Hier fließt die Liebe. Persische Küche - Forough Sodoudi - E-Book

Hier fließt die Liebe. Persische Küche E-Book

Forough Sodoudi

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Beschreibung

"Entweder mit Liebe oder lieber nicht" ist das Motto der Zwillingsschwestern Forough und Sahar Sodoudi. Wer bei ihnen in Berlin zu Gast ist, taucht in die Leichtigkeit, Fülle und Frische der persischen Küche ein: Jeder Bissen ist ein Stück Kultur. Neben cremigen Mezze und knackigen Salaten haben auch beliebte Klassiker ihren Weg in ihr erstes Kochbuch gefunden – nicht ohne raffinierten Twist: So mischen sich etwa Linsen, Gewürze und goldene Sultaninen unter den Safranreis, während persische Frikadellen von einer Tomaten-Zitronen-Sauce ummantelt werden. Die Gastgeberinnen aus Leidenschaft sind eigentlich Doktorinnen, die karrieretechnisch alles erreicht hatten. Dann tauschten sie Klimawissenschaft und Geophysik gegen Kochlöffel und Schürze – aus purer Leidenschaft. Heute begeistern die Gastro-Gründerpreisträgerinnen in ihrem Berliner "Culture and Food Lab" Tausende.

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Forough SodoudiSahar Sodoudi

Hier fließt die LiebePERSISCHEKÜCHE

GerichteGastfreundschaftGeschichten

Mit Texten von Caroline Bushra von der Goltzund Fotografien von Vanessa Maas

Hier fließt die Liebe

Gerichte

Mezze, Starter, Dips

Salate

Reisgerichte

Schmorgerichte

Fleisch und Fisch

»Torshi« – Eingelegtes Gemüse

Desserts

Drinks

Gastfreundschaft

Reich gedeckte Tafel: »Sofreh«

Persischer Abendgenuss

All-Time-Favorites: Unsere persönlichen Lieblinge

Geschichten

Das sind wir: Sahar und Forough

Dr & Dr: Middle Eastern Culture and Food Lab

Teheran, unsere Heimat

Rudbar, die Stadt der Oliven

Unsere Kindheit im Iran

Rasht, die Genusshochburg

Frau. Leben. Freiheit. – Zan. Zendegi. Azadî.

Hier geht’s zur Playlist

https://open.spotify.com/playlist/6choScoSYXoP3tNKLBRqwF

Salâm

Wir sind Sahar und Forough – promovierte Zwillingsschwestern, deren Wurzeln im Herzen des Irans liegen. Geboren sind wir in Berlin, aufgewachsen in Teheran.

Inzwischen leben wir wieder in unserer Geburtsstadt und haben in ihr unser zweites Zuhause gefunden. Eigentlich sind wir Wissenschaftlerinnen: die eine in Stadtklimatologie und Nachhaltigkeit, die andere in Geophysik und Seismologie. 22 Jahre lang haben wir in der Forschung gearbeitet, sind um die Welt gereist, wurden ausgezeichnet und schienen alles erreicht zu haben, was wir uns je erträumt hatten.

Doch inmitten dieser Errungenschaften und Abenteuer spürten wir, dass noch mehr auf uns wartete. Besonders die zahlreichen Dienstreisen in den Nahen Osten führten uns eine schlummernde Sehnsucht vor Augen: Sie weckten Erinnerungen an unsere Kindheit in Teheran, geprägt von einem aufrichtigen Gemeinschaftsgefühl sowie von einer Ethik des Teilens und der Dankbarkeit, die tief in unserer Identität verankert ist.

Wir folgten diesem Ruf, gingen auf Entdeckungstour und fanden die kulturellen Schätze Persiens wieder, die oft hinter politischen und religiösen Schleiern verborgen lagen – auch jenseits der Landesgrenzen. Wir entdeckten Kunst, Musik, Poesie und Architektur neu. Erkundeten lokale Traditionen und atemberaubende Landschaften. Sprachen mit Menschen, ließen uns von ihren Bräuchen berühren.

Und wir aßen. Mit jedem Bissen ein Stück Kultur. Wir realisierten, dass das iranische Essen nicht nur nährt und wohltut, sondern eine lebendige Verbindung zu allen persischen Kulturgütern schafft. Jedes Aroma, jeder Geruch, jede Konsistenz erzählt eine Geschichte, die weit über den Tellerrand hinausgeht.

