Hinter den Fassaden von Versailles - William Ritchey Newton - E-Book
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Hinter den Fassaden von Versailles E-Book

William Ritchey Newton

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Beschreibung

Auch am französischen Königshof war nicht alles Gold, was glänzte: Wo mehr als 4000 Menschen auf engstem Raum zusammenlebten, ergaben sich handfeste Probleme. Die Hofdamen froren erbärmlich vor den zugigen Kaminen, saubere Wäsche war Mangelware und allzumenschliche Bedürfnisse ließen sich bei den ständig verstopften Latrinen kaum befriedigen. William Ritchey Newton wirft einen völlig neuen Blick auf das Leben am Hof von Versailles. Dabei kommt Sensationelles, Kurioses und Unappetitliches ans Licht. Eine höchst amüsante Kulturgeschichte.

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Das Buch

Auch am französischen Königshof von Versailles war längst nicht alles Gold, was glänzte: Wo mehr als viertausend Menschen auf engstem Raum zusammenlebten, ergaben sich handfeste Probleme. Die Hofdamen froren erbärmlich vor den zugigen Kaminen, saubere Wäsche war Mangelware, und allzu menschliche Bedürfnisse ließen sich bei den ständig verstopften Latrinen nur schwer befriedigen. Heizungsqualm, unbeaufsichtigte Feuerstellen und verschmutztes Trinkwasser bedeuteten permanente Lebensgefahr, zudem musste man sich mit üblen Gerüchen, Ratten und anderen Unannehmlichkeiten her-umschlagen.

Der Historiker William Ritchey Newton wirft einen völlig neuen Blick auf das Leben bei Hofe. Seine gründlichen Recherchen fördern Sensationelles, Kurioses und Unappetitliches ans Licht.

Der Autor

William Ritchey Newton, geboren 1945 in New York, ist Historiker und Frankreichs führender Versailles-Experte. Nach der Promotion arbeitete er mehrere Jahre als Verlagslektor, bevor er sich ganz der Forschung widmete. Seine Bücher über das Schloss von Versailles wurden in Frankreich vielfach ausgezeichnet, u. a. von der Académie française.

William Ritchey Newton

Hinter den Fassaden von Versailles

Mätressen, Flöhe und Intrigenam Hof des Sonnenkönigs

Aus dem Französischenvon Lis Künzli

List Taschenbuch

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Die Übersetzung wurde gefördert durch das Centre national du livre – ministère français chargé de la culture.Cet ouvrage est publié avec le soutien du Centre nationaldu livre – ministère français chargé de la culture.

Für die fachliche Beratung bei der Übersetzungdanken wir Leonard Horowski.

ISBN 978-3-8437-0676-6

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2010 / Propyläen VerlagCopyright © Perrin 2008Titel der Originalausgabe: Derrière la façade (Perrin, Paris 2008)Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH München, nach einer Vorlage von Morian & Bayer-Eynck, CoesfeldTitelabbildung: Photo Les Arts décoratifs, Paris / Jean Tholance

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

eBook: LVD GmbH, Berlin

Für meinen Freund Philippe Cocâtre-Zilgien

Inhalt

Das Buch / Der Autor
Titel
Impressum
Widmung
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Wohnen
Das standesgemäße Quartier
Kammern, Verschläge und Dachstuben
Wer bekommt das schönsteAppartement?
Umzüge und kein Ende
Die »schrecklichen Zustände«im Grand Commun
2. Essen
Wie man bei Hofe speiste
Die tables d’hôte
Glücklich, wer eine Küche hat
Der hungrige Hofstaatvon Versailles
Galadiners und Prachtbuffets
3. Wasser
Die Springbrunnen des Königs
Das Trinkwasser wird knapp
»Das Baden ist überflüssig undäußerst schädlich«
Die Sitzbäder Ludwigs XV.
Nachttöpfe und Leibstühle
»Die Leute p … in alle Winkel«
4. Heizung
Der frierende Hofstaat
Die »falschen« Kamine
Feuer – eine ständige Gefahr
Die Feuerwehr von Versailles
5. Beleuchtung
Viel Licht und viel Schatten
Der Kerzenhandel des Kardinals
Im Spiegel der Eitelkeiten
Der Spiegelstreit
Wer hat die größten Fenster?
Doppelfenster und Jalousien
6. Großreinemachen
Parkettbohner und Auskehrer
Ofenmacher und Schornsteinfeger
Die Fensterputzer von Versailles
Der Gestank des Hofes
Die Erfindung des Sieur Voil
Die Ratten von Versailles
7. Wäsche
Die Laken des Königs
Der Streit um die Waschhäuser
Der Kampf der Waschweiber
8. Leben bei Hofe – Ein Resümee
Hinter den Fassaden
Das Appartement der FamilieSaulx-Tavannes
Im Wandel der Zeit
Exkurs zum Schluss:Die Livre
Bildteil
Quellenverzeichnis
Anmerkungen
Bildnachweis

Vorwort

Ludwig XIV. ist der Versailler Spiegeltrick aufs Schönste gelungen. Der Adel des Reiches, die europäischen Höfe und die französische Bevölkerung waren bis zum Herbst 1789 davon überzeugt, dass sich der Schlüssel zur Macht in Versailles befand. Historiker erschlossen die Hofrituale mit Hilfe von Louis de Rouvroy, Herzog von Saint-­Simon, dem es in seinen geistreichen Memoiren gelang, die Leser fünfzig Seiten lang mit dem Taburett-Zeremoniell in Atem zu halten, als würde die Ordnung der Welt davon abhängen, welchen Platz die Herzogin, seine Gemahlin, dabei einnahm. Andere haben sich bei ihren Beschreibungen etwa des Empfangs des Gesandten von Genua oder der Aufnahme des Marquis von Dangeau in den Orden unserer lieben Frau vom Berge Karmel noch des geringsten Statisten an­genommen. Es herrschte Einigkeit darüber, dass die Bälle, die ­öffentlichen Soupers und die Feste vom Überfluss des Reiches Zeugnis ablegten. Selbst ein Zuschauer, dem der Prunk eines Ludwig XIV. zuwider war, musste anerkennen, dass das Zeremoniell, das der große König zelebrierte, eines Byzanz würdig gewesen wäre und dass dessen Anblick besser als jeder militärische Sieg dazu geeignet war, Bedienstete und Höflinge in Schach zu halten. Man muss sich einmal bildlich vorstellen, dass das ­Publikum bereits seit einer Stunde zusammengeströmt war, wenn der Türsteher mit dem Ausruf an den Gardensaal klopfte: »Meine Damen und Herren, à la viande du Roi – zum Fleisch des Königs!«, mit ­anderen Worten »zu Tisch«, denn für den glanzvollsten aller Könige kam, genau wie für den Löwen, nur »Fleisch« in Frage, und so stand das Wort stellvertretend für sämtliche Speisen.

