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Für den großen Theaterlehrer Horst Hawemann, Regisseur und langjähriger Lehrer an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin, war das Leben selbst die unerschöpfliche Quelle für das Handeln auf der Bühne. Wie kaum ein anderer hat er es verstanden, mit Alltagssprache zu spielen. Den stattlichen Fundus seiner praktischen Übungen und "Nummern", die er den Spielern im Unterricht und auf der Probe angeboten hat, führt nun dieses Buch erstmals zusammen, begleitet von Kommentaren, in denen er seine "improvisierende Methode" erläutert. Ein unentbehrliches Übungsbuch für den Schauspielunterricht, die Improvisation oder beim Inszenieren.
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Seitenzahl: 347
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Horst Hawemann
Leben übenImprovisationen und Notate
Die Publikation wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von der Abteilung Puppenspielkunst der HFS Berlin, SCHAUBUDE BERLIN, Theater Pfütze Nürnberg, Manuel Schöbel / Radebeul, AGORA Theater / St. Vith (Belgien), Jutta M. Staerk / Köln, Kerstin Dathe / Thale, Deutsches Archiv für Theaterpädagogik (DATP) am Institut für Theaterpädagogik der Stiftung HS Osnabrück/ Campus Lingen, henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH, Hedwig Golpon / Universität Greifswald, Gerd Taube / Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland, Thomas Lang / Hannover, Gunhild Lattmann / Dresden, Silke Lenz / Landeszentrum Spiel und Theater Sachsen Anhalt, Jürgen Zielinski und Lydia Schubert / Theater der Jungen Welt Leipzig, Willy Combecher, Sigi Herold und Detlef Köhler / TheaterGrueneSosse Frankfurt am Main, Hubertus Fehrenbacher / Theater im Marienbad Freiburg, Mario Portmann / Oberspielleiter am Theater Konstanz, Tina Jücker und Claus Overkamp / Theater Marabu Bonn, Andreas Goehrt und Karin Schroeder / Theater Metronom Visselhövede, Theater Mummpitz Nürnberg, Wolfgang Stüßel / Theater STRAHL Berlin, Felicitas Loewe / Intendantin am tjg. theater junge generation / Dresden, Ulrike Hentschel / Universität der Künste Berlin, Ute Pinkert / Universität der Künste Berlin, Kristin Wardetzky / Berlin, Wolfgang Schneider / Bischofsheim, ASSITEJ e.V. / Frankfurt am Main und Gerd Knappe / Berlin.
Horst HawemannLeben üben – Improvisationen und NotateHerausgegeben von Christel Hoffmann
Recherchen 108
© 2014 by Theater der Zeit
Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich im Urheberrechts-Gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
Verlag Theater der ZeitVerlagsleiter Harald MüllerIm Podewil | Klosterstraße 68 | 10179 Berlin | Germany
www.theaterderzeit.de
Lektorat: Lena SchneiderGrafik: Bild1Druck, BerlinCover: Horst Hawemann und Studierende während eines SeminarsCovergestaltung: Antje-Catrin Jäckel, Fotos Hans-Jochen Menzel
Printed in Germany
ISBN 978-3-943881-83-7ISBN 978-3-95749-004-9 (eBook)
Horst Hawemann
Prolog
Vorwort
I ARBEITSBEGRIFFE
Die „Nummer“ als Spielbegriff
Improvisation
Etüde
Interpretation
II DIE SAMMLUNG
„Umquatschen“ oder Der gesammelte Held
Bekannte Redensarten, verdichtete Sprache
Kopfhaltungen
Nachtrag: Sammlung in eigener Sache (ärgerlich aufgeschrieben)
III MIT SPRACHE HANDELN
Das handelnde Wort
Arrangement macht Haltung oder Die Macht der Worte
Sätze über Sätze
Sprache handelt im Theater durch Sprechen
Worte und Hindernisse
Die innere Stimme
Etüdischer Umweg zu dichterischen Sätzen
Dass ich dich herzen kann
Sprechen
Vom Nutzen des Nachschlagens
IV ALLES HANDELT MIT
Spontanes Handeln, bewusstes Handeln, gestaltetes Handeln
Alles handelt mit
Das Ereignis
Dramaturgie heißt Handlung
Umstände
Der Spielwert der einzelnen Mittel
V EIN DIALOG IST MEHR ALS EIN GESPRÄCH
Liebe die Pause!
Grundtypische Haltungen und sprachlicher Gestus
Fixierungen
Text Text Text
Die Szene
Wir befragen die Szene
VI ERREGENDE VORGÄNGE
Erregung
Beziehungen
Entwicklung von Beziehungen: Szenische Anfänge
Partnerschaft: Geben – Nehmen – Geben
Erfahrungen
In übertragenem Sinne
VII WIE ENTSTEHT EINE FIGUR?
