Hochsensibilität verstehen und wertschätzen - Ulrike Hensel - E-Book + Hörbuch

Hochsensibilität verstehen und wertschätzen Hörbuch

Ulrike Hensel

4,7

Beschreibung

Sind Sie hochsensibel? Dieses Buch hilft Ihnen, einen guten und ausgeglichenen Umgang mit Ihrer Hochsensibilität zu entwickeln. Ulrike Hensel informiert kompetent über das Phänomen und seine physiologischen Hintergründe und erläutert, was Hochsensibilität in den verschiedenen Lebensbereichen – von der Familie über Freundschaften und Partnerschaft bis hin zum Beruf – bedeutet. In Einschüben erzählt die Autorin immer wieder Persönliches von sich und lässt andere Hochsensible zu Wort kommen. Darüber hinaus gibt sie Leserinnen und Lesern mit viel Feingefühl empathische und ermutigende Unterstützung. Das Buch enthält in dieser überarbeiteten Neuausgabe nun auch den ausführlichen, von der Autorin entwickelten Fragenkatalog "Bin ich hochsensibel?". "Hensel verklärt nicht, sondern klärt auf und gibt damit einen überfälligen Anstoß, die Belastungen durch Hochsensibilität zu begrenzen und die Fähigkeiten zu entfalten – individuell wie gesellschaftlich." – PSYCHOLOGIE HEUTE

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Zeit:3 Std. 29 min

Veröffentlichungsjahr: 2018

Sprecher:Jule VollmerThomas Krause

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Ulrike HenselHochsensibilität verstehen und wertschätzen

Über dieses Buch

Sind Sie hochsensibel?

Dieses Buch hilft Ihnen, einen guten und ausgeglichenen Umgang mit Ihrer Hochsensibilität zu entwickeln. Ulrike Hensel informiert kompetent über das Phänomen und seine physiologischen Hintergründe und erläutert, was Hochsensibilität in den verschiedenen Lebensbereichen – von der Familie über Freundschaften und Partnerschaft bis hin zum Beruf – bedeutet. In Einschüben erzählt die Autorin immer wieder Persönliches von sich und lässt andere Hochsensible zu Wort kommen. Darüber hinaus gibt sie Leserinnen und Lesern mit viel Feingefühl empathische und ermutigende Unterstützung. Das Buch enthält in dieser überarbeiteten Neuauflage nun auch den ausführlichen, von der Autorin entwickelten Fragenkatalog „Bin ich hochsensibel?“. 

„Hensel verklärt nicht, sondern klärt auf und gibt damit einen überfälligen Anstoß, die Belastungen durch Hochsensibilität zu begrenzen und die Fähigkeiten zu entfalten – individuell wie gesellschaftlich.“ – PSYCHOLOGIE HEUTE

Ulrike Hensel ist Sachbuchlektorin, Autorin und Coach für Hochsensible. Deren Erlebniswelt kennt sie bestens aus zahlreichen Kontakten und aus eigener Anschauung. Sie behandelt das Thema Hochsensibilität sachlich und neutral und verknüpft es mit dem der Kommunikation. www.coaching-fuer-hsp.de

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2018

Die erste Auflage erschien 2013 unter dem Titel Mit viel Feingefühl: Hochsensibilität verstehen und wertschätzen.

Coverfoto: © Ulrike Hensel

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2018

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-827-5

ISBN dieses E-Books: 978-3-87387-913-3 (EPUB), 978-3-95571-267-9 (PDF), 978-3-95571-266-2 (MOBI).

Vorwort zur 2. Auflage

Ich freue mich sehr, dass dieses Buch, das 2013 unter dem Titel Mit viel Feingefühl – Hochsensibilität verstehen und wertschätzen erschien, nun in die 2. Auflage geht. Der Titel wird dabei aufs Eigentliche reduziert: Hochsensibilität verstehen und wertschätzen. Das passt bestens. Denn ich beschreibe und erkläre das Phänomen Hochsensibilität von Grund auf, sodass ein tief greifendes Verstehen möglich wird. Und ich lege nicht nur die möglichen Schwierigkeiten dar, sondern auch die mit der Hochsensibilität verbundenen Begabungen und Befähigungen, was eine nachhaltige Wertschätzung fördert.

Sehr gern habe ich das Manuskript sorgfältig überarbeitet und ergänzt. So ist jetzt auch hier der ausführliche, von mir für das Buch Hochsensible Menschen im Coaching zusammengestellte Fragenkatalog „Bin ich hochsensibel?“ aufgenommen worden. Dass ich an mehreren Stellen Persönliches von mir erzähle und andere hochsensible Menschen zu Wort kommen lasse, gefällt mir nach wie vor gut, weil es Authentizität und Lebendigkeit ins Buch bringt.

Mein Herzensanliegen war und ist, hochsensiblen Menschen zu helfen, sich in ihrer Wesensart immer mehr anzunehmen und zunehmend im Einklang damit zu leben. In meinen Coachings, Workshops und Gesprächsgruppen konnte ich über die Jahre feststellen, dass die Selbstannahme sich nicht mit einem Mal verbessert, sondern in einem Entwicklungsprozess, der seine Zeit braucht. Aus dieser Erfahrung heraus lautet mein Appell an Sie, liebe hochsensible Leserinnen und Leser: Seien Sie geduldig und nachsichtig mit sich (natürlich auch mit anderen!), zugleich aber auch entschlossen und beharrlich, die Veränderungen auf den Weg zu bringen, die notwendig sind, damit Sie ein gesundes und zufriedenes Leben führen können.

Als ich dieses Buch schrieb, war mir wichtig, die Außenperspektive mit einzubeziehen. Das ist in der Überarbeitung erhalten geblieben, wenngleich es dafür mittlerweile ein weiteres Buch von mir gibt: Hochsensible Mitmenschen besser verstehen – Unterstützung für Partner, Familienangehörige, Freunde, Kollegen und Vorgesetzte. Ich kann einfach nicht genug betonen, wie sehr es auf ein respektvolles, wohlwollendes Miteinander ankommt, auf eine Kommunikation, die von wechselseitiger Akzeptanz und Wertschätzung getragen ist.

Aidlingen, im Juli 2018Ulrike Hensel

Einstieg

Es gibt eine Reihe von idiomatischen Redewendungen, die für hochsensible Menschen verwendet werden: Sie haben eine „dünne Haut“, sind „zart besaitet“, reagieren „wie eine Mimose“, „hören das Gras wachsen“, „sehen Gespenster“, „lesen Gedanken von der Stirn ab“, „haben einen guten Riecher“, bekommen mit, wenn etwas „in der Luft liegt“, empfinden „einen bitteren Beigeschmack“, vieles „geht ihnen auf die Nerven“. Was steckt hinter dem, was sich auch von außen beobachten lässt und so oder ähnlich kommentiert wird? Dazu gibt es eine Menge zu sagen – und genau das habe ich mir mit diesem Buch zur Aufgabe gemacht! Ich möchte für Sie als Leser meinen Weg der Erkenntnis nachvollziehbar und mein Wissen über Hochsensibilität verständlich machen, um Ihnen erhellende und hilfreiche Einsichten zu ermöglichen.

Schon immer habe ich mich für Psychologie und Lebenshilfe interessiert. Mit Ende 30 war ich in einer Gesprächstherapie, um persönliche Probleme zu überwinden. Später besuchte ich Workshops und Seminare für Selbsterfahrung und Selbstfindung, rang um ein stabiles Selbstwertgefühl, um Authentizität und um einen stimmigen Kontakt zu anderen – voller Sehnsucht nach innerem Frieden und Zufriedenheit. Mit einigem Erfolg, aber eine wichtige Information fehlte noch, etwas blieb unerklärlich. Das Puzzleteil, ohne das das Selbstbild einfach nicht vollständig werden konnte, fand ich erst im Alter von 50 Jahren: Ich bin hochsensibel.

Das war 2006. Seitdem hat mich das Thema Hochsensibilität nicht mehr losgelassen. Bei allen Weiterbildungen im Bereich der Typologie, der Kommunikation, der Konfliktbewältigung, der Beziehungsgestaltung und der Coaching-Interventionen konnte ich Querverbindungen herstellen und mit Freude erkennen, dass etliche Ansätze gerade für Hochsensible wunderbar geeignet sind – wie zum Beispiel die „Gewaltfreie Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg.

In der Einleitung des Buchs Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens erklärt Rosenberg: „Ich nenne diese Methode Gewaltfreie Kommunikation und benutze den Begriff Gewaltfreiheit im Sinne von Gandhi: Er meint damit unser einfühlendes Wesen, das sich wieder entfaltet, wenn die Gewalt in unseren Herzen nachlässt. Wir betrachten unsere Art zu sprechen vielleicht nicht als ‚gewalttätig‘, dennoch führen unsere Worte oft zu Verletzung und Leid – bei uns selbst oder bei anderen.“ Meine Grundhaltung, die sicher auch in diesem Buch spürbar wird, ist stark vom Gedankengut der Gewaltfreien Kommunikation geprägt.

