Herz im Bauch - Ann-Katrin Seibel - E-Book

Herz im Bauch E-Book

Ann-Katrin Seibel

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Beschreibung

Niemand hatte mich darauf vorbereitet, dass es sich SO anfühlen würde, Mutter zu werden. So überwältigend! Und oft so viel härter, als ich erwartet hätte, sowohl körperlich als auch emotional. Es ist ein Prozess, diesen kleinen Menschen kennenzulernen, es ist ein Prozess, Mutter zu werden, und für mich war es die intensivste und herausforderndste Aufgabe meines Lebens. Ich hielt meine Erlebnisse und Gefühle in Form von Briefen an meinen Sohn fest, für ihn und für mich. Briefe voller bedingungsloser Liebe, Freude, Humor und Dankbarkeit. Aber auch voller Frust, Überforderung, Unsicherheit und Erschöpfung. Denn das alles ist Muttersein. Ich teile die Einblicke in diese sensible Phase unseres Lebens in der Hoffnung, dass es anderen werdenden Müttern dabei helfen möge, ein klein wenig besser vorbereitet zu sein auf das, was kommt. Und um frischgebackenen Müttern, die sich ebenfalls überwältigt fühlen, Zuversicht zu vermitteln: Du bist nicht allein mit deinen Gedanken und Gefühlen. Es sind alles Phasen. Es wird einfacher und schöner. Es wird die Aufgabe deines Lebens, aber auch die Liebe deines Lebens.

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Seitenzahl: 197

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Herz im Bauch

Titelseite1. Herz im Bauch2. Namenlos3. Gefühlsbesuch4. Ungetrübte Vorfreude?!5. Stress6. Überforderung7. Unverständnis8. Erwartungen9. Vorfreude, wirklich!10. Du bist da!11. Nichts12. Puh!13. Erste Zeit - Verdauung14. Stillen15. Schlaf16. Schöne Zeit17. Spießig18. Rasante Entwicklung19. Loslassen20. Meine Freiheit21. Deine Unabhängigkeit22. Erledigt23. Elternzeitreise24. Lagerkoller25. Veränderungen26. 1. GeburtstagNachtragÜberlebens-Tipps10 Dinge, die ich gern vorher gewusst hätteAußerdem...Impressum

Ann-Katrin Seibel

Herz im Bauch - wie du mich zur Mutter gemacht hast

Illustration des Covers: Denise Zimmer („Kunstzimmer“)

HOLD HIM A LITTLE LONGER

ROCK HIM A LITTLE MORE

TELL HIM ANOTHER STORY

YOU HAVE ONLY TOLD HIM FOUR

LET HIM SLEEP ON YOUR SHOULDER

REJOICE IN HIS HAPPY SMILE

HE IS ONLY A LITTLE BOY

FOR SUCH A LITTLE WHILE

(Autor unbekannt)

1. Herz im Bauch

Ich dachte immer, ich hätte bisher ein ziemlich schönes Leben gehabt. So mit Familie und Freunden und einem Mann, der mich liebt. Oder mich zumindest so nimmt, wie ich bin. Oder einfach zu faul ist, sich nochmal anderweitig umzuschauen. Wie auch immer, mit zahlreichen Reisen auf dieser wunderschönen Welt und dem ganzen Pipapo. Und dann kamst du.

Gerade sitze ich in eine Decke gekuschelt an unserem großen Holztisch, vor mir das Müsli mit Banane und extra viel Superfood-Gedöns wie Erdmandel-Pulver und Chiasamen. Keine Ahnung, was ich da genau esse, aber ich hoffe, es kommt etwas Gutes bei dir an. Ich habe heute sogar auf meinen geliebten morgendlichen Kaffee verzichtet. Ich! Stattdessen steht eine Tasse dampfender schwarzer Tee vor mir. Bis zu vier Tassen Kaffee am Tag gehen in Ordnung, heißt es ja. Aber dann habe ich gestern gelesen, dass Kaffee deine Gefäße verengen und die Eisenaufnahme hemmen kann (was vermutlich nicht so gut ist), also heute Morgen: weniger Koffein. Obwohl ich es mehr bräuchte denn je! Denn mal wieder sitze ich hier schon vor Tagesanbruch, während die Welt noch unter einem grauen Schleier schläft. Nur wir sind wach. Oder ich zumindest, es scheint mir, du bist schon wieder eingeschlafen. Liegt es daran, dass du Hunger hattest? Dass mir so viele Gedanken durch den Kopf gehen, wenn ich morgens wach liege? Was es noch alles zu erledigen gibt (ich glaube man nennt es „Nestbautrieb“)? Oder einfach daran, dass du mir mit Schmackes in die Nieren getreten hast?

