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Das Autismus-Spektrum ist häufiger anzutreffen, als allgemein angenommen wird. Im Prinzip sollte man bei jedem verschlossenen Kind, das auffallend intelligent wirkt, aber kein normales Gefühl für soziale Umgangsformen hat und eine besondere Einzelbegabung besitzt, an diese Diagnose denken. Das bekannte amerikanische Autorenpaar Reichenberg-Ullman und ihr Praxiskollege Luepker haben sich solchen Kindern besonders gewidmet und zeigen, dass man diese Verhaltensstörungen erfolgreich homöopathisch behandeln kann. Zuerst wird gezeigt, wie man eine Verhaltensstörung aus dem Autismus-Spektrum erkennt. Dann wird die neue homöopathische Methode Rajan Sankarans beschrieben, die eine „vitale Empfindung“ als zentrale Störung hervorhebt und weltweit Beachtung findet. Damit ist das Buch nicht nur für Eltern wertvoll, sondern allen zu empfehlen, die eine Einführung in diese neue Methode suchen. „Die Autoren dringen in die Tiefen des Falles vor, um die innere Störung zu finden, die allen Symptomen zugrunde liegt. Sie behandeln vorwiegend Kindern mit Asperger-Syndrom und Autismus. Das ist besonders wertvoll, weil es sich hier um schwer therapierbare Krankheitszustände handelt. Anhand von Fällen veranschaulichen sie, wie sie sich an die vitale Empfindung, die tiefste Störung bei jedem Kind, herangetastet haben. Sie haben eine wunderbare Gabe, ihre Ideen in Worte zu fassen.“ Rajan Sankaran „Mein eigener Sohn wurde durch Homöopathie vom Autismus geheilt. Mit diesem Buch hat das Ullman-Duo es wieder geschafft. ein unschätzbarer Patientenratgeber!“ Amy L. Lansky, PhD. „Die Ärzte Ullman und Reichenberg-Ullman sind weithin als herausragende homöopathische Praktiker für schwierige Kinder anerkannt. Ihre sehr lesenswerten Bücher dokumentieren die dramatischen Wirkungen der Homöopathie bei diesen Kindern. Eine echte Inspiration!“ Roger Morrison, M.D.
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Seitenzahl: 386
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Judyth Reichenberg-Ullman • Robert Ullman • Ian Luepker
Homöopathie
bei Autismus und Asperger-Syndrom
Judyth Reichenberg-Ullman, N.D., L.C.S.W.
Robert Ullman, N.D. und Ian Luepker, N.D.
Homöopathie bei Autismus und Asperger-Syndrom
1. deutsche Ausgabe 2006 2. überarbeitete deutsche Auflage 2014 3. Auflage 2018
ISBN 978-3-95582-057-2
Titel der amerikanischen Original-Ausgabe: A Drug-Free Approach to Asperger Syndrome and Autism Homeopathic Care for Exceptional Kids 2005
Übersetzt von Stella Gylaris Bearbeitet von Shiela Mukerjee-Guzik
Herausgeber: Narayana Verlag, Blumenplatz 2, 79400 Kandern Tel.: +49 7626 970145 E-Mail: [email protected]
© 2006, Narayana Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags darf kein Teil dieses Buches in irgendeiner Form - mechanisch, elektronisch, fotografisch - reproduziert, vervielfältigt, übersetzt oder gespeichert werden, mit Ausnahme kurzer Passagen für Buchbesprechungen.
Dieses Buch widmen wir Angela und allen, die der eigenen Berufung mit ganzem Herzen und aufrichtig folgen.
Vorwort von Rajan Sankaran
Vorwort zur englischen Ausgabe
Danksagung
Einführung
Teil I
Die homöopathische Behandlung des Asperger-Syndroms ohne Chemie
1. Fremde in einer fremden Welt:
Die Hauptmerkmale des Asperger-Syndroms
2. Mehr Lebensqualität durch Chemie?
Die Vor- und Nachteile von Medikamenten
3. Homöopathie: Eine Medizin für alle
4. Homöopathie bei ASS:
Eine außergewöhnliche Medizin für außergewöhnliche Kinder
5. Was die Eltern sagen: Vor und nach der Homöopathie
Teil II
Fälle von Kindern im Autismus-Spektrum
6. Tollpatschig und fremd:
Menschliches Verhalten ergibt keinen Sinn
Alan: Kein Bewusstsein für soziale Konventionen
Angie: Das Mädchen, das fluchte, spuckte und bellte
William: Der Junge, der Drähte verbog
Johanna: Tyrannisiert und im sozialen Abseits
Jai: Eine Mutter ergreift die Initiative und lässt ihr Kind vor der Diagnosestellung behandeln
7. Begeistert und besessen:
Eisenbahnen, Flugzeuge und LEGO-Helden
Tito: Monster, Blut und weiter nichts
Jared: Fähigkeit und Handlung passen nicht zusammen
Drew: Komische Grimassen und albernes Benehmen
8. Merkwürdig und zwanghaft:
Händewaschen, fliegende Bleistifte und Zählen
Chris: Überrollt seine Klassenkameraden mit einer Geschwindigkeit von 130 Sachen
Gina: Schnipsen, Flattern und Herumzappeln
Paolo: Fraublosch und Knackernuss
9. Empfindlich und wählerisch: Heikel in einer heiklen Welt
Cody: Zu empfindlich für Worte
Kevin: Das wortgetreue Kind
Conner: Ich mag nicht, wenn man mich festhält
10. Monotonie und Monologe: Parlez-Vous Aspie?
Malik: Perversion und Wiederholung in extremem Ausmaß
Noah: Schäden durch Impfungen und Antibiotika
Jimmy: Eine menschliche Rechenmaschine
Teil III
ASS und seine möglichen Ursachen, sowie Fragen zur Diagnose
11. Gene und Impfstoffe: Warum haben so viele Kinder ASS?
12. Buchstabensuppe:
Diagnosen, die ASS begleiten oder verschleiern
13. Das Problem beim Namen nennen:
Schwierigkeiten und Nutzen einer Diagnose
Teil IV
Wie können Sie Ihrem ASS-Kind noch helfen?
14. Erwähnenswerte alternative Behandlungsmethoden
15. Ihre Familie im Gleichgewicht:
Homöopathie für Eltern und Geschwister
Jemila: All meine Gefühle habe ich für mich behalten
Riley: Das mache ich nicht!
16. Praktische Tipps für das Zusammenleben mit einem Ass-Kind und wie Sie von Ihrem ASS-Kind lernen können
Teil V
Die homöopathische Behandlung - Häufig gestellte Fragen
17. Die häufigsten Fragen von Eltern mit ASS-Kindern
Literaturverzeichnis
Glossar
Anhang:Informationsquellen zu Homöopathie und ASS
Index der homöopathischen Mittel
Zu den Autoren
Judyth und Robert sind sehr angesehene, erfahrene Homöopathen und Kollegen, die ich hoch schätze. Ihr Ansatz ist klassisch und dringt weit bis in die Tiefen jedes Falles vor, um die ursprünglichste innere Störung zu finden, die allen Symptomen zugrunde liegt. Sie verfügen über solide Grundlagenkenntnisse der Homöopathie und haben darauf aufbauend ihre Methode weiterentwickelt und dadurch immer bessere Erfolge erzielt. Sie arbeiten eng mit anderen Lehrern zusammen und sind stets aufnahmebereit für neue Ideen, um ihre Methode weiter zu verfeinern. Sie setzen ihre Heilkunst vorwiegend zur Behandlung von Kindern mit Asperger-Syndrom und Autismus ein. Das ist besonders wertvoll, weil es sich hier um schwer therapierbare Krankheitszustände handelt. Anhand von zahlreichen Fällen veranschaulichen sie, wie sie sich an die vitale Empfindung, die tiefliegendste Störung bei jedem Kind, herangetastet haben. Zu Recht betonen sie, dass diese Mittel nicht als spezifische Mittel gegen Autismus verstanden werden sollen, sondern dass jeder Fall von einem gut ausgebildeten Homöopathen individuell untersucht werden muss. Sie haben eine wunderbare Gabe, ihre Ideen in treffende Worte zu fassen, und so ist das vorliegende Buch eine großartig formulierte Wiedergabe ihres fundierten Fachwissens.
