Himmelsblüte - Nora Roberts - E-Book
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Himmelsblüte E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Eine abenteuerliche Reise vor der malerischen Kulisse der grünen Insel und die Suche nach der wahren Bestimmung – Band 2 der brandneuen Trilogie erstmals auf Deutsch!

Breen Kellys Herz ist zerrissen, denn die junge Lehrerin steht vor einer schweren Entscheidung: Soll sie ihr eigenes Leben aufgeben, um im Land der grünen Hügel, der Heimat ihres Vaters, nach ihren Wurzeln zu suchen? Und ihre Familie, von der sie ihr ganzes Leben lang nichts wusste, kennenlernen? Gemeinsam mit ihrem besten Freund Marco reist sie schließlich zurück nach Talamh, um den nächsten Schritt auf dem Weg zu dem zurückzulegen, wozu sie geboren wurde. Doch nicht alle Familienmitglieder sind ihr wohlgesonnen. Und dann gibt es noch diesen Mann, der sich immer wieder in ihre Gedanken schleicht …

Der Zauber der grünen Insel
Band 1: Mondblüte
Band 2: Himmelsblüte
Band 3: Sonnenblüte (in Vorbereitung)

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Seitenzahl: 807

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Buch

Breen Kellys Herz ist zerrissen, denn die junge Lehrerin steht vor einer schweren Entscheidung: Soll sie ihr eigenes Leben aufgeben, um im Land der grünen Hügel, der Heimat ihres Vaters, nach ihren Wurzeln zu suchen? Und ihre Familie, von der sie ihr ganzes Leben lang nichts wusste, kennenlernen? Gemeinsam mit ihrem besten Freund Marco reist sie schließlich zurück nach Talamh, um den nächsten Schritt auf dem Weg zu dem zurückzulegen, wozu sie geboren wurde. Doch nicht alle Familienmitglieder sind ihr wohlgesinnt. Und dann gibt es noch diesen Mann, der sich immer wieder in ihre Gedanken schleicht …

Autorin

Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.

Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Nora Roberts

Himmelsblüte

Roman

Deutsch von Uta Hege

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »The Becoming« bei St. Martin’s Press, an imprint of St. Martin’s Publishing Group, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2021 by Nora Roberts.

Published by arrangement with Eleanor Wilder

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: René Stein

Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign Covermotiv: Shutterstock.com (LifeCollectionPhotography; Rrrainbow; Lukasz Pajor; Jason Wilde)

bst · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27578-5V005

www.blanvalet.de

Für meine cleveren MädchenLaura und JoAnne.

Teil 1 DIE RÜCKKEHR

Sollte ich dich durch mein Leben oder meinen Tod schützen können, werde ich es tun.

J. R. R. TOLKIEN

Prolog

Zu Anfang herrschten Gleichberechtigung und Frieden zwischen Göttern, Menschen, Fey, und es gab einen regen Austausch zwischen den drei Welten, ganz egal, ob Frieden herrschte oder Krieg, Mangel oder Überfluss.

Doch dann verdrängten einige die alten Gottheiten aus Habgier, dem Verlangen, sich Land und Meer zu unterwerfen, oder einfach, weil sie dachten, dass es Zeit für etwas Neues war.

Und auf dem Misthaufen aus Gier, Verlangen und mangelndem Respekt erblühten Furcht und Hass. Einige der Götter wurden zornig, weil man sie nicht länger ehrte, und versuchten selbst, die ganze Macht an sich zu reißen oder die, die sich nicht unterwerfen ließen, zu zerstören, während andere, die gemäßigter und weiser waren, verstanden, dass das Rad der Zeit sich weiterdrehen musste, und diejenigen aus ihrem Kreis verstießen, die versuchten, ihre große Macht zu nutzen, um zu morden oder andere in die Sklaverei zu führen.

Und als man in der Welt der Menschen anfing, Götter nur als Mythen anzusehen, wurden die, die ihnen auf die alte Weise huldigten, von selbst ernannten neuen Hohepriestern gnadenlos verfolgt. Sie ließen foltern oder ­töten, um die alten Rituale auszumerzen, die zuvor so weitverbreitet wie die wilden Blumen auf dem Feld gewesen waren.

Schon bald erreichten Furcht und Hass die Welt der Fey. Die einst für ihre Mächte respektierten Weisen wurden dort zu Kreaturen des Bösen degradiert, und aus Angst, dass sie der Pfeil von einem Jäger träfe, breiteten die Sidhe ihre Flügel nicht mehr aus. Die Were galten plötzlich als verfluchte Ungeheuer, die das Fleisch von Menschen fraßen, und die Meerjungfrauen als Sirenen, deren Gesang die Seefahrer betörte und die Schiffe untergehen ließ.

Allerorten wüteten Pogrome, und die selbst ernannten Hüter der von ihnen selbst geschaffenen neuen Ordnung feuerten die Kämpfe in der Welt der Menschen, der der Fey und zwischen beiden Welten immer weiter an.

Dann kam für alle in Talamh die Zeit, sich zu entscheiden, zukünftig die Regeln und Gesetze aus der Menschenwelt zu übernehmen oder ihre eigenen Bräuche und den alten Zauber zu bewahren.

Es wurde endlos debattiert, doch schließlich fanden Rat und Taoiseach einen Kompromiss. Ein jeder Fey bekam die Möglichkeit, sich auch in anderen Welten umzusehen, und wenn er sich dafür entschied, auf Dauer dort zu bleiben, müsste er sich an die dortigen Gesetze halten, und es wäre ihm verboten, irgendeinen Zauber anzuwenden, außer, wenn es um die Rettung eines Lebens ging. Wobei der Fey nach einer solchen Tat zurückbeordert wurde, um zu klären, ob sein Tun gerechtfertigt gewesen war.

Auf diese Weise schaffte es Talamh, den Frieden innerhalb von seinen Grenzen lange Zeit zu wahren. Manche Fey verließen ihre Heimat, um in eine andere Welt zu ziehen, und andere brachten einen Partner oder eine Partnerin aus einer anderen Welt mit heim. Die Wiesen waren grün, die Felder golden, in den tiefen Minen schürften Trolle Bodenschätze, durch die dichten Wälder zog das Wild, und nachts schienen die beiden Monde auf die Hügel und die Seen.

Ein solcher Friede aber und ein derart grünes reiches Land rufen Hunger in den dunklen Herzen wach, und irgendwann schlich sich ein rachsüchtiger Gott aus der Verbannung nach Talamh und trat der jungen Taoiseach gegenüber als ein schönes, herzensgutes, liebevolles Wesen auf.

Dann zeugte er mit ihr ein Kind, durch dessen Adern neben seinem eigenen Götterblut das Blut der Taoiseach lief, einer Weisen mit nur mehr als einem Tropfen Sidhe.

Und jede Nacht, wenn sie in einen tiefen Zauberschlaf verfiel, trank er von der besonderen Kraft, die diesem Kind zu eigen war. Doch eines Tages sah die Mutter ihn als den, der er in Wahrheit war. Sie rettete den Sohn, führte ihr Volk in eine große Schlacht und vertrieb den einst verbannten Gott ein zweites Mal.

Zum Schutz vor seiner Rückkehr wurden sämtliche Portale nach Talamh mit einem Zauber gegen ihn und alle, die ihn unterstützt hatten, belegt, und dann gab sie den Stab des Taoiseach auf und übergab das Schwert dem See der Wahrheit, damit ihn dort jemand anders fände, der als Anführer des Volkes auserkoren war.

Sie zog ihr Kind allein auf, und wie vom Schicksal vorgesehen, holte es nach Jahren das Schwert vom Grund des Sees.

Er stellte sich als weiser Anführer heraus und schaffte es, den Frieden weiter Jahr für Jahr zu wahren, und eines Tages brachte er von einer seiner Reisen eine Menschenfrau mit, in seine Welt, zu seinem Volk und auf den schon seit hundert Jahren familieneigenen Hof.

Sie liebten sich, und als sie irgendwann ein Kind bekamen, war ihre Freude grenzenlos. Drei Jahre lang genoss das Kind die Liebe und die Wunder und den Frieden von Talamh.

Das kleine Mädchen war der größte Schatz der Fey, denn niemand außer ihr vereinte Weisen-, Sidhe-, Götter- und dazu noch Menschenblut in sich.

Natürlich hatte auch der finstere Gott es auf die Kleine abgesehen und bahnte sich mithilfe einer umgedrehten Hexe einen Weg durch das Portal zurück in ihre Welt. Er sperrte es in einem Glaskäfig am Grund des Flusses ein, wo seine Kräfte noch ein wenig wachsen sollten, damit er sein ganzes ausgereiftes Blut auf einmal trinken könnte statt nur schlückchenweise wie bei seinem Sohn.

Doch ihre Macht war damals bereits größer als gedacht, und ihre Schreie drangen durch das Portal bis nach Talamh. Ihr Zorn zerbrach das Zauberglas und half den Fey, die – angeführt von ihrem Vater und der Großmutter – zu ihrer Rettung angetreten waren, den Gott und seine Helfer zu besiegen und sie heimzuholen.

