Huckleberry Finn und Zombie-Jim - Mark Twain - E-Book

Huckleberry Finn und Zombie-Jim E-Book

Mark Twain

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Beschreibung

Es gibt kein besseres Zuhause als ein Floß, denn dort erwischen dich die Monster nicht. Zumindest nicht so leicht ... Endlich frei! Huckleberry Finn und sein bester und totester Freund, Zombie Jim, haben den Anker gelichtet, um sich in ein neues Abenteuer zu stürzen. Doch diesmal sind Klapperschlangen, Betrüger und Räuber ihr geringstes Problem. Die in ganz Amerika wütende Tuberkulose tötet Menschen und bringt sie bösartiger und hungriger denn je zurück, und niemand vermag, die Untoten in ihrer Gier zu stoppen. Huck kann zwar nicht wirklich sicher sein, ob ihn seine Freundschaft zu Jim davor bewahren wird, irgendwann als dessen Mahlzeit zu enden, doch da auf Jim ein Kopfgeld für einen Mord an Huck ausgesetzt ist, den der selbst vorgetäuscht hat, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich und den Launen des mächtigen Mississippi zu vertrauen und sich auf eine halsbrecherische Flucht zu begeben ...

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Infos zu weiteren Romanen und Comics unter:

www.paninicomics.de

 

 

Mark Twain und W. Bill Czolgosz

Ins Deutsche übertragen von

Caspar D. Friedrich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

Dieses Buch wurde auf chlorfreiem, umweltfreundlich hergestelltem Papier gedruckt.

In neuer Rechtschreibung.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk wurde durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen, vermittelt.

 

Copyright © 2009 by W. Bill Czolgosz. All Rights Reserved.

Amerikanische Originalausgabe: „Adventures of Huckleberry Finn and Zombie Jim“ by Mark Twain and W. Bill Czolgosz, published by Coscom Entertainment, Winnipeg, Canada, July 2009.

 

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

 

Übersetzung: Caspar D. Friedrich

Lektorat: Carmen Jonas

Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

Chefredaktion: Jo Löffler

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Cover und Illustrationen von Nic Klein

Satz und eBook-Erstellung: John Campbell

 

ISBN 978-3-8332-2363-1

 

1. Auflage, September 2011

www.paninicomics.de

 

W. Bill Czologosz widmet dieses Werk

Taylor & Haylee

Zwillinge. Freunde. Menschen von großer Bedeutung.

 

HINWEIS

Gegen jeden, der versuchen sollte, irgendwelche Hintergedanken in dieser Erzählung aufzuspüren, werden unverzüglich rechtliche Schritte eingeleitet; jeder, der versucht, irgendeine Moral daraus abzuleiten, wird des Landes verwiesen; jeder, der versucht, irgendeine Art von Handlung zu erkennen, wird mit einem Schuss ins Stammhirn exekutiert.

 

Auf Anweisung des Autors, durch G.G., Chef der Artillerie

 

 

„Und mit meinen eigenen Augen habe ich die Sibylle von Cumae in einer großen Flasche hängen gesehen, und wenn die Kinder sie fragten: ‚Sibylle, was willst du?‘, antwortete sie: ‚Ich will sterben.‘“

 

Petronius, Satyricon

 

Ort: Das Tal des MississippiZeit: 1839

 

 

KAPITEL EINS

Früher, da haben Menschen mal andere Menschen besessen und für diese Menschen gab es auch ein Wort. Ein ziemlich Hässliches. Ich glaube, das Einzige, was man mir beigebracht hat und was ich mir auch wirklich gemerkt habe, war, dass die Witwe niemals hören durfte, dass dieses Wort über meine Lippen kommt. Diese Lektion habe ich durch die Prügel gelernt, die sie mir verpasst hat, als ich es doch probiert habe. Danach ist es mir nicht noch mal passiert. Mein Lebtag nicht. Wie schon gesagt, dafür haben die Prügel der Witwe gesorgt.

Abgesehen davon war sie immer sehr freundlich zu mir. Streng, aber freundlich.

Ich erinnere mich natürlich noch an die Witwe. Und an Miss Watson auch. Und auch so ziemlich an alle anderen. Aber das hat nicht viel zu sagen, denn in jenen Zeiten war die Welt voller Menschen.

