Himmelwärts - Hans - Georg Wigge - E-Book

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Hans - Georg Wigge

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Beschreibung

Was gibt es Schöneres für einen Geschichtensucher- und erzähler, wenn ihm die Storys im Alltag förmlich vor die Füße fallen. Aus auf den ersten Blick unscheinbaren Begebenheiten etwas Lesenswertes für die Mitmenschen zu formen war der Anreiz für dieses Buch. Die Erzählungen in Himmelwärts sind kurze humorvolle, traurige, besinnliche, gesellschaftskritische, sarkastische, zu Gottesliebe und Nächstenliebe anregende Niederschriften jeglicher literarischer Couleur die zum Nachdenken, Mitdenken, Umdenken, vor allem aber Selbstdenken motivieren sollen.

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Besinnliche, satirische, humorvolle Kurzgeschichten, Zitate, Parabeln, Anekdoten, Essays, Erzählungen und Märchen

Mein ganz besonderer Dank geht an das Team der Sennebücherei Hövelhof, welches mich in der Anfangszeit meiner Hobbyschriftstellerei durch einige Lesungen ermutigte, mit dem Geschriebenen an die Öffentlichkeit zu gehen und an Arno Backhaus, dem Meister des gepflegten christlichen Humors, der mir genehmigte einige seiner köstlichen Zitate für dieses Buch nutzen zu dürfen.www.arno-backhaus.de die Homepagewww.arnobackhaus.de der shop mit tollen Artikeln

Prolog:

Viele Hobbyautoren träumen davon, irgendwann etwas Lesenswertes zu schreiben. Auch mir erging es so. Im zarten Alter von 40 Jahren schrieb ich damals meine ersten Zeilen für Publikationen. Leider hat es nicht zum Literaturnobelpreis gereicht. Übriggeblieben ist nach vielen von Verlagen abgelehnten Manuskripten eine kleine treue Leserschar, die sich an meinen bei der Self-Publishing-Plattform Books on Demand GmbH (Publikationsdienstleistungen für Verlage und Selbstpublikationen) erschienenen Gedichten und Geschichten erfreuen konnte. BoD bot mir trotz bescheidener Verkaufszahlen einen hochqualitativen, fairen und preiswerten Service. Ein aus meiner Sicht nicht zu unterschätzender Vorteil dieses Selbstpublizierens ist die Freiheit des Autors, ohne die Grenzen des Anstands zu überschreiten und ohne Rücksicht auf Gewinnmaximierung, fröhlich in das ein oder andere Fettnäpfchen treten zu können und nicht der Political Correctness Tribut zollen zu müssen. Ein auf Verkaufszahlen angewiesener Verlag muss hingegen bei Herausgabe von Büchern vorrangig die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. Da ich meine Veröffentlichungen handwerklich ohne jede Unterstützung bis zum Druck selbst vorbereite, nehme ich eventuelle Rechtschreibfehler wie auch fehlerhafte Zeichensetzung als Autodidakt auf meine Kappe und bitte sie zu entschuldigen. Wer sie findet, mache das Beste daraus. Sollte das Produkt überhaupt nicht gefallen, so kann es immer noch dazu dienen, ein zu kurzes Tischbein auszugleichen. Also greifen sie zu. Viel Vergnügen mit dem teils neuen, teils alten Geschriebenen. Ein herzliches „Danke schön“ an alle die meine schriftstellerischen Ergüssen bisher mit Erbauung genossen haben sagt ein „Dorfpoet“.

Inhalt:

Unter der Schale

Exodus

Das Weihnachtsbuch

Komm und sieh

NSA

Zufall?

Maleks Traum

Ein Tag mit Paul (schöne neue Welt?)

Brief an Gott

Der Beinahe Zusammenstoß

Trisomien ist überall

Grauzone

Clooney schläft

Eigentor

Der Vagabund

Murphy´s Law

Wenn ihr nicht werdet wie

Andersen verändert die Welt

Deutschland sucht den Supersenior

Post aus Niemandsland

Gender

Der beißt nicht

Tosch

Der neue Bund

Als die Hooligans mal

Gullivers letzte Reise

… der werfe den ersten Stein

Aus dem Tagebuch

Heute ein König

König Artur

„Carpe Diem Dirk“

Wie ich einmal

Christ und Tod

Hope

Wasser des Lebens

Eine Geschichte über die inflationäre Suche der Fernsehsender, unter teils menschenverachtenden Urteilen einer Jury von sogenannten „Experten“, nach irgendwelchen Talenten, die „Deutschland sucht und sucht und sucht …“

