Höfische Erlebnisse - Philipp zu Eulenburg - E-Book

Höfische Erlebnisse E-Book

Philipp zu Eulenburg

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Beschreibung

Philipp zu Eulenburg war ein preußischer Diplomat und enger Vertrauter des Deutschen Kaisers Wilhelm II. In seinen Geschichten finden sich die Höfe und Adligen der Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende. Unter anderem erzählt er vom Tod Ludwigs II. und viele andere Begebenheiten. Aus dem Inhalt: Das Ende König Ludwigs II. von Bayern Skizzen aus dem Orient In alten Schlössern Begegnung mit Graf Zeppelin. Am Hofe von England Die brennende Politik. Aus Briefen an den Kaiser. Die Majestäten von Berlin und Rom in Venedig 1896 Gräfin Morosini. Die Eröffnung des "Eisernen Tores" September 1896 Zwei Kaiser und ein König auf dem Wasser Frau Malwine von Dutschka Erzherzog Albrechts Tod und ein Kaiserbesuch Kaisergeburtstag und ein Duell Millenium in Budapest Wilhelmshöhe, Ischl und Zarenbesuch in Wien Fürstin Pauline Metternich Wiener Karneval ... u.v.m.

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Höfische Erlebnisse

Philipp Graf zu Eulenburg

Inhalt:

Philipp Graf zu Eulenburg – Biografie und Bibliografie

Höfische Erlebnisse

Vorwort

1. Teil - Das Ende König Ludwigs II. von Bayern

Einleitung

Aus dem Privatleben König Ludwigs II. und die finanziellen Schwierigkeiten.

Das Entstehen der Krise.

Die Entmündigung des Königs wird beschlossen.

Die Entmündigungs-Kommission begibt sich zum König, ihre Verhaftung und Flucht.

Der König wird in Schwanstein durch Dr. Gudden in ärztliche Obhut genommen und nach Berg gebracht.

Der König in Schloß Berg und die Katastrophe.

Meine Feststellung der Vorgänge bei Entdeckung der Spuren des Kampfes.

Unterredung mit dem deutschen Kronprinzen und ein unheimliches Wiedersehen.

Anhang

2. Teil - Historische Begegnungen

Skizzen aus dem Orient (1871/72)

Die Königin von Palmyra.

Abd el Kader.

Abschied vom heiligen Grabe

Ein gefährlicher Ausflug

Vizekönig Ismael von Ägypten und die Perlen der Counteß of Dudley

In alten Schlössern

Begegnung mit Graf Zeppelin.

Am Hofe von England

Die brennende Politik.

Tagebuch.

Aussee und Ischl 1895

Aus Briefen an den Kaiser.

Die Majestäten von Berlin und Rom in Venedig 1896

Gräfin Morosini.

Die Eröffnung des "Eisernen Tores" September 1896

Tagebuchnotizen.

Nachschrift 1903.

Zwei Kaiser und ein König auf dem Wasser

Ich trete meinen Botschafterposten in Wien an und besuche meine Kollegen

Fürstin Gabi Hatzfeldt

Frau Malwine von Dutschka

Erzherzog Albrechts Tod und ein Kaiserbesuch

Kaisergeburtstag und ein Duell

Millenium in Budapest

Wilhelmshöhe, Ischl und Zarenbesuch in Wien

Fürstin Pauline Metternich

Wiener Karneval

Botschafter Graf Nigra

Zum Tode des Kronprinzen Rudolf

"Mord" (Kaiserin Elisabeth)

"Die Schratt"

Pest in Wien!

Graf Tassilo Festetics

Baden – Cumberland

"Umsonst"

Graf Hans Wilizek

Kaiser Wilhelm II. und Houston Stuart Chamberain

Höfische Erlebnisse., Philipp zu Eulenburg

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849612184

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Philipp Graf zu Eulenburg – Biografie und Bibliografie

Deutscher Diplomat, geb. 12. Febr. 1847 zu Königsberg i. Pr., verstorben am 17. September 1921 in Liebenberg. Sohn des Grafen Philipp zu E. auf Liebenberg, trat 1866 in das Regiment Gardedukorps, mit dem er auch den Krieg 1870/71 mitmachte, unternahm 1871–72 Reisen im Orient und studierte darauf die Rechte. 1877 ging er zur Diplomatie über, wurde 1879 Botschaftssekretär in Paris, 1881 in München, 1888 preußischer Gesandter in Oldenburg, 1890 in Stuttgart, 1891 in München, 1894 deutscher Botschafter in Wien, schied aber im November 1902 wegen schwerer Erkrankung aus dem diplomatischen Dienst aus. Vertrauter des Kaisers Wilhelm II., der ihn 27. Jan. 1900 zum erblichen Mitgliede des preußischen Herrenhauses ernannte und ihn wiederholt zum Begleiter auf den Nordlandreisen erwählte, machte sich E. auch als Dichter und Liederkomponist (»Rosenlieder«) bekannt. Er veröffentlichte: »Skaldengesänge« (Braunschw. 1892, illustriert von O. Seitz), »Das Weihnachtsbuch« (Stuttg. 1892), »Abenderzählungen, Märchen und Träume« (das. 1894) und gab die Briefe des Grafen Friedrich von Eulenburg aus Ostasien heraus.

Höfische Erlebnisse

Vorwort

Die nachfolgende Arbeit "Das Ende König Ludwigs II. von Bayern" ist zwar vom Verfasser selbst mit einer Einleitung versehen worden und bedürfte somit keiner besonderen Einführung, dennoch hielt ich es für notwendig, einige Worte über die Entstehung dieser dramatischen Aufzeichnung zu sagen, denn nur so kann deren geschichtlicher Wert richtig eingeschätzt werden.

Die Niederschrift erfolgte unmittelbar nach der aus nächster Nähe miterlebten Katastrophe, einschließlich aller damit verbundenen Krisen – also noch völlig unter dem Eindruck dieser Erlebnisse. Gedächtnisfehler sind daher ausgeschlossen. Nur einige erklärende Fußnoten und die wörtliche Zitierung aus Dr. Müllers Schrift sowie der Bericht des Friseurs sind vom Verfasser später eingefügt.

Es ergibt sich aus dieser authentischen Schilderung somit unter anderem auch eindeutig, daß der unglückliche König nicht fliehen wollte, wie später, manchmal auch noch in jüngster Zeit, behauptet wurde, sondern daß er den Tod in geistiger Umnachtung suchte und fand.

Doch nicht nur geschichtlich, sondern auch politisch hat diese Aufzeichnung ihre Bedeutung, denn sie gewährt Einblicke in den damals komplizierten diplomatischen Verkehr der Bundesstaaten untereinander, trotz des "geeinten" Reiches.

Die Tätigkeit der preußischen Vertretung in Bayern trat damals besonders in den Vordergrund. Es galt den Reichsgedanken gegenüber den partikularistisch- ultramontanen Sonderbestrebungen energisch aufrecht zu erhalten und zu stärken.

Daß der junge Sekretär und Geschäftsträger, dem der Gesandte freie Hand gelassen hatte, diese schwierige Aufgabe erfolgreich durchführte, geht aus dem anerkennenden Schreiben des so einflußreichen Geheimrats von Holstein vom 13. Juni 1886 (Anhang S. 114) wie aus dem Brief des Grafen Herbert Bismarck vom 22. Juni 1886 (Anhang S. 123) hervor.

Diesem ersten Briefe Holsteins folgten im Laufe der Jahre hunderte und hunderte. Daß die Veröffentlichung des umfangreichen politischen Nachlasses Philipp zu Eulenburgs (mit Ausnahme einiger kleineren Arbeiten, wie König Ludwigs II. Ende) laut letztwilliger Verfügung noch nicht erfolgen durfte, ist sehr bedauerlich, denn seine Zeitgenossen werden dies kaum noch erleben – und die neue Generation, in so viel freieren und gesünderen Anschauungen erzogen, wird nicht mehr beurteilen können, wie weit Ph. Eulenburg seiner Zeit vorangegangen war.

Die Aufzeichnungen des II. Teiles dieses Buches sowie des nachfolgenden zweiten Bandes sind nur als Rahmenschilderungen zu den politischen Geschehnissen zu bewerten. Ich weise den Leser hierauf besonders hin, damit er sich nicht aus diesen unterhaltenden Schilderungen ein Bild des Politikers und ernsten Arbeiters Ph. Eulenburg macht, denn dies wäre irreführend. Ph. Eulenburg war aber auch ein sehr feiner Beobachter und besaß viel gesunden Humor. Dadurch wirken alle seine Erzählungen so besonders lebendig und sind als Zeitbild nicht hoch genug einzuschätzen.

Die hin und wieder vorkommenden spöttischen Äußerungen, vielleicht verwunderlich für einen Mann der alten Tradition, werden verständlich, wenn man weiß, daß er als völlig eigenwegige Natur niemals von äußerem Prunk oder höfischem Nimbus beeindruckt war, sondern stets nur den Menschen im Menschen sah und beurteilte.

Wie bekannt, war er auch der Einzige aus der Umgebung Kaiser Wilhelms II., der diesem stets freimütig seine Meinung sagte und, wenn er es für nötig hielt, ihm auch widersprach.

Die Form, die er in politischen Briefen dazu wählte, war je den Umständen entsprechend bald sehr ernst, bald mit heiteren Erzählungen gewürzt, um die nachfolgende bittere Pille etwas schmackhafter zu machen. Ein Beispiel dieser Art finden wir in der Schilderung der Besuche in Aussee und Ischl, wo ernste und wichtige Fragen erörtert wurden und dem Kaiser vorgelegt werden mußten.

