Herzflimmern - Laura Beck - E-Book

Herzflimmern E-Book

Laura Beck

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Beschreibung

Architektin Ina Berger trägt nicht umsonst den Beinamen "Dynamo", denn sie rast von einer Baustelle zur anderen, um ihren Job zu erledigen. Währenddessen bedroht ein angeborener Herzfehler ihr Leben, und auch deshalb hat sie für die Liebe keine Zeit. Nach einer dramatischen Operation befindet sie sich gerade auf dem Weg der Besserung, als sie die Reitstallbesitzerin Cornell kennenlernt. Die behandelt Ina jedoch sehr schroff und abweisend. Wie seltsam ist es da, dass sich Ina trotzdem auf unerklärliche Weise zu ihr hingezogen fühlt?

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Laura Beck

HERZFLIMMERN

Roman

© 2018édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-267-1

Coverfoto:

1

»Du wirst es schaffen, bestimmt. Sie werden ein Herz für dich finden.«

»Deine Zuversicht möchte ich haben.« Trotz ihrer blau angelaufenen Lippen sah Diplom-Architektin Ina Berger nicht wirklich krank aus in dem weißen Hospitalbett, das nun schon einige Zeit ihr Zuhause war. Sie trug den Spitznamen Dynamo, den ihr sowohl bewundernde wie auch hämische Kollegen beilegten, wenn sie von ihr sprachen, auch jetzt noch zu Recht. »Aber sie werden mich nicht unterkriegen, das lasse ich nicht zu!«

Durch die Anstrengung, dies wütend hervorzustoßen, hatte sie sich jedoch übernommen. Sie schnappte nach Luft, rang mühsam um Atem, begann zu husten, war aber zu schwach dazu. Ihre Lippen färbten sich noch ein wenig mehr in einem kalten, blutleeren Blau.

»Niemand kriegt dich unter, Schwesterherz.« Die besorgte Stimme von Inas Schwester Maite versuchte aufmunternd zu klingen. »Aber du darfst dich nicht aufregen, das ist nicht gut für dich.«

»Nichts ist mehr gut für mich.« Ina wollte ein abschätziges Geräusch von sich geben, aber selbst dafür war sie zu schwach. »Mensch, was gäbe ich für ein bisschen Sex«, flüsterte sie dennoch unter Aufbringung all ihrer Kräfte.

»Ina! Du bist wirklich unmöglich. Du liegst hier im . . . Krankenhaus und denkst an so was.« Maite schüttelte den Kopf.

»Ich liege im Sterben, wolltest du sagen.« Nur Inas Augäpfel drehten sich zu Maite, weil sie nicht mehr genug Kraft hatte, den Kopf zu drehen. »Sag es ruhig. Klingt wahrer, als dass sie ein Herz für mich auftreiben werden, bevor ich abgekratzt bin.«

»Ina, bitte . . . das darfst du nicht sagen. Du hast eine sehr seltene Blutgruppe, das erschwert die Sache, aber trotzdem werden sie –«

»Ein Herz für mich aus dem Hut zaubern, ja, natürlich.« Inas Mundwinkel hoben sich zu einem müden Lächeln. »Und wenn du dafür jemanden umbringen musst.«

»Niemand wird irgendjemanden umbringen«, erwiderte Maite kopfschüttelnd.

»Ich würde jemand für ein neues Herz umbringen, wenn ich könnte.« Inas Stimme klang so schwach, dass man sie kaum verstand.

»Würdest du nicht.« Maite beugte sich über sie. »Gib nicht immer so an, du Macho.« Sie berührte die kalten Lippen ihrer Schwester mit ihren warmen. »Ich muss gehen, tut mir leid. Morgen wieder.«

Noch einmal versuchte Ina ihre letzten Kräfte zu sammeln. »Die Karte . . .« Ihre Augen wiesen an die Wand.

Maite lächelte. »Ich sage den Kindern, dass du dich sehr darüber gefreut hast. Sie wollten mitkommen, aber –«

Diesmal konnte Ina nur noch nicken, und selbst das war kaum zu erkennen.

»Du musst jetzt schlafen.« Maite warf einen betont zuversichtlichen Blick auf sie. »Und morgen, wenn du aufwachst, sieht alles schon ganz anders aus.« Sie hauchte einen Kuss auf Inas Wange und verließ das Krankenzimmer.

Wenn ich aufwache . . . wiederholte Ina in Gedanken, dann schlossen sich ihre Augen.

2

Eine Schwester trat an Inas Bett und maß ihren Blutdruck. »Zu hoch«, vermeldete sie mit einem Stirnrunzeln.

Ina fühlte sich benommen. Zu hoch? Ihr Blutdruck war zu hoch? Seit wann das denn? Ihr Herz schlug doch kaum noch, so krank, wie es war.

Anscheinend war sie zwischendurch eingeschlafen, denn das nächste Mal stand eine andere Schwester vor ihrem Bett, das besorgte Stirnrunzeln bezüglich des zu hohen Blutdrucks, den auch sie nach der Messung feststellte, blieb jedoch dasselbe.

»Schwester . . .« Ina versuchte das Wort zu formen, aber ihre Lippen waren so trocken, dass es nicht gelang.

Eine Ärztin kam herein. »Immer noch zu hoch?«

»Ja.« Die Schwester trat zur Seite. »Er geht nicht runter.«

Die Ärztin maß noch einmal. »Hm«, machte sie, gab weiter aber keinen Kommentar ab.

Das ist das Ende, dachte Ina. Jetzt ist es soweit. Selbst wenn ganz überraschend doch noch ein Herz kommt, können sie mich nicht operieren, weil mein Blutdruck zu hoch ist. Das war’s.

Die Ärztin sagte irgendetwas zu der Schwester, Ina versuchte verzweifelt, bei Bewusstsein zu bleiben, um es mitzubekommen, aber als sie das nächste Mal erwachte, war sie allein. Es war wie ein Film, von dem sie nur in großen Abständen ein paar Bilder mitbekam.

Sie war erstaunt, dass sie überhaupt erwachte. Oder war das hier vielleicht schon –? Nein. Sie glaubte an keinen Gott und auch nicht an irgendein Weiterleben nach dem Tod. Wenn man den Löffel abgab, gab man ihn ab, und damit war die Sache erledigt.

