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So "tickt" unser Hirn! Ändern wir unsere Glaubenssätze, ändern wir auch unsere Realität. Nörgeln macht unglücklich. Wieso tun wir es dann ständig? Warum wir uns unsere Probleme aussuchen. Der Mensch – die Krönung der Schöpfung, schön wär's! Er ändert stets seine Meinung, lügt, liebt, lacht – doch weiß er selbst warum? Unser Gehirn ist kompliziert. "Hirn to go" erklärt aus neurowissenschaftlicher Sicht, warum Männer in Verhandlungen selbstbewusster auftreten als Frauen, Depressionen praktisch sind und weshalb wir vergessen, was wir vorgestern gefrühstückt haben. Und hilft uns so, uns und unser Verhalten besser zu verstehen. Mit diesem Buch können wir die Prozesse in unserem Gehirn und unserer Gefühlswelt nachvollziehen und beeinflussen. Eine Portion Neurowissenschaft zum Mitnehmen – das ist "Hirn to go".
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Seitenzahl: 189
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So „tickt“ unser Hirn!
Was wäre, wenn wir die Prozesse in unserem Gehirn und unserer Gefühlswelt nachvollziehen könnten? Wir könnten Einfluss auf unser Fühlen und Handeln nehmen und die Dinge, die uns schon lange ärgern, endlich verändern.
Unser Gehirn ist kompliziert. „Hirn to go“ erklärt aus neurowissenschaftlicher Sicht, warum wir uns unsere Probleme selbst aussuchen, stets nörgeln, obwohl es uns unglücklich macht, warum Männer in Verhandlungen meist selbstbewusster auftreten als Frauen, Depressionen praktisch sind und weshalb wir vergessen, was wir vorgestern gefrühstückt haben. Was rosa Katzen mit Erfolg zu tun haben, wie Kühe Depressionen heilen können und warum Gehirnzellen wie ein Orchester funktionieren.
Neurowissenschaft für die Hosentasche – leicht verständlich und unterhaltsam!
Julia Reichert, geboren 1993 in Hamburg, hat Germanistik und französische Philologie in Potsdam und Paris studiert, Flüchtlinge unterrichtet und ab 2018 Neurowissenschaften der Sprache in Nordspanien studiert. Seit 2019 wohnt sie in München und arbeitet als Autorin. Sie schreibt unter anderem für die Münchner Abendzeitung und hat bereits einen Stadtführer über San Sebastián und Bilbao herausgebracht.
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© Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2022
ISBN 978-3-8000-7790-8
ISBN 978-3-8000-8222-3 (e-book)
E-Book-Ausgabe der 2022 im Carl Ueberreuter Verlag erschienenen Buchausgabe.
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Lektorat: Maria-Christine Leitgeb, www.diesprachagentur.com
Grafik Cover: Collage Adobe Stock: © Hein Nouwens & Oleksandr Babich
Grafik innen: © shutterstock, Jolygon
Covergestaltung & Grafik: Saskia Beck, s-stern.com
Satz: Sabina Karasegh, skgh.at
Konvertierung: bookwire.de
www.ueberreuter.at
JULIA REICHERT
Was wir von listigen Hirnforschern undsmarten Prostituierten lernen können
A–Frontallappen
B–Parietallappen
C–Occipitallappen
D–Temporallappen
E–Kleinhirn
F–Hirnstamm
1–Konzentration, Planung, Problemlösung
2–Sprachproduktion
3–Geruchssinn
4–Motorik
5–Tastsinn
6–Geschmackssinn
7–Visuelles
8–Sprachverständnis
9–Hören
10–Gesichtserkennung
11–Koordination
© Shutterstock/Alexander_P
Vorwort
1.Was uns unser Kopf sagen will
Hab dein erstes Mal!
Wieso wir alle mit dreißig ein bisschen dement werden und wie wir Alzheimer vorbeugen können
Iss Kakerlaken!
Wieso es so viel leichter ist, schlecht drauf als gut gelaunt zu sein
Sei gut im Bett!
Warum wir mehr schlafen sollten und Workaholics uncool sind
Mach die Welt, wie sie dir gefällt!
Was ist Realität? Halluzinieren wir vielleicht die ganze Zeit?
Sei depressiv!
Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander. Wieso wir lernen sollten, uns so richtig schön schlecht zu fühlen und depressive Stunden zu genießen.
Sei keine Maschine!
Warum Gehirne besser sind als Computer
2.Alltag verstehen
Gönn Dir was!
Das Geheimnis eines langen Lebens und was Schokolade zum Frühstück mit dem Altern zu tun hat
Du sollst nicht müssen!
Weshalb man seine Neujahrsvorsätze nie einhält – und warum man das auch gar nicht muss
Selbstoptimierung? Nein, danke!
Wieso uns der ständige Drang nach Optimierung unglücklich macht
Dein Kopf ist kein Mülleimer!
Warum wir Realityshows so lieben und was in unserem Kopf vorgeht, wenn wir den Bachelor gerade gucken
Iss keinen Müll!
Was braucht unser Kopf wirklich?
Sei eine Sieben!
Warum der Mensch nie vollkommen zufrieden ist
Sei lebendig!
Warum wir Angst haben und wieso manche nicht genug davon haben können
3.Beziehungen mit Köpfchen
Liebe jeden Deckel!
Was ist Liebe? Wie können wir sie beeinflussen? Und was passiert in unserem Kopf, wenn wir uns verlieben?
Schluss mit dem Gejammer!
Nörgeln macht unglücklich. Wieso tun wir es dann ständig?
Sei mal dumm!
Weshalb man dem Drang nach Wissen und Google manchmal entsagen sollte
Sei Bettina!
Wieso wir selbst unsere beste Freundin sein sollten
Folge mir nicht!
Einfach mal zu einer virtuellen Freundschaft Nein sagen
Mach eine Therapie!
Wie man lernt, das Bewusstsein zu verstehen
4.Erfolg im To-go-Becher
Sei ein Mann!
Woher Männer ihr Selbstbewusstsein nehmen und was wir von ihnen lernen können
Such dir Probleme!
Warum wir uns unsere Probleme aussuchen
Dusche kalt!
Was kaltes Wasser mit Erfolg und Gesundheit zu tun hat
Hol dir Eis am Stiel!
Weshalb wir raus müssen aus der Box
Mach keinen Bananenbrei!
Menschen können lügen. Wieso lügen sie dann nicht die ganze Zeit?
Sei erfolgreich!
Schreib keine To-do-Listen, schieb nichts auf, versuche nichts. Mach einfach!
5.Was wir von Hirnforschern und Prostituierten lernen können
Sei eine rosa Katze!
Weshalb kreative Menschen erfolgreicher sind
Sei ein überglückliches Honigkucheneinhorn!
Warum wir lachen und weshalb wir viel mehr lachen sollten
Geh auf’s Klo!
Was ein sauberes WC mit Dankbarkeit zu tun hat
Sei nackt!
Wieso der erste Eindruck wirklich zählt
Ich denke, also bin ich!
Wie uns reine Gedankenkraft ans Ziel bringt
Sag’s dem Spiegel!
Wie ein Gespräch mit dem Spiegelbild das Leben verändern kann
6.Mit Hirn Richtung Zukunft
Sei ein Rudeltier!
Warum Einsamkeit tödlich ist
Sei nicht smart!
Weshalb neue Technologien uns ins zwischenmenschliche Chaos stürzen können
Digital detox!
Wieso Homeoffice keine Dauerlösung sein sollte
Goodbye junk values!
Was unser Wertesystem mit Depressionen zu tun hat und wie Kühe uns retten können
Überlebe im Paradies!
Die Zukunft unserer Intelligenz
Sei frei!
Eine Geschichte über die Freiheit
Literaturverzeichnis
Unser Gehirn ist manchmal ein kleiner Krawattenhändler. Man steht in der Wüste, hat Durst, alles, was man braucht, ist Wasser. Wasser läuft einem leider nicht über den Weg, dafür ein Krawattenhändler, der stolz seine Auswahl präsentiert. So ist unser Gehirn. Manchmal suchen wir händeringend nach der Lösung eines Problems, und was wir stattdessen bekommen, sind Erinnerungen an unser Abendessen oder der Ohrwurm von My heart will go on.