Entstanden sind diese Aufzeichnungen nicht in einem Guß, wie "König Ludwigs Ende", sondern sie wurden nachträglich vom Verfasser bei Sichtung seiner Korrespondenzen und Tagebücher zusammengestellt und mit verbindendem Text versehen.

Um dem Leser auch ein Bild des jugendlichen, völlig unpolitischen Ph. Eulenburg zu vermitteln, wurden hier die "Skizzen aus dem Orient" beigefügt.

Die Herausgeberin.

1. Teil -Das Ende König Ludwigs II. von Bayern

Erlebnisse des Grafen Philipp zu Eulenburg, Legations-Sekr. bei der K. Preußischen Gesandtschaft München, im Sommer 1886

Einleitung

Im Jahre 1881 war ich als Botschaftssekretär der Deutschen Botschaft in Paris zugeteilt.

Deutscher Botschafter war dort Fürst Clodwig Hohenlohe- Schillingsfürst (später Reichskanzler), Botschaftsrat: Freiherr von Thielmann (später Staatsminister und Staatssekretär des Reichsschatzamtes), zweiter Sekretär: Bernhard von Bülow (später Fürst und Reichskanzler), dritter Sekretär: ich, Attaché: Prinz Max Ratibor (später Botschafter), Militär-Attaché: von Bülow (später Kommandierender General des III. Armeekorps).

Ein seltsames Häuflein von Menschen, die Karriere gemacht haben.

Ich schloß damals eine enge Freundschaft mit Bernhard von Bülow, die für moderne Zeiten immerhin die bemerkenswerte Dauer von mehr als 25 Jahren hatte.

Aber es verband mich damals auch eine feste Freundschaft mit Graf Herbert Bismarck, der in jener Zeit der Kanzlei seines Vaters zugeteilt war.

Dieser Beziehung verdankte ich die Annehmlichkeit, daß meine Wünsche in dienstlicher Hinsicht leicht erfüllt werden konnten. So wurde mir auch, als ich den großen Schmerz erlitt, 1881 in Paris mein geliebtes ältestes Töchterchen, die kleine Astrid, ein Kind von 2 Jahren, zu verlieren, der Wunsch erfüllt, Paris zu verlassen, das mir in meinem Kummer unerträglich geworden war.

Mein Freund Herbert schlug mir den Posten des einzigen Sekretärs bei der Preußischen Gesandtschaft in München vor, den ich mit Freuden annahm.

So siedelte ich schon im Sommer desselben Jahres nach München über, wo ich bald in die besten Beziehungen zu meinem Chef, dem Grafen Georg von Werthern, trat. Er war der Herr der Grafschaft Beichlingen in Thüringen, vermählt mit Gertrud von Bülow und leitete schon eine ganze Reihe von Jahren die Münchener Gesandtschaft.

Er war im Jahre 1816 geboren, also ein Herr von 65 Jahren. Ich meldete mich, den 31 Lebensjahre von ihm trennten, bei diesem liebenswürdigen Vorgesetzten, und der Altersunterschied hinderte uns nicht, bald gute Freundschaft miteinander zu schließen, die wir nicht nur während der Dauer eines sechsjährigen dienstlichen Zusammenlebens, sondern darüber hinaus uns treu bewahrten.

Werthern war ein Original. Körperlich und geistig beweglich wie ein Jüngling, trug Kleider von seltsamem Schnitt und Hüte von merkwürdiger Form. Er war ein Mann von liberalen Anschauungen und hatte seinen Verkehr fast ausschließlich in der Gesellschaft der Münchener Gelehrten- und Künstlerwelt, zu der auch ich mich mit meinen Anschauungen, Neigungen und Anlagen gezogen fühlte.

Die sogenannte bayrische "erste" oder Hofgesellschaft war dem Grafen Werthern ein Greuel. Stark antikatholisch (sogar antikirchlich), stand er diesen Kreisen, denen er durch seine vornehme Geburt zugehörte, fast gegensätzlich gegenüber, was bei mir allerdings nicht der Fall war. Ich hatte auch in diesen Kreisen meinen Anhang, wenngleich in jenen Jahren immer noch eine innerliche Verbissenheit die aristokratischen Kreise von der preußischen Gesandtschaft trennte.

Das Gefühl einer festen Zugehörigkeit zu dem neuen Deutschen Reich war damals nur in jenen Kreisen der Kunst und Wissenschaft zu finden, denen sich Graf Werthern angeschlossen hatte, und zwar so fest, daß er von der Hofgesellschaft kaum mehr als ein Mitglied betrachtet wurde.

Daran war sehr wesentlich aber die Haltung schuld, die er, bald nach dem Kriege von 1866 in München zum Gesandten ernannt, dort eingenommen hatte. Seine Politik in den schwierigen Jahren nach 1866 war in Bayern so erfolgreich gewesen, daß bei dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges Schwierigkeiten in politischer Hinsicht in Bayern kaum noch zu überwinden waren mit Ausnahme des Königs, den zu gewinnen andere Kräfte mit Erfolg tätig waren.

Die Münchener altbayrische Aristokratie verzieh dem Grafen Werthern dieses Wirken von 1866 bis 1870 nicht, und auch um mich bewegten sich diese Kreise noch nur wie Katzen um einen heißen Brei.

Immerhin muß ich sagen, daß man mich und meine Gattin gern sah – während dieses von meinem geistvollen und gütigen Freunde Werthern nicht behauptet werden konnte.

Als der Schwiegersohn Bismarcks, Graf Kuno Rantzau, durchaus den Münchener Gesandtenposten erhalten sollte, setzte ich mich so energisch für Wertherns Verbleiben in München ein, daß die Regierung Bayerns und der Prinz-Regent für die vorläufige Erhaltung Wertherns einen Schritt in Berlin taten.

Das hat mir mein alter Freund niemals vergessen.

Noch nach seinem Rücktritt 1888 suchte er mich gern in Liebenberg auf und bewahrte mir bis zu seinem Tode 1895 seine treue Freundschaft, die mir stets wertvoll geblieben ist.

Graf Werthern nahm alljährlich zu Anfang des Monats Juni einen Sommerurlaub nach seinem schönen Beichlingen, um dort den privaten Interessen und Geschäften seines Hauses nachzugehen. Erst Anfang Oktober kehrte er nach München zurück. In der Zwischenzeit hatte ich selbständig die Geschäfte der Gesandtschaft zu führen.

Um meiner Familie die Sommerzeit in der Stadt zu ersparen, mietete ich stets in dem nahen Starnberg ein Quartier, wo wir am Ufer des herrlichen Sees glückliche Zeiten verlebten.

Der sehr tüchtige und vortreffliche Vorstand der Gesandtschafts- Kanzlei in München, Hofrat Schacht, brachte mir eilige Sachen zur Unterschrift nach Starnberg oder rief mich telegraphisch nach München, wenn meine Anwesenheit dort erforderlich war.

Das Jahr 1886 sollte jedoch in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Störung erfahren.

Welcher Art diese war, habe ich in den nachfolgenden Mitteilungen als eines der seltsamsten Erlebnisse meines an merkwürdigen Erlebnissen reichen Lebens aufgezeichnet.

I.

Aus dem Privatleben König Ludwigs II. und die finanziellen Schwierigkeiten.

Die Schulden König Ludwigs waren bis zum Frühjahr 1886 lawinenartig angewachsen. Schon im Jahre 1884 hatte der Finanzminister von Riedel, einer der klügsten Männer, die Bayern hervorgebracht hat, eine Anleihe von 7½ Millionen für die kgl. Kabinettskasse zustande gebracht, allein schon am 29. August 1885 beauftragte ihn wieder der König, eine neue Anleihe von 6½ Millionen herbeizuführen. Die Vorstellung des Ministers, in welcher er die bedrängte Lage der Kabinettskasse darstellte, zog ihm einen Verweis darüber zu, daß er es gewagt habe, sich in dieser Frage direkt "an die Majestät" zu wenden. Dieser Verweis aber wurde ihm durch einen Stalldiener überbracht.

Herr von Riedel antwortete mit seinem Entlassungsgesuch, dem sich, im Fall der Gewährung, die anderen Minister anschließen wollten – aber in einem gnädigen Schreiben bat der König Herrn von Riedel, in seinem Amte zu bleiben.

So war die Krise der Kabinettskasse immer schärfer geworden, und es standen bereits gerichtliche Klagen gegen sie in Aussicht.

Unter diesem Eindruck versuchte der König, sich auf Privatwegen Geld zur Deckung seiner Schulden zu verschaffen. Sein langjähriger intimer Vertrauter, der Marstall-Fourier Hesselschwert , mußte nach Regensburg fahren, um bei dem Fürsten Thurn und Taxis ein Anlehen von 20 Millionen aufzunehmen; dann kamen die Kaiser von Österreich und Brasilien, die Könige von Belgien und Schweden, selbst der Sultan und der Schah von Persien, diese letzteren wenigstens in Gedanken und Plan, an die Reihe. Und würden solche Anleihe-Versuche fehlschlagen, so war Befehl gegeben, Leute zu werben, die bei den Banken in Stuttgart, Frankfurt, Berlin und Paris einbrechen sollten.

Ein anderer Sendbote, aus dem kgl. Stall, war beauftragt, nach Indien zu einem gewissen Nabob zu gehen, zog es aber vor, die Reisediäten in München beim Biere zu verzehren und schließlich zu erklären, der Nabob sei vor seiner Ankunft in Indien an der Cholera gestorben.

Bei dieser öffentlich allenthalben besprochenen Kalamität gingen die Bestellungen und Aufträge des Königs ihren gewohnten Gang. Namhafte Künstler, wie Hermann Kaulbach u.a. erhielten Aufträge, Skizzen für die Ausschmückung des Schlosses Falkenstein, das auf einem fast unzugänglichen Berggipfel in Tirol gebaut werden sollte, zu liefern. Außerdem lagen Baupläne für ein chinesisches Schloß vor, die der Kgl. Baumeister Prantl entworfen hatte.

