Highland Vampir gesucht - Elena MacKenzie - E-Book

Highland Vampir gesucht E-Book

Elena MacKenzie

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Beschreibung

Gwendolyn Plum hat eine alte schottische Burg geerbt. Einzige Bedingungen im Testament: Sie muss die Burg persönlich bewohnen und ein Verkauf ist unmöglich, denn die Burg birgt ein Geheimnis. Gwen ist das alles nur recht, denn sie hat schon lange einen Traum, den sie endlich umsetzen will, und diese Burg scheint ihr der perfekte Ort dafür. Was sie nicht ahnt, sie wird die Burg nicht allein bewohnen. Ihr neuer Mitbewohner ist ein unfreundlicher Geist, dem nichts lieber wäre, als Gwen wieder loszuwerden. Und irgendwie bekommt er das auch hin. Denn gerade als Gwen fast das Geheimnis um ihren nervigen Mitbewohner gelöst hätte, schickt dieser sie 300 Jahre in die Vergangenheit und mitten in einen Konflikt mit einem verfeindeten Highlands-Clan.

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Highland Vampir gesucht

EIN ZEITREISEROMAN

ELENA MACKENZIE

Inhalt

Über dieses Buch

1. Der gewichtige Duft der Vergangenheit

2. Erbe mit Besonderheiten

3. Knutschkugel trifft Kuh

4. Tee im Salon und umtriebige Rollkoffer

5. Stürmisch frostige Highlandnächte

6. Fleischklopfer ohne Schlagargumente

7. Einmaleins der Geisterjagd

8. Burgbesitzerin mit Luxuproblemen

9. Geisterhafte Grüße aus dem Nirwana

10. Immer Ärger mit dem Klagegeist

11. Wie man erfolgreich durch die Zeit purzelt

12. Verruchte Unterwäsche und ungewohnte Bäder

13. Der Laird und seine Hure

14. Skandalöse Gespräche bei Rotwein

15. Unerwartete Verwandtschaften

16. Mylord, Ihr seid ein Macho

17. Du sollst nicht fremde Gespräche belauschen

18. Mylord, ihr seid ein schlechter Jäger

19. Nachts sind alle Highlander unausstehlich

20. Burg mit Rattenproblem

21. Plötzlich Braut

22. Unerwünschte Zeugen

23. In Uneinigkeit vereint

24. Vampire küssen besser

25. Ein Seidenschal für die Braut

26. Vampirisches Geflüster

27. Noch einen Port, die Damen?

28. Trinkfreudige Highlandgames

29. Aber Vampire schlafen doch nicht

30. Mylord, die Burg ist umstellt

31. Frauen und Kinder zuerst

32. In der Dunkelheit sieht man einfach gar nichts

33. Aus der Höhle in die Hölle

34. Und täglich grüßt der Klagegeist

35. Holmes, Sie haben einen Hinweis übersehen

36. Frau mit Axt und Staublunge

37. Späte Einsichten, Mylord

Selkirk Bannocks

Nachwort

Copyright: Elena MacKenzie

Coverdesign: Elena MacKenzie unter

Bildmaterial: Adobe Photostock

Kontakt: Elena MacKenzie

Dr.-Karl-Gelbke-Str. 16

08529 Plauen

[email protected]

Über dieses Buch

Gwendolyn Plum hat eine alte schottische Burg geerbt. Einzige Bedingungen im Testament: Sie muss die Burg persönlich bewohnen und ein Verkauf ist unmöglich, denn die Burg birgt ein Geheimnis. Gwen ist das alles nur recht, denn sie hat schon lange einen Traum, den sie endlich umsetzen will, und diese Burg scheint ihr der perfekte Ort dafür.

Was sie nicht ahnt, sie wird die Burg nicht allein bewohnen. Ihr neuer Mitbewohner ist ein unfreundlicher Geist, dem nichts lieber wäre, als Gwen wieder loszuwerden. Und irgendwie bekommt er das auch hin. Denn gerade als Gwen fast das Geheimnis um ihren nervigen Mitbewohner gelöst hätte, schickt dieser sie 300 Jahre in die Vergangenheit und mitten in einen Konflikt mit einem verfeindeten Highlands-Clan.

KAPITEL1

Der gewichtige Duft der Vergangenheit

Manche mögen meinen Heißhunger auf Altes und längst Vergessenes nicht verstehen, aber ich sehe in alten Dingen die Unvergänglichkeit einer Geschichte. Sie sind Zeugen dieser Geschichte und wenn man ihnen nur gut genug zuhört, dann kann man sie leise über ein längst vergangenes Leben erzählen hören.

Ich bin mit alten Dingen aufgewachsen, habe gelernt, sie wertzuschätzen und von ihnen zu lernen. Es ist also nicht verwunderlich, dass mein erster Weg nach meiner Ankunft in Inverness mich in ein Antiquitätengeschäft führt. Seit einer Weile hatte ich keine Zeit mehr, meinen Hobbys nachzugehen. Ich habe für eine Anwaltskanzlei gearbeitet, die es selbst nicht ganz so genau mit dem Arbeitsrecht genommen hat. Dass man seine Angestellten nicht zu Überstunden zwingt, ihnen die Pausen und den Urlaub streicht, ist ihnen noch nicht zu Ohren gekommen. Nach Jahren als Mädchen für alles habe ich nun endlich den Mut gefasst und gekündigt. Fünf Jahre habe ich dafür gebraucht. Und ein überraschendes Erbe.

Aber da ich ein immer positiv denkender Mensch bin, sehe ich die Zeit in der Kanzlei als wertvolle Erfahrung. Wahrscheinlich habe ich deswegen so lange gebraucht, um zu begreifen, dass meine Gutmütigkeit ausgenutzt wurde. Immerhin konnte ich mir über die Jahre ein nettes Polster anschaffen und leiste mir davon meinen Umzug nach Schottland. Weil, so ist mir zu Ohren gekommen, Schottland ein Quell für alte Dinge und ihre Geschichten ist. Und einem geschenkten - ich meine geerbten - Gaul schaut man nicht ins Maul. Bevor ich also meinen Termin beim Anwalt meines Großvaters wahrnehmen werde, nutze ich die Gelegenheit, um meiner Leidenschaft nachzugehen. Auch wenn mich die Neugier auf mein Erbe schon halb wahnsinnig macht. Die Informationen, die ich bekommen habe, waren sehr wage, denn der Anwalt meines Großvaters – Gott hab ihn selig, auch wenn ich ihn gar nicht gekannt habe – ist ein wortkarger, muffeliger Schotte. Womit ich nicht sagen will, dass er unangenehm riecht, denn das kann ich nicht beurteilen, da ich ihn noch nicht persönlich getroffen habe. Womit ich auch klarstellen sollte, dass ich auch keine Ahnung habe, ob er wirklich alt ist. Aber in meiner Fantasie habe ich so meine Vorstellungen. 

Das Antiquitätengeschäft, das ich auf halbem Weg von meinem Auto zur Kanzlei entdeckt habe, sieht zumindest von außen aus, als hätte es schon unzählige Geschichten erlebt, die es seinen aufmerksamen Zuhörern erzählen könnte. Es befindet sich in der unteren Etage eines roten Ziegelbaus mit großen grünen Schiebefenstern. Das riesige Schaufenster ist von dunkelgrünem Holz umgeben, und über dem Fenster steht in goldenen Buchstaben Fraser’s. Es ist ein wenig versteckt gelegen fast am Ende der Oldtown Road.