Mumbai, 19. Februar 2006
Die Homöopathie erfährt in den USA immer größere Akzeptanz – eine Entwicklung, die sich in Europa bereits seit vielen Jahren zeigt. Einer der wichtigsten Gründe für diese wachsende Popularität der Homöopathie ist der immer geringer werdende Respekt vor der traditionellen, „etablierten“ Schulmedizin. Die Idee, die hinter der Homöopathie steckt, steht in scharfem Kontrast zu den Prämissen der konventionellen amerikanischen Medizin.
Die Homöopathie geht von der Vorstellung aus, dass viele Symp-tome einer Krankheit in Wirklichkeit den Versuch des Organismus darstellen, sich selbst zu heilen. Homöopathen sehen ihre Aufgabe darin, diese Bemühungen des Körpers um Selbstheilung zu unterstützen, indem man die richtige Medizin oder das richtige „Heilmittel“ verabreicht, welches die Symptome fördert und deutlicher zu Tage treten lässt. Die Schulmedizin in den Vereinigten Staaten, auch als allopathische Medizin bekannt, vertritt eine gegenteilige Sichtweise: Hier besteht die Annahme, dass die Krankheit dann verschwindet, wenn man Medikamente verabreicht, welche die Symptome bekämpfen und sie nicht noch fördern. Jede dieser beiden konkurrierenden Theorien - Homöopathie und Allopathie - klingt durchaus plausibel, und die Diskussion zwischen Verfechtern und Anwendern beider Seiten besteht schon seit Jahrhunderten.
Warum nun hat die Homöopathie in den letzten Jahren plötzlich auf Kosten der Allopathie an Beliebtheit gewonnen? Auf diese Frage gibt es mit Sicherheit viele Antworten, aber meiner Meinung nach liegt der wichtigste Grund darin, dass es mit zunehmender Bürokratisierung, Computerisierung und einer präziseren Dokumentation im medizinischen Bereich immer offensichtlicher wurde, wie erschreckend hoch der Preis ist, den der Einsatz allopathischer Medikamente fordert: Krankheit, Tod und ärztliche Kunstfehler. Die Pharmaunternehmen, welche die von den allopathischen Ärzten eingesetzten Medikamente herstellen, haben sich zu milliardenschweren Giganten entwickelt, vielleicht sogar zum gewinnträchtigsten Industriezweig der Welt. In Washington, D.C. tummeln sich mehr Lobbyisten der Pharmaindustrie als Kongressabgeordnete und Senatoren. Trotz der Millionen Dollar, die in Lobby-Politik, Pressekampagnen und Werbung gesteckt werden, um die verschiedensten Medikamente anzupreisen, haben die Menschen inzwischen, vor allem in den letzten ein bis zwei Jahren, erkannt, dass verschreibungspflichtige Medikamente weder so gesundheitsfördernd wie behauptet, noch annähernd so ungefährlich sind, wie man eigentlich annehmen sollte.
In den USA sterben jährlich schätzungsweise 160.000 Menschen an unerwünschten Arzneimittelwirkungen, und mehrere Millionen tragen ernsthafte Schäden davon.
Anderenorts habe ich die traditionelle Medizin - die Allopathie - als den (irrigen) Versuch charakterisiert, Gesundheit zu erreichen, indem man subletale Dosen giftiger Substanzen verabreicht. Unglaublich, aber wahr. Allzu oft erweisen sich die Dosen als letal und nicht subletal. Mir gefällt ganz besonders der Titel dieses Buches: „Die drogenfreie Behandlung des Asperger Syndroms.“
Die allopathischen Medikamente, die routinemäßig in der Behandlung autistischer Kinder eingesetzt werden, können eine erschreckende Reihe schwerwiegender Nebenwirkungen hervorrufen.
Die Homöopathie wird aus verschiedenen Gründen immer populärer: 1. Sie ist ungefährlich. Es gibt keine Hinweise darauf, dass durch den Gebrauch eines homöopathischen Mittels ernsthafte UAW auftreten oder es gar zu Todesfällen gekommen wäre. 2. Die Homöopathie berücksichtigt weitaus mehr die Individualität des Patienten. Dem liegt die Idee zugrunde, dass es Krankheit für sich allein nicht geben kann, sondern nur eine Interaktion zwischen einem Krankheitsprozess und einem Individuum. 3. Die Homöopathie berücksichtigt und erkennt die Tatsache an - und es ist eine Tatsache -‚ dass unser Körper sehr viel besser informiert und weitaus klüger ist als irgendeiner von uns. Den Körper darin zu unterstützen, sich selbst zu helfen, ist also in vielerlei Hinsicht sinnvoll.
Die Autoren dieses lang erwarteten Buches verfügen über einen großen Erfahrungsschatz in der Behandlung von Patienten im Autismus-Spektrum nach den Prinzipien der Homöopathie, und ich freue mich wirklich darüber, dass sie sich entschieden haben, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen und dieses Buch zu schreiben.
Bernard Rimland, Ph. D Gründer und Leiter des Autism Research Institute San Diego, Kalifornien
Wir möchten Dr. Bernard Rimland, einem Pionier auf dem Gebiet des Autismus, unseren aufrichtigen Dank dafür aussprechen, dass er sich trotz seines vollen Terminplans die Zeit genommen hat, das Vorwort für dieses Buch zu schreiben. Das Multi-Talent Lynn Willeford hat eine scharfsinnige und bemerkenswert schnelle Redigierung durchgeführt. Wir hatten das Glück, mit Ann Amberg zusammenzuarbeiten, die mit ihrer Buchgestaltung, der Schriftsetzung, dem Inhaltsverzeichnis und dem Register großartige Arbeit geleistet hat. Wir danken Pat Rasch für ihre überzeugende Einbandgestaltung, die ein echter Hingucker geworden ist. Wir möchten Dr. Diane Twachtman-Cullen unsere Anerkennung für die Redigierung unseres ersten Entwurfs aussprechen, die von unschätzbarem Wert war. Unser Dank geht auch an Libby Urner, erfahrene Herausgeberin und Mutter eines AS-Sohnes, der auf die Homöopathie sehr positiv reagiert hat, für eine großzügige erste Auflage. Besonderer Dank geht an Jan Maxon, Sonderschullehrerin, Mutter zweier Kinder, deren Geschichte wir in diesem Buch aufgenommen haben, und die eine leidenschaftliche und lautstarke Fürsprecherin unserer Arbeit mit Kindern im Spektrum ist.
Darüber hinaus können wir unser bemerkenswertes Praxisteam gar nicht hoch genug loben: Tracy Huntsman, Krystyne Kenney und Jeanie Blair, ohne deren Hilfe wir diese Kinder nie hätten behandeln können, und die den Eltern und uns stets Hilfe und Unterstützung sind. Sie machen unsere Praxis auch zu einem wunderbaren Arbeitsplatz, und wir haben viel Spaß! Schließlich wollen wir auch unsere Golden-Retriever-Maskottchen Chai und Truffle nicht vergessen, die uns, unser Team und unsere Patienten mit zärtlicher Zuneigung und bedingungsloser Liebe überschütten.
Wenn Sie Eltern eines Kindes mit Asperger-Syndrom (AS) oder einer anderen Autismus-Spektrum-Störung (ASS) sind, haben Sie wahrscheinlich so viele Bücher über dieses Thema gelesen, dass Sie damit eine kleine Bibliothek füllen könnten. Sie waren wahrscheinlich auf unzähligen Internetseiten, haben sich mit Dutzenden anderer hilfsbereiter Eltern persönlich oder online ausgetauscht und haben mehr Diäten, Nahrungsergänzungsmittel, Therapien und Medikamente ausprobiert als Sie sich je hätten vorstellen können. Sie wissen inzwischen vielleicht mehr über ASS und verwandte Diagnosen als viele Ärzte. Die vielen verschiedenen Abkürzungen - ASS, AS, ADHS, OCD, ODD, SPS, BPS und so weiter (siehe Glossar) - scheinen wie eine endlose Aneinanderreihung von Etiketten, von denen aber keines 100%ig auf Ihr Kind passt. Vielleicht sind Sie es leid, mit einem Medikament nach dem anderen zu experimentieren, darunter Aufputschmittel, Antidepressiva, Anxiolytika, Antikonvulsiva und Antipsychotika. Vielleicht haben Sie die Erfahrung gemacht, dass diese Medikamente in der Behandlung der Kernsymptome von ASS entweder wirkungslos sind oder zu viele unerwünschte Nebenwirkungen haben. Oder Sie fühlen sich vielleicht einfach unwohl dabei, Ihrem Kind psychiatrische Medikamente zu geben.
