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Burns hotter than a Flame
Eine Riesenpackung des Lieblingsmüslis im Angebot UND ein heißer Typ im Anzug, der ihr im Supermarkt schöne Augen macht - es muss Rian Sutters Glückstag sein! Doch die Situation eskaliert: Denn Pierce Whitfield will nicht flirten, sondern beschuldigt Rian für etwas, das sie gar nicht getan hat - ihre Zwillingsschwester allerdings schon. Als sie sich mit Pierce trifft, um die Schulden zu begleichen, ist da aber plötzlich mehr: Ein so intensives Prickeln, dass Rians Herz nicht mehr aufhören kann zu rasen. Aber sie weiß aus bitterer Erfahrung, dass man sich an Männern wie ihm nur allzu leicht die Finger verbrennt ...
"Hunting ist auf dem allerbesten Weg, eine der großartigsten Stimmen der Romance zu werden!" ROMANTIC TIMES REVIEWS
Band 3 der MILLS-BROTHERS-Reihe von NEW-YORK-TIMES-Bestseller-Autorin Helena Hunting
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Seitenzahl: 441
HELENA HUNTING
HOLD
Roman
Ins Deutsche übertragen vonBeate Bauer
Eine Riesenpackung Cinnamon-Toast-Crunch-Müsli im Sonderangebot? Check!
Von einem heißen Typen im Anzug im Cerealien-Gang angestarrt werden? Check!
Ihm den Einkaufswagen in den Schritt rammen, weil er sich als gruseliger Stalker entpuppt? Check!
In den Boden versinken, weil sich der Stalker als Opfer meiner Zwillingsschwester, die ihm den sauteuren Tesla auf dem Parkplatz zerkratzt und sich einfach aus den Staub gemacht hat, entpuppt? Doppelcheck!
Rian Sutter und ihre Zwillingsschwester Marley haben die letzten Jahre damit verbracht, ihr Leben wieder in die richtige Spur zu bringen, indem sie a) Sonderangebote abgreifen und b) als Maklerinnen genug Geld verdienen wollen. Doch nach dem Vorfall im Supermarkt ist Rian gezwungen, das hart ersparte Geld Pierce Whitfield, dem unverschämten – wenngleich ziemlich heißen – Typen im Anzug, in den Rachen zu werfen. Bei einem Treffen zwischen Rian und Pierce wegen der Reparaturrechnung knistert es gewaltig. Aber sie weiß, wie schnell solche Männer einem das Herz brechen können. Doch immer und immer wieder laufen sich die beiden über den Weg. Ist es Schicksal? Als Rian allerdings feststellen muss, dass Pierce zwar ungeahnte Leidenschaften in ihr weckt, aber auch auf dasselbe Haus wie sie spekuliert, ist der Kampf eröffnet …
Für meine Schwester und deine wunderschöne Seele
Rian
Ich gehe die Werbeprospekte mit den Sonderangeboten durch auf der Suche nach der Riesenpackung Cinnamon-Toast-Crunch-Müsli. Ich bin sehr gewissenhaft, wenn es darum geht, den günstigsten Preis zu finden. Ich markiere das Angebot mit einem großen Kreis, bevor ich den roten Filzstift vorn in mein Top stecke. Falls ich an der Kasse feilschen werde, sollen es die Kassiererin und die Leute hinter mir in der Schlange so einfach wie möglich haben. Nichts ist schlimmer, als sich hinter einer unorganisierten Pfennigfuchserin die Beine in den Bauch zu stehen.
Ich wippe ein wenig zu dem Lied, das aus den Lautsprechern dudelt, während ich Schachteln von meinem liebsten ungesunden Müsli in meinen Einkaufswagen packe. Auf einmal spüre ich ein Kribbeln im Nacken und erschauere, als ich über die Schulter schaue. Eine Mutter hastet im Gang an mir vorbei, während sich ihr Knirps gefährlich weit aus dem Wagen lehnt, um nach einer Schachtel Fruit-Roll-Ups zu greifen. Ich kann es ihm nicht verdenken. Ihr künstlicher Geschmack ist einfach köstlich.
Doch die Mutter-Knirps-Combo ist nicht der Grund für das Kribbeln. Auf halber Höhe des Gangs steht ein Anzugträger. Ein großer Anzugträger. Über einen Meter achtzig in teuren dunkelgrauen Stoff gehüllt. Er hat weder einen Wagen noch einen Korb. Und er starrt mich an. Seltsam. Ich kann nicht lange genug hinschauen, um zu entscheiden, ob ich ihn kenne, ohne dass deutlich wird, dass ich zurückstarre.
Ich verspüre den Wunsch, mein Aussehen zu prüfen, besorgt darüber, dass ich nur deshalb seine Aufmerksamkeit errege, weil mein Haar furchtbar aussieht oder weil ich einen Schweißfleck am Rücken habe. Ich bin wirklich nicht besonders anziehend. Ich komme gerade von einer Bootcamp-Stunde in dem neuen Fitnessstudio, das ich auf Drängen meiner Zwillingsschwester ausprobiert habe.
Marley hat online einen Zwei-für-einen-Gutschein für vierzig Mäuse gekauft, weshalb ich jetzt sechsmal mit ihr zu diesem dämlichen Training gehen soll. Letzte Woche habe ich es geschafft zu schwänzen, doch das würde sie mir nie zweimal hintereinander durchgehen lassen. Mein Tanktop ist noch immer feucht von der Anstrengung, ich schwitze furchtbar unter den Brüsten, und mein Tanga sitzt irgendwie schief. Wenn ich allein in dem Gang wäre, würde ich ihn zurechtziehen, aber da ist der Kerl im Anzug, weshalb ich den Tanga vorerst dort lassen muss, wo er ist, nämlich unangenehm zwischen meinen Schamlippen eingeklemmt.
Der Anzugträger richtet seine Aufmerksamkeit hastig auf die Regale und nimmt das Glas, das direkt vor ihm steht und zufälligerweise Trockenpflaumen enthält. Er betrachtet es und scheint zu begreifen, worum es sich handelt, denn er stellt es schnell zurück und greift nach einem anderen Produkt. Ich verkneife mir ein Lächeln, erfreut darüber, dass ich sogar in meinem abstoßenden Zustand beäugt werde. Während der Anzugmann dem Regal vor sich seine Aufmerksamkeit widmet, nehme ich ihn ebenfalls in Augenschein.
Sein Aufzug und seine Haltung stinken nach Geld, und ein Anflug von so etwas wie Verlangen, kombiniert mit Neid schnürt mir einen Moment lang die Kehle zu. Früher hätte ich über die Angewohnheit, Preise zu vergleichen – wie eine echte Idiotin –, gelacht, doch jetzt ist es eine Notwendigkeit.
Dem Anzugträger muss warm sein, wenn man bedenkt, dass es Ende April ist und wir für diese Jahreszeit Temperaturen weit über dem Durchschnitt haben. Aufgrund des figurbetonten Schnitts seines Anzugs vermute ich, dass es sich um eine edle Marke handelt. Dazu trägt er schwarze Lacklederschuhe. Sehr unpraktisch bei diesem Wetter und für diesen Ort. Ist ihm überhaupt klar, dass er in den Hamptons ist?
Er trägt eine Armbanduhr, und sein Profil verrät, dass er nicht älter als Anfang dreißig ist. Wahrscheinlich liegt der einzige Grund, weshalb er eine Armbanduhr trägt, darin, dass sie teuer ist und er damit angeben möchte. In Gedanken habe ich ihn bereits als überhebliches, reiches Arschloch abgestempelt, das ein paarmal die Woche nach NYC fährt, wo es seine Sekretärin vögelt und ein Penthouse mit völlig steriler Einrichtung hat. Den Rest der Zeit arbeitet er von zu Hause aus.
Ich widme mich wieder meinem Einkauf und setze meinen Weg durch den Gang fort, in die entgegengesetzte Richtung – was meine Art ist herauszufinden, ob er sich an mich ranmachen will oder nicht. Ich beobachte ihn aus dem Augenwinkel, während ich weitere Angebote und köstliche, ungesunde Nahrungsmittel aus den Regalen fische. Meine Aufgabe ist es, das ganze Grünzeug auszugleichen, das meine Schwester Marley gerade in der Obst- und Gemüseabteilung zusammensucht.
Ich nehme ein Glas von der markenlosen Erdnussbutter, weil unsere gerade alle und das gute Zeug nicht im Angebot ist, und lasse es in den Wagen plumpsen. Mein Telefon in meiner Handtasche summt die ganze Zeit. Es lenkt mich ab, weshalb ich es nicht länger ignoriere, sondern meine Nachrichten überprüfe.
