Heiße Affäre mit dem Boss - Louise Fuller - E-Book

Heiße Affäre mit dem Boss E-Book

Louise Fuller

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Beschreibung

Zuckerweiße Strände, türkisblaues Meer und ein sexy Fremder dazu … In der Karibik lässt sich die schüchterne Kitty spontan zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht verführen. Was sie nicht ahnt: César ist ihr neuer Boss! Und das bleibt nicht die einzige Überraschung …

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Seitenzahl: 182

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IMPRESSUM

Heiße Affäre mit dem Boss erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2019 by Louise Fuller Originaltitel: „Consequences of a Hot Havana Night“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 487 - 2020 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Natasha Klug

Umschlagsmotive: Harlequin Book S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 4/2024

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751529280

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Die karibische See glitzerte wie tausend Diamanten im hellen Sonnenschein, und der blütenweiße, von Palmen gesäumte Strand strahlte beinahe blendend hell.

Kitty Quested ließ mit angehaltenem Atem den Blick über diese Postkartenidylle schweifen. Sie konnte auch jetzt – vier Wochen nach ihrer Ankunft auf Kuba – noch immer kaum glauben, dass dies von nun an ihr Zuhause sein würde.

Zuhause …

Sie fasste ihre langen kupferfarbenen Locken mit einer Hand zusammen, sodass der laue Wind ihren Nacken streicheln konnte. Dabei dachte sie wehmütig an das kleine Küstenörtchen in Südengland, in dem sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hatte.

Dort war sie geboren und aufgewachsen. Dort hatte sie ihre Jugendliebe Jimmy kennengelernt, ihn geheiratet – und ihn verloren.

Sie dachte an all die Menschen, die sie zurückgelassen hatte. Ihre Eltern, ihre Schwester Lizzie und deren Freund Bill. Sie dachte an das winzige Cottage mit Blick aufs Meer und nicht zuletzt auch an ihren Job in Bills Unternehmen, wo sie ihr erstes Produkt für die noch junge Destillerie hergestellt hatte: den Blackstrap-Rum.

Kitty wurde von einer heftigen Welle des Heimwehs ergriffen.

Drei Monate war es her, dass Miguel Mendoza, der Produktionsleiter der Destillerie Dos Rios Rum, überraschend mit ihr in Kontakt getreten war. Die Feier zum zweihundertjährigen Bestehen der Marke stand bevor, und man wollte zu diesem Anlass mehrere aufregende neue Geschmacksrichtungen auf den Markt bringen. Mendoza schlug vor, dass Kitty zwei davon kreieren sollte.

Hätte sie sich damals schon hingesetzt und in Ruhe über alles nachgedacht, Kitty hätte den Job vermutlich abgelehnt. Sie wäre geschmeichelt gewesen, sicherlich. Aber im Gegensatz zu ihrer Schwester Lizzie war sie von Natur aus eher zurückhaltend. Und wenn die Vergangenheit sie eines gelehrt hatte, dann, dass es schmerzhaft enden konnte, wenn man ein zu großes Risiko einging.

Doch jetzt, fünf Jahre nach Jimmys Tod, war eine Veränderung genau das gewesen, was Kitty wollte und brauchte. Sie musste dringend ihre Trauer hinter sich lassen und wieder zu leben anfangen. Und so hatte sie keine fünf Minuten nach Mendozas Anruf zurückgerufen und zugesagt.

Sie strich sich das Haar zurück, das sich wie flüssiges Feuer über ihre Schultern und ihren Rücken hinab ergoss. Am Flughafen hatte sie ihrer Schwester noch versprochen, dass sie es in Zukunft offen tragen würde. Vermutlich hoffte Lizzie, dass es ihr helfen würde, auch in anderen Dingen mehr aus sich hinauszugehen.

Doch das war gar nicht so leicht …

Jimmy war ihre erste große Liebe gewesen, und sie konnte sich nicht vorstellen, jemals für einen anderen Mann so zu empfinden wie für ihn. Sie wollte es auch gar nicht. Liebe – wahre Liebe – war zugleich ein Segen und ein Fluch, und sie glaubte nicht daran, dass man so etwas im Leben zweimal erleben konnte. Ihre Freunde und ihre Familie waren anderer Ansicht, doch Kitty wusste einfach, dass dieses Kapitel für sie abgeschlossen war. Daran konnten auch noch so viel Sonne, Meer und Salsa nichts ändern.

