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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Henrik Ibsen war seiner Zeit weit voraus. Bis heute sind die starken Frauen seiner Stücke begehrte Schauspielrollen. Eine dieser Frauenfiguren ist Hedda Gabler, die sich in ihrem biederen Heim erschießt, damit »eine freiwillige Tat des Muts in dieser Welt geschehen kann«. Ibsens Dramen, zu ihrer Zeit große Skandale auf den Bühnen der Welt, haben auch nach hundert Jahren nichts von ihrer Schlagkraft eingebüßt: Was sie an Frauenschicksalen exemplarisch gestalten, ist die menschliche Suche nach Selbstbestimmung und die Sehnsucht nach Einzigartigkeit.
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Seitenzahl: 146
Henrik Ibsen
Hedda Gabler
Schauspiel in vier Akten
Aus dem Norwegischen in der von Ibsen autorisierten Übersetzung von Emma Klingenfeld
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Jörgen Tesman, Kulturhistoriker
Hedda, seine Frau
Fräulein Juliane Tesman, seine Tante
Frau Elvsted
Assessor Brack
Ejlert Lövborg
Berte, Dienstmädchen bei Tesmans
Das Stück spielt in Tesmans Villa; westliche Stadtgegend.
[Sprich Elwsted, Eilert Löwborg, Rüsing]
Ein geräumiges, fein und geschmackvoll eingerichtetes Gesellschaftszimmer, in dunkeln Farben gehalten. An der Rückwand eine breite Türöffnung mit zurückgeschlagenen Portieren, durch die man in ein kleineres Zimmer, das im gleichen Stil gehalten ist wie das Gesellschaftszimmer, gelangt. An der rechten Wand des Gesellschaftszimmers eine Flügeltür, durch die man ins Vorzimmer kommt. Gegenüber, zur Linken, eine Glastür, gleichfalls mit zurückgeschlagenem Vorhang. Durch die Scheiben sieht man einen Teil der draußen liegenden, gedeckten Veranda und herbstlich gefärbte Laubbäume. Im Vordergrund steht ein ovaler Tisch mit Decke, der von Stühlen umgeben ist. Vor der rechten Wand ein breiter, dunkler Kachelofen, ein Lehnstuhl mit hohem Rücken, ein Fußschemel mit Kissen und zwei Hocker. Hinten im Winkel rechts ein Ecksofa und ein kleiner runder Tisch. Vorn links, etwas von der Wand entfernt, ein Sofa. An der Glastür ein Klavier. Zu beiden Seiten der Türöffnung im Hintergrund stehen Etageren mit Terrakotta- und Majolika-Gegenständen. – An der Rückwand des dahinterliegenden Zimmers sieht man ein Sofa, einen Tisch und ein paar Stühle. Über diesem Sofa hängt das Porträt eines schönen älteren Mannes in Generalsuniform. Über dem Tisch eine Hängelampe mit einer Glocke aus Milchglas. – Im Gesellschaftszimmer viele Blumensträuße in Vasen und Gläsern, weitere liegen auf dem Tisch. Beide Zimmer sind mit dicken Teppichen belegt. – Vormittag. Die Sonne scheint durch die Glastür.
Juliane Tesman, mit Hut und Sonnenschirm, kommt durch das Vorzimmer; Berte, die ein mit Papier umwickeltes Bukett trägt, folgt ihr. Fräulein Tesman ist eine Dame von angenehmem und gutmütigem Aussehen; sie ist ungefähr fünfundsechzig Jahre. Einfach, doch sorgfältig gekleidet; graues Straßenkostüm. Berte ist ein älteres Dienstmädchen von schlichtem, etwas ländlichem Äußeren.
FRÄULEIN TESMAN bleibt in der Tür stehen, horcht und sagt mit gedämpfter Stimme
Aber nein –! Ich glaube wirklich, sie sind noch nicht auf den Beinen!