Also der Himmel ist das hier nicht, dachte sie, das steht fest. Aber was ist es dann?

Sie schaute sich um. Das war nicht ihr Zimmer. Während sie ihren Kopf drehte, bemerkte sie, dass es nicht so anstrengend war wie sonst. Der hohe Blutdruck, dachte sie. Vielleicht ist das der Grund. Das letzte Aufbäumen vor dem endgültigen –

Sie atmete tief durch. Auch das hatte sie schon lange nicht mehr tun können. So flach, wie sie normalerweise atmete, hob sich kaum die Bettdecke.

Und die Bettdecke war schwer heute. Sie drückte auf ihren Brustkorb. Vielleicht sollte sie nach der Schwester läuten, damit sie ihr half, sich anders hinzulegen. Ihre Hand tastete an der Seite des Bettes entlang, aber sie fand den Knopf nicht.

»Na, wie geht es Ihnen?«

Als hätte Ina ihren Wunsch telepathisch übertragen, kam eine energiegeladene Schwester hereingefegt.

Ina versuchte zu schlucken. Ihr Hals war jedoch ebenso trocken wie ihre Lippen. »Was –?«

Sie war mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass sie auf der Intensivstation liegen musste. Die vielen Monitore und Kabel. Schläuche, die überall in sie hinein und aus ihr heraus führten. Hier war sie schon einmal aufgewacht, nachdem man sie mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren hatte, während sie zwischen Leben und Tod schwebte.

In der Intensivstation hatten sie es gerade so geschafft, ihr das Leben zu retten, aber seither hatte sie das Krankenhaus nicht mehr verlassen.

Vielleicht war heute etwas Ähnliches passiert wie damals. Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen. Sie hatte es nicht mitbekommen, weil sie schlief, aber die Monitore, die auch an dem Bett in ihrem Stationszimmer standen, hatten es gemeldet, und dann war sie in die Intensivstation verlegt worden, um dort . . . zu sterben.

»Was . . . ist passiert?«, krächzte sie. Was wird passieren, wäre wohl die bessere Frage, dachte sie sarkastisch. Wie lange habe ich noch? Oder bin ich schon so gut wie tot? Dieser Druck auf meiner Brust . . .

»Sie haben gar nichts mitbekommen, oder?« Die Schwester strahlte ziemlich. Das war irritierend.

Vielleicht freute sie sich darüber, bald wieder ein freies Bett zu haben, wenn Ina es nicht mehr brauchte. War das Formular für die Leichenhalle schon ausgefüllt?

Wut regte sich in ihr. Warum ich? dachte sie. Warum ausgerechnet ich? Ich hatte noch so viel vor. Es gibt Leute, die leben nur so in den Tag hinein – und werden hundert. Ich bin gerade erst neunundzwanzig.

Sie würde ihren dreißigsten Geburtstag nicht mehr erleben, war das fair? Hatte sie irgendjemandem etwas getan? Wofür sollte sie büßen?

»Hatte ich . . .« Sie schluckte. Warum gab ihr die Schwester nicht mal einen Schluck Wasser? Lohnte sich das nicht mehr, so kurz vor dem Abnibbeln? »Hatte ich einen Herzstillstand?«

Die Schwester nickte. »Ja, Ihr Herz hat eine ganze Weile stillgestanden. Aber jetzt fühlen Sie sich besser, oder?«

»Ich . . . weiß nicht.« Ina hätte es wirklich nicht sagen können. »Kann ich . . . mein Mund . . . so trocken . . . trinken . . .«

»Nein.« Die Schwester schüttelte den Kopf. »Damit müssen Sie noch etwas warten. Sie haben ja den Tropf.« Sie zeigte auf Inas Arm.

Warten? Worauf? dachte Ina. Die wollen die paar Tropfen Wasser echt sparen?

Sie hätte fast gelacht. In den letzten Minuten seines Lebens lernte man die Menschen kennen. Dann, wenn sie glaubten, dass man es ihnen nicht mehr heimzahlen konnte.

»Der Arzt kommt bald. Ich sage ihm, dass Sie aufgewacht sind«, verkündete die Schwester in diesem Moment und verschwand genauso energiegeladen, wie sie gekommen war.

Sie könnte mir mal was abgeben von ihrer Energie, dachte Ina. Nur ein kleines bisschen. Damit ich aufstehen und ihr eine runterhauen kann, weil sie mich hier verdursten lässt.

Ach, es war ja alles sinnlos. Sie hatte so lange gekämpft, es so lange nicht akzeptieren wollen, aber es war wohl, wie alle behaupteten: In den letzten Minuten akzeptierte man es. Man kämpfte nicht mehr.

Ich will aber kämpfen! Ich will nicht einfach so abkratzen! Ich will –

»Frau Berger.« Der Arzt, den die Schwester angekündigt hatte, kam herein.

Ina kannte ihn. Es war der Chefarzt, für den sie viel Geld bezahlte – aber genützt hatte es nichts. Sie schaute ihn nur an. Sie würde die Frage nach dem Wie lange noch? nicht stellen. Er war der Antwort bisher immer ausgewichen, daran würde sich vermutlich bis zu ihrem letzten Atemzug nichts ändern. Dann würde er den Totenschein ausstellen, und dann war die Frage endgültig beantwortet. Nur hatte sie dann nichts mehr davon.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er, ebenso wie die Schwester offenbar gutgelaunt. Freuten sich denn hier alle auf ihren Tod?

»Als hätte ich eine Tonne Blei auf der Brust«, entgegnete Ina mühsam. Ihr trockener Gaumen riss sich nur widerwillig von ihrer noch trockeneren Zunge los.

»Das gibt sich.« Er lachte. »Es ist bald vorbei.«

Da. Jetzt hatte er es gesagt. Bald. Nicht mehr lange. »Wann?« Nun hatte sie die Frage doch gestellt.