Sie blickte nach unten und entdeckte zu ihrem Entzücken einen leuchtend orangefarbenen Seestern, der im flachen Wasser dahintrieb. Was hieß „Seestern“ noch gleich auf Spanisch? Kitty zückte ihr Smartphone und wollte das Wort gerade nachschlagen, als das Telefon in ihrer Hand zu vibrieren begann. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie den Namen auf dem Display las.

„Hey, Lizzie.“

„Hallo. Sag mal, du … du bist doch nicht etwa am Strand, oder? Ist das die Brandung, die ich da im Hintergrund höre?“

„Allerdings.“ Kitty grinste. „Ich mag zwar nicht im Büro sein, aber ich arbeite trotzdem gerade. Ich recherchiere.“

„Du recherchierst, soso.“ Lizzie schien einen Fluch zu unterdrücken. „Nun, ich kann nur hoffen, dass du ausreichend Sonnenschutz aufgetragen hast, so empfindlich, wie deine Haut ist.“

Seufzend schaute Kitty an sich hinunter. Sie trug eine langärmelige Bluse und einen langen Rock. „Ich trage so viel Kleidung und Sonnencreme, dass ich vermutlich blasser nach Hause zurückkehren werde, als ich aufgebrochen bin.“

„Wer weiß? Vielleicht kommst du auch gar nicht mehr zurück. Nicht wenn dein unglaublich attraktiver Chef sich entschließt, sich endlich mal bei euch sehen zu lassen. Ich kann es praktisch vor mir sehen, wie eure Blicke sich zum ersten Mal begegnen, über Reihen von Reagenzgläsern hinweg …“

„Ich arbeite im Labor, Lizzie. Ich glaube kaum, dass sich mein unglaublich attraktiver Chef ausgerechnet dorthin verirren wird. Und selbst wenn – er weiß doch sicher nicht mal, wer ich bin.“

Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, schlenderte Kitty weiter den Strand entlang, bis zu dem kleinen Wald, der daran grenzte und in dem es immer ein wenig kühler war als anderswo.

Sie hetzte sich nicht. Die Dinge gingen auf Kuba einen gemächlicheren Gang. Selbst bei der Arbeit hatte jeder seinen eigenen Rhythmus, und auch Kitty hatte sich schließlich – nach einer Woche ihrer typisch englischen Arbeitsroutine – dem kubanischen Zeitgefühl angepasst. Es war zuerst merkwürdig gewesen, aber die Welt war nicht untergegangen, und wie Mr. Mendoza ihr bei ihrem ersten Gespräch gesagt hatte: Sie war ihr eigener Boss.

Das stimmte natürlich nur in gewissem Maße. Fast alles auf dieser so gut wie unberührten Halbinsel – die Bäume, der Strand und vermutlich sogar der Seestern – gehörte zum Anwesen der Finca el Pinar Zayas. Und das wiederum gehörte dem el jefazo – dem großen Boss, wie ihn alle nannten.

César Zayas y Diago.

Sein Name klang wie Musik, und Kitty ließ die fremdartigen Silben genießerisch über ihre Zunge rollen. Ob es wohl möglich war, jemanden heraufzubeschwören, nur indem man an ihn dachte?

Schön wär’s!

Sie mochte sich manchmal vorstellen, wie es wäre, den Boss von Dos Rios zu treffen, aber bisher hatte sie noch nicht einmal mit ihm telefoniert.

Nicht dass sein fehlendes Interesse an ihr Kitty irgendwie bekümmerte. Eigentlich war sie sogar ganz froh. Sie war von einem ruhigen englischen Küstenstädtchen ins pulsierende Herz der Karibik gezogen, aber tief in ihrem Inneren war und blieb sie ein Mädchen vom Lande. Ihren legendären und unzweifelhaft eindrucksvollen Boss kennenzulernen war ein Erlebnis, auf das sie nur zu gern verzichtete.

Umgekehrt ging es ihm vermutlich ganz ähnlich, denn er hatte die Hauptverwaltung schon zweimal besucht, seit Kitty in Havanna eingetroffen war. Beide Male war er schon wieder fort gewesen, ehe sie überhaupt mitbekommen hatte, dass er sich im Land aufhielt.

