Herzensbruder – das vergessene Kind - Guy Dantse - E-Book

Herzensbruder – das vergessene Kind E-Book

Guy Dantse

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Ein Dorf, abseits der modernen Hauptstadt Kameruns. Ein Leid, welches die Menschen dort nicht zum ersten Mal erfahren. Der Schrecken des Organhandels verfolgt die Bevölkerung, ausgebeutet durch westliche Habgier. Jahre später in Darmstadt fängt Johnny Walker, erfolgreicher Anwalt und Vater, an, seine mentale Verfassung anzuzweifeln. Traumatisiert durch den Selbstmord seines Vaters und von seiner geliebten Frau betrogen, will den erfolgreichen, aber unglücklichen Mann eines ebenfalls nicht loslassen: Die kindliche Stimme, die in seinem Kopf schreit und tobt, die seinen Tod fordert. Denn nur durch seinen Tod kann das Kind Frieden finden. Einen Tod, der Wiedergutmachung bringen soll. Kann Johnny mithilfe seines Therapeuten entschlüsseln, was den kleinen Jungen in seinem Kopf plagt und wohin es Johnny bringen soll, um die Verbrechen seiner Vergangenheit aufzudecken?

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Seitenzahl: 235

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Buch ist als 1. Auflage April 2017 unter dem Titel Djoudjou Blutorgane erschienen

1. Auflage März 2021

© 2021 indayi edition, Darmstadt

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Lektorat: Jana Koschewoj

Umschlaggestaltung: Jana Koschewoj

 

ISBN-13: 978-3-948721-80-0

 

 

Dantse Dantse

Herzensbruder – das vergessene Kind

 

Schuld und Vergeltung:

Antwort aus dem Jenseits.

 

Blutiger Organhandel in Afrika.

Roman

 

[Dieser Titel ist unter dem Titel „Djoudjou Blutorgane“ erschienen]

 

Über den Autor

Dantse Dantse ist gebürtiger Kameruner, hat in Deutschland studiert und lebt seit über 25 Jahren in Darmstadt. Er ist Vater von fünf Kindern, eine Art Mensch, die man üblicherweise Lebenskünstler nennt. Unkonventionell, frei in seiner Person und in seiner Denkweise, unabhängig von Etabliertem, das er aber voll respektiert.

Als Kind lebte er mit insgesamt 25 Kindern zusammen. Sein Vater hatte drei amtlich verheiratete Frauen gleichzeitig, alle lebten in einer Anlage zusammen. Da bekommen Werte, wie Geben, Teilen, Gefühle, Liebe, Eifersucht, Geduld, Verständnis zeigen uvm. andere Akzenteals in einer sogenannten „normalen“ Familie. Diese Kindheitserlebnisse, seine afrikanischen Wurzeln, der europäische Kultureinfluss auf ihn und seine jahrelangen Coachingerfahrungen lassen ihn manches anders sehen, anders handeln und anders sein, das hat etwas Erfrischendes.

Als erster Afrikaner, der in Deutschland einen Buchverlag, indayi edition, gegründet hat und als unkonventioneller Autor schreibt und gerne Bücher veröffentlicht, die seine interkulturellen Erfahrungen widerspiegeln, Bücher über Werte und über Themen, die die Gesellschaft nicht gerne anspricht und am liebsten unter den Teppich kehrt, die aber Millionen von Menschen betreffen, wie zum Beispiel Homosexualität in Afrika, weibliche Beschneidung, Sexualität, Organhandel, Rassismus, psychische Störungen, sexueller Missbrauch usw. Er schreibt und publiziert Bücher, die das Ziel haben, etwas zu erklären, zu verändern und zu verbessern – seien es seine Ratgeber, Sachbücher, Romane, Kinderbücher oder politischen Blog-Kommentare.

Inspiriert von seinen Erkenntnissen und Erfahrungen aus Afrika, die er in vielen Lehren gelernt hat, von seinen eigenen extremen Erfahrungen und Experimenten – wie z.B. der übertriebenen Aufnahme von Zucker, um die Wirkung auf die Psyche zu untersuchen – von wissenschaftlichen Studien und Forschungen und von Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt hilft er durch sein Coaching sehr erfolgreich Frauen, Männern und Kindern in den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Karriere, Stress, Burnout, Spiritualität, Körper, Familie und Liebe. Mit Dantse Dantse meistert man sein Leben!

