Horch mal, was da rauscht! - Clemens Kuhnitzsch - E-Book

Horch mal, was da rauscht! E-Book

Clemens Kuhnitzsch

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Beschreibung

Wasser ist die wichtigste Ressource unseres Planeten. Doch wie steht es um unsere Flüsse und Bäche? Was kommt zum Vorschein, wenn wir einen genauen Blick auf sie werfen? Dieses Buch bringt uns die Welt unter und an der Wasseroberfläche wieder näher.

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Clemens Kuhnitzsch

Horch mal, was da rauscht!

Flüsse, Bäche und ihre Geheimnisse

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2024 oekom verlag, München oekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH, Goethestraße 28, 80336 München +49 89 544184 – 200

www.oekom.de

Layout und Satz: le tex, xerif

Umschlaggestaltung: Laura Denke, oekom verlag

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 9783987263590

DOI: //doi.org/10.14512/9783987263279

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Cover

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Inhaltsverzeichnis

Hauptteil

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1:

Mein Kontakt zum Wasser

Kapitel 2:

Wohin des Weges, liebes Wasser?

Kapitel 3:

Die Geburt eines Fließgewässers

Kapitel 4:

Alles zu seiner Zeit

Kapitel 5:

Fortpflanzung auf originelle Art und Weise

Kapitel 6:

Der Spezialist unter den Anglern

Kapitel 7:

Wanderung ohne Karte und Navigationssystem

Kapitel 8:

Wo sind denn die Großen hin?

Kapitel 9:

Der Baum des Lebens

Kapitel 10:

Der Superreiniger im Gewässer – Biofilme & Totholz

Kapitel 11:

Der Garten Eden unter Wasser

Kapitel 12:

Die Vielfalt im Fließgewässer macht den Unterschied

Kapitel 13:

Die Popstars unter den Gewässerbewohnern

Kapitel 14:

Verrate mir, wie es dir geht, liebes Fließgewässer!

Kapitel 15:

Der Zwischenraum als Rettungsinsel kleiner Wasserbewohner

Kapitel 16:

Die Quelle des Fließgewässers – das Grundwasser

Kapitel 17:

Das Land am Wasser – die Auen

Kapitel 18:

Von der Aue in den Mund

Kapitel 19:

Die Aue als Mutter Teresa

Kapitel 20:

Natürliche Ufer machen den Unterschied!

Kapitel 21:

Klein aber fein

Kapitel 22:

Mensch, muss das denn wirklich sein?

Kapitel 23:

Kanal oder Fließgewässer, die Entscheidung treffen Sie!

Kapitel 24:

Steht die Welt still?

Kapitel 25:

Es wird in Zukunft fließen

Kapitel 26:

Die Chance der Verbesserung

Kapitel 27:

Jetzt beginnt die Veränderung

Danksagung

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Durch die Natur wandern, den Bächen und Flüssen verträumt nachschauen, das weckt in mir die pure Leidenschaft. Wasser fasziniert mich schon seit meiner Kindheit. Mit der Zeit wurde mir bewusst, dass das Thema Wasser, und eben auch die Bedeutung unserer Fließgewässer in unserer Gesellschaft, oft untergeht. Zudem ist mir aufgefallen, dass es tausende wunderbare Menschen gibt, welche schon seit Jahren unsere Fließgewässer und das Wasser erforschen und hoch interessantes Wissen zusammengetragen haben. Da aber viele dieser Erkenntnisse nur selten an den Bürger und die Bürgerin gebracht werden, ergab sich die Intention zum Schreiben dieses Buches.

Eine grundlegende gesellschaftliche Frage sollte lauten: Welches Gut auf Erden ist das Kostbarste für die Menschheit? Wasser. Dieses ist in knapper Form vorhanden, zumindest wenn es um das reine Süßwasser geht. In diesem Zusammenhang kam des Öfteren die Frage in mir auf, wo denn die vielen Talkshows, die Demonstrationen oder der Aufschrei über die Gewässerverschmutzung geblieben sind? Warum hat das Thema Wasser nicht oberste Priorität in diesem Land? Warum interessiert es den Menschen so wenig, was mit den Gewässern passiert, obwohl kein Mensch länger als drei Tage ohne Wasser überleben kann?

Der Fokus liegt derzeit noch auf anderen Themen. Mein Ziel ist es, dass auch das Wasser in der Gesellschaft Anklang findet. Darum habe ich es mir auf die Brust geschrieben, den Fokus der Menschen eben auf dieses kostbare Gut zu lenken. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, Ihnen und anderen Leuten die Thematik Wasser, insbesondere die Fließgewässer, näherzubringen. Es ist an der Zeit, gemeinsam unsere Zukunft zu formen, mit Weisheit die Missstände in unserer gesellschaftlichen Wasserverbundenheit aufzuklären und lösungsorientiert voranzuschreiten. Und eins kann ich schon einmal vorwegnehmen, auch Sie können mit geringem Aufwand helfen, die Fließgewässer in ihrem alten Glanz erstrahlen zu lassen! Ich zeige Ihnen im Laufe des Buches, wie das geht und wie Sie auch die Freude an diesem Thema entflammen können.