Allerdings hatte sie auch gar nicht erwartet, ihn je zu treffen. Er mochte ein herrliches Haus im Kolonialstil auf dem Anwesen besitzen, aber geschäftlich war er auf der ganzen Welt unterwegs. Ihren Kollegen zufolge besuchte er Havanna nur in unregelmäßigen Abständen und blieb nie für länger als ein paar Tage am Stück.

Selbstverständlich war Kitty neugierig auf ihren Boss. Das war ja nur natürlich. Immerhin hatte er die bescheidene Rum-Destillerie seiner Familie in eine global operierende Marke verwandelt. Und anders als viele seiner Geschäftskollegen hatte er das geschafft, ohne das falsche Spiel der Medien mitzuspielen.

Sie duckte sich unter einem tief hängenden Ast hindurch und fragte sich, wie César Zayas es geschafft hatte, sein Privatleben trotz des immensen Erfolges auch privat zu halten.

Vielleicht war er einfach nur bescheiden. Seine Biografie auf der Website des Unternehmens, die extrem minimalistisch gehalten war, schien das nahezulegen. Es gab nichts Persönliches, keine Zitate oder Weisheiten, nur ein paar allgemeine Worte eingebettet in die Firmenhistorie.

Selbst das dazugehörige Foto sagte nicht wirklich etwas über den Mann aus, der darauf abgebildet war. Er stand inmitten einer Gruppe Männer auf einer Terrasse. Der Rum in ihren Gläsern besaß dasselbe tiefgoldene Orange wie die Sonne, die hinter ihnen am Horizont versank.

Kitty musste nur an das Bild denken, und in ihrem Bauch fing es heftig zu flattern an.

Der CEO von Dos Rios hatte den Blick darauf halb abgewandt, sodass sein Gesicht im Schatten lag. Man konnte seine hohen Wangenknochen und das markante Kinn unter dem dunklen Bartschatten und dem zerzausten schwarzen Haar nur erahnen.

Es gab keine hilfreiche Bildunterschrift, die den einzelnen Männern einen Namen zuwies, doch das war auch nicht nötig. Die Aura von Überlegenheit und Macht, die César Zayas y Diago ausstrahlte, ließ keinen Zweifel offen, dass die Welt ihm zu Füßen lag. Sein Leben war rasant wie ein Sportwagen. Nur sein Lächeln – das Kitty zwar noch nie gesehen hatte, sich aber problemlos bildlich vorstellen konnte – wäre sicher langsam, beinahe träge und genießerisch, wie ein eiskalter Daiquiri an einem heißen Nachmittag.

Kitty schluckte. Ihr war, als könne sie den Rum und die scharfe Säure der Limone auf der Zunge schmecken. Nur dass sie keine Daiquiris trank. Das waren Cocktails, und sie hatte sich nie selbstbewusst genug gefühlt, einen solchen zu bestellen. Nicht einmal hier auf Kuba.

Ganz besonders nicht hier auf Kuba.

Die Menschen hier waren so schön, von der Sonne geküsst und stets fröhlich. Die Männer hatten dunkle, glutvolle Augen, und die Frauen schafften es, selbst beim Überqueren der Straße Eleganz und Anmut auszustrahlen.

Kitty selbst hatte sich bisher noch nicht nach Einbruch der Dunkelheit nach Havanna gewagt, doch selbst bei hellem Tageslicht war die pulsierende Energie der Stadt deutlich zu spüren gewesen. Es war ein Vibrieren wie das Summen eines Schwarmes Bienen – einlullend und doch gefährlich. Sie war fasziniert gewesen, nicht nur von den Menschen. Die Häuserwände, an denen langsam die Slogans von Revolución para Siempre – immerwährender Revolution – verblassten. Die bonbonfarbenen, auf Hochglanz polierten Máquinas, amerikanische Autos aus den fünfziger Jahren, die die Straßen säumten.

Überall gab es Spuren der Vergangenheit, von den Balkons im Kolonialstil bis zu den geschwungenen Marmortreppen. Es war lebendig und aufregend, und sie war versucht gewesen, das heiße Stuckwerk zu berühren, um etwas von der Wärme in sich aufzusaugen, die die Stadt ausstrahlte.

Sie erreichte eine Weggabelung und blieb stehen. Ihr Orientierungssinn war noch nie besonders gut gewesen, und so blickte sie unentschlossen in beide Richtungen. Ihr Handy brauchte sie gar nicht erst hervorzuholen, so nah am Meer gab es so gut wie keinen Empfang. Durch die hohen Pinien, die dem Anwesen ihren Namen gaben, konnte man auch nicht sehen, wohin die Wege führten.

