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Dieses eBook: "Henrik Ibsen: Nationalromantische Dramen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Henrik Ibsen (1828-1906) war ein norwegischer Dramatiker und Lyriker, der gegen die Moral und "Lebenslüge" seiner Zeit zu Felde zog und im "Kampf der Geschlechter" im Gegensatz zu August Strindberg den Standpunkt der Frau vertrat. Seine bürgerlichen Dramen zeigten ethischen Ernst und großes psychologisches Einfühlungsvermögen. Im November 1851 berief ihn Ole Bull als Hausdichter und künstlerischer Leiter an das Norske Theater in Bergen, wo man sich um den Aufbau eines norwegischen Nationaltheaters bemühte. Zu dessen Repertoire sollte Ibsen jedes Jahr ein Stück beisteuern. Vor diesem Hintergrund entstanden die sogenannten nationalromantischen Dramen, darunter Die Johannisnacht, Frau Inger auf Östrot und Das Fest auf Solhaug, in denen bereits Kritik an konservativ-nationalen Ideen erkennbar wurde.
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Seitenzahl: 474
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Frau Inger, Otto Römers Tochter und Witwe des Reichshofmeisters Nils Gyldenlöve Eline Gyldenlöve, ihre Tochter Reichsrat Nils Lykke, ein dänischer Ritter Olaf Skaktavl, ein geächteter norwegischer Edelmann Nils Stenssön Herr Jens Bjleke, schwedischer Oberst Björn, Kammerdiener auf Oestrot Finn, Schloßdiener Ejnar Huk, Schloßvogt Hausgesinde, Bauern und schwedische Kriegsknechte
Eine Stube auf Oestrot. Durch die offene Tür im Hintergrunde sieht man den Rittersaal in schwachem Mondlicht, das dann und wann durch ein tiefes Bogenfenster fällt und die entgegengesetzte Wand streift. Rechts die Ausgangstür; davor ein Fenster mit einem Vorhang. Links eine Tür, die in die inneren Gemächer führt; weiter im Vordergrunde ein großer offener Herd, der in der Stube Helle verbreitet. Es ist ein stürmischer Abend.
Björn und Finn sitzen am Feuer. Finn ist damit beschäftigt, einen Helm blank zu putzen. Verschiedene Waffenstücke, ein Schwert und ein Schild liegen neben ihnen.
Finn nach einer Pause. Wer war Knut Alfsön?
Björn. Die Herrschaft sagt, er war Norwegens letzter Rittersmann.
Finn. Die Dänen erschlugen ihn ja beim Osloer Fjord?
Björn. Frag' einen Buben von fünf Jahren, wenn Du's nicht weißt.
Finn. So? Knut Alfsön war also unser letzter Ritter? Und nun ist er tot und begraben! Indem er den Helm in die Höhe hält: Ja, dann kannst du lange im Rittersaal hängen, und blank geputzt! Denn jetzt bist du nichts weiter als eine leere Nußschale. Den Kern – den haben die Würmer schon vor manchem Winter gefressen – – Höre, Björn, – könnte man nicht sagen, Norwegen ist auch solch eine leere Nußschale wie dieser Helm: blank außen, wurmstichig innen?
Björn. Halt's Maul und tu Deine Arbeit! – Ist der Helm fertig?
Finn. Er glänzt wie Silber im Mondschein.
Björn. So leg' ihn weg! – Hier, schab' den Rost vom Schwerte!
Finn dreht und wendet es hin und her. Wird das sich auch verlohnen?
Björn. Wieso?
Finn. Die Schneide ist stumpf.
Björn. Was kümmert's Dich! Gib mir das Schwert. – Hier ist der Schild.
Finn wie zuvor. Dem fehlt der Handgriff.
Björn murmelt. Könnt' ich nur Dich mit einem Handgriff packen und –
Finn trällert ein Weilchen vor sich hin.
Björn. Was soll das wieder?
Finn. Ein leerer Helm, ein Schwert ohne Schneide, ein Schild ohne Handgriff – sieh, das ist die ganze Herrlichkeit. Ich glaube, niemand wird Frau Inger schmälen, daß sie solche Waffen putzen und im Saal aufhängen läßt, statt sie rosten zu lassen in Dänenblut.
Björn. Ach, Geschwätz! Wir haben ja doch Frieden im Lande.
Finn. Frieden? Ja, wenn der Bauer seinen letzten Pfeil verschossen, und wenn der Wolf dem Bauer das letzte Lamm aus dem Stall gestohlen hat, dann halten auch die zwei Frieden miteinander. Aber das ist mir eine wunderliche Freundschaft. Na, na, laß sein! – Wie gesagt, es ist recht und billig, daß die Rüstung blank im Saale hängt; denn Du kennst ja den alten Spruch: »Nur der Rittersmann ist ein Mann.« Und da es jetzt keinen Rittersmann mehr im Lande gibt, so haben wir auch keinen Mann mehr; und wo kein Mann ist, da beschließen die Weiber; und darum –
Björn. Darum – darum ist mein Beschluß, daß Du Dein faules Gerede beschließest. Er erhebt sich. Es will Nacht werden. So, nun kannst Du Helm und Schild wieder in den Saal hängen.
Finn mit gedämpfter Stimme. Nein, ich warte lieber bis morgen.
Björn. Du hast doch wohl nicht Angst im Dunkeln ?
Finn. Bei Tage nicht; aber bei Nacht bin ich nicht der einzige, dem es so ergeht. Du siehst mich an! Aber Du mußt wissen, unten in der Burgstube –, da spricht man allerlei. Leiser. Da gibt es manche, die glauben, daß dort drinnen jedwede Nacht ein großes, schwarzgekleidetes Gespenst umgeht.
Björn. Altweibergeschwätz!
Finn. Ja, aber alle schwören darauf, es sei wahr.
Björn. Das glaub' ich wohl.
Finn. Das seltsamste aber ist: Frau Inger hat dieselbe Meinung.
Björn stutzt. Frau Inger? Und was meint sie?
Finn. Was Frau Inger meint? Ja freilich, das weiß nicht jeder. Aber gewiß ist, daß sie keine Ruhe in sich hat. Merkst Du nicht, wie sie Tag für Tag bleicher und hagerer wird? Mit einem forschenden Blick. Die Leute sagen, sie schläft nie, und zwar wegen des Gespenstes.
Während der letzten Worte ist Eline unter die halboffene Tür zur Linken getreten. Sie bleibt lauschend stehen, ohne bemerkt zu werden.
Björn. Und solchen Unsinn glaubst Du?
Finn. Je nun, so halb und halb. Es gibt übrigens auch Leute, die die Sache anders auslegen. Aber das geschieht nur aus Bosheit. Du, Björn, kennst Du die Weise, die im Land die Runde macht?
Björn. Eine Weise?
Finn. Ja, sie ist im Volksmunde. Es ist ein garstiges Schmählied natürlich. Es geht aber sonst recht artig. Hör' nur mal.
Er singt mit gedämpfter Stimme:
Frau Inger sitzt in Oestrots Saal, Wohl geht sie in Seide einher. Sie geht wohl in Seide und Pelz zumal, Sie flicht sich die Perlen ins Haar ohne Zahl, Und doch ist ihr Herze so schwer.
Frau Inger hat sich den Dänen verkauft. Sie schickt ihr Gesind in des Fremden Gewalt Dafür zum Entgelt –
Björn faßt ihn unwirsch bei der Brust. Eline zieht sich unbemerkt zurück.
Björn. Und ich werde Dich in des Teufels Gewalt schicken, und zwar ohne Entgelt, wofern Du noch ein unziemliches Wort über Frau Inger redest.
Finn indem er sich losreißt. Na, na! Hab' ich denn die Weise gemacht?
Hörnerschall rechts hinter der Szene. Björn. Horch! – Was ist das?
Finn. Ein Hornruf. – So bekommen wir noch spät abends Gäste.
Björn am Fenster. Sie öffnen das Tor. Ich höre Hufschlag im Schloßhof. Es muß ein Rittersmann sein.
Finn. Ein Rittersmann? Das ist wohl kaum möglich!
Björn. Warum?
Finn. Hast ja selbst gesagt: unser letzter Rittersmann ist tot und begraben.
Er geht rechts ab.
Björn. Der verdammte Schelm, – hat seine Augen überall. So hat mir's wenig gefrommt, daß ich alles zu verdecken und verstecken suchte. Sie ist in aller Munde. Nicht lange wird es dauern, und ein jeder ruft –
Eline kommt wieder durch die Tür links. Sie sieht sich um und fragt, indem sie ihre Erregung unterdrückt: Bist Du allein, Björn?
Björn. Seid Ihr es, Jungfer Eline?
Eline. Björn, erzähl' mir wieder eins von Deinen Märchen! Ich weiß, Du kennst mehr als –
Björn. Erzählen? Und jetzt? So spät am Abend?