Ich freue mich diesbezüglich sehr, dass Sie sich für dieses Buch entschieden haben. Ich kann es nicht oft genug sagen, ohne Wasser sind wir nichts. Und wer hätte es gedacht, unser Wasser kommt nicht nur aus dem Wasserhahn, es entspringt aus Mutter Natur höchst persönlich und durchläuft seit ewiger Zeit einen wunderbaren Kreislauf auf unserer Erde. Schon unsere Vorfahren haben die Kraft und die Bedeutung unserer Fließgewässer geschätzt. Die Schönheiten unserer natürlichen Flusstäler haben nicht nur Casper David Friedrich ergriffen, sondern auch den bedeutendsten deutschsprachigen Dichter Goethe.

Aus diesem Grund genießen Sie aus vollen Zügen die nachfolgenden Zeilen bei einem leckeren Schluck Leitungswasser. Sie werden nach diesem Buch die Fließgewässer – und letztlich auch das Wasser – mit ganz anderen Augen sehen! Also fangen wir gemeinsam an und springen jetzt kopfüber ins kalte Wasser.

»Alles ist aus dem Wasser entsprungen!

Alles wird durch Wasser erhalten!

Ozean, gönn uns dein ewiges Walten.

Wenn du nicht in Wolken sendetest,

nicht reiche Bäche spendetest,

hin und her nicht Flüsse wendetest,

die Ströme nicht vollendetest,

was wären Gebirge, was Ebnen und Welt?

Du bist's, der das frischeste Leben erhält.«

Goethe, Faust. Der Tragödie zweiter Teil, 1832. 2. Akt, Felsbuchten des ägäischen Meers, Thales zu Nereus

Kapitel 1Mein Kontakt zum Wasser

Der Kontakt mit dem Wasser begann schon sehr früh. Ich persönlich wurde mit geweihtem Wasser getauft. Der Pfarrer schüttete einen Schluck auf meinen Kopf, und schon war ich in der Christengemeinde aufgenommen. Dieses Erlebnis war im ersten Augenblick für mich ungewohnt – ja sogar beklemmend –, da ich anscheinend ordentlich geschrien habe. Erst als ich langsam älter wurde, habe ich die Göttlichkeit im Wasser entdeckt. Zwar bin ich nicht weiter in der Kirche geblieben, dennoch blicke ich stolz auf die Taufe zurück, da es mein erster heiliger Kontakt zum Wasser war. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir nicht einmal im Ansatz vorstellen, was da noch auf mich zukommen würde!

Im Laufe meiner Entwicklung habe ich das Wasser lieben gelernt. Für viele ist es unscheinbar oder unbedeutend, aber letztendlich ist es unser Lebenselixier und Wegbegleiter. Jedes Lebewesen auf der Erde benötigt Wasser zum Überleben. In naher Zukunft ist unsere Ressource immer mehr gefragt. Als Kind war es für mich selbstverständlich, dass sauberes Wasser immer zur Verfügung stand. Nicht einen einzigen Gedanken habe ich mir um die Herkunft oder den Weg der Aufbereitung gemacht. Wasser war immer so selbstverständlich wie die frische Luft zum Atmen. Ich bin nicht annähernd auf die Idee gekommen, mir Sorgen über ausreichend Trinkwasser zu machen! Mit den Jahren kam allmählich mehr Verständnis und Hintergrundwissen zum Thema Wasser auf. Ich erfuhr eine Menge über den ewigen Wasserkreislauf, das Grundwasser und dass bei mir im Elternhaus feinstes Quellwasser aus dem Wasserhahn fließt. In anderen Regionen Deutschlands bekommen die Bürgerinnen und Bürger Mischwasser, welches aus verschiedenen Quellen stammt. Mein Interesse am Wasser wuchs mit jeder neuen Information, und schließlich wollte ich dem Ganzen wortwörtlich auf den Grund gehen.

Ich möchte Ihnen gern eine kleine Geschichte aus meiner Kindheit erzählen, an der ich noch heute viel Freude habe und welche mich letztlich zu meiner Berufung geführt hat. Damals trieb es meine Freunde und mich in den Sommermonaten immer raus in die weite Welt. Wir erkundeten die Umgebung, bauten Unterschlüpfe im Wald oder fuhren wie wild durch die Gegend mit unseren – meist klapprigen – Fahrrädern. Doch manchmal kam es auch vor, dass wir unseren kleinen und unscheinbaren Dorfbach aufsuchten. Dort spielten wir im und am Wasser und sprangen als Mutprobe auf die gegenüberliegende Uferseite. Allzu viel Leben war dort allerdings nicht zu finden, was schnell zur Langeweile bei meinen Freunden führte. Damals verschwendete ich jedoch keine weiteren Gedanken daran. Dieser Zustand war normal für mich. Wir kannten es nicht anders.

