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"Du schuldest mir eine Hochzeitsnacht!" Entgeistert hört Addie die arroganten Worte ihres viel zu verführerischen Noch-Ehemannes. Umso schlimmer, dass Marcus Recht hat! Kaum hatten sie sich Liebe und Treue bis in den Tod versprochen, verließ sie ihn. Aus gutem Grund! Jetzt, fünf Jahre später, will der sexy Casino-Magnat ihrem Charity-Projekt in Miami die dringend benötigte Unterstützung streichen. Es sei denn, Addie kehrt in sein Leben, in sein Bett zurück. Zu einer Hochzeitsnacht mit Verspätung - was für eine bittersüße Erpressung …
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Seitenzahl: 199
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2016 by Louise Fuller Originaltitel: „Claiming His Wedding Night“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 032018 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Helga Meckes-Sayeban
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 01/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733709938
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Addie Farrell fühlte sich hin- und hergerissen. Müsste sie nicht eigentlich stolz sein? Sicher, ihre Charityarbeit lebte von begeisterter Publicity. Nur ging es bei ihr jetzt ums Überleben.
Angespannt überflog sie den Zeitungsartikel erneut. Vor fünf Jahren hatten sie in Miami City die Tore für behinderte Kinder geöffnet, um sie der Musik näherzubringen. Und so, wie es aussah, könnten sie bald sogar ein zweites Zentrum errichten.
Addie seufzte. Der Artikel war eine einzige Lobeshymne – selbst ihr Foto wirkte schmeichelhaft. Warum fühlte sie sich dann so antriebslos? Ihr Lächeln erlosch. Weil die schimmernde rote Mähne, die ihr auf dem Foto über die Schultern floss, und die strahlenden blauen Augen der glücklichen Addie gehörten, die sie kurze, liebestrunkene Monate gewesen war. Bis Marcus King ihr vor fünf Jahren das Herz gebrochen und sich ihrer wie eines unerwünschten Werbegeschenks entledigt hatte.
Vergiss es! ermahnte Addie sich. Der Artikel berichtete, wie beharrlich sie gearbeitet und sich eingesetzt hatte. Er hatte nichts mit dem Mistkerl von Ehemann zu tun, der nach ihrer lächerlich kurzen Ehe getrennt von ihr lebte.
Aber das gehörte der Vergangenheit an.
Die Gegenwart war Welten entfernt von dem schwarzen Loch, in das sie gefallen war, nachdem Marcus sie verlassen hatte. Außerdem hatte sie weit Schlimmeres überstanden als seinen Verrat. Selbst jetzt noch schmerzte der Gedanke an den Autounfall, der ihren Traum zerschmettert hatte, eine berühmte Pianistin zu werden. Damals war sie am Boden zerstört gewesen, aber sie hatte nicht aufgegeben. Jetzt setzte sie sich für die schönste Sache der Welt ein: das Leben von Kindern mit Musik zu bereichern, deren Leben in Armut und Dunkelheit zu versinken drohte.
Addie seufzte. Und genau das würde geschehen, wenn sie ihre Arbeit nicht unermüdlich fortführte.
Sie klappte den Laptop auf und ging ihre E-Mails durch. Zwanzig Minuten später griff sie über den Schreibtisch und nahm einen Stapel Briefe aus dem Eingangskorb. Der oberste ließ sie erstarren, ihr stockte der Atem. Wie hypnotisiert blickte sie auf den geprägten Firmenschriftzug des Umschlags.
King Industries. Der Konzern ihres superreichen, fabelhaft aussehenden und getrennt lebenden Ehemannes Marcus.
In ihren Ohren rauschte es, und eine Sekunde erwog sie, den Brief einfach zu zerfetzen und die Schnipsel in die lauen Lüfte Miamis zu schleudern. Doch dann riss sie ihn auf und las.
Sie brauchte drei Anläufe, bis sie begriff, was der Inhalt bedeutete. In knappen, höflichen Worten ließ King Industries sie wissen, dass die seit fünf Jahren laufenden Spendenzuwendungen des Konzerns an das Miami Music Project eingestellt würden.
Klopfenden Herzens überflog Addie die Zeilen erneut und verweilte auf der Unterschrift am Fuß der Seite. Unwillkürlich straffte sie sich und blickte auf den Namen ihres Mannes.
Dann packte sie die Wut. War das ein grausamer Witz? Fünf Jahre lang kein Anruf, keine E-Mail … kein Wort.
