Himmelreich am Jakobsweg - Gitta Groer - E-Book

Himmelreich am Jakobsweg E-Book

Gitta Groer

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Beschreibung

Neugierig auf den Mythos der Jakobswege begibt sich die Autorin in anfangs noch unbeholfenen Schritten auf die Suche nach dem gewissen Etwas dieser bekannten Pilgerwege. In authentischer und humorvoller Art nimmt sie die Leserschaft mit auf dem Weg von Würzburg über Rothenburg ob der Tauber bis zum Wallfahrtsort Einsiedeln in der Schweiz. Dabei bleiben neben all den schönen Erlebnissen auch die anstrengenden und weniger guten Momente nicht unerwähnt.

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Für meine Familie und Freunde, für alle, die mit Geschichten über das Wandern oder Pilgern unterhalten werden wollen, und für mich!

Inhaltsverzeichnis

So fing alles an

21. Mai - 23. Mai 2009: Pfälzer Jakobspilgerweg

Donnerstag (Himmelfahrt) 21.05.2009: Eschbach – Bad Bergzabern (ca. 10 km)

Freitag, 22.05.2009: Bad Bergzabern – Rumbach (ca. 20 km)

Samstag, 23.05.2009: Rumbach – Dahn und Landau – Eschbach (?? km)

03. Juni - 05. Juni 2010: Fränkisch-Schwäbischer Jakobsweg

Donnerstag (Fronleichnam), 03.06.2010: Eibelstadt - Gaukönigshofen (ca. 16 km)

Freitag, 04.06.2010: Gaukönigshofen – Aub (mindestens 14 km)

Samstag, 05.06.2010: Aub – Uffenheim (ca. 28 km zu Fuß)

03. Oktober - 06. Oktober 2010: Fränkisch-Schwäbischer Jakobsweg

Sonntag, 03.10.2010: Uffenheim – Steinach (ca. 14 km)

Montag, 04.10.2010: Steinach – Bettenfeld (ca. 22 km)

Dienstag, 05.10.2010: Bettenfeld – Wallhausen (ca. 19 km)

Mittwoch, 06.10.2010: Wallhausen - Crailsheim (ca. 23 km)

27. April - 01. Mai 2012: Fränkisch-Schwäbischer Jakobsweg

Freitag, 27.04.2012: Oberspeltach - Rosenberg (ca. 15 km)

Samstag, 28.04.2012: Rosenberg – Hohenstadt (ca. 28 km)

Sonntag, 29.04.2012: Hohenstadt - Heubach (ca. 22 km)

Montag, 30.04.2012: Heubach – Gussenstadt (ca. 20 km)

Dienstag, 01.05.2012: Gussenstadt – Lonsee (laut Angabe im Reiseführer 22 km)

Mittwoch, 02.05.2012: Lonsee - Crailsheim – Oberspeltach (ca. 10 km Fußweg)

16. Juni - 20. Juni 2014: Fränkisch-Schwäbischer Jakobsweg

Montag, 16.06.2014: Lonsee – Temmenhausen (ca. 10 km)

Dienstag, 17.06.2014: Temmenhausen – Ulm (ca. 18 km)

Mittwoch, 18.06.2014: Ulm – Oberdischingen (ca. 21 km)

Donnerstag, 19.06.2014: Oberdischingen – Äpfingen (ca. 22 km)

Freitag, 20.06.2014: Äpfingen - Biberach (ca. 12 km)

23. Mai - 05. Juni 2015: Oberschwäbischer Jakobsweg

Samstag, 23.05.2015: Biberach – Steinhausen (ca. 12 km, davon 5 km mit dem Bus)

Pfingstsonntag, 24.05.2015: Steinhausen – Mattenhaus (laut Buch ca. 17 km)

Pfingstmontag, 25.05.2015: Mattenhaus – Weingarten (laut Buch ca. 23 km, aber tatsächlich einige km mehr)

Dienstag, 26.05.2015: Pausentag in Weingarten

Mittwoch, 27.05.2015: Weingarten – Brochenzell (ca. 17 km)

