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Heinrich Ernst Kromer war als Schriftsteller, Maler, Zeichner und Kunstgewerbler eine klassische Mehrfachbegabung. Kromer, der als Schriftsteller lange Zeit erfolgreich war und als Erbe Johann Peter Hebels und recht naher Verwandter Robert Walsers betrachtet werden darf, hatte das Pech, dass seine Schriften bald nach seinem Tod im Jahr 1948, selbst im alemannischen Raum, weitgehend in Vergessenheit gerieten. Die Nachkriegszeit beschritt andere, neue Wege, auch was Literatur und Kunst anging. Zwar kam die Kromer-Rezeption im Südschwarzwald und am Bodensee nie ganz zum Erliegen, aber aufs Ganze gesehen fristete das Werk des Autors, der einstmals beim renommierten Insel-Verlag unter Vertrag stand, jetzt ein Schattendasein. Vieles wurde vergessen und nicht mehr wahrgenommen.
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Seitenzahl: 511
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Einleitung
Um nichts
Eine seltene Begegnung
Arnold Böcklin (zum 70. Geburtstag)
Die Frühmesse
Eduard von Gebhardt
Die Mittendurcher
Vom Typischen
Albert Welti
Bildhauer und Majoliken
Die Kunst der Alemannen
Karl Spitteler: Olympischer Frühling
Mutter Ajas Briefe
Andreas Achenbach
Seidler – Vasen
Schultze-Naumburg: Kulturarbeiten
Farbigkeit der Plastik
Bildnis und Zeitcharakter
Farbige Plastik
Der schmerzensreiche Kurfürst
Die neuen Isarbrücken in München
Ein Kindermaler
Münchner Brunnen
Kunstwerk und Bild
Technik und Anschauung
Die Geschichte des Geldsäckleins
Der schlesische Porzellanmaler
Narrheit um Narrheit
Waldkirschen
Geisterfüße
Der Flieger
Wo – Borolok?
Der redliche Finder
Der Jauzhannes in München
Das Kohlrübenkistchen
Nächtliche Fahrt
Das Wettzechen
Der Blüthner – Flügel
Der Wahnsinnige in der Kirche
Doktor Krülls letzte Streiche
Pfarrer Hansjakobs Hauswurz
Der Bauunternehmer von Singen
Die neue Krankheit
Der Hannes und der Schmied-Kobel
Der pfiffige Kegelbruder
Der Schelm als Anwalt
Das Stammschloß
Kunst auf der Waage
Der Zunftspruch
Vom hl. Laurenzi
Der Ehrliche
Der Unterlehrer von Oberweschenbach
Von Eisenbahnen
Maler Leibl und die große goldene Medaille
Die gewechselten Bräute
Gedichte:
Mittagsstunde
Paradies
Verleumdung
Verlorene Mühe
Der Eifersüchtige
Nachwort
Editorische Notizen
Danksagung
Der aus dem kleinen Dorf Riedern am Wald (heute Ortsteil von Ühlingen-Birkendorf) stammende Schriftsteller und Bildende Künstler Heinrich Ernst Kromer hat neben einem umfangreichen Werk künstlerischer und kunsthandwerklicher Arbeiten auch zahlreiche literarische Schriften verfasst. 1893 erschien sein Gedichtband „Schauen und Bauen“, von dem er sich aber später distanzierte und schließlich testamentarisch eine Neuauflage untersagte. 1898 folgte das Prosabuch „Die Mittendurcher“, 1913 kamen „Arnold Lohrs Zigeunerfahrt“, einer der der ersten deutschen Großstadtromane, und 1915 ein weiterer Roman „Gustav Hänfling - Denkwürdigkeiten eines Porzellanmalers“ – dieser in einem der führenden Verlagshäuser der Zeit, dem Insel Verlag. Man sieht, welche Position sich Kromer in relativ kurzer Zeit erschrieben hatte. In späteren Jahren folgten noch weitere Prosabände; 1934 das Buch „Von Schelmen und braven Leuten“ und 1937 folgten die „Alemannischen Geschichten“. 1935 veröffentlichte Heinrich Ernst Kromer als Herausgeber das Buch: „Die Amerikafahrt - Aus den Goldgräberjahren eines Schwarzwälder Bauernsohnes“. Kromer beschrieb darin die Abenteuer seines Vaters Dorus Kromer auf seinen Reisen nach Amerika. Neben dem Roman „Gustav Hänfling“ dürfte „Die Amerikafahrt“ Kromers erfolgreichste Prosaarbeit sein.
Kromer verfasste aber auch zahlreiche Essays, Prosastücke und Gedichte - seine Verstreuten Schriften - und nutzte für deren Veröffentlichung die Publikationsmöglichkeiten in den seinerzeit führenden Kunst- und Publikumszeitschriften. Bereits 1896/1897 wurde in der satirischen Wochenzeitschrift „Simplicissimus“ sein Prosastück „Um nichts“ abgedruckt. Ob dies die erste Veröffentlichung eines Werkes von Kromer in einem Publikationsorgan war, konnte ich nicht mit letzter Sicherheit feststellen. Eventuell früher erschienene Veröffentlichungen sind nicht nachzuweisen. 1897 und 1898 konnte Kromer weitere Texte in den Kulturzeitschriften „Wiener Rundschau“ und „Kunst und Leben“ unterbringen. Um 1900 verfasste Kromer erste kunstkritische Aufsätze und literarische Beiträge für die von Wilhelm Schäfer (1868 - 1952) neu gegründete Monatszeitschrift „Die Rheinlande“, in der Kromer bis 1906 veröffentlichte. In den Jahren 1906 bis 1908 wurden Essays von Kromer in den Publikumszeitschriften „Kunst für alle“ und „Über Land und Meer“ gedruckt. Von 1916 bis 1940 konnte man Beiträge von Heinrich Ernst Kromer auch in verschiedenen Ausgaben der Zeitschrift „Die Jugend“ und „Das Bodenseebuch“ antreffen.
Heinrich Ernst Kromer veröffentlichte nicht nur unter seinem eigenen Namen, sondern verwendete darüber hinaus auch das Pseudonym: Karl Heinz Ammann. Seine Gedichte unterzeichnete er auch bisweilen mit: K. Alberts oder Emil Rieder-Stäg, letzteres eine Abwandlung des Ortsnamens Riedersteg.
Der Schriftsteller Kromer zeigte in seinen „Verstreuten Schriften“ ein facettenreiches Bild seines Schaffens. Es lohnt sich, die Verstreuten Schriften erneut in den Blick zu nehmen. Auch Kromers kleine Texte zeigen seinen besonderen Stil und einen genauen Blick auf die Welt und Zeitgenossen. Und sie verraten sehr viel Witz und Humor, was man sonst in der deutschen Literatur nicht allzu häufig antrifft. Allein das ist schon ein Zeichen von Qualität.
Manchen Leuten läuft das Glück überall in den Weg und bietet sich als Begleiter an; aber sie haben das merkwürdige Geschick, es vor den Kopf zu stoßen aus irgendwelchen Gründen; und nachher wissen sie selbst nicht warum und bereuen es.
Frau Baldwig und ihre Tochter Grete standen unterm offenen Fenster und sahen in die Straße hinab, in den Lärm und das heitere Gewühl des Faschingssonntags. Beide Damen waren einander so ähnlich, dass nur die größere Leibesfülle der Mutter und die Zahl ihrer Jahre sie voneinander abhob; sonst aber schien es - besonders heute -, als wollten sie um jeden Preis einander gleichen, sogar Stimmung und Mienen schienen genau aufeinander eingestellt: Beide schauten schweigend und etwas unzufrieden drein, beide suchten, forschten, spähten erwartend nach jemanden in der Menge; beide glichen in der vornehmstolzen und abweisenden Haltung und in den stummen, strengen Blicken zwei grollenden Königinnen; endlich fühlten sie sogar ganz das Gleiche: nämlich tiefe Bitterkeit über die vermeinte Zurücksetzung und das Bedürfnis einer entsprechenden Rache an dem - geliebten Beleidiger.
Dort ging Berger wieder in seiner bunten Maske drunten in der Menge, Bonbons an allerlei Gänschen verteilend, wie schon den ganzen Nachmittag. Nur sie beide hatte er nicht sehen wollen, als sie drunten waren, und hatte jedesmal, wenn sie gerade an ihm vorbeikamen, seine Süßigkeiten verteilt und ihrer nicht geachtet. Mit böser Absicht, natürlich! dachten die Damen. Und doch waren sie nur seinetwegen gekommen. Denn um das Glück zweier junger Leute zu begründen, die sich, wie Berger und Grete, auf den ersten Blick fanden und liebten und auch sonst in ihren Eigenschaften zueinander passten, durfte eine sorgliche Mutter dem künftigen Schwiegersohn wohl Gelegenheit bieten, sich auszusprechen. Man hatte neben Faschingsscherzen freundlich auch ernste Reden mit in den Kauf genommen, womit Berger ja damals auf dem Eise nicht gespart hatte; heute aber beschämte und erzürnte er die entgegenkommenden Frauen, indem er ihnen aus dem Wege ging und ihre Freundlichkeit zurückwies!
Es lag indes nur ein widriges Geschick vor, dass sich beide Teile heute noch nicht gesprochen hatten; aber man deutete dies da wie dort als böse Absicht und wusste bereits - wenigstens unter den Frauen - wie man sich dafür rächen würde.