Sie sind von meiner Schwester.
Wir sind im selben Laden. Er ist nicht besonders groß, weshalb ich nicht verstehe, was so dringend ist, dass sie mir viertausendmal simst, anstatt mich zu suchen.
EINKAUF BEENDEN
SOFORT DEN LADEN VERLASSEN
Wir treffen uns auf dem Parkplatz
RIAN??????
Herrje. Was ist denn jetzt wieder los? Vielleicht wird der Supermarkt ja ausgeraubt. Heiliger Bimbam. Was, wenn tatsächlich ein Supermarktüberfall stattfindet? Ich bin kurz davor, den Wagen zurückzulassen, um Marley zu suchen und dem Chaos in meinem Kopf zu entfliehen. Es ist alles ziemlich dramatisch. Als ich mich umdrehe, stehe ich direkt vor dem Anzugträger.
Ich ziehe die Luft ein und schlage mir die Hand vor die Brust. Das Tanktop ist noch immer feucht und meine Haut mit salzigem Schweiß bedeckt, weshalb ich die Hand rasch sinken lasse, weil igitt.
»Hi.« Sein Ausdruck ist schwer zu deuten. Er wirkt … selbstzufrieden.
»Hi, hallo. Äh …« Ich wedle mit der Hand durch die Luft, ein wenig verwirrt und hin- und hergerissen, denn es passiert nicht oft, dass ich von einem so sexy Typen angesprochen werde – und obendrein in einem Supermarkt. Vielleicht kommt er nächste Woche wieder. »Es tut mir leid, ich würde gern Ihr hübsches Gesicht anschauen, ich meine …« Mist, wieso sind Worte nur so schwer zu finden? »Ich muss gehen.«
Ich will um ihn herumgehen, doch er imitiert meine Bewegung, wobei er die Haltung eines Linebackers einnimmt, als würde er mich angreifen wollen. Was eine seltsame Art ist, sich vorzustellen.
»Erkennen Sie mich?«, fragt er mit hochgezogener, perfekter Braue. Ich zermartere mir das Gehirn nach Ort und Zeit, wo und wann ich ihm vielleicht schon mal begegnet bin. Ich glaube aber nicht. Sein hellbraunes Haar ist gepflegt, und der Schnitt des Anzugs betont alle seine Vorzüge. Na ja, die jugendfreien jedenfalls.
Er stellt sich breitbeinig hin und verschränkt die Arme vor der Brust. Einer sehr breiten Brust. Die Ärmel seines Jacketts spannen sich über seinen prallen, angespannten Muskeln. Schon allein wegen seiner Größe wirkt er einschüchternd, doch wir befinden uns in einem Supermarkt, weshalb ich mich relativ sicher fühle. Und er ist einfach umwerfend. Was ein dummer Grund ist, sich keine Sorgen zu machen – ein paar der berüchtigtsten Serienmörder waren ebenfalls attraktiv. Außerdem muss ich meine Schwester finden, für den Fall, dass der Supermarkt tatsächlich überfallen wird – obwohl uns dieser Anzugträger womöglich retten könnte.
Ich verschränke ebenfalls die Arme, aber ich glaube nicht, dass ich einschüchternd wirke. Ich erreiche damit nur, dass ich meine Brüste in meinem feuchten Sport-BH zusammendrücke und der Filzstift in die rechte pikt. »Sollte ich?«
Er mustert mich und verzieht dabei den Mund zu einem leichten Grinsen. Sein Blick bleibt für ein paar Sekunden an dem Filzstift hängen, bevor er mir wieder in die Augen blickt.
Kann sein, dass ich ihm in einer Bar begegnet bin, aber ich schwöre, an sein Gesicht würde ich mich erinnern. Die Barszene entspricht auch mehr meiner Schwester. Oh Gott. Es ist möglich, dass er mich mit ihr verwechselt. So etwas ist früher schon passiert.
Während wir auf den ersten Blick für die meisten Leute gleich aussehen, sind wir in Wirklichkeit zweieiige Zwillinge. Nach ein paar Begegnungen können uns die meisten Leute auseinanderhalten. Ich habe rechts über dem Mund einen markanten Marilyn-Monroe-Leberfleck, und meine Augen sind bernsteinfarben, während Marleys mehr ins Grüne tendieren. Mein Mund ist zu groß für mein Gesicht, meine Lippen sind ein bisschen zu voll und meine Nase ist zu klein. Jedenfalls ist das meine Wahrnehmung. Marley ist auch die Extrovertiertere von uns beiden und knapp drei Zentimeter größer als ich. Und zehn Pfund leichter.
Marley ist bei Männern weniger zurückhaltend, weshalb es ein paar unangenehme Ereignisse gab, bei denen mich verflossene Liebhaber ansprachen und fragten, weshalb ich nicht zurückgerufen hätte. Es wäre zu schade, wenn das hier der Fall wäre, weil dieser Typ unglaublich attraktiv ist und es schön wäre, wenn er nicht einer der abgelegten Liebhaber meiner Schwester wäre.
Sein Gesicht ist ein Meisterwerk maskuliner Perfektion – gerade Nase, hohe Wangenknochen, scharfes Kinn, mit dem man Glas schneiden könnte, volle Lippen. Vor allem die Unterlippe. Die Art von voll, die mich ans Küssen denken lässt, mit Zunge natürlich. Er besitzt die Attraktivität eines Spitzensportlers, mit einem Hauch Alphatier-Sexappeal. Es ist eine tödliche Kombination für den Zustand meines bereits feuchten Slips.
»Ich erkenne Sie.« Er hat eine tiefe, raue Stimme, wie feines Sandpapier.
Er sorgt dafür, dass ich endlich mit dem Glotzen aufhöre. Bestimmt hält er mich für Marley. Ich bin echt enttäuscht. »Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.«
»Oh nein, Schätzchen.« Er lässt erneut seinen Blick über mich gleiten. Ich fühle mich plötzlich ziemlich nackt. Und mir ist warm. Es ist wirklich warm hier drin. »Sie fahren einen hellblauen Buick.«
»Woher zum Teufel …«
»Ich wusste es!«, ruft er, und seine Augen leuchten mit siegesgewisser Zufriedenheit, als er mit einem langen Finger mit blauschwarzem Nagel auf mich zeigt. Vielleicht hat er ihn sich in einer Tür eingeklemmt oder so. Oder – angesichts seiner unhöflichen Art, auf mich zu zeigen – jemand hat es an seiner Stelle getan. »Ich wusste es, verdammt noch mal! Sie haben meinen Wagen geschrammt.«
Ich würde mich auf jeden Fall daran erinnern, wenn ich den Wagen von jemandem geschrammt hätte, vor allem wenn ihn ein so gut aussehender Typ gefahren hätte. Er sollte wahrscheinlich ein Warnschild darauf anbringen wie: »Falls Sie zu dicht auffahren, könnte Ihr Höschen in Flammen aufgehen.« Ich trete einen Schritt zurück, weil er mir auf die Pelle rückt und eindeutig nicht aufs Flirten aus ist, wie ich ursprünglich dachte. »Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wovon Sie reden.«
»Stellen Sie sich nicht dumm! Sie denken wohl, Sie können Ihren Pferdeschwanz herumwerfen …«, er streckt den Arm aus und schnipst gegen das Ende, was ziemlich überraschend kommt, »ein Lächeln aufsetzen und ein bisschen Dekolleté zeigen, und damit sind Sie aus dem Schneider. Denken Sie lieber noch mal nach, Schätzchen. Ich garantiere Ihnen, mein Lack ist noch immer auf Ihrer Stoßstange.« Er beugt sich über mich, und sein Gesicht ist viel zu dicht vor meinem. So dicht, dass ich winzige goldene Flecken in seinen dunkelgrünen Augen erkennen kann. Ein ungewöhnlicher Farbton, wie Kiefernnadeln.
Und er kaut Kaugummi. Juicy Fruit. Ich kann es riechen, als er mir seinen Atem ins Gesicht bläst. Ich hätte erwartet, dass ein Mann wie er eher so etwas wie Polar Ice oder Arctic Ice kaut – starke Pfefferminze.