Donnerstag, 28.05.2015: Brochenzell – Markdorf (ca. 15 km)

Freitag, 29.05.2015: Markdorf – Meersburg – Konstanz (ca. 16 km bis Meersburg)

Samstag, 30.05.2015: Konstanz – Märstetten (ca. 14 km)

Sonntag, 31.05.2015: Märstetten – Fischingen (ca. 27 km)

Montag, 01.06.2015: Au - Gibswil (ca. 14 km)

Dienstag, 02.06.2015: Gibswil – Rapperswil (ca. 17 km)

Mittwoch, 03.06.2015: Rapperswil – Einsiedeln (ca. 16 km)

Donnerstag, 04.06.2015: Einsiedeln – Alpthal (ca. 9 km)

Freitag, 05.06.2015: Heimreise

Und so hört es auf?

So fing alles an...

Scheinbar souverän, als hätte ich nie etwas anderes getan, als auf dem Jakobsweg zu pilgern, schultere ich meinen Rucksack und marschiere los. In Wirklichkeit bin ich total aufgeregt und stelle mich an, als wäre es ein riesengroßes Abenteuer drei Tage wandern zu gehen. Und das nicht einmal 100 km von meinem Heimatort entfernt.

Jakobsweg - bis vor einigen Jahren wusste ich gar nicht, dass es den gibt.

Bei einem Gespräch über Fernwanderwege hatte meine Freundin Gudrun von dem 800 km langen Camino Francés erzählt. Dem vermutlich bekanntesten aller Jakobswege. Er quert Nordspanien von Osten nach Westen, von der französischen Grenze bis zum Wallfahrtsort Santiago de Compostela. Neben Rom und Jerusalem eines der bedeutendsten Pilgerziele.

Ich war neugierig geworden und wollte mehr über diesen Weg erfahren. Beim Stöbern nach entsprechender Lektüre stellte ich überrascht fest, dass es jede Menge Bücher darüber gibt und deutlich mehr Jakobswege als den Camino Francés. Zahlreiche der spannenden Reiseberichte habe ich regelrecht verschlungen, das Vorhaben selbst fand ich jedoch ziemlich abwegig. Tag für Tag, bei Wind und Wetter Kilometer um Kilometer zu gehen. Das Gepäck mit sich zu schleppen, nur mit dem Nötigsten klar kommen zu müssen, in Massenunterkünften zu übernachten, die vermutlich jeglichen hygienischen Standard vermissen lassen. Zumindest in meiner Vorstellung.

Weshalb sollte man so etwas tun?

Dann bekam ich zum Geburtstag einen Tourenrucksack geschenkt. Ob der Inhalt meines Bücherregals Ideengeber war oder ob ich doch öfter als gedacht über Pilgerwanderungen und Jakobswege gesprochen hatte? So ganz klar war es mir nicht, aber ich wollte das Geschenk einweihen. Was bot sich mehr an, als ein paar Tage auf einem Jakobsweg zu wandern? Um das Besondere herauszufinden, das der Weg ja wohl haben musste, war es nicht notwendig nach Spanien zu reisen, sondern nur etwa eine Stunde mit dem Auto in die Pfalz zu fahren. Mittlerweile wusste ich, dass es auch dort einen Jakobsweg gibt. Der etwa 150 km lange Pfälzer Jakobspilgerweg führt von Speyer zum Kloster Hornbach, nahe der französischen Grenze.

Ich besorgte einen Pilgerführer mit Wegbeschreibung und Unterkunftsvorschlägen und begann zu organisieren. Der Weg hat zwei Varianten und ich entschied mich für einen Abschnitt auf der Südroute, von Eschbach nach Rumbach. Das sind insgesamt etwa 30 km, für die ich mir einschließlich der An- und Abreise mit Auto und Zug drei Tage Zeit nehmen wollte. Die Etappenziele legte ich so, dass es von der täglichen Entfernung her einigermaßen passte. Nun mussten noch zwei Übernachtungen gebucht werden, was schwieriger war als gedacht. Nicht nur, weil ich mir das Wochenende um Himmelfahrt ausgesucht hatte und es deshalb in der beliebten Ausflugsgegend nur noch wenige Zimmer gab, auch waren die Preise ziemlich saftig und es galt preisgünstige Möglichkeiten zu finden.