Dieser spielte in den letzten Lebensjahren des Königs eine sehr verderbliche Rolle. Er war das billige Werkzeug bei der Ausführung aller Bauten, die die wahnsinnige Phantasie des unglücklichen Monarchen ersann und wußte sich dabei geschickt in der Gunst des Königs zu erhalten, indem er diesem Vorschüsse aus seinen riesigen Einkünften bei der Leitung der Schloßbauten machte. Er bot mehrfach sogar dem König einen Kredit von 1–2 Millionen an – während er doch vor der Übernahme der Kgl. Bauten nicht das geringste Vermögen besaß. Durch diese Art, seine "Treue" zu zeigen, war es ihm geglückt, sich bis zum Lebensende des Königs dessen Vertrauen zu bewahren. Denn noch als der König in den Tagen der Junikrise in Schwanstein über seinen Tod brütete, telegraphierte er an Prantl, ihm zu Hilfe zu kommen. Aber er ließ seinen Herrn im Stich, weil das "Geschäft" zu Ende war.

Der König beschäftigte sich nicht nur mit seinen Bauplänen, sondern besonders auch mit den Details der Ausschmückung seiner Schlösser . Das erweckte lange Zeit den Eindruck, als befasse er sich ausschließlich mit der Kunst. So entwarf er selbst den Plan für den großen Pfau in Edelsteinen, der als Mosaik den Fußboden des Prunksaales von Falkenstein schmücken und aus Diamanten, Rubinen und Smaragden bestehen sollte, während sein Wert auf mehr als 250 000 M. bemessen war. Es erregte solcher Luxus wohl Kopfschütteln; aber es war sein völlig abgeschlossenes Leben, dazu sein ausschließlicher Verkehr mit Menschen, die tief in ihrer Bildung und sozialen Stellung unter ihm standen, worüber die Bevölkerung allmählich in Unruhe geriet, ohne doch in ihrer großen Loyalität darüber laut zu werden.

Noch im Jahre 1884 hatte der König die Vorträge des Kabinettssekretärs von Ziegler ziemlich regelmäßig persönlich entgegengenommen. Dieser war ein liebenswürdiger Mann, mit dem ich häufig verkehrte. Sehr diskret. Doch hatte er nicht sein volles Vertrauen. Die Vorträge mußte er während der letzten Lebensjahre des Königs hinter einem Schirm halten, da der König ihn nicht zu sehen wünschte. Seine Adjutanten sah König Ludwig jedoch damals schon nicht mehr. Aber auch den Verkehr mit dem einzigen, ihm an Bildung näherstehenden Menschen hatte er aufgegeben, als Herr von Ziegler entlassen wurde und Ministerialrat Schneider an dessen Stelle trat.

Dieser spielte nur die Rolle eines Schreibers, während der Verkehr zwischen dem König und seinen Ministern sowie höchsten Hofchargen durch die Hand des Kammerlakaien Meier, des Marstall-Fouriers Hesselschwert und der Brüder Sedlmeier schriftlich, auch wohl mündlich vermittelt wurde. (Reitknechte und Fouriere.)

Kurz vor der Juni-Krise 1886 waren es der zu ihm kommandierte Cheveauxleger Weber und der Hoffriseur Hoppe, die als Vermittler bei den ernstesten Staatsgeschäften benutzt wurden.

Die Zuteilung von Soldaten zu dem Dienst des Königs war zunächst infolge der Mißhandlungen des Dienstpersonals durch den König vorübergehend eingetreten, denn die entstandenen Lücken in den Rechen der Lakaien waren nicht anders auszufüllen.

Der vertraute Verkehr, der sich nun aber mit ihnen entwickelte, wenn sie ihren schweren Dienst als Lakaien und selbst als Kammerdiener unter den schwierigen Formen "chinesischer Hofetikette" (zu der z. B. das Präsentieren der Gerichte mit abgewandtem Gesicht, das "Auf-dem-Boden-Kriechen" usw. gehörte) nach Wunsch versahen – war es hauptsächlich, was das Publikum verletzte und was auch schließlich den Rücktritt des Kriegsministers von Maillinger veranlaßte, der sich der "Herabwürdigung" von Soldaten zu widersetzen versuchte.

König Ludwig hatte den fortgesetzten Soldaten-Kommandierungen zugestimmt, nachdem Hesselschwert sie ihm vorgeschlagen hatte und ein Cheveauxleger seinen Vorschlag unterstützte. Das war ein Soldat, der im Frühjahr 1885 seinen im Stall des Königs dienenden Bruder besuchte und den der König bei dieser Gelegenheit sprach. Er nahm ihn, zum höchsten Erstaunen der mitwirkenden Schauspieler, in eine seiner Separatvorstellungen im Opernhause mit und entließ ihn sodann mit einer goldenen Uhrkette und einem 1000-Mark- Schein.

Dieser Chevauxleger war damals als Bursche zu dem mir näher bekannten Rittmeister Baron Falkenhausen kommandiert, und die Baronin erzählte mir, daß er seit jenem Theaterbesuch die Pferde mit Handschuhen geputzt habe, weil der König ihm gesagt hatte, daß er seine Finger besser pflegen möge.

Der Verkehr des Königs mit den zu ihm kommandierten Chevauxlegers und Stalleuten trug einen theatralischen, phantastischen, oft aber kindischen Charakter, denn zu den Belustigungen des Königs gehörten auch die Trinkgelage in der Hundingshütte im Walde bei Linderhof, wo im orientalischen Pavillon des Linderhofs oder an anderen Orten, wo man auf Fellen oder Teppichen verkleidet gelagert, rauchte und aus großen Schalen und Humpen trank, wo auch die Soldaten und Stallbuben "Ringelstechen", "Blindekuh" und andere kindliche Spiele spielten. Zur Feier des Geburtstages des Chevauxlegers Weber, der ein sehr gewandter und dabei heiterer Mensch war, legte bei einer solchen Belustigung der König sogar die Chevauxleger-Uniform des Regiments an, zu dem Weber gehörte.

Ich schalte hier eine Aufzeichnung ein, die ich mir nach einem Gespräch mit Hoffriseur Hoppe machte, dem ich bei einer Fahrt auf dem Dampfboot bei Starnberg ein Jahr nach dem Tod des unglücklichen Königs begegnete. Die Mitteilung Hoppes wirft speziell ein Licht auf den Einfluß jenes Weber, der in den letzten Lebensjahren König Ludwigs fast maßgebend für die Entschlüsse des kranken Monarchen war. Hoppe aber, "nachdem alles vorüber war", glaubte nun auch ohne Scheu über die "Hof-Angelegenheiten" mit mir sprechen zu können.

Starnberg, den 19. Juli 1887.

Ich sprach auf dem Dampfboot den Friseur Hoppe, der seit 1881 auch mich bediente. Er erzählte voller Anhänglichkeit von König Ludwig und behauptete, daß ihn nur die unseligen Geldkalamitäten in das Verderben geführt hätten. Auch sei er nur mißgeleitet und nicht wahnsinnig gewesen. "Man hatte dem König eingeredet", fuhr er fort, "daß man ihn auspfänden würde, und davor hatte er diese Todesangst. Das waren immer die Kanaillen Hesselschwert, Maier und die Kammerdiener, die ihn ängstigten. Ich riet öfters dem König, er möge doch irgendeinen Mann, einen Adjutanten, oder etwas ähnliches wie einen Minister, zu sich nehmen, aber dann sagte er nur: "Hoppe, Sie sind immer sentimental." Die Ausdrücke, die er überhaupt hatte – auch wenn er von den Ministern sprach – sind in keinem Lexikon zu finden, die kann man gar nicht wiederholen."

Als ich Hoppe fragte, ob die zum König kommandierten Chevauxleger ihren Einfluß sehr mißbraucht hätten, sagte er. "Nein, nicht so sehr. Als Soldaten mußten sie ihrem obersten Kriegsherrn gehorchen und konnten nicht was Besonderes verlangen – auch nicht drohen, wie die anderen, die immer sagten, sie würden allerhand Verrücktes vom König erzählen, wenn sie nicht Geld bekämen. Der Chevauxleger Weber, der wußte nun allerdings darauf zu laufen – aber er war doch kein schlechter Kerl.

Ich habe niemals vom König ein Geschenk bekommen. Zuletzt hat er mir 10 000 Mark versprochen, die habe ich aber nicht erhalten als es aus war. Bei Weber ging es mit den Geschenken gar nicht zu Ende. Er war Schriftsetzer von Beruf und konnte auch stenographieren – auch ein bißchen Französisch wußte er –, er war der geborene Kammerdiener. Zuerst tat er den zweiten Dienst, nachher den ersten, und da wollte der König keinen anderen mehr. Einmal hatte er drei Monate hintereinander Dienst gehabt, Tag und Nacht; da kam er mit seiner Gesundheit ganz herunter und erklärte, er macht nun nicht mehr mit. Deswegen sperrte der König ihn 14 Tage ins Gefängnis, natürlich wurde dem König "was vorgemacht". Während dieser Zeit ließ ihm der König Wein und Bier bringen, und das sollten wieder die Gefängniswärter nicht wissen. So ging es immer. Nachher ging die Sache wieder eine Zeitlang, dann aber machte Weber einen Fehler beim Servieren, und da klemmte ihm, während er aus Angst vor Schlägen hinaussprang, der König drei Finger in der Türe fast ab. Nun war Weber krank, und der König erkundigte sich, wie es ihm ginge. Als er wieder gesund war, wollte er nicht mehr bleiben, aber da kam sein Geburtstag, an einem Tag mit der Königin-Mutter, und da schenkte ihm der König Manschettenknöpfe mit den königlichen Insignien: ein "L" in Diamanten mit s.l.A. – seinem lieben Alfons. Nun ging es wieder bis zu der Zeit, wo Weber vom Militär frei wurde. Da hatte der König nichts mehr zu befehlen, und Weber ging deshalb nach München. Aber der König hatte keine Ruhe. 40 Chevauxlegers wurden nacheinander kommandiert, aber mit dieser Bedienung ging es nicht. Weber mußte wieder kommen. Er bekam gleich als Anfang 2000 Mark bar und eine große goldene Uhr mit goldener Kette – dick wie eine Pferde-Kinn-Kette. Hesselschwert hatte dem König vorgeredet, er solle nur immer geben – später könnte man alles wieder einziehen.