Sein unverwechselbarer Schreibstil, geprägt von seiner afrikanischen und französischen Muttersprache, ist sein Erkennungsmerkmal und wurde im Text erhalten und nur behutsam lektoriert.

 

Die Geschichte

beruht zum Teil auf wahren Begebenheiten und Erzählungen. Sie ist aber in einer fiktiven Rahmenhandlung erzählt.

Wahr ist die Geschichte des kleinen Kindes, das in Afrika umgebracht wurde und dem seine inneren Organe weggenommen wurden. Oft erzählt man bei solchen Verbrechen den Menschen vor Ort, um sie zu täuschen, dass es Schwarze Magie wäre. Tatsächlich geht es aber um Mord wegen der Organe, die in den westlichen Ländern teurer als Drogen gehandelt werden.

Vor 6 Jahren traf ich zufällig eine tieftraurige Frau in Kamerun, die mir ihre schmerzhafte Geschichte erzählte. Ihr fünfjähriger Sohn war entführt worden, und später hatte man seine Leiche in einem Gebüsch gefunden – ohne Augen, Herz, Lungen und Nieren. Die Polizei konnte den oder die Täter nicht ermitteln, aber man erzählte ihr, dass die Organe ihres Sohnes entnommen wurden, um in Europa verkauft zu werden. Ihr Kind musste sterben, damit ein anderes in Europa gerettet wurde. Sie führte daraufhin bestimmte magische Rituale durch und schwor dabei, dass die Personen, die diese Organe trugen, niemals in Ruhe und lang leben würden. Diese Organe würden ihr Unglück sein. Ich fragte sie, wie sie sich das vorstellte? Basierend auf ihrer Erzählung habe ich dann diesen Roman geschrieben. Der Roman ist somit eine fiktive Vision der Wünsche dieser Frau.

Die Geschichte zeigt, wie das Streben der Menschen in den Industrieländern nach einem langen und gesunden Leben die Kriminalität und den schnellen Tod von Kindern in Afrika fördert. Der Organhandel hat in Afrika schlimmere Folgen als der Krieg. Der Organhandel fordert in Afrika mehrere Tausend Tote pro Jahr, somit mehr als der Terrorismus.

Die Namen aller Personen sind frei erfunden.

 

Frankfurt 2013

Der Therapeut machte die Tür auf, Johnny M. Walker trat ein und setzte sich auf die Couch im Patientenzimmer.

„Guten Tag, Herr Mackebrandt.“

„Ich mag den Namen Mackebrandt nicht. Nennen Sie mich Walker“, griff Johnny sofort an.

„Guten Tag, Herr Walker.“

„Guten Tag, Dr. Camara.“

„Wie geht es Ihnen heute?“, fragte Doktor Camara.

„Ich weiß es nicht, Herr Doktor. Es ist so komisch mit mir. Aber seit Monaten eigentlich nichts Unnormales für mich. Ich weiß, dass Sie, wie ihre Kollegen, sagen werden, dass ich nur müde bin und Ruhe brauche. Deswegen frage ich mich wirklich, warum ich eigentlich hier bin.“

„Warum sind Sie dann heute hier?“, fragte der Therapeut.

„Ich glaube nicht, dass ich wirklich verrückt bin, wie Dr. Helling bereits gesagt hat. Ich höre Stimmen in mir, das heißt, ich höre eine bestimmte Stimme in mir. Die Stimme eines Kindes, das mich auffordert, es zu befreien. Das Kind weint und weint und sagt, dass ich sterben soll. Ja, es sagt, ich soll mich umbringen, damit es endlich seine Ruhe findet, aber ich weiß nicht, wer es ist und was es will“, erklärte Johnny M. Walker.

„Warum fragen Sie es nicht direkt, wer es ist? Es redet doch und Sie können es hören. Vielleicht kann es Sie auch hören?“, fragte der Therapeut ein bisschen ironisch.

„Ich weigere mich, Herr Doktor, zu glauben, dass ich verrückt bin. Mit ihm zu reden würde heißen, ich bin verrückt. Mit ihm zu reden würde bedeuten, dass ich multiple Persönlichkeiten habe, aber das stimmt nicht. Ich bin nicht viele“, gab Johnny zurück.