Als er den Mund öffnet, um fortzufahren, lege ich ihm eine Hand auf die Brust und trete einen Schritt zurück. Es ist eine feste Brust. Ziemlich hart sogar. Sein Blick schnellt nach unten, Brauen gerunzelt. Ich mache es mir zunutze, dass er abgelenkt ist. »Erstens …« Ich richte meinen ausgestreckten Finger auf sein Gesicht, wie er es zuvor bei mir getan hat. »Ich bin nicht Ihr Schätzchen. Das ist herablassend. Zweitens, ich bin mir sicher, dass es mir nicht entgangen wäre, wenn ich einen anderen Wagen geschrammt hätte. Drittens, es gibt Hunderte von hellblauen Buicks in dieser blöden Stadt. Das ist kein ungewöhnliches Auto. Und ich würde gerne darauf hinweisen, dass der Kommentar über das Dekolleté unnötig und unangemessen und ganz schön sexistisch war.«
Er blinzelt ein paarmal, möglicherweise bestürzt. Doch der Ausdruck hält nicht lange an. Er verzieht höhnisch die Lippen, und das hübsche Spitzensportler-Gesicht verwandelt sich in eine sexy Fratze. »Netter Versuch, Schätzchen. Aber ich habe Sie ganz bestimmt nicht vergessen.« Er lässt seinen Blick über mich gleiten – der bis zu einem gewissen Grad anerkennend ist.
Ich stoße ihm mit einem Finger fest gegen die Brust. »Hören Sie auf, mich so anzüglich anzuschauen, Sie Perversling. Ich weiß nicht, welche Drogen Sie sich reinziehen, aber ich versichere Ihnen, Sie haben die falsche Person erwischt.«
»Oh Mist!«, höre ich die Stimme meiner Schwester hinter mir. Als ich mich umdrehe, will Marley gerade kehrtmachen, wendet sich jedoch mit einem Kreuzschritt wieder zu mir um. Mit weit aufgerissenen Augen und zu einer Grimasse verzogenem Mund packt sie mein Handgelenk.
»Was ist das denn? Es gibt zwei von Ihnen?«, fragt der sexy Irre, während sein Blick zwischen uns hin- und herwandert.
»Wir müssen gehen.« Marley umklammert meine Hand und zerrt mich den Gang entlang, weg vom sexy Anzugmann.
»He! Warten Sie gefälligst!«
Der scharfe Anzugträger versucht mich zu packen, doch Marley zerrt mich weg und stößt meinen Einkaufswagen in seine Richtung – fest. Er ist nicht schnell genug, um ihm auszuweichen, weshalb die Ecke des Wagens ihn genau im Schritt trifft. Er krümmt sich stöhnend und stößt den Wagen aggressiv zur Seite. Er prallt von einem Regal mit Dosenpfirsichen zurück, die mit ohrenbetäubendem Lärm in den Gang purzeln.
»Was soll das, Mar?«
»Los, komm schon!« Sie hastet den Gang entlang und zerrt mich hinter sich her. Ich protestiere, doch habe ich anscheinend keine große Wahl, so wie sie meine Hand umklammert oder den sexy Kerl im Anzug mit meinem Einkaufswagen attackiert hat.
Marley geht mit schnellen Schritten zum Ausgang, wobei sie über die Schulter blickt. »Verhalte dich ganz natürlich.«
»Würdest du mir bitte verraten, was los ist? Wer ist dieser Typ?«
Sie wirft ihr Haar über die Schulter und lächelt, als wir an den Kassiererinnen vorbeigehen und die Automatiktüren sich öffnen. Marley geht rasch den Gehsteig zu unserem Wagen entlang. »Kann sein, dass ich den Wagen des Typen touchiert habe, als ich letzten Samstag shoppen war.«
Ich bleibe stehen, was auch sie zu einem ruckartigen Stopp zwingt. Sie zerrt an meinem Arm. »Im Ernst, komm jetzt. Ich erklär’s dir, wenn wir im Wagen sind.«
»Auf keinen Fall. Du erklärst es jetzt.«
Ihr Blick schießt hin und her. »Es ist keine große Sache. Ich hab nur seine Stoßstange gestreift.« Marley stellt sich hinter mich und versucht, mich vorwärtszuschubsen. »Jetzt lass uns hier verschwinden, bevor er uns noch einmal begegnet. Wahrscheinlich sollten wir eine Zeit lang woanders einkaufen.«
Ich stolpere einen Schritt vorwärts und drehe mich dann zu ihr um. »Du hast den Wagen des Typen tatsächlich geschrammt?«
»Ich hab ihn gestreift. Jedenfalls denke ich das.« Sie ringt die Hände und macht ihr Oh-Mist-Gesicht.
Der sexy Irre scheint jetzt viel weniger verrückt zu sein und einen guten Grund für seine Reaktion zu haben. Bis auf den Kommentar mit dem Dekolleté. Der war wirklich überflüssig. »So, wie er sich dadrin aufgeführt hat, war es bestimmt nicht harmlos.«
»Er hat wahrscheinlich überreagiert. Wo sind die Schlüssel?« Sie ringt noch immer ihre Hände.
Ich taste nach meiner Hüfte, um meine Handtasche vor meiner Schwester in Sicherheit zu bringen. Nur dass ich tatsächlich meine Hüfte betaste. Ich blicke an mir hinunter, während ich mir auf der Suche nach der billigen Kunstlederraubkopie über den Bauch fahre. »So ein Mist.«
»Was ist?«
»Meine Handtasche. Sie ist noch im Einkaufswagen. Ich muss zurück und sie holen.«
Marley packt mich hinten an meinem Tanktop. »Das geht nicht! Was, wenn er noch immer drin ist!«
»Mein Ausweis ist in der Tasche, Marley. Und meine Kreditkarten und mein Geld und meine Autoschlüssel und Wohnungsschlüssel. Ich kann sie nicht einfach dalassen!«
Marley rudert mit den Armen, während sie im Kreis geht. »Was, wenn er darauf wartet, dass wir zurückkommen und sie holen?«
»Du kannst ja hierbleiben, wenn du willst, aber ich hole sie. Ich kann meine Handtasche nicht einfach dalassen, weil du auf dem Parkplatz den Wagen von jemandem angefahren hast. Ich fasse es nicht, dass du einfach abgehauen bist!«
»Ich dachte, ich hätte ihn nur touchiert, und dann bin ich in Panik geraten.« Ihre Finger sind jetzt an ihrem Mund. »Ich will nicht, dass unser Versicherungsbeitrag wegen eines Kerls mit einem Tesla erhöht wird.«
»Du hast einen Tesla geschrammt?« Das wird ja immer schlimmer.
»Jemand, der sich einen Tesla leisten kann, hat auch das Geld für die Reparatur, oder?«, antwortet Marley.
»Und du bist einfach abgehauen! Herrgott, Marley. Was hast du dir dabei gedacht?« Ich schüttele den Kopf. Ich würde gern sagen, dass mich das überrascht, aber leider tut es das nicht. Marley nutzt ihren gesunden Menschenverstand im Alltag nicht immer.
»Ich weiß nicht. Ich habe nicht nachgedacht. Das ist wahrscheinlich das Problem.«
Ich will wieder in den Laden gehen, bleibe aber wie angewurzelt stehen, als ich den Anzugträger erblicke, der mit verschränkten Fußknöcheln an meinem Wagen lehnt und die Ruhe selbst ist. Von seinem Finger baumelt meine gefälschte Handtasche von Coach. »Was vergessen?«
Pierce
Einen vollbeladenen Einkaufswagen in die Eier zu bekommen, tut wahnsinnig weh. Doch ich behalte mein Lächeln bei, als einer der Zwillinge auf mich zukommt. Diejenige, die meinen Wagen anscheinend nicht geschrammt hat. Die andere – die meinen Wagen geschrammt hat – bleibt in ein paar Metern Entfernung stehen und ringt die Hände.
Die Zwillingsschwester, die näher kommt, scheint ziemlich verlegen zu sein. Ihre Wangen glühen rosa, und sie hat ihre vollen Lippen so zusammengepresst, dass sie beinahe wie ein Schmollmund aussehen. Ihr Blick ist auf die Handtasche geheftet, die von meinem Finger baumelt. Da sie mich nicht ansieht, nutze ich die Gelegenheit und nehme sie unter die Lupe. Noch einmal.
Letzte Woche habe ich nach einem Meeting in Manhattan auf dem Weg zu meinem Bruder beim Supermarkt haltgemacht. Das Meeting war nicht lustig, weshalb ich bereits schlechte Laune hatte. Ich war noch nie in dem Markt gewesen – aber er ist nicht weit weg von seinem Strandhaus, außerdem hatte ich es ein wenig eilig und musste auf die Toilette. Ich wollte ein paar Steaks für das Barbecue und literweise Bier besorgen. Als ich an der Kasse anstand, bemerkte ich eine Frau mit einem Berg Gemüse und einer Schachtel Cinnamon-Toast-Crunch auf dem Band – eine meiner größten Schwächen während meiner Jugend.