Aber Sie haben immer noch die Hoffnung, dass es eine bessere Lösung gibt, sonst würden Sie dieses Buch nicht in den Händen halten. Sie halten eisern an der Überzeugung fest, dass es einen Weg geben muss, Ihrem Kind zu helfen. Sie wollen das Allerbeste für Ihr Kind, es soll sein Potential voll ausschöpfen und glücklich sein dürfen. Sie haben die Vision, dass sich die Träume und Ambitionen Ihres Kindes erfüllen werden, und Sie sind entschlossen, nichts unversucht zu lassen, wenn es um die Heilung und das Wohlergehen Ihres Kindes geht.
Es gibt viele unterschiedliche Herangehensweisen in der Behandlung von Kindern im Autismus-Spektrum. Vielleicht fragen Sie sich, was dieses Buch von allen anderen, die Sie bereits gelesen haben, unterscheiden soll. Wir bieten eine Alternative, die natürlich, ungefährlich und frei von Nebenwirkungen ist und die beachtliche, ja dramatische Ergebnisse bei Kindern mit ASS oder anderen Entwicklungs-, Verhaltens- und Lernstörungen erzielen kann. Wir wollen unsere Erfahrungen aus der Arbeit mit diesen bemerkenswerten Patienten mit Ihnen teilen. Wenn Sie erst gelesen haben, wie wir den Kindern in diesem Buch mit homöopathischen Mitteln helfen konnten, sind Sie vielleicht der Meinung, dass das eine Methode ist, die Sie auch einmal ausprobieren möchten.
Was wäre, wenn wir Ihnen von einer Behandlungsalternative für ASS erzählen würden, die individuell ist, alle Probleme Ihres Kindes gleichzeitig behandelt, Ihr Kind als eine einzigartige Person wahrnimmt und nicht einfach nur die vorliegende Diagnose behandelt, und die mit konventionellen Medikamenten gemeinsam angewandt werden oder diese sogar ersetzen kann? Und was wäre, wenn diese Medizin auch noch so gut schmecken würde, dass Ihr Kind mehr davon will?
Wenn Sie ein aufgeschlossener, neugieriger Mensch sind, haben wir hoffentlich Ihr Interesse geweckt. Wenn Sie ein unverbesserlicher Skeptiker sind, erscheinen Ihnen diese Behauptungen vielleicht verwegen, wenn nicht gar unmöglich. Aber sie sind es nicht. In den Falldarstellungen in diesem Buch geht es um echte Patienten aus unserer Praxis (aus Gründen der Diskretion haben wir die Namen geändert). Auch wenn Sie noch niemals etwas von der Homöopathie gehört haben sollten, Sie aber an dem Thema ASS interessiert sind, sind wir davon überzeugt, dass Sie dieses Buch faszinierend finden und ziemlich sicher sogar als Lebenshilfe erfahren werden.
Wir, Dr. Reichenberg-Ullman und Dr. Ullman, sind Naturheilkundler und Fachärzte für Homöopathie, die seit über 20 Jahren praktizieren. Der Naturheilkundler Dr. Luepker ist seit 2002 in unserer Praxis tätig, arbeitet eng mit uns als Kollege zusammen und ist Facharzt für Homöopathie. Jeder von uns hat eine fundierte psychiatrische Ausbildung absolviert und die entsprechende Erfahrung erworben, bevor wir das Studium der Naturheilkunde aufgenommen haben, und unser besonderes Interesse liegt darin, Menschen mit mentalen und emotionalen Problemen zu helfen.
Vor 17 Jahren brachte eine Patientin, die sich um schwer gestörte Pflegekinder kümmerte, ihre Schützlinge zur homöopathischen Behandlung zu uns. Bei vielen dieser Kinder waren wir Zeugen solch beeindruckender Veränderungen, nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf seelischer und geistiger Ebene sowie im Verhalten, dass wir anfingen, diese Fälle unter Wahrung der Diskretion der Öffentlichkeit vorzustellen. Konferenzen und Artikel in Zeitschriften wie Mothering führten dazu, dass wir immer mehr Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und anderen Verhaltens- und Lernstörungen behandelten. Dies wiederum führte dazu, dass wir den Bestseller „Es geht auch ohne Ritalin“ schrieben, welcher bei vielen Eltern, die nach einer natürlichen Alternative zu Medikamenten suchten, auf positive Resonanz stieß.
Seitdem haben wir über 4000 Kinder aus allen Teilen der Vereinigten Staaten und außerhalb nicht nur wegen ADHS, sondern mit einem großen Spektrum anderer Probleme und Diagnosen behandelt. Angesichts des steilen Anstiegs der Zahl der Kinder, bei denen ASS diagnostiziert wird, ist es keine Überraschung, dass wir eine wachsende Zahl dieser Kinder in unserer Praxis haben. Heute wissen wir, weil so viele ASS-Kinder anfangs mit ADHS diagnostiziert werden, dass bei einigen unserer früheren Patienten, die wir anfangs auf ADHS behandelten, heute die Diagnose ASS gestellt werden würde.
Zachary, unseren ersten ASS-Patienten, lernten wir vor über zwölf Jahren im Alter von 4 ½ Jahren kennen. Dieses Kind war ein Geschenk des Himmels, auf das seine Eltern lange gewartet hatten, ein Einzelkind, dessen Eltern zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits sechzehn Jahre verheiratet waren. Zachary war ein schüchterner kleiner Junge von drahtiger, zarter Statur, und er wies einige Charakterzüge auf, von denen wir heute wissen, dass sie für ASS-Kinder typisch sind.
Was unsere Aufmerksamkeit zuerst auf sich zog, war Zachs Angewohnheit, sein Gesicht zu einer komischen Grimasse zu „zerknautschen“. Er hatte auch die Angewohnheit, immer wieder das Gleiche vor sich hin zu sagen, er plapperte alles nach, was seine Mutter ihm sagte und zählte leise vor sich her. Trotzdem war er ein helles Köpfchen. Im Alter von zwei Jahren und drei Monaten beherrschte er bereits das Alphabet und die Zahlen bis 50; außerdem fing er schon an zu lesen. Als er in die Vorschule kam, war er seinen Mitschülern zwei Jahre voraus. Zach war ein außergewöhnlich mäkeliger Esser und weigerte sich standhaft, auch nur einen Bissen zu kosten, wenn er das Essen nicht kannte.
Zach war ein hochsensibles Kind, er scheute Konflikte und fühlte sich unter Fremden unwohl. Die meisten Zeichentrickfilme waren für seinen Geschmack viel zu gewalttätig. Auch auf Berührung reagierte Zach hypersensibel. Wenn er an den Haaren angefasst wurde, stieß er einen Schrei aus. Er wollte noch nicht einmal eine Bananenpflanze anfassen, weil die so „stachelig“ sei. Bei lauten Geräuschen hielt er sich die Ohren zu und verzog das Gesicht, als ob er schreckliche Schmerzen hätte. Zachs Schmerzschwelle war so niedrig, dass er sogar bei kleineren Kratzern, die andere Kinder gar nicht bemerken würden, extrem litt. Die winzigsten Wanzen- oder Spinnenbisse führten zu großen, offenen Wunden.
Zacharys Mutter kam mit ihm wegen seiner Schlafstörungen zu uns. Kurz nach seinem vierten Geburtstag begann es damit, dass er um Mitternacht und dann noch einmal um vier Uhr morgens aufgewühlt und ängstlich aufwachte. Das Geräusch des Windes und der Autolärm auf der Straße machten es ihm unmöglich, fest zu schlafen. Zachs unruhiger Schlaf störte wiederum die Nachtruhe seiner Eltern, weil er jedesmal, wenn er aufwachte, in ihrem Schlafzimmer auftauchte.