„Und was wollen Sie dann bei mir, wenn Sie nicht krank sind?“

„Ich weiß, dass ich nicht krank bin. Ich kann alles sonst normal machen, aber es wird von Tag zu Tag immer schwerer. Früher hat diese Person nur nachts mit mir geredet, wenn alles ruhig und ich allein war. Nun redet sie auch, wenn ich unter Leuten bin oder auch während eines Vortrages, überall. Ah ja, wie jetzt! Sie redet, Doktor. Das ist die Stimme, da ist sie!“, sagte Johnny.

„Wie ist die Stimme? Ist es die Stimme eines Jungen oder eines Mädchens?“, wollte Dr. Camara wissen.

„Es ist die Stimme eines Jungen“, antwortete Johnny M. Walker.

„Was sagt das Kind?“

„Das Kind ist nicht von hier. Es hat einen total anderen Akzent. Es hat nur einmal Französisch geredet, als es mir sagte, dass ich sterben muss, sonst redet es in einer fremden Sprache, die ich nicht kenne“, erklärte Johnny.

„Können Sie beschreiben, was es auf Französisch gesagt hat?“, bat der Therapeut.

„Es sagte: Libérez moi, libérez moi, je suis mort pour que tu vives, maintenant tu dois mourir pour que je trouve ma paix.“

„Ja, es sagte, es ist gestorben, damit Sie leben, und Sie müssen nun sterben, damit es seine Ruhe findet. Und die andere Sprache?“, fragte Dr. Camara.

„Ich habe sie noch nie gehört und kann sie gar nicht wiedergeben. Es klingt so fremd und die Stimme wird immer bedrohlicher“ sagte Johnny.

 

* * *

 

Johnny M. Walker war 32 Jahre alt, Rechtsanwalt, verheiratet, Chef und Teilhaber der Kanzlei Mackebrandt und Mackebrandt, seine Mutter war die andere Teilhaberin.

Er wohnte am Woog in Darmstadt und war der Sohn des Bauunternehmers Walker Mackebrandt und der Rechtsanwältin Margot Mackebrandt.

Das Leben von Johnny war bzw. besser gesagt sollte eigentlich ein Musterleben sein. Von außen schien es auch so.

Vor 34 Jahren hatten sich seine Eltern Walker und Margot Mackebrandt kennengelernt. Damals arbeitete W. Mackebrandt in der kleinen Baufirma seines Vaters.

Er war gerade mit dem Studium fertig gewesen und hatte sich bei verschiedenen Firmen beworben. Während er auf eine positive Antwort wartete, half er in der Firma seines Vaters, die ständig gegen die Pleite ankämpfen musste.

Er hatte nicht vor, in dieser kleinen Stadt und in der Nähe seiner Eltern zu bleiben und deswegen bewarb er sich nur bei Firmen, die in großen Städten saßen.

Der frühe Tod seines Vaters, der sich aus bis heute ungeklärten Gründen das Leben nahm, änderte seine Zukunft. Er blieb doch in Darmstadt. Die Firma seines Vaters zu retten wurde für ihn eine persönliche Sache, eine Ehrensache, und bald wurde die Firma Mackebrandt Bau die größte Baufirma der Region und der Name Mackebrandt eine Institution in Darmstadt.

Er machte die Bekanntschaft mit Margot, als er Baumaterial bei ihren Eltern abliefern musste. Sie war allein zu Hause und lernte für ihr Abitur.

Eine Woche später trafen sie sich zufällig in der Straßenbahn nach Eberstadt wieder und seitdem waren sie nicht mehr zu trennen.

Margot studierte nach ihrem Abi Jura in Frankfurt, und zwei Jahre später heirateten sie. Sehr schnell, noch als Studentin, wurde sie schwanger und 9 Monate später, vor exakt 32 Jahren, wurde Johnny W. Mackebrandt geboren.

Der kleine Johnny war für die Familie Mackebrandt das Zentrum des Lebens. Als einziges Enkelkind auf beiden Elternseiten wurde er entsprechend verwöhnt und bekam alles, was er wollte und auch alles, was er nicht wollte und gar nicht brauchte.

Er wuchs in einem sehr behüteten Umfeld auf, wo man sich über Geld keine Gedanken machen musste, es aber ein wichtiges Statussymbol war. Es wurde nicht nur luxuriös gelebt, es wurde auch gezeigt und präsentiert, wie reich man war und in welchem Luxus man lebte.