Der Hofstaat begleitete den Inhaber der Legitimität und der Machtinsignien bei allen öffentlichen Angelegenheiten. Vor dem nef, dem goldenen Tafelaufsatz in Form eines Schiffes, der beim grand couvert, wenn der König in aller Öffentlichkeit mit »großem Gedeck« speiste, auf dem Anrichtetisch stand, ­zogen auch die höchsten Herren den Hut, und die Damen machten einen Knicks. Sich diesen Utensilien überhaupt nähern oder gar mit den Bechern, Karaffen, Tellern, Servietten oder Stühlen hantieren zu dürfen, war mit sozialem Aufstieg gleichzusetzen, hieß, seinen Rang innerhalb der Gesellschaft und damit das Stückchen der königlichen Autorität zu markieren, dessen man sich erfreute.

Eine derart kodifizierte Karriereleiter erscheint in unserer ­demokratischen Welt heute kaum denkbar. Und doch ist sie nichts anderes als eine Spielart der seit jeher und in allen Ge­sellschaften existierenden Distinktion. Eine ererbte Position, Kultiviertheit und Gewandtheit im Auftreten nahmen dabei den Platz unserer modernen »Schlüsselqualifikationen« ein. Die Gabe, auf sich aufmerksam zu machen, vom Herrscher wahrgenommen und angehört zu werden, war zu allen Zeiten ge­fragt: Sie ermöglichte dem Einzelnen, in die »Mechanik« der Macht einzugreifen und einen gewissen Einfluss geltend zu machen. In Versailles bedeutete dies, ständig Präsenz zu zeigen, permanent anwesend zu sein. Nur so konnte man einen der stets umkämpften Plätze bei Hofe erobern oder verteidigen, auch wenn man dafür zahlreiche Unannehmlichkeiten auf sich nehmen musste.

Eigenartigerweise sind die Spuren dieser Gesellschaft heute kaum mehr sichtbar. Zwar besuchen Tausende von Touristen die königlichen Gemächer, auch die privaten Räume, zu denen vor der Französischen Revolution einzig die Vertrauten des Monarchen Zutritt hatten. Die Unterkünfte der Höflinge jedoch verschwanden in den 1830er Jahren, als der Bürgerkönig Louis Philippe die Nord- und Südflügel in das Musée d’Histoire de France, das historische Nationalmuseum, verwandeln ließ. In der Dritten Republik verstärkte sich diese Entwicklung, als dort, wo sich einst Küche, Offices und Keller befanden, der Kongress tagte – die außerordentliche Sitzung von Nationalversammlung und Senat, bei der die Verfassung verabschiedet oder abgeändert und bis 1958 der Präsident gewählt wurde. Die Symbolik der Macht hat überlebt, doch kann man sich heute nur noch schwer vorstellen, dass ihre Architektur an die Stelle eines Labyrinths von Appartements getreten ist, in dem der Hofstaat und das Dienstpersonal des Grand Roi zu leben versuchten.

Dieses Buch ist ein Versuch, ein Universum zu rekonstruieren, das gänzlich verschwunden ist. Dank der umfangreichen Korrespondenz und der Berichte des Generaldirektors der ­Königlichen Bauten und des Schlossgouverneurs können wir jedoch die Probleme des täglichen Lebens, die Bemühungen, sich wohnlich einzurichten, die Machtspiele um Einfluss und Vergünstigungen, aber auch tatsächliche Bedrängnisse nachvollziehen. Was dabei zum Vorschein kommt, ist die Kehrseite der schönen Fassade dieser 226 Appartements, in die sich ein gutes Tausend Leute hineindrängte, von denen manche im Ankleideraum ihrer Herren oder auf Pritschen schlafen mussten. Schaut man sich die Aufzeichnungen über den Komfort in Bezug auf Wasser, Heizung, Nahrung an, erhält man Einblicke in ein sonderbar erscheinendes Schlossleben, in dem die Eroberung einer gewissen Position tägliche Opfer und eine Form von Askese erforderte, die viele zunehmend weniger zu ertragen ­bereit waren.

Dabei kommen auch die ständigen Konflikte unter Herrschenden, Höflingen und Händlern ans Licht. Sind Geld und zu verteilende Ämter ausreichend vorhanden, erscheint die höfische Gesellschaft von Versailles als strahlendes Zentrum Frankreichs. Fehlt eine der beiden Ingredienzien, dann erstarrt das Reich, und die Klagen über die unwürdigen Unterkünfte, unbezahlten Rechnungen und den Verfall der Gebäude häufen sich, wie zum Beispiel am Ende der Herrschaft Ludwigs XV., nach dem Desaster des Siebenjährigen Krieges oder in den Jahren nach 1780, als die Finanzen erschöpft waren und Ludwig XVI. seinen Generaldirektor für Finanzen, den Genfer Bankier Jacques Necker, mit einer umfassenden Steuer- und Finanzreform beauftragte, die die Ausgaben des Hofes in allen Bereichen stark einschränkte. Der Spiegel wurde trüb, und der je­weilige Herrscher sah sich gezwungen, ihm wieder neuen Glanz zu verleihen. Dabei aber musste immer den Machtverhältnissen, dem Zeitgeist, dem Geschmack sowie den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen werden.

