Hedda Gabler - Henrik Ibsen - E-Book + Hörbuch

Hedda Gabler E-Book

Henrik Ibsen

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Henrik Ibsen war seiner Zeit weit voraus. Bis heute sind die starken Frauen seiner Stücke begehrte Schauspielrollen. Eine dieser Frauenfiguren ist Hedda Gabler, die sich in ihrem biederen Heim erschießt, damit »eine freiwillige Tat des Muts in dieser Welt geschehen kann«. Ibsens Dramen, zu ihrer Zeit große Skandale auf den Bühnen der Welt, haben auch nach hundert Jahren nichts von ihrer Schlagkraft eingebüßt: Was sie an Frauenschicksalen exemplarisch gestalten, ist die menschliche Suche nach Selbstbestimmung und die Sehnsucht nach Einzigartigkeit.

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Henrik Ibsen

Hedda Gabler

Schauspiel in vier Akten

Aus dem Norwegischen in der von Ibsen autorisierten Übersetzung von Emma Klingenfeld

Fischer e-books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Personen

Jörgen Tesman, Kulturhistoriker

Hedda, seine Frau

Fräulein Juliane Tesman, seine Tante

Frau Elvsted

Assessor Brack

Ejlert Lövborg

Berte, Dienstmädchen bei Tesmans

 

Das Stück spielt in Tesmans Villa; westliche Stadtgegend.

 

[Sprich Elwsted, Eilert Löwborg, Rüsing]

Erster Akt

Ein geräumiges, fein und geschmackvoll eingerichtetes Gesellschaftszimmer, in dunkeln Farben gehalten. An der Rückwand eine breite Türöffnung mit zurückgeschlagenen Portieren, durch die man in ein kleineres Zimmer, das im gleichen Stil gehalten ist wie das Gesellschaftszimmer, gelangt. An der rechten Wand des Gesellschaftszimmers eine Flügeltür, durch die man ins Vorzimmer kommt. Gegenüber, zur Linken, eine Glastür, gleichfalls mit zurückgeschlagenem Vorhang. Durch die Scheiben sieht man einen Teil der draußen liegenden, gedeckten Veranda und herbstlich gefärbte Laubbäume. Im Vordergrund steht ein ovaler Tisch mit Decke, der von Stühlen umgeben ist. Vor der rechten Wand ein breiter, dunkler Kachelofen, ein Lehnstuhl mit hohem Rücken, ein Fußschemel mit Kissen und zwei Hocker. Hinten im Winkel rechts ein Ecksofa und ein kleiner runder Tisch. Vorn links, etwas von der Wand entfernt, ein Sofa. An der Glastür ein Klavier. Zu beiden Seiten der Türöffnung im Hintergrund stehen Etageren mit Terrakotta- und Majolika-Gegenständen. – An der Rückwand des dahinterliegenden Zimmers sieht man ein Sofa, einen Tisch und ein paar Stühle. Über diesem Sofa hängt das Porträt eines schönen älteren Mannes in Generalsuniform. Über dem Tisch eine Hängelampe mit einer Glocke aus Milchglas. – Im Gesellschaftszimmer viele Blumensträuße in Vasen und Gläsern, weitere liegen auf dem Tisch. Beide Zimmer sind mit dicken Teppichen belegt. – Vormittag. Die Sonne scheint durch die Glastür.

Juliane Tesman, mit Hut und Sonnenschirm, kommt durch das Vorzimmer; Berte, die ein mit Papier umwickeltes Bukett trägt, folgt ihr. Fräulein Tesman ist eine Dame von angenehmem und gutmütigem Aussehen; sie ist ungefähr fünfundsechzig Jahre. Einfach, doch sorgfältig gekleidet; graues Straßenkostüm. Berte ist ein älteres Dienstmädchen von schlichtem, etwas ländlichem Äußeren.

FRÄULEIN TESMAN bleibt in der Tür stehen, horcht und sagt mit gedämpfter Stimme

Aber nein –! Ich glaube wirklich, sie sind noch nicht auf den Beinen!

