Highway Cowboys - Alfred Wallon - E-Book

Highway Cowboys E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Duke Herms, der Bürgermeister von Roswell, will die hübsche Sally Greenfield gegen ihren Willen zur Ehe zwingen. Aber Sallys Herz gehört schon längst dem Country-Sänger Johnny Taylor aus Nashville – und deshalb flieht sie von zuhause. Der wütende Bürgermeister schickt ihr zwei Privatdetektive hinterher, die sich an ihre Fersen heften...In der Bergregion von Kremmling / Colorado ist es zu einem verhängnisvollen Unfall gekommen. Ein schwarzer Truck hat einen zweiten von der kurvigen Straße abgedrängt und in die Tiefe stürzen lassen. Ein Zeuge hat gesehen, wie der Unfallverursacher die Flucht ergriffen hat. Aber dies ist erst der Anfang einer Serie von unerklärlichen Anschlägen auf andere Trucker, die im Auftrag der Associated Farmer´s Inc. Fracht transportieren...Jim Sheridan und Chris Morgan suchen dringend eine neue Frachtladung, weil sie knapp bei Kasse sind. Zum Glück bekommen sie einen Job. Eine Ladung Stahl- und Eisenträger soll nach Cartersville transportiert werden. Eigentlich reine Routine. Aber um ans Ziel zu gelangen, müssen sie durch das Dalton County fahren, und da hat Sheriff Buck Hawkeye Simpson das Sagen. Das sind aber nicht die einzigen Probleme, die Jim und Chris erwarten...Ein befreundeter Trucker hat Jim Sheridan und Chris Morgan einen Auftrag verschafft. Diesmal müssen Motoren und wichtige Ersatzteile nach Texas gebracht werden. Dort baut man eine neue Zementfabrik, und die Ladung ist eine wichtige Terminfracht, die gut bezahlt wird. Jim und Chris ahnen jedoch nicht, dass es dieser Job in sich hat...

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Seitenzahl: 603

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Alfred Wallon

Highway Cowboys

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Hetzjagd nach Nashville

2. Das Phantom von Colorado

3. Flut im Dalton County

4. Keine Chance für RED DRAGON

Über den Autor

Weitere Bücher des Autors

Impressum

Vorwort

Vor knapp 40 Jahren suggerierte die Werbung in Radio und TV den Geschmack von Freiheit und Abenteuer mittels eines schnauzbärtigen Cowboys, der genüsslich eine Zigarette rauchte. Dann folgte ein weiterer Zigarettenhersteller mit dem Motto Let´s go West. Zu dieser Zeit erlebte auch die Country Music hier in Deutschland erste Höhenflüge. Gruppen wie Truck Stop oder Gunter Gabriel ließen die deutschen Fans etwas von der unermesslichen Weite der amerikanischen Highways spüren – und spätestens seit dem Film Convoy mit Kris Kristofferson oder Ein ausgekochtes Schlitzohr mit Burt Reynolds waren die Trucker die neuen Cowboys unserer Tage. Filme und Bücher zeigten ein abenteuerliches Leben dieser einsamen Männer der Landstraße.

Auch hierzulande dokumentierte die TV-Serie Auf Achse mit Manfred Krug etwas von diesem Freiheitsgefühl, und zwei Heftroman-Verlage brachten sogar eigenständige Serien heraus, die ihre Leser fanden. Aus dieser Zeit stammen die vorliegenden Romane: Geschichten ohne Handys, Laptops oder Computer – vor 40 Jahren lag diese technische Entwicklung noch in weiter Ferne. Aber das Feeling von Freiheit und Abenteuer war dennoch spürbar.

- Alfred Wallon

1. Hetzjagd nach Nashville

Sally Greenfield blickte gehetzt hinter sich. Im fahlen Licht des Mondes erkannte sie in einiger Entfernung auf der Kuppe des Hügels die Scheinwerfer des Wagens, Panik überkam das schwarzhaarige Girl, als es sah, dass das Fahrzeug langsam, aber sicher näherkam.

Sally rannte weiter, als sei der Leibhaftige hinter ihr her und achtete dabei nicht auf den steinigen Weg unter ihren Füßen. Ihr Atem ging keuchend wie eine Dampfmaschine, und das lange schwarze Haar hing ihr in Strähnen im schweißüberströmten Gesicht, als sie weiter stolperte.

Sie dürfen mich nicht bekommen!, hämmerte es in ihrem Gehirn. Sie war von diesem Gedanken so besessen, dass ihr Körper ganz automatisch reagierte. Wie von einer geheimnisvollen Macht angetrieben, setzten sich ihre schlanken Beine wie von selbst in Bewegung, obwohl sie fast am Ende ihrer Kräfte war.

Wieder schaute sie hinter sich. Die County-Road durchzog das hügelige Land in schmalen Windungen. Es war eine schlecht befahrene Seitenstraße, die noch nicht mal als Zubringer zu den fernen Highways diente, aber für Sally war es das wichtigste, dass diese Straße aus dem Roswell County führte, und deswegen folgte sie ihr auch. Die Scheinwerfer des verfolgenden Wagens kamen immer schneller heran, und Sally wusste, dass sie nun handeln musste, oder sie war verloren.

Kurzentschlossen stoppte sie ihre Schritte und hastete dann eine Böschung hinunter. Sie war so in Eile, dass sie auf dem unebenen Gelände ins Stolpern geriet und mehr oder weniger unfreiwillig schneller im Graben landete als ihr lieb war.

Sally duckte sich hinter einem Dogwoodstrauch und beobachtete von ihrem Versteck aus das Fahrzeug. Die Scheinwerfer tauchten das Land in eine gnadenlose Helligkeit, als der Wagen langsam aber sicher näherkam. Das schwarzhaarige Girl duckte sich noch tiefer in den feuchten Graben, als sie es ohnehin schon tat. Schmutziges Wasser durchdrang die verwaschenen Jeans, und Sally begann zu frieren.

Es war ein alter Chevy, der jetzt oben auf der Straße vorbeifuhr. Sally blieb fast das Herz stehen, als der Wagen abbremste und mit laufendem Motor anhielt. Sie erkannte zwei Männer im Inneren des Fahrzeuges, und einer von ihnen blickte zufällig in ihre Richtung. Das Mädchen hielt ihre Hand vor den Mund, um nicht vor Angst laut aufzuschreien, aber der Mann im Auto konnte sie nicht entdecken. Die Drohung, die von den beiden Verfolgern jedoch ausging, war spürbar, und Sally wusste, dass die Männer nicht locker lassen würden.

Es verging fast eine Ewigkeit, so kam es Sally jedenfalls vor, bis der Wagen wieder Fahrt aufnahm und langsam beschleunigte. Sie wagte kein Glied zu rühren, bis das Fahrzeug im Dunkel der Nacht verschwunden war. Erst jetzt wagte sie sich wieder aus ihrem Versteck hervor. Ihre Hose war klitschnass vom Wasser des Grabens, und auch ihr Pullover war in Mitleidenschaft gezogen worden. Fröstelnd zog sie ihren Kapuzenmantel enger an sich, aber der konnte die Kälte nicht zurückhalten.

Schweren Herzens bückte sie sich nach der schäbigen Tasche aus Segeltuch, in der sie ihre wenigen Habseligkeiten verstaut hatte. Viel hatte sie bei ihrer Flucht nicht mitnehmen können. Das meiste hatte sie zu Hause lassen müssen, aber daran verschwendete Sally keinen einzigen Gedanken mehr. Was wichtig war, das war die Tatsache; dass sie unbedingt einen der nächsten Highways erreichen musste. Wenn sie das erst geschafft hatte, dann würde sie auch ihre Verfolger abschütteln können.

Sally stieg aus dem Graben empor und blickte vorsichtig in die Richtung, in der der Chevy davongefahren war. Die Landstraße war zu unsicher geworden, also musste sie jetzt den Weg querfeldein nehmen. Sally hoffte inständig, dass sie bald eine menschliche Behausung entdeckte, wo sie sich weitere Hilfe erhoffte.

Sally hastete weiter. Schon bald tauchte sie im Dunkel der Nacht unter. Irgendwo in der Ferne erklang der klagende Ruf eines einsamen Kauzes...

*

»Das gibt’s doch nicht!«, schimpfte der Mann hinter dem Steuer des alten Chevy »Das Girl ist auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Begreifst du das, Gary?«

Sein Beifahrer, den er Gary genannt hatte, zog den Kragen seines Trenchcoats unwillkürlich höher. Man sah ihm deutlich an, dass er wütend war.

»Was weiß ich?«, gab er unwillig zurück. »Vor einer Stunde hat man das Girl doch noch oben bei Juds Tankstelle gesehen, Jake! Und das war sie, darauf kannst du Gift nehmen...«

Der Mann hinter dem Steuer, der Jake Fuller hieß und eine kurze Lederjacke trug, bremste ab und brachte den Chevy zum Stehen. Er grübelte vor sich hin.