Diese Erkenntnis, gepaart mit unserer Leidenschaft fürs Kochen, legte den Grundstein für das, was wir heute tun: 2019 trafen wir die mutige Entscheidung, unsere Karrieren als Wissenschaftlerinnen zu beenden – und gründeten unser Middle Eastern Culture and Food Lab »Dr & Dr« in Berlin-Kreuzberg.

Damals wie heute ist unsere Vision, Persien in seinen abertausenden Feinheiten erfahrbar zu machen; denn weder in Deutschland noch sonst wo in Europa ist unsere Heimat auf eine Weise vertreten, die ihren Reichtum und ihre Tiefe zur Gänze widerspiegelt. Das Schaffen einer authentischen und wertschätzenden Repräsentanz betrachten wir als Lebensaufgabe, die wir seither Tag für Tag mit Liebe, Hingabe und Überzeugung ausfüllen.

»Dr & Dr« ist somit nicht nur eine Herzensangelegenheit und das Ergebnis jahrelanger kultureller Forschung, sondern die klare Antwort auf einen Bedarf, den wir sowohl innerlich als auch äußerlich gespürt haben.

Unseren Gästen ermöglichen wir deshalb eine ganzheitliche Sinneserfahrung, die mehr ist als bloß Kulinarik: Wer in unser Food Lab eintritt, taucht ein in eine andere Welt – und wird die Vielfalt des Irans nicht nur in all ihrer Pracht schmecken, sondern auch riechen, sehen und hören.

Bei allem, was wir servieren, legen wir großen Wert darauf, Traditionen der Ursprungsregionen zu reflektieren und zu respektieren. Gleichzeitig ist es uns ein Anliegen, unterschiedliche regionale Küchen kreativ miteinander zu verbinden. Und auch unsere eigene Historie ist ein wichtiger Bestandteil. Überlieferte Familienrezepte und die Lieblingsgerichte unserer Kindheit finden immer wieder den Weg in unsere Küche – und in dieses Kochbuch: Da ist zum Beispiel Fesenjoon, ein Schmorgericht mit Huhn, Granatapfelmelasse und Walnüssen, oder unsere sommerliche Kaltschale mit Galiamelone und Rosenwasser.

»Hier fließt die Liebe« ist nicht nur ein Buchtitel. Es ist die Überschrift unserer persönlichen Geschichte, in der wir es gewagt haben, unseren Herzen zu folgen. Es ist die Botschaft, die wir über Teller hinweg in die Welt tragen. Und es ist ein Symbol für Female Empowerment, Sisterhood und wahrhaftige Leidenschaft.

Wir freuen uns, dass du diese Botschaft in deine Küche und in deine Seele hineinlässt. Du wirst die Liebe in jedem Rezept, mit jedem Löffel spüren. Gleiches gilt für die Menschen, mit denen du deine Kreationen teilen wirst.

Denn Essen ist immer eine gemeinsame Angelegenheit.

Von Herzen

Sahar und Forough

Familie Sodoudi/Samii

DAS SIND WIR:

Sahar und Forough

In einer Januarnacht 1975 erblickten wir in einem Westberliner Krankenhaus das Licht der Welt. Dicke Flocken rieselten vom Himmel, die ganze Stadt schneebedeckt. Zuerst kam Forough, auf Persisch »Morgendämmerung«. Zwölf Minuten später Sahar, deren Name »frühmorgens« bedeutet. Unser Vater, ursprünglich aus Teheran, und unsere Mutter, aus dem nordiranischen Rasht, hatten sich während des Studiums in Berlin kennengelernt. Junge Leute aus nichtreligiösen Familien, die Freude an ihren Auslandsaufenthalten hatten – und nun glückliche Eltern geworden waren.

Die ersten fünf Jahre unseres Lebens verbrachten wir in der Pfalzburger Straße in Berlin-Charlottenburg. Dann graduierten unsere Eltern und beschlossen, in den Iran zurückzukehren. Wir zogen nach Teheran – ohne Farsi zu sprechen. Deutsch war bis dahin unsere Muttersprache gewesen, also sangen wir in der Schule deutsche Lieder und unterhielten uns weiterhin wie gewohnt. Unserer Lehrerin gefiel das nicht. Sie bat unsere Eltern, fortan ausschließlich Farsi mit uns zu sprechen. Ein Jahr später beherrschten wir die Landessprache perfekt – und konnten keinen deutschen Satz mehr sagen.