Eline. Wenn Du von der Zeit an rechnest, da es finster wurde hier auf Oestrot, dann ist es freilich spät.
Björn. Was fehlt Euch? Ist Euch etwas widerfahren? Ihr seid so unruhig.
Eline. Wohl möglich.
Björn. Etwas ist los. Seit einem halben Jahre kenn' ich Euch kaum wieder.
Eline. Vergiß nicht, daß seit einem halben Jahre Lucia, meine Lieblingsschwester, in der Leichengruft liegt.
Björn. Jungfer Eline! Das ist gewiß nicht der Grund, oder doch nicht der einzige Grund, weshalb Ihr bald gedankenvoll und bleich und still, bald ungestüm und fassungslos einhergeht, wie jetzt.
Eline. Meinst Du? Und warum nicht? War Lucia nicht sanft und fromm und hold wie eine Sommernacht? Björn, – ich sage Dir, Lucia war mir lieb wie mein eignes Leben. Hast Du vergessen, wie so manches liebe Mal wir als Kinder auf Deinen Knien saßen an den Winterabenden? Da sangst Du uns Weisen, und Du erzähltest – –
Björn. Ja, damals wart Ihr froh und heiter.
Eline. Ja, damals, Björn! Da lebt' ich freilich ein herrliches Leben in Märchen und in meinen eigenen Gedanken! Sollte man glauben, daß damals der Strand so kahl war wie jetzt? Und wenn er es war, so merkt' ich es nicht. Da unten erging ich mich ja am liebsten und dichtete alle die schönen Fabeln. Meine Helden kamen aus weiter Ferne her und fuhren wieder übers Meer; und ich lebte mitten unter ihnen und folgte ihnen, wenn sie von dannen zogen. Sie sinkt auf einen Stuhl nieder.Nun fühl' ich mich so matt und müde; meine Märchen können mir nicht mehr helfen; sie sind nur – Märchen. Sie steht mit einem Ruck auf. Björn! – Weißt Du, was mich krank gemacht hat? Eine Wahrheit. Eine häßliche, häßliche Wahrheit, die Tag und Nacht an mir nagt.
Björn. Was meint Ihr?
Eline. Denkst Du noch daran, wie Du uns zuweilen Lebensregeln gabst und gute Ratschläge? Schwester Lucia befolgte sie; aber ich – Gott sei mir gnädig!
Björn tröstend. Na, na!
Eline. Ich weiß – ich war stolz, hochmütig. Wenn wir miteinander spielten, wollt' ich immer die Königin sein, weil ich die Größere, die Schönere, die Klügere war. Ich weiß, ich weiß!
Björn. Das ist wahr.
Eline. Einmal nahmst Du mich bei der Hand, blicktest mich ernsthaft an und sagtest: Sei nicht stolz auf Deine Schönheit und Deine Klugheit; aber sei stolz wie der Adler auf dem Felsen, so oft Du gedenkst, daß Du Inger Gyldenlöves Tochter bist.
Björn. Ihr hattet guten Grund, stolz darauf zu sein.
Eline. Ja, das sagtest Du mir gar oft, Björn. O, Du erzähltest mir damals so viele Märchen! Sie drückt ihm die Hand. Hab' Dank dafür! – Erzähl' mir eins wie ehedem; vielleicht wird mir wieder leicht ums Herz wie früher.
Björn. Ihr seid ja kein Kind mehr.
Eline. Wohl wahr! Aber laß mich wähnen, daß ich es noch bin. – Jetzt erzähle!
Sie wirft sich in einen Stuhl. Björn setzt sich auf den Rand des Herdes.
Björn. Es war einmal ein edler Rittersmann –
Eline, die unruhig nach dem Rittersaal hingelauscht hat, faßt Björn am Arm und flüstert in heftiger Erregung: Still! Schrei doch nicht so! Ich bin ja nicht schwerhörig.
Björn leiser. Es war einmal ein edler Rittersmann, von dem die seltsame Kunde ging –
Eline erhebt sich halb und lauscht mit ängstlicher Spannung nach dem Saal zu.
Björn. Jungfer Eline – was fehlt Euch?
Eline setzt sich wieder. Mir? Nichts. Erzähl' nur weiter!
Björn. Na, wie gesagt, – wenn er einer Maid tief ins Auge sah, so vergaß sie das nun und nimmermehr, sondern folgte ihm in Gedanken, wo er ging und stand, und welkte hin vor Gram.
Eline. Davon hab' ich gehört – –. Das ist übrigens kein Märchen, was Du erzählst. Denn der Rittersmann, von dem Du berichtest, ist Nils Lykke, der noch heutigen Tages im dänischen Reichsrat sitzt –
Björn. Kann wohl sein.
Eline. Nun ja, gleichviel! – Fahr nur fort!
Björn. Und so begab es sich einmal –
Eline erhebt sich plötzlich. Pst! Still!
Björn. Was gibt's? Was ist Euch!
Eline lauschend. Hörst Du?
Björn. Was?
Eline. Da – beim heiligen Christ, – da!
Björn erhebt sich. Was ist denn? Wo?
Eline. Sie selbst – im Rittersaale – Sie eilt nach dem Hintergrunde.
Björn folgt ihr. Wie könnt Ihr glauben –? Jungfer Eline, geht auf Eure Kammer!
Eline. Pst! Steh still! Rühr' Dich nicht! Laß Dich nicht sehen! Halt! Da kommt der Mond hervor –. Kannst Du die schwarze Gestalt erkennen –?
Björn. Bei allen Heiligen –!
Eline. Sieh, – da hat sie Knut Alfsons Bild gegen die Wand umgedreht. Haha! Er blickt ihr wohl zu stier ins Auge.
Björn. Jungfer Eline, hört mich!
Eline, indem sie zum Herde geht. Nun weiß ich, was ich weiß.
Björn für sich. So ist es doch wahr!
Eline. Wer war es, Björn? Wer war es?
Björn. Das habt Ihr ebenso genau gesehen wie ich.
Eline. Wohlan! Wen hab' ich gesehen?
Björn. Ihr habt Eure Mutter gesehen.
Eline halb zu sich. Nacht für Nacht vernahm ich ihren Schritt im Saal. Ich hörte sie flüstern und stöhnen, gleich einer unerlösten Seele. Und in dem Liede heißt es ja – Ah, nun weiß ich's! Nun weiß ich, daß –
Björn. Still!
Inger kommt rasch aus dem Saale, ohne die andern zu beachten, geht direkt aufs Fenster zu, zieht den Vorhang zurück und starrt eine Weile hinaus, als ob sie auf der Landstraße nach jemand spähe; dann wendet sie sich ab und kehrt langsam wieder in den Saal zurück.
Eline leise, indem sie ihr mit den Augen folgt. So fahl und bleich wie der Tod –
Man hört Lärm und Stimmen hinter der Tür zur Rechten.
Björn. Was ist das wieder?
Eline. Geh und sieh nach, was es gibt!
Ejnar Huk, gefolgt von einem Troß Bauern und Hausgesinde, wird in der Vorstube sichtbar.
Ejner Huk in der Türe. Nur herein zu ihr! Und unverzagt!
Björn. Was sucht Ihr?
Ejner. Frau Inger.
Björn. Frau Inger? Und so spät am Abend?
Ejner. Spät, doch immer noch zeitig genug, denk' ich.
Die Bauern. Ja, ja – jetzt muß sie uns hören!
Die ganze Schar dringt in die Stube ein. Im selben Augenblicke zeigt sich Inger in der Türe des Rittersaales. Alle schweigen plötzlich.
Inger. Was wollt Ihr von mir?
Ejner. Wir suchten Euch, edle Frau, um zu –
Inger. Nun denn, – so sprecht!
Ejner. Ei, es ist ja eine ehrliche Sache. Kurz und gut, wir kommen, Euch um Urlaub und Waffen zu bitten –
Inger. Urlaub und Waffen? Wozu?
Ejner. Es ist das Gerücht von Schweden herübergedrungen, daß das Volk in Dalekarlien sich erhoben hat und wider König Gustav zieht –
Inger. Das Volk in Dalekarlien?
Ejner. Ja, so geht das Gerücht, und es soll ganz verbürgt sein.
Inger. Nun, und wenn dem so wäre, – was habt Ihr mit dem Aufstand in Dalekarlien zu schaffen?
Die Bauern. Wir wollen mit! Wir wollen auch dabei sein! Frei wollen wir werden!
Inger leise. Ah, wäre die Zeit gekommen!
Ejner. Aus allen nordischen Grenzorten strömen die Bauern nach Dalekarlien hin. Selbst geächtete Männer, die Jahr um Jahr heimatlos in den Bergen umhergeirrt sind, selbst sie wagen sich wieder hervor zu den Höfen, sammeln Volk und schleifen die Schneide ihrer verrosteten Waffen.
Inger nach einer Pause. Hört, – habt Ihr auch alles wohl überlegt? Habt Ihr auch nachgerechnet, was es Euch kosten würde, wenn König Gustavs Mannen siegen sollten ?