In der Behandlung von Kindern wie Zachary kommt es darauf an, dass der Homöopath die ungewöhnlichen oder unerwarteten Verhaltensweisen erkennen kann, worin er aber kaum geschult ist. In der homöopathischen Literatur werden diese Symptome als seltsam, selten und sonderbar bezeichnet. Die homöopathische Herangehensweise ist das Gegenteil von der schulmedizinischen Herangehensweise, in der das Individuum in eine diagnostische Kategorie eingeordnet wird. Wir Homöopathen achten besonders auf das, was wir vorher noch nicht gehört haben, um zu entdecken, was diese Person von allen anderen Menschen unterscheidet, auch wenn bei ihnen dieselbe Diagnose gestellt wurde.
In Zacharys Fall fiel uns die übertriebene Reaktion auf einen Lärmpegel auf, den jedes Durchschnittskind leicht aushalten würde. Obwohl Zach verschiedene ungewöhnliche Charakteristika aufwies, war diese Lärmempfindlichkeit doch am ausgeprägtesten. Wir verabreichten ihm eine Gabe Theridion, ein homöopathisches Mittel, das aus der kleinen karibischen „Orangenspinne“ gewonnen wird. Es wirkt gut bei Kindern, die, neben entsprechenden anderen Symptomen, eine Überempfindlichkeit oder Angst bezüglich Lärm zeigen.
Als Zach und seine Mutter 2 ½ Monate später zum Folgetermin kamen, war seine Mutter sehr zufrieden. Er war merklich weniger ängstlich und schlief sehr viel ruhiger. Seine Empfindlichkeit hatte sich beträchtlich gelegt, auch wenn er sich bei lauten Geräuschen immer noch die Ohren zuhielt. Das Grimassenschneiden und die Selbstgespräche waren verschwunden. Im Laufe der nächsten 1 ½ Jahre machte Zach stetig Fortschritte. Das nächtliche Erwachen, das Grimassenschneiden und die Selbstgespräche traten nicht mehr auf. Seine Lärmempfindlichkeit hatte sich dramatisch gebessert.
Erst vor drei Jahren hörten wir wieder von Zachary, als seine Mutter ihn wegen reaktiver Depression und Heuschnupfen erneut zu uns brachte. Weil sich die Mehrheit seiner ASS-Symptome aufgelöst hatte, hatte seine Mutter keinen Grund gesehen, die homöopathische Behandlung in der Zwischenzeit fortzuführen. Diesmal verschwand sein Heuschnupfen innerhalb weniger Tage durch eine Gabe Sabadilla (mexikanisches Läusekraut), und innerhalb weniger Wochen verbesserte sich seine Depression bedeutend. Nach acht Monaten brach seine Mutter die Behandlung erneut ab. Die letzte Information über Zach erhielten wir vor ca. einem Jahr von seiner Mutter, die berichtete, dass ihr Sohn ein ganz „normaler Teenager“ sei.
Seit Zacharys Behandlung hatten wir die Gelegenheit, eine wachsende Zahl von Kindern mit Autismus zu behandeln, oft mit befriedigenden Ergebnissen. Die Homöopathie kann nicht jedem Kind helfen, aber wenn die Behandlung erfolgreich anschlägt, ist das Ergebnis die Investition von Zeit und Geld auf jeden Fall wert. Die Eltern der Kinder, deren Fälle in diesem Buch vorgestellt werden, sind sehr froh darüber, dass sie den Sprung gewagt haben, die Homöopathie auszuprobieren.
Homöopathen sind Detektive. Wir ziehen oft den Vergleich mit einem Puzzle heran, um den Prozess zu beschreiben, wie das homöopathische Mittel gefunden wird, das alle Symptome eines Menschen am besten abdeckt. Stellen Sie sich vor, die Symptome Ihres Kindes wären die verstreuten Teile eines 300teiligen Puzzles. Auf den ersten Blick sehen die Teile so aus, als ob sie nicht zusammenpassen und kein erkennbares Muster bilden würden. Die Aufgabe besteht darin, alle Einzelteile korrekt zusammenzusetzen, so dass ein erkennbares Bild entsteht. Zuerst muss man die Teile auswählen, die offensichtlich zusammenpassen, um wenigstens einen Teil eines erkennbaren Bildes zusammenzufügen. Nehmen wir an, wir haben ein Puzzle mit dem Bild der Freiheitsstatue. Wenn Sie eine Fackel oder eine Krone erkennen und bemerken, dass die meisten der Teile grün sind, hätten Sie genügend Hinweise, um den Aufbau zu erkennen und sich sicher zu sein, dass es nicht der Eiffelturm ist. Die Skyline von Manhattan im Hintergrund würde Sie außerdem in Ihrer Annahme bestätigen, dass es sich um die Freiheitsstatue handelt.
Das Gleiche passiert in etwa, wenn ein Homöopath ein Kind behandelt. Unser Ziel ist es, genügend Puzzleteile von dem, was Ihr Kind ausmacht, zu erkennen, um auf ein bestimmtes homöopathisches Mittel schließen zu können. Je einzigartiger die Charakterzüge des Kindes sind, desto leichter ist es, das Mittel zu finden, das wahrscheinlich eine positive Reaktion bewirken wird.
Im Fall von ASS-Kindern finden wir normalerweise eine Menge individualisierender Charakteristika wie typische Gewohnheiten, Verhaltensweisen, Eigenarten und Schrullen, um die Wahl aus über 2000 möglichen Mitteln auf ein oder einige wenige Mittel einzuengen. Es sind genau diese Charakterzüge, die ein ASS-Kind von neurotypischen (NT) Kindern unterscheiden, und die der Schlüssel für seine erfolgreiche homöopathische Behandlung sind.
Die Schulmedizin kann bis heute keine schlüssige Antwort darauf geben, warum bei so vielen Kindern eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegt, und noch weniger kann sie eine Heilung anbieten. Da immer mehr Eltern das Gefühl haben, dass die Schulmedizin ihren Bedürfnissen nicht gerecht wird, laden wir Sie ein, sich eine andere Vorgehensweise genauer anzusehen - eine, die Menschen und nicht Diagnosen behandelt. Die Homöopathie besteht seit über 200 Jahren, wird weltweit rege angewandt, und ist sogar für schwangere Frauen, Neugeborene, kleine Kinder und alte Menschen ungefährlich.
Die Homöopathie kann Ihrem Kind entscheidend helfen, damit es all das werden kann, was ihm möglich ist und es sich guter Gesundheit erfreut, glücklich ist und die Chancen wahrnehmen kann, die es verdient hat.
Erwachsene und Kinder mit Asperger-Syndrom (AS) fühlen sich oft wie Valentine Michael Smith, die Hauptfigur in Robert Heinleins Science-Fiction-Klassiker „Fremder in einer fremden Welt“. Als letzter Überlebender einer gescheiterten Mars-Expedition wird er von Marsmenschen aufgezogen. Smith verfügt zwar über eine hochentwickelte Intelligenz, jedoch über die Sozialkompetenz und Kommunikationsfähigkeit eines außerirdischen Krabbelkindes. Der folgende Auszug gibt einen kleinen Einblick in die Herausforderungen, mit denen Smith zu kämpfen hat, kurz, nachdem er als 25-jähriger auf den Planeten Erde zurückgekehrt ist.