Eines Tages erzählte mein Großvater, dass in diesem kleinen, unscheinbaren Bach früher Bachforellen und Edelkrebse gelebt hatten. Mich warf diese Aussage aus den Socken, denn es war unvorstellbar! »Nie im Leben«, erwiderte ich auf diese Behauptung meines Großvaters. Der lachte nur herzhaft und gab noch einen darauf. »Junge, wir haben die Forellen sogar mit der Hand fangen können, und die haben vorzüglich in der Pfanne geschmeckt.«

Ungläubig starrte ich ihn an. Echte Forellen und Krebse in unserem kleinen Bach? Die Vorstellung daran allein ließ mein Herz höherschlagen. Ich bohrte sofort nach, wo denn die Forellen geblieben sind. Mein Großvater antwortete nur achselzuckend: »Tja, mein Junge, es kam eine Zeit, an der keiner darauf geachtet hat, welche Stoffe ins Gewässer geleitet wurden. Es standen halt andere Interessen im Vordergrund.«

Und plötzlich waren die Fische weg, scheinbar für immer, oder? Seit meiner Kindheit musste ich sehr oft an dieses Gespräch denken. Die Faszination für Gewässer und vor allem für Fische stärkten bei mir den Wunsch, selbst ein Gewässer zu besitzen. Für die Eltern eines Siebenjährigen gestaltet sich die Erfüllung eines solchen Wunsches doch recht schwierig. Dennoch taten meine Eltern alles in ihrer Macht Stehende, um mir diesen Wunsch zu erfüllen. Halten Sie sich fest, mein erster Teich hatte ein Volumen von knapp 150 Liter. Das war für meine Zeit riesig und grenzte an ein Wunder. Meine ganze Kindheit bestand darin, neues Wissen rund um den Teich zu sammeln. Schon damals habe ich mir viele Gedanken über die Selbstreinigung von Gewässern gemacht und versuchte, mit kleinen Wasserpflanzen und neuen Filtermaterialien die grüne Brühe zu reinigen. Jedes Jahr wurde das Teichvolumen aufgestockt, sodass ich nach einigen Jahren schon an dem Punkt angekommen war, einen wirklich großen Teich haben zu wollen. Meine kleinen Goldfische hatten sich prächtig vermehrt, und nun festigte sich der Wunsch, Kois zu halten. Nach langen Diskussionen und Rechtfertigungen fand mein langersehnter Wunsch endlich Anklang bei meinen Eltern. Mit zwölf Jahren war ich dann stolzer Besitzer eines 1.000‐Liter‐Teichs mit Pumpe. Es verging kein Tag, an dem ich nicht am Teich rumgetüftelt habe. Ich hatte viel auszuprobieren und zu entdecken. Eine meiner liebsten Beschäftigungen war es, bei schönstem Sonnenschein zwischen den Seerosen nach Fischen zu suchen, die sich im Schatten aalten. Gern beobachtete ich die Sonnenbarsche, die ich von einer Angeltour mit meinem Großvater mitgebracht hatte. Zu meiner großen Belustigung verstanden diese sich nicht sehr gut mit meinen Goldfischen. Ich musste mir immer das Lachen verkneifen, wenn ich sah, wie die Barsche ihre Jungtiere von den unbelehrbaren Goldfischen fernhalten mussten. Ständig kamen neue Eindringlinge, die mein Sonnenbarschpärchen auf Trab hielten. Die Goldfische hatten wirklich ein Talent dafür, Barsche in den Wahnsinn zu treiben. Meine TV‑Show war der Teich. Wo andere Kinder vor dem Fernseher hingen, lag ich in schlammigen Hosen und mit der Nasenspitze halb ins Wasser ragend an meinem Teich. Es dauerte nicht lange, da ließ sich schon der erste Frosch bei uns am Teich nieder. Täglich sprang er durch unsere Beete, stets auf der Suche nach Insekten. Sehr zum Ärger meiner Mutter, denn bei der Gartenarbeit kam es nicht selten vor, dass sie den Frosch aus Versehen erwischte. Dann stieß sie jedes Mal einen ohrenbetäubenden Schrei aus. Ich hingegen musste immer wieder lachen, denn meine Aufgabe war es dann, den Frosch in sein eigentliches Revier – den Teich – umzusiedeln.

Wie Sie sich denken können, musste nach einiger Zeit ein größerer Teich her. Sie wissen ja, die Fische hatten sich gut vermehrt, der Platz wurde immer weniger, und an einen Verkauf war nicht zu denken. Schnell war eine Lösung für mein Problem gefunden. Ich nahm mein komplettes Erspartes, ging zu meiner Mutter und sagte ihr, dass dies die Anzahlung für den neuen Koiteich ist, den wir bauen werden. Natürlich hatte sie mittlerweile die ständigen Vergrößerungsaktionen satt und sagte nur: »Wenn gebaut wird, dann richtig!«. Wir alle hielten uns an den klaren Befehl, und zusammen mit meiner kompletten Familie bauten wir in nur neun Monaten einen neuen Teich. Aus den anfänglich schlappen 150 Litern wurden stolze 70.000 Liter! Nun stand ich mit nicht einmal 15 Jahren vor einem riesigen Schwimmteich. Meine Fische wurden behutsam umgesiedelt und konnten sich nun in diesem Paradies ausbreiten. Lange hat es nicht gedauert, da hatten wir schon die erste Nachzucht meiner Kois.

Abbildung 1 Erdarbeiten während des Baus des großen Koiteiches Quelle: Clemens Kuhnitzsch

Daraus habe ich gelernt: Wo ein Wille ist, da ergibt sich immer ein Weg. Damals war ich stolz wie Oskar, denn meine Spielkameraden durften nicht einmal einen Hasen oder ein Meerschweinchen halten. Wer kann in dem Alter schon behaupten, einen eigenen Koiteich zu besitzen? In der Hinsicht war ich ganz vorne mit dabei. Mir wurde immer mehr bewusst, dass ich ans Wasser gehörte und dieses noch intensiver kennenlernen wollte. In meiner Schulzeit galt mein Interesse mehr der Biologie als beispielsweise der englischen Sprache. Meine Laufbahn sollte in die Richtung der Gewässer oder der Fischzucht gehen.