Seit 2010 biete ich ein Coaching speziell für hochsensible Menschen an. Mit Hochsensiblen zu arbeiten ist für mich sehr erfüllend. Da ist so viel intuitives Verstehen, eine gemeinsame Basis des Empfindens – bei allen Unterschiedlichkeiten in der Persönlichkeit, der Lebensgeschichte, den individuellen Ansichten.

Ich habe selbst lernen müssen, mich im Leben mit meiner Hochsensibilität zurechtzufinden, meine Wesensart zu akzeptieren und wertzuschätzen und die damit verbundenen Gaben privat wie beruflich gut zu nutzen. Es ist ein andauernder Prozess des Lernens, Erfahrens und Gestaltens.

Es macht mich froh, wenn ich dazu beitragen kann, dass Hochsensible aufhören, sich verkehrt zu fühlen, sich grundlegend infrage zu stellen, sich permanent zu überfordern und sich mit ihren Fähigkeiten zurückzuhalten; wenn ich sie darin unterstützen kann, dass sie sich besser verstehen und besser so annehmen können, wie sie sind, dass sie ihrer Hochsensibilität vermehrt angenehme Seiten abgewinnen und Schwierigkeiten souveräner meistern können.

Schließlich wurde das Thema Hochsensibilität für mich so zentral, dass der Gedanke, darüber ein Buch zu schreiben, aufkam und groß wurde. Bis dahin hatte ich mich mit Sachbüchern als freie Lektorin befasst, jetzt stand es an, selbst Autorin zu werden – eine unheimlich große Herausforderung. In Gesprächen mit Herrn Dr. Dietrich, dem Verlagsleiter des Junfermann Verlags, wurde das Buchprojekt schließlich konkret und nahm die vorliegende Form an. Danke an Herrn Dr. Dietrich für seine Aufgeschlossenheit gegenüber dem für den Verlag gänzlich neuen Thema und seine konstruktive Unterstützung!

Meine Kenntnisse und Erkenntnisse über Hochsensibilität und damit verbundene Themen beziehe ich aus dem intensiven Lesen, Auswerten und Verknüpfen von zahlreichen Büchern und Internet-Informationsquellen, der reflektierten Erfahrung mit mir selbst, dem regen Austausch mit Experten, vielen persönlichen Gesprächen und Mail-Dialogen mit Hochsensiblen, den Einblicken aus Gesprächskreisen für Hochsensible, die ich moderiert habe, und aus meinen Coachings.

Teil der Recherche war, dass ich einen Kreis von hochsensiblen Interviewpartnern aufbaute. Ihnen durfte ich immer wieder per Rundmail aufkommende Fragen stellen und sie sandten mir unermüdlich ihre Antworten und persönlichen Berichte zu. Ich wurde dadurch noch kundiger und das Buch ist durch ihre Beiträge belebt worden. Ein dickes Dankeschön an sie! Darüber hinaus gilt mein herzlicher Dank einfach allen, die mich ermutigt, inspiriert und mit ihrem Wissen und ihren Feedbacks zum Text tatkräftig unterstützt haben!

Das vorliegende Buch ist für Menschen, die auf das Thema Hochsensibilität aufmerksam wurden, die wissen oder vermuten, dass sie hochsensibel sind, und die in der Tiefe verstehen möchten, was es mit dieser hohen Sensibilität auf sich hat, was alles damit verbunden ist und wie man in den verschiedenen Lebensbereichen gut damit leben kann.

Ich verstehe jeden, der nach einfachen und schnellen Lösungen sucht. Aber wer eine Anleitung à la „7 Schritte zum hochsensiblen Glück“ oder „Ein dickes Fell im Handumdrehen“ erwartet, wird enttäuscht. Ich habe keine Patentlösungen. Ich kann auch nicht wissen, was für einen Einzelnen „das Richtige“ ist. Zu individuell sind die Menschen, die Lebenslagen, die praktikablen Handlungsoptionen.

Womit ich dienen kann: mit Einblicken in das Phänomen, mit dem Herstellen von Zusammenhängen, mit Ideen für Veränderung und Entwicklung, mit persönlichen Berichten aus meinem Leben und denen anderer Hochsensibler. Mein Anliegen ist es, Ihnen nützliches Wissen und Inspirationen an die Hand zu geben. Sie leiten daraus für sich ab, was für Sie passt, und gehen eigenverantwortlich Ihren ureigenen Weg.

Auch wenn das Buch in erster Linie für Hochsensible geschrieben ist, richtet es sich nicht nur an sie selbst, sondern auch an die Menschen, die ihnen nahestehen und viel mit ihnen zu tun haben, die mit ihnen zusammentreffen, zusammenleben und zusammenarbeiten und die die Beziehung zu ihnen verbessern möchten. (Anmerkung: Für diesen Personenkreis gibt es mittlerweile ein spezielles Buch, ebenfalls bei Junfermann, nämlich Hochsensible Mitmenschen besser verstehen: Unterstützung für Partner, Familienangehörige, Freunde, Kollegen und Vorgesetzte.)

Ich hoffe, mit dem vorliegenden Buch gelingt es mir,

Sie einzuladen, mit mir Wissenswertes zu ergründen und Erkenntnisse zu gewinnen – und dabei zu differenzieren, zu relativieren und eine gesunde Skepsis walten zu lassen gegenüber jedwedem Schwarz-Weiß-Denken;

Sie anzuregen, sich über dieses Buch hinausgehend mit den eingebrachten Themen zu beschäftigen, um sich noch mehr Impulse für Ihre persönliche Weiterbildung und Weiterentwicklung zu holen;

Sie zu ermutigen, Wege in Kommunikation zu beschreiten, die es Ihnen ermöglichen, mit Ihren Mitmenschen in immer besserem Einvernehmen und mit wachsender gegenseitiger Wertschätzung zu leben.

Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre!

Aidlingen, im Oktober 2012Ulrike Hensel

1. Hochsensibel?

Wenn Sie dieses Buch zur Hand genommen haben, dann vermuten oder wissen Sie von sich, dass Sie hochsensibel sind. Oder Sie haben jemanden im Sinn, der Ihnen wichtig ist und den Sie für hochsensibel halten: Ihr Partner / Ihre Partnerin, Ihr Kind, jemand in Ihrer Familie, in Ihrem Freundes-, Kollegen- oder Mitarbeiterkreis. Auf jeden Fall möchten Sie mehr über dieses Phänomen wissen.

Worum es im Endeffekt geht: Das Sich-Erkennen kann helfen, sich selbst besser zu verstehen, das eigene Leben seinem Wesen entsprechend zu organisieren, belastende Lebensumstände nach Kräften zu verändern, besser mit den schwierigen Seiten der Hochsensibilität zurechtzukommen und mehr von den bereichernden Seiten zu profitieren. Sein Gegenüber als hochsensibel zu erkennen ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Verständnis und ein erfreuliches, wertschätzendes Miteinander.

Was genau Hochsensibilität bedeutet, wird im nächsten Kapitel näher ausgeführt. Damit aber schon gleich deutlich wird, wovon die Rede ist, hier schon mal so viel: Unter Hochsensibilität versteht man eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Reizen aller Art aufgrund einer angeborenen Besonderheit in der Funktionsweise des Nervensystems. Das führt zu einer nuancenreicheren, intensiveren und subtileren Wahrnehmung, einer höheren emotionalen Reaktivität und einer gründlicheren Informationsverarbeitung als bei der Mehrheit der Menschen. Man geht davon aus, dass ungefähr 15 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sind.

So früh wie möglich möchte ich mit gängigen Vorurteilen aufräumen: Hochsensibilität ist keine Krankheit, keine Störung, kein therapiebedürftiger Zustand, keine Anomalie. Vielmehr ist Hochsensibilität eine Normvariante in der Ausprägung des Nervensystems – mit vielfältigen Auswirkungen.

Beachten Sie: Keinesfalls wird mit dem Merkmal Hochsensibilität eine Persönlichkeit auch nur annähernd vollständig erfasst. Selbst die Eigenheiten, die sich aus der Hochsensibilität ergeben, sind bei jedem Einzelnen ein wenig anders ausgeprägt. Jeder Mensch ist ein Original, einzigartig und wundervoll. Ich kenne viele Hochsensible und kann immer wieder feststellen, wie es einerseits erstaunlich viele Gemeinsamkeiten gibt und andererseits so große Unterschiede. Damit will ich sagen: Bitte reduzieren Sie keinen hochsensiblen Menschen, weder sich selbst noch jemand anderen, auf seine Hochsensibilität!

Die Feststellung, dass jemand hochsensibel ist, „beinhaltet keine Aussage über Extrovertiertheit oder Introvertiertheit, über den Grad an kognitiver und sozialer Intelligenz, über individuelle Charaktereigenschaften. Hochsensible Menschen haben etwas gemeinsam – eben die sehr hohe Sensibilität – und daraus ergeben sich einige Ähnlichkeiten. Jedoch sind sie in erster Linie Individuen und einzigartige Persönlichkeiten, nicht in erster Linie Hochsensible.“ (Quelle: http://www.hochsensibel.org/, Website des Informations- und Forschungsverbunds für Hochsensibilität e. V.)