Als ich die Tür öffne, klingelt über meinem Kopf, ganz wie es sich gehört und wie ich es von so einem Laden auch erwartet habe, ein goldenes Glöckchen. Es riecht nach alten Büchern, altem Holz und Mottenkugeln. Ich atme tief ein und sehe mich erwartungsvoll und mit einem aufgeregtem Kribbeln im Bauch um. Links von mir steht hinter einer alten Kasse mit schwarz-goldenen Tasten eine Frau in den Fünfzigern, die mich freundlich anlächelt und sich dann wieder einem Buch widmet, das sie in einer Hand hält. In der anderen hält sie eine Tasse, vielleicht mit Tee.

Ich denke mir zu allem Möglichen kleine Geschichten aus. Ich finde eine Einkaufsliste auf der Straße, hebe sie auf, um sie in den Müll zu werfen, und mein Kopf begibt sich auf eine Reise, in der ich sehe, wie eine Frau mit ihrem Mann am Küchentisch sitzt und sie beide diese Einkaufsliste erstellen. Ich berühre ein vergilbtes Buch und sehe die Menschen vor mir, die es vielleicht gelesen haben. Für eine Anwältin lebe ich viel zu realitätsfern. Ich bin wie Alice im Wunderland, mit dem Kopf immer in den Wolken. Weswegen ich mein Erspartes und das »romantisch verträumte Anwesen« (Zitat des Anwalts) nutzen werde, um mein erstes Buch zu schreiben. Ein lang gehegter Traum von mir. All diese Fantasien in meinem Kopf möchten endlich auf die Welt losgelassen werden. Nicht, dass ich ernsthaft erwarte, dass die Welt wirklich Interesse an meinen Geschichten hat. Aber ich möchte sie der Welt trotzdem zur Verfügung stellen.

Die Verkäuferin fragt mich nicht, was ich suche. Und das finde ich überaus freundlich, denn in einem Laden wie diesem, da sucht man nicht, man schmökert. Ich lasse meinen Rollkoffer neben der Tür stehen und trete in dieses kleine Paradies ein, das bis zur Decke überfüllt ist mit altem Porzellan, Büchern, Silber, kleinen Möbelstücken und einer Menge wundervollem Schnickschnack. Ich muss gestehen, mein Herz klopft ein paar Takte schneller, als ich die Fülle dieser wunderbaren Köstlichkeiten auf mich wirken lasse.

Mit einem nervösen Zucken meiner gierigen Finger betrete ich den ersten Gang zwischen zwei Regalen, betrachte ein altes Silberservice und versuche, sein ungefähres Alter abzuschätzen. Der Stempel unter der Kanne sagt mir, dass es 1893 von R. Richardson in Cornwall hergestellt wurde. Wie viele feine Damen haben aus diesem Service wohl ihren Tee getrunken? Worüber haben sie geredet? Über wen getratscht? Für einen Moment schließe ich die Augen und stelle mir vor, wie zwei Damen in langen, aufwendig gearbeiteten Kleidern und aufregenden Hüten bei sonnigem Wetter im Garten sitzen und sich über die Nachbarin brüskieren, die neulich beim Spaziergang nicht den Anstand besessen hatte, wie es sich geziemt zu grüßen. Ich muss kichern und halte mir eine Hand vor den Mund, dann stelle ich alles wieder vorsichtig an seinen Platz zurück und gehe weiter.

Eine alte Vase, eine Putte, ein Holzkreuz, Spitzendeckchen, Weihnachtsdeko. Und alles umgeben vom gewichtigen Duft der Vergangenheit. Da meine Eltern früh verstorben sind, bin ich bei meinen Großeltern mütterlicherseits aufgewachsen.  Aufgewachsen ist aber wahrscheinlich nicht ganz richtig, immerhin war ich schon 14, als ich von San Diego in den USA nach London übergesiedelt bin. Also hat mich wohl auch meine Kindheit in Amerika etwas geprägt.

Mein Großvater hat im Kunsthistorischen Museum in London gearbeitet. Jede freie Minute habe ich mit ihm im Museum verbracht. Er hat sich auf schottische Geschichte und Kultur spezialisiert und spricht fließend Gälisch. Für mich stand schon früh fest, dass auch ich einmal dort arbeiten würde. Leider läuft es im Leben nicht immer so, wie man es sich wünscht. Aber auch der steinigste Weg führt dich irgendwann genau dorthin, wo du hingehörst. Und das ist nicht immer dort, wo du es dir erträumt hast. Jeder Ort, an den du in deinem Leben gelangst, ist nur ein Bahnhof von vielen, die vor dir liegen auf deiner Strecke. Mein aktueller Bahnhof ist nun also irgendwo außerhalb von Inverness, aber bisher gefällt es mir hier sehr gut. Ja, ich freue mich auf mein »romantisch verträumtes Anwesen«. In meiner Vorstellung sehe ich ein kleines Cottage mit wildem Garten und einer weißen Bank inmitten von Blumenwiesen und Insektengewirr vor mir. Schade, dass wir gerade Winter haben. Ich bin kein Fan der kalten Jahreszeit. Es gibt nur drei Sachen, die mich an Winterabenden erfreuen können: ein Kamin, ein Buch und eine Tasse Tee.

Ein Buch wie das, das ich gerade entdeckt habe, aber wohl eher nicht. Ich mag es romantisch, mit großen Gefühlen, Liebesschwüren und heldenhaften … Helden.

Zaubersprüche für die Liebe, das Leben und die Gesundheit steht auf dem sehr dicken und sehr alt aussehendem Buch mit Ledereinband in Gälisch. Was an der gälischen Sprache schwierig ist, ist die Tatsache, dass die wenigsten Worte so ausgesprochen werden, wie sie geschrieben werden. Außerdem fällt es den meisten Menschen, die nicht mit Gälisch aufgewachsen sind, überhaupt schwer, viele gälische Worte auszusprechen, ohne dabei ihre Zunge zu verknoten. Da ich dank meines Großvaters, geboren und aufgewachsen in einem winzigen Dorf am schottischen Arsch der Welt, in die Kunst der gälischen Sprache eingeweiht wurde, kann ich den Text in diesem Buch lesen, wenn auch erschwert. Ich bin längst nicht so gut wie mein Großvater, aber im Notfall könnte ich mich verständigen. Wahrscheinlich wird dieser Notfall aber wohl niemals eintreten, denn es gibt nicht mehr viele Menschen, die noch Gälisch sprechen. Obwohl ich gehört habe, dass sich wieder mehr Leute für die Sprache ihrer Vorfahren interessieren.

Das schwere Buch in der Hand stehe ich im Gang, lasse meinen Blick über all die wunderschönen Dinge streifen und wünsche mir, ich könnte sie alle berühren, in meinen Rollkoffer packen und mitnehmen. Ich will sie in mein kleines Apartment bringen, immer in meiner Nähe behalten und sie vor allen Gefahren beschützen, weil es mich unglaublich traurig machen würde, wenn ihre Geschichten verloren gingen. Bei dem Gedanken beginnt mein Herz aufgeregt zu rasen.

Wie ihr euch bestimmt denken könnt, ist so ein Laden für jemanden wie mich eine gefährliche Verlockung. Eine Falle, der man nicht widerstehen kann. Aber ich muss widerstehen, zumindest für den Moment, also versuche ich mich mit einiger Verzweiflung für eine einzige Sache zu entscheiden. Ich versuche die eine Sache unter all diesen Sachen zu finden, die zu mir spricht. Aber sie sprechen natürlich alle zu mir. Und so sehr ich sie böse anblicke, keins dieser wundervollen Erinnerungsstücke möchte auch nur eine Sekunde schweigen.