Obwohl die Burg zerstört, das Kind gerettet und die Übergänge zusätzlich gesichert waren, war die Mutter außer sich vor Angst.

Sie bestand darauf, in ihre eigene Welt zurückzukehren, in der es keinen bösen Zauber gab, und dass die Kleine keinerlei Kontakt mehr zu den Wesen aus der Welt, in die sie sie hineingeboren hatte, unterhielt.

Hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Liebe pendelte der Taoiseach zwischen beiden Welten, um auch weiter für die Tochter da zu sein und gleichzeitig sein Volk zu führen, damit sie beide sicher wären.

Am Ende überlebte weder seine Ehe noch er selbst, denn in der nächsten großen Schlacht ermordete der rachsüchtige Vater seinen eigenen Sohn.

Und während seine Tochter von der immer noch besorgten Mutter in dem Glauben aufgezogen wurde, dass ihr Vater sie im Stich gelassen hatte und sie selber nichts Besonderes wäre, zog ein anderer junger Mann das Schwert des Taoiseach aus dem See.

Und so wuchs sie in ihrer Welt zur Frau und er in seiner Welt zum Mann heran.

Sie war nicht glücklich, doch sie tat, was man ihr sagte, während er entschlossen in Talamh den Frieden wahrte, obwohl allen dort bewusst war, dass die Eintracht aller Welten weiterhin gefährdet war. Die böse Gottheit hatte es auch weiter auf das Blut von ihrem Blute abgesehen, und auf Dauer könnten ihr die Fey nicht ohne Hilfe wider­stehen.

Sie, die Brücke zwischen ihrer und der Welt der Menschen, müsste wiederkommen und erwachen, müsste werden und dann alles wagen, um die Gottheit zu zerstören.

Dann kam sie nach Talamh, auch wenn sie keine Ahnung hatte, dass sie dort schon mal gewesen war. Geleitet durch das offene Herz der Großmutter erfuhr sie, wer sie war, dass ihr Vater nicht mehr lebte und dass sie vom Schicksal auserkoren war.

Sie schwankte wie ihr Vater zwischen denen, die sie in verschiedenen Welten liebte, und den Pflichten, die es auch für sie in diesen beiden Welten zu erfüllen galt. Die Liebe und die Pflicht zwangen sie zur Rückkehr in die Welt, in der sie aufgewachsen war, doch sie versprach zurückzukehren.

Schweren Herzens machte sie sich daran, alles, was sie kannte, hinter sich zu lassen und woanders alles zu riskieren. Auf der einen Seite waren der Taoiseach und Talamh, und auf der anderen der Bruder ihres Herzens und der beste Freund, den es im Leben gab.

Und als sie das Portal betrat, sprang er als wahrer Freund kopfüber hinterher.

Hin- und hergerissen zwischen zwei verschiedenen Welten, zwischen Wesen, die sie liebte, zwischen ihren Pflichten an dem einen und dem anderen Ort, trat sie die Reise an, um endlich die zu werden, die sie, ohne es zu wissen, immer schon gewesen war.

1

Breen spürte, wie ihr Marcos Hand entglitt. Das Heulen des Windes übertönte alle anderen Geräusche, und das Licht war derart gleißend, dass sie wie geblendet war.

Hin und her geworfen von den Sturmböen versuchte sie, den Freund nicht loszulassen, während Keegan ihre andere Hand umklammert hielt.

Dann stürzte sie ins Bodenlose, und mit einem Mal wurde es kühl und dunkel, und der Wind erstarb.

Sie wurde kräftig durchgeschüttelt, lag dann aber plötzlich auf dem von dem sanften Regen aufgeweichten Feldweg, schnupperte und roch – Talamh.

Sie rappelte sich auf und beugte sich noch völlig außer Atem über Marco, der mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen reglos auf der nassen Erde lag.

»Geht es dir gut? Lass mich gucken. Marco, du Idiot!« Forschend glitt sie mit den Händen über seinen Leib. »Zumindest hast du nichts gebrochen.«

Jetzt strich sie mit einer ihrer Hände über sein Gesicht und schnauzte Keegan an: »Verdammt, was sollte das? So heftig war es nicht einmal, als ich zum ersten Mal hier rüberkam.«

Er raufte sich die Haare. »Woher hätte ich denn wissen sollen, dass wir zu Dritt sein würden und dass du so viel Gepäck mitschleppst? Aber trotzdem habe ich uns hergebracht.«

»Was zur Hölle?«

Als sich Marco endlich rührte, drehte sie sich wieder zu ihm um. »Bleib noch ein bisschen liegen. Dir ist sicher schwindlig, und wahrscheinlich bist du auch ein bisschen zittrig, aber davon abgesehen bist du okay.«

Er starrte sie aus riesengroßen braunen Augen an. »Bist du jetzt auch noch Ärztin, oder was?«

»So ähnlich. Ruh dich einfach noch kurz aus. Verdammt, wie soll’s jetzt weitergehen?«, fauchte sie Keegan an.

»Am besten sehen wir erst mal zu, dass wir ins Trockene kommen.« Wütend stand er auf und schüttelte sich schlecht gelaunt die feuchten dunklen Locken aus der Stirn. »Ich hätte direkt vor der Tür des Bauernhauses landen wollen. Und dafür, dass wir jede Menge Zeug dabeihaben, hat das überraschend gut geklappt.«

Tatsächlich konnte sie nur ein paar Meter weiter auf der anderen Straßenseite das vertraute Steinhaus sehen.

»Marco ist kein ›Zeug‹.«

Keegan stapfte dorthin, wo ihr Freund noch immer auf dem Boden lag, und reichte ihm die Hand. »Na los, Bruder, am besten richtest du dich erst mal langsam auf.«

»Mein Laptop!«, kreischte Breen und rannte zu der Tasche, die am Rand der Straße lag.

»Das blöde Ding kann jawohl nicht so wichtig sein.«

Sie drückte ihre Laptoptasche an die Brust. »Der Laptop ist für mich genauso wichtig wie dein Schwert für dich.«

»Falls er was abbekommen hat, musst du ihn eben einfach reparieren. So ist’s gut«, wandte sich Keegan wieder Marco zu. »Langsam und vorsichtig.«

Er konnte also durchaus nett sein, wenn er wollte, dachte Breen, hängte sich ihre Laptoptasche um und lief zurück dorthin, wo Marco auf der Erde saß.

»Ich nehme an, dass dir noch etwas schwindlig ist und du dich ziemlich seltsam fühlst. Ich selber wurde erst mal ohnmächtig, als ich zum ersten Mal hier angekommen bin.«

»Männer fallen nicht in Ohnmacht.« Trotzdem legte Marco seinen Kopf, in dem sich alles drehte, vorsichtshalber auf den angezogenen Knien ab. »Vielleicht verlieren wir mal das Bewusstsein oder werden umgehauen, aber in Ohnmacht fallen nur Frauen.«

»Genau«, stimmte ihm Keegan fröhlich zu. »Und jetzt holen wir dich auf die Füße. Los, Breen, fass mit an.«

»Lass mich erst noch meinen Koffer holen.«

»Frauen!« Keegan wedelte mit einer Hand, und das Gepäck verschwand.

»Wo sind die Sachen hin?«, stieß Marco krächzend aus und verdrehte seine Augen, so, als würde er womöglich doch im nächsten Augenblick in Ohnmacht fallen. »Wo sind sie hin?«

»Keine Bange, eure Sachen sind noch da. Und jetzt rauf mit dir. Stütz dich auf meiner Schulter ab, dann bringen wir dich dorthin, wo eure Koffer stehen.«

»Ich spüre meine Knie nicht. Sind Sie noch da?«

»Sie sind genau dort, wo sie hingehören.«

Auch Breen bot Marco eine Schulter an. »Schon gut. Du bist okay. Es ist nicht weit. Wir müssen nur bis zu dem Haus, das du da vorn siehst.«

Er machte ein paar unsichere Schritte und stieß kläglich aus: »Männer fallen vielleicht nicht in Ohnmacht, aber kotzen können sie. Ich glaube, mir wird schlecht.«

Breen presste eine Hand an seinen Bauch, zog einen Teil der Übelkeit heraus und nahm das Grummeln ihres eigenen Bauchs bereitwillig in Kauf. »Besser?«

»Ja, ich denke schon. Wahrscheinlich ist das alles nur ein echt seltsamer Traum. Breen hat oft seltsame Träume«, wandte er sich an Keegan und klang dabei, als hätte er zu tief ins Glas geschaut. »Manchmal sind die Träume, die sie hat, total erschreckend, aber dieser hier ist einfach nur bizarr.«

Keegan wedelte erneut mit einer Hand, und das Tor zum Hof schwang auf.