Als Johnny 7 war, zogen seine Eltern aus dem Darmstädter Vorort Eberstadt direkt nach Darmstadt in das noble Steinbergviertel, wo sie zu dritt in einer riesigen dreistöckigen Villa wohnten.

Margot war mit dem Studium fertig und arbeitete nun als Rechtsanwältin in einer Kanzlei in Frankfurt.

Die Firma Mackebrandt erhielt sogar Aufträge aus dem Ausland und wuchs sehr schnell. Beide Elternteile waren beruflich erfolgreich und gesellschaftlich anerkannt, aber privat unglücklich.

Der kleine Johnny liebte es, Fußball zu spielen, und nach einigem Zögern stimmte die Familie zu, dass er doch in einer Mannschaft spielen durfte. Häufig musste seine Oma ihn ins Training und auch zu den Spielen fahren. Seine Mama schaffte es, am Wochenende Zeit zu haben, aber der Papa selten. Er hatte immer etwas zu tun, war ständig auf Veranstaltungen, und wenn er zu Hause war, wurden Gäste eingeladen.

Der kleine Johnny hatte seinen Vater selten für sich allein und das machte ihn sehr traurig. Er hatte alles, was andere Kinder nicht hatten, er konnte sich alles kaufen und bestellen lassen, aber das, was die anderen Jungs in seinem Alter hatten, vermissten er sehr: seinen Papa und eine normale Familie. Er träumte davon, im Sommer nachmittags nach der Arbeit oder am Wochenende mit seinem Papa auf den Fußballplatz zu gehen und Fußball zu spielen. Er träumte davon, mit Papa und Mama einfach zu spielen, auf seinen Vater zu hüpfen, mit ihm Quatsch zu machen. Aber dieser Traum wurde selten Wirklichkeit. Wenn er sich beklagte, sagte die Oma nur: „Deine Eltern müssen so viel arbeiten, damit es dir gut geht.“ Johnny verstand das nie richtig und war sehr traurig darüber. Er fing an, an seinen Fingernägeln zu kauen und seinen Frust verarbeitete er mit Sport: mit Schwimmen und Fitness im Sportkeller der Villa.

Fußball spielte er sehr gern und er wurde bei den Spielen seiner Mannschaft fast immer aufgestellt. Er war zielstrebig, fleißig und zuverlässig, genau die Werte, die man ihm zu Hause mitgab. Wenn er etwas machte, machte er es richtig. Er gab alles, hatte keine Angst vor Verletzungen und Verlusten, war sehr kämpferisch. Das gefiel seinem Trainer sehr und obwohl er nicht so talentiert war, war er dennoch immer dabei.

Dann kam dieser Tag, der Tag des Schreckens. Es war im Mai 1990. Obwohl er die letzten Tage eine schwere Erkältung gehabt hatte und Antibiotika einnehmen musste, hatte er sich entschieden, das nächste Spiel zu spielen.

Er erinnerte sich noch, wie er mitten beim Spiel der TSG 1846 gegen den SV Darmstadt 98 plötzlich auf dem Boden lag und alles vor seinen Augen verschwamm.

Er erinnerte sich noch, wie er wie im Traum etwas hörte: „Schnell, schnell einen Krankenwagen! Ruf einen Krankenwagen!“ und auf einmal war der Blackout da. Er war gerade einmal 9 Jahre alt.

 

* * *

 

Johnny war mittlerweile 32 Jahre alt und verheiratet. Seine Tochter Melanie war 4, sein Sohn Jonas 7 Jahre alt, und er vergötterte die beiden über alles. Die schlechten Erfahrungen aus seiner Kindheit hatten ihn dazu gebracht, mehr für sie da zu sein. Er kümmerte sich sehr um sie und nahm sich viel Zeit für die Familie. Er begleitete seinen Sohn mindestens einmal pro Woche ins Training. Am Wochenende hatte er nichts anderes zu tun, als für seine Familie da zu sein. Genau das Gegenteil von dem, was sein Vater getan hatte. Vielleicht auch wegen der schlechten Erfahrung mit seinen Eltern, hatte er sich als Frau keine Karrieristin ausgesucht, sondern eine Frau, die der Familie ebenfalls viel Zeit geben konnte und wollte. Seine Frau Lisa, ebenfalls 32, war Grundschullehrerin an der Elly-Heuss-Knapp Schule in Darmstadt und hatte so genug Zeit für die Kinder und musste nicht, wie seine Mama, nur auf Kindermädchen zählen.