Seine Denkweise verfügte über keinerlei irdische Symbole. Erst vor kurzem hatte er gelernt, einfaches Englisch zu sprechen, allerdings fiel ihm dies weit weniger leicht als einem Hindu, der versucht, in Englisch mit einem Türken Handel zu treiben. Smith benutzte das Englische wie ein Codebuch, welches für die einzelnen Symbole nur umständliche und unvollkommene Übersetzungen anbot. Jetzt gingen seine Gedanken auf Reisen, rein marsianische Abstraktio-nen einer maßlos fremdartigen Kultur, die eine halbe Million Jahre alt war, menschlicher Erfahrung so fern, dass sie vollkommen unübersetzbar waren…. Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, nahm alle Details, wichtige und unwichtige, wahr und schenkte allen ohne Unterschied seine Anerkennung. Er sah den Raum in der Tat zum ersten Mal, denn als er gestern hierher gebracht wurde, war er nicht in der Lage, ihn vollkommen wahrzunehmen. Dieses gewöhnliche Zimmer war für ihn nicht gewöhnlich. Nicht im Entferntesten hatte er so etwas auf dem Mars schon einmal gesehen.1
Sowohl für Valentine Michael Smith als auch für Menschen mit Asperger-Syndrom (AS), scheint die Welt unerklärlich zu sein, ein fremder Planet, auf dem sie gegen ihren Willen festgehalten werden, ohne Handbuch. (Wir gebrauchen in diesem Buch die Abkürzung AS für Autismus mit hohem Funktionsniveau und ASS für Autismus-Spektrum-Störung, eine Sammelbezeichnung, die ein weites Spektrum autistischer Störungen umfasst.)
Stellen Sie sich vor, Sie sind zwar hochintelligent, interpretieren aber Mimik, Gesten sowie soziale Signale ständig fehl. Stellen Sie sich weiter vor, dass Sie nicht in der Lage sind, die feinen Nuancen der Kommunikation wahrzunehmen, die so wesentlich sind, um Humor, Sarkasmus, Verärgerung oder Sympathie auszudrücken. Sie sehen, wie Ihre Mitmenschen angesichts Ihrer Entscheidungen, die Ihnen völlig vernünftig erscheinen, verzweifelt die Hände ringen.
Das ist das Elend von Kindern und Erwachsenen mit AS. Stellen Sie sich vor, welche Herausforderung es bedeuten würde, müssten Sie dieses Leben für einen Tag oder auch nur für eine Stunde führen, ohne dabei verwirrt, deprimiert, ängstlich, frustriert oder wütend zu werden.
Menschen mit AS leben in dieser fremden Welt jeden Tag, Tag für Tag!
Für sie hängt eine erfolgreiche Integration davon ab, dass sie eine effektive Form der Kommunikation sowie Sozialkompetenzen erwerben. Ferner müssen sie lernen, dass ihre Mitmenschen vollkommen anders denken und argumentieren und Gefühle zeigen, die ihrem Verständnis nach oft wenig Sinn ergeben.
Wir wollen noch einmal einen Blick auf Valentine Michael Smiths Notlage in Fremder in einer fremden Welt werfen, die uns diesen Mangel an Verständnis und die sich daraus ergebende Frustration lebhaft vor Augen führt:
In diesem Augenblick trat Dr. Archer Frame ein. „Guten Morgen“, sagte er. „Wie fühlen Sie sich?“ Smith ließ sich die Frage gründlich durch den Kopf gehen. Den ersten Satz erkannte er als ein formales Geräusch, das keine Antwort erforderte. Man konnte ihn wiederholen oder es sein lassen. Für den zweiten Satz gab es eine Liste unterschiedlicher Übersetzungen in seinem Gedächtnis…Er fühlte das Entsetzen, welches ihn so oft überkam, wenn er versuchte, mit diesen Wesen zu kommunizieren. Es war ein beängstigendes Gefühl, das ihm bis zu dem Tag, an dem er den Menschen begegnete, unbekannt gewesen war. Aber er zwang seinen Körper, Ruhe zu bewahren, und riskierte eine Antwort. „Fühle gut.“
„Gut“ echote das Wesen. „Dr. Nelson wird in einer Minute hier sein. Fühlen Sie sich bereit zum Frühstück?“
Alle gesprochenen Symbole waren in Smiths Wortschatz vorhanden, aber es fiel ihm schwer zu glauben, dass er sie richtig verstanden hatte. Er wusste, dass er Nahrung war, aber er fühlte sich nicht wie Nahrung. Auch hatte er keinen Hinweis darauf erhalten, für solch eine Ehre auserwählt worden zu sein. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass es um die Lebensmittelversorgung derart schlecht bestellt war, dass eine Reduzierung der Gruppe notwendig war. Mildes Bedauern erfasste ihn, denn es gab noch so viele dieser neuen Ereignisse zu begreifen (wirklich zu verstehen).2
Smith benutzt sein marsianisches Bezugssystem und interpretiert das Gehörte wörtlich, indem er eine einfache umgangssprachliche Erkundigung, ob er Frühstück wolle, so deutet, dass er zum Wohl der Gruppe als Opferspeise auserwählt wurde! Ein AS-Mensch könnte, wäre er in der gleichen Situation, Smiths Gedankengänge absolut plausibel finden.
AS-Menschen sind anders „vernetzt“ als neurotypische (NT) Gleichaltrige, und so können sich Beziehungen zwischen AS-Kindern und NT-Kindern als mühselig und verwirrend erweisen. Sie reden aneinander vorbei, verstehen die Gedankengänge des anderen nicht und haben diametrale Ansichten über das Leben und die Welt.
Im Jahre 1944 beschrieb der Wiener Kinderarzt Hans Asperger vier Patienten, die trotz altersgemäßer Sprachentwicklung und kognitiver Intelligenz Probleme im sozialen Miteinander und in der Kommunikation hatten und eigenartige Interessen pflegten. Er verwendete ursprünglich den Begriff „Autistische Psychopathie“, um diese Patienten zu charakterisieren. Viele der Beobachtungen, die Asperger im Wien der 30er Jahre machte, wurden in die heutige diagnostische Beschreibung des Asperger-Syndroms aufgenommen. Sie sind heute so aktuell wie vor siebzig Jahren.
Lorna Wing prägte 1981 in einer ihrer Arbeiten den Begriff „Asperger-Syndrom“, welcher seitdem allgemein benutzt wird, um eine bestimmte Form der Autismus-Spektrum-Störung (ASS), auch tiefgreifende Entwicklungsstörung (engl. PDD: Pervasive Developmental Disorder) genannt, zu bezeichnen. Im Laufe der nächsten zehn Jahre nahm die Zahl der Fallstudien und Forschungsberichte stetig zu. - 1993 schließlich wurde AS als offizielle Kategorie in die ICD-10 (zehnte Auflage der International Classification of Diseases der WHO) aufgenommen. Ein Jahr später wurde es auch im DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, vierte Auflage) aufgeführt.
Auch mit heutigen Diagnose-Kriterien ist es eine Herausforderung, AS zu beschreiben, weil kein Fall dem anderen gleicht, nicht einmal innerhalb einer Familie. Trotzdem lassen sich gemeinsame Merkmale erkennen. Diese charakteristischen Eigenheiten können zumindest einen groben Hinweis darauf geben, wer in diese Diagnose-Kriterien passt. Im Folgenden haben wir einige der Hauptcharakteristika des Asperger-Syndroms aufgelistet. Viele der folgenden 13 Merkmale kommen Ihnen wahrscheinlich sehr bekannt vor.
• Blind für soziale Konventionen
• Kommunikationsprobleme
• Scheinbarer Mangel an Empathie
• Minimaler Augenkontakt
• Eingeschränkte Interessensgebiete
• Bedürfnis nach Struktur und Routine
• Anpassungsschwierigkeiten
• Fehlerquelle: „wörtliches“ Sprachverständnis
• Wunderliche Verhaltensweisen
• Schwierigkeiten beim Sport
• Hochentwickelte Lesefertigkeit
• Körperliche Hypersensibilität
• Versagensängste und geringes Selbstwertgefühl
AS-Kinder erleben die Welt der Menschen und soziale Interaktionen oft als undurchsichtig und nicht greifbar. Ein Großteil unserer Kommunikation vollzieht sich nonverbal, z. B. über Mimik, Augenkontakt, Gesten und Körpersprache.
AS-Menschen interpretieren sozialen Kontext, Mimik und Motiva-tion oft falsch oder verstehen sie gar nicht. In manchen Situationen spricht aber die nonverbale Kommunikation eine deutlichere Sprache als das gesprochene Wort.
