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Mit der Schmuckkünstlerin Hildegard Risch, 1903 in Halle geboren und 1996, kurz vor Vollendung ihres 93. Geburtstages , gestorben, konnte Ilka Scheidgen intensive Gespräche über einen Zeitraum von knapp drei Jahren bis unmittelbar vor ihrem Tod führen. Mit dieser Publikation liegt erstmals ein Porträt über diese bemerkenswerte Künstlerin vor, das Einblicke in ihr Denken und Schaffen gibt. Hildegard Risch zählt zu den Pionierinnen der Schmuckkunst im 20. Jahrhundert, ausgebildet an der berühmten Kunsthochschule Burg Giebichenstein, die in den zwanziger Jahren ein Pendant zum Bauhaus in Dessau war. Sie hat sie alle gekannt, die berühmten Künstler vom Bauhaus: Klee, Feininger, Kandinski, Schlemmer, Mies van der Rohe. Gemeinsam mit ihrer Freundin Eva Mascher-Elsässer gründete sie in Halle unweit des bekannten Markplatzes ihre erste eigene Werkstatt. Ankäufe von Museen und Ausstellungen zeugen auch heute noch von der Bedeutung dieser Pionierin der Schmuckkunst aus Halle an der Saale. Stilsicherheit, Formgefühl und der Sinn für Schönheit zeichneten die noch im hohen Alter tätige Künstlerin aus.
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Seitenzahl: 55
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Vorbemerkung
Einleitung
Beginn
Vom Gürtlerhandwerk zur Goldschmiedekunst
Die Lehre der Armut
Ein Leben als Zeitzeugin
Das Prinzip des Weglassens
Die Grazie der Selbstverständlichkeit
Der letzte Besuch – Abschied
Schluss
Nachbemerkung
Erläuterungen
Ein Porträt über Hilde Risch, die große Schmuckkünstlerin aus Halle anzufertigen, darum wurde ich von der Künstlerinnen-Gemeinschaft GEDOK in Köln, deren langjähriges Mitglied diese war, gebeten, um für die Nachwelt festzuhalten, was das Geheimnis dieser bemerkenswerten Frau und ihres Schaffens sei.
Viele Male habe ich Hilde Risch in ihrer Wohnung in einem schmucklosen Hochhaus in Wesseling am Rhein besucht, wo sie seit ihrer Übersiedelung aus Halle seit mehr als dreißig Jahren lebte.
Stets waren unsere Gespräche so anregend, dass ich dabei die Zeit vergaß. Die Zeit, die uns davonlief und die uns schließlich überholte in der Zäsur ihres, Hilde Rischs, Todes.
Bei meinem letzten Besuch im Jahre 1996, da schon im Altenheim in Langenfeld, hatte ich ihr versprochen, das Porträt in Kürze fertigzustellen.
Und sie hatte es voller Spannung und Interesse erwartet. Doch dazu kam es nicht mehr. Eine Woche nach diesem Besuch, nur zwei Tage vor Vollendung ihres 93. Lebensjahres, ist Hilde Risch dort im Franziskushaus gestorben.
Im Grunde hatte ihr Künstlerherz wohl schon zu schlagen aufgehört in dem Moment, als ihr klar wurde, dass sie nie mehr würde arbeiten können.
Ihre Familie, das heißt: die Kinder ihrer Freundin Eva Mascher-Elsässer, hat für Hilde Risch den Totenspruch ausgewählt:
Selig sind die Toten,
die in dem Herren sterben, von nun an.
Ja, der Geist spricht:
Laß sie ruhen von ihrer Arbeit,
denn ihre Werke folgen ihnen nach.
(Offenbarung Johannes)
Hilde Risch ruht nun von ihrer Arbeit aus. Ihre unvergleichlichen Werke bleiben uns als Geschenk.
Die berühmte Schmuckkünstlerin Hildegard Risch, die 1903 in Halle geboren wurde und 1996, kurz vor Vollendung ihres 93. Geburtstages, starb, habe ich durch intensive Gespräche über einen Zeitraum von knapp drei Jahren bis unmittelbar vor ihrem Tod kennengelernt.
Ein äußerst interessantes, schaffensreiches Leben hat diese ungewöhnliche Frau erlebt und mir darüber lebhaft und anschaulich erzählt.
Ich konnte sie bei ihrer Arbeit als Goldschmiedin beobachten, konnte ihre Kunstwerke, die in bekannten Museen und Ausstellungen zu sehen waren, in ihrer Wohnung bewundern - aber vor allem sie selbst als außergewöhnliche Persönlichkeit, die zudem durch ihr langes Leben zu einer Zeugin dieses Jahrhunderts geworden ist, erleben.
Halle an der Saale: Marktplatz
Die erfahrene Armut in den zwanziger und dreißiger Jahren wurde für Hilde Risch zum besten Lehrmeister und führte sie in ihrer Gestaltung von Schmuck zum Prinzip des Weglassens. Unvergleichliche Stücke von archaischer Schönheit sind dadurch entstanden.