Da hatte er sie am Haus erblickt! Mit einem wilden Jauchzer und einem gewaltigen Satze sprang er über die Straße vor das Haus, grüßte, indem er die Narrenpritsche an die Kapuze seiner Hanswurstmaske legte, herauf und begann die Damen mit Bonbons zu bombardieren. Als man aber die süßen Geschosse nicht auffing und kühl ablehnend droben stehenblieb, stürzte er ins Haus, jagte die dunklen Treppen empor und wollte nach Narrenbrauch und recht ohne alle Umstände ins Zimmer dringen. Daran hinderte ihn unter der Türe die Leibesfülle und der unmutige Blick der schönen Frau, und sein Mut und Übermut wurden durch ihre Kälte so abgekühlt, dass er nur noch in steifer Höflichkeit ihnen die Gutchen anzubieten wagte. Aber sie lehnten ab und dankten kühl für seine Güte; und dies bestärkte in ihm noch den Argwohn, den er den ganzen Nachmittag schon genährt: Er war ihnen gleichgültig geworden, und das wollte man ihn nun zeigen! Deshalb also hatte er sie nirgends auf der Straße gefunden! Deshalb zeigten sie erst so spät sich am Fenster? Verzehrende Eifersucht erfasste ihn; er begann bitter zu scherzen und zu spotten, und hätte er nicht immer noch auf offene Erklärung oder Versöhnung gehofft, so wäre er mit einer Grobheit davongelaufen, heftig, wie er zu handeln pflegte, wenn er Verrat, Verachtung oder Gleichgültigkeit zu wittern glaubte. Doch wartete er schließlich ab, was den Damen zu unternehmen beliebte, und konnte endlich nach zudringlichem Bitten seine Bonbonschachtel an die Mutter bringen, die sie für Grete annahm, weil er sie sonst vor beider Augen zertreten hätte. Worauf er wegging.
Das war für die beiden Frauen ein bisschen Rache, und doch nicht zu viel, und es stand noch immer ein Türchen offen, wo das Glück Gretes und Bergers ein- oder ausgehen konnte, je nachdem man´s haben wollte. Berger aber, der in aufreibendem Zweifel fortgegangen war, trieb sich maskiert in den Wirtschaften umher, um sich mit bösen Späßen, hässigen Anspielungen und giftigen Reden gegen ihm bekannte Gäste zu betäuben, weil er anders den Nachmittag und den Abend in seiner schlimmen Stimmung nicht vorbeigebracht hätte.
Auf diesem Feldzug fand er abends im Nebenzimmer einer Wirtschaft auch Grete und ihre Mutter, die bei einem ihm bekannten Ehepaar und einem unbekannten jungen Manne saßen. Als er diesen sah, packte ihn aufs Neue die Eifersucht; allein er bezwang sich und wäre, um nicht in seiner Leidenschaft noch alles zu verschlimmern, ruhig davongegangen, wenn ihn nicht Gretes Mutter in einem Ton angerufen hätte, der versöhnter klang und ihm wieder Hoffnung gab.
„Grüß Gott, Hansel!“ - rief sie ihn nach seiner Hanswurstmaske an - „willst du uns nicht auch guten Abend sagen?“
Berger trat heran und verbeugte sich tief, wobei er den gewaltigen Hahnenkamm seiner Kapuze schüttelte und die Narrenschellen klingen ließ. Dann wandte er sich, wieder zu gehen.
„Nun, warum geht man so stolz weiter?“ fragte die Frau.
„Verzeihung! Ich fürchte zu belästigen!“ entgegnete er ernst.
Die Frau aber, die einen Scherz von ihm erwartet und zu seiner Ermutigung selber hatte scherzen wollen, fand sich bei seiner Antwort nicht sogleich zurecht und verfehlte sich, trotz der besten Absicht, auch in der ihrigen:
„Wer spricht von belästigen?“ fragte sie; „du brauchst es ja nicht wieder zu treiben wie heute Nachmittag?“
Das schien ihm eine Anklage, die ihn schmerzte; doch schwieg er, und die Rechte auf die Stuhllehne der Frau stützend, sah er ratlos bald zu Grete hinauf, die stumm neben der jungen Frau saß, bald auf den Unbekannten ihr gegenüber. Dies war ein junger Mann mit einem flachen unbedeutenden Gesicht, dem auch der schöne blonde Schnurrbart und der spitze Bart am Kinn keine Männlichkeit verliehen; über seinen Mädchenaugen aber wölbte sich die Stirn bis hinter die Ohren zu einer Glatze aus, in der sich zitternd die Gasflamme spiegelte, als lachte sie über dieses Geschenk des Alters bei einem so jungen Manne. Konnte dieser Oberflächling bei Grete, dem ernsten, tiefen Mädchen, etwas gelten? Berger schien es undenkbar; aber was war bei Weibern nicht alles möglich? dachte er in seinem misstrauischen Herzen. Da brach der junge Mann das Schweigen:
„So mach doch einmal einen Spaß, Hansel!“ rief er. „Wozu bist du denn sonst da?“
„Doch wohl nicht, um dir Späße zu machen? entgegnete Berger. „Du bist ja selber nur ein Spaß!“
Alle lachten, außer dem Abgeführten; sogar Grete zeigte kurz die Zähne, wurde aber sogleich wieder still und ernst; ihr lag der Nachmittag noch im Sinn. Selbst als Berger zu ihr trat und sie teils mit heitern, dann wieder mit bittenden ernsten Worten umzustimmen suchte, schwieg sie beharrlich; dafür erwiderte zuweilen die Mutter, immer im Sinne ihrer Tochter, wie sie meinte, indes ohne sichtlichen Eindruck und Erfolg bei Berger, der einzig von Grete ein freundliches Wort haben wollte. Unterdessen aber hatte ihn der Unbekannte immer mit neidgrünen Blicken angeschaut; er war eifersüchtig geworden hauptsächlich wegen der einlenkenden Worte Frau Baldwigs und glaubte sich nun gegen den Eindringling auf die Hinterbeine stellen zu müssen. Wobei er sich allerdings nicht zuvor fragte, ob er ihm auch gewachsen wäre.
„Merkst du denn nicht, Hansel“ - rief er - „dass du den Damen zur Last bist?“
„Das wärst du wohl auch“ spottete Berger dagegen, „aber man hat dich gewogen und zu leicht befunden!“
Alle lachten wieder laut, und Grete mit. Frau Baldwig warnte den jungen Mann, der sie dauerte, vor dem schlagfertigen Spott des Hansels; jener aber wollte um jeden Preis das letzte Wort haben, im Wahn, damit auch den letzten entscheidenden Hieb zu führen. Weil er aber einen feineren Scherz nicht verstand, griff er plumb zur Grobheit und zwang damit auch seinem Gegner schwere Waffen auf.
„Du wirst unausstehlich, junger Mann!“ drohte er. „Nimm dich in Acht, sonst wird man dich“ - er machte gegen Berger die Gebärde des Hinauswerfens; der aber wusste sogleich Antwort:
„Ah, du bekleidest hier das Amt des Hausknechts?“ fragte er höhnisch.
Das war grob, und alle blieben still dabei; nur der Geschlagene meinte nicht schweigen zu dürfen und erwiderte wegwerfend:
„Geh heim zur Mutter; es ist hohe Zeit für junge Leute!“
Da trat Berger zu ihm heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte zustimmend:
„Du hast allerdings recht: Nur alte Leute wie du dürfen sitzen bleiben; denn über sie wacht das Auge des Herrn!“ Und auf dessen Glatze weisend, fuhr er im Predigertone fort und parodierte: „Siehe, es fällt kein Sperling vom deinem Haupt, ohne den Willen des Herrn - und die Haare auf deinem Dache sind gezählt“. Obwohl es ihnen bei diesem Spotte unschicklich schien zu lachen, konnten die Tischgäste es doch nimmer verbeißen.
Frau Baldwig aber, die eine Ausartung der Spöttereien fürchtete, rief dem Hansel im Tone des Vorwurfs zu:
„Du bist doch ein unausstehlicher Spötter, Hansel; geh nur, es ist genug jetzt“
Bevor Berger aber ging, wünschte er von Grete noch ein freundliches Zeichen; er trat zu ihr heran und streckte ihr die Hand zum Abschied hin; allein trotz der Ermunterung ihrer Mutter gab sie ihre nicht; stattdessen hatte sie bereits ihre Nachbarin, die junge Frau, beauftragt, in ihrem Namen Berger zu antworten. Und ihr Bescheid verfehlte seine Wirkung nicht.
„Du kannst gehen, Hansel. Grete lässt dir sagen, du seiest in Ungnade!“
So hart ihn dies Wort traf, so wollte er sich doch seinen Schmerz nicht anmerken lassen; er fand schnell das letzte Wort, mit dem er wegzugehen dachte, und sagte in gut verstecktem Galgenhumor, indem er sich vor Grete auf die Knie niederließ:
„Grete, Grete! Darüber werde ich mir graue Haare wachsen lassen!“
Damit verschwand er, und aufs Neue schien ihm nun alles verloren. Aber auch Grete fühlte die Wirkung ihres Bescheides: Dass sie sich noch rächte, bewies ihr gerade, wie sehr sie ihn liebte! Und sie wurde den Abend über nimmer froh, und die Reue hielt sie schlaflos die ganze Nacht.