Unter der Schale

Mia stieg in ihren knallroten Ferrari. Sie warf noch einen kurzen Blick aus alkoholgeröteten Augen auf ihre schneeweiße, im südländischen Stil erbaute Prachtvilla. Nachdem sie aus der beidseitig mit Pappeln gesäumten, achthundert Meter langen Ausfahrt ihres Grundstücks gebogen war, sah sie im Rückspiegel, dass ihr ein dunkler Kombi folgte. Der Typ nervte. Es war ein besonders aufdringlich und hartnäckig agierender Paparazzo der Regenbogenpresse. Wie immer schien er auf der Suche nach Storys von Skandalen der sogenannten Prominenz zu sein, um seine danach lechzende Leserschar zu befriedigen. Mia erschien das so aufregend, als sehe man Farbe beim Trocknen zu. Der Preis von Mias Ruhm war hoch und forderte an diesem Tag seinen Tribut - ihr Leben. Exakt vor vier Jahren begann für Mia eine Traumreise, die sie ihrem Manager Moses McFinn verdankte. Damals wohnte sie mit Bernie in einem Sechsfamilienhaus im Parterre und hatte bei offenem Fenster Kartoffeln geschält. Moses McFinn, Inhaber einer Künstleragentur, dessen Klientel in letzter Zeit eine bescheidene Erfolgstrefferquote zu verzeichnen hatte, warf einen Blick in das offen stehende Fenster auf jene Frau, die virtuos mit einem sehr scharf aussehenden Schnippelmesser eine Kartoffel bearbeitete. Fasziniert blieb Moses stehen. Die unglaubliche Schnelligkeit, die Präzision und die anmutigen Bewegungen der feingliedrigen Finger von Mia zogen ihn in seinen Bann. Moses ahnte sofort, welches großartige Potential ihm hier auf dem Silbertablett präsentiert wurde. Zwei Stunden später war er Mias neuer Manager. Seine erste Amtshandlung lief auf einen Künstlernamen von Mia, die mit Nachnamen Müller hieß, hinaus. Müller war ein Name, der der Individualität einer Künstlerin nicht unbedingt Auftrieb bescherte. So wurde aus Mia Müller Mia Potato. Des Anfangs verlief die Karriere schleppend. Noch lohnte sich die Auflage von Autogrammkarten nicht, obwohl Mia schon nach kurzer Zeit das ein oder andere Mal ihren Namenszug bei Auftritten in Supermärkten in ein mitgebrachtes Kochbuch oder auf eine Schürze setzte. Dann hatte Moses bei der großen Samstagabendshow des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, "Wetten dass", einen Videoclip eingereicht, in dem Mia eine Kartoffel innerhalb von 11,23 Sekunden von Schalen, Keimen und Augen befreite. Sie wetteten, dass es Mia gelänge, zehn Kartoffeln schneller zu schälen als Deutschlands bester Viersternekoch. Überraschend wurden sie zum Casting eingeladen und ihre Wette angenommen. Mia brachte jenem Meisterkoch eine vernichtende Niederlage bei. Danach mutierte sie zum begehrten Medienstar. Ob rund, knubbelig, eckig, weich, zäh, roh oder gekocht, niemand schälte Kartoffeln schneller als Mia. Messerfabrikanten wedelten mit hoch dotierten Werbeverträgen. Moses vermarktete jeden Finger. Bei öffentlichen Auftritten wurde der Schriftzug des Sponsors mit wasserdichter Tinte auf den einzelnen Fingern angebracht. Den Daumen sicherte sich Pfanni Kartoffelknödel, der Zeigefinger ging an einen Nagelfeilenhersteller aus England. Der Mittelfinger wurde zur Werbefläche für L´Oreal – Nagellack, den vierten Finger zierte ein Schriftzug des Juweliers Christ. Mia, die immer praktisch dachte, hatte darauf bestanden, dass auch die Fangruppe der eher ungeschickten Hausfrauen zu ihrem Recht kam. Somit schmückte den kleinen Finger eine Werbung für Hansaplast. Bald bekam sie kräftigen Gegenwind von Frauenrechtlerinnen. Sie erweise den Frauen einen Bärendienst. Sie propagiere „zurück zum Heimchen am Herd“. Moses gab eine Pressekonferenz in deren Verlauf er mit Bauernschläue darauf hinwies, dass Mia ein Lebensmittel bearbeite, welches einen Inhaltsstoff beherberge, der