Faszinierend ist diese Frau in ihrer Schlichtheit, ihrem Humor, ihrem bis zum Ende ungebrochenen Gestaltungsdrang. Obwohl sie die letzten fünf Jahre an den Rollstuhl gefesselt ist, arbeitet sie unvermindert weiter, versorgt sich selbst, ist eine aufmerksame Gastgeberin und nimmt interessiert am Weltgeschehen Anteil.
Erst als ein häuslicher Unfall ihr die bis dahin verteidigte und hoch eingeschätzte Selbständigkeit raubt und sie nicht mehr kreativ tätig sein kann, erlischt auch ihr Überlebenswille.
Die Kunst war ihr Leben. Hilde Rischs Werke geben Zeugnis von einem Geist, der in der Materie das Metaphysische zum Leuchten bringt. Dieses Porträt soll etwas vom Leben, Schaffen und Denken dieser großen Künstlerin vermitteln.
Hildegard Risch und Ilka Scheidgen
Wesseling: eine Kleinstadt zwischen Köln und Bonn gelegen und beherrscht von den Raffinerien großer Ölgesellschaften mit einem wenig ausgeprägten Stadtbild, durchzogen von einer Bahnlinie, umgeben von Autobahnen, die der raschen Verbindung zwischen den Städten Köln und Bonn dienen, wenig Schönes, wenig Natur, wohin das Auge blickt.
Hier wohnt also die berühmte Goldschmiedin Hilde Risch im sechsten Stockwerk eines riesigen langgestreckten Hochhauses, unmittelbar an der Fußgängerzone. Der Weg dorthin ist schwierig zu finden. Den Eingang suche ich lange. Er liegt versteckt hinter einem Kaufhaus unweit der Bahngeleise.
Unter den hunderten an Klingelknöpfen suche ich noch länger nach dem Namen Risch. Dann im sechsten Stock angekommen vor mir ein mir endlos erscheinender langer Flur.
Aber dann sehe ich schon eine offene Tür und eine Frau im Rollstuhl darin, die mich freundlich heranwinkt. Statt Blumen habe ich ein paar Kuchenstücke mitbringen sollen für unsere gemeinsame Teestunde, in der wir uns ja erst einmal kennenlernen wollen.
Hilde Risch rollt geschickt mit dem Rollstuhl durch die kleine Diele, dann rechts um die Ecke hinein in ein gemütlich-helles Zimmer, bestückt mit schönen alten Möbeln. In einem Sitzeckchen zwischen einem Schrank und ihrem Arbeitsplatz, der sich unmittelbar vor dem Fenster befindet, hat sie bereits den Tisch gedeckt.
Sofort vergesse ich die Unwirtlichkeit, die mich draußen umfing, fühle mich herzlich willkommen in diesem schlichten Ambiente, das schon so viel von seiner Bewohnerin verrät.
Hilde Risch - eine archaische Erscheinung, schmal, grazil, Würde ausstrahlend, mit lebhaften Augen und einem feinen Lächeln auf ihrem Gesicht - sorgt sich zunächst um mein leibliches Wohl.
Sie hat ihre Wohnung so eingerichtet, dass sie alle Verrichtungen selbst erledigen kann trotz ihres Handicaps, dass sie sich seit einigen Jahren mit dem Rollstuhl bewegen muss.
Den Tee zuzubereiten ist für sie fast eine Zeremonie, eine, die sich bei all meinen Besuchen wiederholen wird. Sie kennt das rechte Maß, die notwendige Zeit zum Ziehen. Und getrunken wird aus hauchdünnen Porzellantassen.
Schon zu Beginn teilen sich mir Wesenszüge mit, die Hilde Risch kennzeichnen: eine große Diszipliniertheit, Offenheit und Freundlichkeit. Eine weitere werde ich schon bald kennenlernen. Es ist die Dankbarkeit.
Dankbar ist Hilde Risch, dass sie so bequem und schön wohnen kann, dass ein Knopfdruck genügt, und das Licht geht an, dass aus dem Wasserkran warmes Wasser kommt, dass die Wohnung eine Heizung hat.
Beschämt registriere ich, wie ein Mensch sich über Dinge täglich neu freuen kann, die die meisten viel zu selbstverständlich geworden sind.
Der Blick aus dem großen Fenster geht hinaus auf Bahngelände und Hochhäuser, auf Strommasten, Schornsteine und Kühltürme der nah gelegenen Chemiekonzerne.
Aber das scheint eine Frau, wie Hilde Risch es ist, nicht im Mindesten zu stören. Warum das so ist, auch das werde ich im Laufe des näheren Kennenlernens erfahren.
Es ist die Selbstgenügsamkeit, die Bescheidenheit einer großen Künstlerin, die ihren Kosmos in sich und um sich besitzt und die das Außen, das ja auch immer ein Äußerliches ist, nicht braucht, weil ihr Inneres nach außen strahlt.
Natürlich kenne ich einige wichtige Daten aus ihrem Leben, und ich kenne einige ihrer kostbaren Schmuckstücke. Aber was mich erwartet in den folgenden Begegnungen mit Hilde Risch, kann ich noch nicht ahnen: der lebenssprühende Geist einer Junggebliebenen, der unbändige Drang nach Gestaltung, die Fähigkeit zum Dialog. So beginnt unsere Beziehung. So nimmt ein Stück Lebensgeschichte seinen Lauf.