Nach drei Jahren Berufsabitur saß ich nun wie ein Seelenloser an meinem Schreibtisch. Das Abi war fast geschafft, und ein Studium stand in nicht mehr allzu weiter Ferne. Allerdings fand ich keinen Studiengang, der mich annähernd interessierte. Eine mögliche Option wäre das Biologiestudium gewesen, aber da im Studium die Gewässer nicht intensiv behandelt werden, war es wiederum auch keine Option. Fast an der Grenze der Verzweiflung angekommen, schnappte ich mir ein Ausbildungsbuch aus meiner alten Oberschule. Ganze 600 Seiten umfasste dieses Exemplar. Um ganz sicherzugehen, habe ich jede Seite inspiziert und nach geeigneten Berufen gesucht. Eine grobe Eingrenzung konnte ich zum Glück schon vornehmen, denn ich wollte in die Naturwissenschaften eintauchen. Nach stundenlanger Suche wollte ich fast schon aufgeben, da fiel mir das Studium – Wasserwirtschaft – ins Auge. Endlich enthielt ein Studium das langersehnte Wort – Wasser. Sofort machte ich mich auf die Suche nach genaueren Infos zu diesem Studiengang. Zack, da war es, Wasserwirtschaft an der TU Dresden. Nach zwei Minuten war die Enttäuschung groß. Denn die genannten Inhalte hatten zwar mit Wasser zu tun, aber so richtig überzeugt war ich zu dieser Zeit nicht.

Wie so oft im Leben fand ich durch Zufall einen Link auf der Seite, der mich zum Studiengang der Hydrowissenschaften führte. Ich las mir die Beschreibung durch und bekam sofort Herzklopfen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Zwei Wochen später schickte ich schon meine Bewerbung auf den Weg. Ich hatte eine Möglichkeit gefunden, mich weiterzubilden. Rückblickend war es die beste Entscheidung meines Lebens, denn ich konnte mich tief in die Thematik »Wasser« und vor allem in die Geheimnisse der Gewässer einarbeiten. Noch dazu habe ich auf diesem Weg meine Frau kennengelernt. Das Leben schreibt die schönsten Geschichten. Was mich so erstaunt, ist die stetig wachsende Faszination für Fließgewässer, sodass ich schon behaupten kann, sie sind meine Lieblinge im »fachlichen« Leben. Wissen Sie, wodurch der Wandel kam? Fließgewässer sind gut zu beobachten, Teiche oder Seen können hingegen sehr trüb sein, was eine Beobachtung verschlechtern kann. Bei einem Fließgewässer habe ich vieles im Blick, es lassen sich mehrere Nuancen erkennen. Es ist augenscheinlich lebendiger und turbulenter, aber übersichtlich.

Während meiner Ausbildung wurde mir bewusst, wie wichtig ein Umdenken in der Gesellschaft ist. Es besteht ein großer Handlungsbedarf in Bezug auf unsere Fließgewässer, den ich gerne anstoßen möchte.

Kapitel 2Wohin des Weges, liebes Wasser?

Das Wasser durchläuft einen sonderbaren und extremen Kreislauf, der schon seit 4,2 Milliarden Jahren auf unserer Erde besteht und sich ständig wandelt (Schorsch 2012). Alle unsere Vorfahren waren seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte von diesem Kreislauf abhängig. Anders formuliert: Das Wasser hat uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind. Antriebsmotor für den gesamten Wasserkreislauf ist die Sonne. Die Sonnenenergie sorgt für einen ständigen Wasseraustausch zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphäre auf unserem Planeten. Unsere Meere dienen dabei als eine Art unerschöpfliche Feuchtquelle. Im Allgemeinen wird davon gesprochen, dass rund sechsmal so viel Wasser auf dem Meer verdunstet als auf dem Land. Dies ist kein Wunder, da die Meeresflächen auf der Erde deutlich größer sind als die Landflächen. Im verdunsteten Zustand ist das Wasser gut transportfähig und wandert so zirkulierend umher (Marcinek 2011).

Beeindruckend zu wissen ist, dass die Erde in unserem Sternensystem ein ganz außergewöhnlicher Planet ist, da hier das Wasser in flüssiger Form vorkommt. Bei uns kann es frei fließen, auf anderen Planteten ist es lediglich gefroren. Für uns ist ein Wassertropfen auf dem grünen Blatt etwas Normales und Alltägliches. Insgesamt beinhaltet dieser Tropfen aber die Chance des Lebens, denn wir benötigen flüssiges Wasser dafür. Auch in der Schule wird davon gelehrt. Allerdings in Form von Kälte‐ und Wärmeperioden. Jede dieser Perioden beinhaltete einen eigenen Wasserkreislauf, mit dem die Spezialisierung der Lebewesen auf der Erde einherging. Kein Lebewesen hat versucht, sich gegen die Bedingungen ihres Lebensraums zu wehren. Der stärkste und bestangepasste Organismus hat das Rennen gewonnen. Wir Menschen sind selbst Gewinnerinnen und Gewinner dieses Rennens, da unsere Vorfahren sich ständig ihrer Umgebung angepasst haben und somit zum Erhalt der Spezies beitragen konnten.