Zum Schluß verschrieb der König Weber 25 000 Mark und schenkte ihm den großen goldenen Gralsbecher und den goldenen kleinen Hausaltar aus Schwanstein. Auch die Agraffe Edelweiß mit dem großen Diamanten, die der König immer am Hut trug, verschrieb er ihm. Nach dem Tode des Königs wollte man Weber nichts geben – mir auch nicht. Aber Weber gab alle Scheine vom König über alle seine Geschenke an den Rechtsanwalt. Außerdem hatte er von allen königlichen Befehlen stenographische Notizen zurückbehalten, und in den Notizbüchern des Königs hatte er viele Versprechen mit den großen königlichen Siegeln – da hat man ihm denn alles gelassen. Er hat sich jetzt eine Buchdruckerei gekauft."

Soweit die Mitteilungen des "Hoffriseurs".

Hoppe hat seiner Frau in Starnberg eine Sommerwohnung genommen, wo sie ihr rekonvaleszentes Söhnchen pflegt. Dieser Luxus eines bisher recht bescheidenen Friseurs dürfte wohl auf einige königliche Geschenke zurückzuführen sein.

Ich hatte von den mir durch Hoppe mitgeteilten Vorgängen, über die bis zum Tod des Königs tiefes Schweigen bewahrt wurde, wenig gehört. Auch hatte Hoppe mir gegenüber im allgemeinen diskret geschwiegen, so wie ich nicht in der Lage war, dem Hoffriseur indiskrete Fragen zu stellen. Erst ein Jahr nach dem Tode des unglücklichen Königs, bei jener Dampfschifffahrt, wurde er zum ersten Male "vertraulich".

Ich muß hier ausdrücklich feststellen, daß ich die Loyalität – und auch die Diskretion – des bayerischen Volkes in jenen Jahren, da der Wahnsinn des Königs immer unverhüllter hervortrat, bewundert habe.

Daß ich in verhältnismäßig breiter Form die vorstehenden Tatsachen wiedergab, hielt ich für erforderlich zum Verständnis der sich zu einer grauenvollen Katastrophe entwickelnden Ereignisse, die ganz Europa in Aufregung versetzten.

II.

Das Entstehen der Krise.

Im März 1886 trat ich eines Morgens in das Zimmer des Gesandten Grafen Werthern. "Soeben war der Flügeladjutant Dürkheim bei mir", sagte er. "Er legte mir drei Briefe des Königs vor, in denen er Dürkheim beauftragt, in England Geld für ihn zu beschaffen. Der Herzog von Westminster und andere seien in der Lage, die verlangte Summe vorzustrecken. Wenden Sie sich zur Vermittlung der Bekanntschaft an den Botschafter Hatzfeldt (Prussien), schreibt der König wörtlich, aber Dürkheim zieht es vor, durch meine Vermittlung an Hatzfeldt zu gehen."

Graf Werthern fuhr fort, daß er eine abweisende Antwort von Hatzfeldt besorgen wolle, da man unmöglich die Kalamitäten um eine Schuldenlast erhöhen dürfe. Über diesen Vorfall berichtete der Gesandte nach Berlin. Er hob in seinem Bericht hervor, daß der Inhalt des königlichen Briefes durchaus logisch sei, daß Graf Dürkheim von der völligen Geistesklarheit des Königs überzeugt sei und daß sich die Gerüchte über die ernstlich angegriffenen Geisteskräfte des Königs möglicherweise als böswillige Erfindung derjenigen Partei darstellten, die dem Hause des Prinzen Luitpold bzw. der ultramontanen Partei gefällig sein wollte.

Diese Meinungsäußerung des Gesandten, der ich deshalb nicht zustimmte, weil sie dem Bilde entgegenlief, das ich mir nach meinen Informationen von dem Geisteszustand des Königs machen mußte, langte zu einer Zeit in Berlin an, als Fürst Bismarck einen eigenhändigen Brief von König Ludwig selbst erhalten hatte, in dem der König den Kanzler bat, ihm einen Rat über die Art zu erteilen, wie er die Verwirrung seiner Finanzen lösen könne.

Der Fürst, unter dem Eindruck der Vernunft, die sich in dem Schreiben des Königs aussprach, die auch durch den Bericht Wertherns eine Bestätigung zu erhalten schien, aber auch mit der Absicht, ein Ende der unhaltbaren Zustände herbeizuführen, gab dem König den Rat, sich an die Kammern mit dem Auftrag zu wenden, eine Ordnung der Geldverhältnisse herbeizuführen.

Ob es dem Fürsten Bismarck bekannt war, daß der Unwille und Widerwille innerhalb der Häuser des Landtages bereits zu mächtig geworden war, um von dieser Seite einen Erfolg erhoffen zu können, und ob es ihm bekannt war, daß die Minister seit langer Zeit alles daran setzten, um die Kammern aus dem Spiel zu lassen, da sie von dieser Seite die Herbeiführung einer akuten Krise befürchteten – weiß ich nicht. Jedenfalls war der Rat nicht geeignet, die Klärung zu schaffen, die der König erwartete.

Durch den Rat des Fürsten aber, den der König sofort befolgte, wurde tatsächlich der drohende Stein ins Rollen gebracht. Minister von Lutz sagte mir: "Der Reichskanzler hat uns eine böse Sache eingerührt, ich weiß nicht, wie wir da hinauskommen werden." –

Der König befahl – wie mir Lutz vertraulich mitteilte –, es solle eine Einwirkung auf die Volksvertretung erfolgen und an diese das Verlangen gestellt werden, "zur Erfüllung der Untertanenpflicht des Volkes und um diesem wieder die Allerhöchste Gunst zuzuwenden", die Mittel, nicht nur zur Deckung der Schulden der Kabinettskasse, sondern auch die Mittel zum Weiterführen der vom König befohlenen Bauten zur Verfügung zu stellen.

Das Ministerium trat daher mit den Kammern in vertrauliche Fühlung und Besprechung, die aber, wie zu erwarten war, ein negatives Resultat hatte, indem ein Zweifaches konstatiert wurde, "einmal, daß eine unrefundierliche Leistung von Landesmitteln an die Kabinettskasse nicht die mindeste Aussicht auf Erfolg habe, und daß zweitens auch eine Kreditvorlage, wonach der Kabinettskasse ein verzinsliches und refundierliches Darlehen vom Staate gewährt werden sollte, keine entsprechende Mehrheit in der Abgeordnetenkammer finden würde".

Wörtlich berichtet das Vorstehende das Gesamtministerium am 5. Mai 1886 in einer den furchtbaren Ernst der Lage in seiner ganzen Wahrheit darlegenden Vorstellung an den König, ihm aber auch Mittel und Wege zu den nötigen Einschränkungen und Ersparnissen zeigend und mit der Bitte schließend, "behufs persönlichen Verkehrs mit der Welt und mit den jeweiligen Trägern seiner Regierung", in seine Residenzstadt zurückzukehren und "sich selbst Ruhe und Frieden, dem Vaterlande aber Glück und Heil zu bescheren".

Ich habe diese Vorstellung bei Minister Lutz gelesen, die bei aller Devotion der Sprache zwischen den Zeilen die stärksten Anklagen gegen den König enthielten und für den Mut des Ministeriums ein glänzendes Zeugnis ablegt. Denn nicht nur ihre Stellung setzten die Minister aufs Spiel, sondern auch ihre Zukunft konnte durch den zu Gewaltakten neigenden König schwere Schädigung erleiden.

Das Ministerium blieb auf dieses letzte Wort ohne Erwiderung, aber der König diktierte Lakai Meier für Hesselschwert: "Ich habe jene Meldung verworfen, denn jenem Pack kam es gar nicht zu, sich in Sachen zu mischen, die es nicht im geringsten angehen und für die es gar nicht da ist." Und am 11. Mai schrieb der König eigenhändig an denselben Vertrauten: "Ist die Kammer verstockt, dann auflösen, andere her und das Volk bearbeiten, schnell aber! Rasch vorwärts mit dem Schlafzimmer in Linderhof, St. Hubertuspavillon und mit dem Ausbau der Burg von Herrenwörth und Falkenstein. Mein Lebensglück hängt davon ab. Ziegler soll es erschinden, durchreißen, alle Schwierigkeiten besiegen und alle Hindernisse niederreißen, und baldigst ist die Hauptsache."

Der König gab aber noch in anderer Weise seinem Zorn über das Ministerium Ausdruck. Er beauftragte einen der Brüder Sedlmaier, den Minister Lutz zu ermorden und verbannte den Finanzminister Riedel nach Amerika.

Oberstallmeister Graf Holnstein erzählte mir, daß Sedlmaier zu ihm gekommen sei, um zu fragen, wie er seinen Auftrag ausführen solle? Er habe ihm die Antwort erteilt, "die Sache auf sich beruhen zu lassen". Ebenso ließ man den König in der Wahnvorstellung, daß Minister Riedel nach Amerika abgegangen sei. In klareren Augenblicken mag wohl der unglückliche König die erlassenen Befehle völlig vergessen haben.