***
Berger litt schwer unter dem Vorgefallenen. Er konnte sich nichts anderes denken, als dass nun alles aus sei und die beiden Frauen, nur den Mut nicht hätten, ihm offen zu gestehen, dass ein anderer - und zwar sicherlich jener unbekannte Flachkopf! - ihn beiseite gedrückt hatte. War dies aber der Fall, dann wollte er den Korb erteilen, mochte er damit die Frauen und sich selber noch so sehr verletzen! Mit solchen Gedanken und in so selbstmörderischer Entschlossenheit erzählte er am anderen Morgen alles seinem Freund Uhlig. Der aber, in Weibersachen erfahren, nannte die ganze Geschichte eine kleine Weiberrache und riet ihm, sich durch einen feinen Scherz galant zu rächen und Versöhnung zu suchen: denn das wäre ja doch - fügte er mit kennerhaftem Lächeln hinzu - bei beiden Teilen der innigste Wunsch, und der Fasching böte die beste Gelegenheit zu einem Scherz.
Nun stand Berger in dem kleinen Städtchen im Ruf eines Don Juan; mit Unrecht zwar, allein da tausend Zungen an diesem Gerücht ein pikantes Gerücht fanden, prüfte man aus einer gewissen Dankbarkeit nicht, aus welch schmutzigem Laden es stammte. Berger hatte auch einmal auf dem Eis mit Grete über diese „Ehre“ gesprochen, die man ihm damit eigentlich erweise, sich aber nicht die Mühe einer Widerlegung genommen, umso weniger, da Grete ihn wirklich für den Mann hielt, der es den Weibern antun könne. Aus diesem Gerücht nun und dem gestrigen Vorfall schmiedeten die beiden Freunde, mit gleichem Urheberverdienst, einen Scherz zusammen, der eine feine Spitze gegen die beiden Damen hatte und zugleich nach zwei Seiten gedeutet werden konnte; harmlos nämlich, falls die Ungnade aufgehoben würde, als letzter Triumph für Berger jedoch, wenn man ihn gestern wirklich mit einem Korb weggeschickt hatte. Und sie zollten selber dem Scherze Beifall, wie Gottvater seinem Schöpfungswerk.
***
Als nachmittags die Menge sich wieder in bunten Farben närrisch durch die Hauptstraße trieb, saß auch Frau Baldwig wieder unterm Fenster, Sonnenschein und Versöhnung im Herzen. Sie forschte aufmerksam nach den Masken, unter denen sie Berger zu entdecken hoffte; aus dem gleichen Grunde bewegte sich Grete in der Straße unter den Leuten. Allein der liebe Übermütige von gestern, mit dem sie sich heute so bereitwillig versöhnt hätten, wollte sich nicht blicken lassen. Hatte er am Ende alles ernst genommen und verbarg sich nun aus Schmerz oder aus Groll und Stolz? Sicherlich hatte er unter der Ungnade Gretes schwer gelitten, denn er nahm alles tief und - um Gretes willen lohnte sich es ja auch zu leiden! (Denn sie war schön - dachte die Mutter, die ihr Kind eben drunten vorbeigehen sah.) Oder glaubte er, sich am besten zu rächen, wenn er ihre Gnade gar nicht suchte oder gar - zurückwies? Was man ihm gestern auf seine Bitten nicht gab, wollte er das heute nimmer, wo man ihm es anbot? Damit hätte er triumphiert; seine Rache aber wäre hässlich und unverzeihlich gewesen!
In diesen Zweifeln und Gedanken erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Sie sah nämlich, wie oben in der Straße die Leute auf den engen Stiegen Platz machten und sich umdrehend stehenblieben, um jemand nachzuschauen. Was war denn da Besonderes? Kein Maskenkleid, keine bunten Farben, keine Narrenschellen! Auch sah man selten einen lachen, vielmehr schienen die Leute alle ehrerbietig auszuweichen und mitleidig denen nachzuschauen, die da einherschritten: lauter Umstände, die in Gretes Mutter die Erwartung steigerten und ihre Neugier verzeihlich machten.
Jetzt kam es näher, langsam. Aber es war ein furchtbares Bild, das ihr Herz zusammenzog.
Ganz gebrochen in seinem Mantel hängend ging Berger am Arm Uhligs einher. Haar und Schnurrbart waren ihm über Nacht weiß geworden, und wie um das greise Haupt in der Sonne zu wärmen, trug er den Hut in der einen Hand. Der scharf geschnittene Kopf hing im Halse steif nach vorn; der Blick war kummervoll und müde. Ernst und fürsorglich führte Uhlig den armen Menschen langsam daher.
Frau Baldwig schaute erschrocken und starr herunter. Jetzt waren die beiden gerade vor dem Haus gegenüber angekommen. Berger wandte langsam den Kopf und sah mit schmerzlichem Blick herauf; dann schwenkte er tief den Hut und verbeugte sich im Vorbeigehen. Frau Baldwig grüßte ernst und ergriffen. Dann aber fasste sie plötzlich Lachen und Heiterkeit: Das war doch kein Ernst! Das war ja der herrlichste Spaß, den Berger ersinnen und spielen konnte!
Also grüßte sie ihm nochmals nach, herzlich lachend und in die Hände klatschend. Worauf Berger sich wieder verneigte und gebrochen weiterschritt, um am unteren Ende der Straße umzukehren; und dabei sah die Frau, dass er eine Tafel mit einer Inschrift auf dem Rücken trug.
Es war doch ein ganzer Bursche, dieser Berger! Wie hatte er nicht gestern den groben Gegner abgeführt! Galant und fein rächte er sich an ihnen für die ungnädige Behandlung: Grau geworden - ihrer lieben einzigen Gretel wegen! Und damit saß der Gute wieder tief in der Liebe ihres reichen Mutterherzens.
Unterdessen war ihm auch Grete begegnet. Seine furchtbare Veränderung hatte sie einen Augenblick erbleichen gemacht, dann aber merkte sie sogleich den Scherz heraus und erwiderte seinen vielsagenden Blick und seinen ehrerbietigen Gruß nur mit solch unmerklichem Kopfnicken, dass er genugsam merkte, wie es mit ihrer Ungnade stünde. Indem sie ihm noch zweimal mit bitterem Lächeln nachsah, hätte sie gerne die Inschrift auf seinem Rücken gelesen; allein er befand sich bereits wieder in der Menge, und nur sein grauer Kopf ragte noch aus der Flut heraus.
Grete begab sich zu ihrer Mutter hinauf und fand sie voll heiterer Bewunderung. Dann aber ging ein eifriges Fragen und Deuten los: Warum blieb er noch länger, da er ihnen doch seine Rache jetzt vorgeführt? Enthielt am Ende die Inschrift was Besonderes, das sie durchaus lesen sollten? Irgendeine Absicht musste ihn doch bewegen, dazubleiben? Er tat ja nichts ohne besondere Gründe? Und so schöpften sie Verdacht, und langsam floss wieder ein Tröpfchen Bitterkeit in ihre Seelen.
Als Berger wieder erschien, fand er die Mutter seltsam lächelnd, Grete hingegen still und ernst, als harrte sie der Inschrift, die ihr noch Unangenehmes bringen konnte. Einen Augenblick gedachte er fortzugehen, weil auch er schlimme Folgen ahnte; dann aber bleib er. Was sollten sie ihn denn übelnehmen? So kleinlich waren sie doch wohl nicht?
Er stellte sich mit Uhlig vor ein Ladenfenster, wobei sie in der Spiegelscheibe sehen konnten, wie die beiden Frauen durch ein Opernglas nach seiner Tafel schauten, erst Grete, dann die Mutter. Dann schlossen sich plötzlich die Fenster, und die beiden Damen verschwanden. Sie hatten die Inschrift gelesen:
Natur-Wunder!!!
DON JUAN
aus Liebeskummer über Nacht
ergraut!
Das hatte sie verschnupft. Sie deuteten die Inschrift als Bosheit und Rache und als höhnische Zurückweisung ihrer versöhnlichen Stimmung. Dazu die unerhörte Torheit und Kühnheit, den nicht eben rühmlichen Ruf eines Don Juan vor aller Stadt aufrecht zu erhalten und ihn, statt zurückzuweisen, den Leuten erst recht vor Augen zu führen!
Das war ihre Auslegung; an die erste Deutung des Scherzes als einer harmlosen heiteren Laune dachten sie nimmer, so nahe sie lag, und in der Seele der beiden Frauen wurde der kleine Tropfen Bitterkeit für die süße Versöhnung zur Essigmutter.
Berger ging, als er das merkte. Nun war alles aus! sagte er sich und brach in seiner verzweifelten harten Art alle Beziehungen zu Baldwigs vollständig ab. Diese waren unterdessen zur Vernunft gekommen und hatten dem wohlgemeinten Scherz wieder die verständigere Deutung gegeben. Allein nun war es zu spät.
Beide Teile bereuten in der Folge die einfältige Art, wie sie ihr Glück vor die Stirn gestoßen; denn ihre Liebe war echt gewesen und schmerzte noch lange nach. Und das Glück hatte es ehrlich gemeint mit ihnen.