Biografie
Auskünfte über Menschen
Kleider machen Leute oder Kostüm und Bewegung
Zeig her deine Füße, zeig her deine Schuh
Der Kragen – ein Kostümteil und mehr
Gang mit Hut
Das erzählende Detail
VIII AM ANFANG IST IMMER EIN RAUM DA
Die wichtigste Senkrechte im Raum ist der Mensch!
Auch der Blick ist ein Gang
Präsent im Raum
Partnerbeziehung im Raum
Grundtypische Haltungen und deren Beziehung zum Raum
Das Raumbild
Ein Möbelstück im Raum
Die bebaute Bühne – Übungsideen
Vorgestellte Räume, empfundene Räume
Zeichen im Raum (Objekte)
Waffen auf der Bühne oder Was tut das Schwert mit der Spielerin?
Die Dinge erzählen
Das Licht setzt Zeichen
Den richtigen Ton finden
IX DIE PROBE
Die Entwicklung der Idee beim Schreiben
Wie bereite ich mich auf eine erste Probe vor?
Proben begleitende, gültige Altwahrheiten
Fragen, die sich während der Probe oder danach einstellen
Nach dem Ausprobieren folgt die Probe
Die Wiederholungs- oder Erinnerungsprobe
Die Entwicklungsprobe
Eine Proben-Sammlung
Besondere Proben der lockeren Art
Kritik und Auswertung
Bühne – Zuschauerraum
Epilog: Worte, die auf Proben fielen
X AUSKÜNFTE
Über Freiräume für Schauspieler
Ich bekenne mich zu meiner Arbeitsweise
Horst Hawemann – Biografie in Daten
Inszenierungen (Auszüge)
Nachwort
AN – GEBOTE
AN – SCHAUUNGEN
AN – SICHTEN
AN – REGUNGEN
AN – SÄTZE
AN – FÄNGE
AN – SAGEN
AN – FRAGEN
AN – WENDUNGEN
AN – MERKUNGEN
Dieses Buch ist nicht nur eine Bedienungsanleitung zum Erlernen der Schauspielkunst oder zur Ausbildung von Schauspielerinnen und Schauspielern. Es ist auch nicht nur Anregung und Quelle für Dozentinnen und Dozenten, die sich mit der Vermittlung von Grundlagen der Schauspielkunst beschäftigen, sowie für angehende Schauspieler/innen, die sich mit ihrem zukünftigen Beruf auseinandersetzen wollen. Dieses Buch ist vor allem ein Arbeitsbuch für gestandene Schauspieler/innen und Regisseur/ -innen, die mitten in Inszenierungsprozessen stehen. Und nicht zuletzt ist es ein Erinnerungsbuch an den Theaterlehrer Horst Hawemann.
Die Übungen in diesem Buch entbehren jeder Mechanik, sie sind kein Knöpfedrücken mit immer demselben Ergebnis – nein, sie sind sehr lebendig. Sie sind eine Aufforderung, kreativ mit diesem Material umzugehen, vielleicht so, wie Horst Hawemann selbst seine Erfindungen, er nannte sie seine „Nummern“, gesehen hat: Sie waren ihm nie wichtiger als die Menschen, mit denen er arbeitete.
Professor Horst Hawemann lehrte lange Jahre im Studiengang Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, er gab vornehmlich Unterricht in den Grundlagen Schauspiel im ersten Studienjahr, am Anfang des Studiums, und schloss im vierten Studienjahr mit einem Fortgeschrittenenkurs ab. Er war uns sehr verbunden und unterstützte uns inhaltlich in der Planung des Curriculums mit seinen Erfahrungen.
In seinen Grundlagenkurs konnte man jederzeit hineingehen und zuschauen. Man konnte sehen, wie sich seine Übungen entfalteten, wie sie sich veränderten, weil sie manchmal nicht funktionierten, man konnte zusehen, wie neue „Nummern“ auf der Probe von ihm erfunden wurden. „Einsam öffentlich arbeiten“, nannte Horst Hawemann das.
Er hatte immer einen Plan, wenn er in die Probe hineinging, aber der Plan war die Vorbereitung und die Probe das eigentliche Spiel – er improvisierte. Man sah, dass seine „Nummern“ lebten: Sie wurden im Kopf und auf der Probe geboren, manchmal aufgeschrieben, manchmal vergessen, sie kamen wieder, sahen anders aus, formten sich neu, schlossen sich zusammen, gruppierten sich anders, veränderten die Reihenfolge ihres Erscheinens – sie waren quicklebendig und führten, wie er manchmal schmunzelnd sagte, „ein irres Eigenleben“.
Er selbst aber trat zurück, er arbeitete uneitel, was seine eigene Persönlichkeit in diesem Prozess betraf. Er freute sich an dem, was die Studierenden entwickelten, er spielte mit, hatte seinen Spaß, den er nie zurückhielt. Er regte an, weckte die spielerischen Kräfte, die Erinnerungen, die Erfahrungen, klopfte leise aber nachdrücklich an die Schutzschilde der Studierenden, indem er ihre Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Regungen lenkte. Ihm war es wichtig, in den Studierenden ein Verantwortungsgefühl für den sorgsamen Umgang mit ihren eigenen Beobachtungen und Eindrücken zu entwickeln.