»Oh, ich denke, zwei, drei Tage. Nicht viel länger jedenfalls, allerhöchstens eine Woche.«

»Eine Woche?« Ina schluckte, und ihr Hals brannte, weil nichts zum Schlucken da war. »So bald?«

Er nickte. »Erfahrungsgemäß erholen sich die Patienten schnell, wenn die Krise erst einmal überwunden ist.«

Ina war so tief in Gedanken an ihren frühen Tod versunken gewesen, dass sie erst mit Verzögerung verstand, was er gesagt hatte. »Erholen?«

Er lachte erneut. »Ein bisschen Geduld müssen Sie schon noch haben. Ich weiß, es fällt Ihnen schwer, aber das neue Herz in Ihrer Brust muss sich erst an Sie gewöhnen – und Sie sich umgekehrt auch an Ihr neues Organ. Es soll ja eine lebenslange Freundschaft werden.«

»Ich – Was?« Inas Wunsch nach Wasser verwandelte sich in den nach etwas Härterem. Ein Schnaps wäre jetzt gut gewesen.

Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal Alkohol getrunken hatte. Um ihr Herz zu schonen, hatte sie auf alles verzichten müssen, was Spaß machte. Na ja, nicht ganz auf alles, aber es war selten geworden. Und immer mit einer gewissen Angst verbunden, was es noch seltener hatte werden lassen.

»Meine Güte.« Die Augen des Arztes zogen sich auf einmal zusammen. »Man hat es Ihnen noch gar nicht gesagt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, das hätten sie.« Er trat auf Inas Bett zu und nahm ihre Hand. »Sie haben ein neues Herz. Es gab einen Unfall, und endlich einmal hat die Blutgruppe gestimmt. Sie waren so erschöpft und haben geschlafen, da haben wir Sie gleich in den OP gebracht. Das Herz musste ja sofort verpflanzt werden.« Er blickte väterlich auf sie hinunter. »Und das haben wir getan. Der Druck auf Ihrer Brust«, er warf einen Blick auf die Decke unterhalb von Inas Kinn, »das ist die vernähte Wunde und der Verband. Ist ein ziemlich großer Schnitt, das geht leider nicht mit einem kleinen Pflaster.«

»Sie . . . ich . . .« Der Monitor an Inas Bett begann zu flackern.

»Nicht aufregen.« Der Chefarzt drückte ihre Hand ganz fest. »Es ist alles vorbei. Sie haben es hinter sich.«

Langsam drangen die Worte des Arztes in ihr Bewusstsein. Ein neues Herz. Sie hatte ein neues Herz. Deshalb konnte sie auf einmal ihren Kopf so leicht bewegen, deshalb konnte sie atmen, deshalb war ihr Blutdruck zu hoch. Das neue Herz schlug kräftig in ihrer Brust, wie sie plötzlich bemerkte, kein Vergleich mit dem alten, und ihr Körper war noch nicht daran gewöhnt.

»Es . . . war ich . . . bin ich . . .?« Es flogen so viele Gedanken und Fragen in ihrem Kopf herum, sie konnte sie nicht einfangen, sie waren wie ein Schwarm Vögel, der mit einem Schlag aufgescheucht worden war.

»Ganz ruhig.« Er legte seine zweite Hand auf ihre. »Es ist ein gutes Herz, das Sie bekommen haben, ein junges Herz, es passt zu Ihnen. Sie werden sich gut verstehen.« Er lächelte sie an. »Schlafen Sie noch einmal darüber. Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen, Ihr Herz arbeitet nun schon eine Weile einwandfrei. Sie haben lange gebraucht, um aufzuwachen, und die ganze Zeit hat es ruhig und gleichmäßig in Ihrer Brust geschlagen. Sicher und zuverlässig. Es mag Sie.« Er lächelte sie vielversprechend an. »Freuen Sie sich auf Ihren dreißigsten Geburtstag. Und auf noch viele danach.«

3

»Na, wie fühlst du dich?« Maite kam freudestrahlend zur Tür herein. »Endlich wirst du wieder in die Freiheit entlassen!«

Ina stand neben ihrem Krankenhausbett und legte letzte persönliche Dinge in ihre Tasche. Sie schaute sich um. »Ich war so lange hier . . .«, sagte sie. »Es ist fast, als würde ich mein Zuhause verlassen.«

Maite blickte sie erstaunt an. »Willst du hierbleiben?«

»Nein, natürlich nicht.« Energisch zog Ina den Reißverschluss der Reisetasche zu. »Auf gar keinen Fall. Am liebsten würde ich nie wieder ein Krankenhaus von innen sehen.«

»Na, dann komm«, sagte Maite und griff nach der Tasche. »Die Kinder warten draußen im Wagen. Ich wollte nicht, dass sie hier im Krankenhaus rumspringen.«

Kurz darauf saß Ina neben Maite im geräumigen Familienauto. Ihre Nichte und ihr Neffe überschütteten sie mit Fragen, was sie denn jetzt machen wollte.

Ihre Nichte wollte wissen, ob Ina sich ein Pferd kaufen würde. Sie war gerade in der Phase, in der Mädchen ein Pferd für das Erstrebenswerteste auf Erden halten.

Ina lachte. »Ich kann noch nicht einmal reiten!«

»Das lernst du schnell, Tante Ina.« Antonia – genannt Toni – war ganz begeistert. Pferde waren für sie das Größte.

»Ich glaube, Tante Ina sollte sich jetzt körperlich noch nicht so anstrengen«, dämpfte Maite den Enthusiasmus ihrer Tochter. »Sie muss sich erst langsam wieder daran gewöhnen.«

»Och . . .« Toni zog einen Schmollmund.

Belustigt schaute Ina ihre Schwester an. »Kann es sein, dass sie ein Pferd will?«

»Oh ja!« Maite atmete seufzend durch. »Damit nervt sie mich schon die ganze Zeit. Sie begreift nicht, dass ein Pferd nicht nur teuer ist, zu teuer für uns, sondern auch ständige Aufmerksamkeit braucht. Was bedeuten würde, dass ich sie jeden Tag zum Stall fahren müsste und wieder zurück. Das reicht mir schon einmal in der Woche, wenn sie zur Reitstunde geht.«

»Ich könnte sie fahren«, schlug Ina vor. »Dann bist du etwas entlastet.«

Maite warf einen erstaunten Blick auf sie. »Du willst dich um die Kinder kümmern?«

Für einen Moment runzelte Ina die Stirn. »Nein, eigentlich nicht.« Wie war ihr dieser Gedanke nur gekommen? Sie hatte gesprochen, ohne darüber nachzudenken. Als wäre es ganz normal für sie.