(erschienen: Simplicissimus 1. Jahrgang 1896/97)
Es dämmerte schon schwer, und gerade flammten die Bogenlaternen auf, alle auf einen Schlag, als ich einsam durch eine Vorstadt nach Hause wanderte, müde von einem weiten Spaziergang und von Sehnsucht, auszuruhen. Da trat an einer Straßenecke ein vornehmer Herr auf mich zu und fragte mich nach dem Weg zum Hotel „Kaiserhof“. Weil ich selber in jener Richtung zu gehen hatte, lud ich ihn ein, mich zu begleiten, und in der kurzen Viertelstunde, die wir nebeneinander hergingen, lernte ich ihn als einen weitgereisten, weltgewandten Mann kennen, ohne indes, dass er dies irgend absichtlich zur Schau trug. Am „Kaiserhof“ angekommen, verabschiedete er sich und übergab mir unter höflichem Dank seine Karte mit der freundlichen Einladung zugleich, ihn bei Gelegenheit zu besuchen, er halte sich - sagte er - in Familiensachen einige Tage hier auf. Ich überreichte ihm gleichfalls meine Karte, sagte ihm einige verbindliche Worte und empfahl mich. Statt indes heimzugehen, besuchte ich noch ein Kaffeehaus nach dem andern in einer seltsamen Unruhe, die mich plötzlich befallen und deren Ursache ich mir nicht erklären konnte, und kam schließlich erst gegen Mitternacht heim, mit ödem Hirn und unzufrieden mit dem Tage. Beim Schlafengehen fiel mir mit einemmale der fremde Herr wieder ein, und eine törichte Neugier trieb mich, seine Karte zu lesen. Warum nur? Was ging mich ein gleichgültiger Fremder an? Aber ich suchte sie hervor und sah nach dem Namen:
Dr. Ahasver, genannt der ewige Jude.
Ich wurde ärgerlich; denn zweifellos hatte ich es mit einem Schwindler zu tun, der mich für meine Gefälligkeit noch foppen wollte; wenn aber nicht, dann mit einem Verrückten. Doch unterdrückte ich schnell meinen Unwillen, um mir wenigstens nicht den Schlaf dadurch zu verderben, und legte mich nieder mit abgestelltem Denken; allein die Maschine kam plötzlich wieder in Gang, ohne dass ich es verhindern konnte, und begann zu surren und zu arbeiten wie ein ganzer Fabriksaal, so dass ich gerne dem schrecklichen Getöse entronnen wäre, hätte ich es nur vermocht. Weil ich aber wusste, dass uns in liegender Stellung, besonders Nachts, die Gedanken oft zahlreicher anfallen als beim Gehen, erhob ich mich und lief im Zimmer auf und ab, ohne Erfolg jedoch; denn der Name Ahasver hatte in mir Stürme und Erregungen aufgerufen, die mich Jahrhunderte und Völkerschicksale in Minuten durchleben ließen und mir jene große, menschliche, hoffnungsvolle Stimmung gaben, in der uns nichts mehr undenkbar noch unmöglich und das Leben einen Wert nur zu haben scheint, wenn es das Höchste wagt und vollbringt und an immer höhere Menschenmöglichkeiten glauben lernt: Empfindungen, die mir eine Begegnung selbst mit dem ewigen Wanderer Ahasver noch denkbar, Zweifelsucht aber und Verneinung und unschöpferisches Nörgeln zur Sünde der Menschheit machten.
Ich verbrachte die Nacht ohne Schlaf und fand Ruhe nur einige Stunden in den wachsenden Tag hinein; aber keine Erholung folgte ihr, und ich büßte die gefühlten Erlebnisse mit bleischwerer Erschöpftheit. Ja, als ich gegen Mittag nach dem „Kaiserhof“ ging, um Ahasver zu besuchen, geschah es nicht so sehr mit Drang und Willen, als nur um die mächtigen Empfindungen der vergangenen Nacht nicht ganz zu verleumden.
Ahasver erkannte mich gleich beim Eintreten wieder, kam auf mich zu und lud mich zum Frühstück ein, freundlich und mit einfacher Natürlichkeit, so dass meine Meinung von ihm als einem Schwindler oder Verrückten sogleich wich. Der Kellner brachte eine Flasche Rheinwein und einige leichte Gerichte; und ungezwungen kam dabei ein Gespräch in Fluss. Zum Voraus aber die Bemerkung, dass ich meine Erwartung, die ich vorher künstlich noch etwas hochgeschoben, ein wenig getäuscht sah. Das war durchaus kein uralter, verwitterter Jude, noch begann er sogleich, wie ich in meiner Seele eigentlich gehofft, über Philosophie und ungelöste Welträtsel zu sprechen. Ein etwa fünfunddreißigjähriger Weltmann saß da vor mir, der leichthin über die alltäglichsten Dinge plauderte, über den Straßenverkehr in unserer Stadt, soweit er die seit seinem kurzen Aufenthalt kannte, über den Reichstag und seine neuesten Verhandlungen, über Russen und Franzosen und ähnliche Dinge mehr, die er indes alle rasch abtat - wie mir dünkte, als ziemlich unbedeutend. Dabei verwirrte mich immer das feine Lächeln, das jeweils um seine Lippen lief, so oft ich ihn mit „Herr Doktor“ ansprach, und endlich bat er mich, diesen Titel nimmer zu brauchen, da er ihn nicht besäße, noch überhaupt einen anderen, außer dem des ewigen Juden, den ihm auch nur die Deutschen in ihrer Titelsucht aufgehängt hätten. Er bediene sich solcher zwar, doch nur, um Anderen den Umgang mit ihm zu erleichtern oder gar zu ermöglichen, weil die oft den Menschen nur noch in seinem Titel gelten ließen. „Und“ - setzte er hinzu - „verzeihen Sie, dass ich Sie gestern Abend auch daraufhin anschaute; da ich Sie jetzt aber als Menschen erkenne, bitte ich Sie, auch mich als solchen zu behandeln und jeden Titel, auch den des ewigen Juden zu vermeiden“.
„Gern!“ erwiderte ich. „Aber Sie sind doch - der ewige Jude?“
„Ahasver - meinen Sie? Ja gewiss!“
„Und nicht Jude?“ fragte ich.
„Dazu, wie gesagt, haben mich erst die Deutschen gemacht“.
„Warum wollen Sie denn nicht Jude sein? Fürchten Sie sich vor den Antisemiten? Oder sind Sie gar selber einer?“
„Nicht im Geringsten, mein Herr. Sehen Sie mich doch nur an, ob ich Grund habe, den Juden in mir zu verleugnen!“
„Sie haben“, meinte ich, „viele Züge eines Griechen; Kinn und Backenknochen aber wollen mir eines Römers scheinen“.
„Meine Ahnen waren Griechen; erst meine Mutter brachte römisches Blut in unser Geschlecht“.
„Allein - ihr Name, mein Herr? Ist der nicht -?“
„Den hat mir die Sage gegeben; und weil sie mich für einen Juden ausgab und meinen richtigen Namen nicht kannte, taufte sie mich jüdisch. Schließlich gewöhnte ich mich daran und behielt den Namen“.
„Sie waren aber bei der Kreuzigung Christi zugegen?“
„Nicht doch, mein Herr. Nur auf seinem Kreuzweg habe ich den Nazarener gesehen. Ich kam gerade von einem Bacchanal, da begegnete mir der Zug“.
„Und da verweigerten Sie dem Heiland die Ruhe, um die er Sie bat? Er wollte sich doch auf die Bank vor Ihrem Hause setzen?“
„Das ist Legende. Der Nazarener sprach mich an, allein bevor ich antworten konnte, musste ich mich abwenden, da ich sein leidendes Gesicht und seine todessüchtigen Mienen nicht ertragen konnte“.
„Sah er sehr leidend aus?“
„Ich hatte nie Ähnliches gesehen. Drum war mir es so ungewohnt und erschütterte mich so, dass ich fürchtete, sein Anhänger werden zu müssen aus Schmerz und Mitleid mit ihm und aus Zorn und Rache gegen seine Peiniger“.
„Warum wollten Sie das nicht? Wäre es Ihnen denn so schwergefallen?“
„Können Sie in einem Augenblick einen Tempel auf den Grund niederreißen und im selben Augenblick wieder anders aufbauen? Dazu hat sich selbst euer Heiland drei Tage auserbeten“.
„Aber viele Andere traten doch auch über?“
Ahasver zuckte die Achseln. „Die waren“ sagte er, „wohl seit Langem schon dazu vorgeartet und erfüllten nur ihre Bestimmung. Was aber sagten Sie dazu, wenn ich von Ihnen verlangte, aus einem Künstler und freien Menschen ein Bureausasse oder eine Beamtennummer zu werden, und das mit Leib und Seele, mein Herr, wie ich auch Alles immer mit Leib und Seele war?“
Da ich schwieg und nichts einzuwenden wusste, fuhr er fort: „Eine Ahne von mir soll den Alkibiades geliebt und einen Sohn mit ihm gehabt haben. Und eine Ader von diesem Mann hat immer in mir geschlagen. Nach einem Leben voll Reichtum, Pracht und Kunst, voll Schaffens- und Genussfreude hätte ich nun mit eins ein Entsager und Dulder werden und unter lauter dürftigen Menschen verkehren sollen? Das verlangten damals nur Wenige im Staate; und gegen diese stand die Polizei“.
„Sie wandten sich also weg, und darauf verfluchte Sie der Heiland, wie die Sage berichtet“.
„Ja, er verfluchte mich!“
„Nie zu sterben und ewig auf Erden zu wandern?“
„Ewig zu wandern, ja!“
„Hat sich der Fluch erfüllt?“
„Wie Sie sehen, mein Herr; glücklicherweise!“
„Fühlten Sie den Fluch zugleich wirken?“
„Ich glaube, ja!“
„Und wie denn?“
„Ich empfand eine seltsame Stärkung und ein Wohlgefühl, wie es nur der kennt, der nach schweren Schicksalsschlägen sich stolz wieder erhebt mit dem Bewusstsein, nun erst recht weiterzuleben und nicht zu unterliegen“.