BERTE gleichfalls mit gedämpfter Stimme

Das hab ich doch gesagt, Fräulein. Denken Sie doch bloß, wie spät in der Nacht das Dampfschiff angekommen ist! Und dann nachher! Herrje, – was die junge Frau nicht alles noch auszupacken hatte, bis sie zu Bett kam!

FRÄULEIN TESMAN

Ja, ja – mögen sie sich nur recht ausschlafen! Aber frische Morgenluft, die sollen sie doch hier im Zimmer haben, wenn sie kommen. Sie geht zur Glastür und macht sie weit auf.

BERTE am Tisch, ratlos, das Bukett in der Hand

Du lieber Gott ja, – ob hier wohl noch ein anständiger Platz ist! – Ich meine, ich setz es da hin, Fräulein! Stellt das Bukett aufs Klavier.

FRÄULEIN TESMAN

Na, jetzt hast du also eine neue Herrschaft, meine gute Berte. Der Himmel weiß, wie furchtbar schwer es mir geworden ist, mich von dir zu trennen.

BERTE weinerlich

Und mir erst, Fräulein! Was soll ich erst sagen? Ich war doch nun schon so manches liebe Jahr bei dem gnädigen Fräulein in Diensten!

FRÄULEIN TESMAN

Wir müssen uns drein schicken, Berte. Es bleibt uns weiß Gott nichts anderes übrig. Sieh mal, Jörgen muß dich in der Wirtschaft haben. Das m u ß er. Von Kindesbeinen an ist er ja doch gewöhnt, daß du für ihn sorgst.

BERTE

Ja, aber sie, die zu Hause liegt, die geht mir doch gar nicht aus dem Sinn. Die Arme, die so ganz hilflos ist! Und nun gar das neue Mädchen! In ihrem ganzen Leben lernt die nicht, es der Ärmsten recht zu machen.

FRÄULEIN TESMAN

Ach, ich werde sie schon noch richtig anlernen. Und die Hauptsache nehm ich selbst auf mich, verstehst du. Meiner armen Schwester wegen brauchst du dir keine Sorge zu machen, meine liebe Berte.

BERTE

Aber es ist da auch noch was andres, Fräulein. Ich bin nämlich richtig bange, ich mache es der jungen Frau nicht recht.

FRÄULEIN TESMAN

Na, lieber Gott, – im Anfang kann vielleicht wohl dies oder das –

BERTE

Ach, sie ist gewiß sehr eigen.

FRÄULEIN TESMAN

Da kannst du vielleicht recht haben. Die Tochter des Generals Gabler. Freilich, so wie sie’s immer gewohnt war, solange der General noch lebte! Weißt du noch, wenn sie mit ihrem Vater ausgeritten ist? In dem langen schwarzen Reitkleid? Und mit Federn auf dem Hut?

BERTE

Ach ja – das sollt ich meinen! – Nein, du liebe Zeit, wer hätte damals gedacht, daß aus ihr und dem Herrn Kandidaten ein Paar werden sollte!

FRÄULEIN TESMAN

Ich hätt’s auch nicht gedacht. Aber es ist ja wahr – du, Berte, eh ich’s vergesse: Du darfst Jörgen nicht mehr Kandidat nennen. Du mußt Herr Doktor zu ihm sagen.

BERTE

Das hat die junge Frau auch gesagt – diese Nacht, – gleich, wie sie zur Tür hereinkamen. Ist’s wahr, Fräulein?

FRÄULEIN TESMAN

Ja, freilich. Denk nur, sie haben ihn zum Doktor gemacht, im Ausland. Jetzt, auf der Reise, verstehst du. Ich habe kein Sterbenswörtchen davon gewußt, bis er mir’s unten auf der Landungsbrücke erzählt hat.

BERTE

Ach ja, aus dem kann noch alles mögliche werden. So tüchtig, wie der ist. Aber das hätt ich doch nun und nimmer gedacht, daß er sich damit abgeben würde, die Leute zu kurieren.