Nichts.
Zum ersten Mal seit der Hochzeit meldete Marcus sich – um ihr per Standardbrief mitzuteilen, dass er ihr die Spenden für das Charityprojekt strich. Unglaublich! Und zudem feige, weil er nicht den Mut aufbrachte, persönlich mit ihr zu reden.
Eine schmerzliche Enge breitete sich in ihrer Brust aus. Addie fühlte sich hilflos – und wütend. Genügte es Marcus nicht, ihre romantischen Träume zerschmettert zu haben? Seine Geldzuwendungen für ihr Charityprojekt waren das einzig Gute, das aus dieser Ehe hervorgegangen war. Und jetzt wollte er auch das zerstören.
Wie konnte ein Mann seiner Frau so etwas antun?
Beim bloßen Gedanken an den Hochzeitstag verkrampfte Addie sich. Marcus hatte ihr seine Liebe geschworen, ihr voller Leidenschaft und Verlangen in die Augen geblickt … sie war die glücklichste Frau der Welt gewesen. Und hatte ihm jedes Wort geglaubt.
Verbittert betrachtete sie das Gesicht, das ihr aus der Zeitung entgegenstrahlte.
Wie konnte ich je glauben, dass er mich liebt?
Ihre Züge wurden hart. Obwohl sie wusste, dass er ein Playboy war, der mit Herzen und Karten spielte, hatte sie ihm geglaubt. Wer hätte das nicht? Marcus war unwiderstehlich! Wenn er einem in die Augen blickte und auf diese unnachahmliche Weise lächelte, glaubte man ihm alles.
Dann beflügelte er selbst hartgesottene Spieler in seinen Casinos, die Bank sprengen zu wollen.
Und ihr hatte er weisgemacht, sie zu lieben.
Ha! Er hatte sie benutzt und ihre Beziehung ausgespielt, um sein Image als Playboy aufzupolieren. Ihre Ehe war nur die Show eines Multimilliardärs gewesen, der sich rücksichtslos nahm, was er wollte. Eines Mannes, der spielte, um zu gewinnen.
Kämpferisch warf Addie den Kopf zurück.
Höchste Zeit, dass der gute Marcus lernt, wie es sich anfühlt, zu verlieren.
Sie atmete tief durch und überflog den Brief zum dritten Mal.
In ihrer Beziehung mochte er den „Bankvorteil“ gehabt haben, doch wenn er glaubte, mit diesem Brief das letzte Wort zu behalten, irrte er sich gewaltig. In den fünf Jahren seit der Trennung war viel Wasser den Berg hinuntergeflossen. Inzwischen wusste sie, was hinter seinem Lächeln steckte, war nicht mehr das verliebte Mädchen, das er geheiratet hatte.
Kurz entschlossen wählte sie seine Telefonnummer.
„Guten Morgen. King Industries. Was kann ich für Sie tun?“
Addies Herz klopfte schneller. „Könnte ich Mr. King sprechen?“
„Ihr Name?“
Sie umklammerte den Hörer fester und atmete ein. Noch konnte sie zurück! Die Vergangenheit ad acta legen.
Doch statt aufzulegen, schloss sie die Augen und meldete sich: „Addie Farrell.“
Pause.
„Tut mir leid, Miss Farrell, aber es ist kein Termin für Sie vorgemerkt.“
„Ich habe keinen.“ Erstaunlich, wie fest ihre Stimme klang! „Aber ich muss ihn unbedingt sprechen.“
„Verstehe, Miss Farrell.“ Die Frau am anderen Ende der Leitung klang jung und leicht nervös, aber man hatte sie offenbar gut gedrillt. „Ich werde mein Bestes versuchen … aber ohne Termin ist Mr. King für niemanden zu sprechen.“
Addie unterdrückte eine Verwünschung. Natürlich nicht. Marcus war der „Big Boss“, der CEO, zu dem nur die wichtigsten Anrufe durchgestellt wurden. Doch wer konnte wichtiger sein als seine Ehefrau?
Eine innere Stimme riet ihr aufzulegen, doch Addie verdrängte sie. „Mit mir spricht er“, beharrte sie. „Geben Sie ihm meinen Namen durch.“
Eine längere Pause folgte.