Es waren die ersten Jahre der Revolution, und der Iran erlebte während dieser Zeit viele gravierende Veränderungen. Die Versprechungen von Freiheit, Demokratie und kostenlosem Wohnraum entpuppten sich als leer und das Konzept der kulturellen Reform unterwanderte den Alltag.

Der verpflichtende Hijab wurde eingeführt, die Universitäten mehr als zwei Jahre lang geschlossen, hunderte Professor*innen und tausende Student*innen mit nichtislamischer Weltanschauung ausgewiesen. Schul- und Wissenschaftsbücher wurden gemäß der kulturrevolutionären Sichtweise geprüft und Inhalte, die als liberal oder links deklariert wurden, aus den Universitäten und Bibliotheken verbannt. Alles Maßnahmen zur Bekämpfung »westlicher Agenda« im Iran.

Diese Reihe von Säuberungsprogrammen hatte erhebliche Auswirkungen auf Kultur und Wissenschaft, weshalb viele Akademiker*innen und Intellektuelle den Iran verließen. Und jene, die blieben und es wagten, sich oppositionell zu positionieren, wurden verhaftet. Öffentliche Festnahmen waren an der Tagesordnung.

Dann, im September 1980, begann der Iran-Irak-Krieg und es wurden Sanktionen verhängt. Hühner, Fleisch, Öl und Milch wurden knapp und die Warteschlangen immer länger. Diejenigen, die bis dahin noch Hoffnung auf eine positive gesellschaftliche Veränderung gehabt hatten, verloren sie jetzt. Für sie gab es nun zwei Optionen: ebenfalls das Land verlassen – oder mit den Bedingungen leben lernen und für schöne Momente hinter verschlossenen Gardinen und im Kreise der Familie sorgen.

Unsere Eltern entschieden sich für Zweiteres, und für uns Kinder wurde das Leben von Tag zu Tag schöner. Es scheint paradox, aber wir hatten nicht nur Mama und Papa an unserer Seite, sondern auch unsere geliebte Oma, und alle drei hatten es sich zum Ziel gesetzt, uns glücklich zu machen. Unser Familienleben war von Zuneigung und Freude geprägt und von aktiv initiierten, denkwürdigen Erlebnissen, an die wir uns noch heute dankbar zurückerinnern. Gleiches gilt für das Beisammensein mit unseren vielen, vielen Freund*innen – manchmal versammelten wir uns mit mehr als 50 von ihnen an einem Fleck. Die Verbindungen untereinander waren tief und aufrichtig.

Es war ein Leben voller Liebe.

Das Einfrieren von Sauerkirschen im Sommer, damit wir zu jeder Jahreszeit »Albaloo Polo« essen konnten. Oder das Trocknen von Orangenschalen, die wir erst auf Zeitungspapier und anschließend auf Heizkörper legten und die sich dann lustig kräuselten. Das Einkochen von Moosbeermarmelade im Sommer und von Quittenmarmelade im Winter. Und das Verschenken von Eingemachtem an unsere Nachbar*innen, die in Kriegszeiten wie Verwandte geworden waren.

Die Erwachsenen – und später auch wir Jugendlichen – tranken mit Vorliebe hausgemachten Wein und »Aragh« (Rosinen-Wodka), die vor allem von der armenischen Gemeinschaft in privaten Kellern hergestellt, in Plastikkanister abgefüllt und anschließend bis vor die Haustür geliefert wurden. Nächtliche Feste mit Tanz und Gesang, üppig gedeckte Tafeln mit bunten Speisen und schier endlose Diskussionen über den Sturz der islamischen Regierung waren fester Bestandteil der Wochenenden.

Und auch unter der Woche waren die Mahlzeiten von ritueller Hingabe geprägt: Sobald unser Vater nach Hause kam, bewässerte er den Hof, während unsere Mutter den Tisch im Garten deckte. Im Haus köchelten, backten und zogen die köstlichsten Speisen vor sich hin, und bevor wir uns setzten, schmückte unser Vater die Tafel mit gepflückten Jasminblüten.