FRÄULEIN TESMAN

Nein, solch ein Doktor ist er nicht geworden. Nickt bedeutungsvoll. Übrigens ist es vielleicht bald so weit, daß du ihn mit einem noch stattlicheren Titel anreden kannst.

BERTE

Was Sie sagen! Und wie denn, Fräulein?

FRÄULEIN TESMAN lächelt

Hm, – ja, das möchtest du wohl wissen! Bewegt: Ach, lieber Gott ja, – wenn der selige Jochum aus seinem Grabe aufstehen und schauen könnte, was aus seinem kleinen Jungen geworden ist! Sieht sich um. Aber hör mal, Berte, warum hast du das getan und die Überzüge von allen Möbeln genommen.

BERTE

Die junge Frau wollte es so haben. Sie kann keine Überzüge auf den Stühlen leiden, sagte sie.

FRÄULEIN TESMAN

Also wollen sie sich hier drin aufhalten so für alle Tage?

BERTE

Ja, so scheint es. Wenigstens die junge Frau. Denn er – der Herr Doktor, – der sagte nichts.

Tesman kommt trällernd von der rechten Seite des Hinterzimmers, einen offenen leeren Koffer in der Hand. Er ist ein mittelgroßer Mann von jugendlichem Aussehen, dreiunddreißig Jahre alt, etwas korpulent, mit einem offenen, runden, vergnügten Gesicht, blondem Haar und Bart. Er trägt eine Brille und hat einen bequemen, etwas saloppen Hausanzug an.

FRÄULEIN TESMAN

Guten Morgen, guten Morgen, Jörgen!

TESMAN in der Tür

Tante Julle! Liebe Tante Julle! Geht auf sie zu und schüttelt ihr die Hand. Den weiten Weg hier heraus – und so früh am Tage! Was?

FRÄULEIN TESMAN

Du kannst dir doch denken, ich mußte nach euch sehen.

TESMAN

Und dabei hast du noch nicht einmal deine ordentliche Nachtruhe gehabt!

FRÄULEIN TESMAN

Ach, das macht mir gar nichts!

TESMAN

Du bist doch gut nach Haus gekommen von der Landungsbrücke? Was?

FRÄULEIN TESMAN

Ja natürlich – Gott sei Dank! Der Herr Assessor war so freundlich, mich bis an die Haustür zu begleiten.

TESMAN

Es hat uns leid getan, daß wir dich nicht im Wagen mitnehmen konnten. Aber, du hast ja selbst gesehen –. Hedda hatte so viele Sachen, die wir mitnehmen mußten.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, sie hatte wirklich sehr viele Sachen dabei.

BERTE zu Tesman

Soll ich vielleicht hineingehen und die gnädige Frau fragen, ob ich ihr helfen kann?

TESMAN

Nein, – danke, Berte, – laß das lieber sein. Sie sagte, sie wird schon klingeln, wenn sie etwas von dir will.

BERTE geht nach rechts

Na ja, also.

TESMAN

Da schau mal, Berte, – nimm den Koffer da mit!

BERTE nimmt ihn

Ich bring ihn auf den Boden.

Sie geht durch die Vorzimmertür hinaus.

TESMAN

Du, Tante, denk mal an, – den ganzen Koffer hatte ich gestopft voll nur mit Abschriften. Du, es ist geradezu unglaublich, was ich da alles in den Archiven gesammelt habe. Alte, merkwürdige Sachen, mit denen kein Mensch etwas anzufangen wußte –

FRÄULEIN TESMAN

Ja, ja, du hast deine Zeit auf der Hochzeitsreise nicht verschwendet, Jörgen.

TESMAN

Ja, das darf ich wohl sagen. Aber so nimm doch deinen Hut ab, Tante! So! Komm, ich will dir die Schleife aufbinden. Was?

FRÄULEIN TESMAN während er es tut

Ach, lieber Gott, – das ist ja gerade so, als ob du noch bei uns zu Hause wärst.

TESMAN dreht und wendet den Hut in der Hand

Aber, was du dir für einen schönen, eleganten Hut zugelegt hast!

FRÄULEIN TESMAN

Den hab ich mir Heddas wegen gekauft.