Sich entscheiden zu können, ist leider nicht meine größte Stärke. Genau genommen kann ich mich nur recht selten entscheiden. Etwa mein Auto, ein kleiner Fiat 500, mit dem ich von London bis hierher nach Inverness gekommen bin. Die Entscheidung für dieses Auto war ein wochenlanger Kampf mit mir selbst. Es gibt ja so viele hübsche, kleine, niedliche Autos. Ich habe etwa 30 Notizzettel mit den Pros und Contras beschrieben und wochenlang immer wieder durchgearbeitet, bevor ich endlich meine Entscheidung getroffen habe. Mithilfe meines Großvaters, der die Qual einfach kurz entschlossen beendet hat, indem er für mich mein Auto gekauft und es mir zum Geburtstag geschenkt hat.

Genauso ging es mir mit meinem allerersten Urlaub, viele Jahre ist das her. Da gab es Länder mit Stränden wie Spanien, die einen erholsamen Urlaub am Meer versprachen, in dem ich nichts weiter tun würde, als in der Sonne zu liegen und den an den Strand rollenden Wellen zuzusehen. Oder Mexiko! Welch geschichtsträchtiges Land mit einer mir völlig fremden Kultur, die so viel zu ergründen hat. Letztendlich habe wieder einmal nicht ich die Entscheidung getroffen, sondern meine Nachbarin, die mich eigentlich kaum kennt, da ich ja selten Zeit hatte, um unser nachbarschaftliches Verhältnis zu pflegen. Aber während unseres kurzen Gesprächs im Hausflur, das einzig Zustande kam, weil mir ein Reiseprospekt aus den Händen gerutscht war, als ich nach meinem Wohnungsschlüssel in meiner eigentlich viel zu großen Handtasche gesucht habe, hat sie mir angeraten, mich unbedingt für Mexiko zu entscheiden. Sie wäre sehr zufrieden mit ihrem Urlaub dort gewesen. Und ja, ich war auch zufrieden mit der Besichtigung der Quetzalcoatl-Pyramide. Jeder Stein, den ich berührt habe, hatte eine andere Geschichte zu erzählen.

Seufzend befingere ich den Ledereinband des dicken Wälzers in meinem Arm, beäuge das Silberservice, aus dem bestimmt die beiden hochfeinen Damen aus meiner Fantasie einmal getrunken haben, und liebäugle mit einer alten Messinglampe mit weißem Glaskörper. Die Lampe würde bestimmt sehr hübsch auf dem Schreibtisch in meinem Schlafzimmer aussehen, auf meinem »romantisch verträumten Anwesen«, aber sie könnte auf der Fahrt zerbrechen. Mein Auto ist so vollgeladen mit Kram, es wird schwer sein, etwas so Zerbrechliches unterzubringen. Das Silberservice hält auf jeden Fall der Reise stand, aber wahrscheinlich würde ich nicht wagen, es zu benutzen, um die Erinnerungen, die darin verborgen sind, nicht durcheinanderzubringen. Ich würde mich bestimmt fühlen, als würde ich es beschmutzen. Und das schwere Buch, eine wirkliche Last auf der Weiterreise, die es zu bewältigen gilt. Aber es hat die Jahrhunderte überdauert, also ist es wohl robust. Und es birgt altes, vielleicht längst verlorenes Wissen, dass ich neu entdecken könnte und mit der Welt auf meinem im Moment noch sehr bescheidenen Blog teilen könnte. Dann wäre es nicht länger verloren.

»Nehmen Sie das Buch«, sagt so unvermittelt jemand zu mir, dass ich vor Schreck heftig zusammenfahre und das Buch mir fast aus den Händen gleitet.

Ich sehe mit einem unsicheren Lächeln über die Schulter zurück und atme möglichst tief, um mein rasendes Herz zu beruhigen. Die Verkäuferin mit der dick umrahmten Brille habe ich ganz vergessen. »Meine Güte«, stöhne ich auf. »Mein Herz ist mir fast stehen geblieben.« Ich lache entschuldigend und nehme das Buch fester in meine Arme, drücke es gegen meine Brust und gehe zur Kasse, erleichtert, dass mir meine Entscheidung wieder einmal abgenommen wurde.

Es ist nicht nur einfach, wenn man andere Menschen entscheiden lässt, man macht sich selbst auch weniger Vorwürfe, wenn die Entscheidung eine schlechte war. Nicht, dass ich den Entscheidern dann Vorwürfe machen würde, sie können ja nichts dafür, dass ich nicht fähig war, das Richtige aus ihren Entscheidungen zu machen. Aber die meiste Zeit funktioniert alles ganz gut. Wahrscheinlich, weil ich jemand bin, der mit dem, was ihm gegeben wird, prima zurechtkommt. So wie mit dem Erwerb dieses Buchs, das schwer und klobig ist, aber dessen Inhalt jede Zelle in mir anspricht. Und während ich es zur Kasse trage, weiß ich, dass das Buch zu kaufen, die beste Entscheidung für mich ist. So ist es meistens. Irgendwann in einigen Minuten vielleicht hätte ich die gleiche Entscheidung getroffen. Nach reichlichem Abwägen. Ganz bestimmt.

Die Dame lächelt, schiebt sich die Brille mit dem schwarzen Rahmen auf der Nase zurecht und nimmt mir das Buch ab. Sie legt es auf den Verkaufstresen und wendet sich der alten Kasse zu, um den Preis einzutippen. »Dieses Buch wird ihnen gefallen«, sagt sie und klingt dabei so selbstsicher, dass ich fast glauben möchte, sie kennt mich sehr gut. Natürlich kennt sie mich nicht, trotzdem betrachte ich ihr Profil ein wenig genauer. Es ist mit ihr so wie es wahrscheinlich jedem Mal geht. Man sieht einen Menschen, dessen Gesicht einen an jemanden erinnert, nur weiß man nicht an wen. Aber die Ähnlichkeit ist da und deswegen kommt einem das Gesicht sehr vertraut vor. Als ich noch immer grüble, an wen sie mich erinnert, nennt sie mir den Preis, nimmt das Buch und lässt es in eine Papiertüte gleiten, auf der der Name des Ladens in dunkelgrünen Buchstaben steht.

Ich gebe ihr das Geld. »Das wird es bestimmt«, sage ich zufrieden, nehme ihr die Tüte ab, die sie mir mit zittrigen Händen entgegenhält, bevor das Gewicht ihre Arme nach unten reißt.

»Haben Sie einen schönen Urlaub«, sagt sie. »Sie haben doch Urlaub?«, hakt sie noch einmal nach, ohne mich anzusehen, weil sie eine Kopie meines Kassenzettels anfertigt und ihn in eine kleine silberne Schale wirft.