„Also nicht Angst, nicht Schrecken, noch die furchtbare Aussicht auf ewige Qual?“
„Ganz das Gegenteil!“
Erstaunt über das Vernommene und voll Bewunderung dieses Mannes schwieg ich einige Zeit; dann trieb mich wieder die Wissbegierde, und ich fragte weiter:
„Sie sagten vorhin. Der Fluch habe sich erfüllt, und fügten hinzu: glücklicherweise!“
„Nun ja, ich sagte Ihnen doch, wie das Wort des Nazareners auf mich wirkte: Beglückend - möchte ich sagen - im höchsten Sinne des Wortes. Nun war mir mit einemmale die Aussicht und die Möglichkeit gegeben, alles noch ungesehene Menschentum, alles noch ungesehene Menschentun zu sehen, zu erleben, mitzuempfinden, mitzutun! War das nicht ein Glück? Nicht das Leben selber? Oder was verstehen Sie denn anders unter Leben?“
„Was sollte dann also der Fluch? Der Heiland wollte Sie doch strafen, wenn ich recht verstehe“.
„Die Sage sagt es, und die konnte es wissen“, entgegnete Ahasver mit feinem Lächeln. „Für den Nazarener, dem das Leben eine Last, der Tod eine Lust, eine Erlösung, der Eingang in die ewige Seligkeit war, musste das ewige Leben auf dieser Erde, wozu er mich verfluchte, die schreckliche Qual, die schwere Strafe bedeuten. Mir aber, der das Leben immer liebte, musste seine Ewigsprechung das Glück selber sein und die Erhöhung meiner tiefsten Wünsche und geheimsten Hoffnungen“.
„So hätte also der Heiland mit Ihrer Verfluchung zu ewigem Leben nur Gutes geschaffen?“
„Für mich gewiss! Freilich auf dem Weg der Selbsttäuschung und ohne es im letzten Grunde zu wollen. Darin gleicht er - gleichfalls wider Willen - einem anderen Geiste“.
„Ich verstehe Sie“.
„Doch muss ich ihm gerecht werden und gestehen: er hat immer nur das Gute gewollt“.
Und dabei lächelte Ahasver.
„Eine Frage noch: Dürfen Sie auch heiraten, will sagen: das Weib lieben und Kinder zeugen?“
Ahasver wurde heiter. „Wie können Sie nur fragen? Das gehört doch Alles zum Leben, und zum Leben bin ich ja verflucht - Verzeihung, ich wollte sagen: gesegnet!“
(erschienen: Wiener Rundschau vom 15. Juli 1897)
Böcklin steht heute auf einer Stufe des verdienten Ruhmes und der Bewunderung, die zu überschreiten Zudringlichkeit wäre und von ihm selber wohl ebenso mit Verachtung behandelt würde, wie einst die Verkennung und Anfeindung, unter denen er in seiner ersten Schaffenszeit zu leiden hatte. Er ist heute der Mann wie früher; seine Seelengröße und Bescheidenheit so echt, wie vordem, als er die ersten Schritte zu seiner Abwegigkeit machte, sein tief gegründetes Selbstbewusstsein und seine Selbstsicherheit. Stets hat er an der richtigen Stelle Maß gehalten: in der Verachtung seiner Feinde wie in der stillen Belächelung seiner Vergötterer und Vergötzer; das Unmaß lag immer auf der Seite derer, die es gut oder böse mit ihm meinten: des Publikums. Ihn sachlich zu beurteilen, ist darum so schwer wie bei allen Großen; ihr Geist, ihr Einfluss, ihre Macht ziehen einen Bannkreis um uns, den man kaum überblicken, geschweige denn überschreiten kann; man kann beleuchten, feststellen; man wird versuchen, richtig zu stellen; damit ist am Ende genuggetan und man bescheidet sich damit.
Basel, die Vaterstadt Böcklins, hat ihm zu Ehren eine Ausstellung seiner Bilder veranstaltet, die unter neunzig Stück etwa fünfzig Meisterwerke zeigt: eine ebenso bewunderns- wie dankenswerte Sache, bedenkt man, wo überall in allen Windrichtungen die sorgsam gehüteten Bilder des Künstlers zusammenzusuchen waren. Sie soll ein Bild seiner Entwicklung und seiner Bedeutung geben. Der Bedeutung, ja; um ein richtiges von seiner Entwicklung zu geben, dafür fehlen, meines Erachtens, viele Stücke, besonders Landschaftliches, aus seinen Übergangsjahren. Träte man z. B. in der Ausstellung aus dem dritten Saal, dem der Jugendarbeiten, in den mittleren, so fände man es einfach unglaublich, ja fast unmöglich, dass ein und derselbe Mann so Verschiedenes schaffen konnte: gequälte, farblose Porträts, dilettantische, geringwertige Landschaften, kaum eine freiere Handzeichnung, die schon die Klaue zeigte. (Was bedeutet u. a. das Porträt Lenbachs aus Böcklins 33. Jahr; wie Großes dagegen aus seinem 31. schon das Gemälde: »Jagd der Diana«!). Einen Übergang könnte hier in etwas höchstens der frei und groß aufgefasste, einfach gemalte Kopf eines Römers machen; aber selbst der erste Saal der eigentlich die Brücke bilden soll, zeigt schon zu reife Werke, um die Autorschaft eines Künstlers für die Bilder jenes und dieses Saales glaubhaft erscheinen zu lassen. Im Mittelsaal vollends, dicht neben jenen Versuchen, hängen, um nur die wichtigsten Namen zu nennen: »Spiel der Najaden«, »Venus genitrix« (Triptychon), »Sorge und Armut«, »Pieta«, •Vita somnium breve«, »Prometheus«, »Flora«, »Hochzeitsreise«, »Sieh, es lacht die Au«, »Heimkehr«, »Polyphem und Odysseus«, »Fischende Pane«, »Susanna im Bade«, zwei Selbstporträts und das Bildnis von Frau Böcklin; im ganzen Werke aus den letzten zwei Jahrzehnten, während der erste Saal solche vom Ende der Fünfziger- bis Ende der Sechzigerjahre enthält: den düsteren Gothenzug, so gewaltig, wie keine Historienmalerei uns ein Bild jener Zeit gibt, einen büßenden Anachoreten, ein herrliches Weinbild »Est est«, eine Villa am Meer, so farbig, dass die beiden gleichen der Schack-Galerie ganz bleigrau dagegen erscheinen, die ganz tizianische Venus mit Amor, das ergreifende Lied vom Heimweh »Odysseus und Kalypso«, »Die Heilige Muse« und die sehr sinnenfrohe »Muse des Anakreon«, den weihevollen »Heiligen Hain« (Feuerpriesterinnen), eine Flora, eine Venus Anadyomene (beide lebensgroß), die von Piraten überfallene Burg im Meer, den elementaren Centaurenkampf, humorvolle Faun- und Nymphenbilder und eine barocke »Idylle am Meer«.
Diese an sich wenigen Namen zeigen gleichwohl die ganze Bedeutung Böcklins und den weiten Umfang seines Schaffens, bei dem eigentlich kein Stoffgebiet ausgeschlossen ist, es wäre denn das Genre (gewöhnlichster Art!); dieses nämlich hebt er, wo er es überhaupt berührt, immer ins Typische, ins Symbolische, ins Allgemein-Menschliche herauf: »Die Hochzeitsreise« z. B. und »Die Heimkehr«. Historie, Fabel, christliche Legende und christliches Drama, großes Epos (»Piratenüberfall«), Lyrik, Hymnus (»Frühlingsbilder«, »Heiliger Hain«), Allegorie, Mythologie, Liebes- und Weinlied, Volkslied (»Heimkehr« nach dem Gedicht »In einem kühlen Grunde«) - sie alle sind behandelt, sogar - das Porträt.
Sogar das Porträt.
In seiner Stellung nämlich zum Porträt als solchem gibt Böcklin gleichsam einen Maßstab für die Höhe und Weite dessen, was er unter einem Kunstwerk versteht. Er lässt das Bildnis nicht als Kunstwerk gelten - wie viele Meister er mit dieser Wertung auch gegen sich hat. Zweifellos, weil er im Porträt Stimmung, Handlung, Poesie - den Grundgehalt seines Schaffens, die Grundforderung höherer Kunst, wie er sie versteht - vermissen muss. Das Bildnis ist ihm bloße Nachahmung des Modells, d. h. der Natur; es ist ihm der »Einzelfall«, der für ihn keine Bedeutung im Verhältnis zum Ganzen hat; es ist ihm die »Person«, nicht der »Mensch«; das Sichüberheben des Einzelnen über das Ganze, über die Natur, das an sich so unbescheiden, wie im tieferen Grunde unmöglich ist; eine Art Selbstmonotheisierung des Menschen, die ihm, dem Pantheisten, gegen den Geschmack gehen mag. Schon in seiner Weimarer Zeit hat er mit Lenbach diese Frage durchgestritten und jenen (wie dieser selbst erzählt) auf Irrwege, d. h. von seiner Grundbegabung und Bestimmung abgetrieben. Wollte Böcklin mindestens Symbolik im Porträt, so verlangte Lenbach einzig Charakteristik, Persönlichkeit, Individualität. Dazu braucht er den neutralen Hintergrund, auf welchem jede Form, jede Linie, jede Farbe Bedeutung bekommt; auf nicht neutralem Grund, also in der farbigen Landschaft, kann der Kopf des Porträtierten nur den Wert eines Farbflecks haben, der der ganzen Stimmung harmonisch eingeordnet werden muss, mag er dabei auch die Führung behalten. Lenbach macht damit ein C'est moi, eine Wichtigkeit aus dem Einzelnen, Böcklin aus dem Einzelnen eine verhältnismäßige Unwichtigkeit, eine Bescheidung, aus dem Ganzen dagegen eine Bedeutsamkeit, auf das Ganze einen Hymnus. Zweifellos hat dabei jeder nur seine Hauptbegabung verteidigt und eine Domäne daraus gemacht; die Technik kann bei dieser Wertung nicht in Anschlag gebracht werden, sie wird als nötiges Erfordernis des Künstlers behandelt, als Sache des Handwerks, die überwunden werden muss; die Anschauung bleibt alles; Böcklin aber verteidigt das Umfassendere, Lenbach das Beschränktere; und sicher ist, dass, neben jenen gehalten, dieser fast als Spezialist erscheint.