»Natürlich war es Sally Greenfield!«, stellte er mit leiser Stimme fest. »Die Beschreibung passte ja wie die Faust aufs Auge, Gary. Also hätten wir sie auf dieser Straße schon längst sehen müssen, oder? Du, ich sag' dir, die hat sich schon längst in die Büsche geschlagen!«

»Das wird Duke Herms aber gar nicht gefallen, wenn er das hört«, erwiderte Gary Hall. »Schließlich will er das Girl so bald wie möglich haben, und jetzt dauert es doch noch länger...«

»Der soll sich ja nicht beschweren!«, schimpfte Fuller. »Der Fettwanst sitzt in seinem bequemen Sessel und wartet ab. Glaubst du, mir macht es Spaß, in dieser gottverlassenen Einöde nach einem durchgebrannten Girl zu suchen, Mann? Ich könnte weiß Gott was Besseres tun, aber Herms hat uns einen anständigen Batzen Geld geboten, denk’ auch mal daran!«

»Hast ja recht«, antwortete sein Partner. »Aber wo zum Teufel wird sie denn stecken?«

»Ganz einfach« Fuller grinste und beugte sich hinüber zum Handschuhfach, wo er eine Karte hervorzog. »Hat doch ’nen Vorteil, wenn man sich über die Gegend hier informiert, Gary!«, sagte er lachend. »Zufällig weiß ich, dass hier in der Nähe ein oder zwei kleine Farmen liegen. Wenn ich das Girl wäre, dann würde ich zusehen, dass ich dorthin komme, oder was meinst du...?«

»Klingt ganz vernünftig, was du sagst«, stellte Hall fest, und er warf zusammen mit Fuller einen Blick auf den Road Atlas.

»Im Osten von Roswell liegt der Highway 285!«, stellte Fuller dann stirnrunzelnd fest. »Also kann sie nur in diese Richtung gelaufen sein. Gary, wir drehen um.«

Mit diesen Worten kurbelte Fuller heftig am Lenkrad und wendete den alten Chevy auf der staubigen Piste. Es ging schon auf Mitternacht zu, als das Fahrzeug in östlicher Richtung davonraste...

*

Barney Cunningham schreckte draußen aus dem Schlaf hoch. Während er die Schatten des Traumes vertrieb, hörte er schwach das Bellen seines Dobermanns. Mit fahrigen Fingern tastete er im Dunkeln nach der Nachttischlampe und knipste sie an. Das Licht der alten Funzel erhellte schwach den Raum, und Cunningham kam jetzt langsam zu sich.

Wieder schlug der Hund draußen an. Der fünfzigjährige Farmer, der hier draußen weit abseits der großen Highways sein Leben fristete, wurde misstrauisch. Sam war ein verdammt guter Wachhund, und wenn er, um diese Zeit einen solchen Lärm veranstaltete, dann hatte das auch seinen guten Grund.

Mühsam kletterte er aus dem Bett und streckte die tauben Glieder. Barney Cunningham lebte ganz allein hier draußen. Er liebte das Leben auf dem Lande und hätte nichts dagegen getauscht. Seine Freiheit und Unabhängigkeit war ihm heilig, und deswegen hatte er auch nie geheiratet. Der Hund Sam und er waren die einzigen Farmbewohner, aber beiden gefiel es ganz gut.

Während der Farmer hastig in seine Hosen fuhr und sich die Träger über die Schultern streifte, spähte er aus dem Fenster hinaus auf den Hof. Er erkannte seinen riesenhaften Dobermann, der vor der Scheune verharrte und laut bellte. Cunningham ließ den Hund nachts immer frei herumlaufen. Auf diese Weise hatte er schon manch unwillkommenen Besucher in die Flucht schlagen können. Es trieb sich ja so viel Gesindel heutzutage in der Gegend herum!

Er verließ das Schlafzimmer, stolperte hinüber in die Küche und holte aus einem wurmstichigen Schrank eine Schrotflinte heraus, die schon ein wenig Rost angesetzt hatte. Aber sie taugte immer noch dazu, um Karnickel zu schießen. Kurzentschlossen klemmte sich Cunningham die Waffe unter den Arm und riss die Haustür auf.

Sam, der Hund, bemerkte ihn sofort. Mit langen Sätzen kam der Dobermann auf ihn zugelaufen und sprang heftig winselnd an ihm hoch. Cunningham klopfte ihm beruhigend auf die Rückenpartie.

»Brav, alter Junge«, murmelte er. »Ist ja schon gut, Sam. Wollen wir doch mal sehen, wer uns da in die Falle gegangen ist...«

Er hob die Schrotflinte und zielte damit in Richtung der Scheune, wo sich irgendjemand verbergen musste.

»Komm raus!‘, rief er mit heftiger Stimme. »Ich hab’ hier eine Schrotflinte und werde auch damit schießen. Also raus aus der Scheune, bevor ich abdrücke!«

Für einen Augenblick herrschte Stille, dann tauchte eine zarte Silhouette im Scheunentor auf. Sam verhielt sich ganz aufgeregt. Er wollte losrennen und den Unbekannten Eindringling anspringen, aber der Farmer hielt den mächtigen Hund zurück. Dann schaute er selbst, wer der Fremde war, und war sehr erstaunt, als er erkannte, dass es ein Mädchen war. Unwillkürlich ließ er die Läufe der Schrotflinte sinken,

»Na, wen haben wir denn da?«, murmelte er. »Was wolltest du in meiner Scheune, Mädchen? Antworte gefälligst!«

Das Girl mit den langen dunklen Haaren zuckte zusammen, als es in die feurigen Augen des großen Hundes starrte. Es wagte sich nicht zu bewegen.

»Bitte nehmen Sie den Hund weg!«, rief das Mädchen und hob beide Hände. Barney Cunningham erkannte schnell, dass das Mädchen harmlos zu sein schien. Wahrscheinlich eine von der herumvagabundierenden Sorte, die von der Hand in den Mund lebte und keine Lust zum Arbeiten hatte. Eigentlich konnte er diesen Menschentyp auf den Tod nicht ausstehen, aber irgendwie erweckte das schüchterne Girl sein Mitleid.

»Na nun komm’ schon näher!«, forderte er sie auf. »Sam beißt dich schon nicht, und der alte Barney Cunningham wird dich schon nicht übers Knie legen, nur weil du vielleicht ein paar Hühnereier stehlen wolltest. Also, wie sieht’s aus?«

Das Mädchen nickte stumm und kam näher. Dabei behielt sie die ganze Zeit den riesigen Dobermann im Auge, der aber ganz friedlich war und auch nicht mehr bellte.

»Entschuldigen Sie, Mister!«, versuchte das Girl zu erklären. »Ich bin schon den ganzen Tag unterwegs und war müde. Ich wollte nur einfach...«

»Egal, was du wolltest, Mädchen!«, unterbrach sie der Farmer und wies mit der linken Hand aufs Farmhaus. »Jetzt kommst du erst mal rüber mit ins Haus und wärmst dich mal auf!«

Er warf einen missbilligenden Blick auf die verschmutzte Kleidung des Girls.

»Mein Gott, wie schlimm siehst du aus!«, stellte er kopfschüttelnd fest. »Du musst auch was essen, glaube ich. Na was ist los? Ich weiß, ich sehe nicht gerade aus wie Paul Newman, du brauchst aber keine Angst vor mir zu haben. Barney Cunningham ist ein ganz friedlicher Mensch, okay?«

Sein väterliches Lächeln überzeugte das Girl, dass sie ohne Sorgen mitgehen konnte. Während sie dem Farmer ins Haus folgte, warf sie noch einen kurzen Blick hinter sich, aber alles, was sie sah, war das Dunkel der Nacht.

*

Das Mädchen hatte Barney Cunningham seinen Namen genannt, und er bot Sally Greenfield einen Platz am Küchentisch an und hantierte dann selbst ein wenig in den Schränken und Töpfen herum, bis er schließlich das Passende gefunden hatte. Mit wenigen Handgriffen zauberte er in Minutenschnelle ein Omelette zusammen und sah mit Vergnügen zu, wie das Mädchen das warme Essen hastig herunterschlang. Erst als er sicher war, dass Sally auch wirklich satt war, schöpfte er sich den Rest auf den Teller und vertilgte ihn.

»Wo kommst du her, Sally?«, fragte Barney, während er mit einem Stück Brot die letzten Fettreste beseitigte. »Du bist doch nicht hier aus der Gegend, oder...?«

»Wie man' s nimmt!«, erwiderte das Girl achselzuckend. »Ich komme von einer kleinen Farm nördlich von hier, fast genau zwischen Roswell und Buford.«

»Bist aber ziemlich weit von zu Hause weg, fast vierzig Meilen!«, stellte Cunningham fest. »Bist wohl weggelaufen, oder? Brauchst mir nichts zu sagen, ich sehe dir doch an, dass du ein wenig Ärger hast. Aber ich will mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angehen, okay?«

Sally Greenfield wollte darauf gerade etwas erwidern, als der Hund anschlug und von draußen wenig später Motorengeräusch zu hören war, das stetig näherkam. Hastig sprang Sally vom Tisch auf und blickte gehetzt um sich, Barney Cunningham sah die Panik in den Augen des Mädchens und handelte sofort.

»Los, verstecke dich drüben im Schlafzimmer!«, befahl er ihr mit rauer Stimme. »Keine Angst, Sally, du kannst mir vertrauen.«

Sally spürte, dass der Farmer es ehrlich meinte und verzog sich schleunigst ins Schlafzimmer, wo sie mit angehaltenem Atem verharrte. Cunningham selbst spähte hinaus auf den Hof, wo eben ein alter Chevy zum Stehen kam und zwei Männer ausstiegen. Was wollten die denn um diese Zeit noch hier draußen? Das musste wohl mit dem Girl zusammenhängen...

Wenig später klopfte es draußen an der Tür. Der Farmer wartete noch einen Moment, dann schlurfte er langsam zur Tür und öffnete sie. Zwei Männer standen im Eingang, die nicht gerade einen vertrauenserweckenden Eindruck machten.