Dann brachte unsere Mutter die Vorspeisen, unser Vater mixte Wodka Lime. Anschließend legte er »Kabab Torsh« auf den Grill, während unsere »Madar« den Safranreis stürzte. Der Tisch, der sich leerte und wieder füllte, war stets von Schönheit und Anmut geprägt, und der sanfte Wind, der vom Alborz-Gebirge herüberwehte, verteilte den Duft des frischen Jasmins in unserem Zuhause.

In der Zwischenzeit waren wir zu Musterschülerinnen herangewachsen, die gerne lernten und überaus gute Noten schrieben. Unsere Leidenschaft galt westlicher Musik und Tanz, vor allem Breakdance. Die Wände in unseren Zimmern waren zugekleistert mit Postern von Popikonen wie Michael Jackson, George Michael, Modern Talking und Depeche Mode. An den Wochenenden und bei Geburtstagen – oft mit mehreren Dutzend Gästen – performten wir ihre Songs gemeinsam mit Klassenkamerad*innen, manchmal bis in die Nacht hinein, um zu Wochenbeginn wieder in unseren Schulbüchern zu versinken.

Bei allem Fleiß und aller Freude lehrte uns unser Vater, stets für unsere Rechte einzutreten, und unsere Mutter, lösungsorientiert zu denken. Sie beide lebten uns vor, was es heißt, stark zu sein, für die eigenen Ziele und Visionen zu kämpfen – und gleichzeitig den Moment zu genießen und das Leben in all seinen Facetten zu schätzen.

Es gibt ein Gedicht (»Rubai«) des persischen Dichters Omar Khayyām, das unser Vater uns regelmäßig vorlas und das die Lebensweise unserer Eltern gut einfängt:

Wenn Du, vom roten Wein berauscht, Der Liebsten Zärtlichkeiten lauschst, Genieß’ es jetzt in dieser Zeit, Das große Nichts liegt gar nicht weit.

Während wir erwachsen wurden, haben wir die persische Kultur mit ihre vielen Traditionen und Bräuchen mehr und mehr einen Teil unseres Selbst werden lassen. Wir gründeten eine Girl-Band, die einmal in der Woche persische Musik einübte, wir reisten in die verschiedensten Ecken des Landes, lernten lokale Rituale kennen und formten so mehr und mehr unsere Identität als junge iranische Frauen.

Nach unserem Universitätsabschluss in Physik absolvierte Sahar ihren Master in Meteorologie und Forough setzte ihr Studium in Geophysik fort. Eine von uns wusste alles über den Himmel, die andere über die Erde. Das faszinierte uns.

Unsere Eltern bestärkten uns und wünschten sich gleichzeitig, dass sich unser Horizont auch im übertragenen Sinne erweiterte. Sie wollten, dass wir ins Ausland gingen, um andere Erfahrungen zu sammeln – so, wie sie es selbst einst getan hatten. Auch wir waren von der Idee begeistert. Im Jahr 2000 gingen wir deshalb nach Berlin und begannen an der Freien Universität zu promovieren.

Als wir schließlich unsere Doktortitel erworben hatten, setzte Forough nach 14 Jahren Forschung am GeoForschungsZentrum Potsdam sowie zahlreichen Projekten zur seismischen Struktur der Erde – einschließlich im Iran – ihre Expertise als Geschäftsführung eines Graduiertenprogramms in Mathematik zwischen drei Berliner Universitäten ein.

Sahar übernahm eine Professur im Bereich Stadtklima und Nachhaltigkeit, leitete eine erfolgreiche Arbeitsgruppe sowie eigene Projekte und etablierte Stadtklima-Labs an 18 Universitäten im Nahen Osten. Forough half bei der Umsetzung: Gemeinsam bereisten wir zahlreiche nahöstliche Länder, förderten den kulturellen Austausch zwischen den Student*innen, richteten diverse Summer Schools aus, kochten mit Einheimischen, kauften auf lokalen Märkten und Basaren ein, lernten Künstler*innen und Designer*innen kennen – und ermöglichten uns, Nahost in all seiner Fülle zu erfahren.