Falls ihr nicht schon das Buch Die untoten Abenteuer von Tom Sawyer gelesen habt, kennt ihr mich nicht. Aber das tut nichts zur Sache. Jenes Buch hat ein gewisser Mr Mark Twain geschrieben, und was drinsteht, ist wahr – überwiegend zumindest. Das eine oder andere hat er wohl dazugedichtet, aber das macht nichts. Ich kenne niemanden, der nicht hin und wieder ein bisschen lügt, ausgenommen Tante Polly oder die Witwe Douglas oder vielleicht Mary. Tante Polly - sie ist Toms Tante - und seine Cousine Mary und die Witwe Douglas kommen alle in dem Buch über Tom Sawyer vor, das, wie gesagt, mit wenigen Ausnahmen eine wahre Geschichte erzählt.

Am Ende jenes Buches wird beschrieben, wie Tom und ich das Geld gefunden haben, das die Räuber in der Höhle versteckt hatten. Der Finderlohn war ziemlich hoch. Jeder von uns bekam sechstausend Dollar, alles in Gold. Es war ein großartiger Anblick, als wir die ganzen Münzen auf einem Haufen sahen. Kreisrichter Thatcher bewahrte unseren Teil auf und legte ihn zu sechs Prozent Zinsen an, die jedem von uns an jedem einzelnen Tag des Jahres einen Dollar einbrachten. Ich weiß eigentlich gar nicht, was man mit so viel Geld überhaupt anfangen soll.

Die Witwe Douglas nahm mich als Sohn an und wollte versuchen, mich zu sievilisieren, wie sie sagte. Aber es war wirklich hart, die ganze Zeit in diesem Haus zu leben, wo alles stets und immer mit so fürchterlicher Regelmäßigkeit geschah. Als ich es nicht mehr ausgehalten habe, bin ich durchgebrannt. Ich bin in meine alten Lumpen und in mein Zuckerfass geschlüpft und war frei und glücklich.

Doch Tom Sawyer, mein alter Freund, hat mich wieder aufgespürt und gesagt, er wolle seine eigene Räuberbande gründen. Ich könne vielleicht mitmachen, wenn ich zur Witwe zurückkehren und mich sievilisieren ließe. Also tat ich‘s denn.

Die Witwe zerfloss in Tränen, als ich wieder auftauchte, nannte mich ein armes, verirrtes Schaf und sonst noch allerlei, was sie aber nicht böse meinte. Sie steckte mich wieder in diese neuen Kleider, in denen ich mich völlig eingezwängt fühlte und immer halb totschwitzte. Und dann ging alles wieder von vorn los.

Wenn die Witwe die Glocke läutete, musste man zum Essen kommen. Saß man dann glücklich am Tisch, konnte man sich nicht gleich über das Essen hermachen, sondern musste warten, bis die Witwe den Kopf gesenkt und ein bisschen was über die Speisen gemurmelt hatte, obwohl mit denen alles in Ordnung war - mal abgesehen davon, dass jede einzeln gekocht worden war. In einem Topf voller Reste ist das anders. Da vermischt sich alles untereinander und mit der Soße und schmeckt noch viel besser.

Nach dem Essen zog sie dann ihr Buch hervor und las mir von Moses vor, und ich brannte drauf, alles über ihn zu erfahren. Doch irgendwann rückte sie damit heraus, dass Moses schon eine ganze Weile tot war. Daraufhin wollte ich nichts mehr von ihm hören, denn was interessierten mich tote Leute?

Ich meine es durchaus ernst, wenn ich sage, dass ich mich nicht für Tote interessiere, besonders in jenen Tagen war das so. Zumindest für die meisten nicht. Die Leute sagten, es sei etwas frischer Wind in die Welt gekommen. Ich kenne mich da nicht so aus. Aber ich finde, die Welt ist ganz schön ins Taumeln gekommen.

Kurz darauf wollte ich gern mal wieder eine rauchen und fragte die Witwe, ob ich dürfte. Aber sie ließ mich nicht. Sie meinte, das sei eine ganz widerliche Angewohnheit und äußerst unsauber, und ich müsse versuchen, sie mir abzugewöhnen. So sind manche Menschen nun mal. Sie reden über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben. So quälte sie mich mit diesem Moses, den sie überhaupt nicht kannte und der auch niemandem irgendetwas nützte, da er ja nun mal tot war, wollte mir aber gleichzeitig das Rauchen verbieten, was ja durchaus etwas Gutes hatte. Sie selbst war dem Schnupftabak nicht abgeneigt, und das war natürlich in Ordnung, weil sie ihn ja selbst nahm.

Ihre Schwester, Miss Watson, die gerade zu ihr gezogen war - eine ziemlich dürre, alte Jungfer mit Brille - startete den nächsten Angriff auf mich - mit einem Lesebuch. Sie nahm mich ungefähr eine Stunde lang ran, bis die Witwe sie etwas bremste. Ich konnte es auch wirklich nicht mehr aushalten.