»Genau auf diese Art. Aber es riecht hier wirklich gut. Genauso wie in Irland, oder, Breen?«

»Das stimmt. Wobei wir nicht in Irland sind.«

»Es wäre auch echt seltsam, da wir schließlich eben noch in Philadelphia waren. Das wäre wie bei Raumschiff Enterprise. Als hätte Scotty uns aus unserer Wohnung durch die halbe Welt gebeamt.«

»Ich liebe Raumschiff Enterprise.« Durch neuerliches Wedeln mit der Hand öffnete Keegan auch die Eingangstür und führte Marco in das Bauernhaus. »Da wären wir. Am besten legst du dich da vorn auf den Diwan.«

»Hinlegen ist gut. He, Breen, da drüben steht dein Koffer. Echt gemütlich hier. Auf altmodische Art gemütlich und echt nett. Gott sei Dank«, stieß er erleichtert aus, sobald er auf dem Sofa lag.

»Seht ihr? Ich bin nicht ohnmächtig geworden, und ich habe bisher auch noch nicht gekotzt.«

»Am besten mache ich dir erst mal einen Tee.«

Er schüttelte den Kopf. »Ein Bier wäre mir lieber.«

»Das kann ich verstehen. Ich hole eines für dich. Bleib du hier bei ihm«, befahl Keegan Breen. »Trockne ihn erst mal ab und guck, dass sich sein Schwindel legt.«

»Warum machst du ihm nicht den Tee, den ich bekommen habe, als ich selbst zum ersten Mal hier angekommen bin?«

»Das Zeug, das in dem Tee war, passt genauso gut ins Bier.«

»Ihr sprecht von Drogen, stimmt’s?«, erkundigte sich Marco, während Keegan in die Küche ging. »Er hat uns sicher jede Menge Drogen eingeflößt, und deshalb träumen wir beide jetzt dasselbe unsinnige Zeug.«

»Nein, Marco. Das ist kein Traum.«

Sie streckte einen ihrer Arme aus, und sofort loderten im steinernen Kamin die Flammen auf. Genauso zündete sie, während sie neben dem Sofa kniete, nur mit einer Handbewegung die im Raum verteilten Kerzen an und glitt mit ihren Fingerspitzen über Marcos Rastazöpfe und die Kleider, bis sie trocken waren.

»Das ist auf jeden Fall ein völlig irrer Traum.«

»Du weißt, dass das nicht stimmt. Warum bist du mitgekommen, Marco? Warum hast du meinen Arm gepackt und bist gesprungen, als sich das Portal geöffnet hat?«

»Ich hätte dich ganz sicher nicht allein in unserem gottverdammten Wohnzimmer in einem hellen Loch verschwinden lassen, während du so fertig warst. Du hattest fürchterlich geweint und du …« Er hielt inne und blickte Richtung Decke. »Hörst du das? Anscheinend ist noch jemand anders im Haus.«

»Das kann gut sein, weil wir hier schließlich auf dem Hof von Keegans Bruder Harken sind. Mein Vater hat ihrer Familie diesen Hof geschenkt. Ich bin in diesem Haus geboren, denn meine Eltern haben hier selbst früher gelebt.«

»Das hat er dir erzählt, aber ich glaube nicht …«

»Das hat mir meine Großmutter erzählt«, unterbrach Breen ihn, »und mir ist klar, dass es die Wahrheit ist. Inzwischen fallen mir nämlich viele Dinge wieder ein. Ich werde dir erklären, was das alles zu bedeuten hat, versprochen, aber …«

Sie ließ den Satz unvollendet, als Harken in Begleitung von Morena aus der oberen Etage kam. Anscheinend hatte sich das Paar in aller Eile angezogen, denn Morena trug die Bluse falsch herum, und ihre sonnengelben Haare waren wild zerzaust.

Sie ließ sich überglücklich neben ihrer Freundin auf die Knie fallen und schlang ihr die Arme um den Hals. »Wir freuen uns unglaublich, dich zu sehen. Und du hast einen Freund mit nach Talamh gebracht.« Sie strahlte Marco an. »Du bist wahrscheinlich Marco. Meine Oma hat gesagt, du wärst ein wirklich attraktiver Bursche, und sie irrt sich nie.« Sie packte seine Hand. »Ich bin Morena und die Enkelin von Finola McGill.«

»Okay.«

»Und ich bin Harken Byrne. Willkommen in unserem Haus. Der Übergang war ganz schön heftig, stimmt’s? Aber wir kriegen dich schon wieder auf die Beine, keine Angst.«

»Schon gut.« In diesem Augenblick kam Keegan, einen Bierkrug in der Hand, zurück.

Verwundert blickte Marco zwischen beiden Männern hin und her. Die Ähnlichkeit der hervortretenden Wangenknochen und der Münder war so frappierend, sie waren wirklich Brüder.

»Bier? Tja, nun, solange du daran gedacht hast …«, setzte Harken an.

»Das ist ein Zaubertrank für Anfänger, den kriege ich genauso gut wie jeder andere hin.«

»Ein Zaubertrank?« Marco richtete sich auf, und seine wundervolle dunkle Haut wurde ein wenig grau. »Ich trinke keinen Zaubertrank.«

»Das ist so was wie Medizin«, versicherte ihm Breen. »Danach wirst du dich besser fühlen.«

»Ich bitte dich. Egal, wie gut hier alle aussehen, ist das hier ja vielleicht eine Sekte oder ein …«

»Vertrau mir.« Breen griff nach dem Bierkrug und hielt ihn ihm hin. »Du weißt, dass du mir stets vertrauen kannst. Und mir ist klar, dass das, was du im Augenblick erlebst, total unglaublich und nicht einmal ansatzweise zu verstehen ist. Aber wenn irgendwer es schafft, an alles hier zu glauben, dann ja wohl am ehesten du. Denn schließlich glaubst du sowieso an parallele Universen, oder nicht?«

»Vielleicht bist du ja gar nicht meine echte Breen.«

»Würde ich dann wissen, dass wir beide Lady Gaga im Duett gesungen haben, während du dir eine Harfe hast tätowieren lassen? Los, trink einen Schluck. Oder hätte eine Doppelgängerin den pinkfarbenen Froschbecher, den sie von dir als Kind bekommen hat, mit nach Talamh gebracht?«

»Den hast du eingepackt?« Er nahm den ersten vorsichtigen Schluck von seinem Bier. »Mir ist noch immer etwas schwummerig.«

»Ich kenne das Gefühl. Am besten trinkst du noch etwas.«

Abermals hob er den Bierkrug an den Mund und bedachte die drei anderen, die genau verfolgten, was er tat, mit einem argwöhnischen Blick. »Dann seid ihr also so etwas wie Hexer oder Zauberer?«

»Ich nicht.« Lächelnd breitete Morena ihre violetten Flügel mit den hübschen Silberspitzen aus. »Ich bin eine Fee. Breen hat auch ein bisschen Sidhe-Blut, aber für Flügel reicht es nicht. Sie wollte immer welche haben, als sie noch ein kleines Mädchen war.«

Mit diesen Worten nahm sie auf dem Rand des Sofas Platz. »Weißt du, wir beide waren damals wirklich gute, starke Freundinnen. Wir standen uns so nah, wie es sonst Schwestern tun. Ich weiß, dass du ihr auf der anderen Seite auch ein guter, starker Freund oder im Grunde eher ein Bruder warst.«

Breen hörte zu, während Morena mit verständnisvoller, gut gelaunter Stimme weitersprach.

»Sie hat dich den ganzen Sommer über fürchterlich vermisst, aber am schlimmsten für sie war, dass sie dir nicht verraten durfte, wo sie ist und was sie macht. Aber jetzt wirst du ihr als ihr guter, starker Freund zur Seite stehen. Genau wie wir und alle anderen hier.«

»Das hast du gut gesagt«, erklärte Harken ruhig und legte eine Hand auf ihre Schulter. »Nach diesem Bier wird es dir wieder besser gehen, und du wirst großen Hunger haben, Marco, weil der Übergang bestimmt sehr kräftezehrend für dich war.«

»Nicht nur für ihn. Wir haben nämlich ein vorübergehendes Portal genommen, und das war nur für zwei Personen ausgelegt.«

»Dann schätze ich, dass ihr genauso großen Hunger habt wie er. Am besten wärme ich euch also erst einmal den Rest des Eintopfs auf, den es zum Abendessen gab. Damit bekommen wir euch sicher satt.«

»Sind alle hier so attraktiv wie ihr?«, wunderte sich Marco, und Morena schlug ihm lächelnd auf den Arm.

»Was bist du doch für ein Charmeur. Tja, ich bin nicht gerade eine gute Köchin, aber Brot zu eurem Eintopf aufzuschneiden kriege ich vielleicht noch hin. Ich nehme an, ihr bleibt bis morgen hier. Wir haben auf jeden Fall genug Platz.«

»Ich würde Marco gerne einen zweiten Übergang in derart kurzer Zeit ersparen, das heißt, das Cottage fällt erst einmal weg. Und Nan und Sedric würde ich so spät nicht wecken wollen, deswegen wäre es tatsächlich gut, wenn wir hier übernachten könnten«, meinte Breen und blickte Keegan fragend an.