»Eigentlich nicht. Ich werde in die Nähe ziehen. Mein Großvater väterlicherseits hat mir ein Häuschen vererbt«, gestehe ich ihr, verstaue meine Geldbörse in meiner Handtasche und befestige die Papiertüte am Griff meines Rollkoffers. Ich hätte ihn auch im Auto lassen können, aber er ist nicht groß und beinhaltet alles, wovon ich glaube, dass ich es bei meinem Termin gleich vielleicht gebrauchen könnte: Geburtsurkunde, Reisepass, Ausweis, einen Brief meiner Großmutter väterlicherseits, der bestätigt, dass mein Vater Mr Szabo war, der Sohn des kürzlich verstorbenen Arthur Szabo. (Nicht, dass das nicht auch in der Geburtsurkunde steht, aber vielleicht glaubt Mr Henderson meiner Großmutter eher.) Außerdem befindet sich auch noch mein Abschlusszeugnis der Schule darin, ein Arbeitszeugnis meines ehemaligen Arbeitgebers und ein Teil meines Ersparten. Es wäre also ein Fehler gewesen, den Koffer im Auto zu lassen. Was nicht bedeutet, dass ich den Einwohnern dieser wunderschönen Stadt unterstellen möchte, sie würden in mein Auto einbrechen oder es gar stehlen. Aber es kam doch schon vor, dass mein Auto einmal abgeschleppt wurde, weil ich ein Parkverbotsschild übersehen habe.

»Sie sind Engländerin?«

»Meine Großeltern stammen aus Schottland, ich bin in England geboren, habe einen Teil meiner Kindheit in Amerika verbracht und lebe jetzt seit einiger Zeit in London«, antworte ich ihr bereitwillig und schwelge dabei in ihrem Highlandsdialekt, der mich an meine Großeltern erinnert und mir ein wohliges Gefühl von Geborgenheit gibt. »Also, die Familie meines Vaters und die meiner Mutter stammen beide aus Schottland. Die meines Vaters stammt von hier und die meiner Mutter aus Fort William. Meine Eltern haben sich auf der Universität in Edinburgh kennengelernt.«

»Also sind Sie auch eine Schottin«, sagt die Frau und zwinkert mir zu. »Ist ihre Unterkunft noch weit?«, will sie wissen und weist mit ihrem Kinn auf meinen Koffer.

»Unterkunft? Nein, ich hoffe, schon heute in meinem Häuschen schlafen zu können. Im Koffer befinden sich zum Großteil Dokumente für den Anwalt.« Ich werfe einen Blick auf mein Handy, auf dem noch immer die Karten-App offen ist. »Hoffe ich zumindest.« Ich versuche noch einmal zu ergründen, wen ich kenne, der der Ladenbesitzerin ähnlich sieht, dann nehme ich meinen Koffer und trete an die Tür.

»Auf die Technik ist leider nicht viel Verlass. Ich traue diesen Dingern nicht«, ruft sie mir nach. »Für das Häuschen wünsche ich ihnen viel Glück.«

Ich muss mir ein Lachen verkneifen, weil diese Aussage so treffend zu dieser Frau passt, deren Leben so sehr mit der Geschichte verbunden zu sein scheint, dass es weit über den Laden hinausgeht. Auch ihre Kleidung und ihre Brille waren wohl in einer anderen Zeit modern. Was ich unglaublich hinreißend finde. »Vielen Dank, wir sehen uns bestimmt bald wieder«, verspreche ich im festen Wissen, dass ich auf jeden Fall wiederkommen werde. Und sei es wegen des Silbers.

Sie nickt. »Danke, ich freue mich schon.«

»Danke«, sage ich auch und ziehe die Tür auf, lausche mit einem leisen Seufzer der Glocke über meinem Kopf und blinzle sogar gegen eine Träne an, als mir einfällt, an wen die Verkäuferin mich erinnert: an meine Großmutter. Eine jüngere Version von ihr. Wobei meine Großmutter »alten Krempel« zutiefst hasst. Aber sie akzeptiert ihn aus Liebe zu Großvater, solange er nicht in ihrer Küche herumliegt.

KAPITEL2

Erbe mit Besonderheiten

Es heißt, in Schottland regnet es sehr viel. Das tut es wirklich, hatten wir darüber schon gesprochen? Kaum verlasse ich den Laden, treffen mich golfballgroße Tropfen, und ich werfe der Papiertüte einen besorgten Blick zu. »Nur ein paar Schritte«, beruhige ich mich. »Ein paar Schritte bis in die Sicherheit, denn ich würde es wirklich hassen, wenn mein Buch nass werden würde«, knurre ich unter zusammengebissenen Zähnen und beeile mich, die wenigen Meter bis zur Kanzlei hinter mich zu bringen, bevor die Papiertüte durchweicht. Hinter mir rumpelt mein Koffer über das Kopfsteinpflaster. So hübsch Kopfsteinpflasterstraßen sind, aber sie sind ungeeignet für Rollkoffer und bei Regen zu rutschig für flache Turnschuhe.

Kaum erreiche ich eine dunkelblaue Tür, wird mir auch schon eine helfende Hand entgegengestreckt, die mir den Koffer abnimmt, noch bevor ich richtig registriert habe, dass dieser wunderschöne dunkelblaue Eingang, der Eingang zur Kanzlei ist. »Sie sind bestimmt Mrs Plum«, möchte ein Mann in den Vierzigern wissen.

Außer Atem blinzle ich den Regen aus den Augen und nicke. »Gwendolyn Plum, geborene Szabo. Ich war verheiratet. Für eine sehr kurze Zeit«, füge ich an, um zu erklären, weshalb ich nicht mehr den Namen meines Vaters trage. Ich gebe dem Mann meine Hand, er nimmt sie und zieht mich mit einem Grinsen in den Hauseingang. Der Schwung lässt mich gegen seine Brust stolpern, die wirklich hart und breit und sehr angenehm ist. »Tut mir leid«, entschuldige ich mich beschämt bei ihm.

»Mir nicht«, sagt er lachend, legt einen Arm um meine Taille und verhindert so, dass ich rückwärts die Stufe wieder hinunterfalle. Er bugsiert mich umständlich an seinem Körper vorbei in den Eingangsbereich, in dem mir sofort der Duft von frisch Gebackenem entgegenschlägt. Es riecht nach Vanille, Orangen und Zimt. Ich stoße einen genüsslichen Seufzer aus. Gebackenem konnte ich noch nie widerstehen, und einen Moment lang kann ich mich nicht entscheiden, welche Versuchung größer ist: der Mann oder der Duft, der aus der offen stehenden Tür rechts von mir zu kommen scheint. Aus der dringt auch das helle Lachen eines Kindes, auf das ein Hund mit einem aufgeregten Bellen antwortet.

Das muss ich gestehen: Jetzt, wo Mr Henderson vor mir steht, meine Fantasie lag meilenweit daneben. Der Mann ist weder muffelig noch alt. Er ist höchstens 5 Jahre älter als ich, groß gewachsen, sportlich gebaut und sehr attraktiv mit einem hübschen Lächeln. Ich hoffe, dass er nur am Telefon nicht besonders gesprächig ist. Es soll ja Leute geben, denen das Telefonieren gar nicht liegt.

»Meine Frau backt gerade mit unserer Tochter Kekse.« Er drückt seine Brille mit einem Finger auf der Nase nach oben, bevor er nervös einen Blick in Richtung Küchentür wirft. »Roger, zurück in die Küche«, befiehlt er einem mittelgroßen Hund mit spitzen Ohren und braunem Fell, der neugierig einen Blick auf mich wirft. Der Hund wendet sich sofort ab und geht wieder. 

»Es riecht ganz wunderbar«, gebe ich zu.

»Wenn Sie mögen, lasse ich welche ins Büro kommen«, schlägt er vor.