Das sind im Übrigen die schönsten Momente. Wenn ich einfach nur da liege und dich in mir spüre. „Ein ganz aktives Kind“, kommentierte die Frauenärztin. Müsse aber in keinem direkten Zusammenhang mit dem Temperament nach der Geburt stehen, fügte sie dann noch schnell wegen meines besorgten Blicks hinzu. In der Schwangerschaft, da ist es das Größte – man kann es ja sonst gar nicht glauben, was da passiert, wenn man nicht ab und zu etwas merken würde, was darauf hinweist. Dass da wirklich ein winzig kleiner Mensch in einem heranwächst, der schläft, sich verschluckt und Purzelbäume schlägt. Am Anfang war es nur ganz zaghaft, wie der Schlag eines Schmetterlingsflügels. Inzwischen kräftiger, manchmal trittst du richtig zu, sodass ich entzückt und gespannt innehalte, ob du dich wieder meldest. Ich habe schon Videos verschickt (Nicht täglich! Na gut, täglich! Aber hallo? Mein Bauch tanzt Pogo!) mit dem äußerlich sichtbaren Beweis, dass da jemand in meinem Bauch Turnübungen veranstaltet. Und - meine Interpretation - dass es dir wohl gut geht da drin, solange du dich regelmäßig so deutlich bemerkbar machst.

Ich würde behaupten, ich habe schon einiges erlebt, was Glücksgefühle bei mir ausgelöst hat: Ich habe die Welt bereist, bin auf Elefanten geritten, war Schnorcheln an den allerschönsten Korallenriffen. Ich habe vor verschiedenen Weltwundern gestanden und überschäumend vor Glück deinen Papa geheiratet. Und dann kommst du, bewegst dich in meinem Bauch, und plötzlich weiß ich wirklich, was Glück ist. Wenn du mit deiner winzig kleinen Faust oder deinem winzig kleinen Fuß winzig kleine Bewegungen in mir machst, dann bleibt die Welt ganz kurz still stehen. Ich schätze, diese Verbindung gibt es nur zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Und das ist es auch, was ich am meisten vermissen werde. Nicht, dass wir uns nicht auf dich freuen. Aber es könnte sein, dass ich den Arzt zur Geburt frage, ob wir dich nicht noch ein kleines bisschen länger in mir wohnen lassen können. Keine Hand mehr auf den wachsenden Bauch legen und staunen, was der Körper da veranstaltet. Kein winzig kleines Herz mehr, das in meinem Bauch schlägt und das ich im Ultraschall hören kann, wie Wind auf einem Wellblechdach. Kein „Wir“ mehr als Einheit, die gemeinsam in demselben Körper wohnt, sondern ein „Du“ und ein „Ich“. Das alles wird mir fehlen. Du wirst mir in mir fehlen.

Zum Glück kommen noch der 9. Und 10. Monat, wo ich vermutlich den Zeitpunkt herbeisehnen werde, wo dich jemand aus mir herausholt. Und die Zeit danach, die sowieso alles andere in den Schatten stellen wird. Aber jetzt, genau in diesem Moment, halte ich inne und lege eine Hand auf meinen Bauch. Ich singe leise ein Lied, sage dir guten Morgen und du antwortest mir. Wenn das kein Glück ist, dann weiß ich es auch nicht.

2. Namenlos

Also, wer bist du? 