In jener Zeit hatte der König auch die Absicht, ein neues Ministerium zu bilden und mit der Durchführung Hesselschwert und den Friseur Hoppe beauftragt. Letzterer, eine echte, ziemlich törichte Friseurseele, fühlte sich selbstverständlich durch seine politische Rolle außerordentlich gehoben.

Ich erfuhr von diesen seltsamen Vorgängen auf direktem Wege durch Friseur Hoppe selbst. Als ich in jenen Tagen sein Geschäft besuchte und zufällig allein in seinem "Salon" war, teilte er mir (im Flüsterton) mit, "daß er dem Justizminister Fäustle seine Entlassung im Auftrag des Königs überbracht habe". "Und was sagte der Minister?" fragte ich. "Nix", sagte Hoppe und fuhr fort: "Ich habe aber seinem Herrn Schwiegersohn angeboten, die Stelle zu übernehmen".

Die freundliche Absicht des gutmütigen Hoppe, die Familie Fäustle wenigstens bis zu einem gewissen Grade schadlos zu halten, soll, wie ich nachher vernahm, von dem Herrn Schwiegersohn sehr wenig freundlich bewertet worden sein. Meinerseits hatte ich mich dem Vorbild des vortrefflichen alten Herrn von Fäustle angeschlossen. Ich erwiderte auf Hoppes interessante Mitteilung auch "nix".

Der Zustand dieser Kalamität wurde nahezu unerträglich durch Intrigen, die die ultramontane Partei nun gegen das liberale und reichsfreundliche Ministerium Lutz in Szene setzte, indem sie die Verlegenheiten und die Lähmung desselben benutzte, durch die Unentschlossenheit des Prinzen Luitpold , des ältesten Agnaten, der das Ministerium bewegen wollte, den entscheidenden Schritt – d.h. wohl also die Absetzung – gegenüber dem König zu tun, während dieses allein den Prinzen dafür berechtigt hielt, durch die Stellung des bayerischen Reichsrates und der Kammern, die als wichtigste Faktoren der Regierung nicht ungefragt gelassen werden konnten und die doch wiederum viele Elemente enthielten, die eine Staatsaktion von so großer Tragweite als Hochverrat erklärt haben würden, wenn sie vor dem fait accompli Kunde von der Absicht der Regierung erhalten haben würden. – Dies alles erhielt die Eingeweihten in der lebhaftesten Spannung.

Zur Beleuchtung der damals herrschenden Zustände mag hier ein Brief Platz finden, den ich an den Grafen Herbert Bismarck richtete und den dieser seinem Vater vorlegte.

Mai 1886.

"Hier hat die Königskrise einen lethargischen Charakter angenommen.

Das liegt an Prinz Luitpold, dem es an Energie fehlt und dessen Unsicherheit sich dem Ministerium mitteilt.

Während dieser Schwankungen ist Frankenstein tätig, um das Ministerium Lutz zu Fall zu bringen – nicht etwa, um sofort ein neues Ministerium zu bilden, sondern um aus einem Abenteurerministerium – denn nur ein solches würde jetzt zustande zu bringen sein – als Retter und Phönix aufzutauchen. Ein Ministerium Frankenstein aber bedeutet im Lande Bayern nichts anderes als Sieg reichsfeindlicher Interessen. Ich bin überzeugt, daß Frankenstein in Berlin die schönsten Versprechungen machen wird: er ist zu eitel, um nicht dort eine gewisse Rolle spielen zu wollen. Aber er hat noch eine zweite, persönliche oder Familien-Eitelkeit, die stets den Wert seiner reichstreuen Versprechungen paralysieren wird. Seine fürstliche Gemahlin und die durch das Band des Georgsordens mit ihm verbundene hochadelige schwarze Verwandtschaft haben in seinem Leben eine unüberwindliche Bedeutung.

Diese unlösbaren und von ihm zu einem Kultus erhobenen Familien-Verbindungen und Traditionen machen es auch unmöglich, daß er je hier als reichstreu angesehen werden kann. Auch das zufriedene Lächeln, das alle reichsfeindlichen Leute aufsetzen, wenn von einem solchen Ministerium gesprochen wird, zeigt mir nur zu klar, was für uns Frankenstein bedeutet. Rechne ich hierzu die alte und unlösbare Intimität von Windhorst und Frankenstein und gedenke ich einer übergroßen Zärtlichkeit zwischen dem französischen Gesandten Mariani und Monsignore Aiuti von der Nuntiatur, der dreimal wöchentlich mit ihm diniert und zugleich sehr gute Beziehungen zu Frankenstein unterhält, so steigen in mir allerhand Zukunftssorgen auf.

Nicht ohne Absicht haben die Franzosen einen ihrer ausgezeichnetsten Diplomaten nach München gesetzt, und dieser hat sehr richtig erkannt, wo er den Hebel ansetzen muß, um Deutschland unbequem zu werden.

Daß wir einmal unter Ludwig III. ein ultramontanes Ministerium erleben werden , ist wohl zu erwarten, aber unter der Regentschaft Luitpolds ist es noch nicht nötig. Besonders da der Prinz 100 Jahre alt werden kann – denn er hat eine eiserne Gesundheit. Lutz sagte mir, daß ihn Prinz Luitpold sechsmal das bündigste Versprechen habe aussprechen lassen, daß er für den Fall der Regentschaft das jetzige Ministerium beibehalten wolle. Ein liberales Ministerium aber bedeutet hier: unzweideutige Gemeinschaft mit dem Reiche. Alle liberalen Elemente im Lande sind gut deutsch und der Partikularismus, der hier im katholischen Lande ganz besonders bösartige Formen annimmt, wird nur durch eine liberale Regierung nachdrücklich im Zaum gehalten."

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Ich suchte in jenen Tagen häufig die Gelegenheit, mit dem Minister Freiherrn von Crailsheim , dem in seiner Stellung als Minister des kgl. Hauses in erster Linie die wichtigsten Entschließungen zufielen, die Lage zu besprechen und drängte zu einer Entscheidung; denn alles Zögern enthielt eine Gefahr. Reichsfeindliche, ultramontane Elemente konnten die Zügel der Regierung ergreifen – oder gar eine Revolution konnte Bayern bedrohen.

Herr von Crailsheim sagte mir später, daß mein Drängen zu der Entscheidung insofern von großem Einfluß auf die Entwicklung der Dinge gewesen sei, als die Minister meine freundschaftlichen Beziehungen zu Herbert Bismarck kannten und in meinem Auftreten die Interessen der Reichsregierung sahen. Dieses Interesse allein habe vermocht, das Ministerium in seiner ganz außergewöhnlich schwierigen Lage zum Ausharren zu bewegen. Was aber neben der Unentschlossenst der Berechtigten die Entscheidung ernstlich hemmte, war der Umstand, daß die Aussagen, die bisher über den Geisteszustand des Königs von einigen Leuten seiner Umgebung gemacht worden waren – trotz des Gutachtens berühmter Irrenärzte, die an der Geisteskrankheit des Königs nicht zweifelten –, nicht genügend erschienen, um darauf eine Staatsaktion zu gründen. Das Ministerium mußte aber des Hochverrats schuldig sein, wenn die Beweise für die Notwendigkeit einer Aktion gegen den König nicht überwältigend waren.

Die meisten Diener des Königs verweigerten eine Aussage über seinen Gesundheitszustand. Zumeist, weil sie in einem Wechsel der Regierung ihren Stern sinken sahen, teilweise aus wirklicher Dankbarkeit und Anhänglichkeit, wie sie z.B. der Kammerdiener Meier besaß, dessen Treue trotz der unwürdigen Behandlung durch den König (er durfte sich über ein Jahr nur mit einer Maske zeigen, weil der König seine "widerwärtige Fratze" nicht sehen wollte) – eine außerordentliche war.

Kabinettsrat von Ziegler, Stallmeister Hornig und einige Stallknechte und Soldaten machten eidliche Aussagen. Letztere führten meistens als Beweis des Wahnsinns Briefe und Äußerungen der Zärtlichkeit an, was auch von anderen Seiten als Material für "Wahnsinn" beigebracht wurde. Doch wollten dieses die Ärzte merkwürdigerweise nicht in dem Gutachten verwerten, das nach der eingetretenen Absetzung des Königs der Volksvertretung vorgelegt werden sollte. Erst nach und nach erklärten sich Diener zu Aussagen bereit, die dem König näher standen, so unter anderen auch der Marstall-Fourier Hesselschwert, der sich früher Freund des Königs nannte und ihn jetzt durch Drohungen einschüchterte. Unter diesen Aussagen befanden sich nun allerdings viele, die den unzweifelhaften Beweis für den Wahnsinn des Königs beibrachten.

Der Oberstallmeister Graf Holnstein, der mir später mitteilte, daß er mit allen nur erdenklichen Mitteln den eigentlich unhaltbaren Zustand am Hofe König Ludwigs aufrechterhalten, aber bei Beginn des Jahres 1886 eingesehen habe, daß nunmehr unaufhaltsam das Ende hereinbrechen mußte, hatte sich den Ministern völlig zur Verfügung gestellt. Eine Handlungsweise, die ihm von der Partei König Ludwigs schwer verdacht wurde, da alles, was er ist und besitzt, Gnade seines Königs bedeutet. Er versuchte jetzt überall seinen Einfluß geltend zu machen, um Aussagen der Bestätigung für den Wahnsinn des Königs zu erhalten .

So hatte er auch den Versuch gemacht, den Grafen Dürkheim, Flügeladjutanten des Königs, hierzu zu bewegen. Das war in den ersten Tagen des Juni geschehen, und in denselben Tagen traf ich, im Begriff, von München nach Starnberg zu meiner Familie zu fahren, auf dem Bahnhof mit diesem zusammen.