Obwohl er sich alles leisten konnte, hatte er es vorgezogen, in einem normalen Haus zu wohnen. Er hatte bis heute noch Angst, wenn er riesige Häuser mit sehr vielen Räumen sah. Das erinnerte ihn immer an seine leere und kalte Kindheit zuhause. Damals hatten sie in der dreistöckigen Villa mit mehr als 10 Zimmern, 5 Bädern, einem Schwimmbad im Freien und einem weiteren im Keller gewohnt, obwohl sie nur zu dritt gewesen waren. Zu groß hatte er sein Zuhause immer gefunden und ohne Wärme. Meistens war er mit dem Dienstmädchen allein zu Hause gewesen und war dann aus Langweile immer von Zimmer zu Zimmer gegangen, damit die Zeit schneller verging.

Er hatte sich lieber ein beschauliches Haus in der Heinrich- Fuhr-Straße gekauft, wo jedes Kind sein Zimmer hatte, er seines und seine Frau ihres. Nichts war überflüssig, er hatte den Eindruck, dass es viel Wärme im Haus gab und er konnte die Familie sofort im Blick haben.

Die Spätfolgen seiner unglücklichen Kindheit verfolgten ihn immer noch. Der frühe Tod des Vaters beschäftige ihn nach wie vor. Er hatte diesen Tod damals als persönlichen Angriff gegen sich selbst empfunden. Und er machte sich viele Vorwürfe. Hatte es daran gelegen, dass er seinem Vater die Liebe verweigerte und kaum Bindung zu ihm hatte? Hatte es daran gelegen, dass er unglücklich war und sein Vater es bemerkte? Hatte es daran gelegen, dass er seinem Vater einmal gesagt hatte, er sollte sich mehr um seine Familie kümmern, statt um den Ruhm bei falschen Freunden? Hatte es daran gelegen, dass er kein Interesse gehabt hatte, den Ingenieurberuf zu erlernen wie sein Vater? Dass er immer das Gegenteil machte und wollte wie sein Vater? Tatsache war, dass ihn dieser Selbstmord, genau wie der seines Großvaters, sehr erschütterte und er das Gefühl hatte, dass es ihn als Versager und böses Kind darstellte.

 

Der Selbstmord des Vaters

Er erinnerte sich an den besagten Tag, als er gegen 14 Uhr nach Hause kam und den Krankenwagen und das Polizeiauto im Hof des Hauses sah. Er hatte sofort gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war und dass es um seinen Vater gehen musste, da dessen Auto im Hof stand. Normalerweise war er nie um diese Uhrzeit zu Hause. Ein Polizist kam auf ihn zu gerannt und brachte ihn sofort ins Wohnzimmer. Der Weg in den Keller war versperrt, sonst war alles ruhig. Das Dienstmädchen war nicht zu sehen.

* * *

Um 19 Uhr landete Johnnys Maschine auf dem Frankfurter Flughafen. Er bestellte sofort ein Taxi und machte sich auf den Weg nach Darmstadt.

Er war sehr müde, aber er hatte Glück, dass das Kind sich die ganze Zeit sehr ruhig verhalten und nicht auf sich aufmerksam gemacht hatte. Es unterstützte ihn dadurch, damit er vorwärts kam in Richtung Wahrheit.

Er spürte einfach ein Verlangen nach der Wahrheit. Was wirklich passiert war mit seinem Herz. Wie sie an dieses Herz rangekommen waren, das ihm das Leben gerettet hatte.

Er war sich ziemlich sicher, dass es eine Verbindung gab zwischen seinem jetzigen Zustand, dem Kind und dem Herz. Eine Stimme sagte ihm, dass etwas Böses mit dem Kind passiert war und er war nun entschieden, die ganze Wahrheit aufzudecken. Er wollte niemanden richten, niemandem Vorwürfe machen oder ähnliches. Er wollte nur wissen und hoffte, dass er sich dadurch befreien würde und das Kind auch. Er war in seinen Gedanken so konzentriert, dass er nicht hörte, dass er eine Nachricht bekommen hatte.

Kurz bevor sie Darmstadt erreichten, klingelte sein Telefon, es war Luca, sein Freund mit der Auskunft.

„Mein Gott, warum hast du nicht auf meine WhatsApp geantwortet?“, fragte er.

„Ich wusste nicht, dass du mir etwas geschickt hast“, sagte Johnny.