Bist du ein Emil? Ein Paul oder Oskar? Ich weiß es nicht, ich kenne dich schließlich noch nicht! Dass es so schwer ist, einen Namen für dich zu finden, hätte ich nie gedacht. Obwohl es einige Hinweise gab – dass ich im Supermarkt zum Beispiel mühelos eine halbe Stunde vor dem Regal mit den Shampoos verbringe, bevor ich endlich eine Entscheidung fälle. Weil die für deinen Namen deutlich langfristigere Konsequenzen hat, dauert es eben seine Zeit. Ich will mich ja auch nicht gleich auf den erstbesten festlegen. Aber wenn du ein Mädchen wärst, hätte ich drei Favoriten und mich schon seit Monaten entschieden. Einen passenden Jungennamen zu finden fällt mir schwerer. Und was heißt passend – passend zu wem? Wer bist du denn, wie wirst du sein? Was ist, wenn wir uns zum Beispiel für August entscheiden, und dann wirst du ein trauriger, verschlossener kleiner Junge (eher unwahrscheinlich, so wie du in mir randalierst). Oder Samson. Lässt mich immer an den gemütlichen, trägen Sesamstraßen-Bären denken, obwohl du den Akrobatikeinlagen in meinem Bauch zufolge wohl eher ein quirliger kleiner Kerl bist. Herr von Bödefeld stand übrigens auch kurz im Raum, aber nur einen Moment lang, als wir nostalgisch in Kindheits-Erinnerungen schwelgten.

Ein Bekannter trieb es letztens so weit, dass der Name im englischsprachigen Raum ebenfalls gut auszusprechen sein sollte – für den Fall der Auswanderung. Oder zumindest eines Jobs, der einen regelmäßigen Austausch auf Englisch erfordert. Und wenn es dich nun später nach China oder Indien zieht? Sollen wir etwa noch Ying und Krishna hinten dranhängen, zur Sicherheit? Der Bekannte wollte dann auch noch eine mögliche zukünftige Berufswahl bei der Namensgebung berücksichtigt wissen. Fridolin, ähnlich wie August, sei beispielsweise zu fröhlich - wenn der Sohn letztlich cage fighter werden und im Käfig dann seinem Gegner Hektor gegenüberstehen würde, hätte er bei so einem Namen schon vor dem Kampf verloren. Da mag zwar was dran sein, aber wenn ich all dies auch noch mit berücksichtigen würde, wärst du zu deinem 18. Geburtstag wohl immer noch namenlos.

Was in meine Überlegungen mit reinspielt, ist folgendes: Was passt sowohl zu einem kleinen Jungen, als auch zu einem erwachsenen Mann? Damit fallen schonmal einige Namen weg, denn manche erfüllen nur eins von beidem. Dein Papa legt dank schlechter Erfahrungen mit Problemschülern bei so manch schönem Namen sein Veto ein. Und wenn abzusehen ist, dass sich noch drei weitere Kinder auf dem Spielplatz umdrehen werden, wenn ich nach dir rufe, überlege ich auch nochmal weiter (entsprechend der saukomischen Prenzl-Schwäbin: „Anton! Nicht du...Anton! Nein, du auch nicht! Anton... Ja, genau du!“). Und schließlich, wenn ich einen Namen im Kopf habe, der uns gefallen könnte, schaue ich zu dir runter und frage mich: Bist du das? Bist du ein Anton/Henri/Kasper? Da wird es schwer. Denn nur, weil ein Name schön ist, heißt es nicht, dass er der richtige ist. Dein Name begleitet dich dein Leben lang, du hörst ihn zigmal am Tag, ich spreche ihn andauernd aus. Er kann Erwartungen beim Gegenüber wecken, im Positiven wie im Negativen (Justus vs. Kevin). Und ist mit einem Namen, der bevorzugt in sozial schwachen Gegenden gewählt wird, die Höhe des Schulabschlusses schon vorprogrammiert? Zumindest erinnere ich mich an eine Studie: Lehrer tendieren unabhängig von der tatsächlichen Leistung bei bestimmten „vorbelasteten“ Namen zu schlechteren Noten. Ich will nicht Schuld daran sein, dass du es schwer in der Schule hast. Der eigentlich für schön befundene Name „Janus“ schied genau deshalb aus - weil die Hänseleien der anderen Kinder durch das Weglassen eines einzigen Buchstabens bereits in meinen Ohren klingelten.