„Das geht nicht, Miss Farrell. Aber ich kann einen Termin für Sie machen. Vielleicht möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?“
Addie lächelte angriffslustig. „Gut“, erwiderte sie fest. „Sagen Sie ihm, seine Frau möchte ihn an den morgigen Hochzeitstag erinnern.“
Langes, bestürztes Schweigen folgte. Bingo!
„Wenn Sie ihm das einfach ausrichten würden“, fuhr sie übertrieben freundlich fort. „Ich will nicht endlos in der Warteschlange hängen.“
Vor dem Fenster des Privatjets breitete sich bis zum Horizont wolkenlos blauer Himmel aus. Ein paradiesischer Anblick …
Doch Marcus King nahm ihn gar nicht wahr. Konzentriert blickte er auf seinen Laptop.
„Was war an Tisch fünfundzwanzig?“, wandte er sich an den stämmigen Mann, der ihm gegenübersaß.
„Ein Unfall. Ein paar einsame Jungs wurden ungemütlich. Da hab ich sie mir zur Brust genommen. Nett und nicht gerade zimperlich, Mr. King.“
„Dafür bezahle ich dich, Mike. Damit alles nett läuft.“
Marcus bemerkte die Nachricht auf seinem Handy und lächelte ironisch. Könnte er das abenteuerliche Leben seiner Eltern doch nur auch so leicht ins Reine bringen! Leider schienen Henry und Serena King ihre katastrophalen Gewohnheiten nicht abzulegen. So blieb ihm als einzigem Sohn nur übrig, den Schaden zu begrenzen.
Es klopfte an der Kabinentür, gleich darauf trat eine brünette Frau in der flotten dunkelblauen Uniform von King Industries in die Kabine.
„Ihr Kaffee, Mr. King. Wünschen Sie sonst noch etwas?“
Mit Kennerblick begutachtete Marcus die knackigen Rundungen der Flugbegleiterin.
Wünschen Sie sonst noch etwas …?
Klar, das gehörte zu den Vorteilen, eine eigene Maschine zu besitzen. Sex mit einer Schönen in zehntausend Metern Höhe war unbestreitbar besser als ein Bordfilm. Doch obwohl seine Angestellte zweifellos attraktiv war, würde er nicht mit ihr schlafen. Sie war leicht zu haben. Es fehlte die Spannung, die Erregung. Eine Frau wie sie ins Bett zu bekommen, war keine Herausforderung.
Sie ließ ihn kalt.
„Nein, danke, Victoria. Nur Kaffee.“ Sein höflicher Ton besagte: Er erinnerte sich an ihren Namen – mehr war da nicht.
Seinem Sicherheitschef erklärte er: „Okay, Mike, ich mache Pause. Sag Chrissie, dass ich nicht gestört werden will, und genieß den restlichen Flug.“ Damit war der Mann entlassen – mit genau der richtigen Dosis Nettigkeit und Distanz.
Sobald er allein war, klappte Marcus den Laptop zu, lehnte sich zurück und widmete sich der Aussicht.
Er hätte selbst nicht sagen können, wieso er das Bedürfnis hatte, einmal nur den Anblick des endlos blauen Himmels zu genießen. Vielleicht, weil er die angenehme Stille als Ausgleich zum chaotischen Leben seiner Eltern brauchte.
Er setzte sich aufrecht hin, als er plötzlich Addie vor sich hatte. Addie mit ihren großen Augen, die blitzschnell von hell auf dunkel, von kühl auf zornig schalten konnten …
Marcus presste die Lippen zusammen. Wenn er jetzt an jemanden nicht denken wollte, dann an seine Frau. Dennoch drängte sich ihm um diese Jahreszeit zwangsläufig der Gedanke an den morgigen Hochzeitstag auf …
Gereizt fuhr er zusammen, als das Telefon klingelte. Mürrisch meldete er sich. „Ich sagte doch, dass ich nicht gestört werden will!“
Kurzes angespanntes Schweigen, dann hörte er seine persönliche Assistentin nervös ausatmen.
„Tut mir leid, Mr. King, ich wollte Sie nicht stören, aber die Dame behauptet, es sei wichtig. Da habe ich sie in der Leitung gehalten. Ist das in Ordnung?“
Die Dame! Das konnte nur seine Mutter sein! Marcus beherrschte sich. Seiner Assistentin wollte er keine Vorwürfe machen. Serena King konnte einen abgebrochenen Nagel zum diplomatischen Zwischenfall aufbauschen.