Dazu kamen etliche Vorträge auf internationalen wissenschaftlichen Konferenzen, zig Promotionsbetreuungen, unzählige wissenschaftliche Veröffentlichungen – und doch vergaßen wir nie, das Leben zu genießen. So hatten unsere Eltern es uns beigebracht.

Nach einem langen Tag gab es für uns nichts Schöneres, als den Tisch zu decken, kreative Rezepte zu testen, Speisen zu garnieren, den passenden Wein zu wählen und Menschen zusammenzubringen. Allmählich etablierten wir uns über das private Umfeld hinaus als Organisator*innen von Festen wie Weihnachten und »Nowruz« (Persisches Neujahr), sowohl zuhause in Deutschland als auch in den Ländern, die wir bereisten.

Durch die zahlreichen wissenschaftlichen Reisen wurde uns bewusst, dass die Kultur des Nahen Ostens, insbesondere des Irans, in Deutschland keine angemessene Repräsentanz genoss – und hinter politischen und religiösen Narrativen verborgen lag. Das Wissen der Menschen über den Iran schien hierzulande sehr begrenzt. Und so auch das Interesse.

Am 2. November 2018 sollte sich unser Leben schließlich für immer verändern. Forough betrat um 14 Uhr den Raum einer Vorstandssitzung, bei der über Förderungen verschiedener Projekte entschieden werden sollte. Sahar verbrachte den Abend in einer Galerie, um ihren Ehemann – Besitzer eines erfolgreichen Berliner Restaurants – bei einem Private Fine Dining zu unterstützen. Sie war zunächst nervös gewesen, da sie alleine mit zwei Mitarbeiter*innen für alle Gäste zuständig gewesen war, und fiel aber um drei Uhr morgens über beide Ohren strahlend ins Bett: Das Abendessen war fantastisch gelaufen und von vielen besonderen Begegnungen geprägt gewesen.

Forough traf zur selben Uhrzeit bei sich zuhause ein. Sie hatte 13 Stunden Sitzung hinter sich, währenddessen eine Erkenntnis gewonnen und einen wichtigen Entschluss gefasst. »Ich kündige.« Die Arbeit erfüllte sie nicht mehr. Im Gegenteil, sie raubte ihr Energie.

Am nächsten Morgen, einem Samstag, telefonierten wir miteinander. Innerhalb von 15 Minuten stand die Entscheidung fest: Unsere individuelle und gemeinsame Zukunft würde mit diesem Tag einen gänzlich neuen Weg einschlagen. Forough reichte die Kündigung gleich Montagfrüh ein. Sahar verabschiedete sich einige Monate später, nach Semesterende im April, von der Arbeit an der Universität.

Diese Viertelstunde, die wir gemeinsam am Telefon verbracht hatten, markierte den Startpunkt unseres Culture and Food Labs und somit den Beginn einer neuen und nie dagewesenen Repräsentanz nahöstlicher und persischer Kultur, fern von Politik und Religion. Dieses Gespräch war die Geburt von »Dr & Dr«.

Konzeption und Organisation von Private Dinings, Kochkursen und kulinarischen Reisen in den Nahen Osten standen nun auf der Agenda. Wir spürten Euphorie und Ungeduld, wollten sofort loslegen. Unser Umfeld hingegen war zunächst irritiert: »Wie könnt ihr eure hochrangigen akademischen Karrieren einfach so an den Nagel hängen?« Dann hätten wir ja völlig umsonst studiert, sagten viele.

Nur unsere Ehemänner und unsere Mutter standen hinter uns – für sie machte diese Entscheidung ebenso viel Sinn wie für uns. Das Rubai von Omar Khayyām war in dieser Lebensphase wieder sehr präsent geworden. »Wir haben nur ein Leben – und wir möchten es auf die schönste Weise erfahren.« Also schrieben wir unsere Geschichte um, geleitet von unserer inneren Stimme.

Der Erfolg sollte uns Recht geben.

DR & DR:

Middle Eastern Culture and Food Lab

Mit »Dr & Dr« haben wir ein konkurrenzloses Konzept geschaffen, das die faszinierenden und mannigfaltigen Nuancen von Nahost in den Mittelpunkt rückt – und dabei Essen, Kunst und Kultur nonchalant miteinander verwebt. Unsere Vision, damals wie heute: Offenheit und Toleranz für interkulturellen Austausch fördern und unsere Heimat von politischen und religiösen Narrativen befreien.