Dieses Buch handelt von einem komplexen Organ, das eigenwillig, stur und einzigartig ist und über ein unglaubliches Potenzial verfügt, das im Laufe unseres Lebens nur zu einem Bruchteil genutzt wird. Es bestimmt unseren Alltag und steht uns häufiger im Weg, als uns lieb ist. Warum halten wir nie unsere Neujahrsvorsätze ein? Wieso fällt es uns so schwer, morgens kalt zu duschen? Weshalb gucken wir so gern Realityshows, essen Süßigkeiten und lästern über unsere Mitmenschen? Und wieso können wir nicht der zielstrebige, erfolgreiche Mensch sein, der wir sein wollen?
Seien wir einmal ganz ehrlich: Wir leben in einer Welt der uneingeschränkten Möglichkeiten, in Wohlstand, Gesundheit und Komfort für viele, und dennoch (oder gerade deshalb?) schaffen wir es, uns über die kleinsten Unannehmlichkeiten wie einen geklauten Parkplatz, eine verkürzte Mittagspause oder eine verpasste U-Bahn so aufzuregen, dass es uns die Stimmung verhagelt. Wir werden scheinbar immer schlauer und stumpfen dafür emotional ab. Wir haben einen Haufen virtueller Freunde und Follower, aber laufen Gefahr, unsere Freunde zu vernachlässigen, wenn sie spontan vor der Tür stehen. Wir sorgen uns um äußere Sicherheit und fühlen uns im tiefsten Inneren verloren. Wir streben nach großen, ungesunden Zielen wie einer Beförderung oder einem dickeren Auto und verlernen dabei, uns über die kleinen Dinge im Leben zu freuen. Wir entfremden uns – von der Natur, von uns selbst. Werden wir zu gefühlskalten, jammernden Robotern, obwohl es uns auf unserem IKEA-Sofa mit dem Glas Aperol Spritz in der Hand doch zweifellos blendend gehen sollte?
Wieso tendieren wir dazu, Gutes schlechtzureden und uns ständig optimieren zu wollen? Was können wir tun, um einfach mal glücklich zu sein? Wir müssen unseren eifrigen Krawattenhändler, die Kommandozentrale auf unserem Haupte, verstehen lernen – das Gehirn, das einzige Organ, das dazu überhaupt fähig ist.
Unser Hirn ist ein ziemlich scheues Wesen. Im Normalfall bekommen wir es im Laufe unseres Lebens nicht ein einziges Mal zu Gesicht. Es ist wie der Chef, der sich niemals blicken lässt, im Hintergrund aber die Fäden zieht und wirklich jede Entscheidung für uns trifft, sogar lange bevor uns diese Entscheidung bewusst wird. Leider sitzt es auch niemals philosophierend neben uns auf einer Parkbank und verrät beispielsweise, weshalb man sich gestern so niedergeschlagen gefühlt hat. Es lebt in der abgedunkelten Kopfhöhle und ist den lieben langen Tag damit beschäftigt, sich die Realität um uns herum nach Gutdünken auszumalen. Es geht nicht joggen, es entscheidet, dass wir joggen gehen. Es trinkt keinen Café, es entscheidet, dass wir einen Café trinken.
Neben seinem dominanten Drang Entscheidungen zu treffen und seinem ausgeprägten Sinn für Halluzinationen neigt es leider auch zu Pessimismus. Ganz recht! Du hast da oben einen kleinen Pessimisten sitzen! Das hat mit unserem Instinkt zu tun, denn das Gehirn ist seit jeher auf lebensbedrohende Reize und Gefahren spezialisiert. Es musste sich, wo es nur konnte, auf Bedrohliches konzentrieren. Das konnte ein gefährliches Raubtier oder eine unbekannte Pflanze sein. Ein Fokus auf das Schöne im Leben ist nun mal nicht ratsam, wenn Letzteres dadurch rascher beendet sein kann. An dem Negativfokus hat sich bis heute nicht viel geändert, außer dass wir seltenen gefährlichen Raubtieren begegnen. Unsere Aufmerksamkeit liegt jedoch noch immer auf dem Negativen: den Zug verpassen, Kopfschmerzen haben, einem blöden Kommentar – und schon ist der Tag im Eimer. So kommt es, dass wir trotz des Paradieses, in dem wir heute leben, manchmal wie Giftzwerge meckernd herumlaufen und schlechte Laune verbreiten.