Björn leise und flehentlich zu Inger. Rechnet nach, was es den Dänen kosten wird, wenn König Gustavs Mannen unterliegen sollten!
Inger abweisend. Dies Rechenexempel ist nicht meine Sache. Sie wendet sich zu der Menge. Ihr wißt, König Gustav kann sicher auf den Beistand Dänemarks hoffen. König Friedrich ist sein Freund und wird ihn gewiß nicht im Stiche lassen –
Ejner. Aber wenn sich nun die Bauern im ganzen norwegischen Land erhöben? Wenn wir uns alle erhöben, Herrschaften und Gemeine? Ja, Frau Inger, nun, glaub' ich fast, ist die Gelegenheit gekommen, auf die wir so lange gewartet haben! Bricht es jetzt los, so muß der Fremdling aus dem Lande!
Die Bauern. Ja, fort mit den dänischen Vögten! Fort mit den fremden Herrenleuten! Fort mit den Trabanten des Reichsrats!
Inger leise. O, es ist Mark in ihnen; und doch, doch –
Björn für sich. Sie ist unschlüssig. Zu Eline. Was gilt's, Jungfer Eline – Ihr habt Euch mit Euerm Urteil über die Mutter versündigt.
Eline. Björn, – ich wollte mir diese Augen aus dem Kopfe herausreißen, wenn sie mir gelogen hätten!
Ejner. Seht, vieledle Frau – erst gilt es König Gustav; ist er bezwungen, so werden sich die Dänen nicht lange hier im Lande halten können.
Inger. Und dann?
Ejner. Dann sind wir frei; dann haben wir keinen fremden Herrn mehr über uns und können uns selbst einen König wählen, wie es die Schweden vor uns getan haben.
Inger lebhaft. Selbst einen König –! Denkst Du an das Geschlecht der Sture?
Ejner. König Christian und andere nach ihm haben reinen Tisch gemacht mit dem Grund- und Erbbesitz ringsum. Unsre edelsten Erbsassen irren vogelfrei zwischen Felsenklüften umher, wenn sie überhaupt noch leben. Gleichwohl aber könnte sich dieser oder jener Sproß aus den alten Geschlechtern finden –
Inger rasch. Genug, Ejnar Huk! Genug –. Für sich. O meine teuerste Hoffnung! Sie wendet sich zu den Bauern und dem Gesinde. Ich hab' Euch nun vermahnt, so gut ich konnte Ich hab' Euch gesagt, in wie große Gefahr Ihr Euch hineinwagt. Aber da Ihr so fest auf Eurem Vorsatz besteht, so wär' es töricht von mir, Euch zu verbieten, was Ihr auf eigne Faust durchsetzen könntet.
Ejner. Wir haben also Eure Zustimmung –?
Inger. Ihr habt Euern eignen festen Willen; fragt den um Rat. Werdet Ihr wirklich jeden lieben Tag geplagt und geknechtet, wie Ihr sagt – –. Ich weiß so wenig von diesen Dingen; ich will nicht mehr wissen! Was vermag ich, ein lediges Weib –? Selbst wenn Ihr den Rittersaal plündern wolltet – und es findet sich manch brauchbare Waffe darin –; Ihr habt heut abend die Macht auf Oestrot; Ihr könnt tun, was Euch gelüstet. Gute Nacht!
Die Menge bricht in einen lauten Ruf der Freude aus. Die Knechte machen Licht und holen allerhand Waffenstücke aus dem Rittersaal.
Björn ergreift die Hand Ingers, die sich zum Gehen wendet. Dank, meine edle und großmütige Herrin! Ich, der ich Euch seit Euren Kinderjahren kenne, ich habe nie an Euch gezweifelt.
Inger. Still, Björn! Es ist ein gefährliches Spiel, das ich an diesem Abend gewagt habe. – Für die andern gilt es nur das Leben, aber für mich – das glaube mir – gilt es tausendmal mehr!
Björn. Wie? Bangt Euch um Eure Macht oder um das gute Einvernehmen mit –
Inger. Meine Macht! O Gott im Himmel!
Ein Knecht kommt aus dem Saal mit einem großen Schwert. Seht, hier ist ein richtiger Wolfszahn! Damit will ich die Knechte des Blutsaugers zerfetzen.
Ejner zu einem andern Knecht. Was hast Du aufgetrieben?
Der Knecht. Den Brustpanzer, der Herlof Hyttefad gehört haben soll.
Ejner. Der ist zu gut für Dich; – sieh, hier hab' ich die Lanzenstange Sten Stures! Steck' den Panzer darauf, so haben wir das prächtigste Heerzeichen, das man verlangen kann.
Der Schlossdiener Finn mit einem Brief in der Hand kommt durch die Tür links und geht auf Inger zu. Ich hab' Euch in allen Stuben gesucht –
Inger. Was soll's?
Finn reicht ihr den Brief. Ein Knappe aus Drontheim hat Brief und Botschaft für Euch gebracht.
Inger. Laß sehen! Indem sie den Brief öffnet: Aus Drontheim? Was kann das sein? Sie durchfliegt den Brief. Barmherziger! Von ihm! Er hier im Lande –
Sie liest in heftiger Bewegung weiter, während die Mannen fortfahren, sich Waffen aus dem Saale zu holen.
Inger für sich. Er kommt also hierher – und noch in dieser Nacht. – Ja, dann gilt es, mit der Klugheit und nicht mit dem Schwerte zu kämpfen!
Ejner. Genug, genug, Ihr guten Bauern! Nun, mein' ich, sind wir wohlgerüstet. Nun können wir uns auf den Weg machen.
Inger mit einer raschen Wendung. Kein Mann verläßt diese Nacht den Hof!
Ejner. Aber edle Frau, jetzt ist der Wind uns günstig; wir gehen über den Fjord und –
Inger. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.
Ejner. Sollen wir denn bis morgen warten?
Inger. Bis morgen und noch länger. Kein bewaffneter Mann darf Oestrot verlassen – für den Augenblick!
Man vernimmt aus der Menge Äußerungen des Unwillens.
Einige Bauern. Wir gehen trotzdem, Frau Inger!
Viele Andere. Ja, ja, wir gehen trotzdem.
Inger einen Schritt näher. Wer wagt es? Alle schweigen; nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: Ich habe für Euch gedacht. Was wißt Ihr geringen Leute aus dem Volke von den Sachen des Landes? Wie könnt Ihr Euch vermessen, über dergleichen zu urteilen? Ihr werdet Druck und Mühsal noch eine Weile ertragen müssen! Das darf Euch nicht zu nahe gehen, wenn Ihr bedenkt, daß auch uns, den Herrengeschlechtern, heutzutage kein bessres Los beschert ist! – Tragt die Waffen alle wieder in den Saal! Später sollt Ihr meinen Willen erfahren! Geht!
Das Gesinde bringt die Waffen zurück; dann entfernt sich die ganze Schar durch die Tür rechts.
Eline leise zu Björn. Meinst Du noch immer, ich hätte mich mit meinem Urteil versündigt an – der Herrin von Oestrot?
Inger Björn herbeiwinkend. Halt eine Gastkammer bereit –
Björn. Gut, Frau Inger.
Inger. Und die Pforte offen für jeden, der etwa anpocht.
Björn. Aber – ?
Inger. Die Pforte offen.
Björn. Die Pforte offen. Er geht rechts ab.
Inger zu Eline, die schon in der Tür links steht. Bleib – Eline – mein Kind. Ich habe mit Dir allein zu reden.
Eline. Ich höre Euch.
Inger. Eline, – – – Du denkst schlecht von Deiner Mutter.
Eline. Ich denke nur die Gedanken, zu denen mich Euer Benehmen so schmerzlich zwingt.
Inger. Und Du antwortest mir, wie Dein harter Sinn Dir gebeut.
Eline. Wer hat meinen Sinn verhärtet? Seit frühester Kindheit war ich gewohnt, zu Euch emporzublicken wie zu einem großen, hochgesinnten Weibe. Euch müßten, dacht' ich, jene Frauen gleichen, von denen in den Chroniken und im Heldenbuche steht. Es war mir, als ob Gott selbst sein Zeichen auf Eure Stirn gedrückt und Euch als die bestimmt hätte, die die Zagen und Unschlüssigen lenken sollte. Im Hochsaale sangen Ritter und Herrenleute zu Eurem Preis; ja selbst der gemeine Mann, nah und fern, nannte Euch die Hoffnung und Stütze des Landes, und alle meinten sie, daß durch Euch die guten Zeiten wieder kommen würden. Alle meinten sie, daß mit Euch ein neuer Tag uns anbräche. Noch ist es Nacht; und ich weiß nicht, ob ich länger glauben darf, daß mit Euch ein Morgen kommt.