Seufzend fuhr Kitty sich mit der Hand durchs Haar. Wenn sie sich für den falschen Weg entschied, würde sie ewig unterwegs sein. Ihre Villa befand sich am äußersten Rand des Anwesens. Normalerweise wohnte dort eine der Hausangestellten, die sich zurzeit jedoch auf der anderen Seite der Insel befand, um ihre kranke Mutter zu pflegen.

Andreas, der Sicherheitschef von Dos Rios, hatte Kitty gesagt, dass sie herzlich eingeladen war, das Grundstück auf eigene Faust zu erforschen. Dennoch hatte sie sich vor allem auf den Strand und den Wald in unmittelbarer Nähe des Hauses beschränkt.

Zehn Minuten später trat sie aus dem Schatten der Bäume heraus und wusste plötzlich sofort, wo sie sich befand. Ihre Villa war von hier aus nur ein paar Minuten Fußweg entfernt.

Erleichtert atmete sie auf, zog ihren Sonnenhut ab und fächelte sich damit Luft zu – nur um im nächsten Moment zu erstarren. Im Zwielicht des Unterholzes halb verborgen, hatte sie eine Herde der Wildpferde entdeckt, die sich frei auf dem Anwesen bewegten.

Ihr Herz fing an zu hämmern. Sie wusste von ihren Gesprächen mit Melenne, die dreimal in der Woche kam, um die Cabaña zu putzen, dass die Pferde nicht gefährlich, sondern einfach nur ungezähmt waren. Ihr dunkles Fell schimmerte im grüngoldenen Licht, das durch die Baumkronen fiel. Ein wunderschöner, majestätischer Anblick.

Langsam trat Kitty einen Schritt auf die Herde zu und streckte zögernd die Hand nach dem Tier aus, das ihr am nächsten stand. Sie hielt den Atem an, als die klugen Augen sie forschend musterten. Im nächsten Moment berührte eine samtweiche Nase ihre Finger.

Ein Lächeln umspielte Kittys Mundwinkel. Sie hielt ihre Hand ganz still und hoffte, dass die Pferde sie vielleicht noch näher kommen lassen würden. Doch noch ehe sie den Gedanken zu Ende gebracht hatte, zerriss ein tiefes Grollen die Stille, und die Herde galoppierte davon.

Was zum …?

Sie wandte sich um und schirmte ihre Augen mit der Hand gegen die Sonne ab. Der Lärm schwoll weiter an, und sie sah etwas Metallisches aufblitzen, das sich rasch näherte. Kitty atmete scharf ein, als sie erkannte, dass es sich um ein Motorrad handelte – und es kam geradewegs auf sie zu!

Der Fahrer schien sie erst jetzt zu bemerken. Sie konnte sehen, wie seine Augen sich vor Überraschung weiteten. Er riss den Lenker seiner Maschine herum, um ihr auszuweichen.

Plötzlich schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen.

Das Motorrad geriet ins Rutschen, kippte zur Seite und schlitterte über den Schotter, bis es schließlich am Wegesrand liegen blieb.

Vor Schreck war Kitty beinahe das Herz stehen geblieben. War der Fahrer verletzt? War er womöglich …?

Nein, daran wollte sie nicht einmal denken. Kitty riss sich aus ihrer Schockstarre und rannte auf das Motorrad zu.

Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung war der Fahrer gerade dabei, sich aufzurappeln. Sie hörte, wie er leise auf Spanisch fluchte – zumindest nahm Kitty an, dass er das tat. In ihren Spanischstunden war es mehr um das Konjugieren von harmlosen Verben gegangen.

Als sie den Unfallort erreichte, blickte sie zurück die Straße hinunter, und ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Von hier aus konnte man deutlich in beide Richtungen sehen. Hätte sie hier gestanden und nicht am Wegesrand, unmittelbar in einer Kurve, dann wäre es nie zu diesem Unfall gekommen.

Ihre Knie zitterten, als ihr klar wurde, dass sie nur ganz knapp mit heiler Haut davongekommen war.

Im Gegensatz zu Kitty schien der Motorradfahrer erstaunlich gelassen.