Nehmen wir an, Sie haben gerade einen sechswöchigen Intensiv-Kurs in Italienisch für Anfänger absolviert und befinden sich nun in Rom. Wahrscheinlich verstehen Sie die einzelnen Wörter, haben aber Schwierigkeiten, diese Einzelteile zu sinnvollen Sätzen zusammenzufügen. Bei Umgangssprache oder Dialekt wird die Sache noch schwieriger, und um die Verwirrung perfekt zu machen, wirken Gesten und Bewegungen eines Italieners so temperamentvoll und andersartig, dass Sie letztendlich nur einen Bruchteil der eigentlichen Botschaft verstehen. So können Sie zum Beispiel in aller Unschuld denken, dass der große Mann, der Ihnen seinen rechten Arm entgegenstreckt und dabei energisch auf seinen Bizeps klopft, Ihnen zeigen will, wie stark er ist, während er aber tatsächlich eine ausgesprochen obszöne und respektlose Geste ausführt.
Dieses Beispiel lässt sich gut auf die Situation von AS-Kindern übertragen, die nicht nur Schwierigkeiten haben, verbale Kommunikation zu verstehen, sondern mit Gesten, Mimik und Körpersprache des Gesprächspartners einfach überfordert sind.
Ein AS-Kind, dem Fotos von Gesichtern gezeigt werden, die jedes NT-Kind mit Leichtigkeit interpretieren könnte, kann völlig aufgeschmissen sein, wenn es sagen soll, welches der Gesichter auf den Fotos Fröhlichkeit, Traurigkeit, Wut oder Angst ausdrückt.3
Es bedarf sehr viel Übung und Schulung, bis es ein AS-Kind auch nur ansatzweise schafft, Gesichtsausdrücke im wirklichen Leben zu lesen. Komplexere Gesten und Körpersprache sind schwer zu verstehen. Kombiniert man diese nun noch mit bekannten Gesichtsausdrücken, wird die Sache noch schwieriger.
Eine Mutter, die wütend ausschaut, laut spricht und mit dem Zeigefinger fuchtelt, kann ein AS-Kind ziemlich unbeeindruckt lassen. Als Antwort auf dieses Schauspiel wird es sein Verhalten nicht ändern, weil es die Bedeutung nicht versteht. Die verwirrte Mutter kann nun einen lauteren Ton anschlagen oder heftiger gestikulieren und verwirrt nun ihrerseits ihr Kind noch mehr, welches die Botschaft, von der die Mutter denkt, sie wäre so offensichtlich, immer noch nicht versteht.
AS-Kinder kämpfen mit der Kommunikation, und ihre Sprechweise scheint oft ausgesprochen verschroben. Ihr Wortschatz kann dem von Gleichaltrigen weit überlegen sein, aber der korrekte Gebrauch von Sprache in einer spontanen Unterhaltung oder eine angemessene Kommunikation innerhalb eines bestimmten sozialen Kontextes können problematisch sein.
Ihre Konversation ist typischerweise einseitig, eher ein Monolog als ein Dialog, und kreist oft um ein einziges, sich niemals erschöpfendes und ständig wiederholendes Thema. AS-Kinder haben die Neigung, eine Konversation einseitig zu dominieren und dadurch mit dem üblichen Geben und Nehmen einer zweiseitigen Unterhaltung zu brechen. Ihr Erinnerungsvermögen für Fakten und Details ist erstaunlich und anfangs fesselnd. Aber diese Faszination lässt schnell nach, wird erst einmal die Einseitigkeit dieser Interaktion offenbar.
Wenn der Zuhörer kein Familienmitglied oder anderweitig gesell-schaftlich dazu verpflichtet ist, diese Unterhaltung zu führen, kann es passieren, dass er nach dem nächsten Ausgang Ausschau hält und den Kleinen bei der erstbesten Gelegenheit stehen lässt. Während Erwachsene noch gewillt sind, diesen Monolog für eine Weile zu ertragen, haben Kinder oft weniger Geduld und verlieren schnell das Interesse. Dies ist einer der Gründe, warum AS-Kinder sich eher an Erwachsene als an Gleichaltrige halten. Auch wenn ihr Lieblingsthema altersgemäß ist, z. B. Harry Potter oder GameBoy, führt die Detailfülle und die aufdringliche Art oft zu Frustrationen und Ausrufen wie „Genug ist genug“ oder „Kannst du auch mal über etwas anderes reden?“
Die Pragmatik (Verwendung von Sprache im Kontext) ist einem AS-Kind schwer zugänglich.
Zum Beispiel kann das Kind eine Unterhaltung mit einem völlig irrelevanten und unpassenden Kommentar beginnen, indem es einen Fremden unmittelbar vor Beginn des Gottesdienstes fragt, ob er sich mit dem Sechszylinder, 200 PS-Motor des 66er Ford Mustang auskennt. Der Gottesdienst beginnt, und nun holt der Junge weit aus, liefert eine weitschweifende Beschreibung seines Lieblingsmotors, und ist sich der sozialen Codes während eines Gottesdienstes in keiner Weise bewusst.
Ein weiteres gängiges Muster ist das Einstreuen beziehungsloser Kommentare in eine laufende Unterhaltung, vielleicht in Form von Wortassoziationen oder Bruchstücken aus der Erinnerung des Kindes, z. B. aus einem vergangenen Dialog, aus der Lieblingsgeschichte oder einem Lieblingsfilm. Diese Art der Unterbrechung kann den arglosen Gesprächspartner frustrieren und trägt dazu bei, dass das Kind sich sozial immer mehr isoliert.
Hinzu kommt, dass AS-Kinder mit der Verslehre, ungewöhnlichen Satzrhythmen, Betonungen, Mustern und Tonlagen zu kämpfen haben. Sie sprechen in einer monotonen, hohen Sing-Sang-Stimme oder mechanisch wie ein Roboter. So kommt es, dass der Tonfall nicht mit dem übereinstimmt, was das Kind übermitteln will. Ebenso kann es in Betonung und Rhythmus bei der Aussprache einzelner Wörter so danebenliegen, dass der Eindruck entsteht, die Muttersprache Englisch wäre für das Kind eine Fremdsprache.
Aufgrund ihrer Defizite in der sozialen Kommunikation werden AS-Kinder oft für hochmütig und wenig mitfühlend gehalten. Im Kontakt können Sie hölzern und linkisch erscheinen. Zeigt der Gesprächspartner Gefühle, schaffen sie es nicht, mit der zu erwartenden Mimik und Körpersprache zu antworten. Dies darf aber nicht so interpretiert werden, dass sie nicht in der Lage wären, sich um andere zu sorgen oder selber Gefühle zu erleben. Der Eindruck entsteht eher dadurch, dass die Gefühle ihrer Mitmenschen als irritierend erlebt werden, und sie nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen. Ebenso kann ihr eigener Gefühlsausdruck sich sehr von dem der NT- Menschen unterscheiden. Erschwerend kommt hinzu, dass AS-Kinder von ihren Gefühlen oft geradezu überwältigt werden, auch von positiven Gefühlen. Sie können vor Gefühlen überfließen und verschließen sich dann, weil sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.
Der fehlende Augenkontakt ist eine der offensichtlichsten Schwierigkeiten von AS-Kindern. Sie fühlen sich höchst unbehaglich, geraten sogar in Panik, wenn sie anderen Aug in Aug begegnen müssen, und so versuchen sie diesen direkten Kontakt, so gut es geht, zu vermeiden. Auch wenn NT-Menschen sich dessen im Allgemeinen nicht bewusst sind, steuert der Augenkontakt während des sozialen Austauschs eine beträchtliche Menge an Informationen bei. Diese zusätzliche Stimulation bedeutet für AS-Kinder eine Ablenkung. Ihre Konzentration bricht zusammen, wenn sie sich bemühen die verbale Information richtig zu verstehen und gleichzeitig Augenkontakt zu halten. Einige AS-Erwachsene vergleichen dieses Gefühl mit der Situation, hundert Fernsehprogramme auf einmal ansehen zu müssen! Also sieht ein AS-Kind während einer Unterhaltung lieber weg oder schließt sogar seine Augen, was beim Gesprächspartner oft Verwirrung oder Bestürzung hervorruft.