Den Rucksack packte ich mehrmals ein, wieder aus, sortierte um, packte neu und kam zum Schluss immer noch auf stolze 9,5 kg. Wohlgemerkt ohne Handtücher und Schlafsack, was bei einer Pilgerwanderung in Spanien nicht fehlen sollte. Außerdem kommen noch Getränke und vielleicht etwas zum Essen dazu. Aber da ich sicher war, auf nichts verzichten zu können, musste ich in den sauren Apfel beißen und das schwere Gepäck auf dem Rücken schleppen.

Ich hatte noch nie so lange und so ausführlich einen Kurzurlaub geplant, aber endlich konnte es losgehen.

21. Mai - 23. Mai 2009

Pfälzer Jakobspilgerweg

von Eschbach bis Rumbach

Blick über die leicht hügelige Landschaft zum Pflälzerwald

Donnerstag (Himmelfahrt) 21.05.2009

Eschbach – Bad Bergzabern (ca. 10 km)

Im Tagebuch steht: Prompt verlaufe ich mich. Zum Glück treffe ich Leute, die ich nach dem Weg fragen kann und muss wieder zurück bis zur Wappenschmiede.

Bis ich die letzten Sachen gepackt, im Auto verstaut habe und loskomme, ist es fast 10 Uhr. Gegen Mittag erreiche ich Eschbach und parke mein Auto in einer Nebenstraße. Bei dem Gedanken mein Gefährt hier ein paar Tage stehen zu lassen, ist mir zwar ein wenig mulmig, aber ich hoffe, dass ich es am Sonntag wieder unversehrt vorfinde.

Betont lässig schultere ich meinen Rucksack und bin gespannt, was mich in den kommenden Tagen erwarten wird. Wenigstens schöne Natur wird es sein, denn immerhin ist die Mittelgebirgslandschaft Pfälzerwald das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands. Außerdem gedeihen in dem hier besonders milden Klima Wein, Feigen, Kiwis, Pinien, Zypressen, Palmen, Bananen, Esskastanien und Mandelbäume.

Eine ganze Weile suche ich nach dem Hinweiszeichen, mit dem die meisten Jakobswege markiert sind und das mich die nächsten Tage leiten soll - der Jakobsmuschel. Entnervt gebe ich schließlich auf und laufe auf dem Radweg parallel zur Landstraße in die hoffentlich richtige Richtung. Ein wenig hilft die Markierung der Deutschen Weinstraße, die in der vorderpfälzischen Hügellandschaft verläuft und als eine der ältesten touristischen Straßen gilt. Schon nach wenigen hundert Metern rinnen mir kleine Schweißtropfen über das Gesicht. Die Mittagssonne sorgt für schwüle 24 Grad, der Weg ist schattenlos und das ungewohnte Gewicht meines Gepäcks lastet schwer auf den Schultern. Na das kann ja heiter werden.

Später weiß ich, dass ich so ziemlich alles falsch gemacht habe. Ich bin zu spät gestartet, habe mich unnötig gestresst und bin das Projekt viel zu wenig entspannt angegangen. Zudem war das Gepäck im Rucksack falsch verteilt und dieser nicht richtig eingestellt.

Aber - nur aus Erfahrung wird man klug!

Etwa eine Stunde nachdem ich losgelaufen bin, entdecke ich an der Pfalzklinik, einer Reha Einrichtung, endlich das Schild mit der Jakobsmuschel. Mein erstes Jakobswegzeichen!

Ein besonderer Moment und der Beginn einer Leidenschaft, die mich bis heute nicht losgelassen hat.