Sobald ich bezahlt hatte, ging ich auf den Parkplatz, wo ich dieselbe Frau sah, als sie gerade auf den Fahrersitz ihres Wagens glitt – der neben meinem stand. Als Nächstes beobachtete ich, wie sie mit ihrer Wagenfront über meine hintere Seite schrammte, während sie von ihrem Parkplatz fuhr. Ich erstarrte vor Schreck, als sie den Lack meines Zweihunderttausend-Dollar-Wagens ruinierte. Ich erwartete, dass sie aus ihrem Wagen springen würde, um den Schaden zu begutachten oder eine Nachricht zu hinterlassen, wie es jeder anständige Mensch tun würde. Aber nein, sie bremste, blickte um sich, sah mich in der Ferne am Eingang des Supermarkts stehen und fuhr davon.
Und hier ist sie nun, nur dass es zwei sind. Ich hatte ihr keine besondere Beachtung geschenkt – sie war einfach nur eine Frau gewesen, die Cinnamon-Toast-Crunch mag und meinen Wagen geschrammt hatte. Aber als ich sie dann in dem Gang mit den Zerealien sah und sie genauer unter die Lupe nehmen konnte, habe ich bemerkt, wie umwerfend sie ist. Sie besitzt die Art von Schönheit, die einem die Sprache verschlägt und den Puls beschleunigt. Es ist seltsam, obwohl sie beinahe identisch sind, finde ich nur die anziehend, die auf mich zukommt. Außerdem ist es gut zu wissen, dass ich nicht auf Frauen stehe, die Fahrerflucht begehen.
Sie bleibt in ungefähr einem Meter Entfernung stehen und zeigt hinter sich auf ihre Schwester. »Mar hat mir erzählt, was sie getan hat. Es tut mir wirklich leid. Und auch«, sie zeigt auf meinen Schritt und kräuselt die Nase, »dass Sie der Einkaufswagen getroffen hat. Ehrlich gesagt, dachte ich, dass Sie irgendein Spinner sind, der mich in einem Supermarkt verfolgt, und Sie wussten, was für einen Wagen ich fahre. Sie müssen zugeben, dass das unheimlich ist, und dann haben Sie auch noch diesen völlig unangebrachten Kommentar über mein Dekolleté gemacht.«
Was mit einer Entschuldigung beginnt, verwandelt sich rasch in gerechten Zorn. Sie schnippt mit den Fingern und verschränkt die Arme vor der Brust. »Sie starren auf meine Brüste.«
Ich hebe den Blick zu ihrem Gesicht. »Sie haben von ihnen gesprochen.« Sie hat recht mit dem Dekolleté, aber ich bin noch nicht bereit, das zuzugeben, nicht nachdem ihre Schwester Fahrerflucht begangen hat.
Sie stemmt ihre Fäuste in die Hüften und verengt die Augen. Sie sind von einer hübschen Honigfarbe, eingerahmt von langen, dichten Wimpern. Sie trägt kein Make-up, und das Trainingsoutfit ist echt – sie gehört nicht zu den Frauen, die fortwährend in Elastan rumlaufen und so tun, als kämen sie gerade aus dem Fitnessstudio. So wie ihr Hintern aussieht, den ich mir im Supermarkt angeschaut habe, tut sie eine ganze Menge dafür.
»Kann ich bitte meine Handtasche zurückhaben?«, blafft sie.
»Sicher.« Als sie zögerlich einen Schritt auf mich zu macht, ziehe ich die Tasche zurück. »Sobald ich Ihre Versicherungsnummer und Kontaktdaten habe.«
Sie stößt die Luft aus und schließt für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnet, setzt sie ein charmantes Lächeln auf und streckt die Hand aus. »Sie sind in meiner Handtasche.«
»Netter Versuch, Schätzchen, aber so funktioniert das nicht.«
Sie schürzt die Lippen und kräuselt die Nase. »Könnten Sie damit aufhören, mich Schätzchen zu nennen?«
»Nennen Sie mir einen Namen, den ich benutzen kann, wenn es Sie so stört.«
Es macht Spaß, sie zu ärgern. Ich gebe zu, ich benehme mich wie ein Arschloch, aber ich fühle mich im Recht angesichts der dreitausend Dollar Schaden, die meinem Tesla zugefügt wurden. Ich musste beinahe die ganze Woche mit meinem Truck fahren, der sich nicht so leicht einparken lässt.
Sie seufzt. »Rian. Ich heiße Rian, und Sie?«
»Ryan?« Ich versuche den Namen mit der Frau vor mir in Einklang zu bringen.
»Wie der Jungenname, nur mit einem ›i‹ statt einem ›y‹, falls Sie ihn sich notieren wollen.« Sie schenkt mir ein genervtes Lächeln. »Und Sie sind?«
»Pierce.«
»Natürlich.« Sie rollt mit den Augen. Ich weiß nicht, was das soll, und ich habe auch keine Gelegenheit, sie zu fragen, denn sie poltert weiter: »Nun, ich würde ja gern sagen, freut mich, Sie kennenzulernen, Pierce, doch unter diesen Umständen wäre das eine Lüge, also …« Sie schüttelt den Kopf und murmelt etwas vor sich hin.
Abgesehen davon, dass mir ihre Erscheinung gefällt, fühle ich mich von ihrer Kratzbürstigkeit noch mehr angezogen.
»Taktgefühl ist nicht gerade Ihre Stärke, oder?«
»Nicht besonders, nein. Überrascht es Sie, dass ich Single bin?« Sie blickt zu dem klaren blauen Himmel auf. »Also, Pierce, wieso schreiben Sie sich nicht meine Kontaktdaten auf, damit wir das mit dem Kratzer auf Ihrer Blechkiste regeln und jeder seines Weges gehen kann.«
»Es ist ein Dreitausend-Dollar-Kratzer.«
Sie blinzelt ein paarmal, und die Kinnlade klappt ihr herunter. Sie wirft einen bösen Blick über die Schulter.
»Ach du Heiliger. Hätte sie nicht neben einem Honda Civic oder so etwas parken können? Musste es unbedingt ein teurer Wagen sein, der teuer zu reparieren ist?«
Ich fische mein Handy aus der Hosentasche, rufe die Kontakte auf und füge ihren Namen hinzu. »Ihre Nummer?« Ich überlege, wie das vielleicht ausgegangen wäre, wenn ich sie unter anderen Umständen angesprochen hätte.
Rian rasselt eine Nummer herunter, und sobald ich sie in mein Telefon eingetippt habe, rufe ich sie an. Eine gedämpfte Melodie kommt aus der Handtasche, die von meinem Finger baumelt.
Sie zieht eine Braue hoch. »Zufrieden?«
»Das werde ich sein, wenn ich die Daten vom Führerschein und von der Versicherung Ihrer Schwester habe.«
»Mar, komm hierher«, ruft sie über die Schulter.
Ihre Schwester trottet in unsere Richtung und sieht ziemlich misstrauisch und wütend aus. Was paradox ist, weil sie es schließlich war, die meinen Wagen geschrammt hat. »Was ist?«
Rian zeigt auf mich. »Er braucht ein Foto von deinem Führerschein und die Versicherungsdaten.«
»Mein Führerschein ist zu Hause. Du bist gefahren.« Sie ringt noch immer die Hände. »Ich dachte wirklich, ich hätte ihn nur touchiert.«
»Touchiert? Sie können sich gern die Schramme anschauen.« Ich zeige auf die Seite meines Wagens.
Rian bekommt große Augen, als sie den langen Kratzer sieht, der in die Seite gekerbt ist. »Oh, verdammt. Schau dir das an!« Sie zerrt ihre Schwester hin, damit sie sich den Schaden ebenfalls ansieht.
»Der könnte schon vorher da gewesen sein. Vielleicht habe ich seinen Wagen wirklich nur gestreift, und jemand anders hat das getan, und er benutzt uns, damit unsere Versicherung dafür zahlt.«
»Mein Lack ist noch immer auf Ihrem Wagen.« Ich zeige auf den schwarzen Streifen auf ihrer Stoßstange.
»Vielleicht haben Sie den ja draufgemacht«, sagt Mar.
»Im Ernst? Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, stehen zu bleiben und aus Ihrem Wagen zu steigen, um nachzusehen, was Sie getan haben, anstatt abzuhauen, wüssten Sie es. Sie sind vom Tatort geflüchtet. Das ist eine Straftat«, stelle ich fest.