Dass er gleichwohl Porträts schuf, entsprang wohl seinem Zug zur Universalität, tiefer genommen: seiner Lust an der Erscheinung; indes wirkt sein Drang zum Typischen auch beim Porträt durch. Das Bildnis z. B. seiner Frau erhält durch das antike Gewand und den Lorbeer eine weitere Bedeutung denn als bloßes persönliches Porträt; auch seine Selbstporträts sind in Handlung oder in Stimmung gegeben. Zugleich steigerte er aber durch das Porträt auch seine übrigen Stoffgebiete um einige Noten im Wert, gleichsam - und vielleicht mit Absicht, sicherlich aber instinktiv durch Kontrast, ein Wirkungsmittel, mit welchem er in Technik, Linie und Farbe so meisterhaft umgeht.
Schon nimmer als Porträt wirkt sein Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod; es ist ein Kunstwerk höherer Bedeutung und eines der tiefsten aller Zeiten. Böcklin in der Reife seiner Jahre, den farbgefällten Pinsel und die reiche Palette in der Hand, lauscht aufmerksam und sinnend dem Lied, das ihm der Tod hohnlachend auf der letzten Saite seiner Geige aufspielt. Das Auge des Künstlers ist durchgeistigt; es schaut in dem grausigen Augenblick Bilder und Visionen, die es das Herz zu schaffen und festzuhalten drängt; es schaut sie mit ungeheurer Ruhe und Zuversicht, mit stiller Verachtung des so nahen Todes. Es scheint voll sicheren Vertrauens zu sagen, der Knochenmann komme noch zu früh, und wenn nicht zu früh, so doch vergeblich im Hinblick auf das, was der Künstler Unsterbliches schuf und was er noch schaffen wird, bevor dem Tod auch noch die letzte Saite reißt. Wo ist in einem Werk gleicher Schauder und gleiche Ruhe, gleiche stille Todes- wie Lebensverachtung, gleiches Kraftvertrauen und gleiche Schaffenslust, wo - im Ganzen - gleiche Ironie geschildert? Wie christlich, wie sehr als ewiges Memento Mori wirken nicht dagegen die Porträts mit dem Tode aus den deutschen Schulen des Mittelalters: unaufhörlich die hässliche, demütigende Mahnung an die Kürze und die Eitelkeit des Lebens! Und hier? Nichts von dieser einseitigen Gedrücktheit; vielmehr erscheint das Bild, je länger man es anschaut, je mehr als eine stille, großartige Satire gerade auf jene anderen. Angesichts des Todes spricht es vom Schaffen. Du redest vom Sterben; ich aber verkünde das Leben, ich preise es, ich lebe, denn ich schaffe! - sagt Böcklin. Er ist deutsch und antik mit dieser Auffassung; jene alten Meister mit der ihren sind nur deutsch. Er gibt mit diesem Bild eine Lebens-, eine Weltanschauung; er weist damit auch schon auf seine Kunstanschauung hin. Meister seines Schicksals und voll Vertrauen darauf, ist er auch Meister seiner Kunst und geht voll Vertrauen seinen Weg.
Seine Kunstanschauung ist bereits in seiner Wertung des Porträts gegenüber weiteren Stoffen angedeutet. Sie geht von der Lust an der Erscheinung aus und hat die Darstellung des ganzen Lebens in seinen typischen Formen zum Ziel: Universalität also in einer Kunst - in der bildenden. Lebens- und Weltanschauung - oder Ideen - scheinen mir in Böcklins Werken durchaus sekundär; sie dienen, sie entstammen der Freude an der Erscheinung. Und dies in Formen wie in Farben. Es reizt ihn z. B. die Darstellung einer Theatergebärde, wie die der trauernden Magdalena (in der Kreuzabnahme wie in der Beweinung Christi); er verfällt, um sie anbringen zu können, auf diese Legende. Feinsinnig genug; denn er fand diese Gebärde typisch nirgends in seinem so bevorzugten antiken Heidentum noch etwa im germanischen; sie ist echt orientalisch, sie ist fast spezifisch christlich. Das Typische dabei im weiteren Sinne gibt das Drama Christi, die Tragödie des Genies im Allgemeinen ab. Oder der grausige Schmerz der Mutter über den Tod ihres Sohnes und zugleich der ehrfürchtige Schauder bei der Berührung des geliebten Toten: Beides bietet ihm die christliche Legende - und wiederum typisch. Die edle, ehrfurchtsvolle Gebärde der Naturanbeter fand er so rein und so groß nur im griechischen Heidentum, die straffe und gestählte Haltung des Helden und Abenteurers in den Germanenzügen; die feine Anmut weiblicher Linien bei Venus und den Musen; die plumpe, polternde Gebärde bei Faunen und Satyrn, die vertrackte, barocke in seinen Meerfabelwesen, die sehnsüchtige, rätselhafte in den Weibern seiner Frühlingsbilder.
All dies nicht nur auf die Linie, sondern auch auf die Farbe anzuwenden: Er giert nach allen Farben; sie alle bietet aber nur das ganze Leben; also...! Unter- oder eingeordnet werden die Kontraste, der Wirkung halber. Die Farben werden nicht einseitig etwa nur in ihrer Höhe oder Tiefe angewendet, sondern in allen Abstufungen jede. Verschiedene Kombinationen in einem Bilde wirken vertiefend, erhöhend oder machen wett; doch vermeidet Böcklin, wenigstens in wichtigeren Partien des Bildes, das unmittelbare Nebeneinander der Komplementärfarben. Er setzt irgendwo ein höchstes Rot - reinen Zinnober - mildert oder steigert es sodann – je nach Bedarf - z. B. durch stärkstes blau - reinen Cobalt; bei der Durchführung der ganzen Rotskala endet er in der Tiefe mit Violett, das an Blau anklingt und dieser Skala ruft, die dann emporgetrieben wird bis zum hellsten Blau, dem (ungemischten) Weiß. Gelb zählt zur Skala des Rot, Schwarz zu Blau; Grün ist Mischfarbe und erhält je nachdem durch Blau oder durch Rot seine nötige Stufung.
Um alle diese Farben aufführen zu können, hat er in jedem einzelnen Werk eine Menge Wesen und Objekte als deren Träger nötig; jedes wird, seiner Bedeutung gemäß, stark oder schwach betont, aber alle mit gleicher Liebe durchgeführt. Man erkennt an der Pinselführung die intime Freude, die er an jedem Gegenstand im Bilde hat: Da ist er ganz Homer. Die Beziehungen all dieser Objekte zueinander ergeben dann Stimmungen, ergeben Handlung; und dadurch entsteht immer ein Leben, ein Reichtum an Gestalten, Bildern, Symbolen, Gleichnissen, Taten, wie in einem Gesang Homers oder einem Shakespeare`schen Drama.
Auch die Mannigfaltigkeit der Linie wird vom Künstler sehr gepflegt; er weiß, dass sie den Wert des Rhythmus in der Musik besitzt und wie jede Änderung in ihr den Rhythmus des Bildes steigern oder mildern kann. Wie die Farbe, so wird auch sie als Symbol gefasst und so nach Bedarf gewertet; eine selbstverständliche, fast grob-greifbare Sache für den, welcher der sinnlichen Bedeutung des Wortes in der Sprache nachzugehen weiß und nichts als abstrakt, als geistig oder fein-symbolisch nimmt, was nicht zuvor während langer Zeit grobsinnlich gefasst wurde.
Die Wirkung durch Kontraste geschieht meist dadurch, dass alles womöglich auf Silhouette, und zwar auf dunkle wie auf helle Silhouette, berechnet ist: die Form, die Gestalt also als Ausschnitt auf einem entgegengesetzten Farbwert; z. B. in »Odysseus und Kalypso« der dunkle (wie eine Erzstatue) ragende Körper des Odysseus auf heller Luft; der helle, fast weiße Leib Kalypsos gegen dunkles Felsgestein. Ähnliches in »Poesie und Malerei«. Dabei sind die Formen der Objekte, besonders die Umrisse so scharf und individuell gepackt, als wären sie auf neutralem Grunde, z. B. auf feuchtem, grauem Himmel gesehen; erst im Bilde werden sie mit Luft umgeben, wie es die Harmonie eben verlangt. Hier blickt der Plastiker heraus.
Selbst in den Gestalten wirkt er gern durch Kontraste, natürlich nur in humorvollen oder in barocken Bildern: plumpe Faune neben weißen, zarten Nymphen; dunkle athletische Tritonen neben fernen, aristokratischen Nereiden.