»Natürlich seid ihr hier willkommen«, stimmte er Morena zu und schaute Marco an. »Und, geht es dir langsam wieder besser?«

»Ja. Es geht mir wieder gut. Das heißt, im Grunde sogar mehr als gut. Ich danke dir.« Jetzt setzte er sich richtig auf und blickte stirnrunzelnd den Bierkrug an. »Was ist das für ein Zeug?«

»Genau das Richtige, damit’s dir wieder besser geht. Trink aus, Bruder, damit dich Breen zum Essen in die Küche bringen kann. Harken ist ein mehr als anständiger Koch, ich gehe also davon aus, dass es dir schmecken wird.«

Als Keegan sie verließ, sah Marco noch mal auf sein Bier und sagte dann zu Breen: »Ich denke, dass es zwischen uns noch eine ganze Menge zu besprechen gibt.«

»Auf jeden Fall. Aber auf dem USB-Stick, den ich dir gegeben habe, steht schon alles drauf. Ich habe alles aufgeschrieben, angefangen mit dem Tag in Dromoland, als ich Morena und dem Falken beim Spazierengehen im Wald begegnet bin.«

»Sie ist das Mädchen mit dem Falken?«

»Ja.«

»Okay, dann leih mir deinen Laptop, und ich lese alles, was du aufgeschrieben hast.«

»Der Laptop funktioniert hier nicht. Es gibt auch keine anderen technischen Geräte in Talamh.«

Als echter Technikfan riss er die Augen auf und starrte sie entgeistert an. »Verarsch mich nicht. Ihr könnt zwischen den Welten reisen, nur mit einer Handbewegung Feuer machen und habt Flügel, aber WLAN gibt’s hier nicht?«

»Genau. Aber ich werde dir alles erklären, das verspreche ich. Und morgen kehren wir zurück in unsere Welt in unser Cottage in der Bucht. Dort kannst du alles lesen und bei Sally anrufen, damit er dir die nächsten Tage Urlaub gibt. Am besten sagst du einfach, dass ich nicht allein zurück nach Irland fliegen wollte und du deshalb für die ersten Tage mitgekommen bist. Er darf nicht wissen, wie es wirklich war.«

Marco verzog furchtsam das Gesicht. »Wir müssen noch mal durch so ein Portal?«

»Ja, aber das wird bei weitem nicht so schlimm wie eben. Wirklich nicht. Und jetzt komm mit, du brauchst etwas zu essen und ein bisschen Schlaf. Und morgen … kümmern wir uns dann um alles andere.«

»Gibt’s da noch viel?«

»Oh ja.« Sie streichelte ihm das Gesicht und seinen hübschen kleinen Bart. »Mehr, als du dir vorstellen kannst.«

»Du hattest Angst davor zurückzukommen. Das habe ich dir angesehen. Aber wovor hast du dich gefürchtet, wenn’s hier nur um irgendwelche Zaubertricks und Feen­flügel geht?« Er blickte in die Richtung, in die Keegan und die anderen verschwunden waren. »Vor ihnen hast du keine Angst. Das hätte ich gemerkt.«

»Oh nein, vor ihnen fürchte ich mich nicht. Das ist eine sehr lange Geschichte, Marco, und für heute Abend werde ich es erst einmal dabei belassen, dass es neben all den netten Wesen hier auch echte Schurken und vor allem einen ganz besonders widerlichen Oberschurken gibt.«

»Und wie gefährlich ist der?«

»Sehr. Ich wäre dumm, mich nicht zu fürchten, aber ich bin längst nicht mehr so schwach, wie ich mal war, und werde schauen, dass ich noch stärker werde, bis ich mich dem Oberschurken stellen muss.«

Marco stand auf, nahm ihre Hand und stellte voller Nachdruck fest: »Du warst schon immer stärker, als du dachtest, und wenn dieser Ort dir hilft, das endlich zu erkennen, ist das schon mal nicht schlecht.«

»Der Ort, Keegan, Harken und Morena und die anderen, die ich dir noch vorstellen will, bevor es für dich zurück nach Philadelphia geht.« Sie drückte seine Hand. »Und jetzt lass uns was essen, denn ich kann den Eintopf bereits riechen, und ich habe wirklich einen Riesenappetit.«

Marco ließ das Thema erst mal fallen, denn fürs Erste hätte sowieso nichts mehr in seinen Kopf hineingepasst. Und obwohl er sicher davon ausgegangen war, dass er kein Auge zubekommen würde, schlief er nach dem Essen, kaum dass er im Bett lag, auf der Stelle ein.

Und wurde irgendwann vom Krähen eines Hahns geweckt. Schon das war seltsam, aber nicht so seltsam wie der fremde Raum mit einem steinernen Kamin, in dem ein heimeliges Feuer brannte, Spitzenvorhängen an den Fenstern, durch die bleiches Sonnenlicht ins Zimmer fiel, und die Erkenntnis, dass das Abenteuer letzte Nacht kein Traum gewesen war.

Er brauchte Breen, einen Kaffee und eine ausgedehnte heiße Dusche, und er hatte keine Ahnung, wo die Freundin, die Kaffeemaschine und das Badezimmer waren.

Er schwang die Beine aus dem Bett und stellte fest, dass er in seinen Klamotten eingeschlafen war. Sie waren hoffnungslos zerknittert, und er musste einfach hoffen, dass ihm vielleicht einer der zwei heißen Brüder was zum Anziehen borgen könnte, wenn er aus der Dusche kam.

Er sah auf seine Uhr – die ihm die Zeit verriet und seine Schritte zählte –, aber das Display war schwarz.

Er wusste also nicht, wie spät es war, und um niemanden zu wecken, schlich er sich auf Zehenspitzen in den Flur und weiter bis ins Erdgeschoss.

Dann hörte er die Frauenstimmen und folgte ihnen in die Küche, in der er bereits am Vorabend gewesen war.

An einem kleinen Ess- und Arbeitstisch saß Breen und unterhielt sich mit Morena, aber als sie ihn entdeckte, sprang sie eilig auf. »Du bist schon wach. Ich hätte angenommen, dass du länger schläfst.«

»Da war ein Hahn. Zumindest glaube ich, dass es ein Hahn gewesen ist.«

»Was hätte es denn sonst sein sollen? Denn schließlich sind wir hier auf einem Bauernhof. Setz dich hin, dann mache ich dir einen Tee.«

»Kaffee, Breen. Du weißt, ich komme ohne Kaffee nicht in Schwung.«

»Tja, nun.«

Entgeistert warf er sich die Hände vor die Augen. »Jetzt sag bloß nicht, dass es keinen Kaffee gibt.«

»Aber der Tee ist wirklich stark und bringt dich sicher ebenfalls auf Trab. Hunger?«

»Erst mal muss ich dringend duschen.«

Abermals bedachte sie den Freund mit einem mitleidigen Blick. »Tja, nun.«

Jetzt setzte er sich an den Tisch und stützte seinen Kopf in seine Hände. »Wie kommt hier irgendjemand ohne Kaffee oder eine Dusche durch den Tag?«

»Wir haben Toiletten«, klärte ihn Morena auf. »Und schöne große Wannen.«

»Marco ist eher nicht der Badewannentyp.«

»In einer Wanne sitzt man in dem ganzen Dreck, den man abwaschen will.«

»Da hast du nicht ganz unrecht«, stimmte ihm Morena zu und schlug ihm vor: »Ich könnte dir zumindest eine Außendusche bieten, wenn die dir genügt.«

»Das kriegst du hin?«

»Wir Feen sind mit den Elementen eng verbunden, und falls du im warmen Regen duschen möchtest, kriege ich das sicher hin. Aber natürlich nicht im Haus.«

»Natürlich nicht.« Er nahm den Becher, den ihm seine Freundin hinhielt, trank den ersten großen Schluck von seinem Tee und blinzelte verwirrt. »Ich glaube, dieses Zeug löst meinen Zahnschmelz auf. Besteht vielleicht die Chance, dass mir irgendjemand was zum Anziehen leiht?«

»An Harken ist zwar deutlich mehr dran als an dir, aber ich kann dir gern ein Hemd und eine Hose von ihm holen. Aber vorher suchen wir noch eine Stelle aus, an der du duschen kannst.« Sie holte ein Stück brauner Seife aus dem Schrank und wandte sich zum Gehen.