Da ich keinen Sektkorken knallen lassen kann, nehme ich einen großen Schluck aus meiner Wasserflasche und halte den denkwürdigen Moment fest, indem ich die Muschel mit meinem Fotoapparat verewige. Das muss genügen.

Zuerst gehe ich noch in feierlichen Schritten, verfalle bald in den gewohnten Trab und erreiche wenig später eine Schutzhütte, die am heutigen Himmelfahrtstag bewirtschaftet ist. Jung und Alt hat sich auf den Weg gemacht und es herrscht gut gelauntes Treiben. Ein idealer Ort für die Mittagsrast. Ich suche mir einen Platz zwischen all den Ausflüglern und verspeise mein von zu Hause mitgebrachtes Pausenbrot. Zum Nachtisch gibt es Kaffee und ein Stück Blechkuchen und bevor ich allzu träge werde, ziehe ich wieder los.

Auf bequemen Wegen durch Felder und Wiesen geht es nach Klingenmünster. Der hübsche Weinort ist durch Ansiedlung von Bauern und Handwerkern um das damalige Reichskloster entstanden. Ich mache einen Abstecher, um die Reste der Klosteranlage zu besichtigen, aber es bleibt nur ein Blick auf hohe Mauern. Sowohl die Kirche als auch der Zugang zum Klostergarten sind verschlossen. Schade!

Die Wolken, die bedrohlich am Himmel aufziehen, während ich weiter durch die leicht hügelige Landschaft wandere, spornen mich zur Höchstleistung an. In flottem Tempo schaffe ich es gerade rechtzeitig in den nächsten Ort und die Dorfkneipe rettet mich vor dem heftigen Gewitterschauer. Eine Tasse Kaffee und ein Glas Mineralwasser später ist der Regenguss vorbei und erfreulicherweise auch die drückende Schwüle.

Ein Stück verläuft der Jakobsweg wieder auf der Deutschen Weinstraße und führt mich durch Weinberge und Dörfer mit herausgeputzten Fachwerkhäusern und rebengeschmückten Gassen. Bei Pleisweiler weckt das Hinweisschild mit der Aufschrift „sehenswerte Kirche“ meine Neugierde. Ich weiche vom Weg ab, steige den Hang zu einem Wäldchen hinauf, verlaufe mich prompt und finde weder die Kirche noch die Richtung, in die ich weitergehen muss. Zum Glück treffe ich in dem Waldstück auf zwei Spaziergänger:

»Guten Tag! Ich fürchte, ich habe mich verlaufen. Können Sie mir sagen wie ich von hier nach Bad Bergzabern komme?«

Die beiden überlegen einen Moment:

»Sie können hier weiterlaufen, über den Hügel, dann hinunter in den Ort. Sie müssen aufpassen, der Weg geht ein wenig verwirrend im Zickzack durch den Wald. Ach, wissen sie was? Gehen sie doch besser dort den Hang hinunter und an der Biegung rechts.«

Der Mann deutet in die Richtung, aus der ich gekommen bin.

Ich bedanke mich, mache kehrt und folge missmutig der Beschreibung. Den Umweg zur angeblich sehenswerten Kirche hätte ich wohl besser sein lassen.

Kurz bevor ich wieder in Pleisweiler bin, hält ein Auto neben mir an. Es sind die beiden Spaziergänger:

»Sie wollen doch nach Bad Bergzabern. Wir fahren in die Richtung und können sie mitnehmen.«

»Sehr nett! Das Angebot nehme ich gerne an.«

Mein Gepäck wird im Kofferraum verstaut, ich plumpse auf die Rückbank und merke erst jetzt so richtig, dass meine Beine schwer sind und die Füße aus den Wanderstiefeln befreit werden wollen.

Schon wenige Minuten später halten wir am Ortsschild meines heutigen Etappenziels und die hilfsbereiten Pfälzer lassen mich aussteigen.