Und dann ist der eigene Name ja auch noch so identitätsstiftend – als kleines Kind wollte ich laut meiner Mutter eine zeitlang nur noch irgendwelche-Vornamen-von-Pipi-Langstrumpf-und-Eva-Marias-Schwester genannt werden. Meine Identität hing für mich anscheinend stark davon ab, dass ich die Schwester von Eva-Maria war, und Pipi Langstrumpf schien etwas zu verkörpern, was ich unbedingt auch sein wollte. 

Aber wenn wir nun einen weniger speziellen Namen für dich wählen: Muss er dann zu dir passen? Oder wirst du nicht vielmehr nach und nach zu diesem kleinen Jungen? Manchmal höre ich einen Namen von einem anderen Kind, der mich im ersten Moment irritiert oder zumindest nicht vor Begeisterung Konfetti werfen lässt. Aber wenn ich dann den kleinen Menschen dazu kennenlerne und den Namen mit einem Gesicht, mit positiven Gefühlen und Erlebnissen verbinde, ist irgendwann alles völlig klar.

Dein Papa hatte ja von Anfang an einen Favoriten. Den hab ich zunächst abgebügelt. Zu biblisch, zu weichgespült! Ich gewöhne mich aber gerade daran, und auf meine Frage, was du von dem Namen hältst, hast du schon zwei Mal heftigst reagiert. Kann man als Protest auslegen oder als begeisterte Zustimmung. Im schlimmsten Fall trittst du damit den Zeugen Jehovas oder einer Boyband bei. Solange du damit glücklich wirst, soll’s mir aber recht sein.

3. Gefühlsbesuch

Seitdem ich weiß, dass du unterwegs bist, bekomme ich plötzlich unheimlich viel Besuch. Den einen heiße ich herzlich willkommen, den nächsten würde ich am liebsten gleich wieder vor die Tür setzen. Auch wenn mir der Nutzen all dieser uneingeladenen Gäste durchaus bewusst ist: Es sind Gefühle. Sie sind normal, und sie dienen dazu, mich zu informieren und teilweise auch zu motivieren. Denn wenn nicht hin und wieder die Angst an meine Tür klopfen würde, dann würde ich wohl jeden Tag ein Pfund rohes Mett essen, beim Möbelverrücken eine Sturzgeburt riskieren und einen Tag vor dem errechneten Termin überlegen, ob wir eigentlich irgendwelche Vorbereitungen für deine Ankunft treffen müssen. 

Hat also durchaus seine Vorteile, der ein oder andere ungebetene Gast. Ich hätte mir aber nie träumen lassen, wie emotional die Schwangerschaft wirklich wird. Die Zeit ist unfassbar intensiv. Wenn man jeden Tag Besuch hat, kommt zumindest keine Langeweile auf! Aber je nach Tagesform (wieder mal ab 5 Uhr früh wach gelegen) und Intensität kann es eben auch eine enorme Herausforderung sein – genau wie bei einer Party mit vielen Gästen, die schön und anstrengend zugleich ist, wenn man sich um alle zu kümmern versucht.