Dann wurde es eine Stunde lang tödlich langweilig und ich war richtig zappelig. Miss Watson sagte ständig: „Leg deine Füße nicht da rauf, Huckleberry“ und „Häng nicht so krumm auf dem Stuhl, Huckleberry! Sitz gerade!“ Und kurz darauf meinte sie dann: „Gähn nicht mit offenem Mund und strecke dich nicht so, Huckleberry! Warum kannst du nicht wenigstens versuchen, dich zu benehmen?“ Dann erzählte sie mir alles von dem schrecklichen Ort, an den die bösen Menschen kommen, und ich antwortete, dass ich am liebsten auch dort wäre.

Sie sagte mir, Jungen wie ich würden sich sehr wahrscheinlich Tubelose einfangen, und ich meinte, Tubelose sei gar nicht so schlecht, denn dann würde ich wenigstens etwas erleben. Sie wurde ziemlich wütend, aber ich hatte es nicht böse gemeint. Ich wollte nur gern irgendwo anders hin. Ich brauchte einfach eine Veränderung, und wählerisch war ich da nicht. Sie aber fand es schlimm, was ich gesagt hatte und behauptete, so etwas würde um nichts in der Welt über ihre Lippen kommen. Sie habe vor, so zu leben, dass sie später mal in den Himmel käme.

Ich dagegen konnte keinen Vorteil darin sehen, an einen Ort zu kommen, an dem auch sie sich aufhielt, und deswegen beschloss ich, es auch gar nicht erst zu versuchen. Aber das habe ich nie gesagt, denn es hätte mir nichts als Ärger eingebracht.

Sie aber erzählte mir nun alles über diesen wunderschönen Ort. Sie meinte, man würde dort den ganzen Tag mit einer Harfe herumlaufen und singen und das bis in alle Ewigkeit.

Ich fragte sie, ob Leute mit Tubelose auch dorthin kommen würden, und sie antwortete, dass ihnen dieser Ort natürlich auch offenstehen würde, sobald sie ihre sterbliche Hülle verlassen hätten. Und ich fragte sie, ob das auch für jene galt, die Chaos, Verwüstung und Ähnliches anrichteten, und sie meinte, dass es wahrscheinlich so sei, solange ihre Herzen rein seien, bevor die Seuche sie holte. Also war mir das ziemlich egal. Aber das sagte ich nicht.

Ich fragte sie nur noch, ob sie glaubte, dass mein Freund Tom Sawyer auch dort hinkommen würde, was sie ziemlich entschieden verneinte. Ich war sehr froh, das zu hören. Denn Tom und ich, wir beide mussten einfach zusammenbleiben.

Miss Watson buchstabierte Tubelose T-U-B-E-R-K-U-L-O-S-E, was für mich überhaupt keinen Sinn ergab. Sie behauptete auch, man könne es sich holen, wenn man nur eine Brise vom Ostwind einatmete, und das ergab für mich erst recht keinen Sinn. Sie sagte, Tubelose käme aus London oder Frankreich, aber von mir aus hätte es genauso gut China sein können.

Tom hat mir erzählt, Napoleon hätte die Seuche da drüben besiegt, und die Leute seien so gesund wie nie zuvor. Aber ich selbst hatte davon keine Ahnung und auch nicht, wie er das geschafft haben sollte. Ich nahm an, dass Napoleon ein mächtig starker Mann sein musste.

Miss Watson hackte immer weiter auf mir herum, und ich wurde müde und fühlte mich ziemlich einsam. Irgendwann haben sie dann die Zombies hereingeholt und gebetet, und dann sind alle ins Bett gegangen. Mit einem Kerzenstumpen ging ich hinauf in mein Zimmer und stellte ihn auf den Tisch. Dann setzte ich mich in einen Stuhl am Fenster und versuchte, an etwas Fröhliches zu denken, aber es gelang mir einfach nicht.

Ich fühlte mich so einsam, dass ich am liebsten tot gewesen wäre. Die Sterne schienen vom Himmel. Im Wald raschelte traurig das Laub. Und ich hörte eine Eule, ziemlich weit entfernt, die wegen irgendetwas uhute, was wahrscheinlich schon tot war. Und eine Nachtschwalbe schrie, und ein Hund winselte wegen irgendjemandem, den wohl die Motten holen würden, wie wir die Tubelose auch nannten.

Der Wind versuchte, mir etwas zuzuflüstern, aber ich verstand es nicht, und mir liefen kalte Schauer über den Rücken. Dann hörte ich draußen im Wald genau jenen Laut, den Geister machen, wenn sie einem etwas sagen wollen, was sie nicht aus ihrem Kopf bekommen. Sie können sich aber nicht verständlich machen, weswegen es ihnen nicht gelingt, ruhig in ihrem Grab zu liegen. Deswegen streifen sie jede Nacht voller Trauer umher.