Ich persönlich bin sehr froh, dass sich die Zeiten ändern und wir nicht inmitten einer Eiszeit aufwachsen und leben müssen. Denn diese Umgebung lässt nicht sehr viel Platz für Leben. Wir Menschen sind somit Teil des Kreislaufes und fest mit ihm verbunden. Warum das so ist, möchte ich Ihnen mit dem folgenden Beispiel ein wenig näher erläutern. Pro Tag trinkt der Mensch, vorausgesetzt der Wille ist da, zwischen zwei und vier Liter Wasser. Wie Sie sich denken können, müssen dann auch die geübtesten Menschen irgendwann ihre Blase entleeren. Und dort geschieht es, das Wasser begibt sich in Startposition, zwar verunreinigt durch die Ausscheidungsstoffe, aber es steht bereit für die beeindruckende Reise durch die Welt. Dieses Wasser muss sich nämlich ranhalten, zwei Liter sind ja schon in der Nacht verschwitzt worden und hinein in den Kreislauf gelangt.

Aufgepasst, jetzt geht es nämlich los, der Kreislauf des Wassers beginnt. Denn nun gelangt Ihre Ausscheidung in die Kanalisation auf direktem Wege zu einer Kläranlage. In dieser wird das Wasser von seinen mitgebrachten Stoffen befreit. Naja, nicht zu 100 Prozent, ein sehr großer Teil der Schadstoffe gelangt trotzdem ins Gewässer, aber dazu später. Nun ist Ihr Wasser im Fließgewässer angelangt und treibt emsig davon. Eine lange und weite Reise steht ihm bevor, doch mit etwas Glück landet es irgendwann wieder bei Ihnen im Glas. Ganz nach dem Motto »Home sweet Home«. Wie bitte? Ich trinke meinen eigenen Urin? Wenn man es genau nehmen will, wurde das Wasser auf unserer Erde schon sehr oft getrunken und wieder ausgeschieden. Überlegen Sie einmal, Ihr Schluck Wasser floss auch schon einem T‑Rex die Kehle hinunter, oder es löschte den Durst eines Neandertalers. Ja, so ein Schluck Wasser steckt voller Geschichte und vor allem voller Zeit! Es erstaunt mich immer wieder, dass wir Menschen immer denken, Wasser sei im Überfluss da. Der Gedanke scheint im ersten Moment richtig, aber er stimmt nicht ganz. Denn der überwiegende Anteil ist salzig und für uns Menschen nicht zum Trinken geeignet. Wir kennen diese Salzwasserreservoirs sehr gut, da wir es lieben, an solchen »Oasen« Urlaub zu machen. Insgesamt sind rund 96,6 Prozent des Wassers auf der Erde salzig und für den Menschen vorerst ungenießbar, im Vergleich dazu sind lediglich 2,5 Prozent Süßwasser. Aber Achtung, von diesem geringen Anteil ist das meiste Wasser gefroren. Die Gesamtheit unseres trinkbaren Süßwassers stellt vielmehr eine überschaubare Ressource dar, welche es zu schützen gilt (Marcinek 2011).

Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass der menschliche Körper zu großen Teilen aus Wasser (Embryo 85 Prozent, Erwachsener 60–70 Prozent, Menschen ab 70 Jahren 50–55 Prozent) besteht. Dieser Wasseranteil nimmt im Laufe des Lebens immer weiter ab. Wichtige Organe jedoch, wie Herz, Lunge, Gehirn oder Milz, bestehen ein Leben lang aus über 70 Prozent Wasser. Wasser ist notwendig, um Nährstoffe im Körper zu verteilen und zu verstoffwechseln. Außerdem wird es dazu benötigt, um eine Thermoregulation sowie Regulation des osmotischen Drucks herzustellen. Zusätzlich trägt es dazu bei, dass sich der Körper reinigen kann. Nicht ohne Grund gibt es den mehrfachen Toilettengang im Laufe des Tages. In diesem Zusammenhang ist ein Konsum von ausreichend Wasser maßgebend für einen gesunden Körper. Ohne Wasser kann ein Mensch maximal drei Tage überleben. In den meisten Fällen kommt es schon nach 24 Stunden zu ersten Anzeichen einer Dehydrierung (Zellner 2023).