BERTE gleichfalls mit gedämpfter Stimme
Das hab ich doch gesagt, Fräulein. Denken Sie doch bloß, wie spät in der Nacht das Dampfschiff angekommen ist! Und dann nachher! Herrje, – was die junge Frau nicht alles noch auszupacken hatte, bis sie zu Bett kam!
FRÄULEIN TESMAN
Ja, ja – mögen sie sich nur recht ausschlafen! Aber frische Morgenluft, die sollen sie doch hier im Zimmer haben, wenn sie kommen. Sie geht zur Glastür und macht sie weit auf.
BERTE am Tisch, ratlos, das Bukett in der Hand
Du lieber Gott ja, – ob hier wohl noch ein anständiger Platz ist! – Ich meine, ich setz es da hin, Fräulein! Stellt das Bukett aufs Klavier.
FRÄULEIN TESMAN
Na, jetzt hast du also eine neue Herrschaft, meine gute Berte. Der Himmel weiß, wie furchtbar schwer es mir geworden ist, mich von dir zu trennen.
BERTE weinerlich
Und mir erst, Fräulein! Was soll ich erst sagen? Ich war doch nun schon so manches liebe Jahr bei dem gnädigen Fräulein in Diensten!
FRÄULEIN TESMAN
Wir müssen uns drein schicken, Berte. Es bleibt uns weiß Gott nichts anderes übrig. Sieh mal, Jörgen muß dich in der Wirtschaft haben. Das m u ß er. Von Kindesbeinen an ist er ja doch gewöhnt, daß du für ihn sorgst.
BERTE
Ja, aber sie, die zu Hause liegt, die geht mir doch gar nicht aus dem Sinn. Die Arme, die so ganz hilflos ist! Und nun gar das neue Mädchen! In ihrem ganzen Leben lernt die nicht, es der Ärmsten recht zu machen.
FRÄULEIN TESMAN
Ach, ich werde sie schon noch richtig anlernen. Und die Hauptsache nehm ich selbst auf mich, verstehst du. Meiner armen Schwester wegen brauchst du dir keine Sorge zu machen, meine liebe Berte.
BERTE
Aber es ist da auch noch was andres, Fräulein. Ich bin nämlich richtig bange, ich mache es der jungen Frau nicht recht.
FRÄULEIN TESMAN
Na, lieber Gott, – im Anfang kann vielleicht wohl dies oder das –
BERTE
Ach, sie ist gewiß sehr eigen.
FRÄULEIN TESMAN
Da kannst du vielleicht recht haben. Die Tochter des Generals Gabler. Freilich, so wie sie’s immer gewohnt war, solange der General noch lebte! Weißt du noch, wenn sie mit ihrem Vater ausgeritten ist? In dem langen schwarzen Reitkleid? Und mit Federn auf dem Hut?
BERTE
Ach ja – das sollt ich meinen! – Nein, du liebe Zeit, wer hätte damals gedacht, daß aus ihr und dem Herrn Kandidaten ein Paar werden sollte!
FRÄULEIN TESMAN
Ich hätt’s auch nicht gedacht. Aber es ist ja wahr – du, Berte, eh ich’s vergesse: Du darfst Jörgen nicht mehr Kandidat nennen. Du mußt Herr Doktor zu ihm sagen.
BERTE
Das hat die junge Frau auch gesagt – diese Nacht, – gleich, wie sie zur Tür hereinkamen. Ist’s wahr, Fräulein?
FRÄULEIN TESMAN
Ja, freilich. Denk nur, sie haben ihn zum Doktor gemacht, im Ausland. Jetzt, auf der Reise, verstehst du. Ich habe kein Sterbenswörtchen davon gewußt, bis er mir’s unten auf der Landungsbrücke erzählt hat.
BERTE
Ach ja, aus dem kann noch alles mögliche werden. So tüchtig, wie der ist. Aber das hätt ich doch nun und nimmer gedacht, daß er sich damit abgeben würde, die Leute zu kurieren.
FRÄULEIN TESMAN
Nein, solch ein Doktor ist er nicht geworden. Nickt bedeutungsvoll. Übrigens ist es vielleicht bald so weit, daß du ihn mit einem noch stattlicheren Titel anreden kannst.