„Du, du, du, ach du, Mensch, Johnny. Er ist essen gegangen und ist nun im Vapiano. Wo bist du?

„Genau an der richtigen Stelle: in einem Taxi, Rheinstraße, Ecke Berliner Allee, dann steige ich hier aus.“

„Perfekt! Mein Job ist fertig. Rechnung bekommst du per Post. Viel Glück!“

„Danke, mein Freund, danke!“

„Keine Ursache, für die Summe, die ich dir in Rechnung gestellt habe, habe ich es gern getan.“

„Du Idiot, verschwinde“, lachte Johnny im gleichen Moment, als das Taxi stoppte. Er sah noch die Rücklichter des Porsche Cayenne seines Freundes, der rechts in die Mornewegstraße abbog und verschwand. Luca hatte den Arzt persönlich beschattet.

 

* * *

 

„Guten Abend, Herr Professor Dr. Henrix“, grüßte Johnny und fragte weiter, „darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Er zog einen Stuhl heran und setzte sich.

„Ich habe nicht ja gesagt“, antwortete ein großer Mann mit sehr starker, männlicher Stimme, ohne den Kopf vom Teller zu heben.

„Was, ja?“, fragte Johnny sichtlich überrascht.

„Dass Sie sich setzen können. Ich erwarte niemanden“, sagte Dr. Henrix.

Johnny ignorierte seine Äußerung und machte es sich auf dem Stuhl bequem.

„Sie sind doch Doktor Henrix?“, fragte Johnny.

„Professor Doktor, bitte“, sagte dieser, ohne Johnny eines Blickes zu würdigen.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen“, sagte Johnny.

„Mussten dafür nicht nach Bukarest fliegen“, gab Dr. Henrix zurück.

Johnny war baff. Er dachte, er bekomme keine Luft mehr und auf der Stelle fing das Kind an zu weinen.

„Warum wollen Sie mich treffen?“, fragte Dr. Henrix, der wusste, dass Johnny nun verunsichert war. Johnny versuchte gar nicht, seine Überraschung zu verstecken.

„Was, nach Bukarest? Wie kommen Sie auf Bukarest?“, fragte er.

„Junger Mann, ich weiß mehr über Sie, als Sie über mich. Ein afrikanisches Sprichwort sagt, man bekämpft Feuer mit Feuer.“

Johnnys graue Zellen fingen an, die ganze Situation zu analysieren. Wie hatte Henrix gewusst, dass er ihn suchte? Hatte Luca ihn verraten? Das war sehr unwahrscheinlich.

„Ich verstehe nicht, was Sie erzählen, Herr Henrix.“

„Zum letzten Mal: Professor Doktor Emeritus Henrix!“

„Herr Prof. Dr. em. Henrix, wie…“

Henrix unterbrach ihn: „Professor Henrix reicht schon.“

„Ich würde sehr gerne wissen, was Sie über mich wissen und wie Sie auf Bukarest gekommen sind.“

„Und auf: …Planänderung. Komm schnell zurück nach Deutschland. Der Champagner steht kalt in der Fichtestraße und wird bis morgen früh getrunken… wie ich auch das gewusst habe?“

Da verstand Johnny wirklich gar nichts mehr. Wer hatte ihn verraten? Es konnte nur Luca sein, aber warum bloß? Hatte er versucht in „beiden Taschen zu essen“? Sie kannten sich seit ihrer Kindheit und arbeiteten zusammen, seitdem er Rechtsanwalt war.

„Verstehen Sie Herr…? Herr was denn?“

„Herr Walker Mackebrandt“

„Herr Mackebrandt, was Sie können, kann ich auch. Wenn Sie so etwas tun, sollten Sie sich abschirmen. Wir leben in einer Welt der freien Kommunikation und der Markt mit Daten ist ein Milliardengeschäft. Was wollen Sie von mir?“

Johnny hatte sich wieder einigermaßen gefangen und versuchte, selbstbewusst zu werden: „Ich gehe davon aus, dass Sie mir nicht sagen werden, wie Sie darauf gekommen sind, dass ich Sie suche. Es ist auch egal, da es an der Sache nichts ändert. Erinnern Sie sich an mich?“