Es gibt kein „Diagnoseverfahren“, mit dem Sie zweifelsfrei feststellen könnten, ob Sie hochsensibel sind (wobei der Ausdruck „Diagnose“ schon nicht richtig passt, da es sich eben nicht um ein Krankheitsgeschehen handelt). Da und dort – und auch hier! – finden Sie Fragen, die Ihnen mehr oder weniger Klarheit bringen, aber kein absolutes Ergebnis liefern, auch dann nicht, wenn Sie in einem „Test“ zu einer Auswertung mit einer bestimmten Punktzahl kommen. Vieles hängt einfach von der eigenen Einschätzung ab; und genau die ist auch die entscheidende.

Der Informations- und Forschungsverbund für Hochsensibilität e. V. (IFHS) ist im Hinblick auf Fragebögen skeptisch und empfiehlt, „eine Weile den Gedanken, eine HSP [= Hochsensible Person] zu sein, quasi versuchsweise ‚mit sich herumzutragen‘ und nach einiger Zeit zu prüfen, ob sich die Lebensqualität gebessert hat oder man nach anderen Erklärungen für das besondere Lebensgefühl suchen muss.“ Ich denke: Ein Fragenkatalog kann gut aufzeigen, was üblicherweise mit Hochsensibilität einhergeht, und so zur Selbsterkenntnis führen.

Ebenso wenig wie es einen absolut gültigen Test zur Selbsteinschätzung gibt, gibt es eine zuverlässige Checkliste für andere Personen. Ohnehin sollte es nicht um das Einordnen in eine Kategorie, sondern um eine differenzierte Betrachtung gehen. Nach bestem Wissen habe ich für Sie Fragen und Hinweise zusammengestellt, die Ihnen klären helfen, ob Sie oder derjenige, an den Sie denken, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu den Hochsensiblen gehört. Die sehr unterschiedlichen Aspekte, die hier aufgeführt sind, zeigen Ihnen schon, wie vielschichtig das Phänomen Hochsensibilität ist.

Mein Tipp: Lesen Sie die Fragen Sie selbst betreffend auch durch, wenn es um eine andere Person geht, und lesen Sie die Hinweise Ihr Gegenüber betreffend auch, wenn es um Sie selbst geht, und vollziehen Sie dabei jeweils den erforderlichen Perspektivwechsel. Genau dieser Perspektivwechsel ist eine wesentliche Grundlage für eine verständnisvolle und wertschätzende Kommunikation!

1.1 Sind Sie hochsensibel?

Fragen, die Aufschluss geben

Ich habe mich entschieden, statt eines „Tests“ einen „Fragenkatalog“ zu entwickeln und anzubieten. Den umfangreichen Fragenkatalog habe ich erstmalig im Fachbuch Hochsensible Menschen im Coaching. Was sie ausmacht, was sie brauchen und was sie bewegt (erschienen 2015) veröffentlicht. Sie finden ihn nun auch hier, und zwar am Ende des Buchs. In diesem Fragenkatalog habe ich eine Unterteilung in verschiedene Bereiche vorgenommen: Rückblick, Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Kommunizieren, Beziehungs- und Lebensgestaltung, Arbeitshaltung und Leistungsfähigkeit sowie Körperempfindungen und Körperreaktionen.

Ein solch ausführlicher und strukturierter Fragenkatalog erfüllt nach meinem Dafürhalten dreierlei Funktion:

Erstens vermittelt er überhaupt erst einmal eine Vorstellung davon, welche Eigenschaften, welche Stärken und Schwächen, welche Art von Erleben in der Regel mit Hochsensibilität einhergehen. Hochsensibilität wird in ihrem Facettenreichtum erfassbar.

Zweitens wird es möglich, bisher für unzusammenhängend gehaltene Einzelaspekte zu einem Gesamtbild zusammenzufügen: zum Phänomen Hochsensibilität.

Drittens hilft der Fragenkatalog denjenigen, die bei sich selbst Hochsensibilität vermuten, eine sichere Einschätzung zu der Frage „Bin ich hochsensibel?“ vorzunehmen.

Es sei gleich angemerkt, dass bei den Fragen keine Ja / Nein-Kästchen oder Antwortmöglichkeiten mit Abstufungen vorgesehen sind, demnach bekommt man am Ende auch keine zahlenmäßige Auswertung. Der Grund: Es handelt sich genau besehen nicht um einen diagnostischen „Fragebogen“, sondern um einen informativen, zur Selbstreflexion anregenden „Fragenkatalog“.

Ich will unbedingt noch hinzufügen: Man darf sich Hochsensibilität nicht eindimensional vorstellen. Sie mischt sich mit anderen Wesenszügen. Niemand ist mit dem Merkmal Hochsensibilität auch nur annähernd vollständig charakterisiert und sollte auch niemals darauf reduziert werden bzw. sich selbst darauf reduzieren. Ganz wichtig: Jeder Mensch – und ebenso jeder hochsensible Mensch – ist in erster Linie eine ganz einzigartige Persönlichkeit, ein Original. Im Laufe der Zeit habe ich eine große Zahl von HSP kennengelernt und konnte immer wieder erleben, wie mannigfaltig sie sind. Ähnlichkeiten ergeben sich lediglich aus der einen Gemeinsamkeit: der Hochsensibilität. Vorrang hat also immer die individuelle Persönlichkeit, die gesehen, erkannt und gewürdigt sein will.

Auf drei der im Fragenkatalog repräsentierten Bereiche, das Wahrnehmen, das Denken und das Fühlen, will ich gleich hier zusammenfassend und erklärend eingehen, weil sie grundlegend für das Selbstverständnis sind.

Die Art wahrzunehmen – die sensorische Komponente

Hochsensible nehmen optische Eindrücke, Geräusche, Gerüche, Geschmack, Einwirkungen auf die Haut (in aktiver Form beim Tasten und passiv bei Berührung, Temperatur, Druck, Zugluft) sowie Signale aus dem eigenen Körper intensiver, detailreicher, differenzierter und in einer größeren Bandbreite wahr als andere. Sie registrieren subtile Feinheiten in ihrer Umgebung, die anderen nicht auffallen. Hinzu kommt ein feines Gespür für Befindlichkeiten, Stimmungen und nonverbale Mitteilungen anderer Menschen.

Die höhere Reizempfänglichkeit betrifft in der Regel alle Sinne, jedoch ist vom einen zum anderen Hochsensiblen unterschiedlich, welche Sinneskanäle im Vordergrund stehen. Die Sinnessensibilität äußert sich in einer niedrigen Wahrnehmungsschwelle und in einer niedrigen Toleranz gegenüber einer hohen Reizzufuhr. Bei einer Reizflut geraten Hochsensible eher als andere in einen Zustand der Überforderung.

Die Art zu denken – die kognitive Komponente

Der Begriff „Hochsensibilität“ führt leicht zu der Annahme, die Sinnessensibilität sei die Kerncharakteristik. Dabei ist die gründliche Verarbeitung von Informationen eine ebenso grundlegende Eigenschaft von Hochsensiblen. Sie denken intensiv über vieles nach, es ist ihnen wichtig, den Dingen auf den Grund zu gehen, verschiedenste Aspekte in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, Ursachen zu ergründen, Zusammenhänge herzustellen, das übergeordnete Prinzip zu erfassen. Daraus ergibt sich ein übergreifendes, vernetztes Denken. Ihre Strategie in der Entscheidungsfindung liegt darin, verfügbare Informationen sorgfältig auswerten, alle ersichtlichen Optionen zu durchdenken, die Folgen von Handlungen abzuschätzen, um schließlich besonnen handeln zu können.

Die Art zu fühlen – die emotionale Komponente

HSP haben ein intensives und reiches Gefühlsleben. Insgesamt sprechen sie mit ihren Emotionen stärker als andere auf Geschehnisse in ihrem Umfeld an, sind schnell tief beeindruckt, werden von ihren Gefühlen oftmals geradezu überwältigt. Sie erleben starke Höhen und Tiefen. Nicht nur Liebe, Glück und Freude werden intensiv gefühlt, sondern auch Gefühle wie Angst, Ekel, Sorge, Trauer und Ärger. Grundsätzlich beziehen sich starke emotionale Reaktionen auf jegliche Lebensereignisse, sowohl auf negative als auch auf positive. HSP sind einerseits besonders berührbar und verletzlich, andererseits besonders begeisterungs- und genussfähig.

Überdurchschnittlich intensives Fühlen bedingt starke emotionale Reaktionen, die bei den einen mehr, bei den anderen weniger nach außen sichtbar werden. Mitunter kann es zu heftigen Gefühlsausbrüchen kommen. Alle Gefühlszustände hallen stark nach, es dauert verhältnismäßig lange, bis sich eine Aufregung wieder gelegt hat.