»Das hätte mich auch gewundert.« Maite lachte. »Dafür warst du ja noch nie zu haben.«

»Aber da ich das Angebot nun schon einmal gemacht habe . . .«, Ina drehte sich zu ihrer Nichte um, »fahre ich dich, wenn du willst, Toni.«

»Au ja!« Toni klatschte begeistert in die Hände. »Das wäre toll, Tante Ina!«

Maite seufzte. »Du gehst einmal mit ihr Eis essen, und sie ist hingerissen von dir. Ich kümmere mich jeden Tag um sie –«

Ina lachte. »Das ist der Lauf der Welt, Schwesterherz. Mütter werden nie genügend geschätzt.« Sie strich ihrer Schwester anteilnehmend über den Arm. »Ich bin froh, wenn ich etwas zu tun habe. Diese ambulante Reha füllt nun wahrlich nicht den ganzen Tag aus. Und arbeiten lassen sie mich ja nicht.«

»Du kannst zuhause Pläne zeichnen, wenn du dich langweilst«, sagte Maite.

»Das werde ich bestimmt tun.« Ina nickte. »Aber momentan habe ich keine wirklich zündenden Ideen, die ich zu Papier bringen möchte. Und Einkaufszentren habe ich schon genug entworfen.«

»Und gutes Geld verdient«, sagte Maite. »Mach das nicht so runter.«

»Tue ich nicht.« Ina schaute ihre Schwester an. »Mütter werden nicht nur zu wenig geschätzt, sondern auch zu schlecht bezahlt, ich weiß. Ich verdiene als Architektin unverhältnismäßig viel mehr, und außerdem habe ich alle Zeit für mich selbst, weil ich keine Kinder habe. Du brauchst es nicht zu wiederholen.«

»Okay, kleine Schwester.« Maite lachte. »Kein Grund, so sauer zu sein. Ich mache dir ja gar keine Vorwürfe. Ich weiß, wie gut du bist. Du hast nicht umsonst all diese Preise gewonnen.«

»Danke«, sagte Ina. Sie atmete tief durch. »Es ist so schön, mal wieder etwas anderes als Krankenhausluft zu riechen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Frühling erleben würde.«

Maite schenkte ihr einen warmen Blick. »Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben«, sagte sie. »Es wäre furchtbar gewesen, meine einzige Schwester zu verlieren.«

»Dieses Herz kam wirklich in letzter Sekunde.« Ina schluckte. »Viel länger hätte ich nicht durchgehalten.«

4

»Beeil dich, Tante Ina! Rosco wartet!« Toni wieselte zwischen Ina und Maite, die noch an der Tür des Einfamilienhauses standen, in dem Maite, ihr Mann und die Kinder wohnten, hin und her.

Maite lachte. »Du hast es nicht anders gewollt. Das hast du nun davon. Sie ist verliebt in Rosco und denkt, er steht die ganze Zeit im Stall und wartet nur auf sie.«

»Vielleicht tut er es ja«, antwortete Ina mit einem Blinzeln. »Männer sind so anspruchslos.«

»Ja, ja.« Maite schlug spielerisch nach Inas Schulter. »Frauen sind so viel besser, weshalb du mir ja auch immer dein Leid geklagt hast, wenn es mal wieder nicht geklappt hat. Wer ist glücklich verheiratet, ich oder du?«

»Du«, sagte Ina, beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf die Wange ihrer Schwester. »Und ich gönne es dir.« Sie winkte kurz. »Bis später.«

Als sie zu ihrem Wagen ging, zerrte Toni bereits an ihrer Jacke. Sie konnte es einfach nicht erwarten, in den Stall zu kommen.

Ina lachte übers ganze Gesicht. Das Leben konnte wirklich schön sein. Und das sogar ohne Arbeit. Das hatte sie sich vor ihrem Krankenhausaufenthalt nie vorstellen können. Die Arbeit war ihr Leben gewesen, und nun genoss sie es, die Chauffeurin für ihre kleine Nichte zu spielen.

Als sie am Stall ankamen, sprang Toni wie ein geölter Blitz aus dem Wagen, sobald Ina ihr die Tür öffnete. Wäre nicht die Kindersicherung gewesen, wäre die Kleine wahrscheinlich schon im Fahren abgesprungen.

Mit einem Lächeln schaute Ina ihr nach und schlenderte dann langsam auf das Rechteck zu, in dem bereits einige gesattelte Pferde standen.

Toni hing bei einem glücklich am Steigbügel. Das war dann wohl Rosco. Um allein aufzusteigen war sie noch zu klein, aber sie tätschelte seinen Hals und seinen Bauch und flüsterte ihm etwas zu.

Es lag so viel Zärtlichkeit in ihrem Gesicht, dass Ina schlucken musste.

Toni war nur ein Kind, erst neun Jahre alt, und doch zeigten sich bei ihr schon all die Gefühle, die Ina gern bei einer Frau gefunden hätte. Wenn es denn eine Frau für sie gab.

Sie seufzte. Bis jetzt hatte sie sie zumindest nicht entdeckt. Aber sie hatte auch nicht sehr danach gesucht. Ihr Studium war wichtiger gewesen, dann der Job. Keine Zeit für ein Privatleben, höchstens für gelegentliche Treffs. Und das hatte sich mit dem immer schlechter werdenden Zustand ihres Herzens dann auch erledigt.

Sie hatte hin und wieder Maite beneidet, die ihre Jugendliebe geheiratet hatte und bis heute mit ihm glücklich war. Für Inas große Schwester hatten Liebe und Familie immer an erster Stelle gestanden, sie wollte nichts anderes.

Ina hatte sich nie vorstellen können, Kinder zu bekommen. Oder sich um welche zu kümmern. Sie fand ihre Nichte und ihren Neffen süß, aber nur, weil es eine große Ausnahme war, wenn sie einmal Zeit mit ihnen verbrachte. Sich tagelang, wochenlang, ein Leben lang mit diesen Rackern zu beschäftigen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen.

Ein älteres Mädchen trat zu Toni und half ihr, auf das Pferd zu steigen, dann ging sie zu einem kleinen Jungen und half ihm ebenfalls. Die Reitstunde sollte nun wohl gleich losgehen.