BERTE
Was Sie sagen! Und wie denn, Fräulein?
FRÄULEIN TESMAN lächelt
Hm, – ja, das möchtest du wohl wissen! Bewegt: Ach, lieber Gott ja, – wenn der selige Jochum aus seinem Grabe aufstehen und schauen könnte, was aus seinem kleinen Jungen geworden ist! Sieht sich um. Aber hör mal, Berte, warum hast du das getan und die Überzüge von allen Möbeln genommen.
BERTE
Die junge Frau wollte es so haben. Sie kann keine Überzüge auf den Stühlen leiden, sagte sie.
FRÄULEIN TESMAN
Also wollen sie sich hier drin aufhalten so für alle Tage?
BERTE
Ja, so scheint es. Wenigstens die junge Frau. Denn er – der Herr Doktor, – der sagte nichts.
Tesman kommt trällernd von der rechten Seite des Hinterzimmers, einen offenen leeren Koffer in der Hand. Er ist ein mittelgroßer Mann von jugendlichem Aussehen, dreiunddreißig Jahre alt, etwas korpulent, mit einem offenen, runden, vergnügten Gesicht, blondem Haar und Bart. Er trägt eine Brille und hat einen bequemen, etwas saloppen Hausanzug an.
FRÄULEIN TESMAN
Guten Morgen, guten Morgen, Jörgen!
TESMAN in der Tür
Tante Julle! Liebe Tante Julle! Geht auf sie zu und schüttelt ihr die Hand. Den weiten Weg hier heraus – und so früh am Tage! Was?
FRÄULEIN TESMAN
Du kannst dir doch denken, ich mußte nach euch sehen.
TESMAN
Und dabei hast du noch nicht einmal deine ordentliche Nachtruhe gehabt!
FRÄULEIN TESMAN
Ach, das macht mir gar nichts!
TESMAN
Du bist doch gut nach Haus gekommen von der Landungsbrücke? Was?
FRÄULEIN TESMAN
Ja natürlich – Gott sei Dank! Der Herr Assessor war so freundlich, mich bis an die Haustür zu begleiten.
TESMAN
Es hat uns leid getan, daß wir dich nicht im Wagen mitnehmen konnten. Aber, du hast ja selbst gesehen –. Hedda hatte so viele Sachen, die wir mitnehmen mußten.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, sie hatte wirklich sehr viele Sachen dabei.
BERTE zu Tesman
Soll ich vielleicht hineingehen und die gnädige Frau fragen, ob ich ihr helfen kann?
TESMAN
Nein, – danke, Berte, – laß das lieber sein. Sie sagte, sie wird schon klingeln, wenn sie etwas von dir will.
BERTE geht nach rechts
Na ja, also.
TESMAN
Da schau mal, Berte, – nimm den Koffer da mit!
BERTE nimmt ihn
Ich bring ihn auf den Boden.
Sie geht durch die Vorzimmertür hinaus.
TESMAN
Du, Tante, denk mal an, – den ganzen Koffer hatte ich gestopft voll nur mit Abschriften. Du, es ist geradezu unglaublich, was ich da alles in den Archiven gesammelt habe. Alte, merkwürdige Sachen, mit denen kein Mensch etwas anzufangen wußte –
FRÄULEIN TESMAN
Ja, ja, du hast deine Zeit auf der Hochzeitsreise nicht verschwendet, Jörgen.
TESMAN
Ja, das darf ich wohl sagen. Aber so nimm doch deinen Hut ab, Tante! So! Komm, ich will dir die Schleife aufbinden. Was?
FRÄULEIN TESMAN während er es tut
Ach, lieber Gott, – das ist ja gerade so, als ob du noch bei uns zu Hause wärst.
TESMAN dreht und wendet den Hut in der Hand
Aber, was du dir für einen schönen, eleganten Hut zugelegt hast!
FRÄULEIN TESMAN
Den hab ich mir Heddas wegen gekauft.
TESMAN
Heddas wegen? Was?