Noch bevor ich höflich ablehnen kann, lenkt mich Mr Henderson ab, indem er mich bittet, ihm in das Büro zu folgen. »Mein Name ist Henry Henderson«, stellt er sich vor.

Henry Henderson! Der Arme hat offensichtlich Eltern, die ihn entweder zu sehr oder zu wenig geliebt haben. Ich habe Mühe, das Lachen zu unterdrücken, das mir in der Brust sitzt. Deswegen also steht auf all seinen Briefen nur H. Henderson. »Wie war ihre Anreise?«, möchte er mit einem freundlichen Lächeln wissen und mustert meinen Mantel, der von der langen Autofahrt ganz knittrig ist.

»Lang, aber angenehm«, antworte ich mit einem Lächeln.

»Dann hoffe ich, Sie sind nicht allzu erschöpft. Das Anwesen liegt etwa eine halbe Stunde außerhalb von Inverness. In der Nähe von Dulsie.«

Er mustert mich wieder besorgt und bittet mich dann mit einer Handbewegung, mich auf einen Lederstuhl vor seinem Schreibtisch zu setzen. »Ich bin sofort wieder zurück«, sagt er und verlässt mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen das kleine altmodisch eingerichtete Büro. Nicht, dass altmodisch in diesem Fall negativ ist, ganz im Gegenteil. Ich liebe das dunkle Mobiliar aus massivem Holz. Vielleicht haben schon sein Vater und Großvater hinter diesem Schreibtisch gearbeitet und der kleine Henry Henderson hat in kurzen Hosen davor auf dem Teppich mit seinem Feuerwehrauto gespielt.

Während Mr Henderson weg ist, ziehe ich mein Notizbuch aus meiner Manteltasche und notiere mir schnell, warum ich glaube, dass ich zumindest den Kauf des silbernen Teeservices in Erwägung ziehen sollte. Nämlich, weil ich noch kein so schönes Service besitze und ich vielleicht doch den einen oder anderen Besuch bekommen könnte. Außerdem könnte es mir als Inspirationsquelle für meinen Regency-Liebesroman dienen. An dieser Stelle wird es Zeit, zu erwähnen, dass ich es liebe, mir über alles mögliche Notizen zu machen. Es ist sozusagen ein Tick von mir, so ziemlich jeden Gedanken aufzuschreiben.

Als Mr Henderson zurück in das Büro kommt, trägt er ein Tablett, auf dem eine Kanne steht, die den herrlichen Duft von schwarzem Tee verströmt. »Ich habe etwas für Ihre Stärkung geholt. Der Regen hat Sie heftig erwischt. Es tut mir leid, dass ich Ihnen keinen Parkplatz in der Nähe bieten kann. Hier im Umkreis ist das Parken überall verboten, weil die Straßen zu schmal sind.«

»Mein Auto steht auf dem Besucherparkplatz vor dem Museum.«

»Der Tee wird Sie auf jeden Fall aufwärmen.«

»Das wäre nicht nötig gewesen«, sage ich brav. Innerlich seufze ich bei dem Anblick des Tellers mit Keksen auf. Mein Magen teilt meine Freude und stößt ein lautes Knurren aus.

»Offensichtlich ist es doch nötig«, kommentiert Mr Henderson das Knurren lachend. Er schenkt Tee in zwei Tassen, fragt mich nach Zucker und Milch und ich bestätige beides. Dann legt er noch Kekse auf die Untertasse. »Sie sind noch warm.«

»O, so mag ich sie am liebsten. Vielen Dank«, antworte ich ihm und beiße stöhnend von dem Keks ab. Sofort macht sich der Geschmack von würzigem Zimt auf meiner Zunge breit. »Sehr gut«, stöhne ich ein weiteres Mal und kaue genüsslich, während Mr Henderson sich hinter seinen Schreibtisch setzt und in seinem Tee rührt.

Wahrscheinlich hat mein Make-up sich in Wohlgefallen aufgelöst durch den Regen, aber ich bin mir sicher, dass das nicht wirklich einen Unterschied macht, denn auch darin bin ich nicht sonderlich begabt. Wobei ich mir zugutehalte, dass ich es zumindest versuche, mich herzurichten und einen gepflegten Eindruck zu machen.

Ich esse eilig meine Kekse und trinke den Tee, denn mittlerweile kann ich es vor Spannung nicht mehr aushalten. Ich bin 34 Jahre alt, geschieden, 165 groß und wiege … nun, etwas mehr, als ich vielleicht sollte. Aber im Augenblick interessiert mich nur, was Mr Henderson mir zu sagen hat, denn dies hier ist wohl das Aufregendste, was mir jemals in meinem Leben passiert ist. Auch wenn das traurig klingen mag, aber es ist wahr. Und ja, es ist wohl auch etwas makaber, dass der Tod meines Großvaters, den ich nie getroffen habe - Gott hab ihn selig - mir das aufregendste Abenteuer meines Lebens beschert hat. So hoffe ich zumindest. Ich werde Schottland lieben, hat mein noch lebender Großvater gesagt.

»Zuerst sollte ich Ihnen wohl mein Beileid aussprechen. Soweit ich unterrichtet bin, hatten Sie nie das Vergnügen, Ihren Großvater zu treffen.«

Ich nicke bestätigend und stelle mein Geschirr auf dem Schreibtisch ab. »Mein Vater ist früh verstorben. Soweit ich weiß, hat er Schottland damals im Streit verlassen. Seine Eltern waren nicht glücklich mit der Entscheidung meiner Eltern, in die USA zu gehen. Er hatte nicht die Möglichkeit, sich wieder zu versöhnen.«

»Das tut mir leid«, meint Henry und rührt wieder in seinem Tee. Ich beantworte seine freundliche Floskel mit einem dankbaren Lächeln und unterdrücke das Bedürfnis meiner Beine, nervös auf und ab zu hüpfen. Wenn Mr Henderson nicht gleich beginnt, werde ich noch platzen vor Anspannung.

Er trinkt seinen Tee aus, dann greift er nach einer Mappe, die links von ihm ganz oben auf einem Stapel Papieren liegt, und schlägt sie auf. »Mrs Plum, Sie sind die letzte Hinterbliebene, weswegen Sie Alleinerbin sind.«

Ich reiße erstaunt die Augen auf. »Es gibt niemanden sonst? Keine Cousins oder Cousinen, von denen ich bisher nichts gehört habe? Ich hatte gehofft …«

Mr Henderson schüttelt bedauernd den Kopf. »Nur Sie. Soweit ich weiß, ging der Streit zwischen Ihrem Vater und seinen Eltern genau darum. Er wäre der einzige Erbe gewesen. Ja, und das ist offensichtlich das große Ärgernis gewesen, das Mr Szabo in eine so schwierige Lage gebracht hat, dass er seinem Sohn immer wieder Briefe geschickt hat, um ihn zu überreden, zurückzukommen. Bis zum Tod Ihres Vaters.« Mr Henderson sieht mich ernst an. »Es gibt da einige Besonderheiten, was dieses Erbe betrifft.«

»Besonderheiten?«, hake ich misstrauisch nach und kann nicht umhin, mich innerlich zu versteifen. Besonderheiten klingt gar nicht gut. Das ist wohl die Strafe dafür, dass ich mich über mein Erbe so sehr gefreut habe, ohne die nötige Trauer empfunden zu haben, die ein Tod nun einmal fordert. Und da ist es auch keine Entschuldigung, dass ich meinen verstorbenen Großvater überhaupt nicht kannte.