förmlich ein Sinnbild für die moderne Frau sei, nämlich Stärke. Danach gab es kein Halten mehr. Kartoffeln mutierten innerhalb eines Jahres zur Lieblingsspeise der Deutschen. Die Verkaufspreise für die von Mia benutzten Schnippelmesser schossen in die Höhe. Den Kartoffelschälweltmeistertitel nahm sie im Vorbeigehen mit. Es gab mittlerweile ein Mia Potato Modelabel, dessen Erfolg man beim Blick in die Einkaufsstraßen der Großstädte an dem einheitlichen, überwiegenden Kartoffelbraun der weiblichen, teils aber auch der männlichen Bekleidung ablesen konnte. Auch Mias Kindermodemarke „Kid Knolle“ hob ab wie eine Rakete. Wer etwas auf sich hielt und hipp sein wollte trank Kartoffelschnaps der Marke Mias Knöllchen. Schönheitschirurgen wurden der Anfrage nach Kartoffelnasen kaum noch Herr. Ein bekannter Fernsehpastor ließ Kartoffelkochwasser von Mia segnen und verkaufte es zu horrenden Preisen. Die zuerst ausgebuchten VHS-Kurse waren deutschlandweit „Laufen auf heißen Kartoffeln“, „Schälen beim Erzählen“ und „Kartoffeln, Herkunft und Zukunft der Erde“. Der von Mia zusammen mit einem Esoterikguru geschrieben Lebensratgeber „Die universelle Kraft der Kartoffel“ führte wochenlang die Bestsellerlisten Sachbuch an. Eine große deutsche Autofirma brachte einen „Kartoffelkäfer Edition Mia“ auf den Markt. Der Kartoffelkanal, auf dem Hellseher an Hand der Augen, Keime und Färbungen der Kartoffeln die Zukunft voraussagten, ging auf Empfang. Mias Autobiografie „Geschälte Jahre“ pulverisierte alle Verkaufszahlen. Bei den beliebtesten Mädchenvornamen des Jahres wurden die Plätze eins bis vier von Hansa, Sieglinde, Linda und Cilena belegt. Der Kartoffelkäfer wurde das Insekt des Jahres. Die Schmuckkollektion „Miamant“ mutierte zur Geschenkidee des Weihnachtsfestes. Mias Schnippelmessersponsor brachte jedes erdenkliche Schnippelmesser, auf Wunsch sogar diamantbesetzt, auf den Markt. Ihr Bild zierte fast jede Schürze rund um den Erdball. Selbst ihre erste Single „Jeder Stoffel isst Kartoffel“ blockierte 14 Wochen die Spitzenposition der Charts. Ihre eigene Show „Deutschland sucht den Spitzenschäler“ war der Quotenrenner schlechthin. Als sie im Alter von 42 Jahren an Arthrose der Fingerknochen erkrankte, wählten viele ihrer Fans, die die ganze Woche dafür lebten Mia am Wochenende im TV, oder sogar in irgendeiner Halle oder einem Stadion live zu sehen und deren Leben von Sieg oder Niederlage Mias in der mittlerweile gegründeten Kartoffelbundesliga abhing, den Suizid. Sondersendungen berichteten tagelang über das plötzliche Ende ihrer Karriere. Das erste Programm sendete zahlreiche Brennpunkte nach der Tagesschau, in denen von Experten jeglicher Couleur das Für und Wider der Fortsetzung von Mias Karriere unter eventuellem Einsatz von Medikamenten diskutiert wurde. Talkshows thematisierten wochenlang Mias Arthrose. Künstliche Fingergelenke entfachten eine neue Debatte um Vorteil oder Nachteil von Prothesen im Leistungssport. Mia erklärte tränenreich ihren Rücktritt und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Kurz darauf tauchte ihr Name auf einer aus der Schweiz angekauften CD der Steuerfahndung auf. Mia, die bis zum schmerzlichen Ende ihrer unglaublichen Karriere kaum einmal Gegenwind bekommen hatte, wurde danach von den Medien zerrissen und Tag für Tag ein größerer Freund ihres eigenen Kartoffelschnaps. Am Abend des 05. Mai fand ihr Mann Bernie sie nach der Heimkehr aus dem Golfclub mit durchschnittenen Pulsadern in der Badewanne. Der Notarzt konnte nur noch ihren Tod feststellen. Das Kartoffelmesser drehte anklagend langsame Kreise auf dem rot gefärbten Wasser und hinterließ eine Spur, in der Bernie einen lachenden Totenkopf zu erkennen meinte.