»Guten Abend, Sir!«, entschuldigte sich der kleinere von ihnen, der eine Lederjacke trug. »Mein Name ist Jake Fuller und das ist mein Freund Gary Hall. Wir sind Privatdetektive und sind auf der Suche nach einem Mädchen, das ihren Eltern die ganzen Ersparnisse gestohlen hat und dann durchgebrannt ist.«

Er gab dem Farmer eine genaue Beschreibung von Sally Greenfield und fragte ihn, ob er vielleicht irgendetwas in den letzten Stunden bemerkt habe:

Barney Cunningham traute den beiden Typen nicht über den Weg; Irgendetwas sagte ihm, dass an der Geschichte etwas faul war, und so beschloss er, diesen Männern etwas vorzugaukeln.

»Ich lebe allein hier, Mister!«, gab er mit barscher Stimme zurück. »Und alles, was ich haben will, ist meine Ruhe. Also verschwinden Sie von hier! Ich habe nichts gesehen und nichts gehört.«

Die Blicke des Mannes, der sich Jake Fuller genannt hatte, schweiften an Cunningham vorbei und prägten sich die Einrichtung des Küchenraumes genau ein. Aber alles, was er sah, war ein Raum ohne das gesuchte Girl.

»Schon gut, Mister!«, fügte Fuller dann hinzu und drehte sich um. »Wir wollten ja nur mal fragen...« Während er zurück zu seinem Auto ging, schärfte Hall dem Farmer nochmals ein, die Augen offenzuhalten und folgte dann dem Freund. Wenig später verschwand der Chevy in der Dunkelheit.

*

Jake Fuller starrte mit wütendem Blick hinaus in die Dunkelheit, die vom grellen Licht der Scheinwerfer durchbrochen wurde. Die Straße führte weiter in Richtung Süden, aber von dem Mädchen war immer noch keine Spur zu sehen. Verdammt, sie konnte sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!

Plötzlich durchfuhr es Jake Fuller! Mit einem Mal hatte er die Lösung gefunden! Abrupt trat er auf die Bremse, dass die Reifen des Chevy mit einem quietschenden Geräusch blockierten und Hall im Gurt nach vorne gerissen wurde.

»Sag mal, du hast sie wohl nicht mehr alle?«, schimpfte der Mann im Trenchcoat, der mit der Reaktion Fullers überhaupt nicht gerechnet hatte. »Was zum Teufel ist denn los mit dir?«

»Ich hab’s!«, stieß Fuller lachend hervor und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin! Hat uns der Farmer nicht erzählt, dass er allein auf der Farm lebt?«

»Hat er«, erwiderte Hall und schaute den Freund verständnislos an. »Und?«

»Weshalb standen dann zwei Teller auf dem Küchentisch, frage ich dich?«, rief Fuller. »Für verrückt hielt ich den Kerl nicht gerade, also muss er noch Besuch von irgendjemand gehabt haben, und ich sag’ dir, es war das Mädchen, Gary.«

»Dann fahr’ zurück, Mann«, empfahl ihm Hall. »Wir müssen sie kriegen, und jetzt haben wir eine gute Chance.«

Fuller nickte stumm und wendete zum zweiten Mal den Wagen auf der kleinen County Road. Die Scheinwerfer erhellten die Straße nur ganz dürftig, aber Fuller beschleunigte wie ein Irrer. Der Privatdetektiv trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, und Hall wurde durch die hohe Geschwindigkeit auf der holprigen Piste im Fahrzeug hin und her geschüttelt. Während hinter den Hügeln bereits die ersten Anzeichen des anbrechenden Tages zu erkennen waren, raste der Chevy auf Barney Cunninghams Farm zu.

Fuller erreichte die F arm in einer halben Stunde. Er stellte den Motor ab und blickte auf das Farmhaus, in dem kein Licht mehr brannte. Hall stieg aus und rannte auf die Scheune zu, deren Tor sperrangelweit offenstand. Hastig kam er zum Auto zurückgelaufen.

»Die sind auf und davon, Jake!.«, keuchte er. »In der Scheune muss ein Pick-Up-Truck gestanden haben. Was sollen wir tun, Jake?«

»Steig ein und halt’ den Mund!«, rief Fuller mit wütender Stimme. »Ich könnte mir selbst in den Hintern treten, dass ich nicht gemerkt habe, wie dieser alte Hundesohn uns reingelegt hat...«

*

Sally Greenfield drehte sich besorgt um und spähte ins Dunkel der Nacht. Es waren noch zwei Stunden bis zum Morgengrauen, und weiter oben in den Bergen waren bereits die ersten Kuppen in der Dämmerung zu sehen.

»Fahren Sie doch schneller, Mr. Cunningham!«, flehte das Mädchen den Farmer an, der am Steuer des Pick-Up-Trucks saß und fuhr, was das Zeug hielt.

»Du hast gut reden, Sally!«, antwortete der Farmer mit verbissener Stimme. »Die Kiste hat gut und gerne fünfzehn Jahre auf dem Buckel. Wunder vollbringen kann ich damit nicht mehr, ist doch klar, oder...?«

Sally streichelte das Fell des Dobermanns, der zu ihren Füßen lag. Sam war die Ruhe selbst und gab keinen Laut von sich, während sein Besitzer immer mehr nach Westen zuhielt, wo sich der Highway 75 erstreckte. Wenn Barney Cunningham es schaffte, die Zufahrt zu dieser Fernstraße zu erreichen, dann hatte er es geschafft. Er steuerte den Truck sicher über die holprige Piste. Hier draußen kannte er jeden Stein. Ab und zu warf er einen kurzen Blick zu dem schwarzhaarigen Mädchen hinüber, die sich abwechselnd mit dem Hund beschäftigte und dann doch wieder ängstlich nach hinten schaute.

»Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll, Mädchen!«, sagte er dann. »Und es interessiert mich auch nicht, was du wirklich ausgefressen hast,. aber eins weiß ich auf jeden Fall - die Kerle, die an meine Haustür geklopft hatten, die haben gelogen. Du gehörst nicht zu der Sorte, die stehlen, hab’ ich recht...?«

Sally wollte antworten, als Barney Cunningham im Rückspiegel Scheinwerfer bemerkte. Er stieß einen grässlichen Fluch durch die Zähne.

»Jetzt halt’ dich gut fest, Sally!«, forderte er das Girl auf. »Die Hundesöhne haben Lunte gerochen! Wollen wir doch mal sehen, ob mein alter Pick-Up noch was unter der Haube hat...«

Cunningham trat das Gaspedal voll durch, und der Motor heulte gequält auf. Die alte Kiste hustete und spuckte, aber sie beschleunigte, und Cunningham konnte wieder einen Vorsprung herausholen. Aber der Chevy gab nicht auf.

Der Farmer atmete erleichtert auf, als er im Morgengrauen sein Ziel erkannte. Pete’s Tankstelle war seine letzte Rettung, und er holte das letzte aus seinem Pick-Up-Truck heraus. Mit aufheulendem Motor raste er auf den Hof von Pete’s Gasstation, bremste ab und zog die Bremse an. Noch während er hastig aus dem Wagen stieg, kam der Besitzer der Tankstelle mit seinem Sohn aus der Werkstatt heraus gerannt. Pete Campbell und sein Sohn Howie betrieben eine kleine Werkstatt, in der sie manchmal die ganze Nacht hindurch Wagen reparierten, und es war Barney Cunninghams Glück, dass heute so eine Nacht war.

»Bist du von wilden Affen gebissen worden?«, schimpfte der glatzköpfige Campbell, als er erkannte, wer da wie ein Irrer auf seinen Hof gefahren war. »Hast du einen gesoffen, Barney?«

»Keine Zeit für lange Reden, Pete!«, unterbrach ihn der Farmer rau und wies auf das Mädchen, das immer noch in seinem Pick-Up-Truck saß. »Das Girl da hat Schwierigkeiten. Da sind zwei Kerle hinter ihr her, die dicht hinter uns sind. Pete, du musst uns helfen. Das Mädchen muss weg von hier...«

Pete Campbell war ein Mann, der nicht lange zögerte. Barney Cunningham war sein Freund, und wenn der Hilfe brauchte, dann war es selbstverständlich, dass er ihm half.

»Den MG, Howie!«, sagte er zu seinem Sohn. »Aber beeil’ dich!«

Howie Campbell rannte hinüber zur Werkstatt, und Sekunden später ertönte das Anlassen eines Motors. Der Sohn des Tankstellenbesitzers fuhr mit einem englischen MG, einem rasanten Sportwagen, auf den Hof. Währenddessen winkte Cunningham dem Mädchen, näher zu kommen. Sally hastete hinüber zu dem Sportwagen, die Segeltuchtasche unter den Arm geklemmt

»Stell’ jetzt keine Fragen, Mädchen, und steig’ ein!«, forderte sie Cunningham auf. »Howie wird dich mit seinem Schlitten zum allernächsten Truck Stop bringen. Von da aus musst du selbst sehen, wie du weiterkommst...«

Das Girl murmelte kurz einige Worte des Dankes, zu mehr blieb keine Zeit mehr. Eilig stieg sie zu Howie Campbell in den Wagen, und dieser fuhr grinsend los. Der MG beschleunigte dann sehr schnell. Mit diesem Wagen würden es die Verfolger nicht leicht haben. Der MG würde ihnen schön zeigen, was unter seiner Motorhaube steckte.

Cunningham pfiff dem Dobermann, der aus dem Wagen heraussprang und zu dem Farmer lief. Dann wandte er sich an Pete Campbell.

»Jetzt machen wir beide diesen Schnüfflern die Säcke voll, Pete, du alter Hühnerdieb.« murmelte er und wartete gespannt ab. Es dauerte nicht lange, bis er Motorengeräusche vernahm.