Er nickt aufmunternd, was mich nicht unbedingt beruhigt. Im Gegenteil, ich fühle mich eher alarmiert. »Das Anwesen darf nicht verkauft und nur von Ihnen persönlich bewohnt werden. Das ist die Bedingung. Und im Falle Ihres Ablebens sollten Sie dafür sorgen, dass das Anwesen nur an eine vertrauenswürdige Person weitervererbt wird.« Er lächelt mich abermals an. »Im besten Fall natürlich an Ihr eigenes Kind. Das war Ihrem Großvater sehr wichtig. Eine vertrauenswürdige Person, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist.«

Mein Mund klappt auf und ich starre Mr Henderson überrascht an. »Heißt das, ich soll so bald wie möglich ein Kind bekommen? Und woher wusste er, ob ich vertrauenswürdig bin? Er kannte mich doch gar nicht.« Zweifelnd lasse ich mir durch den Kopf gehen, was Mr Henderson gerade gesagt hat, und kann nur zu einem Schluss kommen, meinem Großvater lag viel an dem Anwesen und es war ihm wichtig, dass es nur in die richtigen Hände gelangen würde. Nun, zumindest dieser Aufgabe würde ich mich sehr verantwortungsvoll stellen. Ein mulmiges Gefühl habe ich dennoch bei der Sache. Wie das mit dem Kind funktionieren soll, kann ich im Moment noch nicht sagen. Das wird nicht so einfach werden, immerhin klopft die 40 bald an meine Tür. Um ehrlich zu sein, habe ich längst mit der Familienplanung abgeschlossen. Mir ist schon eine Weile klar, dass ich wohl kinderlos bleiben werde. Zumindest sieht es nicht so aus, als würde demnächst ein paarungswilliges Männchen in mein Leben treten.

»Das oder Sie setzen jemanden ein, der nach Ihrem Tod die Verwaltung des Anwesens übernimmt. Der mit allem betraut wird, was dieses Anwesen betrifft. Und Sie können sicher sein, Ihr Großvater wusste sehr viel über Sie. Er hat einen Privatdetektiv beauftragt, der alles über Sie herausfinden sollte, was es zu finden gab.«

Ich schnappe hektisch nach Luft und spüre regelrecht, wie mein Gesicht aufflammt. »Das hat er getan? Ich meine, was hat er denn rausgefunden?«, stammle ich aufgebracht und verwirrt. Vor Entsetzen kralle ich sogar meine Nägel in das Leder des Sessels, der nun wirklich nichts für das kann, was mein Großvater da so getrieben hat. Viel wichtiger, wenn dieser fremde Mann in meinem Leben gegraben hat, wieso habe ich nichts davon mitbekommen? Nicht, dass ich etwas zu verbergen hätte. Meine Bluse ist schneeweiß. Blütenweiß. Keine Sünden in meinem Sündenregister. Bis auf das eine Mal, als ich mit 7 Jahren einen Schokoriegel in einem Supermarkt habe mitgehen lassen. Aber selbst dafür gab es einen Grund: Tom Warren hat in der Pause den Riegel meiner damals besten Freundin Nina Keller gestohlen, den ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie hat so entsetzlich geweint, ich wollte ihr nur helfen.

»Ich würde sagen, nichts, was Sie in ein schlechtes Licht gerückt hätte, sonst säßen Sie jetzt nicht hier. Er wollte wohl einfach nur sicher sein, dass Sie wirklich die Richtige sind.«

»Er hat also nicht einmal meine nur 12-monatige Ehe beklagt?«, hake ich erstaunt nach, denn bisher hat jeder, der davon erfahren hat, mir immer diesen Blick zugeworfen, der mir das Gefühl gegeben hat, die Leute hätten Mitleid mit mir. Aber nur, weil sie glauben, ich wäre nicht dazu in der Lage gewesen, meinen Mann zu halten. Dabei war das eigentliche Problem, wir waren viel zu jung, haben uns kaum gekannt und Ehe und Studium nicht unter einen Hut bekommen. Meine Heirat war eine rein emotionale, leidenschaftliche und überhastete Entscheidung von zwei verliebten jungen Menschen gewesen.

»Nein, hat er nicht. Ihr Großvater war niemand, der vorschnell verurteilt, auch wenn er oft kritisch sein konnte.«

Ich nicke beruhigt. »Was stimmt denn mit diesem Anwesen nicht?«, will ich misstrauisch wissen, denn in meinem Kopf schrillen ganz unvermittelt etwa hundert Sirenen.

Mr Henderson weicht meinem Blick aus. »Nun, keine Sorge, mit dem Anwesen ist alles in Ordnung.« Er lächelt zaghaft, als ich ihn mit einer hochgezogenen Braue warnend mustere. »Bis auf die üblichen Spukgeschichten. Nichts Erschreckendes.«

»Nichts Erschreckendes?« Ich ziehe misstrauisch eine Augenbraue hoch und sehe Mr Henderson auffordernd an.

Er winkt ab. »Sie wissen doch, wie das hier bei uns ist. Kein Gemäuer, in dem es nicht spukt.«

»Also, wenn es weiter nichts ist. Mit Spuk komme ich klar«, sage ich lächelnd und entspanne mich. Spuk? Das ist doch lächerlich. Vielleicht bin ich doch zu Amerikanisch, um an so einen Quatsch zu glauben. Aber ich habe davon gehört, dass man es hier im Norden sehr ernst mit seinen Geistergeschichten meint. »Bleibt nur noch das Kind, das ich wohl offensichtlich bekommen soll. Das ist doch nicht wirklich eine festgeschriebene Bedingung? Ich meine, da steht doch nicht irgendwo im Testament, wenn ich kein Kind in den nächsten - sagen wir mal 5 Jahren - bekomme, wird mir das Erbe wieder weggenommen?«

Mr Henderson schüttelt mit einem versöhnlichen Lächeln den Kopf. »Nein, das steht hier nicht. Nur, dass Sie rechtzeitig für einen Nachfolger sorgen müssen. Eine Person, der Sie blind vertrauen. Am besten sollten Sie das eigentlich in absehbarer Zeit tun, denn man kann ja nie wissen. Wir leben alle nicht ewig.«

Da hat Henry Henderson wohl leider recht, das tun wir alle nicht. »Und wenn ich Nein sage. Wenn ich nicht wäre, wer würde dann das Anwesen bekommen?«, stelle ich ihm die Frage, die sich gewissermaßen regelrecht aufdrängt.

»Ich müsste jemanden finden, der vertrauenswürdig ist.«

»Vertrauenswürdig«, murmle ich nachdenklich. »Das scheint meinem Großvater außerordentlich wichtig gewesen zu sein. Er hing wohl sehr an dem Anwesen. Ist es schon lange in der Familie?«

Er zuckt mit den Schultern. »Mehrere Generationen und wird grundsätzlich an den erstgeborenen Sohn weitervererbt. In Ihrem Fall gab es keinen Sohn, also fällt es nun an Sie.«

Ich reibe mir über die Wangen und hole tief Luft. Ich bin hier. Ich habe meine Wohnung gekündigt, mein Leben in London, und damit auch das Drama um meine Ex-Arbeitsstelle für mich abgeschlossen, und ich hatte Pläne. Von ein paar Bedingungen werde ich mir diese doch nicht durchkreuzen lassen. In meiner Fantasie sehe ich mich schon umgeben von Hügeln im Grünen sitzen, vor mir mein Laptop, eine Tasse Tee und meine Notizen, an meinem Buch arbeiten. Sehr intensiv arbeiten. Ich sehe mich schon in einem Buchladen stehen und mein eigenes Buch bewundern. Bedingungen hin oder her, das ist mein Traum, ich habe ihn mir verdient. Ich habe ihn mir sehr genau erträumt in den letzten Wochen. Ich will ihn. Aber das mit den erstgeborenen Söhnen ist schon eine sehr altbackene und konservative Sache, gut dass damit jetzt Schluss ist. Sofern mir das Anwesen gefällt und nicht mit einer allzu bedenklichen Überraschung aufwartet. Bei all den Bedingungen erscheint es mir fast, als wäre da ein rotes Ausrufezeichen an meinem Erbe.