Das Paar wünscht mir Glück für die weitere Wanderung, fährt davon und ich nehme mir die letzte Etappe des Tages vor. Die führt mich an der Straße entlang bis zu meinem Hotel, das leider genau am anderen Ende des Ortes liegt. So bekomme ich zwar einen Eindruck von der Stadt, kann aber die herrschaftlichen Häuser und die alten Villen mit den parkähnlichen Gärten gar nicht entsprechend würdigen. Auch den hübsch angelegten Kurpark beachte ich nicht sonderlich und bleibe nur kurz an der überlebensgroßen hölzernen Statue mit der Figur des Heiligen Jakobs stehen. Ich bin einfach nur platt. Der Tag war definitiv zu anstrengend für eine ungeübte Pilgerin wie mich.

Das erste von vielen Jakobswegzeichen, die noch folgen werden

Der Weg führt durch schmucke Winzerdörfer

Als ich später noch einmal im Reiseführer nachlese, muss ich feststellen, dass ich im Wald nur wenige hundert Meter hätte weitergehen müssen und fast gegenüber meinem Quartier den Hügel heruntergekommen wäre. Dumm gelaufen!

Kurz nach 18 Uhr betrete ich erschöpft das kleine Hotel, in dem ich für diese Nacht ein Zimmer gebucht habe. Das Haus scheint renovierungsbedürftig, die Einrichtung ist etwas altbacken, aber irgendwie heimelig. Von der netten Dame an der Rezeption erfahre ich, dass die Küche bald schließen werde und ich mich beeilen solle, wenn ich noch etwas essen möchte. Schnell wechsle ich in meinem Zimmer die Wanderstiefel gegen leichte Sandalen, wasche mein Gesicht mit ein paar Spritzern Wasser und schaffe es gerade rechtzeitig in die Gaststube.

Nach dem leckeren Abendessen raffe ich mich trotz meiner Müdigkeit auf, den hauseigenen Pool zu besuchen. Die Vorstellung, meine strapazierten Muskeln im warmen Wasser entspannen zu können, ist verlockend. Außerdem habe ich dann den Badeanzug nicht unnötig mitgeschleppt. Das Schwimmbad liegt im Kellergeschoss und ist über ein einsames Treppenhaus und durch leere Flure mit vergilbter Tapete zu erreichen. Es ist etwas unheimlich und das Gefühl wird nicht besser, als ich die kleine, ziemlich dustere Schwimmhalle betrete. Ich bin die einzige Besucherin und außer dem Plätschern des Wasserfilters ist nichts zu hören. Durch die Glasfront auf der Längsseite fällt der Blick in einen dunklen Innenhof. Der ist, außer einigen vertrockneten Blättern auf dem grauen Betonboden, völlig schmuck- und pflanzenlos. Das etwas gruselige Ambiente bietet die perfekte Vorlage für einen Krimi. Während ich ein paar Runden schwimme, lasse ich meiner Phantasie freien Lauf und male mir schauerliche Szenarien aus.

Nach dem Baden wickle ich mich in mein Handtuch und husche ungesehen zurück ins Zimmer. Dort dusche ich das Chlorwasser ab, putze die Zähne, strecke mich vor dem Fernseher aus und lasse mich berieseln, bevor ich zufrieden einschlafe.

Freitag, 22.05.2009

Bad Bergzabern – Rumbach (ca. 20 km)

Im Tagebuch steht: Ich habe Bedenken, mich am Abzweig wieder zu verlaufen und versehentlich auf die Verbindungsroute zu kommen.

Tag zwei meines Pilgerabenteuers beginnt mit Regen. Ich bleibe noch ein Weilchen faul im Bett liegen und lausche, wie die Tropfen kräftig gegen die Fensterscheiben prasseln. Doch schließlich lockt mich der Gedanke an Kaffee und frische Brötchen unter der Decke hervor.

Im Frühstücksraum sitzen nur wenige Gäste und ich finde Platz am Fenster mit Blick in den Garten. Allmählich lässt der Regen nach und als ich kurz nach acht das Hotel verlasse, blinzeln Sonnenstrahlen durch die Wolkenlücken.