Inger. Es läßt sich leicht erraten, woher Dir so giftige Worte stammen. Dir ist zu Ohren gekommen, was der gedankenlose Haufe über Dinge flüstert und murmelt, die er kaum beurteilen kann.
Eline. Im Volksmund ist Wahrheit, sagtet Ihr damals, als Euer Ruhm in Wort und Lied erscholl.
Inger. Mag sein. Aber wenn ich nun auch vorgezogen hätte, untätig hier zu sitzen, obgleich es bei mir stünde, zu handeln, – glaubst Du nicht, daß dieses mein Los mir eine Bürde ist? Und auf diese schwere Bürde willst Du noch Steine häufen?
Eline. Die Steine, die ich auf Eure Bürde häufe, drücken mich ebenso sehr wie Euch. Leicht und frei sog ich des Lebens Odem ein, solang' ich an Euch glaubte. Denn soll ich leben, muß ich Stolz empfinden; und stolz würde ich mit Recht gewesen sein, wofern Ihr geblieben wäret, was Ihr einstens wart!
Inger. Und was bürgt Dir dafür, daß ich es nicht bin? Eline – woher weißt Du so genau, daß Du Deiner Mutter nicht unrecht tust ?
Eline leidenschaftlich. O, daß ich es täte!
Inger. Still! Es kommt Dir nicht zu, Rechenschaft von Deiner Mutter zu fordern. – Mit einem einzigen Worte könnt' ich –; doch es zu hören wäre nicht gut für Dich. Du mußt abwarten, was die Zeit bringt; vielleicht –
Eline, indem sie gehen will. Schlaft wohl, Mutter!
Inger zögernd . Nein – bleib bei mir! Ich habe noch etwas – komm näher! – Du mußt mich hören, Eline! Sie setzt sich an den Tisch beim Fenster.
Eline. Ich höre Euch.
Inger. So verschlossen Du auch bist, ich weiß doch, daß Du Dich mehr als einmal von hier weggesehnt hast. Es ist Dir zu einsam und zu öde auf Oestrot. Eline. Wie kann Euch das wundern, Mutter?!
Inger. Es steht bei Dir, ob es künftig anders werden soll.
Eline. Wieso?
Inger. Höre mich. In dieser Nacht erwart' ich einen Gast auf dem Schloß.
Eline nähert sich. Einen Gast?
Inger. Einen Gast, der fremd und unerkannt bleiben muß. Niemand darf wissen, woher er kommt, noch wohin er geht.
Eline stürzt mit einem Freudenschrei ihrer Mutter zu Füßen und ergreift ihre Hände. Meine Mutter! Meine Mutter! Vergebt mir all das Unrecht, das ich Euch zugefügt habe, – wenn Ihr könnt!
Inger. Was meinst Du ? Eline, ich versteh' Dich nicht.
Eline. So haben sich denn alle getäuscht! Ihr seid noch im Herzen treu!
Inger. Aber so steh doch auf, – und sag' mir –
Eline. Und glaubt Ihr, daß ich nicht weiß, wer der Gast ist?
Inger. Du weißt es? Und doch –
Eline. Denkt Ihr denn, Oestrots Pforten sind so dicht verschlossen, daß nicht zuweilen ein Gerücht des Jammers hereindringen kann? Meint Ihr, ich weiß nicht, daß mancher Sprößling aus altem Geschlecht als Geächteter umherirrt, ohne Obdach und Lager, während die dänischen Herren auf seiner Väter Hof schalten und walten ?
Inger. Und was weiter?
Eline. Ich weiß wohl, daß mancher edle Ritter wie ein hungriger Wolf im Walde gehetzt wird. Er hat keinen Herd, wo er raste, keinen Bissen Brot –
Inger kalt. Genug! Jetzt versteh' ich Dich.
Eline fortfahrend. Und darum öffnet Ihr Oestrots Tore zu nächtlicher Zeit! Darum muß er fremd und unerkannt bleiben, jener Gast, von dem niemand wissen darf, woher er kommt oder wohin er geht. Ihr trotzt dem strengen Herrengebot, das verbietet, die Verfolgten zu behausen und ihnen beizustehen mit Obdach und Pflege –
Inger. Genug, sag' ich! Sie schweigt eine Weile und fügt dann mit Überwindung hinzu: Du irrst, Eline; – nicht ein Geächteter ist's, den ich erwarte.
Eline erhebt sich. So hab' ich Euch wahrlich falsch verstanden.
Inger. Hör' mich an, mein Kind! Aber hör' mich mit Überlegung an, wofern Du Deinen wilden Sinn zu zähmen vermagst.
Eline. Ich werd' ihn zähmen, bis Ihr zu Ende gesprochen habt.
Inger. So gib wohl acht auf das, was ich Dir sage. – Ich suchte, soweit es in meiner Macht stand, vor Dir all die Not und Bedrängnis, die uns umgibt, zu verbergen. Denn was konnte es nützen, wenn ich Sorge und Gram in Deine junge Seele senkte? Tränen und Weiberseufzer können uns nicht aus den Drangsalen befreien. Wir brauchen Mut und Manneskraft.
Eline. Und wer sagt Euch, daß ich nicht Mut und Manneskraft habe, wenn es gilt?
Inger. Still, Kind! Ich könnte Dich beim Wort nehmen.
Eline. Wie das, meine Mutter?
Inger. Ich könnte beides von Dir fordern, ich könnte – doch laß mich erst zu Ende sprechen. – Wisse denn, daß die Zeit sich zu nahen scheint, auf die der dänische Reichsrat schon seit vielen Jahren hingearbeitet hat, – die Zeit, mein' ich, da man unsern Rechten und unsrer Freiheit den letzten Stoß geben wird. Sieh, darum gilt es –
Eline lebhaft. Offne Fehde, meine Mutter?
Inger. Nein, es gilt, Spielraum zu gewinnen. In Kopenhagen ist jetzt der Rat versammelt, um zu überlegen, wie man am geschicktesten die Sache anfaßt. Die Mehrheit soll der Ansicht sein, daß die Zwistigkeiten nicht beigelegt werden können, solange Norweger und Dänen uneins sind. Denn behalten wir unsre Rechte als freies Reich, – wenn einmal die Königswahl vor sich geht, so ist es wahrscheinlich, daß es zu offener Fehde kommt. Sieh, das wollen die dänischen Herren verhindern –
Eline. Ja, das wollen sie verhindern, ja –! Aber sollen wir dergleichen dulden? Sollen wir ruhig zusehen, daß –?
Inger. Nein, wir sollen es nicht dulden! Aber von der Waffe Gebrauch machen – wohin würde das führen, solange wir nicht alle einig sind? Und stand es jemals schlechter um die Einigkeit im Lande als gerade jetzt? – Nein, wenn wir etwas ausrichten wollen, so muß es heimlich und in der Stille geschehen. Wir müssen, wie ich Dir sagte, Spielraum gewinnen. Im südlichen Norwegen ist ein großer Teil des Adels für die Dänen; aber hier nördlich vom Dovrefjeld, ist die Stimmung noch zweifelhaft. Darum hat König Friedrich einen seiner höchsten Vertrauensmänner heraufgeschickt, der sich mit eignen Augen von unserer Gesinnung überzeugen soll.
Eline gespannt. Nun – und?
Inger. Und dieser Ritter kommt heut nacht hierher.
Eline. Hierher? Und heut nacht?
Inger. Ein Kauffahrer brachte ihn gestern nach Drontheim. Eben erhielt ich die Botschaft, daß er hier einkehren wird. Binnen einer Stunde kann man ihn erwarten.
Eline. Und Ihr bedenkt nicht, Mutter, wie Ihr Euern Ruf aufs Spiel setzt, wenn Ihr dem dänischen Abgesandten eine solche Zusammenkunft gewährt? Ist nicht das Volk ringsumher schon mißtrauisch genug gegen Euch. Wie könnt Ihr hoffen, daß es sich dereinst von Euch lenken und leiten läßt, wenn ruchbar wird –
Inger. Sei unbekümmert. All das hab' ich zur Genüge bedacht; aber es hat keine Not. Sein Geschäft hier im Land ist ein Geheimnis; deshalb ist er als Fremder nach Drontheim gekommen, und fremd und unerkannt wird er auch auf Oestrot weilen.
Eline. Und der Name dieses dänischen Herrn –?
Inger. Er klingt gut, Eline! Dänemarks Adel hat kaum einen besseren zu nennen.
Eline. Und was habt Ihr im Sinne? Noch hab' ich Eure Absicht nicht erfaßt.
Inger. Du wirst bald verstehen. – Da wir die Schlange nicht zertreten können, so müssen wir sie binden.
Eline. Hütet Euch wohl – die Schnur möchte reißen!
Inger. Es kommt auf Dich an, wie fest sie geknüpft werden soll.
Eline. Auf mich?
Inger. Längst hab' ich gemerkt, daß Oestrot Dir ein Kerker ist. Für einen jungen Falken taugt es nicht, zwischen Eisenstäben zu sitzen.