Wir kannten uns genau. Er hatte seinen Standort im Schlosse zu Berg, wenn der König in den Bergen weilte, und gemeinsame Fahrten, Besuche des Lawntennis bei der Gräfin Almeida führten uns fast täglich zusammen. Er war sehr erregt, als ich ihm begegnete und unsere Unterhaltung wurde äußerst lebhaft, als er von König Ludwig sprach, gegen den "konspiriert" wurde.

"Sie sind genau orientiert", sagte er mir, "ich brauche nicht zu schweigen. Aber die Versuche, mich zu Aussagen gegen den König zu veranlassen, werden vergebliche bleiben. Der Kriegsminister hat mich rufen lassen: Ich habe ihm vor Beginn seiner Worte erklärt, daß, wenn er die Absicht habe, mich über den König zu vernehmen, ich diesem eine Meldung machen werde, worauf er mir vom Wetter sprach und mich entließ. Dann hat mich auf dem gestrigen Rennen Holnstein vertraulich unter den Arm gefaßt – obgleich wir keineswegs gut miteinander standen –, und hat mich bewegen wollen, Aussagen über den König zu Protokoll zu geben. Er sagte mir, "wir sollten uns eilen, um die Sache zu Ende zu bringen, damit sich nicht die ›Schweinepreußen‹ hineinmischen". Diese Äußerung, die, wie ich annehmen muß, der Wahrheit entsprach, war natürlich nur darauf berechnet, Holnstein, den er haßt, bei mir zu diskreditieren."

Als ich Dürkheim bemerkte, daß er vermutlich nichts zu sagen hätte, was den Wahnsinn des Königs bewies, fuhr er fort. "Allerdings nichts! – Aber ich habe die Pflicht, dem König den Hochverrat seiner Minister und Beamten zu melden."

"Wohin reisen Sie?" fragte ich, innerlich sehr beunruhigt.

"Nach Steingaden ."

"Und Sie wollen von dort nach Hohenschwangau hinüberfahren?"

"Ja."

Ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. "Wissen Sie, was dieser Schritt zur Folge haben kann?" fragte ich.

"Vielleicht die Absetzung der Minister", sagte er.

"Vielmehr als das", erwiderte ich und setzte ihm auseinander, daß, wenn der König zu gewaltsamen Handlungen provoziert würde, bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge die Regierung in München und Prinz Luitpold zu gewaltsamen Gegenmaßregeln gedrängt werden würden. Es könnte also seine Einmischung Revolution und Blutvergießen in seinem Vaterlande bedeuten.

Dürkheim schien sich der Tragweite seiner beabsichtigten Handlung nicht bewußt zu sein, auch wurde er zahmer, als ich ihm aussprach, daß bei der Lage der Dinge unzweifelhaft die vernünftige Regierung in München gegenüber einem unvernünftigen König recht behalten werde – daß er aber sicherlich für die Folgen seiner Handlung verantwortlich gemacht werden würde.

Der Schluß dieser sehr erregten Unterhaltung war das Versprechen, das mir Dürkheim in die Hand gab, dem König keine Meldung machen zu wollen.

"Ich werde schweigen", sagte er, "solange der König mich nicht ruft."

Dieses war bei der Stimmung des Königs gegen seine Adjutanten so unwahrscheinlich, daß ich die Klausel annahm.

Als er aber später in der Tat vom König gerufen wurde, war die Katastrophe eingetreten und der wahnsinnige König ein gebrochener Mann, der nicht mehr fähig war, auf den Rat seines Adjutanten zu hören.

Graf Alfred Dürkheim, von dem in den erregten Tagen der Königskrise soviel die Rede war, ist ein starkknochiger, gewöhnlich aussehender Mensch, der nicht viel gelernt hat, aber viel natürlichen Verstand besitzt. Maßlos eitel, verstand er es stets, von sich reden zu machen, hauptsächlich durch seine Art, jungen und hübschen Frauen die Kur zu machen. Ich habe niemals jemand gesehen, der seine Verliebtheit, die häufig nur eine Komödie war, derartig zur Schau trug. Plump wie sein Wesen war auch die Art seiner Liebe: " un Don Juan de village." Der Ruf dieser Eigenschaft und seine Eleganz in Kleidung und Uniform hatten eine Russin, Gräfin Bobrinski, veranlaßt ihm ihre Hand mit 30 000 Rubel jährlicher Einkünfte zu geben – par débit, denn sie liebte meinen Freund Graf Viktor Henkel , der sie klugerweise nicht wollte.

Diese Frau, ein schönes Weib voller russischer Eigenschaften; oberflächlich, unruhig, phrasenhaft – stolz auf ihre Abkunft von der Kaiserin Katharine (aus ihrer Verbindung mit Orloff) –, hatte nach kurzer Zeit die engen Verhältnisse Münchens und den Typus ihres Mannes satt. Schon nach meiner ersten Unterhaltung mit ihr sah ich den Abgrund, an dem dieser stand. Sie suchte nicht etwa Liebe, sie wollte mit den engen Verhältnissen brechen, in die sie geraten war. Das warf einen tiefen Schatten auf Dürkheims Ehe. Da kam es im Jahre 1883 zu einer Krise. Prinz Arnulf von Bayern , der der Gräfin in rücksichtsloser und wenig ritterlicher Weise huldigte, schrieb ihr ein Billet, in dem er sie ersuchte, ihn während einer Abwesenheit ihres Mannes zu empfangen. Die Gräfin zeigte Dürkheim diesen Brief, und dieser fuhr in das Palais, um den Prinzen zu fordern. Prinz Arnulf nahm die Forderung an, aber sein Bruder Leopold hinterbrachte die Sache dem König. Dieser verbot das Duell, wies Prinz Arnulf in den schärfsten Ausdrücken zurecht, ernannte Dürkheim zum Hauptmann und machte ihn zu seinem Flügeladjutanten.

So war Dürkheim durch seine Frau plötzlich zu Rang und Würde gekommen. Der König war voller Huld für ihn, zeichnete ihn bei Galatafeln, die damals noch im Winter hin und wieder im Schlosse abgehalten wurden, aus, aber als er mit Dürkheim kurz darauf in die Berge fuhr, hieß er ihn plötzlich nachts auf der Landstraße, in einer regnerischen Novembernacht, aussteigen und fuhr davon. Es war das letzte Mal, daß er einen Adjutanten sah.

Die Gräfin hielt noch etwa ein halbes Iahr an der Seite des Flügeladjutanten aus – dann reiste sie ab und überließ dem Vater ihr kleines Mädchen und einen sehr geringen Teil ihres Geldes. Sie kehrte zu ihrer Mutter zurück, der allgemein, und wohl nicht mit Unrecht, der Vorwurf gemacht wird, ihren ersten Gemahl Bobrinski, – sie war in zweiter Ehe mit einem Grafen Kreuz vermählt – ermordet zu haben, um den Grafen Kreuz zu heiraten. Graf Bobrinski wurde als verkohlter Leichnam in seinem Bett aufgefunden, und durch Begießen mit Petroleum soll es möglich gewesen sein, eine so totale Verbrennung herbeizuführen. Wertsachen fehlten keine – die Frau war ganz allein mit ihm in seinem Schlosse auf dem Lande gewesen.

Nach diesem traurigen Ausgang seiner Ehe trat Dürkheim als Don Juan de village wieder in den Vordergrund, und das air de coeur blessé, das er sich gab, verlieh ihm in den Augen der Münchener Damen einen erhöhten Reiz.

Es zogen sich jetzt zwischen Hangen und Bangen die Tage hin. Graf Werthern und ich bangten um die Existenz des Ministeriums, die Minister verstärkten durch ihre Vernehmungen das immer noch nicht genügende Beweismaterial für den Wahnsinn des Königs. Die Münchener Gesellschaft aber, die den wahren Sachverhalt nicht kannte und in fieberhafter Spannung eine Entscheidung erwartete, griff in allen Tonarten das Ministerium an, das die "Taktlosigkeit beging, Leute niederen Standes über den König auszufragen".

Niemand machte sich klar, daß ein König staatsrechtlich die eine Sekunde noch als vernünftig, die nächste als wahnsinnig gelten mußte, daß nicht wie in Privatkreisen einem geistig erkrankten Menschen allmählich und unmerklich die Aktionsfähigkeit entzogen werden kann, sondern daß in einem gegebenen Augenblick alle Regierungshandlungen des Königs gültig bzw. ungültig sein mußten.

Im Publikum wußte man von den Vorgängen wenig. Wohl las man mit Erstaunen und Unruhe die in der Presse auftauchenden Gerüchte über einen totalen Zusammenbruch des königlichen Vermögens, aber man verstand nicht, daß die Serie von Artikeln über "die Geschichte der Königlichen Cabinettskassa" in den "Münchener Neuesten Nachrichten" eine inspirierte Vorbereitung auf den Abschluß unmöglicher und unhaltbarer Zustände an höchster Stelle waren.

Da trat in den letzten Tagen des Monats Mai, die Krise beschleunigend, ein Ereignis von weittragender, politischer Bedeutung zu den nun bereits erdrückenden Resultaten der Erhebungen über den geistigen Zustand des unglücklichen Königs hinzu.

Königin Isabella von Spanien war zur Wochenpflege ihrer Tochier Maria de la Zaz, Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bauern , nach Nymphenburg gekommen und hatte in ihrer Gutmütigkeit wohl den Wunsch geäußert, dem König aus seiner Geldverlegenheit zu helfen. Denn sie teilte die Auffassung ihrer Kinder, daß der König noch nicht so wahnsinnig sei, wie gewisse Kreise ihn hinstellten.