Schließlich bedeutet intensives Fühlen auch intensives Einfühlen. HSP gehen stark mit anderen Menschen in gefühlsmäßige Resonanz; das heißt, sie sind besonders empathiefähig, tun sich allerdings auch entsprechend schwer, sich emotional abzugrenzen.

Auf die Einstellung kommt es an

Der antike Philosoph Epiktet (ca. 50 – ca. 125 n. Chr.) betonte die innere Freiheit des Menschen. Überliefert ist sein Ausspruch „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Urteile und Meinungen über sie.“ Wenn Sie sich als hochsensibel erkannt haben, ist die Umdeutung und Neubewertung Ihres Erlebens und Ihrer Lebensgeschichte sicher eine hochemotionale Angelegenheit. Bemühen Sie sich dennoch um eine vernünftige Neutralität. So wenig angemessen es war, die eigene hohe Empfindlichkeit einseitig negativ zu bewerten (sofern Sie dies überhaupt getan haben), so wenig sinnvoll ist es, auf eine einseitig positive Sicht umzuschwenken. Es ist nun einmal so: Hochsensibilität hat angenehme und unangenehme Seiten, beschert Ihnen sowohl Vor- als auch Nachteile, sie kann Ihnen sowohl nützlich als auch hinderlich sein – je nachdem, in welcher Lebenslage oder welcher Alltagssituation Sie sich befinden, und je nachdem, vor welchen Aufgaben Sie stehen und was Sie vorhaben.

Zur Veranschaulichung vergleiche ich das unsichtbare Merkmal Hochsensibilität gerne mit gleichermaßen unabänderlichen, aber sichtbaren Merkmalen. Es ist an sich weder gut noch schlecht, hochsensibel zu sein, so, wie es weder gut noch schlecht ist, groß oder klein zu sein, Rechts- oder Linkshänder zu sein (wobei auch sehr große Menschen oder Linkshänder Schwierigkeiten im alltäglichen Leben begegnen). Oder nehmen wir jemanden, der rote Haare und helle Haut hat, das ist angeboren und bleibt ein Leben lang so. Na ja, die Haare kann man sich färben – das heißt, nach außen hin anders erscheinen –, aber die natürliche Haarfarbe wird immer wieder hervortreten. Und durch die helle Haut wird derjenige zeitlebens schneller Sonnenbrand bekommen als Menschen eines anderen Hauttyps. Aber er kann sich darauf einstellen, eine Sonnencreme mit höherem Lichtschutzfaktor benutzen, sich mehr im Schatten aufhalten, einen Sonnenhut tragen etc. – und sich des Lebens freuen!

Ihre Chance liegt darin, die Hochsensibilität unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten, in einen neuen Zusammenhang zu stellen, ihr einen neuen Rahmen zu geben. Raus aus der Ecke des Problembeladenen oder gar Pathologischen hin zu dem Spielraum einer natürlichen Besonderheit.

Vielleicht ist es eine gute Idee, die neu gewonnene Erkenntnis erst einmal in sich zu bewegen, bevor Sie damit nach draußen gehen. Sonst kann es sein, dass Sie in eine ungewollte Diskussion und (einmal mehr) in eine Position der Rechtfertigung geraten, bevor sich alles gesetzt hat und Sie sich gefestigt fühlen. Die Psychologin Elaine Aron rät: „Schützen Sie (…) sowohl Ihre Sensibilität als auch Ihr gerade entwickeltes Verständnis dafür, indem Sie (…) erst gar nicht darüber reden. Genießen Sie einfach das Bewusstsein, dass es da draußen viele gleich Gesinnte gibt.“ (Aus dem Buch Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen)

Das Erkennen führt zu großer Erleichterung

Ich höre und lese häufig Äußerungen von Menschen, wie es für sie war / ist, sich als hochsensibel zu erkennen. Die meisten empfinden eine umfassende Erleichterung, für manche ist die Begegnung mit der Begrifflichkeit Hochsensibilität geradezu eine Offenbarung. Viele berichten von einem grundlegend neuen Lebensgefühl.

Besonders beeindruckt hat mich die Erzählung einer jungen Frau, dass sie jedes Jahr den „Tag der Erkenntnis“ wie einen zweiten Geburtstag feiert. Ein denkwürdiger Tag, an dem sie in gewisser Weise „das Licht der Welt“ erblickt hat. Daran kann man ermessen, als wie verstörend und belastend sie zuvor ihr unerklärliches Anderssein erlebt haben muss.

Nachfolgend antworten hochsensible Personen (kurz: HSP) auf die Frage, was sich verändert hat durch das Erkennen der eigenen Hochsensibilität:

 HOCHSENSIBLE BERICHTEN

Manuel*: Ich war sehr erleichtert. Vieles in meinem Leben war auf einmal erklärbar, nicht mehr seltsam. Es ist ein neues Gefühl, obwohl sich an den Fakten nichts ändert. Ich bin, wie ich bin.

Angelika: Die Erkenntnis, eine HSP zu sein, hat mich sehr erleichtert und dazu beigetragen, mich mit mir selbst auszusöhnen. So war ich also nicht mehr nur ‚anders als die anderen‘, ‚überempfindlich‘, ‚psychisch und physisch nicht belastbar‘ (Aussage eines Arztes) u. v. a., sondern ganz normal – eben ich selbst. Ich fühle mich nun auf gleicher Ebene mit meinem Mitmenschen. Ich habe gelernt, mich zu schützen, und kann gelassen akzeptieren, wenn mich Situationen überfordern, die anderen nichts ausmachen. Meine Beziehungen zu Nicht-HSP sind ebenfalls stressfreier, da ich deren Erlebnisweise nun auch in einem anderen Licht sehe.

Daniela: Ich habe meine Hochsensibilität gerade erst als solche entdeckt – bis vor wenigen Wochen wusste ich gar nicht, dass es so etwas gibt. Mir war nur bewusst, dass ich anders bin, und meist war ich bemüht, das zu ändern. Nun mache ich mich auf den spannenden, erkenntnisreichen, befreienden Weg, mich ganz neu kennenzulernen und vieles neu zu bewerten.

Ina*: Schon beim Lesen des ersten Buchs dachte ich nur noch: Die Frau kennt mich, endlich versteht mich jemand. Seitdem verschlinge ich alles, was ich zu diesem Thema finden kann. Ich bin einfach nur glücklich, habe dadurch ein riesen Selbstbewusstsein hinzugewonnen. Das kann mir keiner auf dieser Welt mehr nehmen. Endlich bin ich bei mir angekommen und eins mit mir. Ich möchte es am liebsten in die Welt hinausschreien: Ich bin anders und das ist gut so.

Cordula*: Nach der Lektüre zweier Bücher über Hochsensibilität hat mein Gefühl, irgendwie ‚komisch‘ zu sein, nach 40 Jahren endlich eine Erklärung gefunden. Seither geht es mir viel, viel besser. Der ständige Gedanke ‚Ich bin falsch‘ ist verschwunden. Nach Gesprächen in meinem Bekanntenkreis stelle ich fest: Ich bin nicht allein, nur hat keiner darüber geredet.

Maja*: Ich hatte das Gefühl, die Autorin schreibt über mich. Mich überkamen einige Weinanfälle. Weinen vor Erleichterung und Wut, weil ich oft versuchte, mich zu ändern, weil ich oft zu hören bekam: ‚Du bist zu empfindlich, du musst dich irgendwie abhärten.‘ Mein Selbstbewusstsein litt sehr darunter. Jetzt kann ich endlich aufatmen. Ich bin okay, weil es logische Erklärungen dafür gibt, wie ich fühle und reagiere.

Reinhard: Ich war erst skeptisch, als ich das erste Mal mit dem Thema in Berührung kam. Einiges an mir schien hochsensibel, anderes nicht. Beispielsweise fiel es mir nicht schwer, im wuseligen Großraumbüro konzentriert zu arbeiten, weil ich viel Freude an meiner Arbeit – kreativ am Computer zu tüfteln – hatte. Als Programmierer fühlte ich mich seinerzeit optimal gefordert und hatte Erfolgserlebnisse. Die letzten Jahre in der EDV waren allerdings schwierig und anstrengend für mich. Als ich später herausfand, dass ich wirklich hochsensibel bin, war das für mich wie ein Befreiungsschlag: Ich konnte nun zu meiner Art zu arbeiten und zu denken, zu meinem Ruhebedürfnis und meinen Grenzen stehen. Inzwischen hat sich meine Berufung in Richtung Arbeit mit Menschen gedreht.

Ilse*: Ich sehe meine Mitmenschen und mich jetzt mit einem anderen Bewusstsein. Ich (jetzt 51) hatte fast 30 Jahre viel zu viel in mein Leben gepackt. Ich miste Verpflichtungen aus und will künftig mehr auf mich achten. Ich arbeitet jetzt bewusster daran, mein Arbeitsumfeld angenehmer zu gestalten.