Hoffentlich hatte sie nicht wieder etwas Verrücktes angestellt – oder etwas Kriminelles. „Schon gut, Chrissie. Ich spreche mit ihr“, entschied er.
„Ja, Sir.“ Seine Assistentin zögerte. „Dann wünsche ich Ihnen für morgen einen wunderschönen Hochzeitstag!“
Marcus zog die Brauen zusammen. Was zum Teufel …?
Außer ihm wusste nur eine Person, dass morgen sein Hochzeitstag war – und diese Person war nicht seine Mutter! Wohlüberlegt hatte er nämlich dafür gesorgt, dass seine Eltern nichts von der Ehe erfuhren.
Langsam atmete er aus. „Sprechen Sie nicht in Rätseln, Chrissie.“ Er spreizte die Finger, weil er die Armlehne so fest umklammert gehalten hatte, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Wen haben Sie in der Leitung?“
Hilflos räusperte sie sich. „Tut mir leid, Mr. King“, stammelte seine Assistentin, „aber ich dachte, Sie würden mit ihr sprechen wollen. Es ist Miss Farrell – Ihre Frau.“
Marcus schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, starrte er sekundenlang schweigend aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich bewölkt, alles war plötzlich so weiß wie frisch gefallener Schnee.
So weiß wie das Brautkleid, das Addie bei der Hochzeit getragen hatte …
Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an. Er mochte Addie aus eigensüchtigen Gründen geheiratet, sie vielleicht sogar ein bisschen ausgetrickst haben … aber sie hatte geschworen, ihn zu lieben und zu ehren.
Nur waren diese Gelübde so kurzlebig gewesen wie die Wolken vor seinem Fenster, die in diesem Moment auseinanderbrachen.
Warum jetzt? Wieso meldete Addie sich nach all der Zeit ausgerechnet heute? Einen Moment kämpfte er mit sich, wusste nicht, ob er gereizt oder neugierig sein sollte.
Schließlich richtete er sich auf. „Stellen Sie sie durch, Chrissie.“
Ein Klicken in der Leitung … er spannte sich an. Zum ersten Mal seit der Hochzeit hörte er die geschäftsmäßige Stimme seiner Frau.
„Marcus? Ich bin’s, Addie!“
„Offenbar“, erwiderte er.
Fünf Jahre war es her. Er ließ sich nicht anmerken, dass es ihn beunruhigte, von ihr zu hören. Jahrelanges Pokern um höchste Einsätze und das turbulente Leben als Henrys und Serenas Sohn hatten ihn gelehrt, sich nie etwas anmerken zu lassen. Zu dumm, dass das nicht funktioniert hatte, als er Addie begegnet war …
„Es ist lange her, Süße“, stellte er fest. „Wem oder was verdanke ich die Ehre?“
Addie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. In ihrer Empörung, sich Marcus vorzunehmen, hatte sie nicht bedacht, wie es sein würde, seine Stimme wieder zu hören. Er klang wie immer: kühl, höflich, beherrscht. Als hätte es die fünf Jahre nie gegeben.
Sie rief sich zur Ordnung. Was hatte sie erwartet? Wut? Attacken? Nein, Marcus King zeigte keine Regungen.
Ihre Hände wurden feucht, sie schloss die Augen und umklammerte das Handy fester. Um Marcus King aus der Fassung zu bringen, bedurfte es mehr als einen Anruf seiner getrennt lebenden Frau. Selbst das Ende ihrer Ehe hatte er kühl, gelassen und unbeteiligt hingenommen.
Ach was! Das gehörte der Vergangenheit an. Addie atmete aus. Sie wollte mit ihm nicht über ihre gescheiterte Ehe reden, sondern über seine unverantwortliche Entscheidung, mit der er die Zukunft behinderter Kinder aufs Spiel setzte.
„Nach deinem unglaublichen Verhalten dürftest du das Wort Ehre nicht mal mehr in den Mund nehmen!“, fuhr sie ihn an. „Und tu nicht so überrascht über meinen Anruf. Ich habe dir vor zehn Minuten eine E-Mail geschickt.“
Sie redete sich in Rage, wurde ihr bewusst. Der Schmerz, den er ihr vor fünf Jahren zugefügt hatte, war immer noch so frisch wie damals. Sie war nie wirklich über seine Trickserei hinweggekommen. Nichts – nicht einmal ihre Arbeit – hatte sie über die Leere hinwegtäuschen können, die Marcus hinterlassen hatte.