Mit vorwiegend einer Stimmung, einer Linie (der Parallele z. B. in Ebenen), einer Farbe (nur durch Grau nuanciert) und vorwiegend ohne Kontraste - wie es viele Moderne lieben und preisen - arbeitet Böcklin nicht, als mit Einseitigkeiten natürlich, die er nicht ihrem Reichtum an Können und Wollen auf die Rechnung setzt, sondern ihrer Armseligkeit - die sich aber gleichwohl gern zur Tugend stempelt. So gibt er auch nicht in einseitiger, fast als Tendenz wirkender Schilderung das Leben irgendeiner Menschenklasse wieder; er fand Sorge und Armut, Poesie und Humor, Schmerz und Freude, Trauer und Frohsinn überall; er hat sie nebeneinander in seinem Schaffen gegeben, als Kontraste, weil sie im Leben als Kontraste wirken. Sichtlich oder gar absichtlich bevorzugt ist keines, auch keine Lebensoder Weltanschauung mit Wissen und Willen daraus gemacht; er predigt nicht; er schildert, er schafft. Hat er in seinem umfänglichen Schaffen christliche Tragik und Demut neben antiker Lebenslust geschildert, so geschah es auch nur des Kontrastes wegen; die eine Weltanschauung verstärkt die Wirkung der entgegengesetzten.
Man hat immer Böcklin vor anderen Malern als Dichter gepriesen; ein Hauptlob. Warin aber liegt die Stärke des Dichters? Man sagt, in seiner Phantasie und spricht von der überströmenden Erfindungs- und Gestaltungskraft. Mir scheint der Urgrund des Dichters, des Dichterischen nicht so sehr in der Phantasie zu liegen als in seiner Erinnerungsfülle. Erst die Erinnerungen machen den Dichter, machen den gemütstiefen Künstler überhaupt. Sie können, je nachdem sie in der Jugend gespeist wurden, auch die Phantasie ausmachen. Nicht die Erinnerungen, über denen man tränenselig Taten, Leben und Gegenwart versäumt, nicht die, welche unverdaut und unverdaulich uns immer wieder aufstoßen, sondern die, welche dem Kindergemüt langsam, fast ihm unbewusst eingeprägt worden sind, die nie darin erlöschen, sondern leuchtend und wärmend fortleben, so dass sie alles später Erlebte mit mildem Glanz durchscheinen und vergolden. In den Entwicklungsjahren gehen diese Erinnerungen dann für den Künstler verloren, vielmehr sie erliegen dem Druck des Lernens, des harten Handwerks; sie treten zurück vor dem weiten Ausblick nach Zielen, vor der Kälte des Lebens, die den Künstler anzuwehen beginnt. Dann tritt die Ruhe des Mannesalters heran; der Künstler fühlt sich Meister seiner bildenden Hand. So auch Böcklin. Aber das Leben in seinen Erscheinungsformen stößt ihn ab; er verkriecht sich in seine Seele, er sucht Wärme in der Kammer seiner Erinnerungen. Erst durch diese sieht er jetzt die Formen des Lebens goldener, versöhnlicher; langsam statt zu schwinden, wächst die Macht und der Schatz der Erinnerungen, sie mischen sich mit dem Neuen, das auf ihn eindringt; sie geben ihm anderes Maß, anderen Bezug. Alles wird durch sie runder, voller, reicher; alle Vorgänge im Leben sieht er mehr und mehr als Märchendinge; was noch nicht Person ist - Bäume, Wald, Wasser, Quellen, Wolken - wird belebt; es muss belebt werden; denn neben dem Drang der Erinnerungen treibt der des Schaffens und Gestaltens, und bald sieht der Künstler, dass ihn die Fülle des zudrängenden Stoffes erdrücken möchte, und er sucht, wählerisch genug jetzt, nur das Größte und das Liebste aus. Dann spricht man vom Künstler - wie es Böcklin passierte -, er sei Romantiker. Er fliehe in eine «andere Welt«. Daneben aber preist man mit tausend Trompeten Eigenart, Individualismus in der Kunst aus, verlangt von jedem Künstler eine eigene Welt und bedenkt nicht dabei, dass diese »andere« Welt gerade des Künstlers eigene und eigenste ist, die ihm kein Prediger des Individualismus, kein »modernes Leben«, kein reales Anfassen der neuesten Probleme in gleicher Pracht, in gleichem Reichtum geben kann! Auch das Ewige in seinen Werken übersieht man ob dem tölpelhaften Wort Romantik und versteht nicht zu unterscheiden zwischen der Romantik, die aus schwachem Herzen stammt und dem ewigen Schaffen des reichen Herzens, das alle Zeiten umfasst, das alle tiefen Erlebnisse kennt.
Und aus diesen tiefen und reichen Erlebnissen entspringt die Tiefe und der Reichtum, auch der Anforderungen ans Leben und der Geschenke, die ein Künstler in seinen Werken der Welt gibt. Farben und Formen sind Erlebnisse. Volle Farben und Formen, edle, ernste und heitere Linien, wer kann sie wieder wollen, wer wiedergeben, als der sie in der Jugend in sich aufgenommen? Ererbt, erworben, erlebt! Sie sind so schließlich - Leib geworden. Der immer nur Kleinheit, Neid, Feigheit, Elend in seiner Jugend um sich sah, wird nie echt farbenprächtig malen; er wird ein böses, ärmliches Grau nicht los, und will er's verbergen, so greift er zur Pose, zu großen Mänteln, zur Theatralik; wahr und echt kann er nur sein Erlebnis geben. Und Böcklin gab's.
Der Vorwurf gegen Böcklin als einen Romantiker ist so eng als töricht und ungerecht. Man sage doch nur, wo er mit seiner angeborenen Farbenliebe heute hätte hinsollen, wo das höchste Feierkleid der schwarze Anzug oder die geschmacklos bunte Militäruniform ist, wo jedes Haus grau gestrichen ist und jeder Baumstamm kalkweiß. Anton v. Werner hat ja den Weg gezeigt. Böcklin aber musste, wenn anders sein ganzer innerer Wert und Reichtum nicht verloren gehen sollte, was ihm der Neid ja gern gegönnt hätte, ins farbige Altertum zurück oder doch in Zeiten, die der Kritiker auf ihre Farbe und Form nicht so genau kontrollieren kann, wie das Heute.aber mehr. Nahm der Künstler nicht sein Köstlichstes: seine Landschaft, sein Weibideal, seine Männertypen aus der Gegenwart, ebenso wahr und echt wie etwa ein Uhde oder einer der Worpsweder? Wo hätte er die plumpen Faune mit ihrem blechernen, meckernden Lachen sonst gefunden als unter Schweizer Hirten; wo seine edlen Männer sonst als in Italien? Und der Typus des vornehmen Weibes, das er malt, stammt aus Basel, seiner Vaterstadt. Leibhaftig wandeln dort diese aristokratischen Mädchen und Weiber umher, durch die er uns das antike Weib so anschaulich wie eigenartig und lebendig näher führte und doch zugleich mit all dem Rätselhaften, das jene Zeit noch für uns hat. Auch er scheint, wie jeder, der Basel zum erstenmal sieht, diese Typen unauslöschbar in sich aufgenommen, auch er das Geheimnisvolle hinter ihnen gewittert zu haben - wie hätte er's sonst so meisterhaft auszudrücken vermocht? Diese Geschöpfe in seinen Frühlingsahnungen - ahnungs- und geheimnisvoll selber, wie der Frühling; diese verhaltene Lebensfreude und Kraft in ihnen; diese Sehnsucht nach Lebensgenuss, die sich selbst in Schranken hält und immer doch fragt: warum? Immer hofft und fühlt, es geschähe zum eignen Glück, indem sie dadurch des kommenden Genusses freudiger, würdiger würden. Diese stillen, aristokratischen Mienen, dieses Rätsel auf den Gesichtern. Sie machen, wie die lebenden vornehmen Baslerinnen, immer den Eindruck, als sprächen sie nie; als wäre das Reden für sie das Preisgeben eines hohen Geheimnisses; ein leeres, unnützes Schwatzen über einen ungeheuren Verlust, den sie einst erlitten; als gäbe es Größeres, Würdigeres als das Sprechen oder als wäre es ihrer aller nicht angemessen, zu Menschen einer Zeit zu reden, die in einem so grauen Leben wandeln und die nicht in der Tiefe ihrer Seelen noch die Tradition einer aristokratischen Vergangenheit heilig hüten. Als hätten sie Trauer im Blick, weil ihre herrliche Stadt mit eins ihr ganzes Antlitz verändern und verkehren konnte, und als lebten sie im Puritanismus nur wie unter einer den Atem beengenden Maske, die sie einst umso heiterer und freier wieder von sich würfen, wenn die frühere Herrlichkeit für ihre Stadt wieder anbrechen würde. Schweigende, vornehme Häuser mit geschlossenen Läden; verschwiegene, schweigende, sehnende Herzen.