Evelyn*: Es tat so gut, mich das erste Mal in meinem Leben nicht als ‚krank‘ einzustufen, ich hatte tiefste Selbstzweifel über mich und hab mich schon seit Jahren zurückgezogen. Das wird sich jetzt ändern.

Jochen*: Jetzt habe ich etwas Greifbares. Ich hab immer gedacht, ich bin gelinde gesagt ‚unnormal‘. Jetzt fühle ich mich sicherer, dass es keine Absonderlichkeit ist, sondern eigentlich eine wunderbare Gabe.

* Namen geändert

 Von mir: Das Selbstbild zurechtrücken

Ich selbst kann mich noch gut erinnern, obwohl es mittlerweile viele Jahre her ist, wie es mir damit ging, für meine stets empfundene Andersartigkeit einen Namen gefunden zu haben: Hochsensibilität. In schneller Folge las ich zwei Bücher über Hochsensibilität und war bass erstaunt, wie zutreffend das Geschriebene für mich war. Mir war, als würden die Autoren mich und mein Leben kennen. Unglaublich! So viel Verständnis für mein Sosein war mir nie zuvor begegnet. Welches Glücksgefühl!

Wie oft hatte ich von Kindheit an das Gefühl, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass ich nicht in Ordnung bin. So oft hatte ich Sätze gehört wie „Du bist so überempfindlich“, „Was hast du jetzt schon wieder?“, „Du siehst Probleme, wo keine sind!“, „Stell dich nicht so an!“, „Du bist so schwierig!“ …

Ganz viel hat es mir bedeutet, die Vorsilbe „über-“ bzw. „hyper-“ durch „hoch-“ ersetzt zu sehen – nicht mehr über- oder hyperempfindlich, sondern hochempfindlich! Das änderte eine Menge, weil es darauf verzichtet, von einem akzeptierten Normalmaß auszugehen.

Mich als hochsensible Person zu erkennen war eine riesige Erleichterung: zu erfahren, dass es noch andere Menschen gibt, die ähnlich empfindlich sind gegenüber Lärm und Geräuschen (vor allem das!), Gerüchen, Flackerlicht, kratzigen und drückenden Kleidungsstücken usw.; dass es noch andere gibt, die sich so stark in ihre Mitmenschen einzufühlen vermögen, emotional so verletzlich sind, sich von Worten so leicht getroffen fühlen, mit teilweise überwältigenden Gefühlen zu kämpfen haben und die für ihre Mitmenschen eine echte Herausforderung darstellen.

Das hat mich in gewisser Weise rehabilitiert und zugleich auf wohltuende Weise tief beruhigt. Ich fühle mich seitdem nicht mehr so allein und nicht mehr so sehr als Außenseiter, sondern immerhin einer Minderheit zugehörig. Zudem fühle ich mich gleichberechtigter: mit ebensolchen Persönlichkeitsrechten ausgestattet wie all die anderen, die zuvor das Recht irgendwie immer auf ihrer Seite zu haben schienen, deren Einschätzungen als „richtig“ im Raum standen, wohingegen meine allzu oft mit „das kann nicht sein“ abgetan worden waren und ich dem nichts entgegenzusetzen hatte.

Mich als hochsensibel zu erkennen bedeutete einen Wendepunkt in meiner persönlichen Entwicklung. Endlich konnte ich mein Selbstbild um ein bis dahin fehlendes wichtiges Puzzleteil ergänzen. Das hat beileibe nicht alle Schwierigkeiten beseitigt, aber sie erscheinen in einem anderen Licht und sind deutlich einfacher zu handhaben. Auf jeden Fall kann ich mich heute in meinem Sosein viel besser annehmen und ich kann im Zusammensein mit anderen selbstbewusster auftreten und selbstverantwortlicher für mich eintreten.

Gut leben mit Hochsensibilität

„Man muss sein Leben aus dem Holz schnitzen, das man hat, und wenn es krumm und knorrig wäre.“

Theodor Fontane (1819–1898)

Hochsensibilität ist angeboren und bleibt das ganze Leben bestehen, auch wenn sich Erscheinungsformen wandeln können. Jede Bemühung, sie loszuwerden, vergeudet wertvolle Energie. Jeder Versuch, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken, wird langfristig scheitern.

Michael Jack, Präsident des IFHS, vermutet, dass der Begriff der „hochsensiblen Person“ für diejenigen, die sich als hochsensibel erkennen, das „Angebot einer spezifischen Rolle im menschlichen Interaktionssystem“ sein könne. Bevor die hochsensible Person die eigene Hochsensibilität erkennt, versuche sie, „eine ihr fremde, nicht auf sie zugeschnittene Rolle zu spielen, und scheitert dabei ständig. Die ‚neue Identität‘ als HSP verlangt nicht mehr, so zu sein wie andere; man verfügt über einen neuen Bezugsrahmen zur eigenen Existenz mit passenderen Normen und Heuristiken zur Selbstinterpretation.“

Erfahrungsgemäß hilft das Wissen, hochsensibel zu sein, die ungeheuren Anstrengungen, so sein zu wollen wie die meisten anderen, aufgeben zu können und sein Leben im Bewusstsein der eigenen Besonderheit angenehmer und stimmiger zu gestalten. Es gilt, zunehmend eigenen Maßstäben zu trauen in der Einschätzung, was guttut und was nicht, und sich danach auszurichten. Natürlich ist es nicht immer leicht, sein Leben auf die Hochsensibilität einzustellen, aber richtig problematisch wird es erst dann, wenn der hochsensible Mensch anhaltend gegen seine Natur lebt.

Hochsensibilität gehört zu Ihnen, sie ist ein Teil Ihrer „Grundausstattung“. Es ist an Ihnen, das nicht als unliebsame Einengung, sondern als eine bestimmte Ausrichtung auf Ihrem persönlichen Lebensweg zu verstehen. Schöpfen Sie nach Herzenslust aus dem immensen Potenzial, das Ihnen mitgegeben wurde. Je selbstverständlicher Sie zu sich stehen und die Hochsensibilität in Ihre Persönlichkeitsentwicklung integrieren, desto leichter können Sie Ihre Möglichkeiten zur Entfaltung bringen.

Die Auswirkungen der Hochsensibilität auf Ihr Leben sind so umfangreich und tief greifend, dass das Lesen von Veröffentlichungen zu diesem Thema nur einen ersten Schritt bedeuten kann, damit nachhaltig einen guten Umgang zu finden. Insbesondere dann, wenn Ihnen dieses Merkmal Ihr Leben bisher schwer gemacht hat und Sie unter Ihrer Hochsensibilität sehr gelitten haben. An die Erkenntnis schließt sich ein langer Prozess der Auseinandersetzung, Aufarbeitung und (Um-)Orientierung an. Dazu gehören üblicherweise: die Lebensgeschichte in einem neuen Licht betrachten und neu bewerten, das Selbstbild korrigieren, den Umgang mit sich selbst und mit anderen überdenken und umgestalten, die Lebensumstände anpassen, Lebensgewohnheiten verändern, Chancen und neue Perspektiven entdecken und nutzen. Das alles hilft, mit seinem Sosein immer mehr Frieden zu schließen und das Selbstwertgefühl zu stabilisieren.

1.2 Ist Ihr Gegenüber hochsensibel?

Aus den Fragen, die Hochsensiblen selbst Aufschluss geben (siehe Fragenkatalog am Buchende), können Sie vermutlich schon manches ableiten. Klar ist jedoch: Sie können in niemanden hineinschauen, Sie wissen nicht, was in einem anderen Menschen vorgeht, wie er empfindet. Sie sehen nur, was sich nach außen zeigt, nicht, was dem Verhalten zugrunde liegt. Jede Fremdeinschätzung beruht auf vielerlei Vermutungen und darf niemals als feststehende Tatsache angesehen werden. Bitte unterscheiden Sie sorgsam zwischen Beobachtung und Interpretation. Und hüten Sie sich, so gut es nur geht, vor (Vor-)Urteilen und Bewertungen. Seien Sie stattdessen möglichst offen fürs Entdecken und Staunen.

Wenn Sie wissen möchten, ob jemand anderes hochsensibel ist, scheint es naheliegend, dass Sie ihn / sie einfach fragen. Darin kann allerdings schon eine gewisse Tücke liegen. Viele Hochsensible haben leidvoll erfahren, dass Menschen in ihrer Umgebung ihrer Wesensart nicht neutral, sondern abwertend gegenüberstanden. Daher kann es sein, dass die Frage „Bist du / sind Sie hochsensibel?“ mit einer skeptischen oder abweisenden Reaktion quittiert wird. Oder aber Ihr Gegenüber kann mit der Frage nicht so richtig etwas anfangen. Viele Hochsensible spüren zwar, dass sie irgendwie anders empfinden, dass sie deutlich sensibler sind als andere, kennen aber den Fachbegriff Hochsensibilität, wie ich ihn hier verwende, noch nicht. Am ehesten aufgeschlossen wird Ihr Gegenüber sein, wenn Sie außer der Frage auch Ihre Beweggründe mitteilen, sofern diese aufrichtiges Interesse und Wohlwollen erkennen lassen.