FRÄULEIN TESMAN
Ja, damit Hedda sich meiner nicht zu schämen braucht, wenn wir zusammen auf der Straße gehen.
TESMAN klopft ihr auf die Wange
Du denkst aber auch an alles, du gute Tante Julle! Legt den Hut auf einen Stuhl beim Tisch. Und nun, – siehst du, – nun lassen wir uns auf dem Sofa hier gemütlich nieder – und schwatzen ein bißchen, bis Hedda kommt.
Sie setzen sich, Fräulein Tesman stellt ihren Sonnenschirm in die Sofaecke.
FRÄULEIN TESMAN ergreift Tesmans Hände und sieht ihn an
Ach, wie wohl das tut, dich wieder hier zu sehen, Jörgen! O, du – unseres seligen Jochum geliebter Junge.
TESMAN
Und mir erst! Dich wiederzusehen, Tante Julle! Dich, die du an mir Vater- und Mutterstelle vertreten hast.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, ich weiß, du wirst deine alten Tanten immer liebhaben.
TESMAN
Und mit Tante Rina geht’s also noch gar nicht besser? Was?
FRÄULEIN TESMAN
Ach nein, – für die Ärmste ist keine Besserung zu erwarten. Sie liegt noch immer da, wie sie all die Jahre dagelegen hat. Aber der Himmel gebe, daß ich sie noch eine Zeit behalte! Denn sonst weiß ich wirklich nicht, was ich mit dem Leben anfangen soll. Besonders jetzt, sieh mal, wo ich nicht mehr für dich zu sorgen habe.
TESMAN klopft ihr auf den Rücken
Na, na, na, –!
FRÄULEIN TESMAN fällt unversehens in einen andern Ton
Nein, wenn man bedenkt, daß du jetzt verheiratet bist, Jörgen! Und daß von allen du Hedda Gabler heimgeführt hast. Man denke! Die reizende Hedda Gabler, – die so viele Kavaliere hatte!
TESMAN trällert leicht und lächelt zufrieden
Ja, ich glaube schon, hier in der Stadt laufen nicht wenige gute Freunde von mir herum und beneiden mich. Was?
FRÄULEIN TESMAN
Und daß du eine so lange Hochzeitsreise machen konntest! Über fünf – fast sechs Monate –
TESMAN
Na, – für mich ist es ja doch auch so etwas wie eine Studienreise gewesen. Wie viele Archive mußte ich nicht durchstöbern –! Und die vielen Bücher, die ich lesen mußte!
FRÄULEIN TESMAN
Ja freilich, ja. Vertraulicher und mit etwas gedämpfter Stimme: Aber hör mal, Jörgen – hast du mir nicht was – etwas Besonderes zu erzählen?
TESMAN
Von der Reise?
FRÄULEIN TESMAN
Ja.
TESMAN
Mehr als das, was ich dir schon in meinen Briefen mitgeteilt habe, weiß ich nicht. Daß ich den Doktor gemacht habe da unten, das hab ich dir doch gestern erzählt.
FRÄULEIN TESMAN
Das schon. Aber ich meine, – ob du nicht – nicht – Aussichten hast –?
TESMAN
Aussichten?
FRÄULEIN TESMAN
Mein Gott, Jörgen, – ich bin doch deine alte Tante!
TESMAN
Freilich hab ich Aussichten, ja – ja.
FRÄULEIN TESMAN
Na also!
TESMAN
Ich hab sogar die allerbesten Aussichten, in nächster Zeit Professor zu werden.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, Professor, ja –
TESMAN
Oder, – ich darf schon sagen, ich habe die Gewißheit, daß ich’s werde. Aber, beste Tante Julle, das weißt du doch selbst.
FRÄULEIN TESMAN schmunzelnd
Ja, allerdings. Da hast du recht. Wechselt den Ton. Aber wir wollten ja von der Reise sprechen. – Sie hat dich wohl sehr viel Geld gekostet, Jörgen?
TESMAN
Na, lieber Gott, – das große Stipendium hat ja doch ein schönes Stück weitergeholfen.