Das menschliche Gehirn ist kompliziert. Der Mensch als die Krönung der Schöpfung – schön wär’s! Er ändert ständig seine Meinung und ist imstande, sich selbst und andere zu belügen. Vor allem aber versteht er sich selbst kaum. Viele scheinen ihr Innerstes gar nicht erst kennenlernen zu wollen und ertränken es deshalb im Konsum von Fernsehsendungen, Arbeit oder Alkohol. Was wäre, wenn wir uns und unser Verhalten besser verstehen würden? Wenn wir wüssten, warum Männer in Verhandlungen meist selbstbewusster sind als Frauen und weshalb wir vergessen, was wir vorgestern gefrühstückt haben? Was wäre, wenn wir die Prozesse in unserem Gehirn und unserer Gefühlswelt nachvollziehen könnten? Wir könnten Einfluss auf unser Fühlen und Handeln nehmen und die Dinge, die uns schon lange ärgern, endlich verändern.
In diesem Buch erfährst du, weshalb ein Stück Schokolade zum Frühstück glücklich macht, wieso du dein Handy öfter zu Hause lassen solltest und was rosa Katzen mit Erfolg zu tun haben. Weshalb wir unbedingt damit aufhören sollten, wie schlaflose, arbeitswütige Zombies durch die Gegend zu laufen, damit wir nicht schon mit dreißig Jahren dement werden. Oder weshalb unser Gehirn besser funktioniert als ein Computer, Einsamkeit schlimmer ist als eine Zigarette und vor allem, weshalb es uns so verdammt schwerfällt, in unserem kleinen Paradies das große Glück zu erkennen.
Schnapp dir ein Eis am Stiel und such nach guten Problemen in deinem Leben. Erfahre, wie Kühe Depressionen heilen können, und erlebe wieder Abenteuer, anstatt zu Hause vor dem Fernseher zu versauern. Du hast nur ein einziges Leben – höchste Zeit, es mit Köpfchen zu führen.
Wieso to go? Manchmal muss es schnell gehen. Pizza, Cappuccino, Döner – wieso dann nicht auch eine Portion Hirnforschung to go? Gönn dir jeden Tag ein Kapitel Weisheit: kurz, prägnant, heiß und einfach zum Mitnehmen.
Wieso wir alle mit dreißig ein bisschen dement werden und wie wir Alzheimer vorbeugen können
Dinge, die man nie vergisst:
den ersten Kuss
das erste Mal Sex
die erste große Liebe
P. Sherman, 42 Wallabyway, Sydney
– anonym
Mit wem hattest du deinen ersten Kuss? Wie war dein erster Schultag? Wir erinnern uns erstaunlich gut an unsere ersten Male, mögen sie auch weit in der Vergangenheit liegen. Dafür wissen wir kaum noch, was wir vorgestern gemacht haben und wo wir an unserem vorletzten Geburtstag gewesen sind. Woran liegt das? Werden wir alle im Laufe unseres Lebens ein bisschen dement?
Der erste Urlaub ohne meine Eltern. Ich erinnere mich noch ganz genau daran. Ich war achtzehn, der Geruch von Freiheit lag in der Luft, alle Türen standen mir offen, ich fühlte mich lebendiger als je zuvor. Jeder Windhauch schmeckte nach Abenteuer und jeder Sonnenuntergang war so schön, dass ich das versiffte Hotelbett, das ich mir als Studentin leisten konnte, glatt darüber vergaß. Obwohl die Reise weit in der Vergangenheit liegt, kann ich mich erstaunlich genau an viele Details erinnern. Ähnlich präzise kann ich meine erste Trennung beschreiben, die erste Autofahrt hinter dem Steuer meines eigenen Autos und meinen ersten Schultag. Fragt man mich aber nach meinem vorletzten Geburtstag oder danach, was ich letzten Montag gegessen habe, verschlägt es mir häufig die Sprache. Ich weiß es einfach nicht mehr.
Neueste Studien am Hippocampus zeigen, dass wir uns an Erlebnisse aus unseren Teenagerjahren besonders gut zurückerinnern. Detailliert, teilweise sogar mit genauem Datum, können wir sagen, wann wir zum ersten Mal verliebt waren und welche Farbe das Sofa im Zimmer unseres Schwarms hatte, auf dem wir unsere erste wilde Knutscherei hatten. Wir wissen noch, dass es nach Lavendel roch am Tag, als unser erstes Haustier starb, und dass wir an einem bitterkalten Herbstmorgen unsere erste eigene Wohnung mit Möbeln ausgestattet haben.