Ich kann Gott nicht die Ehre geben, indem ich versuche, mir selbst ein Denkmal zu bauen.

ISNAH EGGIW

Am 16. November 2015 fand in Dresden die erste Demonstration der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ kurz PEGIDA statt. Sich selbst als Christen bezeichnende Demonstranten suchten den Schulterschluss mit vorbestraften Neonazis, Verschwörungstheoretikern, Querdenkern und trugen als Höhepunkt der Blasphemie gar ein schwarz-rotgoldenes Kreuz durch die Gegend. Was ich selbst dazu „quergedacht“ habe, findet sich in:

EXODUS

Meier strahlte vor überbordender Vorfreude. Die Arbeit ging ihm leicht von der Hand. Heute zeigte er sich seinen Kollegen von seiner freundlichsten Seite. Nur noch wenige Stunden, dann war der wohlverdiente Urlaub erreicht. Acht unbeschwerte Tage in einer herrlichen Ferienanlage in Marokko erwarteten ihn, seine Frau und ihre beiden Kinder. Er freute sich darauf, einmal ohne jegliche Verpflichtung die Seele baumeln zu lassen. Endlich durften sie für einen kurzen Zeitraum aus dem Hamsterrad des Alltags aussteigen. Noch ahnte er nicht, von welch zarter Zerbrechlichkeit die Gedankenspiele der Menschen manchmal sein konnten. Trotzdem die Katastrophenmeldungen aus aller Welt ihn eigentlich eines Besseren hätten belehren müssen, glaubte er voller Vertrauen an die Intelligenz der Erdbewohner seiner Spezies und dass diese die Natur im Griff hätten. Vielleicht waren die Menschen aber mittlerweile so abgestumpft, dass das Gehirn Katastrophen nur noch in den dunklen Aktenregalen der Mitleidslosigkeit und der Abgestumpftheit ablegte. Auf dem Heimweg wollte Meier sich eigentlich mit sommerlicher Popmusik einen weiteren Endorphinschub verpassen. Doch auf allen Sendern liefen Eilmeldungen desselben Themas. Der Bardabunga, seines Zeichens der größte Vulkan Islands, hatte in der Nacht begonnen, Feuer zu spucken und Experten hielten einen gigantischen Ausbruch für kurz bevorstehend. Meier registrierte das nebenbei ohne sich seine gute Laune verderben zu lassen. Wen interessierte schon ein Vulkan in Island wenn acht herrliche Tage Strand und Sonne in seinem Kopfkino liefen? In den Tagen zuvor hatte er gemeinsam mit den Kindern bereits anhand einer akribisch aufgestellten Liste das Gepäck zusammengestellt, bevor es die Gewichtsendkontrolle durchlief. Die Waage war zum meist genutzten Gebrauchsgegenstand des Haushalts mutiert, erinnerte er sich schmunzelnd …