Während sie ziellos um sich schaute, lehnte Ina sich auf die Balken, die den Reitplatz umschlossen. Gelegenheit zum Sitzen gab es keine, sie musste anscheinend hier stehenbleiben oder sich ins Auto zurückziehen.

Vor noch gar nicht so langer Zeit wäre sie ins Auto gestiegen und hätte die ganze Stunde mit ihrem Handy verbracht, mit Terminabsprachen und wütenden Ausbrüchen über all die Dinge, die auf einer Baustelle immer wieder schiefgingen.

Heute jedoch betrachtete sie Toni, die stolz auf dem Pferd saß, das viel zu groß für sie erschien. Gleichzeitig allerdings wirkte Toni auch älter als sonst, denn sie nahm die Zügel auf und ließ sich von dem Mädchen, das ihr zuvor beim Aufsteigen geholfen hatte und anscheinend hier im Reitstall arbeitete, mit einem erfahrenen Blick, der zeigte, dass sie genau wusste, was sie wollte, die Steigbügel auf die Länge schnallen, die sie brauchte.

Ist sie nicht gestern erst geboren worden? dachte Ina. Sie schüttelte den Kopf. Gerade einmal zwanzig Jahre alt war sie gewesen, als ihre Schwester schon das erste Kind bekam. Maite hatte Ina fast gegen ihren Willen zur Patin des Kindes gemacht, vielleicht in der Hoffnung, dass Ina ihre Abneigung gegen Kinder aufgeben würde.

Das hatte Ina zwar nicht getan, aber das rosa Gesichtchen, das ihr bei der Taufe entgegenstrahlte, hatte sie doch berührt. Irgendwie hatte sie sich mit diesem kleinen Menschen verbunden gefühlt, immerhin waren sie biologisch verwandt.

Dann aber war wieder der Alltag eingekehrt, Studium bei Ina, das junge Mutterdasein bei Maite. Nur selten hatte Ina ihre kleine Nichte gesehen.

Die Augen der Kinder, die auf den Pferden saßen, richteten sich auf einmal alle auf eine Frau, die das Rechteck betrat. Sie trug Reithosen, Reitstiefel und eine lange Peitsche. Ihre blonden Haare waren zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden.

Als ob sie sie mit dieser Peitsche bedroht hätte, schlug Inas Herz auf einmal schneller. Sie legte eine Hand auf ihre Brust. Immer noch versetzte es ihr einen leisen Schrecken, wenn ihr Herz sich meldete, obwohl sie nun wusste, dass es keinen Grund zur Besorgnis mehr gab.

Sie sieht aber auch irgendwie kriegerisch aus, dachte Ina beinah schmunzelnd. Nicht direkt wie eine Amazone, aber irgend so was hat sie.

Die Nicht-Amazone – die korrekte Bezeichnung wäre wohl Reitlehrerin gewesen – hob leicht den Arm und zeigte auf den Rand der Reitbahn. »Linke Hand«, befahl sie. »Lange Zügel. Los.«

Sie sprach nicht besonders laut, und doch war jedes ihrer Worte klar und deutlich zu verstehen, selbst hier draußen unter freiem Himmel.

Inas Blick verharrte eine ganze Weile auf dem regungslosen Gesicht. Es schien wie versteinert.

Die Kinder bewegten sich im Kreis um die Reitbahn herum, ein Pferd nach dem anderen. Die Tiere trotteten entspannt hintereinander her. Vermutlich lief jede Reitstunde ohnehin gleich ab, und sie kannten das alles schon in- und auswendig.

Kurz darauf erfolgte ein weiteres Kommando, und alle setzten sich nacheinander in Trab. Toni saß konzentriert auf ihrem geliebten Rosco und erhob sich rhythmisch aus dem Sattel, setzte sich wieder hin, erhob sich wieder. Wie alle anderen sah sie nichts mehr, fühlte nur das Pferd unter sich und befand sich in einer anderen Welt.

Auch Ina kam es so vor, als ob sich etwas verändert hätte. Sie ließ ihren Blick über das Gelände schweifen, folgte Tonis Weg am Rande des Platzes inmitten der anderen, aber immer wieder fingen ihre Augen eine Bewegung aus dem Zentrum auf, wo die Reitlehrerin stand.

Sie ließ die Peitsche locker am Boden im Sand schleifen, nur selten hob sie sie leicht an, ihr Blick beobachtete die Pferde und die Kinder, manchmal rief sie leise einen Namen – normalerweise den eines Pferdes, wie es schien – oder gab Anweisungen zum Sitz oder zur Zügelführung, was eindeutig an die Kinder gerichtet war.

Es dauerte gar nicht lange – Ina hatte das Gefühl, als wären nur wenige Minuten vergangen –, da war die Stunde schon wieder vorbei, alle Pferde wurden von den Kindern in die Mitte gelenkt, und die kleinen Reiterinnen und Reiter sprangen ab, stellten sich mit den Zügeln in der Hand neben dem Kopf des Pferdes auf.

»Gut gemacht«, lobte die blonde Frau. »Dann bis nächste Woche.« Und schon drehte sie sich um und verließ den Platz.

Obwohl sie es nicht bewusst tat, folgte Inas Blick der irgendwie entrückt wirkenden Gestalt, als sie in einem Gebäude verschwand. Wieder meldete sich ihr Herz mit heftigem Schlagen, obwohl sie nur an den Zaun gelehnt stand und sich nicht angestrengt hatte.

Sie schüttelte irritiert den Kopf. Vielleicht sollte sie doch noch einmal zur Untersuchung gehen, auch wenn die letzte erst zwei Wochen her war. Man konnte nie wissen.

Nun jedoch schlug ihr Herz wieder gleichmäßig, und Toni stürmte auf sie zu.

»Und, Tante Ina? Wie war ich?« Ihre Augen strahlten.

»Großartig, mein Schatz.« Ina lächelte sie an. »Das war Rosco, auf dem du geritten bist?«

»Natürlich!« Toni verzog das Gesicht, als würde sie am Verstand ihrer alten Tante zweifeln, die sich die einfachsten Sachen nicht merken konnte. »Ich reite immer nur Rosco.«

»Selbstverständlich«, bestätigte Ina ernst. »Wie konnte ich nur etwas anderes annehmen?«

»Ich muss noch zu ihm in den Stall«, verkündete Toni aufgeregt. »Er wird jetzt abgesattelt. Vielleicht kann ich ihm auch etwas Futter geben.«

Sie wartete Inas Erlaubnis gar nicht erst ab, sondern raste los.