Ein Schauer überlief Addie. Gut, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte! Die Genugtuung, sie schwach zu erleben, gönnte sie ihm nicht! Kühl fügte sie hinzu: „Ich weiß, du bist gefühllos und weißt nicht einmal, was das Wort Moral bedeutet, aber dass du so tief sinken könntest, hätte nicht einmal ich dir zugetraut.“
Schnell klappte Marcus seinen Laptop auf. Mit unbewegter Miene überflog er seine E-Mails.
„Ich leide mit dir und würde dir gern helfen, Schatz“, bemerkte er gelassen. „Aber leider habe ich keine Ahnung, was du mir vorwirfst.“
Obwohl er sich gelangweilt gab, ärgerte er sich. Nach fünfjährigem Schweigen rief Addie urplötzlich an und hielt ihm Mangel an Mitgefühl und Moral vor. Irgendwie schaffte sie es immer wieder, seine Welt durcheinanderzuwirbeln.
Aha! Da war es! Deshalb regte sie sich so auf!
Marcus lehnte sich zurück und blickte unschlüssig auf den Namen seiner Frau. Sollte er einfach auflegen und seine Charity-Abteilung anrufen? Aber das würde keinen Spaß machen.
„Soweit ich mich erinnere, leite ich ein Riesenimperium.“ Er gab sich ahnungslos. „Würdest du mir netterweise erklären, was ich angeblich verbrochen habe?“
Nun verlor Addie die Geduld. Erst zog er ihr finanziell den Boden unter den Füßen weg, und jetzt spielte er den Unschuldigen. Vor fünf Jahren hatte sie Marcus King jedes Wort geglaubt. Jetzt verfingen seine Spielchen bei ihr nicht mehr.
„Ach komm! Hältst du mich für beschränkt? Mit Bluffen kannst du dich bei mir nicht aus der Affäre ziehen. Das hier ist kein Kartenspiel.“
„Nein, wirklich nicht. Beim Kartenspiel gibt es Regeln, und die Spieler werfen sich nicht haltlose Beschuldigungen an den Kopf.“
„Haltlos?“ Sein Ton brachte sie noch mehr auf, und sie packte den Hörer so fest, dass es schmerzte. „Davon kann hier wohl kaum die Rede sein!“.
Dieser Teufel! Addie platzte fast vor Wut. Er drehte ihr die Worte im Mund um. Wenn sie nicht aufpasste, verlor sie den Grund ihres Anrufs aus den Augen und ließ sich zu verrückten Dingen verleiten.
Wie damals, als du seinen Heiratsantrag angenommen hast …
Eisig fuhr sie fort: „Du hast den Brief persönlich unterschrieben“, betonte sie. „Ich habe ihn vor mir.“
„Ich unterschreibe vieles“, erwiderte er gleichmütig. „Da könnte es um alles Mögliche gehen. Eine offene Reinigungsrechnung, ein überfälliges Buch aus der Leihbücherei …“
Addie presste die Lippen zusammen. Im Sturm der Entrüstung hatte sie Marcus angerufen – weil sie im Recht war! Und was tat er? Machte sich über sie lustig, als hätte sie versucht, mit einer Wasserpistole eine Bank zu überfallen. Wieso nur ließ sie sich so von ihm herausfordern?
Erinnerungen stürmten auf sie ein. In diesen Mann hatte sie sich verliebt. Weil er blendend aussah, kühl und selbstbewusst auftrat – und wie der Teufel flirtete.
Eine vertraute Wärme durchströmte sie. Er konnte so zärtlich und verführerisch sein, einem das Blaue vom Himmel versprechen. Unwillkürlich hatte sie sein markantes Gesicht vor sich, dieses unwiderstehliche Lächeln, das amüsierte Funkeln in seinen dunklen Augen, die eine hypnotisierende Wirkung auf sie gehabt hatten.…
Selbst jetzt noch verursachte es Addie Herzklopfen.
Denk an die Lügen, die er dir aufgetischt hat. Vor allem am Altar!
Sie holte tief Luft. „Du weißt genau, dass ich vom Kinderzentrum spreche – für das du mir die Unterstützungsgelder gestrichen hast.“
Starr blickte Marcus auf den Monitor, machte es sich auf seinem Sitz bequem und ließ sie bewusst warten.