*

»Da vorne steht die Kiste, Jake!«, rief Gary Hall aufgeregt und fuchtelte wie wild mit den Händen. »Jetzt haben wir sie...!«

Jake Fuller bremste ab. Staub wirbelte auf, als der betagte Chevy zum Stehen kam. Die beiden Privatdetektive sprangen aus ihrem Wagen und hasteten hinüber zu dem Pick-Up-Truck, der verlassen auf dem Hof der Tankstelle stand. Plötzlich ließ sie das Knurren eines Hundes herumfahren. Fuller und Hall starrten in die funkelnden Augen des Dobermanns.

»Was wollen Sie denn schon wieder hier?«, rief jetzt Cunningham, der mit Campbell aus der Werkstatt trat. In seiner Armbeuge hielt er seine Schrotflinte. »Haben Sie noch immer nicht gefunden, was Sie suchen...?«

»Das Mädchen war bei Ihnen, Mister!«, rief Fuller wütend. »Wo ist sie? Sagen Sie es, sonst kriegen Sie Ärger, Mann!«

»Ich glaube, du bist nicht ganz richtig im Kopf, Junge!«, antwortete der Farmer und blickte Campbell verständnislos an. »Ich hab’ keine Ahnung, was ihr von mir wollt, ich weiß nur eins - ihr stört hier. Mein Freund Pete und ich gehen jetzt auf Waschbärenjagd!« Zur Verdeutlichung seiner Worte hob er die beiden Läufe der Flinte hoch. »Ich bin ein guter Schütze und treffe auch meistens. Also verpisst euch und sucht euer missratenes Girl woanders, aber nicht hier! Was ist, hört ihr schwer...?«

Die drohende Haltung des Farmers und der zähnefletschende Dobermann ließen die Detektive schließlich klein beigeben. Hastig stiegen sie in den Chevy und rasten davon. Pete Campbell blickte ihnen kopfschüttelnd nach.

»Komische Kerle«, murmelte er. »Komm’ jetzt rein, Barney! Ich glaube, du hast mir eine Menge zu erzählen...«

*

»Soll ich nun oder soll ich nicht, Jim?«, fragte Chris Morgan seinen Partner und grinste geheimnisvoll bis über beide Ohren.

»Wenn es dich beruhigt, darin spucke aus, was du auf dem Herzen, hast, alter Junge!«, erwiderte Jim Sheridan und setzte den Plastikbecher mit heißem schwarzen Kaffee ab. »Kannst mich auch nicht mal wenigstens dieses heiße Zeug in Ruhe trinken lassen, ohne dass dir plötzlich was einfällt, oder?«

»Wenn du sie dir mal näher anschauen würdest, dann begreifst du, was ich meine«, erwiderte der dunkelhaarige Chris Morgan und grinste immer noch in das Gesicht seines Partners, der gar nichts mehr verstand. »Mann, ich meine das Mädchen drüben am Fenster. Sieht die nicht Spitze aus?«

Der blonde Jim drehte unwillkürlich den Kopf in Richtung des Einganges der kleinen Roadhouse Tavern, in der die beiden Freunde vor einer halben Stunde eine kurze Kaffeepause eingelegt hatten. Das Mädchen in dem langen, regennassen Kapuzenmantel, das an einem kleinen Tisch in der Nähe des Fensters saß, war wirklich einen Blick wert. Lange schwarze Haare, die noch feucht vom Regen waren, umrahmten ein hübsches, wenn auch ziemlich blasses Gesicht. Neben dem Stuhl, wo sie sich niedergelassen hatte, stand eine schäbige Tasche aus altem Segeltuch, die ihr einziger Besitz zu sein schien. Ihre Hände umklammerten den heißen Kaffeebecher, während ihr Blick in dem kleinen Raum unruhig hin und her wanderte. Bisweilen schaute sie angestrengt hinaus in den Regen, der mit monotonem Prasseln gegen die Scheiben des Truck Stops klatschte.

»Und? Was meinst du?«, riss Jim die Stimme seines Partners wieder in die Wirklichkeit zurück. »Ich sag’ dir was, Amigo: jetzt geh’ ich rüber und lade die Kleine auf einen Drink ein. Die sagt doch bestimmt ja...«

»Du lässt sie am besten in Ruhe!«, erwiderte Jim, der mit wenigen Blicken festgestellt hatte, dass dieses Girl im Regenmantel offensichtlich eine ganze Menge Sorgen auf dem Buckel hatte. »Wenn du auch sonst der Schönste bist, aber die fliegt bestimmt nicht auf dich...«

»Wollen wir wetten, Alter?«, fragte Chris herausfordernd, denn er wusste genau, welche Wirkung er auf Frauen erzielte. Sein hässliches Gesicht musste wohl irgendetwas an sich haben, was faszinierend auf Frauen wirkte, und das wusste er ganz genau! »Egal, was du denkst, Jim! Bring’ mal deine wirre Frisur etwas in Ordnung, Mister. Schließlich möchte ich nicht, dass das Girl schreiend davonläuft, wenn sie dich sieht...«

»Tu’, was du nicht lassen kannst!«, antwortete Jim Sheridan achselzuckend und widmete sich wieder seinem Kaffee. Er war heiß und stark. Genau das Richtige bei diesem Hundewetter. Schon seit sie am frühen Morgen von Atlanta aufgebrochen waren, goss es wie aus Kübeln. Irgendwann hatten sie sich dann dazu entschlossen, zunächst erst einmal in Billy’s Roadhouse Tavern anzuhalten und sich aufzuwärmen. Irgendwann würde dieses Sauwetter ja mal aufhören...

Chris Morgan erhob sich und ging mit gezielten Schritten hinüber an der Theke vorbei zu dem Mädchen, das krampfhaft hinaus in den Regen starrte und gar nicht merkte, dass sich da jemand ihrem Tisch genähert hatte. Erst, als Chris sich kurz räusperte, wandte das Girl den Kopf. Sie blickte in ein grinsendes hässliches Gesicht, das auf sympathische Weise anziehend war.

»Ein gottverdammtes Hundewetter!«, stellte Chris nüchtern fest und griff in die Tasche seiner Lederjacke, um dem Girl eine Zigarette anzubieten. Die Schwarzhaarige schien noch nicht ganz zu wissen, was sie von Chris’ Annäherungsversuch halten sollte, aber dann hatte sie sich doch dazu entschlossen, wenigstens zu dem Glimmstängel zu greifen, Chris gab ihr Feuer, und sie bedankte sich mit einem kurzen Augenaufschlag.

»Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte Chris. »Hier drin ist nicht viel los, und mein Partner drüben am Tisch schläft bald ein vor Müdigkeit. Kein Wunder, er sitzt ja schon seit dem frühen Morgen am Steuer...«

Das schwarzhaarige Girl wollte darauf gerade etwas erwidern, als draußen Bremsen plötzlich quietschten. Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und versuchte, durch die regennassen, verschwommenen Scheiben etwas zu erkennen. Chris folgte ihrem Blick und erkannte die Schemen zweier Männer, die aus einem dunklen Wagen stiegen und mit hastigen Schritten hinüber zum Eingang gerannt kamen, während der Schlamm unter ihren Füßen aufspritzte.

Chris musste mit Erstaunen feststellen, dass das Mädchen mit einem Mal ängstlich wirkte, als die beiden Männer die Tür hereinkamen. In der Tat, die beiden Typen sahen alles andere als vertrauenerweckend aus. Ihre Gesichter wirkten entschlossen, und sie verharrten im Eingang und ließen ihre Blicke über den Raum schweifen. Außer Chris und Jim waren nur noch der Keeper und drei ältere Trucker anwesend, die an der Theke gemütlich ihren Kaffee schlürften.

Dann hatte der kleinere von beiden, ein Typ mit einer kurzen Lederjacke, das Mädchen entdeckt. Er nickte seinem Kumpan zu, der einen hellen Trenchcoat trug, zu und redete auf ihn ein.

Das schwarzhaarige Girl wurde noch bleicher. Ihre Finger zitterten, und der Kaffee im Plastikbecher schwappte über. Flehend richtete sich ihr Blick auf Chris Morgan, der zu begreifen schien, dass das Girl sich vor den beiden neuen Gästen fürchtete.

»Bitte helfen Sie mir, Mister«, flüsterte das Mädchen mit erstickter Stimme. »Bitte!«

So etwas brauchte man Chris Morgan nicht zweimal zu sagen. Erstens gefiel ihm das Girl mit den langen Haaren ohnehin, und zweitens gehörte er nicht zu denjenigen, die tatenlos zusahen, wenn ein Mädchen offensichtlich in der Klemme steckte, und das sah ganz so aus.

»Nun reg’ dich nicht auf, Mädchen!«, antwortete Chris Morgan mit beruhigender Stimme. »Ich weiß zwar nicht, weshalb du Angst vor diesen Kerlen hast, aber sie werden dir nichts tun, das verspreche ich dir!«

Währenddessen hatten sich die beiden Männer dem Tisch genähert. Einer von ihnen, der Typ mit der Lederjacke, musterte Chris wie ein lästiges Insekt, das man am liebsten mit der Hand vom Tisch wischte. Der andere richtete seine Blicke auf das Mädchen.

»Es ist gut, dass wir Sie endlich gefunden haben, Miss Greenfield!«, stieß er mit erleichterter Stimme hervor. »Jetzt hat die ganze Sache ein Ende. Seien Sie vernünftig und kommen Sie mit uns!«

»Yeah!«, fügte jetzt sein Freund hinzu. »Ihr Vater und Ihr zukünftiger Ehemann haben sich schon große Sorgen um Sie gemacht, aber das ist ja jetzt vorbei. Nehmen Sie Ihre Tasche. Das Spiel ist jetzt vorbei!« Seine Stimme klang entschlossen.