Mit dieser starken Idee im Gepäck taten wir das, was wir am besten können: Wir forschten. An Rezepturen und Ingredienzen für Longdrinks mit persischen Zutaten zum Beispiel. An herzhaften Klassikern unserer Kindheit, denen wir mutig den ein oder anderen Twist verliehen. Und an Gewürzen aller Art – sowie an neuen Kombinationen derer.

Dabei war uns der umweltbewusste Umgang mit Ressourcen stets ein großes Anliegen. Lebensmittelreste wurden zu »Torshi« (Eingelegtem) verarbeitet, die wiederum – in große Gläser gefüllt – die Vitrine unseres Food Labs schmückten. Daneben reihte sich handgefertigtes Keramikgeschirr an antike iranische Artefakte, Termeh-Stoffe sowie schlichte Dekorationsstücke, die wir über Jahre auf den verschiedensten Basaren gesammelt hatten.

Einige Wände im Küchenbereich besetzten wir mit handbemalten Kacheln, deren Muster dem Golestan-Palast entlehnt sind und die als Botschafter für die Schönheit und den Reichtum der persischen Kultur stehen. An der Decke über dem Esstisch brachten wir goldene Käfige an, die nicht bloß dekorativ sind, sondern die unterschiedlichen Länder in Nahost symbolisieren – und die Hoffnung auf Frieden, trotz der vielen Konflikte.

Andere Wände ließen wir mit persischer Kalligraphie bemalen, und bei der Frage, welche Botschaft unser Food Lab schmücken sollte, wählten wir jene Worte, die für die tiefgreifende Veränderung in unseren Leben standen und gleichermaßen für das, was wir über den Teller hinweg in die Welt tragen wollten:

»Hier fließt die Liebe.«

Diese Worte waren die beste und umfassendste Beschreibung für »Dr & Dr«, denn nichts Geringeres als die Liebe war es gewesen, die unseren Lebensweg lenkte, die uns ermutigte, unserer inneren Stimme zu lauschen, und die uns die nötige Kraft schenkte, all unsere Ziele zu erreichen.

Als wir knietief in der Einrichtung des Food Labs steckten, brach ziemlich plötzlich die Corona-Pandemie aus. Lockdowns wurden verhängt, der Flugverkehr zwischen Deutschland und dem Iran gestoppt. Einige Interieurstücke, die wir ausgewählt hatten, wurden am Flughafen in Teheran konfisziert. Alles stand still.

Während dieser Zeit erkrankte unser Vater schwer. Wir standen unter hohem Druck, waren mit der Gesamtsituation massiv überfordert. Unser geliebter Vater, der unser größtes Vorbild war und alles getan hatte, um uns ein erfülltes Leben zu bereiten, verstarb im April 2020. Ein schmerzlicher Verlust, der uns niederschmetterte und lähmte. Es schien unmöglich, morgens aufzustehen und unsere Arbeit im Food Lab fortzusetzen. Doch unsere Mutter schaffte es, uns zum Weitermachen zu ermutigen, und versuchte – trotz ihres eigenen Kummers – uns tagtäglich zum Arbeiten zu bewegen.

Inmitten all dieser Herausforderungen erreichte uns eine Nachricht: Wir hatten den Deutschen Gastro-Gründerpreis 2020 gewonnen, eine Auszeichnung für die fünf besten Gründungsideen und -konzepte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Neue Energie durchströmte unsere Körper, unsere Köpfe und unsere Herzen, und binnen weniger Tage wurde das Food Lab zu genau dem warmen und geborgenen Ort, den wir brauchten. Ein Ort, durch den Liebe floss.

Noch während des Lockdowns verkauften wir Mittagessen to go. Nach weniger als einer halben Stunde waren wir ausverkauft. Jeden Tag, egal, wie viel wir vorbereitet hatten. Der Andrang war überwältigend. Private Abendessen für fünf Personen – das war die seinerzeit maximal zugelassene Anzahl – wurden zum Mega-Erfolg. Und als sich die Restriktionen peu à peu lockerten, avancierten schließlich unsere Kochkurse zum Höhepunkt unserer Karriere mit »Dr & Dr«.