Am umgänglichsten ist natürlich die Freude – vielleicht die Oma der schwangerschaftsbedingten Gefühle, denn sie stellt keine blöden Fragen oder Ansprüche, ist ein äußerst angenehmer und somit willkommener Gast. Und sie bringt auch noch Schoko-Kuchen mit, sodass ich mich mit ihr einfach nur gut fühle. Mit einer unerschütterlichen Ruhe, Weisheit und Zuversicht flüstert sie immer dann, wenn ich es gerade brauche: „Alles wird gut“, und ich weiß, dass es stimmt. Du wächst wie verrückt, meldest dich regelmäßig über Tritte und Purzelbäume und reagierst bereits auf Papas und meine Stimme. Vor allem, wenn wir furchtbar schief die Schlaflieder singen, die dich auch nach der Geburt beruhigen sollen (auch wenn ich dabei vermutlich lediglich deinen verzweifelten Versuch in mir spüre, zu entkommen). Wenn ich eine Hand auf den Bauch lege, schiebst du dich in die Mulde, und wir staunen immer wieder, wie deutlich wir von außen deine Bewegungen beobachten können. Dies sind die Momente puren Glücks und grenzenloser Liebe. Du bist schon da, obwohl du noch nicht auf der Welt bist. Wir interagieren – wenn ich dich anstupse, antwortest du mit deinem kleinen Fuß oder deiner kleinen Hand. Dabei bist du nur so groß wie eine Papaya! Du bist in mir drin, du bist ein Teil von mir. Ich bin nie allein, egal wo ich bin oder wohin ich gehe, denn du bist immer da. Eine tiefe Liebe und Verbundenheit ist zu einem winzig kleinen Menschen entstanden, der noch gar nicht auf der Welt ist, und das Gefühl kann man nicht beschreiben. Wie sich das anfühlt, wenn ich deine Bewegungen unter meinem Herzen spüre, wenn du Schluckauf vom Trinken des Fruchtwassers hast oder deinen kleinen Popo, von außen deutlich sichtbar, von links nach rechts schiebst, das kann am Ende wohl nur nachvollziehen, wer es selbst erlebt hat. Zur Freude zählt ja auch die Vorfreude – darauf, dich endlich im Arm zu halten. Zu hören, dass du gesund bist. In deine kleinen Augen zu schauen, deine weiche Haut zu spüren und deinen Duft einzuatmen. Darauf, dich kennenzulernen – wer bist du kleines Persönchen? Wie wirst du sein, wie wirst du aussehen? Manchmal stelle ich mir dich mit 3 Jahren vor und habe ein ziemlich konkretes Bild vor Augen – wirst du genau so aussehen, mit einem dunklen Lockenkopf wie der Papa, oder ganz anders? Wirst du eher ruhig und zurückhaltend sein wie dein Vater oder temperamentvoll wie deine Mutter? (Wenn ich von deiner derzeitigen Aktivität ausgehe, kann ich es mir denken!) Wie auch immer das Leben mit dir sein wird, ich weiß, dass es schön wird.

Doch bis dahin kann noch einiges passieren, meldet sich dann die Angst, Spitzname Sorge. Die unangenehme Tante, die immer nervös hin und her blickt, stets das Schlimmste befürchtet und Katastrophen heraufbeschwört, die am Ende gar nicht eintreten. Auch wenn man versucht, sich abzulenken, kommt doch immer wieder ein leises Stimmchen aus der Ecke: „Und wenn das Ziehen im Bauch nicht normal ist? Freu dich nicht zu früh, gerade am Anfang kommen Fehlgeburten häufig vor. Und auch später kann noch so viel passieren. In Sicherheit wägen kann man sich nie! Beim letzten Umtopfen hast du keine Handschuhe getragen? Toxoplasmose lässt grüßen! Eine Bekannte hatte außerdem eine ganz schwere Geburt, wer weiß, wie es bei dir läuft? Und seid ihr überhaupt schon ausreichend vorbereitet? Wenn der Kleine früher kommt, habt ihr noch nicht mal eine Wickelauflage!“ Und da ist es dann, das Herzklopfen samt Engegefühl in der Brust und schwitziger Hände. Die ersten drei Monate traute ich mich kaum, Freude aufkommen zu lassen. Die Rate derer, die das Kind in den ersten Wochen wieder verlieren, war so erschreckend hoch! Als ich im 5. Monat mitten in der Nacht von unerklärlichen heftigen Krämpfen geweckt wurde, dachte ich kurz: „Das war’s jetzt also“. Die Frauenärztin vermutete später, dass die Dehnung der Mutterbänder die Krämpfe ausgelöst hatte. Eine mittelschwere Panikattacke hatte ich, als ich mir eines Sonntags einen Nerv in der Brustwirbelsäule einklemmte und wegen der höllischen Schmerzen nicht mehr richtig atmen konnte. Ich ahnte, dass es nichts Schlimmes war, aber hatte fürchterliche Angst um dich und ob du genügend Sauerstoff bekommst. Ich beruhigte mich erst, als ich wieder besser atmen konnte und eine Notfallärztin, die sonntags Hausbesuche macht, eine normale Sauerstoffversorgung feststellte. Zuletzt dann eine Durchblutungsstörung der Plazenta mit Einnahme von Blutverdünnern. Dank der beruhigenden Worte der Frauenärztin und deiner regelmäßigen Tritte habe ich es sogar geschafft, mir nicht all zu viele Sorgen zu machen, ob du ausreichend versorgt wirst. Trotzdem war ich natürlich extrem erleichtert, als sich die Durchblutung wieder normalisierte. Ich bin für dich verantwortlich. Was ich tue, was ich esse, wie ich mit mir umgehe, das tue ich auch dir an. Du bist völlig hilflos und darauf angewiesen, dass ich mich gut um uns kümmere. Und trotzdem bleibt ein Restrisiko, egal wieviel Spinat ich esse oder wie oft ich spazieren gehe. Ich habe es nicht völlig in der Hand, was mit dir passiert. Auf etwas, das einem wichtiger ist als alles andere auf der Welt und das man unbedingt beschützen möchte, und bei dem man weiß, dass das Schlimmste, was passieren könnte, kaum zu ertragen wäre - darauf keinen hundertprozentigen Einfluss, keine vollkommene Kontrolle zu haben, das macht manchmal Angst. Hilfreich ist dann, auf mein Bauchgefühl (die zuversichtliche „Oma“) zu hören: Denn eigentlich sagt mir dieses, dass alles gut wird. Die Königskür ist es, unsinnigen Sorgen mit Humor zu begegnen. Ildikó von Kürthy nimmt sich und ihre Schwangerschaft in ihrem fabelhaften Buch „Unter dem Herzen“ so herrlich aufs Korn, dass man so manche eigene Sorge mit einem Lächeln wegwischen kann. Zum Beispiel fragt sie sich im Vorfeld, ob sie ihr Kind auch noch lieben kann, wenn es irgendwann 130 Kilo wiegt und Fahrlehrer werden will. Tatsächlich habe ich mich letztens auf einem Festival umgeschaut und mich gefragt, ob ich in ferner Zukunft liebevolle Gefühle zu einem dieser erwachsenen Männer haben könnte, wenn es mein Kind wäre. Mein Blick blieb schließlich an deinem Papa hängen und da wusste ich: Ich kann.