»Ich mag deine Zöpfe«, meinte sie und öffnete die Tür zum Hof. »Ich hätte selbst nicht die Geduld, um sie zu flechten, aber sie sind wirklich schön. Am besten nehmen wir den Platz hinter dem Silo, denn da kann dich niemand sehen.«

»Das wäre gut.«

»Der Freund von meiner Freundin ist auch mein Freund«, gab sie gut gelaunt zurück. »Am besten stellst du dich aufs Gras, sonst stehst du irgendwann im Matsch.« Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und sah Marco fragend an. »Also. Wie warm soll die Dusche sein?«

»Am besten möglichst heiß. Nicht gerade kochend, aber möglichst warm.«

»Okay.« Sie drückte ihm die Seife in die Hand, und in Stiefeln, Hose und jetzt nicht mehr falsch herum getragenem Hemd hob sie die Hände mit den Handflächen nach oben über ihren Kopf und klappte ihre Finger ein, als zöge sie etwas zu sich heran.

Auf einer Fläche, die so groß wie eine Standardduschkabine war, setzte ein dünner, federleichter Nieselregen ein.

Marco fiel die Kinnlade herunter, als Morena ihre Finger immer wieder umbog, bis der Regen dicht genug zum Duschen war.

»Warum probierst du nicht mit deiner Hand, ob er dir warm genug ist?«, schlug sie vor.

Er streckte einen seiner Arme aus und nickte zustimmend. »Oh ja. So ist es gut. Es ist … unglaublich. Meine Güte, ich weiß wirklich nicht, wie ich das alles packen soll.«

»Ich finde, du hältst dich echt gut.« Morena machte einen Schritt zurück. »Dann werde ich dir jetzt ein Handtuch und etwas zum Anziehen holen gehen.«

»Danke. Hm. Wie schaltet man das Wasser wieder aus?«

»Ich habe es auf eine Viertelstunde eingestellt. Du fängst also am besten langsam an.«

Nachdem Morena gegangen war, verlor Marco eine weitere Minute damit, dass er einfach auf die Zauberdusche starrte, ehe er aus seinen Kleidern stieg.

Doch als er sich nach seiner Dusche und im ungewohnten Landhaus-Chic den ersten Bissen Toast mit Rührei in den Mund schob, fühlte er sich fast normal.

»Ich weiß, wir müssen reden und in unser Cottage«, meinte Breen, »aber vorher muss ich noch auf einen Sprung zu meiner Großmutter. Ich muss sie sehen, und ich will Faxe holen.«

»Ich würde diesen Hund und deine Oma wirklich gerne kennenlernen.«

»Nan wohnt nicht weit von hier, und der Spaziergang bis zu ihrem Haus ist wirklich schön.«

»Okay. Am besten passe ich mich einfach an und mache alles, was du sagst.« Er trat mit ihr vors Haus. »Es sieht hier wie in Irland aus, und auch die Leute hören sich wie Iren an. Bist du dir sicher, dass wir nicht in …«

»Ja. Du hast doch sicher schon versucht, dein Handy zu benutzen, oder nicht?«

Marco tastete in einer Tasche der geborgten Hose nach dem ausgefallenen Gerät. »Ja. Es hat nicht funktioniert. Und ja, ich habe eben eine Feendusche hinterm Haus genommen, die die beste Dusche meines Lebens war. Und trotzdem wirkt das alles total irreal auf mich.«

»Das kann ich gut verstehen.«

»Ich meine, hier ist diese Bucht, aber es ist nicht die, wo unser Haus in Irland stand. Und genauso ist die Bergkette da drüben eine andere als die, die man vom Cottage aus gesehen hat. Und überall sind Blumen, Schafe, Kühe, Pferde. Auch hier auf dem Hof. Fehlt nur noch, dass du mir erzählst, dass du inzwischen reiten kannst.«

»Das kann ich.« Sie beschloss, ihm erst mal nicht den Teil des Hofs zu zeigen, wo sie unter Keegans gnadenloser Führung Schwertkampf erlernt hatte. »Man muss hier reiten können, weil’s hier nämlich keine Autos gibt.«

»Es gibt hier keine Autos?«

»Weder Technik noch Maschinen. Die Leute hier haben die Magie gewählt.«

»Es gibt auch keine Toaster«, fiel es Marco wieder ein. »Ihr röstet hier das Brot im Holzofen. Und das Wasser kommt aus einer Quelle oder wird von einer Fee besorgt. Und damit kommst du mühelos zurecht?«

»Ich hatte nebenher ja noch das Cottage auf der anderen Seite, wo ich meinen Blog und meine Bücher schreiben konnte. Auch wenn man natürlich hier auf andere zauberhafte Weise schreiben kann. Vor allem habe ich mich einfach in das Land verliebt, weil’s hier so herrlich rein und friedlich und lebendig ist.«

»Wir haben doch schon von der sensorischen Erinnerung gesprochen, weißt du noch? Und schließlich hast du mir erzählt, dass du hier auf die Welt gekommen bist. Sind das etwa die heißen Brüder auf dem Feld?«

»Die heißen Brüder? Oh.« Lachend hakte sie sich bei ihm ein. »Ja, sicher. Harken ist mit Leib und Seele Bauer. Keegan ist im Grunde eher Soldat, aber er liebt den Hof deshalb nicht weniger und hilft so oft wie möglich mit. Obwohl er als der Taoiseach die Verantwortung für alles trägt.«

»Als Taoiseach?«

»Das bedeutet Führer. Keegan ist der Führer von Talamh, der Anführer der Fey.«

»So etwas wie ein König?«

»Nein.«

Sie merkte, dass es seltsam war, ihm Dinge zu erklären, die ihr selbst zu Beginn des Sommers noch vollkommen fremd gewesen waren.

»Hier gibt es keine Herrscher oder Könige. Er führt das Volk. Er hat gewählt und wurde ausgewählt. Das ist eine lange Tradition, die ihre Ursprünge in einer alten Sage hat. Es gibt hier einen See«, setzte sie an, doch Marco packte ihren Arm und rannte los.

»Verdammt. Komm mit. Da drüben in den Wald.«

»Was ist? Ach so, nein, schon gut. Das ist nur Keegans Drache.«

»Keegans was?«

»Ruhig Blut, Marco. Sie haben Drachen in Talamh, aber keine von der Sorte Prinzessinnen fressendes Ungeheuer. Ich bin selbst schon mal auf diesem Drachen hier geritten.«

Ohne seinen Griff um ihren Arm zu lockern, meinte Marco: »Bist du nicht.«

»Bin ich doch, und es war wunderbar. Sie sind loyal. Sie binden sich an einen Reiter, dem sie dann für alle Zeiten treu ergeben sind. Und sie sind wunderschön. Auch mein Vater hatte einen Drachen.«

»Vielleicht setze ich mich besser hin. Ich hasse es, die Memme rauszukehren, Mädel, aber meine Knie werden gerade ziemlich weich.«

Bevor sich Marco mitten auf die Straße setzen konnte, erklang fröhliches Gebell, und Faxe kam mit wild fliegendem Fell und wild wippendem Bärtchen auf sie zugerannt.

»Da bist du ja, mein kleiner Schatz!« Er sprang derart begeistert an ihr hoch, dass sie beinah hintenüberfiel. »Oh, du bist gewachsen. Und du hast mir auch gefehlt. Ich habe dich in Philadelphia unglaublich vermisst!«

Lachend ging sie vor dem Hündchen in die Hocke und rieb ihm das Fell. »Das ist Faxe«, stellte sie ihn Marco vor.

»Das hatte ich mir schon gedacht. Und meine Güte, er hat wirklich beinah violettes Fell. Es gibt doch dieses Lied von Jimmy Hendrix, Purple Haze. Du hättest ihn also nicht Faxe, sondern Hendrix nennen sollen. Aber du bist echt ein süßer Kerl!«

Der Drache war vergessen, als auch Marco in die Hocke ging und Faxe ihn damit belohnte, dass er mit der Zunge über seine Wange fuhr.

»Er mag mich!«

»Was denn sonst? Und wenn er hier ist, weiß auch meine Nan, dass ich zu Hause bin. Na, komm, lass uns erst mal zu meiner Oma gehen.«

Faxe lief ein Stück voraus, kam schwanzwedelnd zurück und lief dann wieder vor.

»Na, der ist aber gut gelaunt. Aber noch mal zu deiner Großmutter. Die ist doch sicher auch etwas Besonderes?«

»Sie ist eine Weise. Eine Hexe mit ein bisschen Sidhe. Und sie war mal Taoiseach, so wie Keegan es jetzt ist.«

»Dann ist die Zeit, die man als Anführer bekommt, also begrenzt.«

»Nein, sie hat den Posten aufgegeben, und dann kam mein Vater dran. Und jetzt ist Keegan an der Reihe. Aber das erkläre ich dir später noch genauer.«

»Und was ist mit deinem Großvater?«

»Der ist nicht hier, und wir wollen dafür sorgen, dass es auch so bleibt. Weil er nämlich der Oberschurke ist.«

Mit diesen Worten nahm sie Marcos Hand und bog in den Weg zu Mairghreads Cottage ab. »Es gibt noch jede Menge Sachen, die ich dir erzählen muss.«

»Scheint mir ganz so.«

»Sie ließ mich damals gehen, obwohl ihr das nicht leichtgefallen ist. Und nach dem Tod von meinem Vater hat sie mir das Geld, das meine Mutter all die Zeit vor mir versteckt hatte, geschickt. Und dann hat sie, auch weil sie wusste, dass ich mit dem Leben, das ich hatte, alles andere als glücklich war, dafür gesorgt, dass ich es finde und dann selbst entscheiden kann, wie es mit meinem Leben weitergehen soll. Sie hat dafür gesorgt, dass ich die Arbeit an der Schule schmeißen und nach Irland kommen konnte. Hat das Cottage, wo wir beide waren, gebaut und mir den Hund geschickt, damit er mich in meine alte Heimat führt. Vor allem aber liebt sie mich um meinetwillen, so wie bisher nur mein Vater, du, Sally und Derrick, und hat mir die Welt eröffnet, in die ich hineingeboren bin.«

»Dann werde ich sie sicher auch lieben.«

Die leuchtend blaue Tür des kleinen strohgedeckten Steinhauses stand wie gewöhnlich offen und ließ den verführerischen Duft der Blumen herein, die rund um das Cottage blühten.