So formierte sich unter den drei Herrschern, deren Regierungszeit dieses Buch umfasst, ein erbitterter Kampf, wenn auch mit stumpfem Florett – Etikette und gute Sitten verpflichten. Die königlichen Ambitionen blieben stets die gleichen: das Verteilen von Auszeichnungen oder Degradierungen, um die Repräsentanten der Macht an der kurzen Leine zu halten. Äußere Form und Diskurs änderten sich jedoch mit der Zeit.

Das ganze 18. Jahrhundert hindurch war der Hof von Versailles durch unüberbrückbare Gegensätze geprägt: Hinter der Fassade fand man zugleich Größe und Misere, Pracht und Elend, schönen Schein und Alltagsprobleme unter einem Dach vereint. Es wurde ein Schauspiel der Macht auf­geführt, das bis zum bitteren Ende durchgehalten wurde, auch wenn die Zuschauerzahlen abnahmen, die Gebäude verfielen und die Infrastruktur baufällig wurde. Wie im Theater interessiert sich das Publikum – damals wie heute – vor allem für die prächtige »Hofseite«; wir wollen nun einmal die weniger repräsentative »Gartenseite« erkunden und einen Blick hinter die unvermeidlichen Kulissen von Versailles werfen.

Springfield, Tennessee, August 2008

1. Wohnen

Das standesgemäße Quartier

Als erstes wollen wir uns der Wohnsituation bei Hofe widmen, spielte die Unterkunft doch für das persönliche Befinden wie für die Markierung der eigenen Position eine entscheidende Rolle.

Wer in höfischen Diensten stand, hatte auch Anspruch auf eine Wohnung; man durfte vom König erwarten, dass er seine militärischen und zivilen Beamten unterbrachte. Die Glücklichsten unter ihnen verfügten über eine Wohnung im Schloss selbst, die anderen wurden in unterschiedlichen königlichen Gebäuden in der Umgebung beherbergt. Man konnte aber auch eine Entschädigung in Form von Geld erhalten, die es einem ermöglichte, sich in der Stadt eine Unterkunft zu suchen. Direkt im Schloss zu wohnen war aber natürlich so prestigeträchtig, dass alles, was Rang und Namen hatte, es jedem anderen Ort vorzog, auch den eigenen Stadtvillen, so prächtig diese auch sein mochten.

Der riesige Palast, den wir heute bestaunen, war ursprünglich nur ein Landpavillon, in dem Ludwig XIII. gelegentlich die Nacht verbrachte, wenn er in den umliegenden Wäldern der Jagd nachging. Später ließ der König sich auf dem Hügel, der den Sumpf überragte, eine Residenz bauen, die jedoch so bescheiden war, dass ein Memoirenschreiber sie als »Kartenschloss« herabwürdigte. Ludwig XIV., der die kleine Gen­til­hommière erbte, brachte zahlreiche Erweiterungen und Verschö­nerungen an. Südlich des Ehrenhofs wurde ein Flügel mit Stallungen errichtet, der – bald zu einem Wohntrakt umgebaut – unter dem Namen »Alter Flügel« bekannt wurde. Trotz zahlreicher Umgestaltungen existiert er noch heute, während der Pavillon, der zur Stadtseite ausgerichtet ist, unter Ludwig XVIII. durch den Architekten Dufour – nach dem der Pavillon benannt ist – vor allem deshalb neu gebaut wurde, um den Alten Flügel mit dem Nordflügel des Hofs in Symmetrie zu setzen. In den 1660er Jahren errichtet, um Küchen und Offices – Räume in unmittelbarer Nähe zur Küche, in denen man gewisse Speisen zubereitete und aufbewahrte – aufzunehmen, wurde er bald zu Wohnungen umgestaltet, und als sich der Hof 1682 in Versailles niederließ, bezog der Intendant der Domäne und der Stadt darin Quartier. 1719 wurde seine Charge zu einem Gouverneursamt erhoben, seither hieß der Flügel Aile du Gouvernement. Ab 1760 bekamen jedoch die Mauern Risse, und der Gouverneur musste ihn verlassen. Der Pavillon wurde 1771 weitgehend abgerissen, von dem Ersten Hofarchitekten Ludwigs XVI., Ange Jacques Gabriel, umgebaut und nach ihm Aile Gabriel benannt.

Bei den Erweiterungen und Verschönerungen durch Ludwig XIV. wurde im Zentralbau des Schlosses die Struktur der Originalarchitektur beibehalten: rote Backsteinmauern, an den Ecken Hausteinbänder und Schieferdächer. Ein zweites Gebäude aus Quadersteinen umschloss das erste vollständig. Im Norden befanden sich die großen Staatsappartements; im Westen führte beim ersten Entwurf eine Terrasse auf die Gärten hinaus, die aber schließlich durch den Spiegelsaal ersetzt wurde, während im Süden die Appartements der Königin eingerichtet wurden. Als der Südflügel, auch »Prinzenflügel« genannt, vollendet war, verlegte Ludwig XIV. seinen Hof vollständig nach Versailles. 1689 wurde die lange Fassade zum Garten durch einen Nordflügel ergänzt. Beide waren dazu bestimmt, die Hofwürdenträger – Beamte aus dem hohen Adel, die am französischen Königshof Dienst taten – aufzunehmen. Denn tatsächlich hatten die hohen Herren beim Lever und Coucher, dem zeremoniellen Aufstehen oder Zubettgehen des Königs, oder auch bei der Toilette der Königin eine dienende Funktion. Ja sie buhlten geradezu um diese käuflich erwerbbaren Hofämter, die sie symbolisch an das monarchische Zeremoniell banden, während die eigentliche Arbeit von einer großen Schar Beamter aus dem niederen Adel verrichtet wurde.