Bis vor zwei Minuten war das Schreiben einfach nur eins von zahllosen gewesen, die ihm im Laufe der Woche vorgelegt worden waren. Und ja, er hatte es unterschrieben. Aber traute Addie ihm wirklich zu, ihrem Charityprojekt das Wasser abzugraben? Dachte sie so schlecht von ihm?
„Du hast recht“, gab er zu. „Ich habe den Brief unterschrieben. Aber ich unterschreibe Hunderte Briefe, die ich weder lese noch selbst aufsetze – höchstens mal persönliche Mitteilungen.“
„Wie einen Brief an deine Frau?“, stichelte Addie.
Das saß – wie sie beabsichtigt hatte.
Marcus antwortete nicht sofort. „Das habe ich wohl verdient.“
„Ja, das hast du.“
Addie kniff die Augen zusammen. Wenn er nichts von dem Brief geahnt hatte, war sie vielleicht in der Lage, sich die Angelegenheit schönzureden. Andererseits, wie konnte es sein, dass er ihren Namen nicht erkannt hatte? Oder ihre Wohltätigkeitsstiftung? Für einen winzigen Augenblick war sie versucht, ihn zu fragen, doch ihr Stolz verbot es ihr. Er sollte nicht merken, wie verletzt sie war …
Marcus seufzte laut. „Ich verstehe ja, wie es für dich ausgesehen haben muss, Addie. Es ist nur so: Wir unterstützen neue Charity-Projekte über einen bestimmten Zeitraum. In deinem Fall fünf Jahre lang. Danach erwarten wir, dass sie sich selbst tragen, und streichen die Gelder automatisch. Das Schreiben an dich mit meiner Unterschrift war eine reine Formalität.“
Formalität! Addie lächelte verächtlich. Eine tolle Fußnote für eine Ehe, die nur aus geschäftlichen Erwägungen geschlossen wurde.
Jedenfalls, was Marcus betraf.
„Alles klar?“, fragte er. „Oder wolltest du sonst noch was von mir?“
Ein Schauer überlief sie. Was meinte er mit sonst noch? Oder war das nur eine höfliche Floskel? Irgendwie spürte sie, dass er sie herausfordern wollte.
Dieser Teufel! Falls er über ihre Beziehung reden wollte, sollte er es sagen. Ihn anzurufen, war nur ein notwendiges Übel gewesen. Sie hatte keine Lust, Höflichkeiten mit ihm auszutauschen. Schon gar nicht über ihre Ehe …
Oder?
Ihre Wangen brannten. Sie hatte Marcus aus Wut angerufen, weil sie sich durch den Brief herausgefordert fühlte. Jetzt klang ihre Empörung ab, und sie musste sich der Wahrheit stellen.
Sie hätte den Brief einfach ignorieren können. Oder sich mit King Industries über einen Anwalt oder Dritte auseinandersetzen können.
Verletzt und wütend, wie sie immer noch war, hatte sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt, um mit ihm zu sprechen. Impulsiv und hirnlos hatte sie aus einem Moment der Schwäche heraus gehandelt – wie viele Liebende, die sich an Illusionen klammerten.
Doch sie hatte nicht die Absicht, mit dem Mann, der auf ihrem Herzen herumgetrampelt war, über ihre gescheiterte Ehe zu sprechen – und schon gar nicht über den Unfall, der ihr Leben verändert hatte.
Addie atmete tief durch. Hier ging es nicht um Persönliches, sondern um die Rettung ihrer Kinderhilfe, die auf Marcus Kings Spenden angewiesen war.
„Nichts ist klar“, erwiderte sie. „Du magst mir die Gelder nicht persönlich gestrichen haben, aber das ändert nichts an der Situation.“
Ihr Herz raste. Mit Wut oder Vorwürfen würde sie Marcus nicht dazu bringen, seine Meinung zu ändern. Es war besser, nette, versöhnliche Töne anzuschlagen. Nervös befeuchte sie sich die Lippen. Ruhig bleiben und mit Fakten argumentieren! Die Spenden waren lebenswichtig für ihr Kinderprojekt. Jetzt erst mal vorsichtig den Boden abklopfen.
Entschlossen warf sie den Kopf zurück. „Ich würde es dir hoch anrechnen, wenn du die Streichung der Gelder rückgängig machen könntest.“
Marcus lehnte sich auf seinem Sitz zurück. Eine verständliche Bitte. Die nur er ihr erfüllen konnte.