TESMAN

Heddas wegen? Was?

FRÄULEIN TESMAN

Ja, damit Hedda sich meiner nicht zu schämen braucht, wenn wir zusammen auf der Straße gehen.

TESMAN klopft ihr auf die Wange

Du denkst aber auch an alles, du gute Tante Julle! Legt den Hut auf einen Stuhl beim Tisch. Und nun, – siehst du, – nun lassen wir uns auf dem Sofa hier gemütlich nieder – und schwatzen ein bißchen, bis Hedda kommt.

Sie setzen sich, Fräulein Tesman stellt ihren Sonnenschirm in die Sofaecke.

FRÄULEIN TESMAN ergreift Tesmans Hände und sieht ihn an

Ach, wie wohl das tut, dich wieder hier zu sehen, Jörgen! O, du – unseres seligen Jochum geliebter Junge.

TESMAN

Und mir erst! Dich wiederzusehen, Tante Julle! Dich, die du an mir Vater- und Mutterstelle vertreten hast.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, ich weiß, du wirst deine alten Tanten immer liebhaben.

TESMAN

Und mit Tante Rina geht’s also noch gar nicht besser? Was?

FRÄULEIN TESMAN

Ach nein, – für die Ärmste ist keine Besserung zu erwarten. Sie liegt noch immer da, wie sie all die Jahre dagelegen hat. Aber der Himmel gebe, daß ich sie noch eine Zeit behalte! Denn sonst weiß ich wirklich nicht, was ich mit dem Leben anfangen soll. Besonders jetzt, sieh mal, wo ich nicht mehr für dich zu sorgen habe.

TESMAN klopft ihr auf den Rücken

Na, na, na, –!

FRÄULEIN TESMAN fällt unversehens in einen andern Ton

Nein, wenn man bedenkt, daß du jetzt verheiratet bist, Jörgen! Und daß von allen du Hedda Gabler heimgeführt hast. Man denke! Die reizende Hedda Gabler, – die so viele Kavaliere hatte!

TESMAN trällert leicht und lächelt zufrieden

Ja, ich glaube schon, hier in der Stadt laufen nicht wenige gute Freunde von mir herum und beneiden mich. Was?

FRÄULEIN TESMAN

Und daß du eine so lange Hochzeitsreise machen konntest! Über fünf – fast sechs Monate –

TESMAN

Na, – für mich ist es ja doch auch so etwas wie eine Studienreise gewesen. Wie viele Archive mußte ich nicht durchstöbern –! Und die vielen Bücher, die ich lesen mußte!

FRÄULEIN TESMAN

Ja freilich, ja. Vertraulicher und mit etwas gedämpfter Stimme: Aber hör mal, Jörgen – hast du mir nicht was – etwas Besonderes zu erzählen?

TESMAN

Von der Reise?

FRÄULEIN TESMAN

Ja.

TESMAN

Mehr als das, was ich dir schon in meinen Briefen mitgeteilt habe, weiß ich nicht. Daß ich den Doktor gemacht habe da unten, das hab ich dir doch gestern erzählt.

FRÄULEIN TESMAN

Das schon. Aber ich meine, – ob du nicht – nicht – Aussichten hast –?

TESMAN

Aussichten?

FRÄULEIN TESMAN

Mein Gott, Jörgen, – ich bin doch deine alte Tante!

TESMAN

Freilich hab ich Aussichten, ja – ja.

FRÄULEIN TESMAN

Na also!

TESMAN

Ich hab sogar die allerbesten Aussichten, in nächster Zeit Professor zu werden.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, Professor, ja –

TESMAN

Oder, – ich darf schon sagen, ich habe die Gewißheit, daß ich’s werde. Aber, beste Tante Julle, das weißt du doch selbst.

FRÄULEIN TESMAN schmunzelnd

Ja, allerdings. Da hast du recht. Wechselt den Ton. Aber wir wollten ja von der Reise sprechen. – Sie hat dich wohl sehr viel Geld gekostet, Jörgen?