Nach einem letzten Kontrollgang über ihr großzügig bemessenes Grundstück ließ sich Meier gegen 20.00 Uhr seufzend in seinen Fernsehsessel fallen, um sich von der Tagesschau mit den Neuigkeiten des Tages versorgen zu lassen bevor er diesem Ritual für einen kurzen Zeitraum untreu wurde. Wie für Millionen andere Mitmenschen brach innerhalb der nächsten zehn Minuten auch seine kleine, heile Welt in sich zusammen. Mit Grabesstimme verkündigte ein sichtlich mitgenommener Nachrichtensprecher, dass der größte isländische Vulkan, der Bardabunga, um 15.37 Uhr ausgebrochen sei. Jeder Vorhersage zum Trotz habe es eine Eruption gegeben, die selbst Experten nicht für möglich gehalten hätten. Im Umkreis von 600 km bestehe keine Hoffnung auf Überlebende. Eine riesige Aschewolke, von der Konsistenz so dick wie Schnee, bewege sich im Zeitlupentempo Richtung Europa. Diese werde in den nächsten 24 Stunden Deutschland erreichen. Die Folgen wären, dass der Himmel sich derart verdunkelte, dass es über Tage oder sogar Wochen selbst mittags dämmrig bliebe. Asche würde Abwasserrohre blockieren, Mobiltelefone lahmlegen und Generatoren verkleben. Auch viele Flüsse wären verstopft. Diese Asche läge knietief und Häuser liefen Gefahr, beim nächsten Regen unter dem Gewicht des massiven, schweren Wasser-Asche-Gemisches zusammenzubrechen. Der Vulkanauswurf würde die Felder der Landwirte bedecken. Alle frei laufenden Tiere wären dem Tod ausgeliefert und ohne Atemschutz auch viele Menschen. Der vulkanische Winter würde Jahre andauern und voraussichtlich über einen langen Zeitraum keinerlei Anbau von Obst oder Gemüse mehr ermöglichen. Unausweichliche Hungersnöte ständen den betroffenen Ländern bevor. Direkt und indirekt könnten mehr als eine Milliarde Menschen durch diese Supereruption sterben. „Und nun wendet sich unsere Bundeskanzlerin an sie“, beendete der Ansager die Hiobsbotschaft. Meier wartete darauf, dass jeden Moment dieser „Verstehen sie Spaß“ Clip, welcher sich offensichtlich an der Radioreportage „Krieg der Welten“ orientierte, die 1938 in den USA in seiner Hörspielversion durch Orson Wells uraufgeführt wurde und für eine Massenpanik gesorgt hatte, als ein solcher erkennbar gemacht und beendet würde. Doch er wurde eines Besseren belehrt. Die Bundeskanzlerin erschien mit besorgter Miene und gramgebeugtem Oberkörper auf dem Bildschirm. Meier fiel sofort auf, dass ihre Hände, die wie immer ihre typische Raute bildeten, ein wenig zitterten. „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“, begann sie ihre Rede, „als Politikerin und stolze Bundeskanzlerin dieses wunderbaren Landes ist es heute meine traurige Pflicht, die Bevölkerung, ohne etwas zu beschönigen, darüber zu informieren, dass eine Katastrophe, die in dieser Form nicht vorhersehbar war, auf unsere Bundesrepublik und viele andere europäische Nachbarländer zurollt. Innerhalb der nächsten 24 Stunden erreicht uns eine Aschewolke, die unser Land förmlich unter sich begräbt. Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik den öffentlichen Katastrophenschutzorganisationen Folge zu leisten und vorerst Ruhe zu bewahren. Die Disziplin, der Ideenreichtum, der unser Land zu dem machte, was es heute ist, wird die Menschen dieser Republik erneut Wege finden lassen, mit der Katastrophe umzugehen, sowie individuell die Flucht zu planen und durchzuführen, um ihre Lieben und sich vorerst in Sicherheit zu bringen, davon bin ich fest überzeugt. Ganz besonders bitte ich sie darum, die Alten, Behinderten und Hilflosen nicht im Stich zulassen. Ich bin in Gedanken bei ihnen und werde alles mir Mögliche tun, um zu retten, was zu retten ist. Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit!“ Den Ernst der Lage unterstrich die martialisch mit der Deutschlandhymne unterlegte Deutschlandflagge. Dann wurde der Bildschirm kommentarlos dunkel. Meier hockte sprachlos und vor Entsetzen wie gelähmt vor dem Fernseher. Nach dem ersten Schock raste er zum Wohnzimmerschrank und riss den Dokumentenkoffer mit den wichtigsten Dokumenten seines bisherigen Lebens an sich. Innerhalb einer halben Stunde saß er mitsamt seiner Familie, der er bestimmt, aber ohne Panik zu verbreiten, den Sachverhalt erklärte und seinen Notfallplan darlegte, im fix beladenen Pkw und machte sich auf den Weg zum Flughafen. Als pragmatisch denkender Familienvater, der wusste, wie man sich und seine Schäfchen ins Trockene brachte, erschien ihm die nächstmögliche sinnvolle Rettungsaktion vorerst der Flug in den Urlaub nach Marokko zu sein. Als Meier aus der Grundstückseinfahrt bog, warf er im Rückspiegel wehmütig einen letzten Blick auf die Deutschlandflagge, die den Fahnenmast vor seinem Haus zierte und schlaff herunterhing, als hätte auch sie jede Zuversicht verloren. Dann erreichte er die Bundesstraße zum Flughafen. Er registrierte mit Entsetzen, dass Massen von Menschen die gleichen Gedanken hatten und ebenfalls versuchten, das Land hurtig per Flugzeug zu verlassen. Eine lange Autoschlange kroch Richtung Flughafen. Wohin man schaute bleiche, ratlose, entsetzte Gesichter. Die Ordnungskräfte hatten aufgegeben und ließen den Dingen nur noch ihren Lauf. Stunde um Stunde stand Meier mit seiner Familie im Stau. Im Sekundentakt erschienen neue Horrornachrichten auf dem Smartphone. Endzeitstimmung machte sich im Land breit. Das Display vermeldete erste Plünderungen in den Großstädten. Der Nahverkehr war völlig zusammengebrochen. Je näher sie mit ihrem Pkw dem Flughafen kamen, umso größer wurde das Chaos. Noch blieben einige Stunden bis zum gebuchten Flug. Etwa einen Kilometer vor dem Flughafen riss Meier der Geduldsfaden. Nicht einmal mehr im Schritttempo ging es voran. Er stellte den Motor ab, ließ sein Auto einfach stehen und macht sich mit seiner Familie und den Rollkoffern im Schlepptau zu Fuß auf die letzten tausend Meter. Die wütenden Rufe und das Hupen