Voller Vorfreude auf den noch unverbrauchten Tag genieße ich den Weg, der im Wald und sehr idyllisch an einem Bach entlang verläuft. Die Regentropfen an den Blättern der Laubbäume glitzern in der Sonne, die Luft riecht nach feuchtem Gras und bis auf das Gezwitscher der Vögel ist es still. Zufrieden spaziere ich auf bequemen Wegen durch Buchenwald in frischem Grün und über schmale Pfade auf regennassen Wiesen.

Nach etwa einer Stunde habe ich Birkenhördt erreicht und treffe vor der Pfarrkirche auf Pilger ..... meine allerersten!

Die zwei Frauen aus Thüringen sind einmal im Jahr auf dem Jakobsweg unterwegs und laufen jeweils eine kurze Etappe. Ich freue mich sehr über diese für mich aufregende Begegnung. Echte Pilger!

Nach einem kurzen Schwatz wandern die beiden weiter, während ich die Kirche betrete. Ich setze mich in eine der alten Holzbänke und bin in Gedanken bei den Pilgerinnen und dem spanischen Jakobsweg. Ob sie eines Tages in Santiago de Compostela ankommen werden? Wie sich das wohl anfühlt?

Erst nach einer ganzen Weile sehe ich mir die farbenfrohen Schnitzereien und Holzskulpturen an und mache mich dann wieder auf den Weg.

Inzwischen ist es gegen Mittag, ich habe Hunger, vor allem Durst und dummerweise nichts zum Trinken dabei. Unterwegs gab es keine Einkaufsmöglichkeit und heute früh im Hotel habe ich nicht so weit gedacht. Jetzt hoffe ich auf einen Kiosk am Naturbadesee, der laut Beschreibung auf dem Weg liegen soll. Als ich den See nach einer gefühlten Ewigkeit endlich erreiche, ist meine Stimmung ziemlich im Keller. Zum Glück gibt es ein Büdchen mit erfreulicher Auswahl an Speisen und Getränken, das ich sofort ansteuere und kaum habe ich die Bestellung aufgegeben, geht es mir besser.

Das idyllische Bade- und Fischgewässer mitten im Wald scheint ein beliebtes Ausflugsziel zu sein. Obwohl es zum Schwimmen noch zu kühl ist, herrscht reger Betrieb. Auf der Liegewiese haben sich Familien mit Picknickdecken ausgebreitet, Kinder planschen am flachen Sandstrand und auf den Bänken rundherum sitzen Spaziergänger.

Auch ich genieße die Pause an dem schönen Platz und nachdem meine Energiereserven mit Flammkuchen und Apfelsaftschorle aufgefüllt sind, kann es wieder gut gelaunt weiter gehen.

Gemeinsam mit vielen anderen Ausflüglern wandere ich an den Waldseen vorbei, durch das Erlenbachtal bis zur Felsenburg Bergwartstein. In dieser mittelalterlichen Raubritterburg hauste einst der Ritter Hans von Trotha. Spontan nehme ich an der Führung teil, die wenige Minuten nach meiner Ankunft beginnt. Der Burgführer erzählt ein paar der zahlreichen Geschichten und Legenden um den berüchtigten Streiter, der in der Gegend auch als Hans Trapp bekannt ist. Es macht Spaß den Anekdoten zuzuhören, während wir über knarzende Holztreppen steigen, und Rittersaal, Waffenkammer und Wohnräume besichtigen. Durch die Sprossenfenster der bewohnten Burg gibt es großartige Ausblicke über die bewaldeten Hügel und bis in das französische Elsass hinein.