Die Neigung, vollkommen in einem bestimmten Thema aufzugehen, welches sowohl die Zeit als auch den Gesprächsstoff desjenigen völlig in Beschlag nimmt, ist bei AS-Kindern ganz besonders ausgeprägt. Sie widmen sich ihren Leidenschaften mit einer Intensität, Exklusivität und ungeteilten Aufmerksamkeit, die von der üblichen Beschäftigung mit Hobbys oder Steckenpferden von NT-Kindern stark abweicht. Ihre Interessen betreffen häufig Außenseiterthemen und sind oft ziemlich mysteriös. Die exzessive Beschäftigung mit diesem einen Thema stellt für Eltern und Lehrer gleichermaßen eine Herausforderung dar. Der Fokus ihrer Obsessionen kann sich über Monate oder Jahre periodisch ändern.
Kleinere Kinder können ihre ganze Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, spezielle Dinge zu sammeln, so wie Flaschenöffner, Schlüssel, Limo-Dosen oder grüne Stifte. Diese Kinder können meist durch nichts daran gehindert werden, das Objekt ihrer Begierde zu ergattern. Mit ihrem hochentwickelten Radarsystem orten sie auf unheimliche Weise die Dinge an den ausgefallensten Orten und zu den unpassendsten Zeiten.
Bei älteren Kindern verlagert sich das Interesse oft auf ein spezielles Thema oder eine bestimmte Beschäftigung. Unabhängig davon, ob es sich um Spinnen, Modelleisenbahnen, Sterne, Planeten, Feuerwehrautos, Dinosaurier, Busfahrpläne oder Landkarten handelt, sammeln diese Kindern außergewöhnliche Mengen von Rohmaterial, Fakten und Statistiken. Sie können ein enzyklopädisches Wissen über ihr Lieblingsthema erlangen, jedes verfügbare Buch zu diesem Thema in der Bücherei lesen, und alle nur erdenklichen Informationsquellen ausschöpfen.
Spezialinteressen wie diese scheinen dem AS-Kind in mehrerlei Hinsicht einen Nutzen zu bringen. Weil diese Interessen oft Daten, Fakten und geordnete Statistiken beinhalten, sind sie verlässlich und vorhersehbar. Diese Art von Information kann ein sicherer Hort sein, der vor den heftigen Attacken einer verwirrenden und wechselhaften Welt schützt.
Konversation ist nicht leicht für sie, und ein einfacher Smalltalk ist meist überhaupt nicht möglich, aber dank ihres enormen Wissens können sie über Stunden flüssig und verständlich über ihr Lieblingsthema dozieren.
Routine und Struktur sind immens wichtig, um einem AS-Kind den Eindruck zu vermitteln, dass es eine gewisse Kontrolle über sein Leben hat. Dieses verzweifelte Bedürfnis nach Struktur ist nach einschneidenden Veränderungen wie Schulwechsel, Umzug in eine neue Wohnung oder Familienzuwachs besonders groß. Wiederholung und Routine können Angst reduzierend, beruhigend und angenehm wirken. Eine Veränderung der Routine, Unterbrechungen oder sich plötzliche ändernde Situationen können dagegen unerträglich sein.
Ihre einfache Aufforderung, jetzt endlich den König der Löwen auszuschalten, den ihr Kind bereits 34 Mal gesehen hat, oder die Yu-GI-OH!-Karten wegzulegen und zum Abendessen zu kommen, kann ganz schnell in eine explosive Szene ausarten.
Eine Änderung im Stundenplan oder die Rückkehr vom Pausenhof in den Kunstunterricht kann heftige Abwehr hervorrufen und sich zum Supergau steigern. Ihr Kind kann sich an einer bestimmten Sache so festbeißen, dass es einer unlösbaren Aufgabe gleichkommt, es davon wieder abzubringen – oder zumindest den folgenden Mord und Totschlag nicht wert scheint. Konsequenzen werden, unabhängig von ihrer Schwere, meist ignoriert.
Dieses Bedürfnis nach Gleichheit und Routine wird innerhalb einer sozialen Gruppe ebenfalls ausgereizt, besonders wenn es um Regeln und Vorschriften geht. Sind die Regeln einmal festgelegt, kann Ihr Kind unbeugsam auf ihrer Einhaltung beharren. Es spielt sich als Klassen- oder Familienpolizei auf und reagiert ausgesprochen unwirsch, wenn jemand die Regeln verletzt. Dieser selbsternannte „Polizisten-Status“ trägt wenig dazu bei, sich in der Gruppe Gleichaltriger zu integrieren, sondern festigt nur seine Position als Außenseiter.
AS-Kinder werden von gleichaltrigen Kindern, die soziale Situationen leichter einschätzen können, oft als seltsam und unbeholfen wahrgenommen. Sie können exzentrisch und emotional unreif wirken, und haben Schwierigkeiten, sich an komplexe und veränderliche soziale Situationen anzupassen. Ihre tollpatschige Körpersprache, die reduzierte Mimik und Gestik sowie ihr sonderbares Starren machen sie unübersehbar zu Außenseitern, fernab der sozialen Norm. Versuche, soziale Kontakte herzustellen, verlaufen oft erfolglos. Sie verzichten z. B. auf Standardfloskeln wie „Hallo, mein Name ist…“ und stellen sich gleich mit einer langatmigen und umständlichen Tirade über die zehn schnellsten Züge der Welt vor. Dass sie nicht wirklich in der Lage sind, Freundschaften zu schließen bzw. aufrechtzuerhalten, verwirrt sie. Übrig bleiben Einsamkeit und das Gefühl der Niederlage.
Da sie weder über Taktgefühl verfügen noch die Raffinesse der gesellschaftlich akzeptierten „Notlügen“ beherrschen, um verletzte Gefühle zu vermeiden, wirken sie oft übermäßig plump. Sehen sie zum Beispiel einen übergewichtigen oder unförmigen Menschen, können sie lauthals verkünden, wie fett oder hässlich diese Person ist, legen ihm oder ihr vielleicht noch Strategien zur Gewichtsreduzierung ans Herz oder versorgen sie mit Schönheitstipps. Einer unserer Patienten korrigierte einmal in aller Öffentlichkeit die Grammatik einer Klassenkameradin, während diese gerade einen Auftritt in der Schulaula hatte. Obwohl diese Kinder ihren sozialen „Fauxpas“ einsehen, wenn man ihnen diesen erklärt, haben sie dennoch Schwierigkeiten, die neu erworbene Erkenntnis auf zukünftige Situationen zu übertragen. Sie deuten die Welt wörtlich und konkret und nicht metaphorisch oder abstrakt. Somit sind die Dinge für AS-Kinder (und Erwachsene!) oft nur schwarz oder weiß. Sie haben nicht die Möglichkeit, die Graustufen dazwischen zu sehen. Diese begrenzte Weltsicht kann AS-Kindern Sicherheit und Trost geben, weil sie ihnen hilft, das Unverständliche greifbarer zu machen. Eine übermäßig wörtliche Auffassung von Sprichwörtern oder gängigen Ausdrücken, wie z. B. „Hast du deine Zunge verschluckt?“ können unerwartete und sozial abweichende Reaktionen provozieren. Ein Kind kann Ihnen zum Beispiel alles Erkennbare über die braungescheckte Kuh auf der Wiese erzählen, aber absolut gar nichts über die sprichwörtliche lilafarbene Kuh, die man nur im übertragenen Sinn verstehen kann. Ihr Erinnerungsvermögen für Dinge, die sie gesehen haben, kann erstaunlich, sogar eidetisch sein, mit einer sehr feinen Aufmerksamkeit fürs Detail, aber mit einigen Schwierigkeiten, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen (was natürlich wieder eine Redewendung ist, die viele AS-Menschen verwirren könnte!).
Hierzu gehören Verhaltensweisen wie Zupfen, Stupsen, mit den Armen herumfuchteln, mit den Fingern schnipsen, auf Zehenspitzen laufen, Gegenstände nur von der Seite ansehen oder sich im Kreis drehen. Auch wenn diese Handlungen unfreiwillig ausgeführt und vom Kind nicht bemerkt werden, welches darin gerade so vertieft ist, ist die bloße, sich ständig wiederholende Qualität dieser wunderlichen Verhaltensweisen oft ein weiteres Hindernis für die Integration in die Gruppe von NT-Gleichaltrigen.