Eline. Meine Schwingen sind gelähmt. Gäbt Ihr mich auch frei, es würde mir wenig frommen.
Inger. Deine Schwingen sind nicht länger gelähmt, als Du selbst es willst.
Eline. Ich es will? Mein Wille ist in Euern Händen. Werdet wieder, was Ihr gewesen seid, so will auch ich –
Inger. Genug davon! Höre weiter! – Oestrot zu verlassen, wird Dir gewiß nicht unlieb sein.
Eline. Wohl möglich, Mutter!
Inger. Du hast mir einmal gesagt, daß Du Deine glücklichste Zeit in Deinen Märchen und Sagen verlebt hättest! Dieses Leben könnte Dir wiederkehren.
Eline. Was meint Ihr?
Inger. Eline, – wenn nun ein mächtiger Rittersmann käme und Dich nach seiner Burg führte, wo Du Knechte und Mägde, Seidenkleider und hohe Säle fändest?
Eline. Ein Ritter, sagt Ihr?
Inger. Ein Ritter.
Eline leiser. Und der dänische Gesandte kommt heut nacht?
Inger. Heut nacht.
Eline. Wenn dem so ist, dann schaudert es mich, Eure Worte zu deuten.
Inger. Es braucht Dich nicht zu schaudern, wenn Du sie nicht mißdeuten willst. Es ist gewißlich nicht meine Absicht, Dich zu zwingen. Nach eignem Gutdünken sollst Du wählen und selbst beschließen in dieser Sache.
Eline einen Schritt näher.> Habt Ihr von jener Mutter gehört, die zur Nachtzeit mit ihren kleinen Kindern im Schlitten übers Gebirge fuhr? Ein Rudel Wölfe folgte ihren Spuren; es ging um Tod und Leben – und sie warf ihre Kleinen hinter sich hinaus, eins nach dem andern, um Zeit zu gewinnen für die eigene Rettung!
Inger. Märchen! Eine Mutter risse sich das Herz aus der Brust, ehe sie ihre Kinder vor die Wölfe würfe.
Eline. Wär' ich nicht meiner Mutter Tochter, dann würd' ich Euch recht geben. Aber Ihr seid wie jene Mutter: Ihr habt Eure Töchter den Wölfen vorgeworfen, eine nach der andern. Zuerst habt Ihr ihnen die älteste vorgeworfen. Vor fünf Jahren zog Merete von Oestrot. Nun sitzt sie in Bergen als Vincenz Lunges Hausfrau. Aber glaubt Ihr, sie ist glücklich als des Dänenritters Weib? Vincenz Lunge ist fast wie ein König mächtig; Merete hat Knechte und Mägde, Seidenkleider und hohe Säle; aber der Tag hat keine Sonne für sie und die Nacht keine Ruhe; denn sie ist ihrem Mann nie gut gewesen. Er kam her, er freite um sie, weil sie Norwegens reichste Erbin war, und weil er damals festen Fuß im Lande fassen wollte. Ich weiß das; ich weiß es nur zu gut! Merete war Euch gehorsam; sie folgte dem fremden Herrn! Aber was hat es sie gekostet? Mehr Tränen, als eine Mutter sich wünschen wird am Tage des Gerichts verantworten zu müssen!
Inger. Ich kenne meine Verantwortung, und sie schreckt mich nicht.
Eline. Eure Verantwortung ist damit nicht zu Ende. Wo ist Lucia, Euer zweites Kind?
Inger. Frage Gott, der sie zu sich nahm.
Eline. Euch frage ich, denn Ihr habt's auf dem Gewissen, daß sie ihr junges Leben lassen mußte. Fröhlich war sie wie ein Vogel im Lenz, als sie von Oestrot zog, um Merete in Bergen zu besuchen. Ein Jahr danach stand sie wieder hier in der Stube; aber da waren ihre Wangen weiß, und der Tod hatte sich ihr in die Brust gefressen. Ja, Ihr wundert Euch, Mutter! Ihr glaubtet wohl, daß dies Geheimnis mit ihr begraben ist. Aber sie hat mir alles gesagt. Ein höfischer Ritter hatte ihr Herz gewonnen. Er wollte sie zu seinem Weibe machen. Ihr wußtet, daß es ihre Ehre galt. Doch Ihr bliebt unbeugsam, – und Euer Kind mußte sterben. Ihr seht, ich weiß alles.
Inger. Alles? So hat sie Dir auch seinen Namen gesagt?
Eline. Seinen Namen? Nein, seinen Namen hat sie mir nicht gesagt. Sie schien etwas wie eine beklemmende Scheu vor seinem Namen zu haben; – sie nannte ihn nie.
Inger erleichtert, für sich. Ah! So weißt Du doch nicht alles! – – Eline, die Sache, an die Du gerührt hast, war mir völlig kund. Aber es ist etwas an der Sache, worauf Du vielleicht nicht acht gegeben hast: jener Edelmann, dem Lucia in Bergen begegnete, war ein Däne –
Eline. Auch das weiß ich.
Inger. Und seine Liebe war eine Lüge. Mit List und glatten Worten hatte er Lucia umstrickt.
Eline. Ich weiß es. Aber sie hatte ihn dennoch lieb. Und hättet Ihr das Herz einer Mutter gehabt, so wäre Euch die Ehre Eures Kindes über alles gegangen.
Inger. Nicht über ihr Glück. Glaubst Du, daß ich, Meretens Los vor Augen, mein zweites Kind an einen Mann hängen würde, der ihr nicht gut wäre?
Eline. Kluge Worte betören gar manchen Sinn, mich aber betören sie nicht. – Glaubt nicht, daß ich so ganz fremd bin in dem, was rings im Lande vorgeht. Vollkommen durchschau' ich Euer Verhalten. Ich weiß wohl, daß der dänische Adel keine treu ergebene Freundin an Euch hat. Vielleicht haßt Ihr ihn, aber Ihr fürchtet ihn zu gleicher Zeit. Damals, als Ihr Merete dem Vincenz Lunge gabt, hatten die dänischen Herren allerorten die Übermacht im Lande. Drei Jahre danach, als Ihr Lucien verbotet, den zu ehelichen, an den sie ihr Leben geknüpft hatte, obgleich er sie verführt hatte, – da standen die Dinge ganz anders. Die dänischen Vögte des Königs hatten schändliche Greueltaten am Volke verübt, und Ihr fandet es nicht rätlich, Euch fester, als schon geschehen war, an die dänischen Gewalthaber anzuschließen. – Und was habt Ihr denn getan, um sie, die so jung sterben mußte, zu rächen? Ihr habt nichts getan! Wohlan! Ich werde für Euch handeln und die Schmach rächen, die unser Volk und unser Geschlecht betroffen hat.
Inger. Du? Was hast Du im Sinn?
Eline. Ich gehe meinen Weg, wie Ihr den Euern geht. Was ich im Sinn habe, weiß ich selbst nicht; aber ich fühle Kraft in mir, alles für unsere gerechte Sache zu wagen.
Inger. Du wirst einen harten Kampf zu kämpfen haben. Ich habe einst dasselbe gelobt wie Du; und mein Haar ist ergraut unter der Bürde meines Gelübdes.
Eline. Gute Nacht! Euer Gast könnte eintreffen, und bei dieser Begegnung bin ich überflüssig. – Vielleicht ist es noch Zeit für Euch –; nun, Gott stärke Euch und leite Euer Tun! Vergeßt nicht, daß viel tausend Augen auf Euch gerichtet sind! Denkt an Merete, die früh und spät um ihr verspieltes Leben weint; denkt an Lucia, die im schwarzen Sarge schläft, – Und noch eins! Vergeßt nicht, daß Ihr in dieser Nacht Schach zieht um Euer letztes Kind!
Sie geht links ab.
Inger blickt ihr eine Weile nach. Mein letztes Kind? – Du sprachst wahrer, als Du selbst wußtest. – – Aber es gilt nicht mein Kind allein. Gott helfe mir! In dieser Nacht wird Schach gezogen um das ganze norwegische Reich. – Ah! Reitet da nicht wer durch das Burgtor? Sie lauscht am Fenster. Nein, noch nicht. Es war nur der Wind. Grabeskalt weht er. – – Hat Gott der Herr recht gehandelt? Mich zum Weibe zu bilden und eine Mannestat auf meine Schultern zu laden!? Denn des Landes Wohlfahrt liegt in meiner Hand. In meiner Macht steht es, daß sich alle wie ein Mann erheben. Von mir erwarten sie das Zeichen; und geb' ich es jetzt nicht, so geschieht es – vielleicht nie. – Zögern? Die Vielen um des Einen willen opfern? – Wär' es nicht besser, wenn ich – –? Nein, nein, nein! Ich will nicht! Ich kann nicht! Sie wirft einen verstohlenen Blick nach dem Rittersaale, wendet sich, wie in Angst, ab und sagt flüsternd: Nun sind sie wieder da drin! Bleiche Schatten; tote Ahnen, gefallene Blutsfreunde! – – Pfui! diese bohrenden Augen in allen Ecken! Sie schlägt mit der Hand hinter sich und ruft: Sten Sture! Knut Alfsön! Olaf Skaktavl! Weicht, weicht! Ich kann es nicht!