Bei dem Gedanken, dass auch er hätte verletzt werden können, erschauderte Kitty. Wenn sie genau hier gestanden hätte, nur ein paar Meter weiter …

Aber dann wäre er vermutlich einfach an ihr vorbeigefahren, ohne anzuhalten – dieser Mann.

Es war schon eine ganze Weile her, dass das andere Geschlecht in irgendeiner Form für Kitty relevant gewesen war – dieser Mann aber hatte das Wunder vollbracht. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass sich das Vorderrad des Motorrads noch immer langsam drehte. Der Anblick rief ihr in Erinnerung, was hier beinahe geschehen wäre – und dass sie gerade kein bisschen angemessen darauf reagierte.

„Geht es Ihnen gut?“

Er blickte auf, und für einen Moment vergaß sie zu atmen. Seine dunkelgrünen Augen musterten sie verwirrt, und erst da wurde ihr klar, dass sie ihn auf Englisch angesprochen hatte.

Sie blinzelte. „Entschuldigung, ich meine … se hecho daño?“

Langsam schüttelte er den Kopf, und sie sah, dass die Verwirrung in seinem Blick etwas anderem gewichen war: Ärger.

Sie runzelte die Stirn. Die verzweifelte Panik, die von ihr Besitz ergriffen hatte, als die schwere Maschine unter ihm weggerutscht war, machte nun ihrerseits ebenfalls Platz für Wut.

„Cómo …? Ich meine, puede …? Oh, verflixt, wie war das Wort noch mal?“ Es fiel ihr schwer genug, in ihrer eigenen Sprache einen klaren Gedanken zu fassen.

„Nun, ich schätze, das hängt davon ab, was Sie sagen wollen.“

Sie starrte ihn an. Er sprach Englisch – fließendes, beinahe akzentfreies Englisch.

Verärgert verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wie konnten Sie so unvorsichtig sein? Sie tragen ja nicht mal einen Helm! Sie hätten sich verletzen können“, warf sie ihm vor.

„Unwahrscheinlich. So schnell war ich gar nicht unterwegs. Und davon abgesehen …“ Er hielt inne, zog sein rechtes Hosenbein hoch und zeigte ihr eine dünne, helle Narbe, die sich von seinem Knöchel hinaufzog. „Mir ist schon Schlimmeres passiert.“

Schweigend sah Kitty ihn an. Sie war zu verblüfft, um etwas zu entgegnen. Nicht nur weil er scheinbar mühelos zwei Sprachen beherrschte, sondern vor allem, weil ihm seine eigene Sicherheit völlig gleichgültig zu sein schien. Erneut spürte sie, wie Ärger in ihr hochkochte. Dieses Mal wusste sie allerdings selbst nicht so genau, warum.

Er wuchtete das Motorrad hoch, ehe er sich wieder ihr zuwandte. „Was ist mit Ihnen?“

Seine tiefgrünen Augen musterten sie durchdringend, und Kitty spürte ein elektrisierendes Prickeln am ganzen Körper.

„Geht es Ihnen gut?“, hakte er nach, als sie nicht antwortete.

Er klang eher geschäftsmäßig als besorgt, doch sie registrierte seine Worte nur am Rande. Dazu war sie viel zu abgelenkt von seinem Anblick. Sein Gesicht war wirklich außergewöhnlich eindrucksvoll. Die gerade Nase, das scharf geschnittene Kinn, die gebräunte Haut, die im Sonnenschein beinahe golden wirkte.

Golden?

Kitty konnte nicht fassen, was sie da gerade dachte. Zum Glück hatte sie nur gedacht und die Worte nicht laut ausgesprochen!

Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie konnte nicht aufhören, seinen Mund anzustarren … und sich vorzustellen, wie es sein mochte, diese Lippen zu küssen.

Sie runzelte die Stirn. Das war definitiv nicht die richtige Reaktion auf einen ihr vollkommen fremden Mann. Einen fremden Mann, der sich weder um seine eigene Sicherheit noch um die anderer auch nur einen Deut zu scheren schien.

Ihr Herz fing an, schneller zu hämmern, und Kitty verspürte den heftigen Impuls, einfach wieder im Unterholz zu verschwinden. Doch ein Teil von ihr wollte herausfinden, was wohl geschehen würde, wenn sie blieb.