In den Augen des Mädchens flackerte Panik, gemischt mit einer Portion Angst und Wut.

»Warum lassen Sie mich nicht zufrieden?«, fragte sie. »Fahren Sie doch zurück nach Roswell und sagen Sie Duke Herms, dass ich ihn nicht heiraten will, verdammt!«

»Er ist es aber nun mal, der uns bezahlt, Miss Greenfield!«, antwortete der Größere. »Und das gibt den Ausschlag. Kommen Sie jetzt freiwillig mit oder sollen wir Ihnen dabei helfen...?«

Chris hatte bis jetzt die ganze Zeit geschwiegen. Auch Jim Sheridan, der noch drüben am Tisch vor seinem Kaffee saß, hatte aus den Augenwinkeln die ganze Szene beobachtet. Ihm war klar, dass Chris dem Mädchen helfen würde, und im Stillen machte er sich schon auf eine turbulente Viertelstunde gefasst.

»Hört mal, ihr beiden!«, meldete sich Chris jetzt zu Wort. »Ihr seht doch, dass das Mädchen nichts mit euch zu tun haben will. Also warum macht ihr nicht endlich die Mücke?«

»Das geht dich nichts an, Trucker!«, erwiderte Lederjacke. »Misch dich nicht in Dinge ein, die dich dein Nasenbein kosten könnten. Los jetzt, Miss Greenfield. Unsere Geduld ist am Ende!«

Er streckte die Hand nach Sally aus, die aufschreiend zurückwich, und das war zu viel für Chris.

»Lass deine schmierigen Pfoten von dem Girl!«, rief er, und dann war es auch schon soweit. Sein allzu jähes Temperament brach mit ihm durch. Seine Rechte zuckte vor und riss den Lederjackentyp zu sich. Dann drosch er ihm eine mit der Linken auf die Nase, dass der Kerl stöhnend zurücktaumelte.

»Du Hundesohn!«, keuchte Chris. »Dir werde ich es geben!«

Wieder sah er rot und vergaß in seiner ganzen Hektik, dass da noch der Typ im Trenchcoat war, der mittlerweile die Überraschung überwunden hatte und sich von hinten an Chris heranmachen wollte. Allerdings hatte er nicht mit Jim Sheridan gerechnet, der mittlerweile seinen Platz längst verlassen hatte und sich dem Kampfplatz näherte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Barkeeper erschrocken zurückwich und sich zu den drei älteren Truckern gesellte, die abwarteten, was weiter geschah.

Bevor der Kerl sich Chris greifen konnte, war Jim bei ihm.

»So nicht, Amigo!«, knurrte er und gab ihm einen Stoß, der ihn beiseite taumeln ließ. Der Typ stolperte über seine eigenen Füße und torkelte gegen die Theke. Mit dem Arm wirbelte er eine ganze Reihe von Gläsern beiseite, die mit Klirren zu Bruch gingen. Seine Augen blitzten vor Wut, als er den plötzlichen zweiten Gegner erkannte, aber Jim ließ ihm keine Chance zum Überlegen. Mit einigen Schlägen versetzte er den unfreundlichen Knaben ins Reich der Träume.

Inzwischen war auch Chris Morgan dabei, klare Patente zu schaffen. Während das Mädchen hastig beiseite gesprungen war, packte Chris Lederjacke und versetzte ihm einen Hieb, der ihn über den Tisch warf, an dem Chris noch vor wenigen Augenblicken einen harmlosen Flirt beginnen wollte. Umso wütender war er, dass man ihn dabei gestört hatte - und Chris Morgan verstand in solchen Dingen überhaupt keinen Spaß!

Der Kerl blieb stöhnend am Boden liegen und hielt sich mit beiden Händen das Gesicht. Wahrscheinlich hatte sein Nasenbein etwas abbekommen, und Chris freute sich darüber wie ein Schneekönig.

»Es ist gut, Chris!«, sagte jetzt Jim Sheridan und hielt den Partner zurück, der noch die Fäuste geballt hatte. »Ich glaube, die beiden Typen haben genug.«

»Ach!«, winkte Chris ab. »Hast recht, Jim. Die Jungs sind es nicht wert, dass man sich an ihnen die Finger schmutzig macht.«

Das schwarzhaarige Mädchen war erleichtert neben Chris getreten. Die Augen leuchteten voller Dankbarkeit, und es klammerte sich fest an den hässlichen Mann.

»Bitte nehmt mich mit, wenn ihr aufbrecht!«, rief Sally. »Ich habe Angst vor diesen Kerlen. Sie sind gemein und hinterhältig!«

Während der Kerl mit dem Trenchcoat den Schlaf der Gerechten schlummerte, versuchte der andere, sich vom Boden zu erheben, aber noch war er zu schwach dazu. Er fluchte, weil er so hilflos war.

»Sie kommen nicht weit, Sally Greenfield!«, zischte er. »Duke Herms will Sie haben, und er bekommt auch, was er will!« Dann richtete sich sein tränenverschleierter Blick auf Jim und Chris. »Euch wird es nochmal leidtun, dass ihr euch da eingemischt habt, ihr Bastarde!« stieß er hervor. »Ich, Jake Fuller, und mein Freund Gary Hall sind Privatdetektive, und ihr habt uns an der Ausübung unseres Jobs gehindert. Dafür werdet ihr büßen!«

»Riskier keine so große Lippe, Fuller!«, antwortete Chris mit gefährlich leiser Stimme. »Oder du bekommst noch was auf dein schäbiges Maul!«

Das half. Fuller hielt den Mund. Ohnmächtig musste er mitansehen, dass sein Partner und er für dieses Mal den Kürzeren gezogen hatten. Gegen die Trucker kamen sie nicht an.

»Wir sollten besser zusehen, dass wir wegkommen, Chris!«, empfahl jetzt Jim, der beobachtet hatte, dass der Barkeeper mit dem Telefon liebäugelte. Und die Polizei konnten sie jetzt gar nicht gebrauchen.

»Okay, du hast wie immer recht!«, erwiderte Chris und grinste dem Mädchen zu. »Auf geht’s, Girl. Die Sheridan-Morgan Trucking Company lädt dich zu einem Trip ein. Was hältst du davon?« Dann wandte er sich an den Barkeeper. »Ihr alle, habt gesehen, dass diese beiden Typen hier das Mädchen belästigt haben. Wir haben nur geholfen. Ich hoffe, dass euch das wieder einfällt, wenn diese Burschen hier noch Stunk machen wollen.«

Der Keeper nickte, und daraufhin verließen die beiden Trucker und das Mädchen Billy’s Roadhouse Tavern. Sie ahnten nicht, dass noch eine Menge Schwierigkeiten auf sie zukommen sollten...

*

Das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren und den hübschen Augen blickte immer noch ängstlich hinter sich, als Jim und Chris schön längst mit dem roten Kenworth den Truck Stop am Horizont hinter sich gelassen hatten. Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen und hinter den dichten Wolken suchten sich die ersten wärmenden Sonnenstrahlen ihren Weg ans Licht.

Jim saß am Steuer des RED DRAGON, hatte Platz genommen und dem Mädchen eine Dose Budweiser angeboten, die er aus dem Kühlfach zauberte. Das Girl, das immer noch kein Wort gesprochen hatte, nahm einen tiefen Zug und atmete dann erleichtert auf.

»Dem Himmel sei Dank!«, sagte sie. »Wenn ihr mir nicht geholfen hättet, dann hätten mich die Kerle erwischt!«

»He, Jim!«, rief Chris erfreut. »Unser schwarzhaariger Engel kann sogar reden - hätte ich gar nicht mehr geglaubt. Hast du denn auch einen Namen, schönes Kind?«

»Natürlich!«, antwortete das Mädchen. »Ich heiße Sally Greenfield und komme aus Roswell.«

»Das ist aber ziemlich weit weg von hier, Sally«, stellte Jim fest und schaltete in den nächsthöheren Gang. »Hat das vielleicht was mit den beiden Typen zu tun, die dich belästigt haben?«

»Die verfolgen mich schon seit Tagen«, erwiderte das schwarzhaarige Mädchen. »Heute hatten sie mich beinahe. Aber da kamt ihr und...« Sie stellte die Bierdose beiseite und vergrub den Kopf in den Händen. »Was habe ich denn nur getan? Dabei bin ich doch nur von zu Hause weg, weil ich diesen dämlichen Duke Herms nicht heiraten wollte!«

Chris war sprachlos.

»Sag mal, ich hab’ mich wohl verhört. Bist du etwa durchgebrannt, weil dieser Duke Herms dich heiraten wollte? Mein lieber Schwan - Mädchen, du bist ganz schön dickköpfig!«

»Was blieb mir denn anderes übrig?«, fragte Sally. »Herms ist der Bürgermeister von Roswell, und es gibt dort niemanden, der ihm widerspricht. Ihr müsst wissen, dass ich mit meinem Vater und meinen zwei Brüdern draußen auf einer kleinen Farm gewohnt habe. Es ging mehr schlecht als recht, und Vater sah keinen anderen Ausweg mehr. Er wusste, dass Duke Herms schon seit langem ein Auge auf mich geworfen hat und...«

»Er wollte dich zwingen, den Bürgermeister zu heiraten, nur damit er seine Karre aus dem Dreck ziehen kann?« Jim Sheridan war sprachlos. So etwas war ihm auch noch nicht untergekommen, und er hatte schon viel erlebt.