Ein fremder, kräftig gebauter Mann mit angegrautem Haar und Bart, mit einem zerrissenen Wams aus Schaffell bekleidet und mit rostigen Waffen, ist durch den Rittersaal eingetreten.
Der Fremde bleibt bei der Tür stehen und sagt mit gedämpfter Stimme: Heil Euch, Frau Inger Gyldenlöve!
Inger wendet sich mit einem Schrei um. Ha! – Jesus Christus, steh mir bei!
Sie fällt in den Stuhl zurück. Der Fremde blickt sie starr an, unbeweglich, auf sein Schwert gelehnt.
Stube auf Oestrot, wie im ersten Akt.
Inger sitzt am Tisch rechts vor dem Fenster. Olaf Skaktavl steht ein wenig von ihr entfernt. Beider Mienen verraten, daß ein sehr aufgeregtes Gespräch vorangegangen ist.
Olaf. Zum letzten Mal, Inger Gyldenlöve, – Ihr seid also unbeugsam in Euerm Entschluß?
Inger. Ich kann nicht anders. Und mein Rat ist: geht auch Ihr meinen Weg. Ist es des Himmels Wille, daß Norwegen untergehen soll, so geht es unter, ob wir es nun stützen oder nicht.
Olaf. Und mit diesem Glauben, meint Ihr, soll ich mich in Geduld fassen? Ich sollte ruhig dasitzen und zuschauen, nun die Zeit gekommen ist? Habt Ihr vergessen, was ich zu rächen habe? Mein liegendes Gut haben sie geraubt und unter sich geteilt. Meinen Sohn, mein einziges Kind, den letzten Sproß unseres Geschlechtes, erschlugen sie vor meinen Augen wie einen Hund, und mich selbst haben sie zwanzig Jahre lang friedlos durch Wald und Gebirge gehetzt. Das Gerücht hat mich mehr als ein liebes Mal tot gesagt; aber nun hab' ich die Zuversicht, daß man mich nicht in die Erde legen wird, eh' ich Rache genommen habe.
Inger. Dann habt Ihr auf ein langes Leben zu hoffen. Und jetzt – was wollt Ihr tun?
Olaf. Tun? Was weiß ich, was ich tun werde? Ich habe mich niemals darauf verstanden, Pläne zu schmieden. Das ist etwas, wozu ich Eurer Hilfe bedarf. Ihr seid gar klug dazu; ich habe nur meine zwei Arme und meine Wehr.
Inger. Eure Wehr ist verrostet, Olaf Skaktavl! Jede Wehr in Norwegen ist verrostet.
Olaf. Also deshalb streiten gewisse Leute nur mit der Zunge? – Inger Gyldenlöve, Ihr habt Euch sehr verändert. Es war eine Zeit, da schlug ein Mannesherz in Eurer Brust.
Inger. Mahnt mich nicht an das, was war.
Olaf. Und doch bin ich darum zu Euch gekommen. Ihr sollt mich hören, wenn auch –
Inger. Nun wohl! Aber macht es kurz; denn – ich muß es Euch wohl sagen – Ihr seid hier auf dem Schlosse nicht sicher.
Olaf. Auf Schloß Oestrot ist nicht Sicherheit für den Friedlosen? Das wußt' ich längst. Aber Ihr vergeßt, daß ein Friedloser nirgends sicher ist, wo er auch weile.
Inger. So sprecht. Ich kann es Euch nicht verwehren.
Olaf. Es ist nun bald dreißig Jahre her, daß ich Euch zum ersten Male sah. Es war zu Akershus bei Knut Alfsön und seinem Weibe. Ihr wart damals fast noch ein Kind, und gleichwohl wart Ihr kühn wie ein Falke auf der Jagd und dabei zuweilen wild und unzähmbar. Viele warben um Euch. Auch mir wart Ihr teuer – teuer wie kein Weib mir früher oder später gewesen ist. Aber Ihr hattet nur ein Ziel und einen Gedanken. Das war der Gedanke an das Unglück und die große Not des Reiches.
Inger. Ich war fünfzehn Sommer alt – vergeßt das nicht! Und war es nicht, als hätt' in jenen Tagen uns insgesamt ein wilder Trotz erfaßt?
Olaf. Nennt es, wie Ihr mögt. Aber das weiß ich: die Alten und Erfahrenen unter uns meinten, es stünde dort oben in den Sternen geschrieben, daß Ihr es wärt, die das Sklavenjoch brechen und uns alle unsre Rechte zurückgeben sollte; und ich weiß auch, Ihr dachtet damals ebenso.
Inger. Das war ein sündiger Gedanke, Olaf Skaktavl! Hochmut war es und nicht der Ruf des Herrn, was aus mir sprach.
Olaf. Ihr konntet die Auserkorene sein, wenn Ihr gewollt hättet. Ihr stammtet aus Norwegens edelsten Geschlechtern; Ihr hattet Macht und Reichtum zu erwarten und Ihr hattet ein Ohr für den Klageruf – damals. – – Denkt Ihr jenes Nachmittags noch, da Hendrik Krummedike mit der dänischen Flotte vor Akershus erschien? Die Schiffsherren boten gütlichen Vergleich; und in Vertrauen auf den Geleitbrief ließ Knut Alfsön sich vom Lande rudern. Drei Stunden später trugen wir ihn wieder durchs Schloßtor –
Inger. Als Leiche, als Leiche!
Olaf. Als Krummedikes Spießgesellen ihn erschlugen, da brach Norwegens bestes Herz. Noch mein' ich den langen Zug zu sehen, der kummerschwer und Paar für Paar in den Rittersaal wallte. Da lag Knut Alfsön auf der Bahre, mit dem Axthieb über der Stirn, weiß wie eine Frühlingswolke. Ich darf wohl sagen, daß Norwegens beste Männer in jener Nacht versammelt waren, Frau Margrete stand zu Häupten ihres toten Mannes, und alle, alle schwuren wir, Gut und Blut daran zu setzen, um diese letzte Greueltat und all das Übrige zu rächen. – Inger Gyldenlöve, wer war es, der sich da Bahn brach durch den Kreis der Männer? Eine Jungfrau, – fast noch ein Kind, – mit Feuer im Auge und mit tränenerstickter Stimme. – Was schwur sie? Soll ich Eure Worte wiederholen?
Inger. Ich schwur, was Ihr alle schwurt, – nicht mehr, nicht weniger.
Olaf. Ihr entsinnt Euch Eures Eides – und habt ihn doch vergessen.
Inger. Und wie hielten die andern, was sie gelobt? Ich spreche nicht von Euch, Olaf Skaktavl, aber von Euren Freunden, vom ganzen norwegischen Adel. Nicht ein einziger ist darunter, der in all dieser Zeit den Mut gehabt hätte, ein Mann zu sein; und doch legen sie mir zur Last, daß ich ein Weib bin.
Olaf. Ich weiß, was Ihr sagen wollt. Warum haben sie sich unterworfen, statt der Gewalt Trotz zu bieten bis aufs Äußerste? Wohl wahr; es ist ein erbärmlich Mark heutzutage in unsern Geschlechtern. Aber hätten sie zusammengehalten – wer weiß, was geschehen wäre! Und Ihr konntet sie zusammenhalten, denn vor Euch hätten sie sich alle gebeugt.
Inger. Ich könnte leicht Euch darauf antworten, aber Ihr würdet die Antwort kaum gelten lassen. Sprechen wir deshalb nicht weiter von Dingen, die nicht zu ändern sind. Sagt mir lieber, was Euch eigentlich nach Oestrot führt. Bedürft Ihr des Schutzes? Wohlan! Ich will Euch zu verbergen suchen. Habt Ihr noch andere Wünsche – sagt es frei! Ihr sollt mich bereit finden –
Olaf. Zwanzig Jahre bin ich heimatlos gewesen. Zwischen den Felswänden von Jämteland ist mein Haar ergraut. Ich habe mit Wölfen und Bären gehaust. Ihr seht, Frau Inger, – ich bedarf Eurer nicht; wohl aber der Adel und das gemeine Volk.
Inger. Das alte Lied!
Olaf. Ja, ich weiß wohl, es klingt häßlich Euren Ohren, aber Ihr sollt es dennoch hören. Kurz und gut: ich komme von Schweden. Da gärt es. In Dalekarlien soll es losgehen.
Inger. Ich weiß es.
Olaf. Der Kanzler Peter ist im Bunde, doch – Ihr versteht – nur heimlich.
Inger stutzt. Wie?
Olaf. Er war's, der mich nach Oestrot gesandt hat.
Inger steht auf. Der Kanzler Peter, sagt Ihr?