Wenn ich alle Besucher weiter so ausführlich beschreiben wollte, würde ich noch an deinem dritten Geburtstag hier sitzen. Kurz erwähnt seien noch die Folgenden:

Fräulein Stolz („Du hast den allerschönsten Bauch der Welt mit dem allerschönsten Kind der Welt darin! Dieses verwackelte Ultraschallbild ist der Beweis!“), Cousine Dankbarkeit („So ein Kind ist ein kleines Wunder der Natur – dass es überhaupt geklappt hat, dass es wächst und dann auch noch gesund zur Welt kommt ist nicht selbstverständlich, manchen bleibt dieses Glück verwehrt“), die kleine Schwester der Traurigkeit: Wehmut („Verabschiede dich von der Freiheit, dich nur um dich zu kümmern, von der Zweisamkeit in der Partnerschaft, in den nächsten Jahren jemals ausschlafen zu können und, höchstwahrscheinlich, von deinem Busen – ganz zu schweigen von deinem wunderschönen Schwangerschaftsbauch, der bald wieder verschwindet!“), der fiese Nachbar Herr Schuld („Aha, schon wieder ein Schokoriegel! Wie wär’s denn stattdessen mal mit mehr Gemüse? He? Aber Hauptsache der Mutti geht’s gut! Und den zweiten Kaffee hätte sich eine fürsorgliche Mutter auch verkniffen. Andere schaffen das! Und wolltest du nicht längst mit dem Schwangerschaftsyoga anfangen? Wenn du bei der Geburt nicht richtig atmest, weißt du ja, woran‘s liegt!“), und nicht zu vergessen der dünnhäutige Onkel Ärger, dem alle aus dem Weg gehen, da niemand genau weiß, was seine nächsten Schimpftiraden auslösen wird („Alles muss man hier alleine machen. Der Papa sollte mal einen Tag mit diesen Verstopfungen rumlaufen! Sieht er nicht, wie müde die Mama ist? Er könnte ja wohl EIN Mal von sich aus aufräumen. Die Freundin hat sich beim letzten Besuch auch kein bisschen nach dem Befinden des Kindes erkundigt. Ist ja auch nicht wichtig! Hauptsache jeder weiß jetzt über ihre Probleme im Job Bescheid! Und wenn der Baumarkt-Mitarbeiter nicht gleich die Regale findet, wegen derer die Mama sich extra hergequält hat, kriegt er die geballte Portion Schwangerschaftshormone ab!“)