FRÄULEIN TESMAN
Ich verstehe nur nicht, wie du’s angefangen hast, daß es für zwei reichte.
TESMAN
Ja, ja, das ist auch nicht so ohne weiteres zu verstehen. Was?
FRÄULEIN TESMAN
Und noch dazu, wenn man mit einer Dame reist. Das soll schrecklich viel teurer kommen, hab ich mir sagen lassen.
TESMAN
Versteht sich – ja, ein bißchen teurer kommt es natürlich. Aber Hedda mußte die Reise unbedingt haben, Tante! Das mußte sie wirklich. Anders wär’s gar nicht gegangen.
FRÄULEIN TESMAN
Nein, nein, das wär’s wohl nicht. Denn eine Hochzeitsreise gehört ja heutzutage mit dazu. – Doch, sag mal, hast du dich hier bei dir zu Haus auch schon richtig umgesehen?
TESMAN
Das will ich meinen! Ich bin schon vom frühen Morgen an auf den Beinen.
FRÄULEIN TESMAN
Und wie findest du alles?
TESMAN
Ausgezeichnet! Ganz ausgezeichnet! Nur das eine ist mir unklar, was wir mit den zwei leeren Zimmern machen sollen, die zwischen dem hinteren und Heddas Schlafzimmer liegen.
FRÄULEIN TESMAN lächelt
Ach, mein lieber Jörgen, dafür wird sich schon Verwendung finden – so mit der Zeit.
TESMAN
Da hast du wirklich recht, Tante! Jawohl! Für den Fall, daß ich so allmählich meine Bibliothek vergrößere –. Was?
FRÄULEIN TESMAN
Ja eben, mein lieber Junge! An die Bibliothek, an die hab ich gedacht.
TESMAN
Am meisten freu ich mich aber für Hedda. Bevor wir uns verlobten, sagte sie doch so oft: sie möchte nirgends anders wohnen als in der Villa der Staatsrätin Falk.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, nicht wahr, – und da mußte sich’s so treffen, daß die Villa zu verkaufen war. Als ihr eben abgereist wart.
TESMAN
Wir hatten wirklich Glück, Tante Julle. Was?
FRÄULEIN TESMAN
Aber teuer, mein lieber Jörgen, teuer wird es dich kommen, – die ganze Geschichte.
TESMAN sieht sie ein wenig verzagt an
Ja, das wird es am Ende, Tante.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, du lieber Gott!
TESMAN
Wieviel, was glaubst du? So ungefähr? Was?
FRÄULEIN TESMAN
Das kann ich unmöglich wissen, bevor alle Rechnungen da sind.
TESMAN
Na, glücklicherweise hat Assessor Brack so erträgliche Bedingungen für mich ausgemacht. Das hat er selbst an Hedda geschrieben.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, mach dir deswegen nur keine Sorgen, mein Junge! – Für die Möbel und Teppiche hab ich außerdem Sicherheit gegeben.
TESMAN
Sicherheit? Du? Liebe Tante Julle, – was für eine Sicherheit konntest d u denn geben?
FRÄULEIN TESMAN
Ich habe die Renten verpfändet.
TESMAN
Was? Deine – und Tante Rinas Renten?
FRÄULEIN TESMAN
Ja, sieh mal, ich wußte doch keinen andern Ausweg.
TESMAN stellt sich vor sie hin
Aber, Tante, bist du denn ganz von Sinnen! Die Renten – das ist ja doch das einzige, wovon ihr lebt.
FRÄULEIN TESMAN,
Na, na, – reg dich nur deswegen nicht so auf! Das Ganze ist doch eine bloße Formsache, verstehst du. Das hat Assessor Brack auch gesagt. Denn er war es, der so liebenswürdig war, die ganze Sache für mich zu ordnen. Eine bloße Formsache, sagte er.