In einem langen dunkelgrünen Kleid, mit einem leuchtend roten Dutt und feuchten nebelgrauen Augen erschien Mairghread auf der Schwelle und griff sich vor Freude, ihre Enkelin zu sehen, ans Herz.

»Du siehst ihr ziemlich ähnlich«, raunte Marco seiner Freundin zu. »Und sie sieht nicht mal annähernd wie eine Oma aus.«

»Ich weiß. Nan!«

Marg breitete die Arme aus, und Breen warf sich ihr an die Brust.

»Mo stór. Willkommen daheim. Mein süßes Mädchen. Dir geht’s gut.« Sie legte Breen die Hände ans Gesicht und zwang sie sanft, sie anzusehen. »Das spüre ich und sehe ich dir an. Mein Herz ist übervoll.«

Noch einmal zog sie Breen an ihre Brust und lächelte den Freund der Enkeltochter über deren Schulter hinweg an. »Und du bist Marco, stimmt’s?«

»Ja, Ma’am.«

»Du bist hier ebenfalls willkommen.« Sie reichte ihm die Hand. »Die Tür von meinem Haus steht dir zu allen Zeiten offen. Diese Reise war für dich bestimmt sehr seltsam.«

Sie hielt seine Hand noch etwas fest und sah sich sein Gesicht, die tiefgründigen, dunklen Augen, das gepflegte Ziegenbärtchen und das leicht nervöse Lächeln an.

»Du bist ein guter Mann und meiner Breen ein guter Freund. Das sehe ich und bin den Göttern dankbar, weil sie dir begegnet ist. Und jetzt kommt rein und setzt euch erst mal hin.«

Sie führte sie durchs Wohnzimmer mit seinem Sofa voller hübsch bestickter Kissen und dem steinernen Kamin nach hinten durch.

»Die Küche ist der Ort für die Familie. Wir trinken erst mal einen Tee, und wenn ich mich nicht irre, ist der gute Sedric heute extra früher aufgestanden, weil er die Zitronenplätzchen backen wollte, die du gerne isst.«

»Wo steckt er überhaupt?«

»Ich schätze, er ist gerade unterwegs.«

Als Marg den Tee aufsetzen wollte, meinte Breen: »Das übernehme ich. Setz du dich schon einmal mit Marco an den Tisch.«

»Na dann.« Ein Lächeln auf den Lippen, setzte Marg sich an den kleinen Tisch und bot Breens Freund den freien Stuhl an ihrer Seite an. »Und du bist Musiker.«

»Auch wenn mir der große Durchbruch bisher noch nicht vergönnt war.« Er sah sie an und nahm an ihr sehr viel von Breen und deren Vater, den er immer noch vermisste, wahr. »Mein Geld verdiene ich als Bartender.«

»Ja, genau, im Sally’s. Breen hat mir von Sally und Derrick und von ihrer Bar erzählt, und Sedric sagt, es geht dort sehr gesellig zu.«

»Dann war er also schon mal dort?«

»Der grauhaarige Mann, von dem du dachtest, dass ich ihn mir eingebildet hätte«, meinte Breen und maß die Teeblätter aus einer Dose ab.

»Oh. Das tut mir leid.«

»Wir waren um Breen besorgt und in den letzten ein, zwei Jahren noch mehr als sonst. Es tat uns in der Seele weh mitanzusehen, wie sie sich jeden Morgen in die Schule schleppte, obwohl sie es hasste, Lehrerin zu sein.«

»Ich war für diese Arbeit einfach nicht gemacht.« Breen füllte Wasser aus dem Kupferkessel auf dem Herd in Mairghreads blaue Kanne und warf die Teeblätter hinterher.

»Das warst du nicht, und trotzdem warst du eine gute Lehrerin. Auch wenn du selbst das nie gesehen hast. Und genau deshalb waren wir so besorgt«, wandte sich Mairghread wieder Marco zu. »Sie hatte viel zu wenig Selbstbewusstsein und sich kaum was zugetraut.«

Für Marco war das Eis bereits gebrochen, weil sie Breen so ähnlich war, bei ihren Worten aber schmolz es endgültig dahin. »Das brauchen Sie mir nicht zu sagen.«

Lachend beugte Marg sich zu ihm vor, als hätte sie die Absicht, ihn in ein Geheimnis einzuweihen. »Und dazu hat sie sich auch noch ihr hübsches rotes Haar in einem langweiligen Braun gefärbt, um ja nicht aufzufallen, und ihren hübschen Körper absichtlich mit langweiligen Kleidern verhängt.«

»Genau.«

Als Mairghread wieder lachte, stellte Breen die Kanne auf den Tisch und fragte augenrollend: »Wärt ihr zwei lieber allein?«

Als sie noch einmal losging, um die weißen Tassen und die Tellerchen für das Gebäck zu holen, wandte sich Marco wieder ihrer Oma zu. »Das war die Schuld von ihrer Mom. Zu mir war Mrs. Kelly immer nett, aber zu ihr …«

»Von mir wirst du kein böses Wort über sie hören. Eine Mutter ist nun einmal eine Mutter, und ich weiß, dass Breen damals ein Kind der Liebe war.«

»Ich habe ihren Vater ebenfalls geliebt. Es tut mir in der Seele weh, dass er nicht mehr am Leben ist. Er hat mir die Musik geschenkt und mir den ersten Unterricht erteilt. Er hat mich, als ich neun wurde, mit meiner ersten eigenen Gitarre überrascht und mir dadurch eine Welt eröffnet, die mir vorher völlig fremd gewesen war.«

»Er hat sehr oft von dir gesprochen.«

»Wirklich?«

»Allerdings. Er hat sehr viel von dir erzählt. Durch meinen Jungen habe ich auch dich als Jungen gekannt. Er hat gesagt, du wärst sehr talentiert und außerdem ein wirklich aufgeweckter Kerl. Und seinem Mädchen der mit Abstand beste, treueste Freund, den er ihr wünschen kann. Er hat dich ebenfalls geliebt, Marco.«

Als seine Augen sich mit Tränen füllten, drückte Mairghread ihm die Hand. »Breen wird dich während deines Aufenthalts zu seiner letzten Ruhestätte führen. Sie liegt an einem geweihten Ort. Ich weiß, dass dein Besuch hier nicht geplant war, aber wenn ich ehrlich bin, freut es mich sehr, dass du gekommen bist. Es freut mich sehr, dass ich den besten Freund, den meine Enkeltochter auf der anderen Seite hat, endlich persönlich kennenlernen darf.«

»Ich kann mich immer noch nicht dran gewöhnen, dass wir jetzt … woanders sind.«

»Es sind schließlich auch jede Menge neuer Dinge auf dich eingestürmt, nicht wahr?«

»Das alles ging so schnell, dass ich noch keine Chance hatte, ihm alles zu erzählen.« Breen stellte die Zitronenplätzchen auf den Tisch und schenkte ihnen allen ein. »Am besten gehen wir dazu rüber in das Cottage, falls du nichts dagegen hast.«

»Was sollte ich denn wohl dagegen haben? Schließlich habe ich das Haus extra für dich gebaut, und Finola füllt bereits die Speisekammer für euch auf. Und freut sich schon darauf, dass sie den hübschen Marco wiedersehen wird.«

Er wurde rot. »Das hätte sie nicht machen müssen. Schließlich gibt’s im Dorf Geschäfte, wo man alles kaufen kann. Das heißt, verdammt, wir haben noch gar kein Geld gewechselt, Breen, und ich weiß nicht, wie viel ich überhaupt dabeihabe.«

»Hier in Talamh brauchst du kein Geld.« Jetzt setzte sich auch Breen und biss von einem Plätzchen ab. »In dieser Welt ist Geld nichts wert.«

»Und wie kommt man dann hier an Sachen, die man braucht?«

»Durch Tauschhandel«, erklärte Marg und nippte vorsichtig an ihrem Tee. »Und eure Speisekammer drüben aufzufüllen ist uns eine Freude.«

»Aber Breen hat mir erzählt, ihr Vater und dann Sie hätten ihr regelmäßig Geld geschickt.«

»Das haben wir. Wir haben durchaus die Möglichkeit, an Geld zu kommen, wenn es nötig ist. Die Trolle bauen Gold und Edelsteine in den Minen ab, und wir haben auch Handwerker und so. Und dazu haben wir noch Leute auf der anderen Seite und in anderen Welten, die dort kaufen und verkaufen«, klärte Marg ihn auf.