»Wie wäre es, wenn ich mir das Anwesen erst einmal ansehe und dann entscheide?«, schlage ich vor und sehe den Anwalt mit einer hochgezogenen Braue lächelnd an.

»Nun, das wäre mein nächster Vorschlag gewesen.«

KAPITEL3

Knutschkugel trifft Kuh

Das Anwesen erst einmal ansehen und dann entscheiden? Welche Wahl habe ich schon? Ich könnte wieder zurückgehen wie ein begossener Pudel mit eingeklemmtem Schwanz, und müsste mir eingestehen, es nicht geschafft zu haben. Das wäre ein gefundenes Fressen für Kelly Miller, die Assistentin meines Ex-Arbeitgebers, die sich über meine Pläne, meinen Job zu kündigen und ein Buch zu schreiben, so amüsiert hat, dass sie sich vor Lachen ihren grünen Smoothie über ihre blassrosa Bluse gekippt hat. Und mein Ex fand meine Ambitionen, ein Buch schreiben zu wollen, ohnehin schon immer lächerlich. Und genau deswegen muss ich es schaffen. Um zu beweisen, dass nichts an meinen Träumen lächerlich und dumm ist. Aufgeben kommt nicht infrage. Was könnte mich denn schon schlimmstenfalls erwarten? Ein Geist sicherlich nicht. Eine heruntergekommene Hütte mitten im Wald, inklusive windigem Dach und Schimmel. Vielleicht war ich doch etwas vorschnell, als ich das Wort Anwesen gehört habe.

Es ist mittlerweile dunkel geworden und die Straße, die wir entlangfahren, windet sich wie eine nicht enden wollende Schlange zwischen Hügeln und kleinen Bergen entlang. Links und rechts gibt es kaum mehr als schwarze Schatten. Hier und da taucht aus der Dunkelheit ein einzelnes Gehöft auf. Ich muss mich mit aller Kraft auf die roten Lichter vor mir konzentrieren und darauf, nicht von der Straße abzukommen oder Henry Henderson mit meinem kleinen Fiat in seinen viel größeren Toyota zu fahren.

Das einzige, was die undurchdringliche Dunkelheit hier draußen durchbricht, sind die zuckenden Lichter unserer Autos. Meine Handinnenflächen sind so verschwitzt vor Anspannung, dass sie das Leder des Lenkrads ganz rutschig machen. Im Übrigen schwitzen nicht nur meine Hände, sondern einfach jeder Zentimeter meines Körpers. Ich hasse es, nachts Auto zu fahren.

Ich habe es vielleicht noch nicht erwähnt, aber in London sind die Straßen auch bei Nacht taghell erleuchtet. Und hier gibt es nichts als Schwärze. Zur Hölle, ich kann kaum etwas sehen. Als Henry Henderson abrupt abbremst, passiert es fast. Aber wie auch immer, der liebe Gott hatte wohl seine Händchen im Spiel, ich schaffe es, bremsend gerade so an dem breiten Hintern des Toyotas vorbeizuschlittern. Ich weiß ja nicht, wie Mr Henderson mit Schäden an seinem Auto umgeht, aber meiner süßen kleinen Knutschkugel darf nichts geschehen, das würde mir das Herz brechen. Dankbar tätschle ich das Lenkrad und entschuldige mich bei meinem Fiat für die unangenehme Fahrt durch die schottischen Highlands. Als ich den Kopf hebe und in den Lichtkegel meines Autos starre, bleibt mir fast die Luft weg. Mitten auf der Straße steht tatsächlich eine Kuh mit langen gebogenen Hörnern. Sie steht dort und starrt eine Weile in die Lichter unserer Autos, bis sie mit einem gekränkt klingenden Muhen zurück auf die Weide zu ihren Kollegen geht.

Auf diesen Schock folgt sogleich der nächste. Ich starre aus der Frontscheibe des Autos auf etwas, das vor dem Hintergrund des nächtlichen Nichts noch dunkler wirkt. Aber ich bin mir sehr sicher, es ist ein Gebäude. Ich nehme das Fernlicht zur Hilfe und blende auf, um etwas mehr als nur schwarze Schatten zu sehen. Es hilft nicht viel, aber was ich da direkt vor mir sehe, ist eine Burg. Eine richtige Burg mit Turm und Zinnen. Die, wie Burgen es oft und gern tun, mitten im Nirgendwo auf einem kleinen Hügel steht. Und soweit ich das erkennen kann bei diesen Lichtverhältnissen, ist die Burg weder sonderlich groß, noch taufrisch. Vielmehr sieht man ihr ihr Alter deutlich an: Das Gemäuer ist dunkel und grau, wirkt nicht besonders einladend, und die Fenster sind schwarze Löcher. Immerhin gibt es einen hübschen kleinen Park mit gepflegten Hecken, einer kleinen Allee und einem kleinen Teich, dessen Wasser im Lichtkegel meines Autos sanft glitzert.

Ich öffne die Tür und steige aus dem Auto aus, weil Henderson es auch getan hat. »Das ist eine Burg«, stelle ich fest und er nickt.

»Richtig, gebaut irgendwann im 13. Jahrhundert, zuletzt renoviert 1957. Damals hat man Elektrizität und fließendes Wasser installiert.«

»Na immerhin«, stoße ich entgeistert aus. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit einer Burg.