Olaf. Er selbst; – oder kennt Ihr ihn vielleicht nicht mehr?
Inger halb für sich. Nur allzugut. – – Doch sagt mir, ich bitte Euch, – welche Botschaft bringt Ihr?
Olaf. Als das Gerücht vom Unfrieden bis ins Grenzgebirge drang, wo ich mich verborgen hielt, brach ich unverweilt nach Schweden auf. Ich konnte mir denken, daß der Kanzler seine Hand im Spiele hat. Ich suchte ihn auf und bot ihm meinen Beistand an, – er hat mich in frühern Zeiten gekannt, wie Ihr wißt. Er wußte, daß man auf mich bauen kann – und so sandte er mich hierher.
Inger ungeduldig. Gewiß, gewiß – er sandte Euch her, um –?
Olaf geheimnisvoll. Frau Inger, – ein Fremder kommt diese Nacht nach Oestrot.
Inger überrascht. Wie? Ihr wißt, daß –
Olaf. Und warum nicht? Ich weiß alles. Ich wurde ja vom Kanzler hergesandt; um ihm zu begegnen.
Inger. Ihm? Unmöglich, Olaf Skaktavl, – unmöglich!
Olaf. Wie ich Euch sage. Wenn er nicht schon da ist, so wird es doch nicht mehr lange währen –
Inger. Allerdings. Doch –
Olaf. Ihr wart also auf seine Ankunft vorbereitet?
Inger. Ja, gewiß. Er hat mir Kunde gesandt. Deshalb auch wurde Euch auf Euer Pochen sogleich aufgetan.
Olaf lauschend. Horch! Es reitet einer den Weg daher. Er geht zum Fenster. Die Pforte wird aufgetan.
Inger zum Fenster hinausblickend. Ein Ritter und sein Knappe. Sie steigen im Hof ab.
Olaf. Das also ist er. Sein Name?
Inger. Ihr wißt seinen Namen nicht?
Olaf. Der Kanzler weigerte sich, ihn zu nennen. Er sagte nur, daß ich den Abgesandten am dritten Abend nach Martini auf Oestrot treffen werde –
Inger. Richtig – also just heut Abend.
Olaf. Er brächte Briefschaften mit. Aus ihnen und aus seinem eigenen Munde würde ich erfahren, wer er sei.
Inger. So laßt mich Euch nach Eurer Kammer geleiten. Ihr bedürft der Labung und Pflege. Bald sollt Ihr den Fremden sprechen.
Olaf. Nun, wie Ihr wünscht. Sie gehen links ab.
Nach einer kleinen Weile kommt der Schloßdiener Finn vorsichtig durch die Tür rechts, sieht sich im Zimmer um, guckt in den Rittersaal und geht dann wieder nach der Tür zurück, indem er jemand draußen ein Zeichen gibt. Darauf treten Nils Lykke und Jens Bjelke von rechts ein.
Nils Lykke mit gedämpfter Stimme. Niemand?
Finn ebenso. Nein, Herr!
Nils Lykke. Und wir können uns fest auf Dich verlassen in allem und jedem?
Finn. Der Statthalter von Drontheim hat mir stets das Zeugnis gegeben, daß ich zuverlässig bin.
Nils Lykke. Gut, gut; auch mir hat er das gesagt. Nun denn, vor allen Dingen, – ist ein Fremder heut abend nach Oestrot gekommen?
Finn. Ja, vor einer Stunde ist ein Fremder hier angekommen.
Nils Lykke leise zu Jens Bjelke. Er ist hier. Er wendet sich wieder zu Finn. Würdest Du ihn wiedererkennen? Hast Du ihn gesehen?
Finn. Nein. Niemand außer dem Pförtner hat ihn gesehen, soviel ich weiß. Er wurde sogleich zu Frau Inger geführt, und sie –
Nils Lykke. Und sie? Nun? Er ist doch nicht schon wieder fort?
Finn. Nein, – sie wird ihn wohl versteckt halten in einer ihrer eigenen Stuben –
Nils Lykke. Es ist gut.
Jens Bjleke flüstert . Also vor allen Dingen das Tor bewachen; dann haben wir ihn sicher.
Nils Lykke mit einem Lächeln. Hm! Zu Finn:> Du, sag' mir, gibt es hier auf dem Schloß noch einen ändern Ausgang als durch das Tor? Sieh mich nicht so dumm an! Ich meine, – kann einer ungesehen von Oestrot entkommen, wenn das Burgtor verschlossen ist?
Finn. Ja, das weiß ich nicht. Man spricht zwar von geheimen Gängen unten in den Kellern; aber niemand kennt sie außer Frau Inger selbst – und vielleicht Jungfer Eline.
Jens Bjleke. Verwünscht!
Nils Lykke. Es ist gut. Du kannst gehen.
Finn. Wohl. Solltet Ihr später meiner bedürfen, so braucht Ihr nur an die zweite Tür rechts im Rittersaal zu pochen. Ich werde dann gleich bei der Hand sein.
Nils Lykke. Gut.
Er deutet auf die Tür des Vorflurs; Finn geht hinaus.
Jens Bjleke. Wißt Ihr was, – lieber Freund und Bruder, – das wird ein elender Feldzug für uns zweibeide.
Nils Lykke lächelnd.Ih, nicht für mich, will ich hoffen.
Jens Bjleke. So? Fürs erste bringt's nur wenig Ehre, auf einen so grünen Jungen, wie diesen Nils Sture, Jagd zu machen. – Soll ich ihn nach seinem Vorgehen für klug oder für verrückt halten? Erst stachelt er die Bauern auf, verspricht ihnen seinen Beistand und goldne Berge – und wenn es zum Handeln kommt, läuft er davon und verkriecht sich hinter eine Weiberschürze! – Und dann bereu' ich's überhaupt, offen gestanden, Eurem Rate gefolgt zu sein und nicht meinem eigenen Kopfe.
Nils Lykke leise. Die Reue kommt etwas spät, Herr Bruder!
Jens Bjleke. Denn seht, den Dachs zu graben, das hat mir nie Spaß gemacht. Ich erwartete mir etwas ganz anderes. Ich bin nun mit meinen Reitern von Jämteland aufgebrochen und habe den Brief des Statthalters von Drontheim, daß ich auf den Unruhstifter überall fahnden kann, wo's mir paßt. Alle Spuren deuten darauf hin, daß er sich nach Oestrot schlängelte.
Nils Lykke. Er ist hier! Er ist hier, sag' ich.
Jens Bjleke. Ja, aber was wäre dann natürlicher gewesen, als daß wir das Tor verschlossen und scharf bewacht gefunden hätten? War' dem nur so gewesen, dann hätt' ich doch für meine Kriegsknechte Verwendung gehabt –
Nils Lykke. Doch statt dessen öffnet man uns das Tor gar höflich. Paßt auf! Ist Frau Inger wie ihr Ruf, so wird sie es ihren Gästen weder an Speis' noch an Trank mangeln lassen.
Jens Bjleke. Um uns das Mißtrauen zu benehmen, nicht wahr ? – Wie konntet Ihr auch den Ein- fall haben, daß ich meine Leute eine Viertelmeile Weges zurücklassen sollte! Wären wir mit Kriegsmannschaft hergekommen, so –
Nils Lykke. Frau Inger hätte uns deshalb nicht weniger willkommen geheißen. Aber bedenkt, daß unser Besuch in diesem Falle Aufsehen gemacht hätte. Die Bauern ringsum würden darin eine Gewalttat gegen Frau Inger erblickt haben. Sie wäre wieder in der Gunst der Menge gestiegen; – und, seht Ihr, das ist nicht ratsam.
Jens Bjleke. Mag sein. Aber was mach' ich nun –? Graf Sture ist auf Oestrot, sagt Ihr. Ja, was hilft mir das ? Frau Inger hat, gleich dem Fuchse, wohl manch geheimen Schlupfwinkel und mehr als einen Ausgang. Hier können wir zwei einzelne Gesellen lange spähen und suchen. Hol' der Teufel die ganze Geschichte!
Nils Lykke. Nun wohl, lieber Herr, – seid Ihr mit der Wendung, die Eure Mission genommen hat, unzufrieden, so überlaßt das Schlachtfeld mir.
Jens Bjleke. Euch? Und was wollt Ihr tun?
Nils Lykke. Klugheit und List bringen hier vielleicht zu stände, was Waffengewalt nicht vermag. – Ehrlich gesprochen, Herr Jens, ich hatte ähnliche Gedanken schon gestern, als wir uns in Drontheim trafen.
Jens Bjleke. Und deshalb habt Ihr mich wohl dazu überredet, mich von meinen Kriegsknechten zu trennen?
Nils Lykke. Sowohl Euer wie mein Geschäft auf Oestrot konnte besser erledigt werden ohne sie; darum –
Jens Bjleke. Hol' Euch dieser und jener – hätt' ich fast gesagt – und mich dazu! Ich konnte ja wissen, daß Euch der Schalk im Nacken sitzt.