»Sie haben ihr ganzes Leben mit dem Geld verändert, Ma’am. Wobei das Wissen, dass ihr Vater sich auch weiterhin um sie gekümmert hat, für Breen genauso wichtig war. Aber das Geld gab ihr die Möglichkeit, die Arbeit, die sie nie geliebt hat, hinzuschmeißen und was Neues zu probieren.«

Er blickte dorthin, wo der kleine Hund mit einem Hundekuchen saß. »Das Buch, das sie geschrieben hat? Das ist einfach der Hit. Haben Sie es schon gelesen?«

»Ja. Der kleine Hund, um den es darin geht, ist genauso aufgeweckt und lustig wie sein Namenspate, findest du nicht auch?«

»Und jetzt schreibt sie an einem Erwachsenenbuch, das sie mich aber noch nicht hat lesen lassen.«

»Mich auch nicht.«

»Weil es lange noch nicht fertig ist«, mischte sich Breen in das Gespräch. »Es kommt mir immer noch so vor, als sollte ich spazieren gehen, damit ihr zwei allein miteinander reden könnt.«

»Wir haben schließlich jede Menge nachzuholen, oder, Marco?«

»Ja, Ma’am.«

»Bitte nenn mich Marg oder, nachdem du meiner Enkelin so was wie ein Bruder bist, auch gerne Nan.«

Noch während sie dies sagte, ging die Hintertür des Hauses auf, und Marco sah zum ersten Mal den grauhaarigen Mann, der ihm in Philadelphia nicht aufgefallen war.

Breen sprang auf und fiel ihm um den Hals, und Marco nahm die überraschte Freude im Gesicht des Mannes wahr. »Willkommen daheim, Breen Siobhan. Und sei auch du willkommen, Marco Olsen.«

»Es gibt Sie tatsächlich. Tut mir leid, dass ich daran gezweifelt habe.«

»Nun, da bist du nicht der Erste.«

»Setz dich«, forderte Breen Sedric auf. »Ich hole mir den Schreibtischstuhl aus meinem Zimmer. Falls es den noch gibt.«

»Den wird es immer geben«, sagte Marg ihr.

Breen holte eine vierte Tasse, einen weiteren kleinen Teller und erklärte: »Das Gespräch mit meiner Mutter war nicht leicht.«

»Ich weiß, Schätzchen«, meinte ihr Freund.

»Als ich ihr Haus verlassen habe, bin ich erst mal eine Ewigkeit gelaufen, um mich zu beruhigen, denn sie hatte mir all diese Dinge, meine Gaben und mein Erbe vorenthalten und mich vorsätzlich in eine Box gesperrt. Ich weiß, sie hatte Angst um mich«, kam sie dem Einwand ihrer Großmutter zuvor. »Aber als ich irgendwann genug gelaufen war und mit dem Bus nach Hause fahren wollte, hat mich Sedric an der Haltestelle abgepasst. Er saß dort auf der Bank, weil ich jemanden brauchte, um mich auszuheulen. Das werde ich ihm nie vergessen. Und genauso wenig werde ich vergessen, was Keegan zu mir gesagt hat. Nämlich, dass sie Angst nicht nur um mich, sondern genauso um sich selber hat. Dass sie sich davor fürchtet, was ich bin und habe, und mich auch um ihrer selbst willen die ganze Zeit so klein gehalten hat. Aber ich denke, und ich hoffe, dass ich ihr das vielleicht irgendwann verzeihen kann. Aber jetzt hole ich erst mal den vierten Stuhl.«

Als sie den Raum verlassen hatte, stellte ihre Großmutter mit einem Seufzer fest: »Es wird ihr besser gehen, wenn sie verzeihen kann.« Dann griff sie nach der Teekanne und schenkte Sedric ein. »Also, Marco, du bist hergekommen, ohne dass du vorher hättest ein paar Sachen packen können, die du während deines Aufenthalts hier vielleicht brauchst. Aber wenn du Sedric eine Liste schreibst, kann er die Dinge, die du haben möchtest, für dich holen.«

»Das können Sie?«

»Ich kann und werde es mit Freuden tun.«

»Weil Sie … ein Hexer sind? Ein Zauberer?«

»Nicht ganz. Ich bin ein Wer.«

Marco hatte gerade seine Hand nach einem Plätzchen ausgestreckt, jetzt aber zog er ruckartig den Arm zurück. »Sie sind ein Werwolf?«

»Nein, obwohl ich ein paar kenne, die sich aber sicher nicht bei Vollmond wie von Sinnen auf irgendwelche anderen Wesen stürzen, weil sie wild auf deren Blut und Eingeweide sind. Ich selbst bin eine Werkatze.«

»So etwas wie ein Löwe?«

Kichernd wandte Mairghread sich an ihren Schatz. »Na los, Sedric, zeig Marco, was es mit dir auf sich hat.«

Sedric zuckte lächelnd die Achseln und saß kurz darauf als Kater auf dem Stuhl.

Unter dem Tisch wedelte Faxe fröhlich mit dem Schwanz, doch schon im nächsten Augenblick verwandelte der Kater sich zurück und trank als Mann den ersten Schluck von seinem Tee. »Im Grunde sind wir eine Einheit. Mann und Totemtier. Und für die Reisen durch verschiedene Welten hilft das Hexerblut, das ebenfalls in meinen Adern fließt. Also sag mir einfach, was du brauchst, dann bringe ich es dir.«

Marco reckte einen Finger in die Luft. »Am besten kippen wir nachher zusammen ein paar möglichst große Drinks.«

»Wir haben wirklich guten Wein«, fing Mairghread an.

»Danke, aber auch, wenn ich jetzt sicher einen Drink brauchen könnte, ist es dafür noch zu früh. Aber nachher holen wir das alles nach. Und was ich brauche, hängt wahrscheinlich davon ab, wie es hier weitergeht. Breen hatte Angst davor zurückzukommen. Sie war wild entschlossen, hatte aber trotzdem Angst. Und Keegan – er hat irgendwelches Zeug gesagt, das ich im Grunde nicht verstanden habe, aber es ging darum, dass er sie aus ihrer Pflicht entlassen und sie nicht an ihr Versprechen binden würde, wenn sie das nicht will.«

»Das hat er gesagt?«, erkundigte sich Marg.

»Ja, und Breen hat mir erzählt, dass es hier einen Oberschurken gibt und sie mir alles noch genau erklären wird. Aber ich weiß nicht, was ich brauche, bis ich weiß, warum der Oberschurke ihr Leid zufügen will.«

In diesem Augenblick kam Breen zurück, und Mair­ghread sah sie fragend an. »Dann hast du ihm von Odran also bisher nichts erzählt?«

»Ich wusste schließlich nicht, dass er sich an mich klammern würde, als sich das Portal geöffnet hat, und du kannst dir doch sicher vorstellen, dass er nach der Ankunft erst mal ziemlich durch den Wind gewesen ist. Aber ich habe alles aufgeschrieben und möchte, dass er es liest. Wenn er danach vielleicht noch etwas wissen will, erzähle ich es ihm.«

»Ich finde, dass er jetzt schon was davon erfahren sollte, und egal, wie früh es ist, tut uns ein Schlückchen Wein dabei bestimmt nicht weh.«

Sedric legte einen Arm auf Mairghreads Schulter und stand auf. »Ich kümmere mich darum.«

2

»Als ich noch jung war«, fing sie an, »noch jünger als ihr beide jetzt, tauchte ich nach dem Schwert, nahm den Stab und wurde Taoiseach von Talamh. Dann tauchte Odran in der Hauptstadt auf, und ich sah nur den attraktiven, netten, durch und durch charmanten jungen Mann, den er mich sehen ließ. Ich verliebte mich in diese Illusion, und nach der Heirat kehrten wir zusammen auf den Hof unserer Familie hier in diesem Tal zurück. Auch die Familie ließ sich von ihm täuschen, und als unser Sohn geboren wurde, war ich außer mir vor Glück.«

Dann war sie eines Nachts aus dem durch einen Zaubertrank herbeigeführten Schlaf erwacht und hatte mitbekommen, wie ihr Mann zur Stärkung seiner eigenen Macht vom Blut von seinem Jungen trank. Danach hatte sie Krieg geführt gegen den finsteren Gott, seine Dämonen und die Sklaven, die er hatte für sich kämpfen lassen, aber aus der darauffolgenden Verbannung hatte er am Ende seine damals dreijährige Enkelin entführt.