Ob Sie nun direkt nachfragen oder es so herausfinden möchten: Werden Sie sich klar über Ihr Motiv. Es wird wahrscheinlich Freude und Gesprächsbereitschaft hervorrufen, wenn Sie folgende Fragen bejahen: Wollen Sie den anderen besser verstehen? Besser auf ihn eingehen können? Ihn wirkungsvoller unterstützen? Mehr Rücksicht nehmen können? Ins Gespräch kommen, um gute gemeinsame Lösungen zu finden? Auf menschlicher Ebene Nutzen ziehen aus den Stärken, die in der anderen Wesensart begründet liegen?

Hinweise, die Aufschluss geben

Folgende Beobachtungen machen Sie mit einiger Wahrscheinlichkeit bei der Person, an die Sie denken, wenn diese hochsensibel ist. Die Punkte werden Sie insbesondere dann auffällig finden, wenn Sie selbst nicht zur Gruppe der Hochsensiblen gehören. (Hinweis: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)

Die Person zeigt verhältnismäßig schnell Anzeichen von Überreizung, wenn starke Reize, anhaltende Reize oder gleichzeitig viele verschiedene Reize auf sie einströmen. (Hochsensible geraten eher als andere in einen Zustand der Überstimulation. Sie sind somit relativ stressanfällig.)

Sie werden es im Laufe der Zeit immer wieder erleben, dass es der Person zu laut, zu unruhig, zu hektisch, zu heiß, zu kalt, zu zugig, zu übel riechend, zu stickig ist. Das wird für Sie durch entsprechende Äußerungen und Handlungen offensichtlich. (Der Wohlfühlbereich ist bei Hochsensiblen vergleichsweise eng, da gibt es viel zu regulieren.)

Wenn es sehr umtriebig ist, wird die Person relativ bald den Wunsch nach Rückzug, einer Pause, dem Beschließen der Tagesaktivitäten erkennen lassen. Möglicherweise zu einem Zeitpunkt, wenn Sie die Aktivität noch in vollen Zügen genießen. (Hochsensible haben früher genug und suchen dann Erholung.) Sie werden im Gespräch eine Unkonzentriertheit bemerken, sobald nebenbei Musik läuft oder andere Gespräche im Hintergrund zu hören sind. (Hintergrundgeräusche irritieren Hochsensible anhaltend, da sie diese nicht einfach ausblenden können.)

Im Gespräch können Ihnen unruhige Augenbewegungen auffallen und dass die Person den direkten Blickkontakt nicht lange hält. (Die Aufmerksamkeit Hochsensibler wird schon von Kleinigkeiten in der Umgebung abgezogen; direkter Blickkontakt wird schnell als vom Gesprächsinhalt ablenkend und zu intensiv empfunden.)

Sie bekommen eine beträchtliche Aufgeregtheit mit, wenn Vorhaben wie zum Beispiel eine Reise oder ein wichtiger geschäftlicher Termin anstehen. (Die Gedanken kreisen um bevorstehende Ereignisse; größere Vorhaben lösen Unruhe aus.)

In Gesprächen werden Sie in der Regel (wenn die Umgebungsbedingungen günstig sind und es der hochsensiblen Person gut geht!) einen empathischen Zuhörer finden, dem Sie sich auch mit Ihren Sorgen und Nöten gut anvertrauen können. Manchmal wird es Ihnen allerdings unpassend erscheinen, wie sehr die Person um Ihr Wohlergehen besorgt ist und Ihnen helfen möchte.

Die Person ist nicht für Small Talk zu haben. Unter Umständen erscheinen Ihnen manche Fragen im Gespräch als sehr persönlich oder sogar investigativ. Womöglich wird es Ihnen zu viel, wenn ein Thema ständig weiter vertieft wird.

Gelegentlich ist es für Sie fast unheimlich, wie viel die Person von Ihrer gefühlsmäßigen Verfassung mitbekommt, ohne dass Sie etwas davon in Worte gefasst haben. Zuweilen scheinen Sie es mit einem Gedankenleser zu tun zu haben. Auf jeden Fall mit jemandem mit großem intuitivem Gespür.

Es kann Sie erstaunen, wie verletzlich Ihr Gegenüber ist. Im Gespräch mag es Ihnen so vorkommen, als lege die Person jedes Ihrer Worte auf die Goldwaage. Eine unbedachte Äußerung kann die Stimmung nachhaltig trüben. Im Konflikt kann die emotionale Reaktion überraschend heftig ausfallen und Sie werden sie schwer nachvollziehen können.

Die Person äußert des Öfteren, dass sie sich nicht verstanden fühlt, neigt dazu, sich sehr ausführlich zu erklären, was das Verständnis aber eher erschwert als erleichtert. (Hochsensiblen ist es sehr, sehr wichtig, verstanden und angenommen zu werden.)

Ihnen wird auffallen, wie gewissenhaft und gründlich die Person ihre Aufgaben erledigt, und Sie werden mit den hohen Ansprüchen, was Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Arbeitsqualität u. v. a. m. anbelangt, konfrontiert. Das ist für Sie unter Umständen anstrengend. (Die höchsten Ansprüche stellen die Hochsensiblen an sich selbst!)

Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Authentizität und Integrität sind Werte, die für die Person immens wichtig sind. (Hochsensible haben in aller Regel anspruchsvolle Wertvorstellungen.)

Die Person wirkt oftmals in sich gekehrt und zurückhaltend. Sie mag Ihnen ungesellig vorkommen, weil sie häufig den Wunsch hat, eine gewisse Zeit allein zu verbringen. (Dahinter steht, auch bei extravertierten Hochsensiblen, das dringende Bedürfnis, zwischendurch immer wieder zu sich zu kommen und zu regenerieren.)

Wenn die Umgebung und die soziale Situation stimmen, ist die Person durchaus lebhaft und kommunikativ. (Übrigens sind längst nicht alle Hochsensiblen introvertiert; der Anteil der Extravertierten unter den Hochsensiblen liegt bei ungefähr 30 Prozent.)

In vielen Situationen erscheint die Person unsicher und zögerlich, und sie braucht häufig sehr lange, um eine Entscheidung zu treffen. (Hochsensible brauchen Zeit für das Auswerten alter Erfahrungen, ein gründliches Nachdenken und ein sorgfältiges Abwägen von Handlungsmöglichkeiten.)

Hochsensible Menschen, die um ihre spezielle Andersartigkeit noch nicht wissen, nehmen sehr häufig an, mit ihnen stimme etwas nicht, sie seien vielleicht krank und behandlungsbedürftig, und sie versuchen, dagegen anzukämpfen, um am Ende wieder mit dem eigenen „Unvermögen“ konfrontiert zu sein. Die negativen Rückmeldungen der Menschen in ihrer Umgebung bestätigen die irrige verinnerlichte Meinung, sie seien verkehrt. Natürlich fällt den Hochsensiblen immer wieder auf, dass die meisten anderen unbeschadet und froh Dinge tun, die für sie selbst schwer zu ertragen sind. In der Folge setzen sich viele unter Druck, meinen, sich der Mehrheit anpassen zu müssen. Der andauernde krampfhafte Versuch, so zu sein wie alle anderen, ist Kräfte zehrend und frustrierend. Haben Hochsensible überwiegend negative Beziehungserfahrungen gemacht, sind sie im Kontakt womöglich misstrauisch und abweisend.

Von zentraler Bedeutung im Umgang mit einer hochsensiblen Person ist, dass Sie der Wesensart Hochsensibilität mit all ihren Auswirkungen größtmögliches Verständnis entgegenbringen. Versuchen Sie bitte nicht, einer hochsensiblen Person zu erklären, alles sei gar nicht so schlimm, sie könne sich sicher an dieses und jenes gewöhnen, sie solle sich nicht so viele Gedanken machen, sie möge sich doch einfach nicht alles so zu Herzen nehmen. Ihr Gegenüber hat es sich nicht ausgesucht, hochsensibel zu sein, kann nicht beschließen, es nicht mehr zu sein, kann auch nicht „einfach“ darüber hinweggehen. Allenfalls kann die Person den Anschein erwecken, sie sei robust und hart im Nehmen.

Machen Sie sich bewusst, dass die Erlebniswelt der hochsensiblen Person sich von Ihrer erheblich unterscheidet. Vielleicht mögen Sie der hochsensiblen Person Einblick geben in Ihre Erlebniswelt, indem Sie ihr davon erzählen, denn die ist bei allem Einfühlungsvermögen für Hochsensible doch nicht ohne Weiteres vorstellbar. Bitten Sie umgekehrt um Erklärungen und klare Aussagen. Selbst wenn Sie aufmerksam sind, werden Ihnen manche Botschaften der hochsensiblen Person zunächst rätselhaft bleiben. Fragen Sie nach!