„Die Familie Mackebrandt kenne ich sehr gut. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Und ich kenne Sie, wie gesagt, ich habe alle Informationen über Sie gesammelt. Sie sind glasklar vor mir, wie das Wasser. Ich kenne Ihr Leben besser als Sie selbst und das innerhalb von nur 24 Stunden. Ja, ich weiß, wer Sie sind, aber ich weiß nicht, warum Sie mich suchen. Ich habe doch gute Arbeit geleistet? Sie sind gesund und es sollte Ihnen ganz gutgehen, oder?“

„Wie können Sie wissen, ob es mir gutgeht oder nicht? Es geht mir nämlich nicht sehr gut.“

„Ja, vielleicht seelisch, aber körperlich schon. Weil Ihre Frau Sie betrügt? Auf jeden Fall zeigen meine gesammelten Informationen über Sie keinen Krankenhausaufenthalt in den letzten 20 Jahren. Aber eine langjährige Therapie der Psyche. Das nächste Mal machen Sie es, wie Sie es mit Dr. Camara gemacht haben. Zahlen Sie lieber bar. Benutzen Sie nicht die Krankenkarte. Lassen Sie nicht über Ihre Krankenkasse abrechnen, wenn Sie Datenverkäufern keine Daten zur Verfügung stellen möchten.“

„Aber …“

„Kein aber“, unterbrach ihn der Professor und fügte hinzu, „alles was mit Karten eingelesen wird, wird gespeichert und was gespeichert ist, ist für jeden verfügbar. So einfach ist das. Datenschutz hin, Datenschutz her. Das ist heutzutage ein Wort, um die Seele der Menschen zu beruhigen. Es gibt praktisch keinen Datenschutz mehr. Daten über uns werden tagtäglich hin und her bewegt und verkauft. Einer kann in China sitzen und mehr über Ihre Mutter wissen als Sie selbst. Einer kann in Italien sein und schon morgen um 10 Uhr wissen, was Sie heute Abend um 19 Uhr gegessen haben. Das ist Fakt und deswegen müssen Sie Vorkehrungen treffen.“

„Anscheinend haben Sie keine getroffen, deswegen konnte ich sehr schnell an Sie herankommen.“

„Das meinen Sie, Herr Mackebrandt. Das meinen Sie“, sagte der Professor nur.

„Heißt es, Sie haben mich Sie absichtlich finden lassen?“

„Wie sonst kann ich meine Feinde und Gefahren kennen?“, antwortete der Professor.

Er trank seinen Wein aus, erst dann schaute er Johnny das erste Mal ins Gesicht.

„Sagen Sie das Ihrem sogenannten Auskunftsboumlala. Sie müssen nicht nur Information anzapfen, die müssen auch ihre Kunden abschirmen“, sagte Prof. Henrix sichtlich zufrieden.

Er schaute Johnny misstrauisch an, zog eine Mitleidsmiene und fragte: „Wie kann eine Frau einen schönen, gutaussehenden, erfolgreichen Mann wie Sie mit diesem Müll betrügen? Ach, wissen Sie das nicht? Anscheinend hat er Quartier bei Ihnen bezogen. Ich fand es widerlich, als ich mir das Video angeschaut habe. Es tut mir leid, ich musste all das tun lassen, damit ich Sie auch in der Hand habe, falls es dazu kommen sollte, dass wir verhandeln und Kompromisse finden müssen“, sagte er sehr kalt.

„Wie können Sie so kalt sein? So widerlich sein?“

„Seien Sie nicht beleidigend und werden Sie nicht persönlich, Herr Mackebrandt. Das ist ein Zeichen der Schwäche. Ich habe nicht damit angefangen, Daten über jemanden zu sammeln. Sie können nicht beißen und dann der erste sein, der schreit, wenn der andere zurückbeißt. Wenn ich widerlich bin, dann nur, weil Sie es auch sind. Ja, business as usual“, verteidigte sich Prof. Henrix.

„Ich habe aber keine privaten Informationen über Sie sammeln lassen. Ich wollte nur wissen, wie ich Sie treffen kann, um ein wichtiges Thema mit Ihnen zu besprechen. Das ist alles. Ich will gar nicht mehr. Ich will nur einige Informationen über mich. Ich habe Sie nicht beschatten lassen.“

„Das meinen Sie, Herr Mackebrandt. Das meinen Sie. Aber Ihr Auftragnehmer hat mehr Informationen angezapft als die, die er Ihnen gegeben hat, und angesichts der massiven Sammlung meiner Daten und Informationen über mich musste ich reagieren und mich schützen, falls… man weiß ja nie. Aber wirklich, es ist widerlich, was Ihre Frau da tut. Ich kann Ihnen gern das Video zeigen, ach, ja, nein, hier ist eine Kopie. Sie können sie behalten, Sie können sich das in Ruhe anschauen, wenn Sie Sexfilme lieben, ha haha, ha, ha, hahaha, Herr Mackebrandt, man sollte Leichen nicht wieder ausgraben.“

„Und wenn die Leiche sich allein ausgräbt?“, fragte Johnny provokativ. Er wollte sich nicht von der Sache mit seiner Frau einschüchtern lassen und schob die CD zurück zu dem Professor.