Unter Ludwig XIV. ließen sich die Inhaber der höheren Ämter Privathäuser auf einem Terrain errichten, das ihnen der König zur Verfügung stellte. Die Wohnprobleme, die vor dem Bau des Nord- und Südflügels bestanden, beschrieb der Anwalt Marais, der zur Zeit der Régence tätig war, so: »Unter der Herrschaft Ludwigs XIV., der stets in Versailles weilte, zählte der Hof nur wenige Frauen, da ein Mann von Rang seine Ehefrau in Versailles nicht in einem Gasthaus oder einem möblierten Zimmer untergebracht hätte, wohingegen es für die Herzöge, die Häuser besaßen, leichter war, ihre Frauen bei sich zu haben.«1

Die Inhaber niederer Ämter wohnten in einem Nebengebäude des Schlosses, dem Grand Commun, einem weitläufigen Bau, der im Erdgeschoss die Schlossküchen und die Speisesäle des Haushalts von König und Königin sowie auf vier weiteren Stockwerken Unterkünfte jeder Größe bis hin zu einfachen Verschlägen beherbergte. Dort zu wohnen wurde von manchen als nicht besonders schmeichelhaft empfunden, da es ja eigentlich ein Wirtschaftsgebäude war, wenn dessen Nähe zum Schloss auch praktisch war. Doch trotz seiner Größe vermochte der Grand Commun nicht sämtliche Beamte aufzunehmen, die ein Anrecht auf eine Unterkunft am Hof hatten. Es mussten weitere Gebäude gekauft oder angemietet werden: das Hôtel de Duras in der Rue de la Chancellerie, die drei Wohntrakte des Hôtel des Louis in der Rue de l’Orangerie und schließlich das Hôtel de Nyert in der Rue Saint-François. Die Beamten und das Personal bestimmter Dienstbereiche wie des großen und kleinen Marstalls oder der Jägerei verfügten über Wohnungen direkt an ihrem Arbeitsort.

Die Hauptsorge jedes Höflings war es, eine seinem Rang, seinen Ämtern, seiner Familie und seinen Bedürfnissen entsprechende Unterkunft zu ergattern. Da weder das Schloss noch die königlichen Gebäude in der Stadt dafür ausreichten, bot der Gouverneur den Beamten des Königshauses und dem Personal, das dem Dauphin und den Söhnen und Töchtern Frankreichs diente, die noch zu jung waren, um eine Haushaltung mit einem eigenem Budget zu führen, eine Kompensation in Form von Geld an. Die Entschädigungen für die Unterkünfte der Beamten der anderen Haushalte wie jene der Dauphine oder der Mesdames de France wurden von der königlichen Schatzkammer übernommen.2

In der Stadt zu wohnen war sehr unpopulär: Die Mieten waren hoch und die Entfernung vom Schloss beträchtlich. So fand man sich nur unwillig mit dieser Lösung ab. Das mittlere Gehalt eines Beamten, der par quartier, also ein Quartal pro Jahr, diente, belief sich auf 300 Livres, was kaum ausreichte, um ein möbliertes Zimmer oder eine bescheidene Wohnung zu mieten. Das traf für viele niedere Beamte zu, die ihre jeweilige Charge – ein Amt auf Lebenszeit, das jedoch nicht vererbbar war – wegen des sozialen Prestiges und der damit verbundenen Steuererleichterung kauften. Da sie zum Teil nur einige Tage pro Woche tätig waren, lebten sie die übrige Zeit zu Hause, oft in der Ile-de-France oder in Paris. Die meisten Gesellschaftsdamen verbrachten jeweils nur kurze Zeit am Hof, da sie nicht mehr als eine von drei Wochen Dienst taten, so dass eine noch so mittelmäßige Unterkunft im Schloss nicht von größerem Nachteil war. Für zahlreiche Höflinge stellte ihr »Quartal« vor allem eine angenehme Abwechslung dar, um der Langweile des ländlichen Lebens zu entkommen. Zugleich bedeutete es einen Prestigegewinn, wenn ihre Abreise und Rückkehr in der Sonntagsmesse verkündet wurden.

Der Polizeikommissar von Versailles schätzte, dass zu Beginn der Herrschaft Ludwigs XIV. kaum fünfzig Bewohner ein chambre garnie, ein möbliertes Zimmer, zur Vermietung an­boten. Im Jahr 1724 waren es bereits vierhundert, die professionellen Hoteliers noch nicht eingerechnet. Er schrieb dies gleichzeitig der großen Nachfrage wie der Verlockung eines einträglichen Nebenverdienstes zu: »Als der König […] sich in Versailles niederließ, sind ihm zahlreiche Personen gefolgt. Die Mieten stiegen daraufhin beträchtlich, und die hohen Preise haben die meisten Bewohner veranlasst, ein möbliertes Zimmer zu vermieten, um sich an den Mieten zu bereichern, so dass man königliche Beamte, Bedienstete, normale Bürger, sogar Schuster, Bäcker, Flickschuster, Lakaien, Frauen im Witwenstand bis hin zu ihren Söhnen findet, die alles dafür tun, um möblierte Zimmer vermieten.«3 Der Kommissar empfahl, die Tarife während der Regierungszeit des Sonnenkönigs gesetzlich zu regeln, und tatsächlich wurden sie den Gastwirten von Versailles 1735 per Verordnung diktiert: 2 Sols pro Tag für ein nicht tapeziertes Zimmer mit einem Bett; 4 Sols für zwei Betten. Ein tapeziertes Zimmer wurde für 4 Sols pro Tag vermietet, eins mit zwei Betten für 8 Sols.

Diese Tagessätze aber wurden nur von den eher bescheidenen Einrichtungen angewandt. Die Zahlen, die im Budget von Monsieur de Beauregard du Mesnil, dem Königlichen Leibgardisten und Ritter des Ludwigsordens, genannt werden, scheinen eine glaubwürdigere Vergleichsgröße zu sein. Beauregard du Mesnil zahlte dem Ehepaar Martin, Speisewirte in der Rue d’Anjou, für seine Unterkunft 20 Livres im Monat, also mehr als 13 Sols pro Tag, dazu 3 Livres täglich für die Mahlzeiten. Ein anderer Leibwächter mietete ein Doppelzimmer für durchschnittlich 36 Sols pro Tag.4