TESMAN
Ja, mag sein. Trotzdem aber –
FRÄULEIN TESMAN
Und jetzt bekommst du ja dein eigenes Gehalt, womit du abbezahlen kannst. Herrgott, und wenn wir wirklich ein bißchen was herausrücken müssen –? Nur so ein ganz kleines bißchen im Anfang –? Das würde ja für uns sozusagen nur ein Glück sein.
TESMAN
Ach, Tante, – du wirst doch nie müde, dich für mich aufzuopfern!
FRÄULEIN TESMAN steht auf und legt die Hände auf seine Schultern
Hab ich denn sonst eine Freude auf dieser Welt, als dir den Weg zu ebnen, mein lieber Junge? Du hast doch weder Vater noch Mutter gehabt, an die du dich hättest halten können. Und jetzt stehen wir am Ziel, Jörgen! So manches Mal freilich sah es etwas düster aus. Aber, gottlob, jetzt bist du schön heraus, Jörgen!
TESMAN
Ja, es ist im Grunde merkwürdig, wie alles sich gefügt hat.
FRÄULEIN TESMAN
Ja, – und alle, die sich dir entgegenstellten und dir den Weg versperren wollten, siehst du, die sind nun unterlegen. Die sind gestürzt, Jörgen. Und der, der dir am gefährlichsten war, der tat den tiefsten Sturz. Jetzt liegt er, wie er sich selbst gebettet hat, – der arme irregeführte Mensch.
TESMAN
Hast du was von Ejlert gehört? Seit meiner Abreise, mein ich.
FRÄULEIN TESMAN
Nur, daß er ein neues Buch herausgegeben haben soll.
TESMAN
Was sagst du? Ejlert Lövborg? Erst kürzlich? Was?
FRÄULEIN TESMAN
Ja, so heißt es. Ach Gott, da kann doch nicht viel dran sein, du! Aber wenn d e i n neues Buch erst erscheint, – das wird eine andere Sache sein, Jörgen! Wovon wird es denn handeln?
TESMAN
Von der Brabanter Heimindustrie im Mittelalter.
FRÄULEIN TESMAN
Denk mal an! Daß du auch über so was schreiben kannst!
TESMAN
Übrigens kann es noch eine Weile mit dem Buch dauern. Ich muß ja doch zuerst einmal dieses vielschichtige Material ordnen.
FRÄULEIN TESMAN
Jawohl, zu ordnen und zu sammeln – das verstehst du. Du bist nicht umsonst der Sohn meines seligen Bruders.
TESMAN
Ich freue mich auch richtig darauf, an die Arbeit zu gehen. Besonders jetzt, da ich mein eigenes gemütliches Zuhause habe, wo ich arbeiten kann.
FRÄULEIN TESMAN
Und vor allen Dingen, – da du sie nun hast, die dein Herz begehrte, lieber Jörgen.
TESMAN umarmt sie
Ach ja, ja, Tante Julle! Hedda – ist doch das Allerallerschönste! Nach der Türöffnung sehend: Ich glaube, da kommt sie. Was?
Hedda kommt von der linken Seite durch das Hinterzimmer. Sie ist eine Dame von neunundzwanzig Jahren. Gesicht und Gestalt edel und vornehm. Der Teint von zarter Blässe. Die Augen sind stahlgrau und haben den Ausdruck einer kalten, klaren Ruhe. Das Haar hat eine schöne mittelbraune Farbe, ist aber nicht sonderlich stark. Sie trägt ein geschmackvolles, etwas lose sitzendes Vormittagskleid.
FRÄULEIN TESMAN geht Hedda entgegen
Guten Morgen, liebe Hedda! Einen schönen guten Morgen!
HEDDA reicht ihr die Hand
Guten Morgen, liebes Fräulein Tesman! Ein so früher Besuch? Wie freundlich von Ihnen.
FRÄULEIN TESMAN scheint etwas verlegen
Na, – wie hat denn die junge Frau in ihrem neuen Heim geschlafen?
HEDDA
Ach, danke! So leidlich.
TESMAN lacht
Leidlich! Du bist aber gut, Hedda! Du hast ja wie ein Murmeltier geschlafen, als ich aufstand.
HEDDA