Jeder dieser Abende war nicht nur von kulinarischen Freuden geprägt, sondern auch von Musik, persönlichen Geschichten – und zu späten Stunden von lebhaften Diskussionen über den Iran. So, wie es schon damals bei uns zuhause gewesen war. Gäste betraten das Food Lab als Fremde und verließen es als Freund*innen. Die Atmosphäre war magisch – und ist es bis heute. Die Freude in den Augen der Menschen ist das, was uns antreibt.

Es war uns gelungen: Wir präsentierten die Schönheit der persischen Kultur hier in Deutschland auf eine völlig neue Weise, und die Menschen waren dankbar dafür. Namhafte Magazine und Zeitungen berichteten über uns, und später auch diverse Radio- und TV-Sender.

Manchmal weinten wir vor Dankbarkeit: für all die Herausforderungen, die wir durchlebt und gemeistert hatten – in unserer Kindheit und Jugend, während des Studiums, im Rahmen unserer Führungspositionen oder wegen der vielen Momente des gewollten und ungewollten Loslassens. Jeder harte Tag hat uns geprägt und letztlich zu den Individuen geformt, die wir heute sind.

Das Buch, das du gerade in den Händen hältst, ist die Summe dieser Erfahrungen – und eine faszinierende Sammlung von Rezepten, die die Menschen in unseren Kochkursen besonders glücklich gemacht haben. Es ist ein Fest für die Seele, für die Augen und selbstverständlich für den Gaumen.

Du wirst wissen, was wir meinen, wenn wir sagen:

Hier fließt die Liebe!

Hier fließt die Liebe!

REICH GEDECKTE TAFEL:

»Sofreh«

Gewürze, Geschmortes, Gastfreundschaft – dafür ist die persische Küche bekannt. Aber noch etwas ist wichtig: die richtige Kombination aus Aromen, Texturen und Konsistenzen. Erst wenn alle Komponenten im Einklang sind, ist der Esstisch komplett. Der Anspruch an die perfekte Balance lohnt sich, denn er macht jedes Mahl zu einer reichen Sinneserfahrung.

»Während der Reis kocht, decken wir schon mal den Tisch.«

Diese Redensart kennt jedes iranische Kind. Egal ob beim täglichen Abendessen oder dem alljährlichen Familienfest: Die Essensvorbereitung folgt stets diesem verbindlichen Ablauf. Erst den Reis aufsetzen. Dann den Tisch eindecken. Und – wenn schon alle sitzen – das luftig-dampfende Gold servieren.

Reis ist nicht nur obligatorisch, sondern muss zudem immer garfrisch sein. Das ist Gesetz.

Kurze Zeit später füllen sich Teller (und anschließend Bäuche) mit einer Vielfalt verschiedener Köstlichkeiten. Neben dem Reis und einer reichhaltigen Hauptspeise gehören dabei immer folgende Komponenten mit auf den Tisch:

Etwas Cremiges

Erst hineintunken, dann im Mund zerschmelzen lassen: Joghurtdips aller Art (zum Beispiel mit Gurken, Kräutern und Spinat) sowie Crèmes, etwa aus Roten Beten oder Soloknoblauch, sind bei jeder Mahlzeit ein Muss.

Etwas Knackiges

Typisch persisch: Radieschen, Rettich und Kohlrabi mit Limettensaft beträufeln – und Happen für Happen das »Knack!« genießen. Auch frische (Frühlings-)Zwiebeln, angereichert mit Petersilie und Sumach, sind sehr beliebt.

Etwas Frisches

Manche frischen Zutaten kommen zwar geräuschlos daher, sind aber ebenso wichtig: Kräuter wie Minze, Basilikum, Petersilie, Estragon, Bohnenkraut, Schnittlauch oder Dill werden stets neben einem Hauptgericht serviert.

Etwas Eingelegtes

Sauer Fermentiertes (»Torshi«) sieht meist nicht nur hübsch aus, sondern sorgt zudem für die perfekte Geschmacksbalance. Ob Mini-Salzgurken, Sellerie, Blumenkohl, Zwiebeln, Möhren, Rotkohl oder Knoblauch: In mundgerechte Stücke geschnitten wird Eingelegtes zum Hochgenuss.

Warme Speisen, kalte Speisen