Hochsensible wünschen sich Achtsamkeit und eine gewisse Rücksicht, aber keine „Sonderbehandlung“. Das würde sie ja wieder in die Ecke von Krankheit und Behinderung rücken. Sie wünschen sich den achtungsvollen und wertschätzenden Umgang, der eigentlich generell herrschen sollte. Hochsensible brauchen, was alle Menschen brauchen: gesehen und angenommen werden als die Menschen, die sie sind. Sie wollen Zugehörigkeit erleben, die eigene Stärke spüren und sich einbringen, Sinnstiftendes tun, Selbstwirksamkeit erfahren. Wie alle Menschen sehnen sie sich nach Glück und wollen Leid vermeiden.

Spezielle Hinweise Kinder betreffend

Im Kapitel

„Hochsensibel als Kind in der Familie“

komme ich noch näher auf hochsensible Kinder zu sprechen. In diesem Anfangskapitel geht es zunächst um das Erkennen der Hochsensibilität. Daher hier einige Anhaltspunkte für Sie als Eltern, Großeltern, Erzieher, Lehrer, Therapeuten …

Hochsensible Kinder sind von klein auf schreckhafter und schneller durch Umgebungsreize zu beunruhigen. Sie brechen leichter in Tränen aus. Hochsensible Babys schreien mehr. Auch brauchen diese Kinder länger, um nach einer Aufregung wieder zur Ruhe zu kommen. Sie sind diejenigen Kinder, bei denen man leicht geneigt ist, sie als „Sensibelchen“ zu bezeichnen.

Sie sind schmerzempfindlicher und berührungsempfindlicher als andere Kinder. Sie fühlen sich sichtlich unbehaglich in grober, rauer Kleidung. Kratzige Innenschilder und Nähte stören sie. Sie wollen wahrscheinlich von sich aus dreckige, nasse oder sandige Kleidung schnell wechseln.

Sie tun sich häufig schwer, ihre intensiven Emotionen zu kontrollieren. Je nach Temperament ziehen sie sich zurück oder gehen damit nach außen. Manche sind kleine Rebellen.

Sie nehmen sich Misserfolge, Kritik und Beleidigungen sehr zu Herzen. Sie brauchen lange, um über eine emotionale Verletzung hinwegzukommen.

Sie fühlen sich leicht bedrängt und überrumpelt, tun sich extrem schwer mit unsensiblen, groben, autoritären und dominanten Menschen.

Ein volles Tages- und Wochenprogramm strapaziert sie sehr. Es gibt eine starke Tendenz, sich zwischendurch zurückzuziehen. Ruhepausen tun ihnen sichtlich gut. Sie schlafen schlecht nach einem vollgepackten und aufregenden Tag.

Größere Veränderungen machen ihnen sehr zu schaffen. Sie brauchen beträchtliche Zeit, um sich an neue Verhältnisse zu gewöhnen.

Sie lieben einen routinemäßigen Tagesablauf. Sie sind nicht so leicht zu begeistern für spontane Aktionen und Planänderungen. Wenn die Dinge anders laufen als gewohnt, bringt sie das leicht aus dem Gleichgewicht.

In einer lauten Umgebung (Lärm im vollen Klassenzimmer!) fällt es ihnen schwer, sich zu konzentrieren.

Sie sind aufgeweckt, suchen viel Anregung und Lernerfahrungen. Sie wissen viel für ihr Alter, haben ein erstaunliches Erinnerungsvermögen. Einerseits ist ihnen schnell langweilig, andererseits leiden sie schneller als andere sie unter Reizüberflutung. (Achtung Medienkonsum!)

Sie sind feinfühlig und einfühlsam (wenn es ihnen gut geht). Sie sind sehr intuitiv, scheinen Gedanken lesen zu können. Sie haben feine Antennen für Sprache (auch für die Zwischentöne) und Körpersprache. Sie können sich oft für ihr Alter ungewöhnlich gut ausdrücken.

Sie haben ein großes Gespür für die Stimmungen der Eltern, bekommen sofort mit, wenn es Spannungen gibt, auch wenn diese unterschwellig sind. Darauf reagieren sie sehr beunruhigt. Sie wollen am liebsten die Harmonie schnell wieder herstellen und versuchen, ausgleichend zu wirken.

Sie haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, ergreifen Partei für Schwächere, beklagen Missstände. Sie haben ein Herz für Tiere, leiden sehr, wenn sie Tiere in Not sehen.

Sie sind zurückhaltender gegenüber fremden Kindern und Erwachsenen als andere Kinder, wirken zuweilen eher scheu und schüchtern, insbesondere wenn sie zu den introvertierten Hochsensiblen gehören. Sie haben eher wenige, dafür aber enge Freunde. Sie beschäftigen sich auch sehr gerne für sich allein, versinken im Spiel.

Sie sind vorsichtiger bei Spiel und Sport als Altersgenossen. Sie bevorzugen in der Regel ruhige Spiele, mögen weniger Wettkampfspiele und Wettkampfsport, besonders nicht, wenn es „Mann gegen Mann“ geht.

In neuen Situationen warten sie erst einmal ab, schauen zunächst lieber zu, versuchen, die Situation gut einzuschätzen, bevor sie sich entscheiden mitzumachen. Sie stürmen nicht gleich los, vergewissern sich vorher, ob etwas sicher ist.

Sie nehmen die Dinge sehr genau. Mitunter hat es den Anschein, als seien sie langsam, weil sie gründlich zu Wege gehen und vieles mit in Betracht ziehen.

Sie stellen sehr hohe Ansprüche an sich selbst, sind nicht so leicht zufrieden mit dem, was sie geleistet haben (Schule!). Sie neigen zum Perfektionismus. Sie zeigen bessere Leistungen, wenn sie nicht beobachtet und kontrolliert werden.

Sie sind meist zuverlässig und legen großen Wert auf die Zuverlässigkeit anderer, reagieren sehr irritiert, wenn Absprachen nicht eingehalten werden.

Sie tragen nicht gerne etwas vor, mögen sich nicht so exponieren, sind leicht verlegen, brauchen länger als andere, bis sie Zutrauen in ihr eigenes Können gefasst haben.

Sie verfügen über eine scharfe Beobachtungsgabe, bemerken und kommentieren Kleinigkeiten, die andere oftmals übersehen und überhören.

Sie stellen in einem für ihr Alter ungewöhnlichen Maße Zusammenhänge her und durchdringen Komplexität.

Sie denken viel nach, stellen erstaunlich tiefgründige, weitreichende und auch kritische Fragen und wollen erschöpfende Antworten auf ihre Fragen.

Sie lieben es, kreativ zu gestalten. Sie haben oft genaue Vorstellungen, wie etwas werden soll, und sind enttäuscht, wenn die Umsetzung hinter den Vorstellungen zurückbleibt.

Hochsensible Kinder bereichern ihr Umfeld durch ihre Fantasie, ihre Gedankenspiele und ihren Ideenreichtum.

Lösen Sie sich von Klischeevorstellungen: Hochsensible Kinder sind längst nicht durchweg still und in sich gekehrt. Es gibt auch die extravertierten und aktiven hochsensiblen Kinder, die allerdings Gefahr laufen, schnell in den Bereich der Überstimulation zu geraten. Und auch tendenziell introvertierte Kinder sind bei entsprechenden Gelegenheiten mitteilsam und lebhaft.

Einen großen Einfluss haben auch soziokulturelle Faktoren. In unserem westlichen Kulturkreis entspricht es nicht der Idealvorstellung, wenn jemand sehr sensibel, besonnen und zurückhaltend ist. Belastbare, wagemutige Extravertierte stehen hoch im Kurs. Dementsprechend werden Verhaltensweisen, die der hohen Sensibilität entspringen, häufig negativ beurteilt. Heranwachsende Hochsensible werden in der Regel von Eltern und Lehrern angehalten, ihre Sensibilität abzulegen, so, als gelte es, eine Schwäche zu überwinden. So gut das gemeint sein mag, so schädlich ist die Wirkung, vermittelt es doch die Einschätzung, etwas sei mit ihnen nicht in Ordnung. Schon hier meine wichtigste Botschaft an die Eltern hochsensibler Kinder: Versuchen Sie nicht, Ihr Kind zu ändern. Versuchen Sie keinesfalls, es „abzuhärten“; das wäre schlimm für das zarte Wesen.

Passen Sie außerdem auf, dass Ihrem Kind keine falsche Diagnose gestellt wird (zum Beispiel AD[H]S). Hochsensibilität ist keine Krankheit, keine Störung. Es kann allerdings nicht beiseitegewischt werden, dass Hochsensibilität Probleme verursachen kann, zum Beispiel Konzentrationsschwierigkeiten in der reizerfüllten Umgebung eines Klassenzimmers oder eine mangelnde Integration in die Klassengemeinschaft. Obwohl hochsensible Kinder auf geeignete Unterstützung seitens der Eltern und Lehrer in manchen Situationen angewiesen sind, benötigen sie keine komplette Sonderbehandlung, die sie noch mehr in eine Außenseiterrolle manövrieren würde.