Das bringt sie in Rage. »Ich war in Panik! Und offensichtlich können Sie es sich leisten, das reparieren zu lassen. Schauen Sie sich an.« Sie zeigt auf meinen Anzug. »Was ist das, Armani?«
»Tom Ford, und ich hätte auch die Cops anrufen und Anzeige erstatten können. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie hoch die Geldstrafe dafür ist?«
Rian hält eine Hand vor das Gesicht ihrer Schwester. »Kannst du den Mund halten und die Versicherungskarte aus dem Handschuhfach holen? Das ist wirklich peinlich.« Ihre nächste Bemerkung ist an mich gerichtet. »Ich bin wirklich dankbar dafür, dass Sie die Polizei nicht angerufen haben.«
»Vor allem, weil es ein Unfall war«, wirft ihre Schwester ein.
Rian packt sie am Arm und zerrt sie ungefähr fünf Meter weg. Sie haben eine gedämpfte, aber erhitzte Unterhaltung. Als sie zurückkommen, reicht Rian ihrer Schwester die Schlüssel. »Setz dich ins Auto, bitte.«
»Was? Wieso?«
»Weil ich gern verhindern würde, dass die Situation eskaliert.« Rian und ihre Schwester messen sich mindestens vier Sekunden lang mit Blicken. Dann geht sie in Richtung Fahrerseite, bis Rian sie aufhält. »Beifahrerseite.« Unter Schnauben und Fluchen geht sie um die Motorhaube herum und lässt sich auf den Beifahrersitz plumpsen.
Rian tut mir ein wenig leid, als sie im Handschuhfach wühlt und die Versicherungskarte und ihren Führerschein hervorholt, weil ihre Schwester keinen dabeihat, vor allem wenn man bedenkt, wie sehr sie die Kosten für die Reparatur zu stressen scheinen. Ich habe jetzt ihre Nummer, was schön ist, obwohl sie mit einem üppigen Preisschild versehen ist.
Rian reibt sich seufzend die Stirn. »Wenn Sie mir den Kostenvoranschlag und die Rechnung für die Reparatur schicken, handeln wir was aus. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, das ohne die Versicherung zu regeln, aber in Anbetracht der Umstände regeln wir das so, wie es Ihnen am besten passt.«
»Ich schicke Ihnen alles in den nächsten Tagen.«
Ich reiche ihr die Handtasche.
»Großartig.« Sie lächelt mich auf eine Weise an, die überhaupt nicht zu der Zustimmung passt. »Ich warte, bis Sie weggefahren sind, um weiteren Schaden an Ihrem wirklich schicken, wirklich teuren Wagen zu vermeiden.«
»Wirklich rücksichtsvoll von Ihnen.« Ich zwinkere ihr zu, woraufhin sie die Lippen schürzt, rot wird und »Schon gut«murmelt.
Ich bedeute ihr, in ihren Wagen zu steigen, und gehe sogar so weit, ihr wie der Gentleman, der ich manchmal bin, die Tür aufzuhalten. Sie schenkt mir ein angespanntes, leicht frustriertes Lächeln, als ich die Tür zumache, dann steige ich in meinen eigenen Wagen.
Ihre Fenster sind im Gegensatz zu meinen nicht getönt. Also kann ich trotz ihrer Anstrengung sehen, dass sie und ihre Schwester sich einen verbalen Schlagabtausch liefern. Ihre Schwester fuchtelt dabei wild mit den Armen. Was ziemlich unterhaltsam ist. Ich achte nicht richtig auf das, was hinter mir passiert, als ich rückwärts aus der Parklücke stoße, weshalb eine alte Dame in einem ebenfalls hellblauen Buick beinahe auf mich auffährt.
Rian reißt die Augen auf und schlägt sich die Hand vor den Mund, als ich auf die Bremse trete und nur knapp einem Aufprall auf das hintere Ende meines Wagens entgehe.
Sobald die alte Dame vorbeigefahren ist und ich mich vergewissert habe, dass sonst keiner kommt, stoße ich ganz aus der Parklücke heraus und winke Rian fröhlich zu, als ich an ihrem Wagen vorbeifahre.
Ihre Schwester hat recht. Ich brauche das Geld nicht. Wenn ich wollte, könnte ich diesen Tesla sogar durch einen brandneuen ersetzen. Aber das ist nicht meine Art, mit den Dingen umzugehen. Nur weil ich über genügend Geldmittel verfüge, heißt das nicht, dass ich sie an unnötiges Spielzeug vergeude. Jedenfalls nicht an noch mehr, als ich bereits habe. Ich habe mir drei Kostenvoranschläge für die Reparatur machen lassen, um sicherzugehen, dass mich mein Händler nicht zu betrügen versucht.
Doch es geht ums Prinzip. Jemanden auf einem Parkplatz anzufahren und abzuhauen, ist einfach daneben. Und obwohl es mir leidtut, dass Rian den Kopf dafür hinhält, muss jemand die Verantwortung für den Fehler übernehmen.
Aber so habe ich wenigstens die Möglichkeit, sie wiederzusehen. Und trotz ihrer kratzbürstigen Art, oder vielleicht wegen ihr, hoffe ich, dass ich erneut mit ihr zu tun haben werde.
Rian
»Ich fasse es einfach nicht!« Ich halte das Lenkrad fest umklammert, um nicht herumzufuchteln, wie ich es gern tue, wenn ich aufgebracht bin.
»Der Typ war echt ein Arschloch.« Marley lümmelt sich mit vor der Brust verschränkten Armen wie ein launischer Teenager in den Beifahrersitz. Was an manchen Tagen nicht weit von der Realität entfernt ist. Angesichts ihrer mangelnden Reife in der derzeitigen Situation ist es schwer zu glauben, dass sie vor mir auf die Welt gekommen ist. Diese drei Extraminuten Leben haben nicht dazu beigetragen, dass sie sich der Konsequenzen ihrer Handlungen bewusster wäre.
»Du hast seinen Wagen geschrammt! Er hatte jedes Recht, ein A-loch zu sein.« Ich werde trotzdem versuchen, seine sexistische Bemerkung zu meinen Gunsten zu nutzen, wenn es darum geht, für die Lackierarbeiten zu zahlen.
»Er stand viel zu dicht neben mir. Es ist sein eigener verdammter Fehler, dass ich seine blöde Angeberkarre geschrammt habe.«
»Du hättest vielleicht auf ihn warten und ihm die Meinung über seine miesen Einparkkünste geigen sollen, anstatt seine Lackierung zu ruinieren. Als könnten wir uns gerade dreitausend Dollar für Reparaturen leisten!«
»Wir haben das Geld, wenn wir in ein paar Wochen diese beiden Strandhäuser verkaufen und das Geld aus dem Fonds fällig ist, also ist es überhaupt kein Problem.«
»Die Maklergebühr und der Fonds sind nicht für den Autolack von irgendeinem Typen vorgesehen.«
»Jedenfalls scheint ihm dein Hintern zu gefallen. Ich finde, du solltest deine Titten einsetzen, um einen Tesla-Reparaturrabatt zu bekommen, damit wir die Maklergebühr nicht angreifen müssen.« Marley nimmt ihr Telefon und tippt etwas.
»Ich benutze meine Brüste nicht, um einen Rabatt zu bekommen.« Ich würde gern sagen, dass es verrückt ist, dass meine Schwester und ich häufig die gleichen Einfälle haben, aber das ist es nicht. Zwillinge zu sein bedeutet, dass wir oft bereits wissen, was die andere denkt oder vorhat. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir ihr Vorschlag, egal wie abscheulich er ist.
Sie sieht mich mit ihrer Biestbraue an. Bei diesem Gesichtsausdruck zieht sie eine Braue verschlagen nach oben und betrachtet mich mit wissendem Blick. »Wieso nicht, zum Henker? Das Arschloch war scharf, was zwei deiner bevorzugten Eigenschaften bei Männern sind. Und reich. Er ist ein reiches, sexy Arschloch. Und er findet dich auch sexy.«
»Ich mag keine sexy A-Löcher, und er findet mich nicht sexy.« Die Wahrheit ist, ich habe eine grottenschlechte Erfolgsbilanz, was das Daten attraktiver Männer betrifft; sie erweisen sich immer als absolute Volltrottel. Ich trete auf die Bremse, als die Ampel auf Gelb umschaltet, und stehe bereits, bevor sie rot wird. Der Fahrer hinter mir ist genervt, aber ich bin im Gegensatz zu meiner Schwester beim Fahren absolut auf Sicherheit bedacht.