der anderen Autofahrer, die nun hinter dem verwaisten PKW zum Halten kamen, kratzten ihn nicht. Letztendlich war sich doch jeder selbst der Nächste. Er trieb seine Familie zur Eile an. Schon bald erreichten sie den Flughafen und begaben sich zum Check-in-Schalter. In der Abflughalle wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen von herumirrenden, hilfesuchenden und angstvollen Menschen. Meier blickte zum Timetable um die Check-in-Schalternummer ihres Flugs zu ermitteln. Zum Glück befanden sie sich in dessen unmittelbarer Nähe. Schnell gab er dort die Personalausweise, Reisepässe und die Flugtickets ab. Dann stellte er die Koffer auf das Band und begab sich mit den Bordkarten zur Sicherheitskontrolle. Seine Familie, welche den Ernst der Situation immer noch nicht ganz begriffen zu haben schien, folgte ihm wie einst die Kinder dem Rattenfänger von Hameln. Immer wieder trieb er sie zur Eile an. Ein Mitarbeiter des Flughafens gab über die Lautsprecheranlage durch, dass erst die Passagiere mit gültigen Flugtickets in die gebuchten Länder ausgeflogen würden und im Anschluss die Reisenden ohne Ticket sich an den Schaltern anstellen sollten. Soweit es die Kapazitäten erlaubten, würde Flieger auf Flieger die vor der Katastrophe Flüchtenden ausfliegen. Wie in Trance erreichte Meier mit seinen Familienmitgliedern das Flugzeug. Aus den Augenwinkeln sah er noch, dass die ersten Verzweifelten bereits versuchten, über die Zäune zu klettern, um das Rollfeld zu erreichen, jedoch von den aufmerksamen Sicherheitskräften teils gewaltsam daran gehindert wurden. Dann hatten sie endlich wohlbehalten ihre Sitzplätze gefunden und sanken erschöpft, doch trotz ihrer Perspektivlosigkeit auf widersprüchliche Weise erleichtert, in die Polster. Als das Flugzeug abhob, verbreitete sich eine gespenstische Aura der Hilflosigkeit und eine unheimliche Stille im Flieger. Verzweiflung, Trauer und Fassungslosigkeit wurden förmlich mit den Händen greifbar. Erst jetzt registrierten wohl die meisten das gebuchte Glück, welches sie in dieser Maschine sitzen ließ und sie vorerst vor dem Tod und der Vernichtung rettete. Meier aber wurde blitzartig die ganze Tragweite der Tragödie bewusst. Was war nach den acht Tagen Urlaub, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Woher bekamen sie Geld für den Lebensunterhalt? Gab es überhaupt noch so etwas wie Banken? Wie war die Weltgemeinschaft auf solche Katastrophen vorbereitet? Wie groß war die Solidarität der restlichen Erdenbewohner mit den Schwestern und Brüdern, die wirklich alles verloren hatten? Welche Versicherungen existierten noch? An wen musste man sich zwecks Regulierung wenden? Alles, wirklich alles schien verloren. Sein lebenslanges Streben war umsonst gewesen und vergangen wie eine Schneeflocke im Hochsommer. Was nutzte ihm nun seine ganze Vorsorge? Rente, Lebensversicherung, Fonds, Geldanlagen, Güter, Immobilien, alles nur noch Schall und Rauch. Wenn auch die Erleichterung überwog, erst einmal in Sicherheit zu sein, erschien es ihm surreal, dass das alles umsonst gewesen sein sollte und von jetzt auf gleich verloren. Sein ganzes Leben war er seines Glückes Schmied gewesen und davon blieb im wahrsten Sinne des Wortes jetzt nur noch Asche. Er konnte nicht glauben, dass Tiere, Pflanzen, Gebäude, Plätze, geliebte Orte, ein blühendes Land, einfach alles in wenigen Stunden unter einer todbringenden Ascheschicht verschwunden sein sollte. Wie ging es nun in Marokko weiter? Sollte dieses Leben, das er als selbstverständlich betrachtet hatte, wirklich vorbei sein? War es nicht mehr gewesen als Monopoly, wo am Ende alles wieder in die Kiste kam? Meier fiel nach einiger Zeit in einen unruhigen, der Erschöpfung geschuldeten Dämmerzustand. Als er kurz vor Casablanca hochschreckte, gewann ein vorsichtiger Optimismus die Oberhand. Er betrachtete von der Seite das tränenverschmierte Gesicht seiner schlafenden Frau und die besorgten, auf ihn vertrauenden Gesichter seiner Kinder. Er durfte jetzt nicht auch noch Schwäche zeigen, wenn gleich ihn seine Ohnmacht tief beschämte. In einem wenig strukturierten Land wie Marokko musste doch einer hoch qualifizierten Familie wie der seinen alle Türen offen stehen und hatte Deutschland nicht vor zwei Jahren die Flüchtlinge aus Nordafrika mit einer viel gelobten Willkommenskultur empfangen? Vielleicht warteten sie in Marokko förmlich auf gebildete, gesittete Eliteflüchtlinge, wie sie es waren? Nach der Landung in Casablanca hielt das Militär sie in der Abflughalle gefangen und verwehrte ihnen das Verlassen, um per Bus zu den Urlaubsdomizilen gebracht zu werden. Die Abflughalle war von europäischen Flüchtlingen aller Herren Länder überflutet. Ein leidlich englisch sprechender Soldat versuchte ihnen über ein Megafon den Grund für ihre unfreiwillige Einkesselung klarzumachen. Vor der Halle hatten sich Tausende Demonstranten der Nanogedmo (Nationale Nordafrikaner gegen Europäisierung des Morgenlandes) versammelt, welche mit Knüppeln, Macheten und anderen bedrohlich aussehenden Gegenständen bewaffnet waren. Wenn Meier die Sprache beherrscht und die Schrift auf den Plakaten und Schildern hätte lesen können, dann wäre er mit Parolen wie „Wir sind Afrikaner und ihr nicht“ und „Raus mit den Schweinefleischessern“ konfrontiert worden. Verängstigt drückten sich seine Frau und seine Kinder an Meier. Seinem Sohn liefen Tränen der Angst über die Wangen und seine Tochter schaute mit schreckensgeweiteten Augen auf den Mob. Meier zerbrach es das Herz. Hilflos und ohnmächtig ballte er ob der Welle der Ablehnung und des Hasses die Fäuste. Er starrte auf die unwirkliche Szenerie und hoffte immer noch, aus diesem Albtraum zu erwachen, als sein Smartphone einen Ton von sich gab. Eine WhatsApp-Nachricht, welche am Vortag um 16.00 Uhr geschrieben worden war, hatte sein Gerät auf geheimnisvolle Weise erreicht.