Es ist möglich, daß von ihr zuerst der Gedanke angeregt wurde, von dem Hause Rothschild, dem sie durch ihre Pariser Beziehungen befreundet – (denn die Königin lebte nach ihrer Vertreibung aus Spanien in Paris)–, dem König Hilfe zu bringen. Bei den Interessen, die das Haus Orleans mit dem Bankhause Rothschild verbanden, lag es nahe, die Orleans hinter dem Angebot zu vermuten, das in der Tat durch Vermittlung des Prinzen Ludwig Ferdinand dem Könige durch die Rothschilds von Paris gemacht werden sollte. Zugleich aber erhielt der Prinz Kenntnis davon, daß der König jede beliebige Summe erhalten könne, falls er sich verpflichtete, in einem Kriege Frankreichs mit Deutschland neutral zu bleiben.

Prinz Ludwig Ferdinand, ein durchaus loyaler Mann, der dem König persönlich sehr ergeben war und wie das ganze Haus Adalbert – (schon aus Opposition gegen das Haus Luitpold) – zum König hielt, machte dem Ministerium von diesem Vorschlag Mitteilung, da er "zu seinem Bedauern" überzeugt war, daß der König sofort auf diese Bedingung eingehen würde. Er befürchtete auch mit Recht, daß noch durch andere Vermittlung als die seine König Ludwig ähnliche Vorschläge erhalten werde.

Die national-deutsche Rolle, die der König 1871 gespielt hatte, war ein geschickt, durch den Oberstallmeister Graf Holnstein in Szene gesetzter Theatercoup. Allerdings hatte König Ludwig dem König Wilhelm die Kaiserkrone angetragen – als aber der erbliche Kaiserthron der Hohenzollern entstand, verflog der künstliche deutsche Rausch, den Richard Wagner in dem Hirn des jugendlichen Königs festgelegt hatte und machte jenem Hasse gegen das preußische Königshaus und gegen alles deutsche Wesen Platz, der das Bild des unglücklichen Wahnsinnigen vor ganz Deutschland völlig zu trüben drohte. Um jedoch das Bild des trotz aller seiner Sonderbarkeiten hochverehrten Königs vor den Augen Bayerns – des unzweifelhaft königtreuesten Volkes Europas – nicht zu schädigen, wurde die Fikton seiner deutschen Gesinnung mühevoll öffentlich aufrecht gehalten.

III.

Die Entmündigung des Königs wird beschlossen.

Die Gefahr, daß an den König ein neues französisches Anerbieten herantreten könne, trieb die maßgebenden Kreise endlich zu einer Aktion. Denn es war klar, daß die Franzosen, selbst auf die Gefahr hin, daß der König sein Neutralitätsversprechen im entscheidenden Augenblick nicht werde halten können, für eine, den Aufmarsch der deutschen Armee nur einige Tage verzögernde oder störende Aktion des Königs, jede beliebige Summe zahlen würden.

Man hat, wie ich oben bemerkte, hinter dem Angebot aus Paris das Haus Orleans vermutet. Ich habe meine Gründe, zu behaupten, daß die französische Regierung jenen Versuch machte, den König zu gewinnen.

Der französische Gesandte in München, Mariani, ein sehr kleiner, magerer, schielender Mann mit spärlichem schwarzen Vollbart, der Typus des geschmeidigen intrigierenden Franzosen, hatte wohl den Gedanken einer solchen "Bestechung" angeregt. Es lag dieser Gedanke nahe – und Mariani war schlau genug, um ihn praktisch zu verwerten. Königin Isabella, die selbst stets in Schulden steckte, seit sie, verbannt, das Palais Basilewsky in Paris bewohnte, schien ihm wohl eine durchaus verwendbare Mittelsperson zu sein.

Als mir Minister Crailsheim von dieser Besorgnis Mitteilung machte, drängte ich auf schleunige Entscheidung. Es durfte nicht sein, daß Frankreich auch nur für eine Stunde zu glauben berechtigt wäre, daß ein deutscher Bundesfürst überhaupt in der Lage sei, Verpflichtungen in dieser Richtung einzugehen.

Herr von Crailsheim stimmte meiner Auffassung bei, kam aber immer wieder auf die alte Ansicht zurück, daß der erste Schritt zu der Entmündigung des unglücklichen Königs durch den Prinzen Luitpold zu machen sei.

Ich erklärte ihm, daß, wenn bei einer das Ansehen Deutschlands gefährdenden Lage Prinz Luitpold zögern würde, einzugreifen, er die Verantwortung gegenüber den andern Bundesfürsten, d.h. gegenüber ganz Deutschland, zu tragen haben werde.

Einige Tage darauf teilte Herr von Crailsheim der Gesandtschaft das Gutachten der ärztlichen Autoritäten an der Hand eidlicher Aussagen aus der Umgebung des Königs mit.

Es war von größter Bedeutung, daß es möglich gewesen war, gerade in diesen Tagen die Beweise für den Wahnsinn des unglücklichen Königs so zu vervollständigen, daß die Agnaten und das Ministerium bei der geplanten Entmündigung des Königs vor der Volksvertretung durch das erdrückende Material, welches das Gutachten enthielt, gerechtfertigt erscheinen mußten.

Die Aussagen der obengenannten Personen – des Kabinettsrats Ziegler, des Stallmeisters Hornig, der Diener und Stalleute des Königs usw. – stellten unzweifelhaft die völlige geistige Störung des Königs fest.

Der Inhalt des geheimen Aktenstückes, das ich in Händen gehabt habe und das dazu bestimmt war, einer Kommission des Reichsrats und der II. Kammer vorgelegt zu werden, erschreckt durch die Ungeheuerlichkeiten der Handlungen und Äußerungen des Königs, erregt aber auch dadurch das höchste Erstaunen, daß seine Umgebung fähig war, durch Jahre hindurch Verhältnisse zu verschweigen, die völlig anormal und unhaltbar waren. Wohl fällt es ins Gewicht, daß die Freigebigkeit des Königs seiner Umgebung das Leben angenehm gestaltete und daß die Habgier reiche Nahrung fand. Daß aber körperliche Mißhandlungen, die in zwei Fällen den Tod des Geschädigten zur Folge hatten, daß grausame Strafen und das völlig wahnsinnige, sinnlose Leben des Königs nur als Gerüchte und in unbestimmter Darstellung in das Volk dringen konnten, spricht für eine ganz außergewöhnliche Diskretion aller Beteiligten.

In erster Linie kommt das in einem solchen Falle etwas zweifelhafte Verdienst dem Oberstallmeister Graf Holnstein zu. Der "Roßober" – wie er im Publikum genannt wurde, hatte den Befehl über das kolossale Material von Menschen, Pferden und Wagen, das der König im Gebirge brauchte. Er gab mir die Höhe seiner ihm untergebenen Stalleute auf etwa 200 an. Ihm gingen alle Klagen über den König zu. Er vertuschte, was zu vertuschen ging, zahlte und besorgte die Schmerzensgelder, expedierte unbequeme und drohende Elemente nach Amerika und hielt diesen tollen Hof, so lange er zu halten ging.

Von preußischem Standpunkt aus hatten wir uns über diesen jahrelangen Aufschub der Katastrophe nicht zu beklagen, da die reichsfeindlichen ultramontanen Bestrebungen in Bayern während der Regierung König Ludwigs stets zurückgedämmt wurden.

Es war der atheistische König, der ihnen keine Macht und keinen Einfluß ließ. Nicht etwa seine deutsche Gesinnung war der Motor dieser Politik, wie das deutsche Volk sich seit dem Jahre 1870 zu glauben gewöhnt hatte.

Der Inhalt des Schriftstückes, das den Wahnsinn des unglücklichen Königs feststellte, übertraf alles, was gerüchtweise darüber in die Öffentlichkeit gedrungen war. Die Handlungen und Äußerungen aber, die man gern als Beweismaterial für die Notwendigkeit einer Regierungsänderung öffentlich mitgeteilt hätte, konnte man nicht bekanntgeben, da sie in zu grauenhafter Weise das Bild des Monarchen, das in so idealer Form im Herzen seines Volkes eingegraben stand, zerstört hätten.

Man entschloß sich später, nur andeutungsweise Mitteilungen zu machen, wohl aber wurde der Volksvertretung von dem wesentlichen Inhalt des Schriftstückes Kenntnis gegeben.

Am entsetzlichsten berührte den Leser der Haß des Königs gegen seine Mutter, gegen seinen verstorbenen Vater. In wahnsinnigen Halluzinationen vergriff er sich an den Eltern und erzählte mit Genugtuung von seinen abscheulichen Handlungen den Leuten seiner Umgebung, dem Fourier Hesselschwert, dem Stallknecht Sedlmaier und anderen. "Heute", sagte z. B. der König, "habe ich meiner Mutter eine Wasserflasche auf dem Kopf zerschlagen, habe sie an den Haaren zu Boden gerissen und ihr mit den Hacken auf den Brüsten herumgetreten; – jetzt ist mir wohl!" Oder er erzählte. "Ich bin in der Gruft bei meinem Vater gewesen, habe den Sarg aufgerissen und ihn hinter die Ohren geschlagen. – Das geschieht ihm recht."

Dieser grauenhafte Haß steigerte sich, je mehr er sich in den Gedanken des absoluten Königtums hineinlebte, je mehr Ludwig XIV. sein Idol wurde – denn König Max war der Begründer der Verfassung, der Volksvertretung und damit der Begründer seines, des Königs Ludwigs "Elendes". Die Königin aber war die Frau des "Verbrechers". Die Schamlosigkeit des Königs ging so weit, daß er seiner Mutter vorwarf, ihn nicht aus der Ehe mit König Max empfangen zu haben!

Anknüpfend an diesen Haß gegen die Mutter muß ich eine Episode aus dem Jahre 1884 erwähnen.