Ina atmete tief durch. Ihr Blick verlor sich im Wald hinter dem Stall. Es war schon schön hier draußen, das musste sie zugeben. Ein Stück entfernt von der Stadt, ganz für sich gelegen, und wenn die Reitstunden beendet waren, vermutlich kein Mensch weit und breit.

Obwohl sie nicht wusste, warum, dachte sie erneut an die Reitlehrerin. Normalerweise machte sie sich nicht viele Gedanken um andere Menschen, aber diese Frau hatte etwas Merkwürdiges ausgestrahlt. Während des ganzen Unterrichts hatte sie nicht ein einziges Mal gelächelt. Die Kinder hatten Spaß gehabt, das hatte man gesehen, aber sie nicht. Sie war nur dazu da, die Pferde zu dirigieren und den Kindern Anweisungen zu geben. Sie wirkte fast, als täte sie all das gegen ihren Willen, als würde es ihr nichts bedeuten.

Ina folgte Tonis Weg in den Stall und fand sie in Roscos Box vor, wo sie mit roten Wangen versuchte, mit einer Gabel Stroh auf dem Boden zu verteilen.

»Musst du auch noch ausmisten?«, fragte Ina erstaunt.

»Ich darf«, betonte Toni. »Cornell erlaubt das nicht jedem.« Sie straffte stolz ihre Schultern.

»Cornell? Ist das das Mädchen, das dir beim Aufsteigen geholfen hat?«

»Du weißt aber auch gar nichts, Tante Ina!« Tonis Kindergesicht runzelte sich strafend. »Cornell ist die Besitzerin. Sie war in der Bahn.«

»Ach so, die Reitlehrerin«, bemerkte Ina gedehnt.

Cornell heißt sie also, dachte sie.

5

»Bekomme ich bei dir einen Kaffee?« Mit einem flehenden Hundeblick stand Ina vor Maites Tür. »Ich war heute zwar schon einkaufen, aber ich hatte vergessen, dass ich keinen mehr habe, und in ein Café will ich mich nicht setzen.«

»Ja, ja«, schmunzelte Maite und öffnete die Tür weiter, um Ina hereinzulassen. »Zum Kaffeekochen bin ich immer gut genug.«

»Deiner ist ja auch der beste in der Stadt.« Ina grinste, schloss die Tür hinter sich und folgte Maite in die Küche.

»Warum solche Schmeicheleien?« Maite schaute sie etwas misstrauisch an, während sie die Glaskanne aus der Kaffeemaschine nahm und Ina einschenkte. »Soll ich irgendetwas für dich tun?«

»Nein.« Ina schüttelte den Kopf, schaute sich nach der Zuckerdose um, tat zwei Löffel Zucker in ihren Kaffee und rührte um. »Den Kaffee hast du ja schon gekocht.« Sie grinste ihre Schwester an.

Erstaunt blickte Maite auf Inas Becher. »Seit wann nimmst du Zucker?«

Als fiele ihr das jetzt erst auf, betrachtete Ina die Zuckerdose überrascht. »Seit . . . Seit . . . Seit jetzt offenbar.« Sie nahm einen Schluck und setzte ihren Becher wieder ab. »Er schmeckt mir jetzt besser mit Zucker.«

»Früher hast du das gehasst«, bemerkte Maite immer noch etwas verwirrt. »Du hast mich immer angemacht deswegen. Meintest, so ein süßes Gebräu könnte doch keiner trinken.«

»Ich weiß.« Ina nickte. »Und ich habe es auch nie verstanden. Aber jetzt auf einmal . . .« Sie schüttelte den Kopf. »Manches ist schon komisch.«

»Eine ganze Menge, scheint mir.« Maite setzte sich zu ihr an den Küchentisch. »Vielleicht, weil du jetzt ein richtiges Herz hast. Eins, das funktioniert.«

»Und das will Kaffee mit Zucker?« Ungläubig verzog Ina das Gesicht.

»Du musstest mit Kaffee immer vorsichtig sein.« Maite zuckte die Schultern. »Vielleicht hättest du sonst schon eher entdeckt, dass du Zucker damit magst.«

»Noch nie mochte ich das«, widersprach Ina. »Am besten, ich gewöhne es mir gleich wieder ab.« Dennoch nahm sie einen weiteren Schluck und musste ehrlich zugeben, dass sie es lecker fand.

Maite lachte. »Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass für dich ein neues Leben begonnen hat. Ein süßeres Leben.«

»Das kannst du wohl laut sagen.« Nachdenklich in ihren Kaffee blickend stimmte Ina ihr zu. »Das Leben ist jetzt schon irgendwie . . . anders.«

»Wie anders?«, fragte Maite und nahm ebenfalls einen Schluck von ihrem Kaffee, während sie ihre Schwester fragend anblickte. »Was findest du so anders daran?«

Inas Mundwinkel verzogen sich zu einem Schmunzeln. »Zuerst einmal, dass ich nicht arbeiten gehe. Und«, sie hob erstaunt die Augenbrauen, »dass es mir noch nicht einmal etwas ausmacht.«

Der erstaunte Ausdruck blieb, weil sie das erst jetzt so richtig erkannte.

Maite nickte. »Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Sonst, wenn du krank warst und nicht arbeiten konntest, hast du nur geschimpft und gezetert. Wolltest so schnell wie möglich an die Arbeit zurück. Und jetzt«, sie lachte leicht, »fährst du Toni zum Reiten, ohne dich zu beklagen.«

»Ich liebe Toni.« Inas Gesichtszüge wurden weich. »Ich weiß auch nicht, warum ich mich bisher so wenig um sie gekümmert habe. Es macht mir richtig Spaß.«

»Dass du sie jetzt zum Reiten bringst, findet sie jedenfalls toll.« Maite sah sehr zufrieden aus. »Auch wenn sie sagt, du verstehst nichts von Pferden.«

Ina lachte. »Das habe ich noch nie bestritten!«

Bei der Erinnerung an ihren Besuch auf dem Reitplatz erschien plötzlich das Gesicht der blonden Reitlehrerin vor ihrem inneren Auge. Dieses versteinerte, fast tote Gesicht. Cornell. Was für ein merkwürdiger Name.