Neben diesen zum Teil registrierten, zum Teil illegalen Unterkünften gab es in Versailles noch eine ganze Reihe weiterer Übernachtungsmöglichkeiten. Die Stadt zählte ungefähr hundertzwanzig Wirtshäuser für Gäste jeglichen Standes. Unter Ludwig XIV. konnten hochrangige Persönlichkeiten im Écu de France auf der Place du Marché oder im Roi-de-Pologne in der Rue de la Dauphine absteigen. Die vornehmste Einrichtung in der Mitte des 18. Jahrhunderts war das Hôtel de Fortisson in der Rue des Bons-Enfants, in der Nummer 34 der heutigen Rue du Peintre-Lebrun. Der Eigentümer, ein ehemaliger Vizemajor der Chevauleger-Garde, vermietete kleine Wohnungen und Zimmer an Hofleute, darunter an den Duc de Croÿ. Ausschlaggebend für die Einstufung einer Unterkunft war die Nähe zum Schloss. Zuunterst standen Einrichtungen in größerer Entfernung wie jene, die von einem gewissen Marcoux in der Rue Bel-Air geführt wurde und während des Sommers 1782 Schreiber, Schneidergesellen, Tischler, Terrassenarbeiter, Maurer und sogar einen Last- und einen Sackträger beherbergte. Ein Sieur Meunier hatte zur gleichen Zeit in der Rue des Récollets hinter dem Grand Commun eine etwas gehobenere Kundschaft: einen königlichen Beamten aus Port-au-Prince, einen Anwalt aus Paris, einen ehemaligen Leibgardisten und mehrere Kunden, die sich selbst als »Edelleute« oder »Bürger von Paris« bezeichneten.

Zur Luxuskategorie gehörte das Hôtel des Ambassadeurs, das Mademoiselle Gournail in der Rue de la Chancellerie – in der heutigen Nummer 18 – führte und das nur Edelleute ­aufnahm. An der Spitze der Pyramide stand ein Sieur Delroc, ­Eigentümer des Hôtel le Juste, das 1682 in der Rue Vieux-­Versailles an der Stelle der heutigen Nummer 6 eröffnet wurde. Er hatte sogar die Ehre, Kaiser Joseph II. zu empfangen. Tatsächlich hatte der Monarch, der inkognito reiste, die Gastfreundschaft seiner Schwester Marie-Antoinette ausgeschlagen, die sich nun gezwungen sah, die garçons du garde-meuble der Krone auszuschicken, um sein Appartement zu möblieren.5

Zur Kundschaft der Gastwirte gehörten viele Reisende, die neben Kost und Logis einen Stall für ihr Pferd brauchten. Die Weinhändler und Schankwirte boten neben der Unterkunft auch Verpflegung. Unter Ludwig XV. ist die Eröffnung von Gasthöfen und Cafés durch Limonadenschenke zu verzeichnen, die unter Ludwig XIV. noch praktisch unbekannt waren. Diese Lokalitäten waren in der Regel hübsch dekoriert und boten Branntwein, ­Likör und Kräutertees an. Der Wert der Möbel, die niedrige ­Anzahl Betten pro Zimmer sowie die Lage dieser Häuser – die Hälfte von ihnen war in der Pfarrei Saint-Louis ange­siedelt – lassen vermuten, dass manche der quartalsweise dienenden Beamten, die der Baufälligkeit des Grand Commun überdrüssig waren oder ihre Dienstappartements den Gesellschaftsdamen der Prinzessinnen überlassen mussten, hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben.6

Als für diese Beamten nach der Finanzreform von 1780 an keiner Speisetafel des Hofes mehr Platz war, wurde ihnen eine Entschädigung von 5 Livres pro Tag zugestanden, um in der Stadt zu essen. Ihre Lage wurde dadurch erheblich erschwert. Bei 300 Livres für die Dienstunterkunft, dazu 5 Livres pro Tag für die Versorgung mit Essen, insgesamt also 750 Livres für neunzig Tage – etwas mehr als 8 Livres pro Tag –, zahlten in den letzten Jahren des Hofs von Versailles viele aus eigener Tasche drauf. Viele kleine Beamte, die am Hof Karriere machen wollten, kauften zu diesem Zweck mehrere Ämter, sei es in auf­ein­anderfolgenden Quartalen, sei es, dass sie in ein und dem­selben Haus mehrere Ämter gleichzeitig wahrnahmen. Sie hofften, durch diese kostspielige Investition schnell die ­Kar­riere­leiter zu erklimmen und sich ein gewisses Prestige und steigende Einnahmen zu sichern. Ein Koch konnte sich von Januar bis April als potager – »Küchengärtner«, der sich um das Suppengemüse kümmerte – anstellen lassen, dann von Juli bis Oktober als ­maître queux – »Küchen- und Bratmeister«. Wurde er nach seinem Quartal in der Speiseküche des Königs noch in den Dienst des Dauphins versetzt, lebte er das ganze Jahr am Hof. Dasselbe galt für diejenigen, die als Kammerdiener des Königs und der Königin angestellt waren, insbesondere als das Haus der Königin Maria Leszczyńska – der polnischen Prinzessin und Ehefrau Ludwigs XV. – eingerichtet wurde und gewisse treue Diener des Königs umsonst oder zu solch reduzierten Preisen Chargen erhielten, dass sie mit ihrem Erwerb ein ausgezeichnetes Geschäft machten. Diese »Berufsbeamten« brauchten eine gewisse ­Sicherheit, vor allem wenn sie eine Familie zu versorgen hatten; und wenn sie keine Unterkunft in einem der königlichen Gebäude fanden, bestand die beste Lösung im Kauf eines Hauses in der Stadt.