Er las: Sei gegrüßt, Kamerad. Bei Twitter macht ein Gerücht von einem katastrophalen Vulkanausbruch die Runde. Unsere heutige PEGIDA Demonstration gegen dieses Flüchtlingspack fällt vorsorglich aus …

Viele müssen erst die Hölle auf Erden erleben, damit sie erkennen, dass der Kreuzestod Jesu sie vor dem Original bewahrt.

ISNAH EGGIW

Welcher Autor träumt nicht davon, eines Tages einen Bestseller zu landen? Knapp 64000 neue Buchtitel erschienen z. B. im Jahr 2021 in der Bunderepublik Deutschland. Wünscht sich nicht jeder Mensch, dass etwas bleibt von seinem Wirken, dass er etwas bewegt hat in seinem Leben, wenn er nicht mehr ist? Neben Können, Talent und Wissen gehört manchmal auch einfach das Glück dazu, im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein, nachzulesen in:

Das Weihnachtsbuch

Es regnete. Ich hatte mir meinen größten Wunsch erfüllt und mit diesen klischeebehafteten Worten meinen ersten Roman begonnen. Es handelte sich um die Geschichte einer Familie, deren Mitglieder nach vielen Jahren wieder einmal gemeinsam Weihnachten feierten nachdem alle aus verschiedensten Gründen über die ganze Welt versprengt wurden. Die ganze Bandbreite einer Familiengeschichte verdichtete sich in der Story auf drei gemeinsame verbrachte Weihnachtstage mit der ganzen Bandbreite menschlicher Emotionen. Inspiriert von Koryphäen wie Henry Miller oder Hermann Hesse war es mir, wie ich glaubte, gelungen, der literarischen Welt ein Meisterwerk hinzuzufügen. Das stellte sich schneller als ich anfangs dachte, als einen das Selbstwertgefühl vernichtenden Trugschluss dar. Nachdem Verlag für Verlag, teils mit offener Ablehnung, teils mit heuchlerischer Diplomatie, teils ohne jede Reaktion mein Erstlingswerk ablehnte, beschloss ich, selber einen Verlag zu gründen und das ohne jeden Zweifel vorhandene Gold allein zu schürfen. Geschickt nutzte ich jedweden Kontakt, um mein Werk an den Mann bzw. die Frau zu bringen und erntete nichts als Ablehnung. Von allen Seiten schienen die Kabel gekappt zu sein und schwer wie Blei lag mein Werk unverkäuflich in den Regalen der kleinen Buchläden, die sich meiner Anfrage um Auslage erbarmt hatten. Wohl oder übel sah ich ein: Die Welt war noch nicht bereit für einen literarischen Erdrutsch. In sicherer Erwartung über kurz oder lang in den Bestsellerlisten des Spiegels aufzutauchen, hatte ich vorerst 2000 Exemplare meines Romans drucken lassen und aus verkaufstaktischen Gründen kurz vor Weihnachten auf den Markt gebracht. Der dafür aufgenommene Kredit lastete nun schwer auf meinen Lebenshaltungskosten. Der „arme Poet“ bekam für mich eine ganz neue, aktuelle Bedeutung. Zum Glück aber war ich Junggeselle und somit nicht zusätzlich den anklagenden, hungernden Augen einer Frau und der darbenden Kinderschar ausgesetzt. Auf dem Weg zu meinem Pförtnerjob in einem großen Medienunternehmen, in dem niemand ahnte, dass die Goldgrube täglich direkt vor ihrer Nase saß, bemerkte ich gegenüber meines Sitzplatzes in der U-Bahn ein hinter einem Buch verstecktes Gesicht einer Frau, welches mir bekannt vorkam. Doch schnell verblasste die Begegnung im Nebel des Alltäglichen. Des Rätsels Lösung präsentierte sich mir zufälligerweise beim abendlichen Zappen durch die Programme. „Anna liest“, hatte die aus den Printmedien bekannte Literaturkritikerin Anna Soloda-Modersen ihre auf dem neuen Kulturkanal des ZDF ausgestrahlte Sendung über Neuerscheinungen der literarischen Szene genannt. Sporadisch, aber doch des Öfteren begegnete ich ihr seitdem beim Weg zur Arbeit in der U-Bahn. Wir schienen Geschwister im Geist zu sein und die Regelmäßigkeit zu lieben, denn genau wie ich setzte sie sich immer in den gleichen Wagen auf den gleichen Platz, soweit er frei war. Schnell hatte ich herausgefunden, wo sie zustieg. Nachdem die Verkaufszahl meines Romans in der letzten Woche um 100 % gestiegen war, da ein zweiter Kunde im Bücherlädchen um die Ecke zugegriffen hatte, beschloss ich, den schlummernden Riesen der Weltliteratur mittels Anna Soloda-Moderson zu wecken. Als ich sie an jenem besagten Morgen auf dem Bahnsteig erblickte, klaubte ich schnell ein Exemplar meiner Publikation aus meiner Arbeitstasche und deponierte es, als hätte es jemand dort vergessen, auf den noch unberührten, bevorzugten Platz des hellen, neu aufgehenden Sternes der Kritikerszene. Erstaunt nahm sie das Buch zur Hand, wie ich mit unbeteiligter Miene aus den Augenwinkeln beobachtete. Dann schweifte ihr Blick auf der Suche nach dem vermeintlichen Verlierer des Buches durch den Wagen. Ich starrte in die Zeitung und wurde von ihr als Verdächtiger aussortiert. Interessiert betrachtete sie die Vorder- und Rückseite des Bandes. Dann schlug sie ihn auf und las die kurze Inhaltsangabe. Bereits die schien sie so zu fesseln, dass sie sofort mit der Lektüre begann. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie die ersten Worte „Es regnete“ las. Bei unserem nächsten Aufeinandertreffen drei Tage später, blätterte sie jedoch zu meinem Erstaunen auf ihrer Fahrt zum Sender in einem anderen Buch. Sollte sie mein 400-Seiten-Werk innerhalb von drei Tagen, auf Schlaf und jede andere Tätigkeit verzichtend, gefesselt wie Odysseus am Masten seines Schiffes bei der Vorbeifahrt an den Sirenen, ununterbrochen lesend verschlungen haben? Jede ihrer Sendungen verfolgte ich fiebernd in der Erwartung überschwänglicher Lobeshymnen auf den neuen jungen Nachwuchskünstler namens Ich. Doch Fehlanzeige … Enttäuscht dachte ich gerade hochmütig beim Lesen des größten Boulevardblattes unseres Landes, wer war schon Anna Soloda-Modersohn, als ich doch noch den Lohn für unzählige schreibend verbrachte Tage und Nächte erhielt. Auf der Titelseite prangte in Riesenlettern, verbunden mit einem Bild von ihr, die Schlagzeile über ihre exorbitanten Einschaltquoten, was mich, ob meines werbetechnischen Fehlversuches, ehrlich gesagt, wenig interessierte. Doch dann fiel mein Blick auf das Buch, welches sie in der Hand hielt. Deutlich waren mein Name und der Titel zu erkennen. Der Fotograf schien sie gerade in dem Moment fotografiert zu haben, als sie an jenem Tag, an dem ich ihr mein Werk unterschob, mit meinem Buch in der Hand aus der U-Bahn stieg. Jetzt sitze ich nach einer Lesung vor 500 Zuhörern hinter einem Schreibtisch und signiere den begeisterten Käufern mit wunden Fingern meinen Roman. Da ich nach dem Verkauf aller 2000 Bücher innerhalb von drei Tagen an meine logistischen Grenzen stieß, hatte ich mich auf Anfrage eines der renommiertesten Verlage der Republik gerne mit einem sündhaft hoch dotierten Autorenvertrag ausstatten lassen. Eine Woche später erklomm mein Buch den Spitzenplatz Belletristik im Spiegel. Mein mir zur Seite gestellter Agent stand kurz vor dem Burn-out ... Ich schreckte hoch. Der Wecker hatte geklingelt. Aus der Traum. Mein Pförtnerjob wartete auch heute in der Heiligen Nacht auf mich, da ich das Geld dringend brauchte. Seufzend quetschte ich mich durch die Kartons mit den restlichen 1998 Romanen, die den Zugangsweg durch den Flur zum Bad verengen und die noch lange Zeit dafür sorgen werden, dass Nudeln mit Tomatenketchup nicht nur mein heutiges Weihnachtsessen sind, sondern wohl auf lange Zeit mein bevorzugtes Mahl bleiben werden …