»Ich will diesen eingebildeten Geldsack nicht!«, stieß Sally wütend hervor. »Und das weiß der auch ganz gut. Was er nicht weiß, ist die Tatsache, dass ich so entschlossen bin. Ich würde mich eher umbringen als ihn zu heiraten!«

»Na, nun übertreib mal nicht«, beruhigte Chris Sally und fuhr ihr mit seinen rauen Fingern durchs Haar. »Dieser Duke Herms kriegt dich nicht so schnell - zumindest nicht, wenn wir dabei sind. Aber wie geht’s denn jetzt weiter mit dir? Was hast du vor, und wohin willst du? Dir ist doch klar, dass diese komischen Schnüffler vom Truck Stop noch nicht aufgegeben haben. Willst du ewig davonrennen?«

Sally schüttelte den Kopf.

»Ich muss nach Nashville, Chris!«, erwiderte sie. »Da ist jemand, den ich kenne, und der mir weiterhelfen wird. Er heißt Johnny Taylor und ist ein recht begabter Country-Sänger. Ich habe ihn vor zweieinhalb Wochen kennengelernt und ich, ich meine...«

»Du brauchst nichts mehr zu sagen!«, half Jim dem Mädchen. »Zwischen dir und Johnny hat’s, gefunkt, nicht wahr? Und jetzt willst du natürlich zu ihm, hab’ ich recht?«

Sally nickte. »Er hat gesagt, dass ich nachkommen soll, und dass er in Nashville auf mich wartet. Aber bis nach Tennessee ist es noch weit, und ich habe Angst vor Duke Herms und vor dem, was er sich noch alles einfallen lassen wird. Ihr kennt ihn nicht, Jungs. In Roswell tanzen alle nach seiner Pfeife, und ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass er sich bis auf die Knochen blamiert, wenn erst mal feststeht, dass ihm seine zukünftige Braut davongelaufen ist. So etwas schluckt ein Mann wie Duke Herms nicht Er wird nicht aufgeben, das weiß ich, und deswegen habe ich Angst!«

»Na, dann lass uns dir mal helfen, Sally«, fügte Chris grinsend hinzu. »Zufälligerweise haben wir die gleiche Richtung. Wir haben eine Ladung HiFi-Anlagen zu transportieren, und rate mal, wohin wir die bringen müssen?«

»Nach Nashville?«, fragte jetzt Sally zögernd, einen schwachen Hoffnungsschimmer in den Augen.

»Ganz richtig, Mädchen!«, antwortete Jim. »Und bis dahin ist sicher, dass du mit uns fährst. Also jetzt legst du dich am besten erst mal aufs Ohr, okay? Du hast eine Menge mitgemacht und benötigst Ruhe. Wir versprechen dir, dass dieser Duke Herms dich nicht bekommt, nicht wahr Chris?«

»Ist doch klar, Partner«, erwiderte Morgan. »Aber jetzt müssen wir uns beeilen, Jim, wir tauschen den Platz. Lass’ mich mal ans Steuer und dann geht’s ganz schnell nach Chattanooga.«

*

Duke Herms war ein Mann, der das Befehlen gewohnt war. Seine ganze äußere Erscheinung drückte den eisernen Willen aus, den er besaß und auch andere spüren ließ. Der Bürgermeister von Roswell war fünfundvierzig Jahre alt, wirkte aber noch jünger, weil seine Haare noch keine einzige graue Strähne zeigten. Er war groß und fettleibig, denn er regierte alles vom Schreibtisch aus.

Im Augenblick war Duke Herms alles andere als selbstsicher und gelassen. Er hatte den alabasterfarbenen Telefonhörer in der rechten Hand, die mit teuren Ringen besetzt war, und fluchte wie ein Rohrspatz.

»Ihr unfähigen Hundesöhne!«, schnaubte er zornig in die Muschel. »Wofür bezahle ich euch denn eigentlich? Ihr seid nichts weiter als zweitklassige Hintertreppenschnüffler!«

Jake Fuller, der Privatdetektiv, hielt am anderen Ende der Leitung den Hörer auf sichere Entfernung, weil sein Auftraggeber so laut brüllte, dass es in den Ohren schmerzte. Erst als er sicher war, dass Duke Herms sich wenigstens etwas beruhigt hatte, nahm er den Hörer wieder ans Ohr.

»Sind Sie noch da, Fuller?«, quäkte es aus der Leitung.

»Jawohl, Mr. Herms, Sir!«, erwiderte der Privatdetektiv mit verkniffenem Gesicht und blickte seinen Freund Hall mit bitterer Miene an, aber das konnte Duke Herms zum Glück nicht sehen. Für ihn existierte nur die Tatsache, dass Sally Greenfield immer noch nicht da war, und die Hochzeit war schon für das kommende Wochenende angesetzt. Er würde eine Menge zu erklären haben, wenn dieser Termin platzte, und diese Schande konnte er sich in Roswell nicht leisten, denn dann war er fertig, und das wusste er auch.

»Ein roter Kenworth, sagten Sie, Fuller?«, fragte jetzt Herms. »Was konnten Sie herausbekommen?«

»Nicht viel, Sir!«, ertönte es am anderen Ende der Leitung. »Mein Freund Gary hat den Besitzer des Truck Stops gefragt. Die beiden Typen, mit denen Sally Greenfield abgehauen ist, heißen Jim Sheridan und Chris Morgan, aber sonst wusste der auch nichts. Tut mir leid, Sir!«

»Mir auch«, zischte Herms erregt. »Hören Sie zu, Fuller!«, fuhr er dann fort. »Sie bleiben mit Ihrem Partner auf der Spur des roten Trucks. Bleiben Sie auf dem Highway und halten Sie sich in Richtung Norden. Und rufen Sie mich alle zwei Stunden an. Vielleicht habe ich dann neue Instruktionen für Sie, haben Sie das verstanden, Mann?«

Dann legte er auf, ohne abzuwarten, wie sich Jake Fuller verhalten würde. Der Privatdetektiv fluchte leise, weil Duke Herms das Gespräch unterbrochen hatte. Gary Hall stand neben ihm und schaute seinen Partner an.

»Und?«, fragte er. »Was hat er gesagt? Sollen wir weitermachen?«

»Dieser schmierige Fettsack!«, rief Fuller erregt. »Der behandelt uns, als seien wir der letzte Dreck. Gary, wenn die Prämie nicht so hoch wäre, dann würde ich ihm den ganzen Kram vor die Füße schmeißen. Aber wir haben den Job nun mal angefangen, und wir werden ihn auch zu Ende bringen. Diese Trucker haben zwar fürs erste gewonnen, aber die Tracht Prügel zahle ich denen heim, und wenn ich dieses blöde Weibsstück in die Finger bekommen, dann versohle ich ihr erst mal den Hintern. Was haut sie auch ab? Soll sie doch den fetten Herms heiraten, der hat doch genug Geld.«

*

Der rote Kenworth fuhr der aufgehenden Sonne entgegen. Sie hatte den Zenit fast erreicht und tauchte das Land in wohltuende Wärme. Der Asphalt glitzerte noch von der Nässe des Wolkenbruchs, aber es würde nicht lange dauern, bis auch der letzte Wassertropfen von der wärmenden Sonne aufgesogen worden war.

Sally Greenfield hatte während der ganzen Stunden tief und fest geschlafen, und die dramatischen Ereignisse in Billy’s Roadhouse Tavern lagen Meilen hinter ihr. Jetzt hatte sie trockene Kleidung angezogen und spähte hinter dem Vorhang hervor, der die Schlafkabine von dem komfortablen Führerhaus trennte. Ihr Blick strahlte schon etwas mehr Zuversicht aus.

»Willst du was essen, Sally?«, fragte Jim, der das Mädchen bemerkt hatte. Wir haben aber nur noch drei Hamburger von gestern da. Wenn’s dir nichts ausmacht...«

Das schwarzhaarige Girl winkte ab.

»Ach, das ist halb so schlimm. Hauptsache ist, dass ich das alles so gut überstanden habe, und ein alter Hamburger ist gerade das richtige, um wieder zu Kräften zu kommen, oder?«

Sie nahm die karge Mahlzeit aus Jims Händen entgegen. Während sie hastig aß, warf Jim einen besorgten Blick zu seinem Partner hinüber. Offensichtlich hatte Sally lange nichts mehr gegessen. Das war ja auch kein Wunder! Schließlich hatte sie die ganze Zeit vor diesen beiden Detektiven fliehen müssen, und da blieb nicht viel Gelegenheit, in Ruhe was Warmes zu verdrücken.

»He, was ist das denn eigentlich für ein Truck?«, fragte Sally kauend und zeigte sich sehr interessiert.

»Ein Kenworth – direkt aus Detroit City, Schatz!«, erwiderte Chris mit sichtlichem Stolz. »Hat ganze 400 PS unter der Haube - und unser RED DRAGON hat noch zusätzlichen Allradantrieb. Da kommen wir noch durch, wo andere Trucks schon längst stehengeblieben sind. Und genau so was brauchen wir...«

»Ach, ihr fahrt auf eigene Rechnung«, stellte Sally überrascht fest. »Müsst ihr da nicht ganz schön zupacken?«

»Das schon, Sally!«, erwiderte Jim. »Aber dafür bestimmen wir, was geladen wird. Uns schreibt keiner vor, was wir transportieren sollen. Die Bosse sind Chris und ich, und sonst keiner, verstehst du?«

»Und jetzt geht’s nach Nashville, ja?«

»Ha, ich sag’ dir - Hank Snow nimmt keine einzige Platte auf, bevor wir nicht unsere Ladung in die Studios bringen!«, sagte Chris scherzhaft.