Nils Lykke. Ja seht Ihr, der Schalk ist hier sehr am Platze, wenn auf beiden Seiten die Waffen gleich sein sollen. Und ich will Euch nur gestehen, es ist mir von der höchsten Wichtigkeit, mich gut und in aller Stille meines Auftrags zu entledigen. Denn wißt: mein Herr, der König, war mir bei meinem Aufbruch nicht sehr gewogen. Er glaubte seine guten Gründe dafür zu haben, obgleich ich der Ansicht bin, daß ich ihm mehr als einmal nützliche Dienste geleistet habe.
Jens Bjleke. Dies Zeugnis dürft Ihr Euch kecklich ausstellen. Gott und alle Welt weiß, daß Ihr der verschlagenste Teufel in allen drei Reichen seid.
Nils Lykke. Schönen Dank! Aber das will nun gerade nicht viel sagen. Doch was ich hier zu verrichten habe, das halt' ich allerdings für eine Meisterprobe. Denn hier gilt es ein Weib zu überlisten –
Jens Bjleke. Hahaha! In dem Handwerk habt Ihr schon längst Eure Meisterprobe abgelegt, lieber Bruder! Meint Ihr, wir kennen nicht auch in Schweden die Weise:
»Da seufzt jede Jungfrau in Herzensglut: O wäre Nils Lykke mir hold und gut.«
Nils Lykke. Bah! Die Weise gilt nur den Mädchen von zwanzig Jahren und da herum. Aber Frau Inger Gyldenlöve ist bald an die fünfzig und dabei schlau wie keine sonst. Es wird nicht leicht sein, sie klein zu kriegen. Doch es muß geschehen – um jeden Preis! Glückt es mir, dem König gewisse Vorteile über sie zu verschaffen, nach denen er schon lange trachtet, so kann ich darauf rechnen, nächstes Frühjahr mit der Sendung nach Frankreich betraut zu werden. Ihr wißt doch, daß ich volle drei Jahre auf der Hochschule zu Paris gewesen bin? Mein ganzes Sinnen steht danach, wieder einmal dorthin zu kommen, vornehmlich wenn ich in der höchst ansehnlichen Eigenschaft eines königlichen Gesandten auftreten könnte. Also – nicht wahr, – Ihr überlaßt Frau Inger mir? Wißt Ihr noch, wie ich Euch bei Eurem letzten Besuch am Hof zu Kopenhagen mehr als eine junge Schöne willig abtrat– ?
Jens Bjleke. Meiner Treu, – der Edelmut war nun gerade nicht so groß. Ihr hattet sie ja doch alle im Sack – aber einerlei! Da ich nun einmal verkehrt zu Werke gegangen bin, so mögt Ihr auch das Weitere auf Euch nehmen. Jedoch, Euer Wort darauf – wird der junge Graf Sture auf Oestrot betroffen, so liefert Ihr ihn aus – tot oder lebendig.
Nils Lykke. Lebendig und leibhaftig sollt Ihr ihn haben. Jedenfalls ist es nicht meine Absicht, ihn ums Leben zu bringen. Aber nun müßt Ihr zu Euren Leuten zurück! Haltet die Landstraße besetzt! Wenn ich irgend etwas Verdächtiges merke, so sollt Ihr unverzüglich Kunde haben.
Jens Bjleke. Gut, gut. Aber wie komm' ich hinaus –?
Nils Lykke. Der Kerl von vorhin wird Euch schon zurechtweisen. Aber in aller Stille –
Jens Bjleke. Versteht sich!–Also– gut Glück!
Nils Lykke. Das Glück hat mich noch nie im Stich gelassen, wenn ich mit Frauen angebunden habe» – Nun beeilt Euch!
Jens Bjelke rechts ab.
Nils Lykke bleibt einen Augenblick stehen, geht ein paar Schritte in der Stube auf und ab, sieht sich um und sagt mit gedämpfter Stimme: So bin ich denn endlich auf Oestrot. Auf diesem alten Herrensitz, von dem ein Kind mir vor zwei Jahren so viel erzählte. – Lucia! Ja, vor zwei Jahren war sie noch ein Kind. Und jetzt – jetzt ist sie tot. Er summt mit einem halben Lächeln: »Blumen bleichen, Blumen welken.« Sieht sich wieder um. Oestrot. Mir ist, als hätte ich dies alles schon früher gesehen, als war' ich hier zuhause. – Da ist der Rittersaal, und unter mir ist – das Grabgewölbe. Dort liegt wohl auch Lucia. Leiser, halb in ernsthaftem, halb in gezwungen spöttischem Ton: Wär' ich ein furchtsamer Mann, so könnt' ich mir einbilden, sie hätte sich im Sarge umgedreht, als ich meinen Fuß auf Oestrots Schwelle setzte. Als ich über den Burghof schritt, hob sie den Deckel des Schreines, und nun ich ihren Namen nenne, dringt es wie eine beschwörende Stimme in ihre Gruft. – Vielleicht tappt sie jetzt die Treppe herauf. Das Leichentuch hemmt ihren Schritt, aber dennoch tappt sie vorwärts. – Nun ist sie oben im Rittersaale. Nun lehnt sie an der Tür und starrt mich an. Er wirft das Haupt über die Schulter zurück, winkt und ruft laut: Komm näher, Lucia! Plaudre ein wenig mit mir! Deine Mutter läßt mich warten, und Du hast mir so manche langweilige Stunde vertrieben –
Er fährt mit der Hand über die Stirn und geht einige Male auf und ab.
Sieh! Richtig, da ist das tiefe Bogenfenster mit dem Vorhang. Hier pflegte ja Inger Gyldenlöve zu stehen und auf die Landstraße hinauszustarren, als ob sie auf einen wartete, der niemals kommt. Dadrin – er blickt nach der Tür zur Linken – da liegt Schwester Elines Stube. Eline? Ja, Eline ist ihr Name. – Ist es wohl wahr, daß sie so merkwürdig – so klug, so kühn ist, wie mir Lucia sagte? Schön soll sie auch sein. Aber zur Ehefrau – Ich hätte das nicht so ohne weiteres schreiben sollen – – –
Er setzt sich, in Gedanken verloren, an den Tisch, steht aber sogleich wieder auf.
Wie Frau Inger mich wohl aufnehmen wird? – Sie wird das Haus nicht über uns in Brand stecken, wird mich nicht auf eine Falltür locken, noch wird sie mir meuchlings den Dolch – – –
Er lauscht, dem Saal zugewandt.
Aha!
Inger kommt durch die Saaltür und sagt kalt: Ich entbiet' Euch meinen Gruß, Herr Reichsrat, –
Nils Lykke verbeugt sich tief. Ah, – die Frau von Oestrot!
Inger. – und meinen Dank, daß Ihr mich Eure Ankunft wissen ließet.
Nils Lykke. Nicht mehr als meine Schuldigkeit. Ich hatte Grund zu vermuten, daß mein Kommen Euch überraschen würde –
Inger. Fürwahr, Herr Reichsrat, darin habt Ihr Euch nicht geirrt. Nils Lykke als Gast auf Oestrot zu sehen, das hab' ich gewiß am allerwenigsten erwartet.
Nils Lykke. Und wohl noch weniger habt Ihr erwartet, daß er als Freund kommen werde.
Inger. Als Freund? Ihr fügt noch Spott zu all dem Schmerz und Schimpf, den Ihr über meinem Hause aufgetürmt habt? Nachdem Ihr mein Kind mir unter die Erde gebracht habt, wagt Ihr noch –
Nils Lykke. Erlaubt, Frau Inger Gyldenlöve, in diesem Punkte werden wir uns nie einigen; denn Ihr zieht nicht in Betracht, was ich selbst bei diesem unglücklichen Ereignis verloren habe. Meine Absichten waren ehrlich. Ich war meines zügellosen Lebens satt; – zudem war ich ja damals über dreißig Jahre; ich sehnte mich danach, ein gutes und frommes Weib zu finden. Dazu die Aussicht auf das Glück, Euer Schwiegersohn zu werden –
Inger. Hütet Euch, Herr Reichsrat! Was meinem Kinde widerfahren ist, hab' ich, so gut ich's vermochte, zu vertuschen gesucht. Doch glaubt nicht, daß das Verborgne nun auch vergessen sei. Es könnte wohl eine Gelegenheit kommen –
Nils Lykke. Ihr droht mir, Frau Inger? Ich hab' Euch die Hand zur Versöhnung gereicht. Ihr weigert Euch, sie zu ergreifen? Von nun an ist also offene Fehde zwischen uns?
Inger. Ich wüßte nicht, daß es je anders gewesen ist.
Nils Lykke. Von Eurer Seite vielleicht. Ich war niemals Euer Widersacher, – obgleich ich als Untertan des Königs von Dänemark triftigen Grund dazu hätte.