Tja, du merkst: einiges los hier. Zum Glück überwiegen die freudigen Momente. Und ich muss mich ja auch nicht um alle Gäste allein kümmern. Dabei helfen mir dein Papa, die Familie und Freunde. Und du – eine Hand auf den Bauch, ein Mal tief durchatmen, und schon hab ich die Gäste wieder im Griff.

4. Ungetrübte Vorfreude?!

Dein Papa denkt beim Thema Baby ja nur an speckige Beine, zufriedenes Gequietsche und pures Glück. Ich natürlich auch, einerseits. Andererseits ist mir durchaus bewusst, dass es anstrengend wird. Dem Papa vielleicht auch. Wenn er es zulassen würde. Aber er verdrängt es ziemlich erfolgreich, was vielleicht gar nicht die schlechteste Strategie ist – sonst würde wohl niemand mehr ein Kind zeugen. All die schlaflosen Nächte, Windeln wechseln, abends um 9 ins Bett anstatt morgens um 9 von der Party nach Hause kommen – das allein sind schon gute Gründe für einen Migräneanfall pünktlich zum Eisprung. Aber natürlich gibt es sie, die freudigen Erwartungen. Die Bilder von glücklichen Eltern mit glücklichen Kindern, die niedlichen Strampler. Und es gibt ja auch schon dich – als kleinen Turner in meinem Bauch. Wenn ich mich über deine Bewegungen jetzt schon so abartig freue, wie wird es um Himmels willen erst, wenn du da bist? Vermutlich dämpft die Erschöpfung die Glückshormone auf ein für den Körper erträgliches Maß, damit frisch gebackene Mütter nicht vor Freude platzen müssen.

Und dann sind da die, die schon ein Kind haben. Und die nicht wirklich so aussehen, als würden sie demnächst vor Glück platzen. Eher so, als würden sie jeden Moment vor Erschöpfung mit dem Gesicht ins Essen fallen. So wie neulich, wo ich zwei alte Schulfreundinnen wiedergetroffen habe. Ich, ziemlich schwanger, freudestrahlend meinen Bauch streichelnd. Die beiden, mit hängenden Schultern und Mundwinkeln, fahl im Gesicht, so energetisch und gut gelaunt wie ein Stück Holz. Eine von beiden war sogar besorgniserregend abgemagert, da der Kleine gerade den letzten Rest aus ihr heraus zu lutschen scheint. Auch wenn das vielleicht nur eine Momentaufnahme war, und an einem anderen Tag zu einer anderen Zeit hätte ich Eltern vor mir sitzen gehabt, die vor Glück nur so überschwappen. Solche Begegnungen beunruhigen mich trotzdem ein wenig und holen mich ungewollt auf den Boden der Tatsachen zurück. Oder wird es bei mir alles ganz anders laufen? Getreu dem Motto: Wenn du wissen willst, wie du dein Kind erziehen sollst, frag jemanden, der keins hat. Der weiß das. Die Vernunft sagt mir also: Das sind die Profis. Die wissen, wie es wirklich ist. Bilde dir nicht ein, du wüsstest es besser, obwohl du null Erfahrung hast. Aber was ich mir wünsche, ist: Vielleicht läuft da irgendetwas schief, was sich vermeiden lässt. Vielleicht kann ich es anders machen. Nur was?