Sally wollte darauf gerade etwas erwidern, als sie im Seitenspiegel ein Fahrzeug der Highway Patrol erkannte, das mit heulendem Blaulicht rasch näherkam. Unwillkürlich zuckte sie zusammen.

»Die Polizei ist hinter uns«, flüsterte sie. »Und sie kommen immer näher...«

»Na, so schnell können uns die beiden Kerle die Bullen nicht auf den Hals gehetzt haben. Die Smokeys brauchen schon etwas Zeit, bevor sie wach werden«, versuchte Chris das Girl zu beruhigen. »Da steckt bestimmt etwas anderes dahinter, aber das bekommen wir ganz schnell raus!«

Während der Ford der Highway Police mit heulender Sirene an dem roten Kenworth vorbeizog und dabei noch wie wahnsinnig beschleunigte, griff Chris nach dem CB-Funkgerät und drehte am Channel 14. Vielleicht wusste irgendeiner der anderen Trucker, weshalb die Smokeys in diesem Distrikt Feuer unterm Hintern hatten.

»Ten four, friends!«, sprach Chris mit lauter Stimme ins Mike. »Gerade ist ein Bear an mir vorbeigerast, als wollte er in einer halben Stunde in Chattanooga sein. Weiß jemand was?«

»Wahrscheinlich kann er dein hässliches Gesicht nicht ertragen, Mister!«, gab eine dunkle Stimme zurück, die Chris Morgan nur allzu gut kannte.

»Steve Barclay!«, rief er mit erstaunter Stimme und grinste Jim zu. »Was treibt dich Maultierdieb denn in diese verlassene Gegend, Buddy?«

»Na was wohl?«, tönte es über das CB zurück. »Die Barclay Freightlines sind Tag und Nacht unterwegs, im Gegensatz zu euch Pennern.«

»Gib mir mal das Ding rüber, Chris!«, forderte ihn Jim auf, »bevor Steve wieder zu lästern anfängt. Du weißt ja, was er für eine Schnauze hat!« Dann nahm er das Mike an sich. »Hier ist Jim Sheridan. Steve, Chris hat dich vorhin etwas gefragt, also tu uns den Gefallen und spucke aus, ob du was weißt. Wenn nicht, dann mach bitte den Kanal frei, klar?«

»Warum immer so hitzig, Jim?«, dröhnte jetzt die Stimme des alten Halunken Barry Winwood über CB, der es sich nicht verkneifen konnte, auch was zu sagen. »Aber jetzt pass auf. Kurz hinter Cartersville hat es ganz schön gekracht. Wir haben die Smokeys abgehört. Vollsperrung des Highways 75. Jungs, wenn ihr nicht in einen Stau reinkommen wollt, dann seht zu, dass ihr die nächste Abfahrt nehmt.«

»Danke für den Tip, Barry!«, gab Jim kurz zurück. »Vielleicht können wir uns mal revanchieren.«

»Das könnt ihr schon bald tun, Jungs. Wie wär’s, wenn wir uns in Chattanooga bei Big Dave treffen, und du gibst einen aus, Old Jim?«

»Klingt interessant, Barry!«, gab Jim zurück. »Zufällig liegt Chattanooga auf unserer Strecke, also abgemacht.«

»Dann beeilt euch mal, damit die Steaks nicht kalt werden!«, scherzte Barry Winwood. »Ihr mit eurer lahmen Kiste braucht ja doch immer eine halbe Ewigkeit, ha!«

»Das werden wir sehen!«, erwiderte Jim kurz. »Also bis später.«

»Los, Chris, wir nehmen die nächste Abfahrt, und dann werden sich unsere Freunde ganz schön wundern.«

Er griff hinter sich und holte einen Road Atlas hervor. Nun, der Umweg würde nur ein paar Meilen kosten. An Chatsworth vorbei und dann bei Dalton wieder auf den Highway 75. Die Straße war nicht schlecht, das sagte zumindest der Atlas, aber der Allradantrieb würde schon seinen Teil dazu beitragen.

Kurz vor der Anhöhe, die hinauf nach Cartersville und damit zu der Unfallstelle führte, verließen Jim und Chris mit dem RED DRAGON den Highway 75. Das Schild an der Ausfahrt zeigte die Aufschrift Chatsworth 20 Miles. Dass dies die längsten Meilen für die beiden Trucker und ihren Kenworth werden sollten, das konnten weder Jim noch Chris ahnen.

Wenige Meilen vor der Abfahrt nach Chatsworth legte ein Mann das CB-Mike beiseite. Er grinste seinem Freund zu, der eine kurze Lederjacke trug und am Steuer eines alten Chevy saß, der schon bessere Zeiten erlebt hatte. Eine halbe Stunde später erreichten auch diese Männer die Highway-Abfahrt. Es hatte sich gelohnt, dass sie den CB-Funk abgehört hatten. Die Spur war wieder heiß, und die Dollars, die Duke Herms ausspucken würde, lockten...

*

Doug Milburn besaß die einzige Tankstelle im Umkreis von dreißig Meilen, und darauf war er mit Recht stolz. Jeder, der nicht auf den großen Highways unterwegs war und auf den Nebenstrecken nach Chattanooga wollte, der musste wohl oder übel an Doug's Gasstation vorbei. Der clevere Milburn, der notorischer Junggeselle war und auch sonst gern zurückgezogen in dem alten Haus neben der Tankstelle wohnte, hatte diese Marktlücke voll im Griff. Bei ihm kostete das Benzin fast zwanzig Cents mehr als anderswo, aber jeder, der hier haltmachte, bezahlte den unverschämten Preis zähneknirschend, weil er weiterwollte.

Doug Milburn war ein Mann, den Wind und Wetter gezeichnet hatten. Er war groß und klapperdürr und sah aus wie ein Tramp. Aber das war ihm vollkommen egal. Hauptsache, die Dollars stimmten und man ließ ihm seinen Frieden.

Direkt an der Tankstelle führte die schmale Landstraße vorbei, und auch heute Morgen hatte es sich Doug Milburn wieder einmal gemütlich gemacht, Er saß in einem alten Schaukelstuhl auf der Veranda, und neben ihm stand ein altes Grammophon, auf dem mit quäkenden Tönen Merle Haggards Song Send me back home erklang.

Milburns Ruhe wurde plötzlich gestört, als er in der Ferne eine kleine Staubwolke erkannte, die sich rasch näherte. Schon bald erkannte er die Umrisse eines alten Chevy, der schnurstracks auf die Gasstation zuhielt. Die Lethargie des Tankstellenbesitzers wich dem geschäftlichen Interesse. Kundschaft war in Sicht, und jetzt galt es, Geld zu verdienen. Also gab er dem Grammophon einen kurzen Tritt, und Merle Haggards ausdrucksvolle Stimme wurde jäh unterbrochen.

Abwartend schob sich der klapperdürre Milburn den Strohhut tiefer ins Gesicht, um sich vor der Sonne zu schützen, die mittlerweile schon hoch am Zenit stand. Er hatte recht gehabt. Es war ein alter 57er Chevy, der auf die Tankstelle zuhielt, und im Wagen saßen zwei Männer.

Mit quietschenden Bremsen kam der Wagen direkt vor der Zapfsäule zum Stehen, und Doug Milburn setzte sein freundlichstes Lächeln auf, denn es konnte nie schaden, wenn man seine Kunden fröhlich stimmte.

»Howdy, Gentlemen!«, tippte er zum Gruß an seinen speckigen Strohhut. »Was darf’s denn sein?«

»Zuerst einmal volltanken!«, sagte der eine von beiden Insassen, der eine kurze Lederjacke trug. »Dann sehen wir weiter!«

Doug Milburn nickte stumm und machte sich an der Zapfsäule zu schaffen. Während er mit geübten Handgriffen den Tank füllte, beobachtete er durch die Heckscheibe den Mann mit der Lederjacke und seinen Beifahrer, die eine heftige Diskussion zu führen schienen, und er hätte was dafür gegeben, wenn er gewusst hätte, um was es dabei ging.

Schließlich schienen die beiden einen Entschluss gefasst zu haben, und der Beifahrer drehte sich zu Doug Milburn kurz um. Er grinste ihm freundlich zu, und der Tankstellenbesitzer ahnte nicht, was in den nächsten Minuten geschehen sollte.

»Das wär’s dann, Fellers!«, sagte er. »Das macht zwanzig Dollar und dreißig Cents. War’ mir lieb, wenn Sie’s passend haben, ich bin nämlich knapp mit Kleingeld.«

»Natürlich, Freund!«, sagte der Mann am Steuer und griff in die Innentasche seiner Lederjacke, hielt dann aber plötzlich inne, so als sei ihm gerade noch etwas Wichtiges eingefallen.

»Sag’ mal, Mann, hast du vielleicht zufällig einen roten Kenworth Truck gesehen?«, fragte er so nebenbei. »Ist der schon hier durchgekommen? Wir haben uns unterwegs aus den Augen verloren...«

Doug Milburn schien einen winzigen Augenblick zu überlegen und kratzte sich nachdenklich am Kopf, und wenige Augenblicke später hatte er sich zu einer Antwort entschlossen. Teufel noch mal, was war der Bursche so neugierig!

»Nicht, dass ich wüsste, Mister!«, erwiderte er grinsend. »Hier kommen nicht viele vorbei, und so einer wäre mir bestimmt aufgefallen. Der letzte, der sich hierher verirrt hat, kam vor zwei Wochen hier vorbei und hat noch nicht mal haltgemacht. No, Sir, mit Truckern und ihren Rigs ist kein Geschäft zu machen und...«

Der Mann in der Lederjacke ließ ihn nicht mehr weiter reden. Statt der Brieftasche zog er plötzlich einen Smith & Wesson hervor und richtete den Lauf auf den verdutzten Milburn, der bleich vor Schreck wurde.