»Woran denkst du?« Maite stand auf und stellte ihren Kaffeebecher in die Spüle.

»Ach, nichts«, sagte Ina. »Es war nur sehr ungewohnt, als ich mit Toni dort war. Sie hat recht. Ich verstehe nichts davon. Es ist wie eine andere Welt für mich.«

»Du willst sie nicht mehr fahren?« Maite schien enttäuscht, aber es klang so, als ob sie Inas Sinneswandel schon erwartet hätte.

»Doch«, sagte Ina. »Doch, ich fahre sie.« Und wieder sah sie die Frau in Reitstiefeln vor sich, die fast wie eine Statue im Sand der Reitbahn stand. Als würde sich die Welt um sie drehen, aber sie würde nichts davon mitbekommen. Sie lächelte Maite an. »Ist mal eine Abwechslung für mich. Und ich komme an die frische Luft. Dazu willst du mich doch immer überreden.«

»Weil es gesund ist«, verteidigte Maite sich. »Und weil du viel zu viel gearbeitet hast. Mit deinem Herzen . . .«

»Mit meinem Herzen ist jetzt alles in Ordnung«, versicherte Ina ihr. »Wirklich.« Sie schaute Maite eindringlich an.

Für einen Augenblick ruhte Maites Blick unschlüssig auf ihr. Dann lächelte sie. »Das freut mich«, sagte sie. »Das freut mich mehr, als du dir vorstellen kannst.« Ein schelmisches Blinzeln trat in ihre Augen. »Und was macht . . . die Liebe?«

»Die Liebe?« Ina lachte überrascht auf. »Was soll die schon machen? Ist mit irgendwelchen Liebenden beschäftigt, könnte ich mir vorstellen.«

»Da mit deinem Herzen ja nun alles in Ordnung ist, könntest du ihm doch jetzt auch mal in der Hinsicht . . . etwas zu tun geben«, formulierte Maite vorsichtig.

Belustigt lächelte Ina ihre Schwester an. »Du bist eine hoffnungslose Romantikerin. Die Liebe kommt doch nicht einfach so angeflogen.«

»Warum nicht?«, fragte Maite, während sie ein paar Sachen aus dem Kühlschrank nahm und das Mittagessen vorzubereiten begann. »Man muss ihr natürlich auch eine Chance geben«, fügte sie leicht vorwurfsvoll hinzu.

Ina nahm noch einem Schluck Kaffee und merkte, dass er langsam kalt wurde. Und trotzdem mochte sie den süßen Geschmack immer noch. Sie schüttelte innerlich den Kopf, weil sie das einfach nicht begreifen konnte. »Ich finde, ich habe ihr schon eine ganze Menge Chancen gegeben. Aber irgendwie . . . will sie wohl nicht«, stellte sie achselzuckend fest.

»Oder du willst nicht.« Geübt begann Maite, eine Zwiebel zu schälen.

»Ich habe noch nie eine Frau von der Bettkante gestoßen, wenn sie da saß«, behauptete Ina anzüglich zwinkernd.

In Maites Augen traten Tränen. »Zu spät.« Sie strich sich mit dem Arm darüber. »Jetzt sehe ich gleich wieder aus wie eine Heulsuse.« Aber tapfer schnitt sie die Zwiebel weiter in kleine Stücke.

»Wegen mir heulst du jetzt aber nicht, oder?«, fragte Ina mit zuckenden Mundwinkeln. Sie wusste, dass es nicht so war.

»Ich könnte höchstens über deine Kaltschnäuzigkeit weinen.« Maite hob die Augenbrauen und blickte ihre Schwester aus etwas zwiebelgeschädigt triefenden Augen strafend an. »Als ob es nur ums Bett ginge. Was hat das mit Liebe zu tun?«

»Ja, ich weiß, das ist nicht dasselbe.« Ina seufzte. »Hast du mir oft genug gesagt.«

»Und es hat nichts genützt.« Maite tat etwas Butter in eine Pfanne und ließ die Zwiebeln hineingleiten. Danach ging sie zur Spüle und wusch sich die Hände mit einer Art Stein ab, der den Zwiebelgeruch vertreiben sollte. »Aber da«, sie kam zum Tisch zurück, »habe ich immer gedacht, es liegt daran, weil du . . .«, sie schluckte kurz, »weil du das eben niemandem zumuten wolltest.«

»Falls ich sterbe?«, fragte Ina. Sie nickte. »Ja, da hast du recht. Das war auch ein Punkt. Es hatte keinen Sinn, sich auf etwas einzulassen, was doch nicht lange dauern würde. Nicht lange dauern konnte.« Sie holte tief Luft. »Ich hätte ja jeden Augenblick tot umfallen können.«

Während die Zwiebeln in der Pfanne zu brutzeln und lecker zu riechen begannen, widmete Maite sich dem Gemüse. Und dabei schüttelte sie den Kopf. »Das ist jetzt aber nicht mehr so.« Sie hob den Blick und schaute Ina an. »Jetzt hast du ein langes, gesundes Leben vor dir.« Sie drohte ihr fast mit dem Messer, das sie in der Hand hielt. »Von dem ich hoffe, dass du es richtig nutzt.«

»Und mit richtig nutzen meinst du: eine Frau fürs Leben zu finden, so wie du den Mann fürs Leben gefunden hast, ein paar Kinder kriegen und eine Familie gründen?«, fragte Ina amüsiert.

»Eine Familie ist das Schönste, was es auf der Welt gibt.« Maite blitzte sie an. »Auch wenn du das nicht einsehen willst.«

»Ja, da waren wir schon immer verschiedener Meinung«, gab Ina gutmütig zu.

Sie dachte nach. Eigentlich war sie immer noch derselben Ansicht wie früher, dass der Beruf ihr die große Erfüllung gab, die Maite in ihrer Familie fand, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, seit sie Toni zum Reiten brachte, hatte sich das auch ein bisschen geändert.

Es war schön, mit ihrer kleinen Nichte zusammen zu sein, ihr zuzuhören, wenn sie begeistert von Rosco erzählte oder von irgendwelchen Sachen, die sie gesehen oder erlebt hatte und die alle neu für sie waren. Es war schön, ein Kind zu sein und alles zum ersten Mal zu erleben. Und es war auch schön, einem Kind dabei zuzusehen. Sie lächelte.