Der König stellte großzügig Grundstücke zur Verfügung, unter der einzigen Bedingung, dass sie bebaut werden müssten. Zu Beginn wurden die besten Plätze mit der Auflage vergeben, die Fassaden einheitlich zu gestalten. Das Grundstück für das Hôtel des Herzogs von Saint-Simon in der Nummer 38 der Avenue de Saint-Cloud wurde dem Vater des Memoirenschreibers im Jahr 1685 überlassen, der Vertrag dazu im folgenden Jahr unterzeichnet. Es handelte sich um einen Halbpavillon mit Toreinfahrt in einen Innenhof, mit Kutschenhaus, Stallungen, Gebäuden, Garten und Hinterhof.7 Der größte Teil des sogenannten Hirschpark-Viertels wurde aufgeteilt und an commensaux übergeben, an Beamte, die Anspruch darauf hatten, vom ­König verpflegt zu werden.8 Die neuen Inhaber eines solchen Brevets – einer Ernennungsurkunde, in der die jeweiligen Pflichten des Empfängers sowie die finanziellen Rahmenbedingungen geregelt waren – mussten dem König eine bescheidene Immobiliensteuer in Form eines Bodenzinses entrichten, dazu die Parzelle mit einer Mauer oder einer Hecke umschließen und den Straßenrand pflastern lassen. Ließen sie nicht bauen, konnten sie ihre Konzession nach Ablauf einer bestimmten Frist, meist nach einem Jahr, wieder verlieren. Viele von ihnen hatten jedoch Schwierigkeiten, die Auflagen zu erfüllen, so dass das Viertel im 18. Jahrhundert noch immer schwach besiedelt war. Die Ambitioniertesten ließen Gebäude errichten, von denen sie das Erdgeschoss selbst bewohnten und in den oberen Stockwerken Wohnungen und Zimmer vermieteten. Manche von ihnen hatten so offenbar regelrechte Investitionsobjekte geschaffen.

Kammern, Verschläge und Dachstuben

Die meisten Unterkünfte der hohen Dienerschaft befanden sich im Grand Commun. Neben großen Privatappartements gab es auch Gemeinschaftswohnungen, in denen Beamte, die dieselbe Funktion innehatten, jeweils über ein eigenes Zimmer verfügten und sich ein Vorzimmer sowie einen Aufenthaltsraum teilten, während ihre Diener in eigens eingezogenen Zwischengeschossen untergebracht waren. Die besten dieser Wohnungen im Grand Commun trugen die Nummern 85 und 86 und lagen in der nordwestlichen Ecke des zweiten Stockwerks. Sie waren den Edelleuten des Königs vorbehalten. Ein Korps von 36 Beamten, von denen in jedem Quartal jeweils neun dienten, teilten sich zehn durch sechs Kamine beheizte Zimmer mit zehn Zwischengeschossen für die Bediensteten. Da die meisten Mieter alle drei Monate wechselten, kümmerte sich ein Concierge, ein Hausmeister, um die Räumlichkeiten und vermietete den Bewohnern während ihres Aufenthalts am Hof Möbel und Wäsche.9

Im Dachgeschoss unter dem stark geneigten Giebel teilten sich die Huissiers, die Türsteher des Königsaals, eine Unterkunft mit einer sehr niedrigen Decke. 1778 beklagten sie sich über diese Unbequemlichkeit beim Generaldirektor der Königlichen Bauten, der seine Inspektoren beauftragte, einen Bericht zu verfassen, in dem zu lesen ist: »Die zwölf Türsteher des Königssaals, die im Quartal dienen, haben ihre Unterkunft im Grand Commun. Dort verfügen sie nur über ein Zimmer für jeweils drei Beamte. Sie haben Bittschriften verfasst, in denen sie eine Unterkunft einfordern, die ihnen gemäß ist und ihnen zusteht, da es nicht der Schicklichkeit entspricht, zu dritt in ei­nem Raum zu wohnen. Hieraus können Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten erwachsen, sei es in Bezug auf die unterschiedlichen Charaktere, sei es im Falle von Krankheit oder Unpässlichkeit, welche die anderen in Mitleidenschaft ziehen. Die ­Unterkunft, die sie bewohnen, ist unbequem. Die Fuß­böden drohen einzustürzen. Der Kamin hält weder Wind noch Regen stand. Durch die Balken, die dieses große Zimmer, oder um es besser zu sagen, diese riesige Dachstube durchqueren, dringt Wasser ins Zimmer, so dass besagte Balken zu modern anfangen und die Unterzeichnenden der Gefahr ausgesetzt sind, eines Tages unter den Ruinen begraben zu werden. Unter diesen Umständen bitten sie Sie, Monsieur, untertänigst, eine Besichtigung anzuordnen, die nötigen Reparaturen einzuleiten und die Aufteilung dieses Zimmers vorzunehmen, das einiger Verbesserungen bedarf.«10

Die Inspektoren schlugen Abhilfe vor: »Diese Unterkunft befindet sich im Dachgeschoss unter dem Gesperre und besteht nur aus einem einzigen Raum. […] Da die Herren Türsteher des Königssaals dieses selbe Zimmer, das groß genug ist, um einige Unterteilungen vorzunehmen, in jedem Quartal zu dritt bewohnen, bitten sie den Herrn Generaldirektor, ihnen drei Wände einziehen zu lassen, damit sie an diesem Ort zwei Zimmer und ein Kabinett abteilen können, wohin sich jeder Einzelne zurückziehen kann. Da die zwei Fenster, die diesen großen Raum erhellen, sehr klein sind und nur ein recht düsteres Licht erlauben, bitten sie weiter, dass diese vergrößert werden möchten. Der Austausch der Eingangstür gegen einen Kamin sowie die neuen Aufteilungen können weder der Festigkeit des Gebäudes noch der Dekoration Abbruch tun mit Ausnahme des verlangten Kamins, für den möglicherweise zwei Böden und das Dach durchbohrt werden müssen.«11

Der Generaldirektor der Königlichen Bauten gab sein Einverständnis, und das große Gemeinschaftszimmer wurde wie vorgeschlagen aufgeteilt. Die neuen Zimmer waren kaum größer als die Zelle eines Schlafsaals. Ein Konflikt, der für die Schwierigkeiten des Zusammenleben exemplarisch ist, spielte sich zwischen dem dienstältesten Türsteher, der mit seinen 72 Jahren auf 27 Dienstjahre am Hof zurückblicken konnte, und einem seiner jungen Kollegen ab, der sich einen Spaß daraus machte, den alten Mann zu provozieren, indem er ihn heimlich durch ein Fenster des gemeinsamen Flurs beobachtete. Als der Dienstälteste die Scheibe mit Papier verkleidet hatte, schlug der junge Mann sie kurzerhand ein. Ein Gemälde, das die Scheibe ersetzen sollte, wurde zerstört, ein Vorhang zerrissen. Am Ende dieses Kleinkriegs klagte der Doyen, dass er sich durch die Zugluft, die durch das Loch hereinkam, eine Erkältung zugezogen habe.12