»Das ist alles, was wir wissen wollten, Amigo!«, sagte der Pistolenheld jetzt mit gefährlich leiser Stimme. »Ich sag’ dir jetzt, was du tun wirst, Buddy! Du gehst jetzt ganz friedlich mit meinem Freund Gary in deine Bude und machst es dir ein wenig gemütlich. Und ich rate dir, nicht den Kopf raus zu stecken, sonst wird es ungemütlich für dich, hast du das verstanden, du Holzkopf?«

»B... bitte nicht schießen, Mister!«, stotterte Milburn voller Angst. »Ich gebe Ihnen freiwillig alles Geld, was ich habe. Nur lassen Sie mich am Leben!«

»Deine Piepen sind uns scheißegal, Mann!«, krächzte der Beifahrer im langen Trenchcoat, der jetzt ausgestiegen war und den verängstigten Tankwart am Arm griff. »Wohnst du allein hier?«

»Ja, Mister, aber...«

»Keine Widerrede, Mann, sonst kannst du dir ein neues Gebiss kaufen, das verspreche ich dir. Also komm jetzt mal schön mit rein, und dann wirst du dich mal ein oder zwei Stunden schön ausruhen, einverstanden?«

Dem Tankstellenbesitzer blieb nichts anderes übrig. Angesichts der Drohung, die die beiden Männer ausgestoßen hatten, war es wohl das Beste, wenn er genau tat, was diese Schweinehunde von ihm verlangten.

Zähneknirschend schritt Doug Milburn vorwärts, und dicht hinter ihm ging der Kerl im Trenchcoat, den der andere Gary genannt hatte. Auch dieser Bastard hatte plötzlich eine Pistole gezogen und drückte sie jetzt Milburn in die Nieren. Der Tankstellenbesitzer fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut, denn er hatte keine Ahnung, was die Burschen überhaupt von ihm wollten. Und warum, zum Teufel, wollten sie unbedingt was über einen roten Truck wissen?

*

»Scheiße!«, knurrte Chris und blickte mit verbissener Miene durch die Windschutzscheibe des RED DRAGON. »Das ist doch keine Straße, Mann, das ist überhaupt nichts. Hier war wohl der Straßenbau zum letzten Mal, kurz nachdem General Lee und seine Rebellenarmee hier durch sind...«

»Wenn du dir das nicht zutraust, dann lass mich ans Steuer, Chris!«, forderte ihn Jim auf. »Ich kenne unseren Schlitten, und er wird es schaffen, auch wenn die Straße momentan schlecht ist.«

Auch Sally Greenfield hatte bemerkt, dass die Beschaffenheit der Straße kurz nach Verlassen des Highways wesentlich schlechter geworden war. Die Straße, die sich in einigen Windungen durch das bergige Land zog, war kaum befestigt und wich schließlich einer besseren Sandpiste, die bisweilen große Schlaglöcher aufwies. Ermutigend war das gerade nicht, aber Chris nickte schließlich.

»Wenn Barclay und Winwood mit ihrem verdammten Peterbilt hier durchgekommen sind, dann schaffen wir und der RED DRAGON es auch, oder ich will nicht mehr Chris Morgan heißen. Festhalten, ihr beiden, jetzt geht der Trip erst richtig los...«

Chris wirkte jetzt vollkommen konzentriert. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der holprigen Straße, die an manchen Stellen so schmal war, dass hier kein Wagen dem Kenworth hätte entgegenkommen können. Morgan hielt das Lenkrad fest in beiden Händen und schuftete wie ein Besessener, um wenigstens den größten Schlaglöchern auszuweichen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass die beiden Trucker und das Mädchen ab und zu kräftig durchgeschüttelt wurden.

Jetzt wieder machte sich bezahlt, dass Jim und Chris sich seinerzeit für diesen Truck entschieden hätten. Der Allradantrieb war gerade auf dieser staubigen Piste eine willkommene Hilfe, und schon bald hatten die Freunde die schwerste Strecke hinter sich gebracht. Es hatte zwar ein wenig Schweiß gekostet, aber ein Mann wie Chris Morgan hatte schon ganz andere Dinge durchgestanden.

Die staubige Piste wich jetzt einer Schotterstraße, die bald wieder in eine geteerte Strecke überging. Jim warf einen Blick in den Road Atlas und stellte fest, dass es nur noch wenige Meilen bis nach Chatsworth waren. Nach dieser Ortschaft würde die Straße besser werden, und dann ging’s auch wieder schneller voran.

»Unser Truck braucht was zu schlucken! stellte Chris fest, als er einen Blick auf die Treibstoffanzeige warf, die schon kurz vor der Reserve stand. »Vielleicht gibt’s ja hier in der Nähe Diesel.«

Wie zur Bestätigung seiner Vermutung tauchte mit einem Mal am Straßenrand ein Schild mit der Bezeichnung »Doug’s Gasstation 5 miles« auf. Chris musste unwillkürlich grinsen.

»Na, mir scheint’s fast, als wäre ich ein Hellseher!«, stellte er lachend fest. »Was wollen wir denn noch mehr? Steve und Barry werden Augen machen. Wir sind eher in Chattanooga, als die es sich träumen lassen..

In der Ferne kam die kleine Tankstelle in Sicht und auch das Haus, das wenige Yards daneben stand. Chris fuhr den Kenworth bis vor die Diesel-Zapfsäule und hielt dann an. Er schaltete den Motor ab und blickte hinüber zu Jim.

»Mann, ich glaube, das ist das Ende der Welt!«, sagte er. »Hier ist ja überhaupt nichts los. Ich geh’ mal raus. Vielleicht hält der Tankwart ja noch ein Mittagsschläfchen. Du kannst ja inzwischen schon mal zur Zapfsäule gehen, damit wir keine Zeit verlieren, klar?«

Jim nickte und stieg ebenfalls aus.

»Bringt ihr was zu essen mit?«, fragte Sally Chris, und dieser hob den rechten Daumen zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Während Jim an der Zapfsäule hantierte, ging Chris hinüber zu dem Haus, wo sich immer noch niemand gerührt hatte. Saßen denn die Leute hier auf den Ohren? Ein Truck an der Tankstelle war doch nun mal gewiss nicht zu übersehen.

»Hallo, Kundschaft!«, rief Chris mit lauter Stimme zum Haus hinüber, aber alles blieb still. Es sah fast so aus, als wohne kein Mensch mehr hier. Chris drehte sich mit einem fragenden Blick zu Jim um, und dieser wies auf das Haus.

»Na, nun mach schon!«, rief er Chris zu. »Anscheinend schlafen sie hier den Schlaf der Gerechten. Los, wecke den Tankwart auf, wir haben keine Zeit zu verschenken.«

Chris Morgan ging daraufhin weiter auf das Haus zu, und als er näherkam, stellte er fest, dass, wer immer auch hier wohnte, nicht viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung hielt. Gleich neben der Eingangstür hatte sich ein großer Berg von verrosteten Dosen, Bierbüchsen und anderem Müll angesammelt, und das sprach nicht gerade für den Hausbesitzer. Welche Farbe das Haus ursprünglich einmal besessen hatte, war nicht mehr festzustellen. Wind und Wetter hatten ihren Teil geleistet.

Die Tür gab mit einem quietschenden Geräusch nach. Es roch nach angebranntem Essen, fast säuerlich. Chris rümpfte die Nase und ging weiter. Die Tür, die ins Wohnzimmer zu führen schien, stand einen Spalt weit offen, und Chris entschied sich, hier sein Glück zu versuchen. Irgendwo mussten ja der oder die Bewohner dieser Bruchbude stecken!

Den klapperdürren Kerl, der gefesselt im Wohnzimmer auf einem Stuhl hockte, entdeckte er erst nach einiger Zeit. Der Mann rollte verzweifelt mit den Augen und versuchte Chris irgendetwas zu signalisieren. Morgan schaltete jedoch zu spät.

Die huschende Bewegung hinter der Tür konnte er nur noch aus den Augenwinkeln wahrnehmen. Im gleichen Augenblick traf ihn etwas mit gewaltiger Wucht am Kopf. Chris’ Beine waren plötzlich butterweich, und bevor ihn die Schleier der Bewusstlosigkeit einhüllten, sah er neben sich schwach die Gestalt eines Mannes. Der Trucker spürte nicht mehr, wie er auf dem Holzboden aufschlug.

*

»Wo bleibt denn Chris?«, fragte Sally Greenfield und blickte hinüber zu dem verwahrlosten Haus, wo Chris vor einigen Minuten verschwunden war. »Der braucht aber lange...«

Jim hatte den Tank des RED DRAGON schon längst aufgefüllt, aber noch immer' war nichts von einem Tankwart zu sehen, und die Tatsache, dass Chris immer noch nicht aufgetaucht war, gab dem blonden Trucker zu denken.

»Merkwürdig«, murmelte er. »Sally - irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht. Die Sache stinkt zum Himmel und ich...«

Er unterbrach sich, als er mit einem Mal Sallys schreckgeweitete Augen erblickte, die ängstlich auf etwas starrten, was hinter ihm war. Und dann hörte er auch schon die dunkle Stimme eines Mannes.

»Streck’ die Pfoten hoch, und mach’ keine falsche Bewegung!«, rief der Unbekannte in Jims Rücken jetzt. »Oder möchtest du heißes Blei schlucken?«