„In diesem Moment hat man ein Problem. Ja, wenn die Leiche sich allein ausgräbt, hat man definitiv ein Problem. Aber ich rate Ihnen, die CD zu behalten. Sie könnte Ihnen helfen, auch wenn Sie kein Porno-Konsument sind wie ich. Die CD könnte im Fall einer Scheidung oder bei Geldansprüchen helfen.“

Johnny wusste, dass der alte Mann Recht hatte, deswegen nahm er die CD wieder an sich und stecke sie in seine Jacke.

Professor Doktor Henrix stand plötzlich auf.

„Jetzt reden Sie, was wollen Sie von mir? Ich bin müde und muss schlafen gehen. Ich muss morgen sehr früh wieder verreisen“, sagte er.

„Ich möchte mit Ihnen reden. Ich möchte wissen, woher das Herz stammte, das ich bekam, als Sie Chefarzt waren.“

* * *

„Herr Mackebrandt, warum ist Ihnen das so wichtig?“

„Weil es wichtig ist“, antwortete Johnny.

„Warum denn? Wozu denn? Sie leben doch?“

„Musste dafür ein anderer Mensch sterben? Herr Prof. Dr. Henrix“, Johnny blieb stehen und fügte hinzu, „nur das möchte ich wissen. Nicht mehr und nicht weniger. Ich bin nicht hier, um über Sie zu urteilen. Ich bin nicht hier, um Ihnen Vorwürfe zu machen oder den Moralapostel zu spielen. Ich möchte es nur wissen, weil ein Kind mich verrückt macht. Weil ein Kind mich zerstört und unglücklich macht, und meine Frau mit diesem fetten, schmutzigen hässlichen Erkan…“

„Ich verstehe Sie nicht richtig. Was meinen Sie damit, dass ein Kind Sie verrückt macht?“, fragte Prof. Henrix.

„Professor, seit über sieben Monaten lebt ein Kind in mir. Es hat mein Leben zerstört. Ich kann gar nicht mehr arbeiten. Ich bin seit Wochen krankgeschrieben. Es weint, lamentiert und redet in meinem Kopf, und es hat mehrmals gesagt, dass es sterben musste, damit ich lebe und dass ich jetzt sterben muss, damit es seinen Frieden findet. Es verschwindet nicht mehr aus meinem Kopf. Ich habe dank eines Therapeuten mehr über das Kind erfahren. Das Kind ist ein schwarzes Kind und kommt aus Kamerun. Ich habe mir das Kind in zwei intensiven Sitzungen bei Dr. Camara vorgestellt und es auch genau gesehen. Ich habe gesehen, dass sein Oberkörper offen war. Es floss Blut. Ich habe nun das Gefühl, dass ich die Wahrheit suchen muss. Ich habe das Gefühl, dass ich das Kind und mich nur so befreien kann“, erläuterte Johnny.

Prof. Dr. Henrix hörte zu und spielte mit einer Zitrone, die an einem der in riesigen Kübeln stehenden schönen Zitronen- und Orangenbäumchen hing, die man im Sommer draußen im Orangeriegarten von Darmstadt bewundern konnte,

Als der Professor erfahren hatte, worüber Johnny reden wollte, hatte er vorgeschlagen, in einer ruhigen Umgebung beim Gehen zu reden. Er hatte deswegen den Orangeriegarten vorgeschlagen. Ein schöner Park, der schönste Garten in Darmstadt. Er bestand aus dreifach gestuften Ebenen, hier blühten wunderschöne Blumen und ließen die einstige Pracht dieser barocken Gartenanlage erahnen. Die symmetrisch angelegte Anlage mit breiten Achsen und Fontänen war von Baumalleen umsäumt und war im Sommer ein Muss in Darmstadt.