(erschienen: Wiener Rundschau vom 16. Oktober 1897)
Als Hildberg, der junge Geistliche, vor dem Kruzifix auf der Höhe des Weges grüßend den Hut lüftete, geschah es mit einem scheuen Blick, als hätte er ein böses Gewissen dabei. Er schritt dann langsam weiter, unter den Obstbäumen der Straße hin, die in sanfter Windung nach dem Hof Brunnberg hinabführte. Dieser lag, von hohen, herbstlichen Bäumen umstanden, in einer Wiesensenkung, einsam, wie abgesprengt von den paar Dörfern der ferneren Umgebung; im Osten stand die gerade lange Mauer eines Buchenwaldes; gegen Westen stieg langsam das Gelände an bis zu einer sanft geschwungenen Hügelkette, über der die sinkende Sonne stand und ein langer bleigrauer Wolkenstreifen hinzog. In den Hofraum eintretend, sah er sich gegenüber, wie einen Steinwürfel, das große Wohnhaus mit dem französischen Dach und der blauen Uhr auf seinem Türmchen, die halb sieben zeigte. Aus dem langen Wirtschaftsgebäude zur Rechten hörte man Vieh brummen aus offenen Ställen und Stimmen von Dienstboten: ein Brunnen plätscherte in einen langen Steintrog; ein zweiter floss aus einer halbrunden Mauernische neben der Tür des Wohnhauses. An der breiten Steintreppe lag der Hofhund, den Kopf zwischen den Vorderfüßen und leise und misstrauisch knurrend; als ihn Hildberg freundlich bei Namen rief, wedelte das Tier und er konnte ungehindert eintreten. Unter der Haustür kam ihm die Bäuerin entgegen und grüßte mit dem ortsüblichen „Gelobt sei Jesus Christ!“ - In Ewigkeit, Amen! sagte Hildberg, drückte ihr die Hand und trat in das weite Wohnzimmer, wo ihn die Frau am großen Tisch Platz nehmen hieß, während sie ihren Töchtern rief und die Näharbeit wegräumte, ein schwarzes Kleid, an dem sie ausgebessert hatte.
Die beiden Töchter kamen, begrüßten den Pfarrer scheu und verschwanden dann wieder in die Küche.
Das Geschäftliche, das Hildberg auf den Hof geführt hatte, war schnell abgetan. Der Jahrtag für den verstorbenen Brunnbergbauer musste um einen Tag verschoben werden wegen eines Todesfalles im Dorf und weil der alte Pfarrer selber leicht erkrankt war und alles dem Vikar hatte übertragen werden müssen. Umso höher glaubte die Bäuerin dem jungen Pfarrer den Besuch anschlagen zu müssen; sie dankte ihm für die Mühe, die er sich zu so später Stunde noch genommen habe und bat ihn, zum Nachtessen zu bleiben. Es werde gleich aufgetragen werden und der Herr Pfarrer sei gewiss müde von dem weiten Weg. Heim wolle sie ihn dann durch den Oberknecht fahren lassen; doch müsse er unbedingt eine Kleinigkeit zu sich nehmen. Hildberg nahm an und blieb; und es waren beide, jeder aus besonderem Grund, mit dieser Entscheidung zufrieden.
Der Pfarrer war aufgestanden. Die Mädchen ließen ihre Arbeit sinken und sahen zu ihm auf.
„Es ist Zeit zu gehen“, sagte er, „Das Wetter muss mich mahnen; ich hätte es sonst ganz vergessen“.
Aber die Bäuerin wollte ihn halten. „Möchten Sie nicht warten, Herr Pfarrer“, sagte sie, „bis das Schlimmste vorbei ist?“
„O, es wird wohl gehen!“ entgegnete Hildberg. „In einer halben Stunde bin ich im Dorf, wenn ich gut laufe“.
Nun wollte sie einspannen und ihn heimfahren lassen; aber das lehnte er von vornherein ab. Da es jedoch draußen heftiger stürmte und Frau Möll ihm den Weg vertrat, blieb er schließlich und es setzten sich alle wieder.
„Sie sind zu ängstlich um mich“, begann Hildberg, und erhob sein Weinglas, um anzustoßen. Es war ihnen so heimelich jetzt in der hellen behaglichen Stube, während draußen das Dunkel in einer Sintflut ertrank und der Wind an Läden und Fenstern zerrte.
„Dem Andenken Ihres seligen Mannes“, sagte Hildberg, indem er mit der Bäuerin anstieß. Sie tat ihm Bescheid; dann stießen auch die beiden Mädchen an. Er forschte dabei eifrig nach Linas Blick; sie sah ihn aber unbefangen an und er durfte es bescheiden sich selber zuschreiben, dass ihre Gläser stärker zusammenklangen. Dann griff die Bäuerin den Faden der unterbrochenen Erzählung wieder auf. Es war die Geschichte des Brunnberghofes.
Ungefähr da, wo jetzt das Kruzifix errichtet wäre, hätte früher - sagte sie - ein einfaches Bauernhaus gestanden. Ihr Mann habe es aus der leichtsinnigen Verwaltung seines Bruders noch gerettet, der bald darauf gestorben sei. Zu jener Zeit habe sie den stillen, emsigen Menschen kennen gelernt und er kurz darauf um sie angehalten; trotz seinem bescheidenen Besitz mit so ruhigem Ernst, als wäre es selbstverständlich, dass sie seine Frau würde. Aber es seien schwere Bedenken ihrer Eltern zu überwinden gewesen und von ihrem Heiratsgut hätte sie nichts erwarten dürfen, bevor ihr Mann nicht bewiesen hätte, er wisse sein Gut zu erhalten und zu mehren. Was ja eine ganz gute Vorsichtsmaßregel ihrer Eltern gewesen sei - fügte sie hinzu. Der Mann habe dann von einem im Dorf auf Abbruch versteigerten Haus Steine und Gebälk allmählich heraufgebracht, in mühsamen Fahrten mit den eigenen Ochsen, aber ohne darüber seine Geschäfte zu versäumen. Von dem dann ausbezahlten Teil ihres Heiratsgutes hätte er den nahen Wald erstanden und Steine darin gebrochen, woraus das neue Wohngebäude wohl zum halben Teil aufgeführt sei, hier unten im Wiesenkessel, wo der Hof geschützter war und auch die Quellen sprangen, nach denen er das Gut Brunnberg hieß. Alles wurde nach den Plänen ihres Mannes gebaut und habe sich in der Folge auch trefflich bewährt. Als das Wohnhaus jedoch bis ans Dachgesims aufgeführt gewesen sei, habe es mit einem Mal dem seltsamen Mann nimmer gefallen und er habe den Abbruch beschlossen, wie sehr sie und die Verwandten ihm den Verlust an Zeit und Arbeit vor Augen hielten. Er habe keine der Einsprachen auch nur mit einem Wort der Erwiderung gewürdigt; nur ihr hätte er einmal erklärt: Wenn mir mein Haus nicht gefällt, so reiße ich es ein und baue es neu, unbekümmert um die Meinung der Leute. Dass mir es nicht darin behagt, ist zehnmal schlimmer als aller Verlust; es macht mich krank, wenn ich es tagtäglich sehen und daran denken muss. Also habe er es bis auf den Grund niedergerissen und den Plan verändert innen und außen, und es sei besser geworden, wie hernach jeder habe zugeben müssen.
Hildberg schüttelte den Kopf wie ungläubig, und sah die Bäuerin an, schweigend und ernst, als wollte er ihr seine eigenen Gefühle in die Seele schieben und dann erforschen, was sie darüber dächte. Aber sie erriet nichts von seinen Gedanken und machte ein kluges, selbstzufriedenes Gesicht, mit der Miene der Erwartung, dass Hildberg ihren trefflichen Mann nun doch auch wohl loben möchte.
„Ein seltener, seltsamer Mann!“ sagte Der endlich, indem er jedes Wort betonte; „aber er hat Recht gehabt“.
Das war auf die Bäuerin gemünzt; allein er traf nur sich selber damit.
„Ja, er hat Recht gehabt“ - fuhr die Bäuerin geschmeichelt fort „und man hat ihn allerorten nachher ordentlich gelobt“. Doch habe er sich an das Lob so wenig gekehrt, wie zuvor an den Tadel; nur ihr habe er einmal gesagt: „Sich nicht beirren lassen ist alles. Was ich tue, ist meine Sache; was geht mich der Nachbar an!“ - Und er hat Recht gehabt - fügte sie bei. Dächte nur jeder so und täte danach, so stünde es auch besser in der Welt. Man muss die Menschen nur verstehen, dann kann man ihnen viel verzeihen; meinen Sie nicht auch, Herr Pfarrer?
Aber Hildberg schwieg; ihn plagten nicht gerade die höflichsten Empfindungen. War das - dachte er - nicht alles bloß ein schönes Sprüchlein, das gar leicht über die Lippen ging, aber nie tiefer gedrungen war? Ihr Mann, ja, der hatte es gefühlt, gelebt, getan und darin lag sein Manneswert. Aber sie? Und ob sie wohl auch noch das Verstehen predigte, wenn Hildberg jetzt mit seinen Gedanken frei vor sie hinträte?
Eine gelinde Verachtung, die er zu verscheuchen suchte, wandelte ihn an und verstrickte ihn tiefer in sein Sinnen. Er überhörte darob fast ganz die weitere Erzählung der Bäuerin von der Vergrößerung des Besitzes, von der Entwässerung der Felder, die so viel gekostet, aber dann auch so gut gelohnt hätte und von anderem mehr, und erst, als sie von den Studien ihres Sohnes sprach und meinte, der Bauer müsste, wie jeder andere Mensch, mit den Fortschritten der Zeit gehen, wenn er gut bestehen wolle, horchte er wieder auf und gab ihr Beifall.
Die Bäuerin hatte geendet und alle schwiegen. Hildberg gedachte zu gehen. Er musste allein sein mit seinem stürmenden Innern; denn seit er die Geschichte des Brunnbergbauers kannte, schien er sich selber unentschlossener und weiter vom Ziel entfernt als je.
Er erhob sich, um zu gehen; aber draußen tobten Wind und Wetter wüster, und die Finsternis war so dick, dass an einen Heimweg nicht zu denken war und die Bäuerin Hildberg bat, auf dem Hof zu übernachten. Man werde ihn morgens zeitig wecken und ins Dorf hinabfahren, damit er nicht die Frühmesse versäume, sagte sie.