Kehren wir doch wieder gemeinsam zurück zu dem Wasserkreislauf, denn das ausgeschiedene Wasser befindet sich nun im Gewässer und wird dort weiter »verarbeitet«. Viele Mikroorganismen versuchen emsig die Nähr‐ und Schadstoffe aus dem Wasser zu entfernen. Dies gelingt in vielen Fällen nur bedingt gut, gerade wenn das Fließgewässer keine natürlichen Strukturen hat. Im Laufe der Zeit kommt es zur Verdunstung des eingebrachten Wassers. Dann beginnt die spannende Reise für das Wasser, denn es fliegt ohne richtiges Ziel durch die Welt, um am Ende wieder bei einem Regenguss auf die Erde niederzutröpfeln. Wo das im Meer gestartete Wassertröpfchen am Schluss landet, ist ungewiss und sehr verschieden. Das eine beginnt die Reise im Atlantik und zieht bis zur Europäischen Grenze, das andere kommt von dem Pazifik hergereist. Andere legen wiederum eher kurze Wege zurück, da sie beispielsweise aus dem Tagebaurestseen der Lausitz oder des Leipziger Raums entstammen. So richtig kann man dem Weg des Wassers leider nicht auf den Grund gehen. Wahrscheinlich hat jeder Wassertropfen schon mehrmals alle Ecken dieser Welt bereist und kennengelernt. Schließlich ist dieser Kreislauf schon verdammt alt. Mit einem Schluck um die Welt, das ist doch ein herrlicher Gedanke, nicht wahr? Das Wasser in Ihrem Trinkglas hat schon einige Jahre auf dem Buckel und strotzt nur vor Weisheit und Erfahrung.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen noch einen kleinen Trugschluss erläutern, der gern mit dem sichtbaren Atem in Verbindung gebracht wird. Bei diesem schönen Phänomen, welches die Kinderherzen höherschlagen lässt, handelt es sich um flüssiges Wasser und nicht gasförmiges. Wenn wir vom gasförmigen Wasser sprechen, ist dieses für unser menschliches Auge nicht sichtbar. Um sie zu beruhigen, diese Erkenntnis hatte ich auch erst während einer Meteorologievorlesung.

Die Aggregatzustände des Wassers sind atemberaubend, denn dieses kann in einem Vakuum (von lateinisch: vacuus‎ »leer, frei, unbesetzt«; physikalisch: ein Raum, in der die Materie weitestgehend abwesend ist) in allen drei Formen (fest, flüssig, gasförmig) gleichzeitig existieren, man nennt dies auch den Tripelpunkt. Dieser einzigartige Zustand wurde mir einmal in der Physikvorlesung präsentiert. Ohne Ausnahmen waren alle Studierenden von dem herrlichen Anblick gefesselt und vor Staunen wie gelähmt. Uns wurde einmal wieder eindrucksvoll vorgeführt, dass unser Wasser voller Raffinessen steckt und es unglaublich schön ist, dieses zu erforschen.

Der Wasserkreislauf auf unserer Erde spielt sich überwiegend in der Troposphäre ab (von altgriechisch tropé »Wendung« oder »Änderung« und sphaira »Kugel«). In dieser Schicht ist das wunderbare und sehr wenig bekannte Wetter zu beobachten. Das Wasser kondensiert in den höheren Bereichen der Troposphäre und gelangt mithilfe der Anziehungskraft unserer Erde wieder auf den Boden. Während dieser Phase können in der Luft enthaltene Abgase aufgenommen werden. Oft wird dabei in den Medien von sauren Regen gesprochen. Zu DDR‐Zeiten waren diese sauren Regengüsse so eindrucksvoll, dass die Flechten, wie wir sie heute überall sehen können, nur geringfügig bis gar nicht bestehen konnten. Wenn es also regnet, dann findet eine Art Luftreinigung statt. Mit jedem Niederschlag riecht die Luft doch gleich frischer und herrlicher (verursacht durch den Stoff Geosmin). Sie haben bestimmt gerade den feinen Duft in Erinnerung, der bei einem schönen Regenguss in der Luft liegt, oder?

Wasser kann in verschiedenster Art und Weise auf den Boden treffen. Sie kennen bestimmt die unvergleichlichen Gewittergüsse, den Schneefall oder die Hagelregenfälle, bei denen man als Kind sehr lange fasziniert vor dem Fenster stand, während die Eltern unruhig umherliefen, da sie um Haus und Auto fürchteten. Haben Sie sich schon einmal die Zeit genommen eine Schneeflocke zu inspizieren? Sind diese perfekten Kristalle nicht ein wahres Wunder? Schneeflocken sind wohl die schönsten Abbilder des Wassers, die wir Menschen glücklicherweise wahrnehmen können. Aus diesem Grund kann ich es sehr empfehlen, sich die Zeit zur Beobachtung von Schneeflocken zu nehmen. Die Konstellation der Kristalle ist atemberaubend und zeigt uns die künstlerische Gestaltungskraft der Natur. Außerdem lässt es das innere Kind erstaunen und den stressigen Alltag vergessen. Gerade sehr beschäftigten Menschen rate ich dazu, Ihre Umgebung einmal bewusst wahrzunehmen.

Im Winter ist es der Schnee, im Sommer der Regen, der auf die Erde fällt. Erreicht das Wasser im flüssigen Zustand den Boden, durchdringt es die verschiedensten Bodenschichten, die aus einer Vielzahl an Substraten bestehen. In diesem Durchlauf findet eine weitere Reinigung des Wassers statt. Die Bodenschichten fungieren als Filter und reichern zudem das Wasser mit wichtigen Mineralien wie zum Beispiel Magnesium, Eisen oder Sulfat an. Dabei ist jedes Wasser einzigartig, da dieses in unterschiedlichen Regionen niederfällt und entsprechend der Umgebung die dort vorhandenen Stoffe aufnimmt. Hat es die unterschiedlichen Bodenschichten durchlaufen, gelangt das Wasser in eine bereits mit Wasser gefüllte Bodenzone. Diese wird im Volksmund auch Grundwasserzone genannt. Von dort aus wird ein Teil des Wassers in vielen Regionen der Erde entnommen, behandelt und für die Trinkwasserversorgung genutzt. Der andere Teil gelangt wiederum in unsere Stand‐ und Fließgewässer. Würde es keinen ständigen Wasseraustausch zwischen Grundwasser und dem Gewässer geben, würden wir an der Oberfläche weder Bäche noch Flüsse zu sehen bekommen. Dementsprechend wirkt sich eine Grundwassersenkung auch fatal auf die Menge an Wasser im Gewässer aus. Somit bleibt das Wasser in ständiger Bewegung, selbst wenn es sich als Grundwasser in der Bodenzone befindet. Auch hier lassen sich Fließgeschwindigkeiten messen, auch wenn man vielleicht denken mag, es würde stillstehen.

