern viel mehr, daß sie alle so tun, als könnte ihnen das nicht passieren, daß sie sich trennen. Sie sind so viel besser, so viel gescheiter, sie können so viel besser lieben, als wir das konnten…
FELIX Blödsinn.
[9] EMILIA Na ja, wir haben es ja wirklich vermasselt.
FELIX Warum eigentlich?
Pause. Beiden fällt nicht mehr so recht ein, warum eigentlich.
FELIX Eine richtig gute Liebesgeschichte ist immer eine kurze Geschichte.
EMILIA Was ist denn das jetzt wieder für ein Quatsch! Du sagst immer einfach Sätze, nur um sie auszuprobieren. Das macht mich wahnsinnig.
FELIX Es ist aber wahr.
EMILIA Ist es nicht. Wir haben es einfach nicht gepackt.
FELIX Hier hast du noch einen Satz: In jeder Beziehung gibt es einen richtig guten Tag.
EMILIA stöhnt Einen einzigen Tag, ja? Und welcher Tag war denn ein richtig guter Tag bei uns, deiner Meinung nach?
FELIX Als wir ganz am Anfang mal auf der Autobahn von Eching zurück in die Stadt im Gewitter zwei Stunden im Stau gestanden sind. Es war so gemütlich wie in einem Zelt, die Welt gab’s nicht mehr, der Regen ist aufs Autodach geprasselt, und du hast mir erzählt, daß du als kleines Kind geglaubt hast, die braunen Kühe geben Kakao und die weißen Milch. Und später sind wir bei Charlotte und Dylan, als sie noch in der Bauerstraße gewohnt haben und wir auf ihre Katze aufgepaßt haben, weil sie in Italien waren, ins Bett gegangen, und du hast mir dann Spaghetti mit Petersilie gekocht. Mehr gab’s nicht im Kühlschrank, nur dieses eine Bund halb vertrocknete [10] Petersilie. Aber das waren die besten Spaghetti meines Lebens.
EMILIA An den Tag kann ich mich überhaupt nicht erinnern.
FELIX Ja, ja, das mußt du jetzt sagen – ist ja klar… Selbst diesen einen einzigen Tag – nimm ihn mir weg, mach ihn fertig, trampel auf ihm rum, schmeiß ihn weg!
EMILIA Nein, ich kann mich wirklich nicht erinnern.
FELIX Streng dich an, bitte! Sonst weiß ich nicht mehr, ob er wirklich passiert ist in meinem Leben.
EMILIA Ich schwör dir, ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich an die Katze erinnern, daß sie Diabetes hatte und wir ihr jeden Morgen eine winzige Spritze aus dem Kühlschrank geben mußten…
FELIX …du hast mir deine ganze Kindheit erzählt, im Auto, im Gewitter…
EMILIA Ich weiß es nicht mehr! Ist doch auch jetzt nicht mehr wichtig, dieser eine Tag.
FELIX Ist er doch. Er gehört zu mir.
EMILIA So wie du diesen Tag beschreibst, klingt er, als hättest du ihn mit jeder x-beliebigen Frau verbringen können…
FELIX Das ist wieder typisch.
EMILIA Was?
FELIX Daß du ihn niedermachst.
EMILIA So habe ich das gar nicht gemeint. Es kam mir nur alles gerade ziemlich zufällig vor.
FELIX Ich habe mir dich ausgesucht. Damals.
EMILIA Nee, mein Lieber, das war andersrum. Du hast alles immer nur geschehen lassen.
[11] FELIX Du solltest dir was anderes anziehen. Komm, wir zeigen es denen. Wir werden umwerfend aussehen.
EMILIA Keine Lust.
FELIX Ich wette, die beiden Weiber sind aufgebrezelt bis zu den Haarspitzen.
EMILIA Na und?
FELIX Willst du bemitleidenswert aussehen?
EMILIA Vielleicht rufe ich Anette an. Charlotte hat von ’nem kleinen Abendessen geredet, und nachher hat sie dann ein Abendkleid an und es spielt ’ne Bigband.
FELIX Ich mag Charlotte.
EMILIA Ich weiß.
FELIX Ich mag auch Anette.
EMILIA Ich weiß.
FELIX Mit beiden habe ich nichts gehabt, falls du das meinst.
EMILIA Es ist mir egal. Jetzt ist es mir egal.
FELIX Findest du es nicht komisch, daß wir uns mal so gut gekannt haben?
EMILIA Ja. Jetzt sehe ich dich manchmal an und erkenne dich gar nicht richtig. Als wäre ich kurzsichtig geworden…
FELIX Komm, zieh dir was anderes an.
EMILIA Gleich.
Sie riecht an ihm.
EMILIA Du riechst auch ganz anders.
FELIX Und du bist anders.
EMILIA Hast du schon mal jemand anders…
[12] FELIX Und du?
EMILIA grinst Du zuerst.
FELIX Wirklich? Ich fasse es nicht!
EMILIA Du zuerst.
FELIX Ich hab nicht gedacht, daß du so schnell…
EMILIA Du zuerst.
FELIX Okay. Aber du mußt weggucken. Ich kann’s dir nicht erzählen, wenn du mich anguckst.
EMILIA Na, komm. Erzähl’s mir.
FELIX Ich hab ihr beim Bäcker das letzte Kürbiskernbrot vor der Nase weggekauft. Sie war so enttäuscht, daß ich das Brot zurückgegeben habe und die Verkäuferin gebeten habe, es in der Mitte durchzuschneiden. Daraufhin war sie so gerührt, daß sie mich auf ’nen Kaffee eingeladen hat.
EMILIA Name!
FELIX Keine Namen. Wir nennen sie Else.
EMILIA langsam Wir nennen sie Else.
FELIX Else war hübsch und jung, und ich war geil. Ich hatte seit unserer Trennung keinen Sex mehr, also sind wir nach drei Cappuccino, wo mir schon ganz zittrig war, zu mir.
EMILIA Wie hast du Else so schnell dazu gekriegt?
FELIX Sie hatte sich auch vor ein paar Monaten getrennt, sie war auch geil, es war ein schöner Tag… Du weißt doch, wie so was geht. Es war alles sehr spontan. Wir sind also zu mir nach Hause, haben uns auch gleich ausgezogen, und los ging’s. Sie hatte einen klasse Körper, eigentlich alles prima…
EMILIA Aber…
[13] FELIX …aber…
EMILIA …aber du hast an mich gedacht…
FELIX Nein, das war es nicht. Ich hab an gar nichts gedacht, es ging alles ganz gut, selbst das Kondom habe ich in nullkommanix allein drüber gehabt…
EMILIA Glückwunsch.
FELIX Danke. Ja, das ging alles glatt, alles kein Problem – und dann plötzlich hab ich gemerkt, daß es sich so anfühlt, als würde ich den Rasen mähen oder eine Glühbirne wechseln, …und kurze Zeit später sagt sie zu mir: Summst du immer dabei?
EMILIA Was?
FELIX Ja, ich habe wohl gesummt.
EMILIA Das ist nicht dein Ernst!
FELIX Doch. Ich habe ihr auch geglaubt, denn genau so hat es sich angefühlt. So hmmmmmmmmmm… Aber ich hätte genausogut eben was anderes machen können.
EMILIA Ist sie nicht böse geworden?
FELIX