Vermutlich hängt doch viel von relativ festen unveränderbaren Faktoren ab, wie dem Temperament des Kindes oder bestimmten sozialen Bedingungen. Ob du nach drei Monaten durchschläfst oder noch jahrelang nachts wach wirst, beeinflusst Energielevel und gute Laune wohl maßgeblich. Und auch, ob die Großeltern zur Entlastung eingespannt werden können oder nicht. Ob der Papa 12-Stunden-Tage hat oder auch mal flexibel von zu Hause aus arbeiten kann, macht wohl auch einen Unterschied. Wie du, mein Sohn, wirst, weiß ich noch nicht – ich tippe auf einen lebhaften, zufriedenen kleinen Kerl mit normalem Schlafverhalten (was auch immer normal sein mag). Aber wenn doch alles ganz anders kommt? Dann möchte ich mich um so mehr an dem Gedanken festklammern, dass man einiges selbst in der Hand hat. Wieviel Unterstützung ich zum Beispiel von den Großeltern zulasse, oder ob ich es partout „selbst schaffen“ will, obwohl ich am Ende meiner Kräfte bin und die Wohnung im Chaos versinkt. Oder auch, wie hoch mein Anspruch ist, dass neben allem, was das Kind mit sich bringt, der Haushalt immer in perfekter Ordnung sein muss (zum Glück ist mein Anspruch da, gelinde gesagt, überschaubar). Oder ob ich meinen 10 Monate alten Sohn überall im Tragetuch herumschleppe, weil er den Kinderwagen nicht mag, wie die eine Bekannte. Aber wer bin ich schon, mir ein Urteil zu erlauben? Noch bist du nicht da, und wenn du jedes Mal im Kinderwagen wie am Spieß schreist, schiebe ich dich wohl auch nicht krampfhaft durch die Gegend. Dann schone ich doch lieber Nerven statt Rücken und schnalle dich um. Dass man dazu neigt, die offensichtliche Erschöpfung von Muttis auf ein vermeidbares Fehlverhalten zu reduzieren, liegt sicherlich auch an dem Respekt vor der Verantwortung und der Anstrengung, die auf einen zukommen. Um sich nicht schon im Vorfeld damit völlig überfordert zu fühlen, muss man sich innerlich irgendwie von der wahrgenommenen Überlastung um einen herum abgrenzen.

Studien zeigen ja, dass Eltern nicht mehr oder weniger glücklich sind als kinderlose Menschen. Wenn ich mir meinen Bauch so anschaue, wo du gerade deinen kleinen Popo hin und her schiebst, mag ich das kaum glauben. Wenn ich mir meine Freundinnen so anschaue, schon eher. Heißt, das Glas ist halbvoll oder halbleer. Ich nehme mir zumindest vor, die Dinge, die ich nicht ändern kann, möglichst gelassen zu nehmen. Aber manche vermeidbaren Fehler möglichst nicht zu machen – die Eltern, die sich als Paar aus den Augen verloren haben, scheinen mir immer am unzufriedensten. Und ich denke, zufriedene Eltern sind eine gute Grundlage für ein zufriedenes Kind, daher werden Mama und Papa – so der Plan – Großeltern, Babysitter und Freunde immer mal wieder um Unterstützung bitten müssen, um Zeit für sich freischaufeln zu können. Angst, etwas zu verpassen, habe ich allerdings nicht. Wir hatten 12 Jahre zu zweit, sind unglaublich viel gereist, haben rauschende Partys gefeiert. Unser Leben ist ohnehin schon ruhiger geworden, daher hält sich der Verzicht für mich gefühlt in Grenzen. Trotzdem wird es bestimmt zur Zufriedenheit beitragen, wenn wir ab und zu mal die Oma anreisen lassen, um gemeinsam eine Nacht durchzutanzen. Also, als Paar, nicht mit der Oma. Durchtanzen oder durchschlafen? Wird sich zeigen. Und am Ende gibt es vermutlich auch beim Elternsein nicht nur schwarz oder weiß, sondern ist es anstrengend wie Hulle und trotzdem ganz wunderbar. Hoffentlich.

5. Stress

Ich fühle mich wie eine Versagerin. Eine, die mit vielen verschiedenen Bällen jongliert, alle gleichzeitig in der Luft halten will, aber zwei bis drei fallen immer runter. Sollte das Gefühl – wenn überhaupt! – nicht erst mit der Mutterschaft kommen?! Wo ich kaum noch Zeit für irgendwas habe, aber gleichzeitig mehr schaffen muss als je zuvor?