TESMAN

Na, lieber Gott, – das große Stipendium hat ja doch ein schönes Stück weitergeholfen.

FRÄULEIN TESMAN

Ich verstehe nur nicht, wie du’s angefangen hast, daß es für zwei reichte.

TESMAN

Ja, ja, das ist auch nicht so ohne weiteres zu verstehen. Was?

FRÄULEIN TESMAN

Und noch dazu, wenn man mit einer Dame reist. Das soll schrecklich viel teurer kommen, hab ich mir sagen lassen.

TESMAN

Versteht sich – ja, ein bißchen teurer kommt es natürlich. Aber Hedda mußte die Reise unbedingt haben, Tante! Das mußte sie wirklich. Anders wär’s gar nicht gegangen.

FRÄULEIN TESMAN

Nein, nein, das wär’s wohl nicht. Denn eine Hochzeitsreise gehört ja heutzutage mit dazu. – Doch, sag mal, hast du dich hier bei dir zu Haus auch schon richtig umgesehen?

TESMAN

Das will ich meinen! Ich bin schon vom frühen Morgen an auf den Beinen.

FRÄULEIN TESMAN

Und wie findest du alles?

TESMAN

Ausgezeichnet! Ganz ausgezeichnet! Nur das eine ist mir unklar, was wir mit den zwei leeren Zimmern machen sollen, die zwischen dem hinteren und Heddas Schlafzimmer liegen.

FRÄULEIN TESMAN lächelt

Ach, mein lieber Jörgen, dafür wird sich schon Verwendung finden – so mit der Zeit.

TESMAN

Da hast du wirklich recht, Tante! Jawohl! Für den Fall, daß ich so allmählich meine Bibliothek vergrößere –. Was?

FRÄULEIN TESMAN

Ja eben, mein lieber Junge! An die Bibliothek, an die hab ich gedacht.

TESMAN

Am meisten freu ich mich aber für Hedda. Bevor wir uns verlobten, sagte sie doch so oft: sie möchte nirgends anders wohnen als in der Villa der Staatsrätin Falk.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, nicht wahr, – und da mußte sich’s so treffen, daß die Villa zu verkaufen war. Als ihr eben abgereist wart.

TESMAN

Wir hatten wirklich Glück, Tante Julle. Was?

FRÄULEIN TESMAN

Aber teuer, mein lieber Jörgen, teuer wird es dich kommen, – die ganze Geschichte.

TESMAN sieht sie ein wenig verzagt an

Ja, das wird es am Ende, Tante.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, du lieber Gott!

TESMAN

Wieviel, was glaubst du? So ungefähr? Was?

FRÄULEIN TESMAN

Das kann ich unmöglich wissen, bevor alle Rechnungen da sind.

TESMAN

Na, glücklicherweise hat Assessor Brack so erträgliche Bedingungen für mich ausgemacht. Das hat er selbst an Hedda geschrieben.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, mach dir deswegen nur keine Sorgen, mein Junge! – Für die Möbel und Teppiche hab ich außerdem Sicherheit gegeben.

TESMAN

Sicherheit? Du? Liebe Tante Julle, – was für eine Sicherheit konntest d u denn geben?

FRÄULEIN TESMAN

Ich habe die Renten verpfändet.

TESMAN

Was? Deine – und Tante Rinas Renten?

FRÄULEIN TESMAN

Ja, sieh mal, ich wußte doch keinen andern Ausweg.

TESMAN stellt sich vor sie hin

Aber, Tante, bist du denn ganz von Sinnen! Die Renten – das ist ja doch das einzige, wovon ihr lebt.

FRÄULEIN TESMAN,

Na, na, – reg dich nur deswegen nicht so auf! Das Ganze ist doch eine bloße Formsache, verstehst du. Das hat Assessor Brack auch gesagt. Denn er war es, der so liebenswürdig war, die ganze Sache für mich zu ordnen. Eine bloße Formsache, sagte er.