»Woran denkst du?«, fragte Maite, die den Zwiebeln in der Pfanne nun ein paar kleingeschnittene Möhren hinzufügte. »Du hast so einen . . .«, sie lachte leicht, »entrückten Gesichtsausdruck.«

»Ach, ich habe nur an Toni gedacht«, erwiderte Ina und lächelte nun nicht nur still in sich hinein, sondern ihre Schwester an. »Wie gern sie reitet, wie sehr sie es liebt, sich um Rosco zu kümmern . . .«

Entsetzt riss Maite die Augen auf. »Du willst ihr doch jetzt aber kein Pferd kaufen, oder? Bitte nicht. Bei Kindern weiß man nie, wie lange die Begeisterung andauert.«

»Nein, nein«, beruhigte Ina sie. »Kein Pferd. Ich glaube, sie ist ganz glücklich mit Rosco.« Als sie das sagte, wanderten ihre Gedanken wieder zu der blonden Reitlehrerin zurück. »Wie ist eigentlich«, sie räusperte sich, »die Besitzerin so? Toni sagte, sie heißt Cornell?« Sie lachte, um ihre Nervosität zu überspielen. »Merkwürdiger Name. Habe ich noch nie gehört.«

»Sie ist Holländerin«, klärte Maite sie auf. »Wahrscheinlich ist der Name da nicht so unüblich.« Sie war jetzt sehr auf ihre Töpfe und Pfannen konzentriert und warf noch nicht einmal einen Blick auf Ina.

Das konnte Ina nur begrüßen, denn wie das bei Schwestern so ist, kannte Maite sie so gut, dass sie ihr ihre Gedanken oft ansah. Zumindest nachhakte, weil sie etwas vermutete. Und im Moment wollte Ina lieber allein träumen.

Obwohl sie sich ein wenig darüber wunderte, dass sie wegen dieser Frau, dieser Cornell, überhaupt ins Träumen geriet. Sie ist doch gar nicht mein Typ, dachte sie.

Ungläubig lachte sie auf. Was machte sie sich da für Gedanken? Über eine wildfremde Frau, die sie noch nicht einmal attraktiv fand. Sie hatte diese burschikosen Typen noch nie gemocht. Ihr gefielen Frauen, die mehr in die weibliche Richtung gingen. Und das war diese Frau bestimmt nicht. Sie sah fast aus wie ein Cowboy.

»Worüber lachst du?«, fragte Maite, während sie kurz fragend zu Ina herüberschaute. »Was ist so lustig?«

»Ach, eigentlich gar nichts.« Ina winkte ab, nahm sich noch einen Kaffee und schaufelte wieder Zucker hinein, was Maite erneut mit einem erstaunten Gesichtsausdruck quittierte. Diesmal sagte sie aber nichts dazu.

»Ich möchte gern mitlachen.« Langsam klang Maites Stimme etwas beleidigt. »Ich stehe hier nur die ganze Zeit am Herd und koche.«

»Es ist wirklich nicht zum Lachen«, bekräftigte Ina. »Ich habe nur daran gedacht –« Sie brach ab und ging zu Maite hinüber, schaute neugierig in die Töpfe. »Was kochst du da eigentlich Schönes? Das riecht köstlich.«

»Spaghettisoße?«, fragte Maite mit hochgezogenen Augenbrauen. »Du kennst den Geruch doch.« Auf einmal zuckten ihre Mundwinkel verdächtig. »Du willst ablenken. Du hast an etwas gedacht, das dich zum Lachen gebracht hat. Und du willst es mir nicht erzählen, weil . . .?«

Ina seufzte und runzelte die Stirn. »Weil ich im Grunde selbst nicht weiß, was ich dir erzählen soll.« Sie zuckte die Schultern. »Es ist irgendwie . . . komisch.«

»Ja, komisch«, nickte Maite. »Deshalb hast du darüber gelacht.«

»Nein, das meinte ich nicht.« Inas Stirn runzelte sich noch mehr. »Seltsam meinte ich, sonderbar.«

»Also ist es etwas Seltsames, das auch komisch ist.« Maite ließ ihre Augen durchdringend auf ihrer Schwester ruhen. »Sonst hättest du ja nicht gelacht.«

»Das Lachen liegt dir wirklich auf der Seele, was?« Nun lachte Ina aus einem anderen Grund. »Also gut.« Sie atmete tief durch. »Ich habe über Cornell nachgedacht.«

»Cornell?« Für einen Moment schien Maite gar nicht zu wissen, von wem die Rede war, obwohl sie doch eben noch über Cornell gesprochen hatten. Dann wanderten Maites Augenbrauen jedoch nach oben. »Du interessierst dich für Cornell?«

Ina zuckte die Schultern. »Interessieren . . . wäre zu viel gesagt. Aber sie ist Tonis Reitlehrerin, und ich habe das Gefühl, sie ist . . .«, entschuldigend verzog sie das Gesicht, »komisch.«

»Das verstehe ich nicht.« Mit leicht gerunzelter Stirn schüttelte Maite den Kopf. »Ich habe Toni das ganze letzte Jahr über zum Reiten gebracht, und ich konnte nichts Komisches an Cornell finden.« Sie kontrollierte die Spaghetti, indem sie eine Nudel herausnahm und davon abbiss.

»Ich weiß auch nicht«, sagte Ina. »Vielleicht bilde ich mir das ja alles auch nur ein.«

»Bestimmt.« Maite fügte der Spaghettisoße noch ein paar Kräuter hinzu. »Du bist jetzt vielleicht empfindlicher . . . irgendwie.« Sie reichte Ina eine Tomate. »Wenn du schon mal da bist, kannst du mir auch helfen. Schneid die Tomaten für den Salat.«

Ina gehorchte widerspruchslos, nahm sich ein Messer und begann die Tomaten kleinzuschneiden.

Erstaunt blickte Maite sie an. »Wie? Gar kein Protest?«

»Protest?« Als hätte sie gerade an etwas anderes gedacht, wandte Ina ihr fragend das Gesicht zu.

»Na ja . . .« Maite lachte leicht. »Normalerweise wehrst du dich doch immer mit Händen und Füßen gegen alles, was mit Kochen zu tun hat.«