Wissenschaftler fanden heraus, dass es im Alter zwischen circa dreißig und sechzig Jahren erinnerungstechnisch ganz schlecht um uns bestellt ist. Das Gedächtnis verschwimmt zu einem Einheitsbrei, selbst Geburtstage werden nur noch vage rekordiert. Was ist los in diesen dreißig Jahren in der Mitte unseres Lebens? Die Gründe für die natürliche Erinnerungslücke sind noch nicht eindeutig. Eine Ursache liegt aber klar auf der Hand: Ab den Dreißigern gehen viele Menschen einer festen Tätigkeit nach, gründen eine Familie und leben in ihrem Alltagstrott. Da wird der 3569. Kuss an den Partner vergeben, das fünfte Auto gekauft, zum siebten Mal umgezogen etc. Die wenigsten Menschen tun in diesem Zeitraum Dinge zum allerersten Mal.
Liegt das etwa am Alter? Im Volksmunde heißt es etwa, Kinder würden viel schneller Neues erlernen als Erwachsene. Mit über dreißig Jahren noch Französisch lernen? Für die meisten ein undenkbares Vorhaben. Kinder lernen aber nicht per se schneller als Erwachsene. Erwachsene verlernen nur häufig im Laufe ihres Lebens das Lernen. Beschäftigt sich der Mensch nicht stets mit Neuem, dann rostet er ein. Getreu dem Motto: Wer rastet, der rostet. Das Gehirn ist aber zum Glück plastisch und jederzeit bereit für Veränderungen.
Unser Gehirn ist plastisch und wandelbar. Der Occipitallappen, der hinterste Bereich unseres Gehirns, ist für das Sehen verantwortlich. Bei einem Menschen, der blind auf die Welt kommt, übernimmt der Occipitallappen anstelle des Sehens andere Aufgaben wie zum Beispiel das Tasten oder Hören. Nicht selten kommt es dann vor, dass ein Blinder besser hören oder riechen kann als ein Sehender.
Lernt man regelmäßig eine neue Fremdsprache, wird es auch mit vierzig Jahren nicht schwerfallen, eine weitere Sprache zu sprechen. Beim Erwerb von Fremdsprachen liegt der einzige Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen in der richtigen Aussprache. Während Kinder bis zu einem Alter von etwa sechs bis zehn Monaten noch über ein universelles phonologisches System verfügen, ebbt die Fähigkeit der Lautunterscheidung mit zunehmendem Alter ab.1 Das bedeutet, dass ich, lerne ich eine Fremdsprache, nur die Laute benutze, die ich aus meiner Muttersprache kenne. Die fremden Laute können teilweise nicht erkannt beziehungsweise nachgeahmt werden, und so kann es zu der Entwicklung eines stärkeren Akzents bei Erwachsenen als bei Kindern kommen.
Der Konsonant D wird beispielsweise im Deutschen viel härter ausgesprochen als im Spanischen. Hören Spanier unser D, dann nehmen sie es eher als T wahr. Wir fassen das spanische D nicht als weicher gesprochenen Konsonanten auf und sprechen deshalb unbewusst mit einem harten deutschen Akzent, wenn wir in Madrid ein Zugticket ordern.
Eine Fremdsprache zu lernen, wäre eine Möglichkeit von vielen, etwas Neues auszuprobieren. Dieser Schritt fällt uns aber ganz schön schwer. Sind wir einfach nur faul, sehr beschäftigt, oder wieso probieren wir selten etwas Neues aus? Was hält uns davon ab, erste Male zu erleben?