„Ich bin in Ordnung“, entgegnete sie. „Wobei es mich wundert, dass Sie das überhaupt kümmert.“

Die Worte sprudelten regelrecht aus ihr hervor. Sie war eigentlich niemand, der die Konfrontation suchte. Doch dieser Mann hatte etwas an sich … Seine ganze Art und Weise ging ihr einfach gegen den Strich.

Er neigte den Kopf zur Seite und hob eine Braue. „Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, dass Sie mich fast über den Haufen gefahren hätten.“

Seine Augen blitzten auf. „Ja, weil Sie einfach so auf die Straße gelaufen sind. Es hat mich nur mit der Maschine zu Boden gerissen, weil ich versucht habe, Ihnen auszuweichen.“

Ihre Wangen wurden warm, und sie zögerte. Es stimmte, sie war auf die Straße hinausgetreten. Aber trotzdem! Wie konnte man so arrogant, so überheblich sein?

Sie ballte die Hände zu Fäusten, als Jimmys Bild vor ihrem inneren Auge aufflackerte, wie er in seinem Pyjama auf dem Sofa saß, das Gesicht grau vor Erschöpfung. Ihr Herz fing an zu hämmern – vor Zorn! Jimmy war stets so vorsichtig gewesen, und dieser Mann – dieser arrogante, rücksichtslose Mann – ging einfach unnötige Risiken ein. Er forderte das Schicksal, seine eigene Sterblichkeit, heraus.

„Nun, Sie hätten gar nicht erst ausweichen müssen, wären Sie nicht so schnell unterwegs gewesen“, fauchte sie und deutete auf sein vernarbtes Bein. „Und wie es aussieht, passiert das ja nicht zum ersten Mal.“

„Wie schon gesagt, ich bin nicht schnell gefahren. Das ist ein brandneues Motorrad.“ Er bedachte sie mit einem abschätzenden Blick. „Ich habe es heute erst abgeholt und fahre es gerade ein.“

Wütend funkelte Kitty ihn an. „Sie sollten wirklich einen Helm tragen.“

„Ja, das sollte ich“, entgegnete er sanft.

Die Tatsache, dass er ihr einfach so zustimmte, löste ein merkwürdiges Flattern in ihrem Bauch aus. Sie hielt den Atem an.

Wieso nur hatte er eine so heftige Wirkung auf sie?

In dieser Situation – allein auf einer verlassenen Straße mit einem fremden Mann – sollte sie sich eigentlich unbehaglich fühlen. Doch Kitty hatte keine Angst. Zumindest nicht vor ihm. Erneut schoss ihr die Hitze in die Wangen. Es waren vielmehr ihre eigenen Gedanken – ihre Fantasie –, die sie fürchten musste.

Erneut verschränkte sie die Arme vor der Brust, zwang sich aber, seinem Blick zu begegnen. Ein Beben ging durch ihren Körper, das absolut gar nichts mit Angst zu tun hatte. Etwas an der Art, wie er sie ansah, war unglaublich … intim.

Mühsam räusperte sie sich. „Wie auch immer, ich habe für so etwas keine Zeit. Ich muss nach Hause.“ Vor allem musste sie fort von ihm – und der unerklärlichen Wirkung, die er auf sie ausübte. Aber konnte sie ihn wirklich einfach so hier stehen lassen? „Nun, ich nehme an, ich kann Ihnen noch rasch dabei helfen, Ihr Motorrad von der Straße zu räumen.“

„Das wird nicht nötig sein.“

Ruhig musterte er sie, und die Gelassenheit, die er ausstrahlte, zog Kitty regelrecht in seinen Bann.

Das war absurd – alles an der Situation war vollkommen absurd! Vor allem sie selbst und ihre Reaktion auf diesen Mann. Sie musste unbedingt Abstand zwischen sich und ihn bringen – und zwar rasch. Hastig machte sie einen Schritt zurück.

„Schön, tun Sie, was Sie wollen“, sagte sie und schürzte die Lippen. „Ich vermute, darin haben Sie ohnehin bereits Übung.“

„Wie bitte?“ Er runzelte die Stirn, und Kitty verspürte einen Anflug von Triumph, weil es ihr endlich gelungen war, einen Riss in seiner Fassade zu hinterlassen.

„Sie haben mich schon verstanden“, setzte sie an, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sie den roten Fleck sah, der langsam auf seinem Hemdsärmel aufblühte.

Blut.

2. KAPITEL

„Sie bluten ja!“