»Ich habe gesehen, wie er dich unter die Lupe genommen hat. Du musst aus seinen hormonellen Impulsen Kapital schlagen. Nutze sie, damit wir nicht für seinen zerkratzten Lack aufkommen müssen.«
»Willst du damit sagen, dass ich mit ihm schlafen soll, damit wir nicht für die Reparatur zahlen müssen?« Ich weiß nicht, weshalb ich so entsetzt klinge. Es sollte mich eigentlich nicht überraschen, dass Marley so etwas andeutet. Das passt einfach zu ihr.
»Ich habe nichts davon gesagt, dass du mit ihm schlafen sollst, aber ich finde es schon interessant, dass du in diese Richtung denkst.«
»Darauf wolltest du doch hinaus!«
»Nein, wollte ich nicht. Ich sage nur, dass er echt scharf ist und das Gleiche über dich denkt, also mach dir das zunutze.«
»Nun, wenn er mich scharf findet, findet er dich ebenfalls scharf. Vielleicht solltest du mit ihm schlafen.« Ich fahre in die Auffahrt unseres Zweifamilienhauses und bremse scharf.
»Stimmt nicht. Er will nicht mir an den Hintern fassen, er will dir an den Hintern fassen.«
»Unsere Hintern sind beinahe identisch, wie alles andere auch.«
»Noch mal. Stimmt nicht. Ich habe Körbchengröße B und du hast C. Du hast viel mehr Rundungen, und dein Hintern ist zum Wackeln wie geschaffen.«
Ich starre meine Schwester böse an. »Bist du endlich fertig?«
»So wütend, wie du guckst, werde ich Ja sagen. Es ist keine Beleidigung, Rian, es ist ein Kompliment. Ich bin eine Bohnenstange mit Brüsten. Du hast eine Figur.«
»Hör bitte auf.«
Ich bin mehr als genervt von der ganzen Situation. Ich bin außerdem besorgt darüber, Tausende von Dollar für eine unvorhergesehene Wagenreparatur mitaufbringen zu müssen. Wir müssen ein paar finanzielle Vorgaben erfüllen, um unseren Plan umzusetzen, und das hier bedeutet einen Rückschlag. Ich mag keine Rückschläge. Vor allem nicht finanzieller Art. Wir hatten in den letzten zehn Jahren genug davon, und wir sind endlich auf der Erfolgsspur. Ich will nicht, dass irgendetwas dazwischenkommt, und schon gar kein feindseliger Anzugträger.
Seit ein paar Jahren verdienen wir uns unseren Lebensunterhalt auf dem Immobilienmarkt, doch das richtige Geld steckt im Haus-Flipping, was eine Menge Kapital und einen raschen Wiederverkauf voraussetzt. Je schneller es geht, desto besser, und das richtige Objekt kann einen üppigen Gewinn abwerfen. Von der Sorte, die ein Bankkonto zum Singen bringt. »Halleluja.« Falls Marley nicht noch weitere Teslas schrammt.
Ich steige aus dem Wagen, schlage die Tür fester als nötig zu, gehe um den Wagen herum und öffne den Kofferraum. Erst als ich sehe, dass er gähnend leer ist, fällt mir wieder ein, dass sämtliche Einkäufe noch immer im Einkaufswagen des Supermarkts liegen, weshalb die Stunde, die ich mit dem Vergleichen von Preisen zugebracht habe, völlig umsonst war.
Ich knalle den Kofferraumdeckel zu und gehe zur Vorderseite meines Wagens, wo auf der Stoßstange schwarze Farbe klebt. Mein Wagen gehörte vorher einer älteren Dame, die erst dann feststellte, dass sie zu dicht auffuhr, wenn es rumste. Demnach ist es keine Überraschung, dass ich die Farbflecke bisher nicht bemerkt habe, denn der Wagen hat überall Dellen. Von denen keine auf mein Konto geht.
»Du solltest das Positive daran sehen, Ri«, sagt Marley, während sie mir die Auffahrt hinauf zum Seiteneingang folgt. »Wenigstens bin ich nicht mit dem guten Wagen gefahren.« Sie tätschelt im Vorbeigehen die Motorhaube des Acura.
Finanziell wäre es schlauer gewesen, nur einen Wagen zu haben, doch die Wahrheit ist, wir brauchen zwei. Und einer davon muss schick aussehen. In einer Klapperkiste zu einem Besichtigungstermin vorzufahren, sieht nicht gerade nach Erfolg aus, und auf dem Immobilienmarkt sagt ein schicker Wagen: Ich bin erfolgreich, kaufe von mir, verkaufe über mich! Es ist eine echte Durch-Schein-zum-Sein-Welt dort draußen.
Also fährt Marley mit dem Acura zu den ganzen Besichtigungsterminen, und ich fahre in einem alten Buick herum.
Ich tippe den Code ein und schleppe meine armen, schmerzenden Beine in die Wohnung im ersten Stock, dicht gefolgt von Marley. Das Apartment ist weit entfernt von dem Zuhause, in dem wir aufgewachsen sind. Doch wenn man mit achtzehn zu Waisen wird und einem ein Berg Schulden und eine ganze Armee von Feinden hinterlassen werden, lernt man, das zu schätzen, was man hat, auch wenn es nicht viel ist.
Das kleine Zweifamilienhaus war ein Geschenk unserer Großmutter, möge ihre schöne Seele in Frieden ruhen, denn ohne das wären Marley und ich vor zehn Jahren obdachlos gewesen. Es ist das Einzige, was uns von Deana Sutter geblieben ist. Dank unseres Hochstapler-Vaters wurde alles von der Bank beschlagnahmt oder zwangsversteigert.
Marley ist eine hervorragende Maklerin, und ich bin sehr geschickt im Umgang mit dem Geld unseres Unternehmens. Doch diese Lackierrechnung ist eine unerwartete Ausgabe und wirft uns bei unserem Haus-Flipping-Vorhaben finanziell zurück. Und Immobilien in den Hamptons sind unglaublich begehrt, vor allem die um das Mission Mansion herum.
Es ist ein wunderschönes, aber heruntergekommenes Haus, eine Immobilie im erschwinglicheren Teil der Hamptons, sofern dort überhaupt etwas als erschwinglich gelten kann. Alles, was direkt am Strand liegt, verströmt Prestige und Exklusivität, aber dieses einzigartige Objekt und seine Lage machen es zu einer besonders begehrenswerten Immobilie, trotz der notwendigen Renovierungsarbeiten.
Nach dem, was wir in den letzten Jahren beobachtet haben, sind die Häuser von älteren Paaren oder Witwen und Witwern um das Mansion herum die besten. Diese Leute haben keine Lust mehr auf die Instandhaltung, die vollen Strände am Wochenende und die im Laufe der Zeit notwendigen Veränderungen. Sie wollen die südliche Wärme, wo die Temperaturen nie unter null Grad sinken. Sie haben ihr Zuhause zuletzt in den frühen Achtzigern oder Neunzigern auf den aktuellen Stand gebracht, weshalb es ein wenig veraltet ist. Und überraschenderweise ist der Preis einiger Häuser nicht so astronomisch, wie man es in den Hamptons erwartet.
Sobald wir das Geld zusammenhaben, wollen wir eins der Häuser kaufen, es durch eine Modernisierung ins einundzwanzigste Jahrhundert holen und wiederverkaufen. Mit unseren Ersparnissen und unserem Fonds werden wir irgendwann genug Geld haben, um Barzahlungsangebote zu machen, damit wir uns über Hypotheken und Kredite keine Sorgen machen müssen. Unser Plan ist es, weiterhin Immobilien zu verkaufen, aber mehr in Richtung Haus-Flipping zu gehen, bis wir es uns leisten können, das Mission Mansion zu kaufen – das großartige, vernachlässigte Anwesen in Hamptons Bay, das einmal unserer Großmutter gehörte.
Ich will es nicht wiederverkaufen. Mit ausreichend finanziellem Puffer könnten wir es idealerweise renovieren und daraus ein Bed and Breakfast machen. Die Herausforderung besteht darin, Marley davon zu überzeugen, dass das eine gute Idee ist. Sie hängt nicht so daran wie ich.