Viele Menschen haben Angst vor Veränderungen, Unbekanntem und davor, ihre Komfortzone zu verlassen. Geht es dir genauso? Dann möchte ich dich etwas fragen: Erinnerst du dich noch daran, wie du Fahrradfahren gelernt hast? Ist es dir wie eine unüberwindbar große Hürde vorgekommen? Vielleicht hast du danach noch gelernt, Inlineskates, Skateboard, Ski, Roller, Auto oder Einrad zu fahren. Bei jedem neuen Fahrzeug hast du ein Stückchen mehr die Angst vor der Sache verloren. Du hast ans Fahrradfahren zurückgedacht. Nach einiger Übung hat es geklappt. Wieso sollte Roller- oder Skifahren also nicht funktionieren? Je mehr wir lernen, desto größer wird unser Selbstvertrauen, desto kleiner wird die Angst vor dem Unbekannten und dem Erlernen neuer Fähigkeiten. Wenn ich schon Englisch und Latein gelernt habe, wieso sollte es dann mit Griechisch nicht klappen? Wenn ich gelernt habe, mit Windows 10 umzugehen, wieso sollte es mit dem neuen Betriebssystem nicht funktionieren? Im Beruf wirkt sich kompetentes Verhalten in ungewohnten Situationen positiv auf unser Erscheinen aus. Wirst du mit einer neuen Aufgabe konfrontiert, begegnest du ihr gelassen und suchst Lösungsansätze aus deinem Erfahrungsrepertoire, schließlich hast du schon x-mal neue Herausforderungen gemeistert – und es hat immer eine Lösung gegeben. Nie hat die Herausforderung mit dem grausamen Tod geendet, oder? Wovor also Angst haben? Diese Einstellung macht dich im Berufsleben souverän und unerlässlich für deine Mitarbeiter, Kunden und Vorgesetzten. Ständiges Lernen, Erleben neuer Erfahrungen und die damit verbundene Kompetenz, mit neuen Situationen lässig umzugehen, ist ein Erfolgsgarant im Berufsleben.
Neues macht uns also souveräner und schafft detaillierte Erinnerungen. Wieso ist es noch sinnvoll, etwas zum ersten Mal zu tun?
Neues auszuprobieren und erste Male zu haben, stellt Erstaunliches mit unserem Denkorgan an. Studien zeigen, dass beispielsweise das Erlernen einer Fremdsprache oder eines Musikinstruments das Ausbrechen von Alzheimer um einige Jahre hinauszögern kann.2
Alzheimer ist eine schlimme Volkskrankheit, deren erstes Symptom erst auftritt, nachdem man bereits zehn Jahre mit der Krankheit gelebt hat, ohne es zu merken. Nach und nach sterben Neuronen und Synapsenverbindungen ab. Zunächst leidet das Kurzzeitgedächtnis darunter, man hat Probleme damit, sich Namen und Orte zu merken. Dann greift die Krankheit gemächlich weitere Hirnareale an. Die Folge sind Gleichgewichtsstörungen und der Verlust von Erinnerungen, die lange zurückliegen. Am Ende erkennt der Patient nicht einmal mehr seine Angehörigen und stirbt am Verlust einfachster Gehirnfunktionen wie zum Beispiel der Atmung. Da Alzheimer gehirnübergreifend alle Regionen beschädigt, verändert die Krankheit in vielen Fällen den Charakter, also die Kerneigenschaften eines Menschen. War jemand seinen Lebtag lang ein gutmütiger, geduldiger und großzügiger Mensch, kann Alzheimer aus ihm einen ruhelosen, garstigen, ja sogar bösartigen Menschen machen – und umgekehrt.
Ich will dir nichts vormachen, Alzheimer ist ätzend, nicht nur für den Leidenden selbst, sondern auch für seine Angehörigen. Die genauen Gründe für das Ausbrechen von Alzheimer sind zwar noch ungewiss, allerdings weiß man, dass Gehirnjogging und das Erlernen von Neuem die Krankheit stark hinauszögern beziehungsweise verhindern können. So wie man seinen Körper trainiert, sollte man auch seinen Geist auf Trab halten. Mache ich jeden Tag einen langen Spaziergang oder gehe eine Runde laufen, bleibt mein Körper wahrscheinlich länger gesund und fit, als wenn ich, mit Chipstüten bewaffnet, vor dem Fernseher herumlungere. Stell dir das auch für deinen Geist vor. Je mehr Denksport du treibst, desto länger bleibt dein Oberstübchen auch fit.
Fatale Auswirkungen auf unser Gehirn hat vor allem der Alltag, der selten wirklich Neues oder Veränderungen mit sich bringt. Ein häufiger Wechsel der Umgebung – durch einen Umzug oder eine Reise zum Beispiel – hilft bereits bei der Schaffung neuer Erinnerungen.