In Kindheit und Jugend sind Gruppenaktivitäten wie Mannschaftssport eine gute Gelegenheit, um Freunde zu finden. AS-Kinder haben oft weder Interesse noch Talent für Sport und Wettkämpfe. Diese sind aber oft der Schlüssel für soziale Akzeptanz auf dem Spiel- oder Bolzplatz. Diese Kinder bewegen sich tollpatschig. Ihre Muskulatur sowie die Hand-Augen-Koordination können unterentwickelt sein. Ihre grob- und feinmotorischen Fähigkeiten sind oft begrenzt. Bälle werfen, schießen oder fangen kann schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein. Wenn alle anderen Kinder auf den Pausenhof rennen, um Fußball zu spielen oder Seil zu springen, läuft das AS-Kind vielleicht versunken in die Kompliziertheiten seiner eigenen Gedanken am Rande des Pausenhofs herum.
AS-Kinder können über eine überdurchschnittliche Lesefertigkeit verfügen, die der raschen Entwicklung ihres Wortschatzes entspricht. Dies nennt man Hyperlexie. Dennoch haben sie Schwierigkeiten mit dem Verständnis und dem Erfassen des Kontextes. So kann ein Fünfjähriger zum Beispiel das Wall Street Journal nehmen und laut einen Artikel über den aktuellen Zinskurs vorlesen, sein Verständnis für die Bedeutung dieses Artikels hinkt jedoch gewaltig hinterher. Hyperlexie bedeutet, dass eine große Kluft besteht zwischen der Fähigkeit, Wörter zu lesen, und den interdisziplinären Fähigkeiten, die nötig sind, um die Bedeutung der Worte in einem Kontext sinnvoll zu interpretieren.4
Überempfindlichkeit auf die unterschiedlichsten Reize wie Berührungen, Gewebetextur, Druck, Licht, Geruch und Geschmack kommt bei AS-Kindern sehr häufig vor. Polizeisirenen, die Schulglocke, Verkehrslärm, Schreien und Kreischen oder auch nur das Summen fluoreszierenden Lichts kann von einfach nervig bis schmerzhaft empfunden werden und extreme Reaktionen hervorrufen - zum Unverständnis ihrer Mitmenschen, die sich fragen: „Was ist denn jetzt passiert?“. Grelles oder blinkendes Licht, kratzende Etiketten im T-Shirt, enge Kleidung oder Nähte in den Socken - Dinge, die von NT-Kindern einfach übersehen werden, es sei denn, sie sind ausgesprochen empfindlich, können buchstäblich unerträglich sein. Umgekehrt zeigen einige AS-Menschen eine verminderte Reizsensibilität oder auch fehlende Reizwahrnehmung und bleiben ungerührt von Sinneseindrücken, welche die meisten NT-Menschen als übermäßig empfinden würden. Ein AS-Kind kann also sowohl hyper- als auch hyposensibel sein. Zum Beispiel können sie es unerträglich finden, Socken oder enge Kleidung zu tragen, während sie sich andererseits im widerlichsten Gestank pudelwohl fühlen, weil sie ihn gar nicht wahrnehmen. Das Gleiche gilt z. B. für extreme Temperaturunterschiede. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Reizwahrnehmung werden AS-Kinder z. B. in Bezug auf Essen, Trinken, Kleidung, ihre Umgebung, Dinge oder ihre Mitmenschen oft als wählerisch oder pingelig beschrieben. Ihr „erlesener Geschmack“ stellt Eltern, Lehrer und Erzieher gleichermaßen auf eine harte Probe, die ihre Mäkelkinder scheinbar nie zufrieden stellen können, was immer sie auch anstellen mögen.
Manche Kinder zum Beispiel essen nur Lebensmittel einer speziellen Kategorie, etwa nur weißes Essen, weiches Essen, knuspriges Essen oder trockenes Essen. Andere lehnen es ab, vermischtes Essen, schleimiges Essen oder Essen zu sich zu nehmen, welches durch bestimmtes Kochwerkzeug „kontaminiert“ wurde oder auch nur geringfügig in Berührung mit „unfeinen“ Lebensmitteln gekommen ist, die sie als nicht essbar einstufen. Dann gibt es solche, die nur Milch, Brause oder einen ganz bestimmten Saft trinken. Stellen Sie sich nur vor, was es heißt, diesem Kind seine täglichen Mahlzeiten zuzubereiten. Alle Eltern werden diese Art von Kämpfen hin und wieder ausfechten müssen, aber die Sturheit von AS-Kindern ist legendär. Viele Eltern geben einfach auf und lassen ihr Kind – um seines Überlebens willen – essen, was es will. Vielleicht schaffen sie es noch irgendwie, ein paar Vitamin- oder Mineralstoffpillen unter diese wenigen „akzeptablen“ Lebensmittel zu schmuggeln.
Negatives Feedback ist wohl für jeden unangenehm, aber für ein Kind, das sich selbst als Bewohner einer unverständlichen Welt sieht, deren meist unausgesprochene Regeln es nicht beherrscht, ist es besonders schmerzvoll. Die Fähigkeit, Neues zu lernen und das Gelernte zu verallgemeinern, sich an neue und veränderliche Situationen anzupassen und aus seinen Fehlern zu lernen, ist oft entscheidend für den Erfolg im gesellschaftlichen Leben oder im Schulalltag. Wegen ihrer geistigen Unbeweglichkeit werden AS-Kinder immer wieder scheitern. Die Unfähigkeit, sich anzupassen und flexibel zu reagieren, ist oft der Auslöser für fortwährende Kritik.
Wir hoffen, dass wir mit der obigen Beschreibung der Hauptmerkmale Ihr Interesse an AS wecken konnten. Vielleicht fühlen Sie sich an Erfahrungen erinnert, die Sie selbst als Lehrer, Eltern oder Erzieher mit einem solchen Kind gemacht haben. Vielleicht passen Sie aber auch selbst gut in dieses Profil.
Wir versuchen in diesem Buch, die facettenreiche Welt von AS-Kindern und Erwachsenen zu erforschen, und hoffen, Ihnen zeigen zu können, wie mit Hilfe der Homöopathie das Gefühl, ein Fremder in einem fremden Land zu sein, sich in das vertraute Gefühl wandeln kann, zu Hause anzukommen.
Schulmediziner setzen oft Psychopharmaka ein, um diesen Prozess zu unterstützen. Manchmal wird es so dargestellt, als wären Medikamente die einzige Option. Auch wenn es sicherlich Fälle gibt, in denen Medikamente ihre Berechtigung haben und hilfreich sein können, etwa bei der ganz gezielten Behandlung einzelner Symptome, wollen wir Ihnen mit diesem Buch doch eine gangbare Alternative zur Einnahme von Medikamenten anbieten.
Im nächsten Kapitel geben wir Ihnen einen Überblick über die Psychopharmaka, die bei der Behandlung von ASS zum Einsatz kommen. Wo verfügbar, gehen wir auch auf die Forschungsergebnisse ein, die diese Verschreibungen unterstützen. Danach wollen wir Ihnen die Homöopathie vorstellen, von der wir der Meinung sind, dass sie die wirkungsvollste Alternative zu konventionellen Medikamenten ist.
Eine der schwierigsten Entscheidungen, mit denen sich Eltern konfrontiert sehen, ist die, ob sie ihr AS-Kind mit psychotropen Medikamenten behandeln lassen sollen. Für einige AS-Kinder ist die Einnahme von Medikamenten das fehlende Glied in der Behandlungskette und führt zweifelsfrei zu einigen Veränderungen. In anderen Fällen sind die Nebenwirkungen zu heftig und somit untragbar. Bei manchen wiederum zeigen die Medikamente überhaupt keine Wirkung.
Die Entscheidung, ob Ihr Kind Medikamente nehmen sollte oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Unglücklicherweise gibt es hier kein Patentrezept, das auf alle Kinder gleichermaßen anwendbar ist.
*Alle Fälle in Teil II dieses Buches stammen direkt aus unserer Praxis. In diesem Teil des Buches jedoch haben wir uns die Freiheit genommen, zur besseren Anschaulichkeit erfundene Fälle zu präsentieren, so wie Billys Fall.