In der Vergangenheit ist das Wasser schon an vielen interessanten Orten vorbeigeflossen und hat somit die Landschaft maßgebend geprägt. Sehr geduldig »nagt« es buchstäblich an der Erdoberfläche und bahnt sich so einen Weg durch die Landschaft. Wie eine Art Sandpapier modelliert es die Steine und Felsen und hinterlässt auf diese Art kunstvolle Spuren, die wir wiederum bei einer Wanderung bestaunen können. Kantige Steine werden geschmeidig abgerundet und behutsam bearbeitet. Hektik und Stress sind dabei Fehlanzeige, diese beiden Faktoren kennt das Wasser nicht. Das Motto lautet vielmehr »In der Ruhe liegt die Kraft«, und diese Kraft demonstriert es immer wieder.

Ein Teil des Wassers wurde im Laufe der Zeit eingefangen und festgehalten. In kälteren Regionen der Erde wird Wasser in Form von Schnee und Eis manifestiert. Aktuell findet auf der Erde ein großer Schmelzprozess statt. Daher kommt es, dass lange eingefrorenes Süßwasser wieder in den Kreislauf eingebracht wird. Jahrtausende war dieses eingefroren und für die restliche Welt unzugänglich. Gletscher werden heute sehr gern zur Untersuchung des Klimawandels verwendet. Sie geben Hinweise auf die globale Erderwärmung und erlauben Rückschlüsse auf die vergangenen Klimaperioden. In vielen Ländern wird das Gletscherwasser direkt benutzt und stellt somit eine unerlässliche Ressource dar, welche immer mehr bedroht ist, da die Gletscher parallel keinen Zuwachs erleben.

In Zeiten des Klimawandels werden wir zukünftig noch so einige Überraschungen erleben und vor Herausforderungen stehen, die unser Wissen auf die Probe stellen. Denn die Menge an Wasser, die jetzt einen festen Zustand hat, reicht sehr gut aus, um den Meeresspiegel mehrere Meter ansteigen zu lassen. Das dauert viele hundert Jahre, aber unsere Nachfahren werden bestimmt eine komplett andere Welt vorfinden, als wir sie jetzt erleben. In der Vergangenheit (vor circa 6000 Jahren) gab es auch natürlich verursachte Wärmeperioden, in denen die Alpen einmal in großen Teilen (bis 4000 Meter Höhe) vollständig abgeschmolzen sind (Bohleber et al. 2020). In diesem Sinne bleibt es für uns Menschen spannend. Eins steht in diesem Zusammenhang fest: Eine Anpassung unseres Lebens ist wahrscheinlich notwendig.

Nicht nur wir interagieren mit dem Wasser auf der Erde, auch kommt es zwischen den Planeten zum Austausch dieses Lebenselixiers. Wussten Sie, dass wir ständig Wasser ans Weltall abgeben und parallel wieder welches aus diesem empfangen? Es herrscht ein ausgeprägter Austausch zwischen den beiden Systemen, der viel Platz für Geschichten bereithält. Buchstäblich verliert die Erde Wasser an das Universum. Umgekehrt trifft aber auch jeden Tag Wasser aus dem Weltall auf unsere Erde. Man kann also behaupten, dass das Wasser auch im Universum in einer Art Kreislauf eingebunden ist. Nur sind die zeitlichen Dimensionen unvorstellbar, die das Wasser dort durchläuft. Ich finde es äußerst spannend, denn die Vorstellung, dass wir schon »benutztes« Wasser aus anderen Welten erhalten haben, ähnelt einem Steven‐Spielberg‐Film. Wer an dieser Stelle meint, Wasser sei uninteressant, der sollte sich den Weg des Wassers mal auf der Zunge zergehen lassen.

Abbildung 2 Aufsteigender Nebel im Zwönitztal (Erzgebirge) Quelle: Riverbalance / Clemens Kuhnitzsch

Kapitel 3Die Geburt eines Fließgewässers

Es ist noch nicht lang her, als ich mit meiner Frau und meinem Sohn durch die Wälder im Erzgebirge wanderte. Das Wetter war ein wenig regnerisch, aber die frische Waldluft war ein wirklicher Genuss. Überall flossen kleine Bächlein über die Waldwege, und vom Felsgestein sprangen tausende kleine Tröpfchen hinunter auf den Boden. An einigen kleinen Felsspalten sprudelte das Wasser richtig heraus. Je tiefer wir in den Wald gelangten, desto schöner wurden diese kleinen Wasserspiele. Wir entdeckten unzählige Miniaturwasserfälle, die uns ein breites Grinsen ins Gesicht zauberten. Im Laufe des Wandertages beschloss ich, diese Schönheit festzuhalten. Doch wie sollte ich es nennen, der Lauf des Wassers? Dann fiel mir auf, dass dieses Regenereignis einer Geburt gleicht. Nicht einer menschlichen Geburt, sondern viel mehr einer Gewässergeburt. Denn mit jedem Tropfen schwoll der kleine Waldbach am Wanderweg weiter an. Jeder Tropfen hatte seinen eigenen Weg, aber alle zusammen hatten sie ein gleiches Ziel.