Marco war wirklich dankbar für das Weinglas, das er in den Händen hielt.

»Aber Breen hat noch mehr Kräfte als ihr Vater, stimmt’s? Denn sie stammt nebenher auch noch von einer Menschenmutter ab.«

»Du bist wirklich clever, Marco. Unsere Breen hier ist das Bindeglied zwischen dem Reich der Menschen, dem der Götter und dem Reich der Fey. Dank ihrer ganz besonderen Kräfte hat sie sich als dreijähriges Mädchen damals ganz allein aus dem Glaskäfig befreit. Nicht einmal Odran wusste, welche Macht sie hat. Und meiner Meinung nach ist ihm das immer noch nicht klar. Und dann hat Eian als der Taoiseach unsere Soldaten in die Schlacht geführt, die Schwarze Burg zerstört, sämtliche Portale, die von Odrans Welt in unsere führten, dichtgemacht und getan, was möglich war.«

»Dann wollte meine Mutter, dass er sich zwischen ihr und mir und dieser Welt entscheidet«, griff Breen den Faden auf. »Aber wie hätte er das je gekonnt? Zumindest aber übergab er seinen Hof an die O’Brians, deren Vater in der Schlacht gefallen war. Er und mein Vater waren beste Freunde, und er hat auch bei den Warlocks mitgespielt. Das war die Band, von der Tom Sweeney uns in seinem Pub ein Foto überlassen hat.«

»Das heißt, es war kein Zufall, dass wir damals dort gelandet sind.« Marco trank den nächsten Schluck von seinem Wein. »Wir sollten Tom dort treffen, damit wir erfahren, wie deine Eltern sich begegnet sind.«

»Sie haben sich geliebt. Ich glaube, dass das zwischen ihnen echte Liebe war. Und weil mein Vater meine Mutter liebte, gingen sie mit mir nach Philadelphia, und er hat versucht, so zu sein, wie sie ihn haben wollte, aber gleichzeitig auch weiter seine Pflicht als Taoiseach zu erfüllen.«

»Dann waren diese ganzen auswärtigen Gigs also in Wahrheit keine Gigs, weil er stattdessen hier gewesen ist?«

»Genau, und das war meiner Mutter klar. Das konnte sie ihm nicht verzeihen, und deshalb hat sie irgendwann die Scheidung eingereicht und ihm bestimmt dieselben Sachen an den Kopf geworfen wie mir selbst, als ich vor ein paar Tagen bei ihr war. Sie hat gesagt, meine besonderen Gaben – und damit ich selbst – wären eine Verirrung der Natur, und für so etwas wäre kein Platz in ihrem Haus.«

Marco drückte ihr die Hand.

»Sie hat sich eingeredet, dass sie mich beschützt, aber im Grunde hat sie nur sich selbst beschützt und die Welt so hingebogen, wie sie sie hat sehen wollen.«

»Das tut mir leid, Breen.« Marco hielt die Hand der Freundin weiter fest.

»Mir auch.«

»Sie irrt sich, wenn sie denkt, dass sie die Welt so drehen kann, wie sie sie haben will. Das kann nicht funktionieren, und deshalb tut sie mir trotz allem auch ein bisschen leid. Aber, verdammt, Verirrung der Natur? Verzeihung«, sagte er zu Marg.

»Da gibt’s nichts zu verzeihen, weil ich völlig deiner Meinung bin.«

»Du bist keine Verirrung, Breen, sondern ein Wunder. Das war mir schon immer klar, auch wenn ich mir nicht sicher war, warum. Wie hätte ich auch darauf kommen sollen, welches ganz besondere Blut in deinen Adern fließt?« Er wandte sich erneut an ihre Nan. »Wie genau ist Eian gestorben? Und wie kann sein Vater seiner Tochter heute noch gefährlich werden, nachdem seine Burg zerstört und alle Übergänge, die von seiner Welt in diese führen, geschlossen worden sind?«

»Breen ist zwar der Schlüssel, aber ganz Talamh ist in Gefahr. Mein Sohn wurde von Odran umgebracht. Als er wieder zu Kräften kam, hat er mithilfe einer umgedrehten bösen Hexe wieder Krieg gegen Talamh geführt. Ich glaube, das war eine List, um an den eigenen Sohn heranzukommen und ihn zu töten, weil er sich von ihm nicht hat unterjochen lassen.«

»Und jetzt hat er’s auf seine Enkeltochter abgesehen. Okay, bei allem gebührenden Respekt, und auch, wenn mir wirklich leidtut, dass Sie diese Kriege führen müssen, denke ich, dass Breen in Philadelphia deutlich besser aufgehoben ist als hier. Denn dort kommt dieser Odran nicht an sie heran. Ich bin ganz sicher nicht der Meinung deiner Mom. Ich finde, du musst die sein, die du bist, und machen, was du liebst, aber, Mädel, du bist nun mal keine Kriegerin.«

»Ich habe während des gesamten Sommers mit dem Schwert trainiert.«

Er boxte ihr gegen die Schulter. »Ach.«

»Ich kann mich wehren, wenn es nötig ist. Und nirgends ist es wirklich sicher, Marco. Nicht für mich und auch für niemand anders.«

»Er wird wiederkommen«, meinte Marg. »Wir werden wieder in die Schlacht ziehen, es wird wieder Blut vergossen, und es werden wieder viele gute Leute fallen. Wir werden kämpfen bis zum Letzten, aber falls er uns besiegt, falls er Talamh erobert und zerstört, kommen als Nächstes eure und dann alle anderen Welten dran, weil er mit zunehmender Macht auch immer machthungriger werden wird.«

»Sie meinen, dass der Kerl die Absicht hat, die Erde zu zerstören?«

»Unsere, eure sowie alle anderen Welten, weil ihm die Zerstörung jeder dieser Welten zusätzliche Macht verleihen wird. Versteht ihr jetzt, weshalb Breens Mutter das Bedürfnis hatte, ihre Tochter einzusperren? Ich kann es durchaus nachvollziehen. Aber was sie niemals glauben oder akzeptieren konnte, ist, dass Breen der Schlüssel ist und dass sie sie nicht einsperren kann. Denn Odran wird sie früher oder später finden, und wenn nicht sie, dann das Kind, das sie vielleicht einmal bekommen wird. Als Gott hat Odran schließlich alle Zeit der Welt.«

»Ich würde wirklich gerne eines Tages Kinder haben. Aber mit dem Wissen kann ich das niemals riskieren, Marco.«

»Meine Güte, Breen.«

»Die Sache muss durch mich beendet werden, weil die Leute von Talamh auch meine Leute sind. Ich höre selber, wie das klingt, aber …«

»Es klingt genauso, wie es ist.«

»Sie werden kämpfen, aber wenn sie eine Chance haben wollen, muss ich auf ihrer Seite stehen.«

Er atmete tief durch und stellte nickend fest. »So, wie bei Wonder Woman, stimmt’s?«

»Du musst es wissen. Schließlich hast du diesen Film viermal gesehen.«

Er hielt fünf Finger in die Luft. »Es braucht einen Gott, um einen Gott zu töten, richtig?«

»Ich bin die Brücke zwischen den verschiedenen Welten«, meinte Breen und konnte deutlich spüren, dass das schlicht die Wahrheit war. »Die Brücke führt ins Licht oder die Dunkelheit. Der Weg ist dreigeteilt. Ich musste erst erwachen, um zu werden und zu wählen.«

»War das so was wie eine Prophezeiung oder was? Kannst du jetzt etwa auch noch hellsehen?«, fragte Marco sie verblüfft.

»Manchmal. Aber ich bleibe trotzdem ich, Marco.«

»Habe ich etwa etwas anderes gesagt? Okay, auf alle Fälle habe ich jetzt eine ungefähre Vorstellung davon, was Sedric mir aus Philadelphia holen soll. Natürlich nur, falls das für Sie in Ordnung ist«, erklärte er dem Wer.

»Es ist mir eine Freude.«

»Aber es ist jede Menge Zeug, weil ich schließlich nicht weiß, wie lange diese Sache dauern wird. Ich kehre nämlich erst in meine Welt zurück, wenn wir vor diesem Arschloch sicher sind.«

»Marco …«

»Ich kann ja wohl selbst entscheiden, ob ich abhauen oder bleiben möchte, Mädel, und das habe ich getan.«

»Aber du hast keine Zauberkräfte und weißt nicht, wozu er in der Lage ist.«

»Ich kann es mir inzwischen halbwegs vorstellen, und ich mache mir vor Schiss fast in die Hose, aber trotzdem bleibe ich.« Er fuhr mit beiden Zeigefingern durch die Luft. »Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, und wenn du versuchst, mich zu belämmern, nimmt mich deine Oma sicher bei sich auf. Sieh mir in die Augen, Breen, und sag mir, dass du selbst an meiner Stelle einfach heimkehren und mich meinem Schicksal überlassen würdest.«

»Falls dir was passiert …«