TESMAN

Ja, mag sein. Trotzdem aber –

FRÄULEIN TESMAN

Und jetzt bekommst du ja dein eigenes Gehalt, womit du abbezahlen kannst. Herrgott, und wenn wir wirklich ein bißchen was herausrücken müssen –? Nur so ein ganz kleines bißchen im Anfang –? Das würde ja für uns sozusagen nur ein Glück sein.

TESMAN

Ach, Tante, – du wirst doch nie müde, dich für mich aufzuopfern!

FRÄULEIN TESMAN steht auf und legt die Hände auf seine Schultern

Hab ich denn sonst eine Freude auf dieser Welt, als dir den Weg zu ebnen, mein lieber Junge? Du hast doch weder Vater noch Mutter gehabt, an die du dich hättest halten können. Und jetzt stehen wir am Ziel, Jörgen! So manches Mal freilich sah es etwas düster aus. Aber, gottlob, jetzt bist du schön heraus, Jörgen!

TESMAN

Ja, es ist im Grunde merkwürdig, wie alles sich gefügt hat.

FRÄULEIN TESMAN

Ja, – und alle, die sich dir entgegenstellten und dir den Weg versperren wollten, siehst du, die sind nun unterlegen. Die sind gestürzt, Jörgen. Und der, der dir am gefährlichsten war, der tat den tiefsten Sturz. Jetzt liegt er, wie er sich selbst gebettet hat, – der arme irregeführte Mensch.

TESMAN

Hast du was von Ejlert gehört? Seit meiner Abreise, mein ich.

FRÄULEIN TESMAN

Nur, daß er ein neues Buch herausgegeben haben soll.

TESMAN

Was sagst du? Ejlert Lövborg? Erst kürzlich? Was?

FRÄULEIN TESMAN

Ja, so heißt es. Ach Gott, da kann doch nicht viel dran sein, du! Aber wenn d e i n neues Buch erst erscheint, – das wird eine andere Sache sein, Jörgen! Wovon wird es denn handeln?

TESMAN

Von der Brabanter Heimindustrie im Mittelalter.

FRÄULEIN TESMAN

Denk mal an! Daß du auch über so was schreiben kannst!

TESMAN

Übrigens kann es noch eine Weile mit dem Buch dauern. Ich muß ja doch zuerst einmal dieses vielschichtige Material ordnen.

FRÄULEIN TESMAN

Jawohl, zu ordnen und zu sammeln – das verstehst du. Du bist nicht umsonst der Sohn meines seligen Bruders.

TESMAN

Ich freue mich auch richtig darauf, an die Arbeit zu gehen. Besonders jetzt, da ich mein eigenes gemütliches Zuhause habe, wo ich arbeiten kann.

FRÄULEIN TESMAN

Und vor allen Dingen, – da du sie nun hast, die dein Herz begehrte, lieber Jörgen.

TESMAN umarmt sie

Ach ja, ja, Tante Julle! Hedda – ist doch das Allerallerschönste! Nach der Türöffnung sehend: Ich glaube, da kommt sie. Was?

Hedda kommt von der linken Seite durch das Hinterzimmer. Sie ist eine Dame von neunundzwanzig Jahren. Gesicht und Gestalt edel und vornehm. Der Teint von zarter Blässe. Die Augen sind stahlgrau und haben den Ausdruck einer kalten, klaren Ruhe. Das Haar hat eine schöne mittelbraune Farbe, ist aber nicht sonderlich stark. Sie trägt ein geschmackvolles, etwas lose sitzendes Vormittagskleid.

FRÄULEIN TESMAN geht Hedda entgegen

Guten Morgen, liebe Hedda! Einen schönen guten Morgen!

HEDDA reicht ihr die Hand

Guten Morgen, liebes Fräulein Tesman! Ein so früher Besuch? Wie freundlich von Ihnen.

FRÄULEIN TESMAN scheint etwas verlegen

Na, – wie hat denn die junge Frau in ihrem neuen Heim geschlafen?

HEDDA

Ach, danke! So leidlich.

TESMAN lacht

Leidlich! Du bist aber gut, Hedda! Du hast ja wie ein Murmeltier geschlafen, als ich aufstand.

HEDDA