Zwar sieht diese kleine Wassertropfenwanderung auf den ersten Blick sehr ungeplant und nicht gerade zielorientiert aus, dennoch enden sie wieder alle zusammen, oder zumindest der größte Teil, in einem Gewässer. Dieser Wasserzusammenfluss führt dazu, dass wir erst ein Rinnsal, dann eine Regenrinne und schließlich ein wirkliches Gewässer erkennen. In der Quellregion beginnt schließlich die Reise des Wassers und die Geburt eines Fließgewässers.

Nehmen wir einmal unsere Elbe, die meines Erachtens ein schöner und bekannter Beispielfluss ist. Wenn sie abends in Dresden an der Elbe stehen und sich die Lichter der Elbpromenade im Wasser spiegeln, scheint der Fluss etwas Magisches an sich zu haben. Als Student wurde ich in solchen Momenten immer sehr still und genoss dabei den herrlichen Lichteranblick und die Spiegelung der Elbpromenade im Wasser. Doch diese Elbe wurde auch »geboren«, und zwar im Riesengebirge an der tschechisch‐polnischen Grenze. Ein kleines Rinnsal, welches sich durch das fast 1300 Meter hohe Gebirge durchkämpft und mit jedem Meter größer und stärker wird. Es durchläuft Kilometer für Kilometer die verschiedensten Regionen und verbindet sich anschließend mit weiteren Bächen und Flüssen. Tausende Menschen erblickten schon den immer größer werdenden Fluss. Die Reise endet dann schließlich nach schlappen 1.094 Kilometern in der Nordsee. Im Mündungsbereich fließen dann durchschnittlich 861 Kubikmeter pro Sekunde ins Meer. Gestartet ist die Elbe lediglich mit wenigen Litern Wasser. Der Fluss bleibt in seiner Gestalt erhalten, aber die am Anfang gestarteten Wassertropfen sind nun für weitere Reisen bereit. Da es einen Wasserkreislauf gibt, gelangen neue Tropfen an den Startpunkt, und das Abenteuer Fluss kann dann schließlich von Neuem beginnen.

Abbildung 3 Wasseransammlung am frühen Morgen auf einem alten Eichenblatt Quelle: Riverbalance / Clemens Kuhnitzsch

Allein durch Sachsen schlängeln sich knapp 15.000 Kilometer Flussläufe. Davon nimmt allein die Elbe 178 Kilometer ein. Darüber hinaus lassen sich deutschlandweit über 111 Fischarten in diesen Gewässern finden. Wer einmal die ganzen Flüsse Deutschlands abfahren möchte, sollte viel Zeit mitbringen, da es insgesamt 8.925 Flüsse mit einer Gesamtstrecke von 137.030 Kilometern sind. Das gesamte Fließgewässernetz Deutschlands weist mehr als 500.000 Kilometer auf (UBA 2022).

Jedes dieser Fließgewässer ist eine Oase für Tierarten. Neue Forschungen zeigen, dass rund 12 Prozent aller Arten in Stand‐ oder Fließgewässern leben. Im Allgemeinen sind circa 41 Prozent der Fischarten sowie 25 Prozent der Wirbeltierarten direkt oder indirekt abhängig von den Süßwasserökosystemen. In der Schweiz konnte zum Beispiel wissenschaftlich festgestellt werden, dass in Auen rund 80 Prozent der in der Schweiz vorkommenden Tierarten leben (Borchardt 2015).

Kapitel 4Alles zu seiner Zeit

Es rauscht und platscht, nichts steht nur eine Sekunde mal still, der Fluss fließt und verändert sich deutlich mit der Zeit. Wenn ich mir einen Flussverlauf ansehe, wirkt er auf mich in der Regel sehr unkoordiniert. Ständig ändert sich etwas im Gewässer. Mal ist ein tiefes Loch (Kolk) vorhanden und später nur ein flacher Inselbereich (Heger). Im Frühjahr liegt auf einmal die alte Pappel im Wasser, und im Spätherbst ist diese vom Biber abgefressen. Kann unter solchen Umständen eine Ordnung vorhanden sein oder leben auch die Organismen im ständigen Wandel?

Wie auch in Standgewässern hat jede Art ihren eigenen Rhythmus, welcher sich im Laufe der Zeit optimiert hat. Selbst in der scheinbaren Unordnung herrscht die beste Struktur. Die Wasserorganismen besitzen zwar keinen Terminkalender wie wir Menschen, aber sie richten sich nach der Temperatur, den Lichtverhältnissen und auch den Stellungen des Mondes. Sie besitzen parallel dazu eine wunderbare innere Uhr, einen Urinstinkt, der die wesentlichen Abläufe des Lebens antreibt. Wir Menschen sind schon zu lange von der wahren und natürlichen Lebensweise entfernt. Der Urinstinkt herrscht nur noch marginal, weshalb wir doch lieber einem selbst festgelegten oder auch vorgelebten Tages‐ oder Jahresablauf nachgehen.