Der ständige Mieterwechsel schadete den Wohnungen, vor allem weil die jungen Militärs sich wenig um den Unterhalt ihrer provisorischen Kasernierung kümmerten. Wenn die Reparaturarbeiten zu lange auf sich warten ließen, wurden die Zimmer rasch unbewohnbar. Selbst die Edelleute kannten dieses Problem: 1778 waren ihre Unterkünfte in einem solch schlechten Zustand, dass nur die Hälfte der Quartalsbeamten dort wohnen konnte. So wandten sie sich mit einer Bittschrift an den ­Generaldirektor der Königlichen Bauten: »Die Edelleute im Dienste des Königs haben die Ehre, Monsieur le Comte d’Angiviller darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Dienst während jedes Quartals neun Personen erfordert und dass der König sowohl ihnen als auch ihren Bediensteten seit jeher eine ständige Unterkunft in der dritten Etage des Grand Commun gewährt hat. Wenn die Verbesserung der Wohnsituation in der Stadt dazu geführt hat, dass lange Zeit vernachlässigt wurde, was ihnen durch ihr Amt von Rechts wegen zusteht, so sind nun aufgrund des derzeitigen Mangels und der hohen Preise einige Maßnahmen absolut unabdingbar geworden. Einzig fünf Appartements befinden sich im Zustande, bewohnt werden zu können, doch der Mangel kann durch das Zwischengeschoss behoben werden, das durch Ihre Anordnung vor zwei Jahren über ihrem Speisesaal errichtet wurde, was bereits eine Unterkunft abgeben würde, sowie durch die Instandsetzung von drei unbewohnbaren Unterkünften im Zwischengeschoss, aus denen man nach dem Beispiel der Königlichen Kammerdiener mit Leichtigkeit Nutzen ziehen könnte.«13 Es brauchte sechs Jahre, um diese dringenden Reparaturen zu Ende zu führen!

Die Beamtenkorps hatten im Allgemeinen einen »ordentlichen Vorsteher«, der das ganze Jahr über im Dienst stand und eine eigene Wohnung hatte. Zum ständigen Personal gehörte auch eine große Zahl von Kammerfrauen, die der Königin, der Dauphine oder den Kindern von Frankreich dienten. Ganz gleich, ob ihre Ansprüche hoch oder eher bescheiden waren, stets setzten diese Damen ihr Ansehen – und manchmal ihren ganzen Charme! – ein, um die besten Wohnungen im Grand Commun zu bekommen; sie wollten dort ihre Familien unterbringen. Da die Hofbeamten oft die Töchter ihrer Kollegen heirateten, blieben viele, die ein Quartal lang dienten und während dieser Zeit Recht auf eine Unterkunftsentschädigung hatten, in der Wohnung ihrer Frauen, die das ganze Jahr im Dienst standen. Sie wurden so gleich zweifach begünstigt.

Das war jedoch nicht im Sinne des Gouverneurs von Schloss und Stadt, des jungen Comte de Noailles, der das Vermögen der Domäne schonen wollte und das klar zu verstehen gab: »Die Regel besagt, dass nur eine Unterkunft [in Form von Geld] gewährt wird, auch wenn man mehrere Orte bewohnt.«14

Tatsächlich konnte ein Beamter keine doppelte Entschädigung erhalten, obwohl sein Einkommen es ihm kaum ermöglichte, in der Stadt ein Haus für seine Familie zu mieten. Im besten Fall erhielt ein Diener des Königs wie François Charles Cécire, der zwei Ämter – als Kammerdiener und Barbier – inne­hatte, eine Erhöhung, doch betrug diese nur 400 Livres und nicht 600, wie er gefordert hatte.15 Da diese Regel die finanziellen Möglichkeiten der Beamten stark einschränkte, intrigierten sie ununterbrochen gegeneinander, um eine größere, bequemere, besser gelegene und ausgestattete Unterkunft zu bekommen. In der Zwischenzeit häuften sich die Bitten um Renovierungsarbeiten und ­Instandsetzungen, während sich die Kammerfrauen einer scheinbar niemals endenden Serie von ­eigenmächtiger Inbesitznahme von Wohnraum und dessen Tausch widmeten.

Wer bekommt das schönsteAppartement?

Die eigentlichen Dienstwohnungen waren knapp und den Inhabern der wichtigsten Chargen vorbehalten. Die vier Staatssekretäre verfügten über ganze Häuser inklusive Keller und Attikageschoss – eine zusätzlich angebaute Dachetage, die man heutzutage vielleicht als »Penthouse« bezeichnen würde – in den beiden Flügeln am Rande des großen Vorhofs, dem sogenannten Ministerhof. Der Garde des Sceaux – der Siegelbewahrer, eine Art Justizminister – bewohnte, wenn er sich in Versailles aufhielt, ein Stadtpalais, in dem heute das Konservatorium untergebracht ist. Einige dieser hohen Würdenträger, insbesondere der Kanzler, der Comte de Pontchartrain, empfanden dessen Entfernung zum Schloss jedoch als zu groß.

Als König Ludwig XV. sieben Jahre nach dem Tod Ludwigs XIV. 1722 von den Tuilerien wieder nach Versailles zurückkehrte, kaufte er das ehemalige Hôtel de Beauvillier an der Kreuzung der heutigen Rue de l’Indépendence-Américaine und der Rue de l’Orangerie, um darin die Residenz und die Büros des Generalkontrolleurs der Finanzen einzurichten, dessen Tätigkeit die häufige Anwesenheit in Paris erforderte. Das Hôtel de la Surintendance gegenüber war für den Generaldirektor der Königlichen Bauten reserviert. Da diese Häuser Dienstunterkünfte waren, gingen sie, wenn jemand in Ungnade fiel, an dessen jeweiligen Nachfolger über. Die anderen hohen Beamten kamen nur in den Genuss von Dienstwohnungen, wenn sie im Quartals- oder Jahresdienst standen. Das wichtigste dieser Appartements war das der Hauptmänner der gardes du corps, der königlichen Leibgarde. Während ihres Dienstquartals wohnten sie direkt über dem Kabinett des Staatsrats und den inneren Kabinetten des Königs, verfügten aber darüber hinaus auch über eine Privatwohnung im Schloss.