»Sie werden überrascht sein, von außen mag es wirken, als stünden Sie vor einem grauen Kasten, aber das täuscht.« Henderson hält mir seinen Unterarm hin und schaltet eine Taschenlampe ein. »Ich würde Ihnen empfehlen, etwas Außenbeleuchtung anbringen zu lassen. Wir müssen die Burg ein Stück umrunden. Die große Eingangstür ist ziemlich schwer und hat an die einhundert Schlösser, deswegen nehmen wir den Seiteneingang. Der Vordereingang wurde meines Wissens seit Jahren nicht mehr benutzt, weil er so unbequem ist. Im Dunkeln ist es etwas unwegsam, aber wenn Sie sich festhalten, führe ich Sie sicher bis hinein. Ich war schon einige Male hier. Ihr Großvater hat in den letzten Jahren die Burg nur noch selten verlassen«, erklärt der gar nicht mehr so wortkarge Mr Henderson munter. Er deutet auf zwei massive steinerne Mauerreste links und rechts einer Kiesstraße, die gerade breit genug wäre, um mit einem Auto hindurchzufahren. »Hier war mal das Burgtor. Sehen sie diese Mauerreste hier und dort.« Er führt mich zwischen den beiden steinernen Säulenresten hindurch auf ein parkähnliches Gelände, in dessen Mitte sich der Teich befindet und zeigt auf weitere Mauerreste. »Früher war Castle Varrich mal viel größer, aber es gab einen Brand, bei dem ein Großteil der Burg zerstört wurde. Den Grundriss können Sie aber noch gut sehen.« Er blendet mit dem Licht der Taschenlampe auf Mauerreste, die höchstens noch einen halben Meter hoch sind und zum Teil von der Natur vereinnahmt wurden. »Das hier dürften die Wehrgänge gewesen sein. Und dort hinten befanden sich die Stallungen«, erklärt er gewissenhaft, bleibt stehen und wendet sich mit einem geheimnisvollen Zwinkern zu mir um. »Es geht das Gerücht, dass sich unter dem Hügel Höhlen befinden, in denen die MacKays in sehr frühen Zeiten gelebt haben. Später gab es hier ein Wikinger-Fort. Die Burg soll auf den Resten dieses Forts gebaut worden sein. Es heißt, die Höhlen wären ein Zugang zur Anderwelt. Das Volk der Túatha Dé Danann wäre dort unten von unserer Welt in die Anderwelt geflohen, nachdem sie von den Milesiern besiegt wurden. Es gibt angeblich zwei alte Gräber in einer der Höhlen. Aber das sind alles Spukgeschichten, nichts davon wurde je bestätigt. Nur die Existenz der Höhlen, die aber so verzweigt sind, dass sie seit Jahrzehnten versperrt sind, damit sich niemand dort unten verläuft. Der Zugang ist streng verboten, dort unten ist ein Teil schon vor langer Zeit eingestürzt. Ich kann Ihnen also nur ans Herz legen, nicht die Absperrung zu durchbrechen, um in den Höhlen spazieren zu gehen.«

»Interessant«, murmle ich, obwohl es mich nur beiläufig interessiert, ob sich unter meinen Füßen Höhlen befinden oder nicht. Der Gedanke lässt mich eher schaudern, als dass ich ihn anregend finde. Ich nehme Mr Hendersons dargebotenen Arm und lasse mich von ihm über weißen Kies um die Burg herum führen, während er mich geschichtlich über mein Erbe informiert.

Ich werde hier draußen dringend für irgendeine Art Beleuchtung sorgen müssen, da hat der gute Mann recht, denn trotz der Taschenlampe stolpern wir das eine und andere Mal über Unebenheiten im schmalen, unbefestigten Pfad. Vielleicht kleine Laternen, die ich links und rechts des Weges in die Erde stecken kann, und die sich mithilfe des Sonnenlichts am Tag für die Nacht selbst aufladen. Andererseits gibt es in Schottland nicht viel Sonnenlicht, also werde ich wohl doch eine andere Lösung finden müssen. Hoffentlich vergesse ich nicht, mir deswegen eine Notiz zu machen. Normalerweise würde ich jetzt sofort mein Notizbuch in Anspruch nehmen - ich bin einfach so, ich muss mir alles aufschreiben, weil ich der festen Überzeugung bin, wenn ich es erst mal notiert habe, festigt es sich besser in meinem Kopf -, aber im Moment brauche ich meine gesamte Konzentration für diese Nachtwanderung.

Wir umrunden die nächste Ecke, an der sich ein eckiger Turm befindet, der das eigentliche Gebäude noch einmal um eine Etage überragt. Als wir den Turm hinter uns gelassen haben, schälen sich ganz andere Schatten aus der Dunkelheit und für eine Sekunde bleibe ich atemlos vor einem gut zwei Meter hohem keltischem Steinkreuz stehen, das umgeben von weiteren kleinen Kreuzen und Grabsteinen ist.

»Ist das ein Friedhof?«, entfährt es mir überrascht.

»Ja, das ist ein Friedhof. Früher war es so, dass die Bewohner am Fuß einer Burg beerdigt wurden. Das Grab ihrer Großeltern finden sie unter der Eiche dort drüben.«

»Vielen Dank«, erkläre ich verwirrt. Ich hätte diese Information gerne nicht bekommen. Zumindest nicht mitten in der Nacht, während ich im Dunkeln auf einem Friedhof stehe. »Kein Wunder, dass die Leute glauben, hier würde es spuken.«

Mr Henderson lacht und führt mich weiter auf eine Tür zu, die im Vergleich mit der riesigen Pforte auf der anderen Seite der Burg wirklich klein ist, aber eigentlich hat sie eine normale Größe für eine Tür. Er holt einen Schlüsselbund aus seinem Aktenkoffer, an dem sich mehrere auffällig langweilige Schlüssel befinden und öffnet die Tür. Mit der Hand tastet er die Wand gleich neben der Tür ab, bis er gefunden hat, was er gesucht hat: den Lichtschalter.

»Wie ich versprochen habe, es gibt Elektrizität.«

Ich setze ein gespielt erleichtertes Lächeln auf. Noch bin ich nicht überzeugt von meinem Erbe, denn es ist einfach zu weit von dem weg, was ich mir erträumt hatte. Eine Burg! Was um Himmelswillen soll ich mit einer Burg anfangen? Auch wenn es im Grunde nur noch eine Halbe ist.

Wir stehen vor einer ausgetretenen steinernen Treppe, die sehr schmal ist und düster wirkt. Sonst gibt es hier nur noch eine kleine Kommode aus dunklem Holz, darüber ein paar Haken an der steinernen Wand. An einem dieser Haken hängt ein schlammgrüner Regenmantel.

»Ihr Großvater hat auch immer diesen Eingang genutzt«, erklärt Mr Henderson, als er meinen Blick auf die Jacke bemerkt. Er deutet auf eine Treppe, die neben der Kommode nach unten führt. »Dort unten befindet sich jetzt der Keller, früher wurden die drei Räume von Dienstboten bewohnt.«

»Die Dienstboten haben im Keller gewohnt?«, frage ich erstaunt nach und sehe ungläubig in die Dunkelheit.

»So war das früher eben.« Er weist nach oben. »Sind Sie bereit?«

Könnte ich jemals hierfür bereit sein? Ich nicke und folge dem Anwalt die ausgetretenen Stufen nach oben. Er öffnet eine knallrot gestrichene Holztür, tastet abermals sekundenlang nach dem Lichtschalter und lässt mir den Vortritt, sobald der schwarze schmiedeeiserne Leuchter unter der gewölbten Decke angeht. Ich schnappe überrascht nach Luft, als ich eine geräumige, aber nicht zu große Küche betrete. Weiße Echtholzmöbel wie aus einem Katalog befinden sich rechts und links an den Wänden. In der Mitte steht ein großer schwerer Tisch, dessen Tischplatte gut so dick ist wie meine Hand breit. Aber das Schönste in diesem Raum sind die blitzenden Kupfertöpfe, -pfannen und -kellen, die über einem Kamin hängen, dessen Rachen so riesig ist, dass Mr Henderson und ich uns gemeinsam reinstellen könnten.

»Sie können ihn noch immer als Kochstelle benutzen. Alternativ tut es natürlich auch dieser Ofen dort. Der müsste allerdings auch befeuert werden.«

Ich mustere den schwarzen Ofen mit den goldenen Verzierungen, der beinahe so groß ist wie mein Fiat 500. »So etwas habe ich schon in einer Jane Austen-Verfilmung gesehen«, sprudelt es aus mir heraus. Und tatsächlich sehe ich eine ältere, etwas rundliche Dame mit einem weißen Häubchen und einer berüschten Baumwollschürze in einem großen Topf rühren, als ich meine Finger staunend über den goldenen Griff der Ofentür gleiten lasse.

---ENDE DER LESEPROBE---