Da ich noch mindestens acht Kilometer Fußmarsch vor mir habe, klinke ich mich nach etwa einer Stunde aus und wandere die Bergkuppe hinab in den Ort Erlenbach. Dort zweigt die Verbindung zur Nordroute des Pfälzer Jakobswegs ab, und ich habe Bedenken mich zu verlaufen. Die Strecke ist jedoch gut ausgezeichnet, ich finde mich schnell zurecht und laufe weiter Richtung Bruchweiler. Der Weg führt abwechslungsreich durch das Dahner Felsenland, das für seine Felsformationen aus Buntsandstein, zahlreiche Burgen, weite Wälder, klare Bäche und Seen bekannt ist. Und in genau dieser sagenumwobenen Landschaft schaffe ich es doch noch mich zu verfranzen. Völlig von den bizarren Felsen fasziniert muss ich ein Muschelzeichen übersehen haben. Ich frage Spaziergänger nach dem Weg, folge etwas skeptisch deren Beschreibung, aber als ich im nächsten Ort ankomme, habe ich sogar eine Abkürzung gemacht. Darüber bin ich ganz froh, denn inzwischen schmerzen die Knie und die Beine sind schwer. Offensichtlich machen selbst lange Spaziergänge, Fahrrad fahren und Training im Fitness Studio einen noch lange nicht zum Fernwanderer.

Auf einem bequemen Fuß- und Radweg geht es nach Rumbach, und dort noch fast einen Kilometer die Dorfstraße hinauf bis zu meinem Nachtquartier in einem kleinen Landhotel. Durch den herzlichen Empfang der Besitzer und dem Hinweis, dass ich hier einen Pilgerstempel bekommen würde, fühle ich mich endlich als Pilgerin. Zumindest ein klein wenig. Ich lege meinen Wanderführer vor und erhalte dort hinein den Stempel. Den ersten von vielen, die in den nächsten Jahren noch folgen werden.

Das Zimmer ist einfach, wie das ganze Hotel etwas plüschig, aber sauber und auf seine Art gemütlich. Ich gönne mir eine ausgiebige Dusche und gehe erfrischt zum Essen. Auf der Terrasse finde ich einen Platz in der Abendsonne und verspeise mit großem Appetit mein wohlverdientes Mahl. Nach dem zweiten Glas Pfälzer Wein ziehe ich mich in mein Zimmer zurück, lege mich aufs Bett und bin auch schon bald eingeschlafen.

Samstag, 23.05.2009

Rumbach – Dahn und Landau – Eschbach (?? km)

Im Tagebuch steht: Ein Stück an der Wieslauter entlang, der Weg ist wirklich sehr schön. Dann gehe ich einem falschen Hinweis nach und laufe sicher 3 km direkt auf der Straße.

Der letzte Tag meines Pilgerexperiments ist angebrochen und die Sonne, die schon um acht Uhr in den Frühstücksraum lacht, verspricht schönes Wetter für meine letzten Wanderkilometer.

Als ich die Rechnung bezahle, erkundigt sich der Hausherr:

»Und? Wie sind ihre heutigen Pläne?«

»Leider muss ich schon wieder nach Hause. Ich werde den Weg ein Stück zurück zum Bahnhof in Bundenthal laufen und mit dem Zug nach Landau fahren.«

»Dann gehen sie doch besser nach Dahn. Von dort kommen sie ebenfalls mit der Bahn nach Landau. Sie müssen nur dem Radweg folgen, der ist leicht zu finden und landschaftlich reizvoll. So können sie noch ein wenig mehr von unserer schönen Gegend kennenlernen.«

Den Vorschlag nehme ich gerne an und verabschiede mich von meinem Gastgeber.