Oder auch nicht.
„Wie gesagt“, er schlug einen freundlichen Ton an, „mich erreichen viele Spendenbitten. Du müsstest doch genug spendenfreudige Geldgeber in Miami kennen.“
„Sicher“, pflichtete Addie ihm schnell bei. „Aber unsere Arbeit mit Kindern ist unglaublich wichtig und in der Stadt wirklich einmalig.“
Marcus stand auf und streckte sich. Sollte er sich auf eine längere Unterhaltung einlassen? Der Spendenbeitrag würde in seinen Milliarden nicht einmal eine Delle hinterlassen. In Minutenschnelle konnte er eine neue Spendenzusage aufsetzen lassen, unterschreiben und Addie für immer loswerden.
Oder ihr eine klare Absage erteilen, das Telefonat beenden und sie aus seinem Leben verbannen.
Ein komisches Ziehen in der Brust hielt ihn davon ab. Dass Addie sich endlich bei ihm gemeldet hatte …
„Mag sein“, erwiderte er schließlich. „Aber um mich dazu zu bringen, die Spendenzusage zu erneuern, müssten außergewöhnliche Umstände vorliegen.“
Das Handy in Addies Hand erschien ihr auf einmal so gefährlich wie eine Schlange. Langes, angespanntes Schweigen folgte. Sie befeuchtete die Lippen. Marcus’ Erklärung klang harmlos, aber sie spürte, was sich dahinter aufbaute. Doch nachdem sie so weit vorgestoßen war, blieb ihr nichts anderes übrig als weiterzumachen.
Addie atmete tief ein. „Was für außergewöhnliche Umstände?“
Ihre Stimme klang viel zu hoch – zu dünn. Für ihre angespannten Nerven fast verzweifelt. Marcus sollte glauben, es ginge ihr bestens. Er musste die tolle, für ihn unerreichbare Erfolgsfrau in ihr sehen.
Beharrlich starrte sie auf das Schreiben auf ihrem Schreibtisch. „Was für Umstände?“, wiederholte sie geduldig.
Eine Weile blickte Marcus aus dem Fenster. Die Sonne überzog den Himmel mit einem blassgoldenen Schimmer. Es versprach ein strahlend schöner Tag zu werden.
Ironisch lächelnd erwiderte er schließlich: „Tja, damit müsste ich mich genauer befassen.“ Er schwieg und genoss die Spannung, die die Leitung erfüllte. „Sehr genau sogar. In jedem Fall müsste ich mich ausführlich mit dem Spendenbewerber unterhalten. Persönlich.“
„Was?“ Addie stockte der Atem. „N… nein!“, brachte sie stockend hervor. „Ich halte das für keine gute Idee.“
„Ich schon. Es ist nicht meine Art, Gelder an jedermann zu verteilen.“
„Ich bin nicht jedermann … sondern deine Frau“, brauste Addie auf.
Zu spät wurde ihr bewusst, dass sie Marcus in die Falle gegangen war.
„Ein Grund mehr, uns zu treffen“, erwiderte er. „Um über unsere Ehe zu sprechen.“
Plötzlich bekam sie nicht genug Luft. Alle Alarmglocken schrillten. Wieso wollte er auf einmal über ihre Ehe sprechen? Hatte er den Verstand verloren?
„Kommt nicht infrage! Es wäre sinnlos, die Vergangenheit heraufzubeschwören“, erwiderte sie hitzig. „Belassen wir es dabei. Unsere Ehe war ein Irrtum!“
„Wirklich?“
Sie war eine Katastrophe!
Und das wusste Marcus auch.
„Natürlich.“ Ihr Herz raste, sie sprach viel zu schnell. „Ich weiß nicht, was ich mir damals gedacht habe.“
„Nein?“
Addie wurde heiß.
„Was zwischen uns war, hatte nicht viel mit Denken zu tun, Schatz.“ Er schien auf ihre Reaktion zu warten. „Weil wir uns die Kleider nicht schnell genug vom Leib reißen konnten.“
Addie schluckte, ihre Haut wurde feucht. Verrückte Empfindungen stürmten auf sie ein.
„Daran erinnere ich mich nicht“, flüsterte sie.
„Mir kannst du nichts erzählen, Schatz“, erwiderte er leise. „Die Sache im Aufzug kannst du gar nicht vergessen.“