Tu etwas zum ersten Mal und schaffe wichtige Details für dein Gedächtnis. Geh in einen Trampolinpark, spring im Dezember in den See, nimm Gitarrenunterricht oder lerne eine Fremdsprache. Es tut nicht nur deinem Oberstübchen, sondern auch deinem Selbstbewusstsein gut. Verändere deinen Alltag, indem du mal einen anderen Weg zur Arbeit nimmst oder einen neuen Stadtteil erkundest. Ging es bisher immer an die Ostsee in den Urlaub? Dann fahr doch das nächste Mal mit dem Fahrrad in die Alpen. Deiner Kreativität und Neugier sind keine Grenzen gesetzt.
Wieso es so viel leichter ist,schlecht drauf als gut gelaunt zu sein
Die Krankheit unserer Zeit ist der Perfektionismus.
– Konrad Adenauer
Stell dir vor, du hast einen Teller mit deiner Lieblingspizza vor dir stehen. Mhm … Toll, nicht? Leider siehst du beim genaueren Hinsehen, dass sich auch eine fette Kakerlake auf deine Pizza verirrt hat. Wirst du sie trotzdem noch essen? Vermutlich nicht. Die eine Kakerlake hat das ganze Essen versaut. Wie sieht es denn andersherum aus? Vor dir steht ein Teller voll mit Kakerlaken, darauf ein kleines Stück deiner absoluten Lieblingspizza. Wirst du das Stück essen? Oder ist dieser Anblick gar noch schlimmer als der erste?
Das Phänomen nennt sich negative Prägung beziehungsweise negative bias, und Wissenschaftler sind sich nicht einig, weshalb Menschen und auch Tiere diese Prägung haben. Einige behaupten, sie existiere, um uns vor dem schlimmsten nur denkbaren Szenario zu schützen: dem Tod. Evolutionstheoretisch ist es nur sinnvoll, dass wir aus negativen Erfahrungen lernen und sie einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen, damit wir denselben Fehler nicht wiederholen. Aber ist nicht genau das ein perfekter Herd, um in unserer heutigen Zeit eine Unzahl an Pessimisten zu erschaffen? Die wenigen positiven Gefühle, die wir in der Lage sind zu empfinden, haben es schwer, sich gegen die vielen negativen durchzusetzen.
Wut, Angst, Trauer, Ekel, Enttäuschung, Schuld, Scham
vs.
Überraschung, Freude, Liebe
Das Böse ist noch dazu facettenreicher als das Gute, es bleibt länger in unserem Gedächtnis und setzt sich beim direkten Vergleich mit dem Guten oftmals durch. Wenigstens werden negative Erinnerungen mit der Zeit im Gedächtnis neutralisiert, was an der Motivationsfunktion unseres walnussförmigen Denkorgans liegt.
Während wir Sport treiben, fragen wir uns manchmal: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ Die Muskeln schmerzen, man hat keinen Bock. Nach dem Sport fühlen wir uns aber großartig, verdrängen die Pein des Work-outs und nehmen uns vor, morgen gleich wieder zu trainieren. Was wir nicht wissen: Unser Kopf hat uns ausgetrickst und unsere Schmerzerinnerung einfach ausgeblendet, damit wir motiviert sind, unserem Körper wieder etwas Gutes zu tun.
Wie können wir uns dennoch dem Bösen widersetzen? Wir müssen die Frage klären, warum wir schnell dazu neigen, etwas negativ zu bewerten.
Stell dir ein Glas Wasser vor. Das Wasser ist sauber und rein. Mit anderen Worten: Es ist perfekt. Nun gibst du einen Tropfen Tinte dazu. Das Wasser ist fortan verschmutzt. Du kannst es noch stärker verschmutzen mit mehr Tinte, aber du kannst es nur unter erschwerten Bedingungen reinigen und in seinen puren Urzustand versetzen. Es gibt nur einen wirklichen Zustand des Guten: die Perfektion, die absolute Reinheit. Es ist ein Leichtes, sie zu verschmutzen, sie negativ zu machen. Aber sie wieder ins Positive zu verwandeln, also zu säubern, ist viel schwieriger.