Im 18. Jahrhundert wollte der Comte de Noailles bestimmte Wohnungen für die hochrangigsten Amtsinhaber des königlichen Haushalts reservieren: »Der Comte de Noailles«, schreibt er an den Souverän, »ist so frei […], Eurer Majestät zur Kenntnis zu bringen, dass er es als angemessen erachten würde, wenn alle Inhaber der bedeutenden Chargen Eurer Majestät ihre Unterkünfte stets behalten und diese ohne jede Änderung auch an ihre Nachfolger übergehen. Dies hätte eine erhebliche Verminderung von Unannehmlichkeiten und Ausgaben zur Folge.«16 Der König stimmte diesem Vorschlag zwar zu, er wurde jedoch nie umgesetzt.

Jedes Mal, wenn eine Wohnung frei wurde, setzten die Kandidaten alle Hebel in Bewegung, um den Zuschlag zu erhalten – königliche Gunst, familiäre Bindungen, Freundschaften, Bittgesuche, Briefe. Als der alte Marschall de Biron 1747 seine Wohnung verließ, bewarben sich beim Comte de Noailles elf Höflinge darum.17 Als wichtigster Trumpf galten der Rang eines Bewerbers sowie seine Stellung bzw. sein Amt am Hof, und so wurde das Vorgriffsrecht immer den hohen Kronbeamten und den Vorstehern der wichtigsten Ämter der Königs- und Prinzenhäuser eingeräumt. Der Großkaplan (grand aûmonier) von Frankreich, der Großkämmerer (premier gentilhomme de la chambre), der Großhaushofmeister (grand maître), die Haupt­männer der gardes du corps und der Hof-Reisemarschall (grand maréchal de logis) mussten unbedingt eine Unterkunft unter demselben Dach wie der König haben. An sie hatte der Gouverneur gedacht, als er vorschlug, ständige Dienstwohnungen einzurichten. Andere Höflinge mit weniger bedeutenden Ämtern sahen sich oft gezwungen, Unterkünfte in den oberen Stockwerken zu akzeptieren, die nicht besonders bequem und in schlechtem Zustand waren.

Der zweite Faktor, der bei der Verteilung der Wohnungen berücksichtigt wurde, war die Art des Amtes und die Nähe zum Souverän. So beriefen sich die chefs du service der großen und kleinen Stallungen auf das Prestige ihrer Aufgaben und ihre ständig erforderliche Präsenz beim König, um zusätzlich zu ihren Wohnungen bei den Stallungen eine Unterkunft im Schloss zu ergattern. Ebenso mussten die dame d’honneur – die Oberhofmeisterin – und die dame d’atour – die Hofmeisterin für die Garderobe – der Gemächer von Königin, Dauphine und Mesdames de France in der Nähe ihrer Herrinnen untergebracht sein. Ihnen gewährte man daher Wohnungen im Prinzenflügel, auf gleicher Etage mit der Königin. Die Palast- oder Gesellschaftsdamen, die dames du palais und die dames de com­pagnie, wurden im Attikageschoss einquartiert, das das Gebäude abschloss. Die Verpflichtung, sich ständig in der Nähe des Monarchen aufzuhalten, verlieh dem Ersten Arzt und dem Ersten Chirurgen das Recht auf eine Wohnung neben dem Zentralbau des Schlosses, während der Apotheker weiter weg in einem der Flügel untergebracht wurde. Andere Beamte wie der federführende Königliche Sekretär, hatten nur Anspruch auf eine Wohnung im Pavillon des Ministerflügels, da der König ihre Dienste nicht ständig in Anspruch nahm.

Auf die persönlichen Bedürfnisse des einzelnen Höflings wurde erst an allerletzter Stelle Rücksicht genommen. War er verheiratet und lebte mit seiner Frau zusammen, benötigte er eine größere Wohnung, vor allem wenn beide eine Stelle bei Hofe hatten. Alleinstehende junge Männer und Witwen hatten weniger Chancen auf eine gute Wohnung, da sie keine Tafel halten und abgesehen von ihren Angehörigen keine Gäste empfangen mussten. Mit Ausnahme der Söhne und Töchter von Frankreich und der jungen Prinzen von Geblüt war für Säuglinge, Kinder und Jugendliche kein Platz in Versailles. Sie erschienen nur zu Besuchen oder wenn sie das entsprechende Alter erreicht hatten, um sich dem König zu präsentieren, nach einem Heiratskandidaten oder einem Amt Ausschau zu halten.

So war es üblich – oft aber wurden diese Regularien umgangen, denn auch wenn ihm einer seiner Untergebenen ein »eiskaltes Gemüt« bescheinigte, war der Comte de Noailles kei­neswegs herzlos. 1761 wurde der Prince de Tingry aus seiner Wohnung im Ministerflügel ausquartiert, als der Duc de Praslin, der neue Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, sie zusätzlich zu seiner offiziellen Wohnung beanspruchte. Noailles, der den neuen Außenminister nicht mochte, beantragte für Tingry eine provisorische Unterkunft über der Wohnung der Königin: »Monsieur le Comte de Noailles schlägt Eurer Majestät vor, sie dem Prince de Tingry zu gewähren, der zwar kein Amt innehat, diese Auszeichnung jedoch durch seinen Eifer verdient, mit dem er sich beim Hofe Eurer Majestät zeigt. Da seine Gesundheit zu wünschen übrig lässt und seine Jugend ihrem Ende entgegengeht, wäre eine derartige Gunst wünschenswert. Er wird ihm und seiner Frau eine Wohnung im Vorhof geben, die für zwei Personen geeignet ist.«18 Als Tingry einige Jahre später zum Hauptmann der gardes du corps ernannt wurde, erhielt er in dieser Funktion sofort eine große, bequeme Wohnung.