Ist doch komisch, dass Heilig Abend immer auf Weihnachten fällt. Arno Backhaus

Wenn irgendeiner deiner Brüder arm ist in irgendeiner Stadt in deinem Land, das der HERR, dein Gott, dir geben wird, so sollst du dein Herz nicht verhärten noch deine Hand zuhalten gegen deinen armen Bruder. 5. Mose 15,7

Wer mit aufmerksamem Blick und Interesse die Zustände in den Brennpunkten der deutschen Großstädte betrachtet, dem wird die zunehmend um sich greifende Armut ins Auge fallen. Besonders Kinder geraten mehr und mehr ins Abseits. Doch auch viele Erwachsene scheitern an den Ansprüchen einer Konsum- und Ellenbogengesellschaft, die kaum noch Raum lässt für Nächstenliebe und Solidarität. Deshalb:

Komm und sieh

Die ersten Schneeflocken des Winters taumelten dem Boden entgegen. Umher fliegenden Federn eines geplatzten Kissens gleich, setzten sie sich auf Lebewesen und Dinge und kehrten rasch in ihren Urzustand zurück. Es war noch zu warm, um den Bahnsteig dauerhaft mit einer weißen Schicht zu überziehen. Magnus saß auf einer Bank am Gleis und wunderte sich, dass ein Eiskristall genau auf seiner von vielen Jahren Alkoholmissbrauch blauen Nase landete. Keines dieser filigranen Gebilde glich dem anderen und wurde von den vorbeihastenden Menschen achtlos zertreten. Genau wie die Gescheiterten der Gesellschaft, dachte Magnus angesichts seiner trostlosen Situa