Außerdem ist es Glückssache, weil wir nicht wissen, wann oder ob es zum Verkauf angeboten wird. Doch es steht schon seit Jahren leer, und der Markt spielt gerade verrückt, weshalb ich das Gefühl habe, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Es ist ein großer Traum und ein noch größeres Zahlenspiel. Ich liebe Zahlen. Und wie. Sie machen mich glücklich. Sie schenken mir Frieden. Aber nicht, wenn sie in Form von Dollars wegen reicher, Tesla fahrender, heißer Arschlöcher von unserem Bankkonto abfließen.
Nach einer kurzen Dusche schlüpfe ich in Leggings und ein T-Shirt und mache es mir mit meinem Laptop auf dem Bett bequem. Ich habe Nachrichten von der Singlebörse, bei der meine Schwester, ohne meine Erlaubnis und nur so zum Spaß, ein Profil für mich erstellt hat.
Man soll einen Fragebogen ausfüllen – was Marley netterweise für mich erledigt hat. Daraufhin habe ich mich eingeloggt und die Informationen verändert, weil ich neugierig war, wer dann zu mir passen würde und welchen Algorithmus sie benutzen, um Punkte für Kompatibilität zu verteilen. Ich bin mehr daran interessiert, mir die Männer anzuschauen, die nicht zu mir passen. Wie nicht anders zu erwarten, sind es die scharfen Typen.
Meine Erfahrungen mit scharfen Typen sind nicht gerade vielversprechend, weshalb ich einen Bogen um sie mache. Sie sind gewöhnlich unzuverlässig und ziemlich ichbezogen – sowohl im als auch außerhalb des Bettes.
Die Typen mit einer höheren Kompatibilitätsbewertung sind meistens weniger attraktiv, linken mich aber auch nicht so leicht.
Ich habe mich kürzlich mit einem Typen namens Terry getroffen. Wir haben Kaffee getrunken. Na ja, ich habe Kaffee getrunken und er einen Kräutertee.
Er hat gestern um ein weiteres Treffen gebeten. Diesmal zum Abendessen. Ich bin nicht hundertprozentig sicher, ob es da eine Verbindung gibt, aber wir sind angeblich eine Neun von zehn auf der Matchingliste, also habe ich hauptsächlich wegen des sozialen Experiments Ja gesagt. Vielleicht war es einfach Unbeholfenheit beim ersten Mal, und beim zweiten Mal wird es besser.
Jedenfalls bin ich mir nicht sicher, ob ich einen Mann in meinem Leben haben möchte. Sie verkomplizieren die Dinge. Ich habe schon Probleme mit Daddy, und meine letzte Langzeitbeziehung hat sich in Wohlgefallen aufgelöst – das ist schon Jahre her und geschah gleich, nachdem mein restliches Leben völlig aus den Fugen geraten war. Ich hatte nicht viel Zeit und Energie für jemand anders als meine Schwester. Und das Schlimmste ist sowieso, abserviert zu werden. Wenn ich wie Marley mit flüchtigen Affären besser klarkäme, wäre das ideal.
Als ich um Mitternacht ins Bett gehe, summt mein Telefon. Ich werfe einen flüchtigen Blick darauf, weil ich manchmal um diese Zeit Nachrichten über die Dating-App bekomme. Wahrscheinlich liegen die ganzen einsamen Loser im Bett und wünschen sich, nicht allein zu sein. Ich nicht. Ich bin froh, mein Doppelbett ganz für mich allein zu haben. Meistens jedenfalls. Und ich habe einen ziemlich funktionstüchtigen Vibrator, der sich um meine körperlichen Bedürfnisse kümmert, wenn das Alleinsein seinen Tribut fordert und Daten zu viel Aufwand bedeutet.
Doch es ist nicht die Dating-App. Es ist eine Nachricht von einer Nummer, die ich nicht kenne. Ich schlüpfe unter die Decke und gebe mein Passwort ein.
Hi. Hier ist Pierce, der Typ, dem Sie mit einem Einkaufswagen die Eier gequetscht haben und dessen Wagen von Ihrer Schwester geschrammt wurde. Können Sie mir kurz Ihre E-Mail-Adresse schicken, damit ich Ihnen die Angebote zusenden kann?
Ich überlege, ob ich um diese Uhrzeit überhaupt noch antworten soll. Ich beschließe, bis zum nächsten Morgen zu warten. Es ist schließlich Mitternacht. Die meisten Leute, die am nächsten Tag zur Arbeit müssen, schlafen bereits. Vielleicht gehört er zu den Anzugträgern, die sich ihre Zeit selbst einteilen.
Am nächsten Morgen erwache ich aus einem gar nicht jugendfreien Traum, der sich in einem Supermarkt abgespielt hat. Außerdem zu neuen Nachrichten von Pierce – der zufälligerweise die Hauptfigur in meinem Traum war. In meiner Fantasie war er ziemlich gut ausgestattet.
Pierce: Ich vermute, das bedeutet nein.
An die Nachricht angehängt sind drei Fotos von Angeboten dreier Werkstätten. Sie ähneln sich sehr im Preis. Ich schicke eine Nachricht zurück und gebe meinem halbwachen Zustand die Schuld dafür, dass ich nicht besonders nachdenke.
Rian: Meine Schwester war die Eierquetscherin, nicht ich. Ist in den Angeboten der Rabatt für den sexistischen Kommentar schon mit drin?
Die drei bewegten Punkte erscheinen und zeigen an, dass er eine Nachricht schreibt. Doch nach zwei Minuten verschwinden die Punkte auf einmal, und mein Telefon klingelt, was mich zusammenfahren lässt. Ich ziehe die Decke über mich, um meine dämlichen harten Nippel zu verstecken – als ob er sie sehen könnte.
»Hallo?« Meine Stimme ist vom Schlaf noch rau.
»Hi. Sind Sie Rian?« Wieso klingt mein Name aus seinem Mund so sündig?
Ich bedecke das Handymikrofon und räuspere mich, bevor ich antworte: »Ja.«
»Hier ist Pierce. Habe ich Sie geweckt?«
»Ja. Ich schicke Nachrichten im Schlaf.«
»Was tun Sie noch so im Schlaf?«
»Ist es nicht ein bisschen früh für versteckte Anspielungen zwischen Fremden?« Ich lasse ihm keine Zeit, die Frage zu beantworten. »Ich habe nachgedacht.«
»Und was waren das für Gedanken, Rian?«
Schmutzige, von dir und mir in der Obst- und Gemüseabteilung. Ich behalte das für mich. »Ich denke, es ist nur fair, wenn Sie die Rechnung wegen des sexistischen Kommentars, den Sie über mein Dekolleté gemacht haben, reduzieren.«
»Ach ja?« Er klingt amüsiert.
»Hm. Marley meinte, Sie hätten viel zu dicht an ihrem Wagen geparkt, weshalb es eigentlich Ihr Fehler ist, dass sie Ihren Wagen geschrammt hat.«
»Ah. Interessante Logik.«
»Hätten Sie ihr mehr Platz gelassen, wäre Ihr Wagen vielleicht noch unversehrt.« Ich erwarte nicht ernsthaft, dass er die Rechnung reduziert, aber einen Versuch ist es wert.
»Muss ich Sie daran erinnern, dass Ihre Schwester Fahrerflucht begangen hat und ich so nett war, nicht die Polizei zu verständigen?«
»Können Sie überhaupt beweisen, dass sie es war? Was, wenn Sie uns reinlegen wollen? Außerdem sind Sie uns in einem Supermarkt nachgeschlichen, und ich weiß nicht, ob das so viel besser ist.« Wieso greife ich den Kerl an? Ich meine, abgesehen davon, dass ich mit ihm im Gespräch bleiben will, um seiner sexy Stimme zu lauschen. Außerdem hat meine untere Körperhälfte angefangen zu pochen.
»Nun, da es sich um eine Sonderlackierung handelt und noch immer eine Menge davon an Ihrer Stoßstange klebt, bin ich mir sicher, dass es leicht zu beweisen ist. Außer Sie haben Ihre Luxuskarosse durch die Waschanlage gefahren, nachdem wir uns gestern kennengelernt haben.«
Sarkastischer Scheißtyp. »Vielleicht habe ich das. Vielleicht existiert dieser angebliche Beweis gar nicht.«
»Das ist fraglich. Doch ich bin bereit, über die Bedingungen zu verhandeln.«
»Bedingungen wofür genau?«
»Für die Lackierrechnung. Wir könnten das bei, sagen wir, einem Drink besprechen?«
»Wie bitte?« Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das richtig verstanden habe. »Könnten Sie das bitte wiederholen?«
»Wir könnten die Kosten bei einem Drink besprechen. Nur ein paar Stunden Ihrer Zeit, während derer wir bestimmt zu einer vernünftigen Einigung kommen.«
»Bitten Sie mich etwa um ein Date?«
»Wenn Sie wollen, nennen wir es so.«
Plötzlich wird klar, was er da zu tun versucht. »Moment. Versuchen Sie mich zu erpressen und dazu zu bringen, wegen einer Autoreparatur Sex mit Ihnen zu haben? Falls das Ihr Ansatz ist, muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie auf meiner Vagina kein Preisschild anbringen können. Sie steht nicht zum Verkauf.«
Ein Teil von mir fühlt sich geschmeichelt, weil er denkt, Sex mit mir wäre es wert, eine Dreitausend-Dollar-Reparatur dagegen einzutauschen. Der andere Teil ist angewidert, weil ich mich überhaupt geschmeichelt fühle.