Ich habe richtig Lust zu laufen. Der Fahrradweg ist tatsächlich gut zu finden und sehr idyllisch. Ich wandere eine ganze Weile neben dem Bachlauf der Wieslauter, entlang lichter Wälder und blühender Wiesen. Um diese Zeit sind erst wenige Radfahrer unterwegs. Sie überholen mich und grüßen. Leider interpretiere ich anscheinend irgendwann die Wegzeichen falsch und muss die letzten 3 km bis Dahn direkt an der Straße gehen. Zahlreiche Autos sausen an mir vorbei und die Abgas geschwängerte Luft sorgt nicht unbedingt für gute Laune. Die wird nicht besser, als ich den Bahnhof von Dahn erreicht habe und feststellen muss, dass der gut gemeinte Vorschlag meines Gastgebers doch nicht so gut war. Von hier fährt gar kein Zug nach Landau, sondern, wie ich schließlich herausfinde, vom 10 km entfernten Hinterweidenthal. Der Bus dorthin geht erst am späten Nachmittag, also beiße ich in den sauren Apfel und bemühe das Taxi, das am Vorplatz auf Fahrgäste wartet. Als der Taxifahrer am Bahnhof des Dorfes anhält, überlege ich kurz, ob er mich veräppeln will. Aber er scheint es ernst zu meinen, denn er kassiert, lässt mich aussteigen, holt den Rucksack aus dem Kofferraum und fährt davon. Die Station liegt völlig verlassen und wirkt alles andere als einladend. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen, nur ein paar Hühner scharren im trockenen Sand eines Platzes, den man mit gutem Willen als Parkplatz bezeichnen kann. Die Bahngleise verlaufen zwischen hohem Gras und Brennnesseln und vermitteln den Anschein, als sei hier schon längere Zeit kein Zug mehr gefahren. Immerhin verspricht der vergilbte Fahrplan die Abfahrt eines Zuges nach Landau. Bilder aus Wild West Filmen kommen in meinen Kopf und die Situation ist dermaßen skurril, dass ich dem Ganzen schon wieder etwas Lustiges abgewinnen kann. Bis zur angekündigten Uhrzeit sind es noch zwei Stunden und irgendwie muss ich die Zeit totschlagen. Weder ein Kiosk noch eine Dorfkneipe sind in Sicht, an ein Café ist nicht einmal zu denken. Also drücke ich mich in der Nähe des Geländes herum, setze mich hin und wieder auf eine der abgewetzten Bänke und komme mehr und mehr ins Zweifeln, ob ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin. Erst als ein Opel Manta um die Kurve flitzt, mit quietschenden Bremsen auf dem Sandplatz anhält und dabei jede Menge Staub aufwirbelt, schöpfe ich Hoffnung. Die Scheibe wird heruntergeleiert, ein Dorfjugendlicher zündet sich eine Zigarette an und lehnt, um auch das letzte Klischee zu erfüllen, den Ellenbogen aus dem Autofenster. Vielleicht wartet er auf seine Liebste, die mit der, hoffentlich jeden Moment eintreffenden Eisenbahn ankommt. Und tatsächlich nähert sich kurze Zeit später ein Zug, hält an dem einzigen Bahnsteig, ein paar Menschen steigen aus und ich ein. Was ich bis vor kurzem nicht für möglich gehalten habe, ist wahr geworden, ich befinde mich tatsächlich auf dem Weg nach Landau. Da ich, wie sollte es auch anders sein, in einem Regionalzug meinem Ziel entgegen bummle, habe ich genügend Zeit, mir die Gegend anzusehen.

Ich bin immer noch verblüfft, dass ich wahrhaftig in Landau ankomme, steige aus und nehme die 10 km bis Eschbach in Angriff. Einen Moment lang kommt Panik auf, dass mein Auto abgeschleppt oder aufgebrochen worden sein könnte, aber ich schiebe den Gedanken ganz schnell zur Seite.

Problemlos finde ich den Einstieg zum Jakobsweg und während ich durch die rebenbewachsene Landschaft laufe, habe ich den chaotischen Teil meines bisherigen Tages schnell vergessen. Über Wiesenwege wandere ich durch hohes Gras den Hügel des Kleinen Kalmit hinauf und genieße wieder die schöne Natur. Von der Anhöhe des Naturschutzgebietes aus zeigt sich ein weiter Blick über die Rheinebene bis zum Schwarzwald und dem Odenwald, wo ich daheim bin. Um mich herum zwitschert und summt es, dass es eine wahre Freude ist. Insekten tummeln sich in frühlingsbunten Blumenwiesen, Schmetterlinge tanzen durch die Luft und Vögel singen aus voller Kehle. Am liebsten würde ich mich jetzt ins Gras legen und in den Himmel träumen. Aber beim Gedanken noch heimfahren zu müssen, siegt die Vernunft und ich laufe weiter.