Er arbeitete mit den Studierenden nicht ohne Druck, aber spielerisch leicht, tänzelnd, schwebend, zart, er hielt nichts von Zerstörung und Neuaufbau. Er sensibilisierte ihre Beobachtung, auch die Selbstbeobachtung, aber nicht als Nabelschau und ohne psychologisierende Aufschreie – sondern im Kleinen. Manche „Nummern“ waren nur ein Wort, eine Geste, ein Blick.
Die scheinbare Endgültigkeit, die nun das Aufschreiben solcher Prozesse immer mit sich bringt, müssen die Anwender/innen, die Leser/innen selbst wieder auflösen. Einst sehr lebendig vorgetragene „Nummern“ sind jetzt Beispiele, sind Anregungen geworden, mit denen man umgehen kann, die man selbst in der Situation, in der sie angewendet werden, spielerisch leben, die man aufnehmen und verändern muss.
Aber ein guter Beobachter muss man schon sein. Die schönsten Übungen nützen nichts, wenn man nichts in den Menschen lesen kann. So ähnlich hat das Horst mal gesagt.
Hans-Jochen MenzelProfessor an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“,Abteilung Puppenspielkunst
Ich setze mich nicht an den Schreibtisch und gebe mir den Auftrag, eine Nummer,1 Übung, Etüde oder Improvisationsaufgabe zu erfinden. Ich entdecke sie an normalen und weniger normalen Orten, bei Tätigkeiten, die gemacht werden müssen, die nichts weiter von mir fordern, als tätig zu sein.
Sie entstehen als Idee in Verkehrsmitteln und auf Wegen, die gegangen werden müssen. Beim Einkaufen fällt mir nichts ein, auch nicht beim Anprobieren von Hosen, was zum Glück selten bei mir vorkommt. Ich gehe auch nicht zum Beobachten von Menschen durch die Gegend.
Während meines Studiums wurde uns die Aufgabe gestellt, Bettler zu beobachten. Das ganze Studienjahr stellte sich vor einer Kirche auf, in der Nähe eines Almosensammlers, und starrte auf das Elend des Bettlers. Bei dem Bettler entwickelten sich Hoffnungen auf größere Einnahmen, aber bei uns war außer Beobachtung nichts weiter zu holen. Ich sah nichts, was mir in meiner künstlerischen Ausbildung wegweisende Erkenntnisse geliefert hätte, warf ein wenig Geld in seine Mütze und entfernte mich verkrampft. Ich hatte nur einen Gewinn bei der Geschichte, nämlich die Gewissheit, dass ich mich nie wieder zu einer „gezielten“ Beobachtung zum Zwecke einer künstlerischen Verarbeitung aufmachen würde.
Darin wurde ich bestätigt, als mir ein Schauspieler, der einen Esel spielen sollte, vorschlug, mit ihm den Zoo zu besuchen, um einen echten Esel zu studieren. Den Esel, den ich brauchte, den gab es in Wirklichkeit nicht.
Bevor ich mich heftiger Widerrede aussetze, will ich nicht ausschließen, dass man sich durch Hinsehen gewisse spezifische Informationen besorgen kann. Ich beobachte nicht – ich nehme auf. Ich sammle im Vorübergehen ein. Ich bemerke ein Interesse bei mir, eine besondere Aufmerksamkeit. Mit den Jahren entwickeln sich diese Fähigkeiten. Sie werden zu einem besonderen Blick, den ich nicht bewusst herstellen muss, er ist ein organischer Teil von mir. Ein guter Masseur sieht mit einem Blick im Vorübergehen einen verspannten Rücken, ohne dass er danach Ausschau gehalten hat. Anders als beim Inszenieren suche ich bei der Entwicklung einer Übung nicht nach einer Idee. Ich bin bereit für eine Idee. Einige Beispiele:
Ein alter Mann, nicht eben gut zu Fuß, sieht aus einiger Entfernung die rotierende Drehtür eines Warenhauses. Er rennt hastig eine längere Strecke, um in den offenen Teil der Tür zu gelangen. Er erreicht sein Ziel mit Müh und Not. Die nächste Öffnung kommt gewiss, aber er wollte diese davor. Das sah ich im Vorübergehen und hatte eine Idee. Ich suchte keine und ich brauchte keine, aber ich hatte die Idee zu einer Nummer über merkwürdige Gänge, erzählende Gänge, rätselhafte Gänge. Zum Beispiel: Es geht jemand auf der Stelle. Dieser Gang reicht ihm aus, um viel zu sehen. Er braucht den zurückgelegten Weg nicht.
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