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Damals drang als Gerücht die Nachricht zu mir, der König habe auf seinen ehemaligen Vertrauten, den Hofstallmeister Hornig (einen höchst achtungswerten Mann), geschossen, und dieser sei nun definitiv aus dem Dienst in Ungnade entlassen. Ich konnte nicht den wahren Sachverhalt erfahren.

Jetzt erfuhr ich folgendes: Hornig, ein großer starker Mann, befand sich bei dem König in Schloß Berg. Der König ging im Zimmer auf und nieder, in unflätigster Weise seine Mutter beschimpfend. Hornig hörte in Ungeduld zu, bis ihm das Blut vor Zorn in den Kopf stieg. "Ich kann das nicht länger hören!" rief er aus, "so darf ein Sohn nicht von seiner Mutter reden."

Der König richtete sich wie ein wildes Tier zum Sprung auf, stürzte Hornig entgegen und krallte ihn tief in die Augenhöhle und Backe. Da übermannte in rasendem Schmerz Hornig die Wut. Er faßte den König unter die Arme und warf ihn mit Hünenkraft in eine Ecke des Zimmers an den Boden. Zitternd und feig begann der König um sein Leben zu flehen. "Ich gebe dir, was du willst – verlange, was du magst. Nur töte mich nicht!"

Hornig verließ den Unglücklichen und sah ihn nicht wieder. Der König wollte ihn erschießen, als er aus dem Schloß ging, fand aber keinen geladenen Revolver – dann ersann er die strengsten Strafen für ihn – bis in dem zunehmenden Wahnsinn andere Phantasien das Bild Hornigs verdrängten.

Weniger erschreckend, aber nicht weniger überzeugend für die Krankheit des Königs war seine abgöttische Verehrung für Ludwig XIV. und für die beiden ihm folgenden bourbonischen Könige. Gekleidet wie sie, ritt er in Mondnächten spazieren – bisweilen die Krone auf dem Haupt, den Hermelinmantel um die Schultern. Er hielt Hoftafel, an denen er allein als Ludwig XIV. saß, aber er unterhielt sich mit den Phantomen, die er auf den leeren Stühlen sah und denen die Diener in chinesischer Hofetikette servieren mußten.

Der Gedanke des absoluten Herrschers hatte sich ihm so sehr eingeprägt, daß ihm Bayern unerträglich geworden war. Er wollte da regieren, wo er allein über Leben und Tod zu entscheiden hatte, und darum wollte er Bayern verkaufen – an Preußen, an wen es auch immer sei. Man sollte ihm ein Land suchen, wo er schrankenloser Herrscher sein konnte.

Professor von Löhr gab sich dazu her, Reisen zu machen, um ein solches Land zu finden. Auf den Kanarischen Inseln, im Griechischen Archipel reiste er umher und schrieb dem König Berichte. Mit Recht erhob man später harte Klage gegen Löhr, der den Wahnsinn des unglücklichen Monarchen benutzte, um schöne Reisen zu machen und sich die Schilderungen von der "Augsburger allgemeinen Zeitung" zahlen zu lassen.

Vor der Büste der Königin Marie Antoinette verbeugte sich der König stets wie vor einem Heiligenbild – aber er grüßte auch mit tiefer Verehrung stets eine besondere Tanne, einen gewissen Zaun am Wege zwischen Leoni und Ammerland – und er umarmte auch stets eine bestimmte Säule im Vestibül des Linderhof.

Die Persönlichkeit, die in anderer Weise die Phantasie des wahnsinnigen Königs beschäftigte, war der deutsche Kronprinz. Seitdem die Kriegslorbeeren von 1870 als Feldherr auch der bayerischen Truppen um sein Haupt und nicht um dasjenige König Ludwigs gewunden worden waren, erfüllte unversöhnlicher Haß den unglücklichen Fürsten. Als bei dem Einzug der bayerischen Truppen im Jahre 1871 das Volk dem Sieger von Wörth und Weißenburg überschwenglich zujauchzte, während der König nur den üblichen Beifall friedlicher Tage fand, hatte sein Haß noch eine Steigerung erfahren. Jetzt, in den dunklen Stunden des Wahnsinnes, sann er auf Rache, aber der Gedanke, den Kronprinzen töten zu lassen, schien ihm nicht ausreichend zu sein. Er beauftragte Hesselschwert, eine Bande zu dingen, die den Kronprinzen aufheben und in einen Turm bringen sollte, den er sich am Ammersee hatte bauen lassen. Hier sollte der Kronprinz grausam gemartert werden. Man sollte ihm die Augen ausstechen, ihn an den Rand des Todes bringen – ihm aber das Leben lassen, damit die unaufhörliche Sehnsucht nach Frau und Kindern seine Qualen vermehre. Diese Bande sollte später auch sämtliche Volksvertreter beseitigen, um alsdann das absolute Regiment wieder herstellen zu können.

Die Gedanken des Mordes und der Gewalt beherrschten den König, sobald irgendeine Person seinen Unwillen erregte. Und er versenkte sich in solche Gedanken mit der ganzen Zügellosigkeit seiner wahnsinnigen Phantasie.

Als einst die Frau eines Mannes, der kompromittierende Briefe des Königs besaß und deshalb von Graf Holnstein nach Amerika geschickt worden war, nach Hohenschwangau kam und auf Grund jener Schriftstücke einen neuen Erpressungsversuch beabsichtigte, befahl der König, ihr zu sagen, er wolle sie spät am Abend jenseits des Alpsees empfangen. Sie solle dann unterwegs, mitten auf dem See, in das Wasser gestürzt werden.

Solche Befehle gab er mit allen Details, und in diesem Falle fuhr er wirklich an den verabredeten Punkt, voller Spannung die Ausführung seines Befehls erwartend. Man sagte ihm, die Frau sei entflohen. In Wirklichkeit aber hatten die Zahlung neuer Summen und ernstliche Drohungen die gefährliche Person bestimmt, Hohenschwangau zu verlassen.

Diese und ähnliche Vorgänge wiederholten sich von Monat zu Monat, und Graf Holnstein war an der Grenze angelangt, da es nicht mehr möglich war, durch Schmerzensgelder, Verschickungen, Versprechungen, Amtsbeförderungen und Drohungen den Schein der Vernunft des Königs zu erhalten. An allen Enden blickte die trostlose Wahrheit heraus.

Unter diesem, schließlich die ganze Umgebung des Königs belastenden Druck hatten seine Diener ihre Aussagen gemacht und war das Schriftstück entstanden, das die Handhabe zu der Entmündigung des Königs bilden sollte.

Der entscheidende Schritt aber wurde immer noch durch die Furcht der Prinzen des bayerischen Hauses vor der gewalttätigen Natur des Königs aufgehalten. Es war nicht nur die Erwägung, daß ein Schritt gegen die Majestät dem Gedanken des Königtums einen zu erheblichen Schaden zufügen könnte.

Ein Brief, den ich schon im September 1885 an Herbert Bismarck schrieb, kennzeichnete auch in dieser Hinsicht die Situation, wie sie jetzt unaufhaltsam eingetreten war. Ich füge ihn hier ein, da er durch seine Details ein getreues Bild der herrschenden Stimmung zu geben vermag.

München, September 1885.

"... Aus meinen Berichten werden Sie über die hiesigen Zustände das Nähere erfahren haben. Einiges möchte ich Ihnen privatim mitteilen.

Die Verhältnisse an dem Hofe des Königs werden immer komplizierter und die Gemüter von Tag zu Tag erregter. Ich habe mich, um orientiert zu bleiben, mit dem einzigen Mann angefreundet, der einen richtigen Einblick in die Privatangelegenheiten des Königs haben und seiner psychopathischen Entwicklung folgen kann, soweit es die Sprünge eines nicht mehr normalen Hirnes gestatten. Es ist der Kabinettsvorstand, Ministerialrat Schneider, ein ruhiger, gewissenhafter Mensch und unermüdlicher Arbeiter. Durch seine Hand geht alles, was an den König herantritt, und alles, was vom König kommt. Die persönlichen Vorträge, die noch im vergangenen Jahre Ministerialrat Ziegler, sein Vorgänger, dem Könige – hinter einer spanischen Wand stehend – zu halten hatte, haben aufgehört. Alles wird schriftlich abgemacht und durch die zur Dienstleistung bei dem König kommandierten Chevauxlegers überbracht. Schneider sieht die Situation sehr ernst an, denn seine unaufhörlichen Beteuerungen, daß der König seinen Regentenpflichten mit Weisheit und Einsicht nachkäme, lassen erkennen, daß er seinen Herrn nicht mehr für normal hält.

Die durch den König schwer gekränkten Prinzen unternehmen keinen Schritt aus Furcht vor dem Zorn des Tyrannen, der sie unzweifelhaft nach Lindau, Bamberg oder Würzburg verbannen würde, wenn sie ihm Vorstellungen wegen seiner Schuldverhältnisse machen würden. Den Mut aber, einem solchen Befehl zu trotzen und einen Bruch herbeizuführen, haben sie nicht.

Die Minister warten auf eine Klage gegen die Kabinettskasse und halten den Prinzen Luitpold für denjenigen, der Abhilfe schaffen soll.

Schneider sagt, daß die Einstellung der Bauarbeiten – wenn der Tagelohn ausgeht – oder der Eingang der Klage bedenkliche Folgen für die Sinnesart des Königs haben würde. (Er glaubt also an den Ausbruch des Wahnsinns.)

Das Leben des Königs, das immer einsamer wird, und die Art seines Verkehrs mit den Chevauxlegers, die er bald als Freunde behandelt, bald mit Ohrfeigen zur Türe hinauswirft, sprechen für Schneiders Ansicht.