Dreitausend ist ein ziemlich saftiges Preisschild, aber trotzdem. In meiner Garage haben bisher nur wenige Autos geparkt. Ich bin nicht daran interessiert, noch jemanden dort reinzulassen, nur um eine Reparaturzahlung zu vermeiden, auch wenn der Wagen schick ist und einem wirklich scharfen Typen gehört.
»Langsam. Regen Sie sich ab, Schätzchen. Ich versuche nicht, Sie zu erpressen. Sie haben um einen Rabatt für die sexistische Bemerkung gebeten. Ich schlage nur vor, dass wir uns bei einem Drink das weitere Vorgehen überlegen. Es können auch welche von der nicht-alkoholischen Sorte sein, falls Sie in meiner Gegenwart nicht alkoholisiert sein wollen. Und fürs Protokoll, ich habe sexuelle Gefälligkeiten weder erwähnt noch angedeutet, aber ich bin ziemlich fasziniert davon, dass Sie automatisch davon ausgegangen sind, dass sie zum Deal gehören.«
Ich schnalze mit der Zunge. »Ach, kommen Sie. Natürlich haben Sie das angedeutet. Wer tauscht eine Reparatur über dreitausend Dollar gegen ein Date ein, außer er hat Geld wie Heu und ist ein zu großes A-loch, um ohne Erpressung flachgelegt zu werden? Es wird weder etwas Sexuelles noch ein Date geben. Ich kenne Sie nicht einmal. Sie könnten auch ein verrückter Soziopath sein, der mir und meiner Schwester im Supermarkt nachschleicht und darauf wartet, im richtigen Moment zuzuschlagen.« Der Krimimarathon letzte Woche im Fernsehen war wahrscheinlich nicht die beste Idee.
»Ich kann Ihnen versichern, dass ich definitiv kein Soziopath bin. Falls Sie Ihre Meinung ändern, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen.«
Dann beendet er das Gespräch.
Ich starre ungläubig auf das Telefon. »Was soll das denn?« Das muss irgendein seltsames Spiel sein. Das mit dem Date diente vielleicht nur dazu, mich durcheinanderzubringen. Vielleicht hält er sich für witzig. Ich habe keine Ahnung. Ich kenne nicht einmal den Nachnamen des Typen. Nur Pierce, sexy A-loch im Anzug. Ich hoffe, ich höre nie wieder etwas von ihm, obwohl das unwahrscheinlich ist, weil Marley und ich ihm noch immer Geld schulden.
Zu meiner Bestürzung – mehr oder weniger – schickt mir Pierce am nächsten Tag erneut eine Nachricht.
Pierce: Das mit dem Drink noch mal überlegt?
Rian: Nein.
Pierce: Sind Sie sicher?
Rian: Ja.
Pierce: Okay. Wollte mich nur vergewissern.
Natürlich habe ich darüber nachgedacht, wahrscheinlich hundertmal in den letzten beiden Tagen. Aber ich kann jetzt nicht mehr Ja sagen. Nicht nachdem ich automatisch angenommen habe, dass er einen Tauschhandel gegen Sex im Sinn hat. Nicht dass jemand wie er überhaupt irgendeinen Tauschhandel treiben müsste, vor allem nicht gegen Sex. Ich bin sicher, dass sich Frauen regelmäßig in sein Schätzchen-Getue und sein hübsches Lächeln verknallen. Was der Grund dafür ist, dass ich nicht Ja sagen werde. Aus Prinzip nicht. Außerdem habe ich nächste Woche das Date mit Terry, und ich will nicht mehr als einen Typen auf einmal daten, weil das verwirrend ist.
Die nächsten beiden Tage macht Pierce so weiter.
Pierce: Root Beer Float?
Rian: Gibt es darüber nicht einen schmutzigen Song?
Pierce: Wieso geht es bei Ihnen dauernd um Sex?
Darauf antworte ich nicht. Spätabends kommt die Nächste.
Pierce: Mögen Sie Tee?
Rian: Wollen Sie einen Witz über Teebeutel machen?
Pierce: Das würde ich nicht wagen.
Ich ignoriere die Nachricht. Es ist schon Tage her, dass er die Kostenvoranschläge geschickt hat, und ich hätte sie gerne aus dem Kopf und erledigt.
Rian: Ich möchte Ihnen das Geld auf Ihr Konto überweisen. Schicken Sie mir bitte die Nummer?
Pierce: Sicher. Treffen wir uns bei Fresco’s am Strand. Passt neunzehn Uhr?
Rian: Das wird nicht passieren. Bitte die Kontodaten.
Pierce: Es wäre mir lieber, wenn die Transaktion persönlich stattfindet.
Ich suche nach dem Fresco’s. Es ist ein Fünf-Sterne-Restaurant. Ein Laden wie geschaffen für Romantik und Verführung. Das billigste Gericht auf der Karte ist eine Hühnerbrust für fünfunddreißig Dollar. Ich weiß nicht, welches Spiel der Kerl spielt, aber ich will nicht spielen. Nicht so richtig jedenfalls.
Aber ich muss diese Geldgeschichte klären und dafür sorgen, dass er aufhört, mir Nachrichten zu schicken. Denn ich finde langsam Gefallen an dem Geplänkel, was nicht gut ist. Also lenke ich ein, obwohl ich das nicht tun sollte.
Rian: In einer Stunde im Starbucks Ecke Montauk und Ponquogue. Ich bringe einen Scheck mit.
Pierce: Das ist ein Date.
Rian: Das ist eine Transaktion und die Möglichkeit, Sie loszuwerden, interpretieren Sie da nichts hinein.
Pierce: Bis gleich;)
Ich verstehe nicht, wieso der Kerl so darauf drängt, mich zu sehen, wo ich doch nur schwierig bin. Wahrscheinlich gefällt ihm das Eroberungsspiel.
Gern würde ich behaupten, dass ich mir nicht die geringste Mühe gebe, um gut auszusehen, aber das entspräche nicht der Wahrheit. Ich gebe mir nur halbherzig Mühe. Ich kombiniere Jeans mit einem langärmeligen Shirt und benutze dezentes Make-up, Wimperntusche und etwas Lipgloss. Ich trage flache Schuhe und binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit es so aussieht, als wäre mir egal, was er über mein Aussehen denkt.
Ich bin bewaffnet mit den Kostenvoranschlägen, meinem Scheckbuch und dem vagen Plan, ihn wegen des sexistischen Kommentars herunterzuhandeln. Mein Ziel ist es, das Ganze wie ein Geschäftstreffen aufzuziehen, um ihm klarzumachen, dass das kein Date ist. Obwohl ich eine Viertelstunde zu früh dran bin, ist er bereits da. A-loch.
Er sitzt in einem der bequemen Sessel und hält in der Hand einen Grande irgendwas. Diesmal trägt er keinen Anzug. Stattdessen hat er verwaschene Jeans und ein T-Shirt mit einem Hot Dog drauf an. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber er sieht in Jeans genauso gut aus wie im Anzug, vielleicht sogar besser.
Es ist schrecklich unfair. Und meine weiblichen Körperteile reagieren dementsprechend. Was schlecht ist. Ich muss mir in Erinnerung rufen, dass scharfe Typen grundsätzlich eine schlechte Wahl sind.
Er blickt von dem Telefon in seiner Hand auf, als die Türglocke klingelt. Er stellt seinen Kaffee auf den kleinen Tisch, zeigt auf den leeren Platz ihm gegenüber und steht auf. Wieso hat er nur ein so hübsches Lächeln?
»Sie sind zu früh.« Es klingt wie ein Vorwurf.
Pierce’ Lächeln wird breiter. Er hat so volle Lippen, seine Zähne sind weiß und gerade und einfach perfekt. »Sie ebenfalls.«