Wie jedes Kind braucht Ihr hochsensibles Kind vor allem Achtung, Respekt, Wertschätzung, Verständnis, Akzeptanz und ganz viel Liebe. Unterstützen Sie möglichst unaufgeregt, mit der Hochsensibilität innerhalb und außerhalb der Familie zurechtzukommen. Tun Sie, was Sie können, damit Ihr Kind ein gesundes Selbstvertrauen erlangen und Selbstsicherheit im Umgang mit anderen entwickeln kann. Stärken Sie sein Selbstwertgefühl, indem Sie es annehmen, wie es ist. Geben Sie ihm einerseits Schutz, Geborgenheit und Rückhalt und anderseits Bestärkung und Ermutigung. Bagatellisieren Sie nicht seine Probleme, aber führen Sie ihm auch immer wieder seine Begabungen und Talente vor Augen.

Informieren Sie sich umfassend über Hochsensibilität (ich empfehle Bücher, die sich speziell mit dem Thema „Hochsensible Kinder“ beschäftigen), geben Sie Ihrem Kind altersgemäße Erklärungen zur Hochsensibilität und helfen Sie ihm, die Unterschiedlichkeit der Menschen in dieser Hinsicht zu verstehen und zu akzeptieren und seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden.

1.3 Differenzen erkennen und ausgleichen

„Solange du dem anderen sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du noch weit weg vom Weg der Weisheit.“

(Aus China)

Dass jeder Mensch anders ist, ist eine Binsenweisheit. Und doch geht jeder zunächst ganz automatisch davon aus, dass alle anderen auf die gleiche Weise empfinden, denken und wahrnehmen wie er selbst, und wundert sich über offensichtlich andersgeartetes Verhalten – solange er nicht eines Besseren belehrt wird.

 Von mir: Aha-Momente in Serie

Mindestens so wichtig, wie mich selbst in den typischen Besonderheiten zu erkennen, war es, die (aus meinem Blickwinkel) Andersartigkeit der vielen Nicht-Hochsensiblen konkreter begreifen zu können. Auf einmal wurde mir klar, dass sie nicht so viel mehr aushalten, sondern dass sie – in derselben Umgebung – gar nicht so starken Eindrücken ausgesetzt sind und gar nicht so viel auszuhalten haben wie ich. Aha. Dass vieles, was mich belastet, sie nicht durchdringt, nicht erschüttert, nicht aufwühlt. Dass vieles an ihnen gleichsam abprallt oder abperlt oder sie nur oberflächlich berührt. Aha. Und ich erkannte: Sie brauchen die größere Portion Reize, um sich angenehm stimuliert zu fühlen. Sie leiden unter Umständen an Reizarmut, während ich schon reizüberflutet bin. Aha. Es ist oft gar nicht so, dass sie etwas absichtlich ignorieren, vielmehr haben sie dafür einfach nicht die Antennen. Aha. Wenn jeder die Welt ganz anders erlebt und deswegen auch anders auf sie reagiert, dann kommt es also auf eine tauglichere Verständigung an, um besser miteinander klarzukommen. Aha!

Nicht-Hochsensible haben wenig Anlass, ihr Sosein infrage zu stellen, weil sie in Bezug auf das Maß an Sensibilität konform mit der Mehrheit der Menschen sind und sich demzufolge ganz selbstverständlich als „normal“ betrachten. Aus diesem Blickwinkel heraus schauen sie auf die Eigenarten, Verhaltensweisen und Reaktionen der Hochsensiblen. So kommt es, dass sie Hochsensible für überempfindlich, ängstlich, scheu, schüchtern, gehemmt, schwach oder gar für hysterisch und neurotisch halten. All diese Zuschreibungen missdeuten die Wesensart und rufen bei Hochsensiblen Frustration und Resignation, auch Wut und Aggression hervor. Umgekehrt sehen Hochsensible vor dem Hintergrund ihrer Erlebniswelt die Nicht-Hochsensiblen häufig als laut, rücksichtlos, stumpf, egoistisch, rüpelhaft usw. an, was gleichermaßen einer subjektiven Deutung entspringt und nicht die Wahrheit ist.

Hochsensible sind negativen Kommentaren ausgesetzt und teilen umgekehrt welche aus. Beispiele: „Was stört dich jetzt schon wieder?“ versus „Wie kannst du nur so unaufmerksam sein?“; „Du hörst die Flöhe husten“ versus „Du bekommst ja gar nichts mit“; „Du bist eine Mimose“ versus „Du bist ein Holzklotz“; „Du siehst Probleme, wo keine sind“ versus „Du erkennst überhaupt nicht das Problem“; „Du machst dir zu viele Gedanken“ versus „Du lässt Wichtiges außer Acht“. Und natürlich die wechselseitigen Kardinalvorwürfe: „Du bist so überempfindlich!“ versus „Du bist so unsensibel!“. Jede Äußerung ist aus der Sicht dessen, der sie macht, nachvollziehbar.

Mir erscheint es sehr wichtig, nicht ausschließlich auf die Unterschiede zu fokussieren, sondern auch zu sehen, dass Hochsensible und Nicht-Hochsensible ganz viele Gemeinsamkeiten haben, auf die sich Verbundenheit und ein gelingendes Miteinander gründen können.

Das von dem Psychologen und Konfliktmediator Marshall B. Rosenberg entwickelte Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK, auch als empathische Kommunikation bezeichnet) ist meiner Überzeugung nach aufs Beste geeignet, Konflikte in allen Lebensbereichen zu lösen – oder gar nicht erst aufkommen zu lassen! – und ein friedliches und bereicherndes Zusammenleben zu ermöglichen. An die Stelle einer trennenden Kommunikation („Wolfssprache“) tritt eine verbindende Kommunikation auf Herzensebene („Giraffensprache“). Mit einer solchen lebensdienlichen Form der Kommunikation lässt sich auch wunderbar die Kluft zwischen Hochsensiblen und Nicht-Hochsensiblen überbrücken. Die Buchempfehlung: Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Ich werde im Laufe des Buchs noch auf das Gedankengut der Gewaltfreien Kommunikation zurückkommen.

2. Was bedeutet Hochsensibilität?

Wenn Sie mir auch nur ein bisschen ähnlich sind, dann haben Sie als hochsensible Person eine Reihe von Fragen: Was genau ist denn nun Hochsensibilität? Ist Hochsensibilität wissenschaftlich anerkannt? Wie funktioniert eigentlich die Verarbeitung von Sinnesreizen und was ist da bei Hochsensiblen anders? Was charakterisiert hochsensible Menschen? Worin liegen ihre Schwächen und ihre Stärken?

2.1 Der Begriff Hochsensibilität

Ich beginne mit Informationen zum Aufkommen des Fachausdrucks. Dann widme ich mich der Suche nach einer Definition und der Klärung von Begrifflichkeiten. Das halte ich für wichtig, um mit meinen Lesern eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen.

Elaine Aron hat dem Phänomen einen Namen gegeben

Die amerikanische klinische Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Elaine N. Aron hat sich seit den 90er-Jahren eingehend mit dem Thema Hochsensibilität auseinandergesetzt. In Seminaren und Einzelsitzungen sprach sie mit einer Vielzahl von Hochsensiblen. Sie führte eigene Forschungsarbeit durch und wertete vorhandene psychologische Wissenschaftsliteratur aus, die sich auf dieses Persönlichkeitsmerkmal bezieht, wenn auch nicht unter demselben Begriff und mit einem anderen Verständnis der Zusammenhänge.

Elaine Aron hat den Begriff „Highly Sensitive Person“ (kurz HSP, auf Deutsch: Hochsensible Person) geprägt. In ihrem Buch Sind Sie hochsensibel? schreibt sie: „Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich diese Eigenschaft eigentlich nennen könnte. Ich wollte nicht den Fehler wiederholen, sie mit Introvertiertheit, Schüchternheit, Gehemmtsein oder einer Menge anderer fälschlicher Bezeichnungen zu verwechseln, die andere Psychologen uns auferlegt haben. Keiner der Begriffe drückt nämlich den neutralen und erst recht nicht den positiven Aspekt dieser Eigenschaft aus. Der Begriff Sensibilität macht auf neutrale Weise die größere Empfänglichkeit gegenüber Reizen deutlich. Es schien an der Zeit, mit der Voreingenommenheit gegenüber HSP abzurechnen, indem eine Bezeichnung gewählt wurde, die uns gerecht wird.“ Hochsensibilität ist ein fest verankertes, unabänderliches Persönlichkeitsmerkmal. Nach Arons Erkenntnis gehören 15 bis 20 Prozent der Menschen – gleichermaßen Männer wie Frauen – zu den Hochsensiblen. Die Abkürzung HSP wird auch im deutschen Sprachraum verwendet, für Einzahl und Mehrzahl, teilweise auch in HSM (hochsensibler Mensch) abgewandelt.

Elaine Aron hat eine Reihe von Büchern über Hochsensibilität veröffentlicht. Ihr grundlegendes Buch erschien 1996 in den USA: The Highly Sensitive Person: How to Thrive When the World Overwhelms You