Ich war so niedergeschlagen und hatte solche Angst, dass ich mir wirklich wünschte, es wäre jemand bei mir. Kurz darauf lief eine Spinne über meine Schulter. Ich schnippte sie fort, und sie segelte in die Kerzenflamme. Noch bevor ich reagieren konnte, war sie ganz verschrumpelt. Niemand brauchte mir zu sagen, was für ein schlechtes Zeichen das war und wie viel Pech es mir bringen würde. Ich zitterte so sehr vor Angst, dass mir fast die Kleider vom Leib rutschten. Ich stand auf und drehte mich dreimal auf der Stelle, wobei ich jedes Mal meine Brust bekreuzigte. Dann band ich mit einem Faden eine Locke meines Haars hoch, um die Hexen fernzuhalten. Aber ich vertraute nicht wirklich darauf, dass es helfen würde. Normalerweise macht man das, wenn man ein gefundenes Hufeisen verliert, statt es über die Tür zu nageln. Aber ich hatte noch niemals jemand sagen hören, dass es dazu taugte, sich das Pech vom Leib zu halten, wenn man eine Spinne getötet hatte.

Ich setzte mich wieder hin und zitterte immer noch am ganzen Körper, während ich meine Pfeife aus der Tasche kramte. Im Haus war es inzwischen totenstill geworden, daher würde die Witwe nichts merken.

Es war schon einige Zeit vergangen, als ich die Turmglocke im Dorf 12 Uhr schlagen hörte. Dann war wieder alles still – stiller noch als zuvor. Bald hörte ich unten zwischen den Bäumen in der Dunkelheit einen Zweig brechen – irgendetwas bewegte sich. Ich saß ganz still und lauschte. Dann hörte ich ganz leise: „Miau! Miau!“ Das war gut!

So leise, wie ich konnte, erwiderte ich: „Miau! Miau!“, löschte das Licht und kletterte aus dem Fenster auf das Dach des Schuppens. Ich glitt zu Boden und kroch zwischen die Bäume, und da war er tatsächlich – Tom Sawyer, mein Freund, und er wartete auf mich.

 

KAPITEL ZWEI

Auf Zehenspitzen schlichen wir einen Pfad entlang, der zwischen den Bäumen hindurch in den hinteren Teil des Gartens der Witwe führte. Wir duckten uns, damit uns die Zweige nicht die Köpfe zerkratzten. Als wir an der Küche vorbeikamen, stolperte ich über eine Wurzel, und machte dabei ein Geräusch. Sofort hockten wir uns hin und verhielten uns mucksmäuschenstill. Jim, der große Zombie von Miss Watson saß in der Küchentür. Wir konnten ihn ziemlich deutlich erkennen, weil hinter ihm noch Licht brannte. Er stand auf, reckte den Kopf und lauschte. Sicher eine Minute lang. Dann gurgelte er: „We‘ dah?“

Er horchte noch ein wenig, dann kam er auf Zehenspitzen auf uns zu und blieb direkt zwischen uns stehen. Wir hätten ihn anfassen können. Es sind wohl Minuten vergangenen, ohne dass irgendjemand einen Pieps von sich gab, und wir saßen alle so dicht beieinander. Eine Stelle an meinem Knöchel begann zu jucken, aber ich habe nicht gekratzt. Dann fing mein Ohr zu jucken an und danach mein Rücken, direkt zwischen den Schulterblättern. Es war ein Gefühl, als würde ich sterben, wenn ich mich nicht sofort kratzen könnte. Seitdem ist mir das öfter aufgefallen. Wenn man mit vornehmen Leuten zusammen ist oder bei einer Beerdigung oder versucht einzuschlafen, wenn man nicht müde ist – immer wenn man gerade irgendwo ist, wo man sich nicht kratzen sollte, juckt es an mindestens tausend Stellen gleichzeitig.

Bald sabberte Jim: „Sag, wer du? Wo du? Hab doch verdam‘was gehört. Ich weiß, was tun. Ich sitzn hier und spitzn Ohren, bis wieda hörn.“

Also setzte er sich zwischen Tom und mich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an einen Baum und streckte seine Beine aus, bis eines davon fast meins berührte.

Meine Nase begann zu jucken. Sie juckte, bis mir die Tränen in die Augen traten. Aber ich hab nicht gekratzt. Dann fing sie an, von innen zu jucken. Als Nächstes an der Unterseite. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich noch still sitzen sollte. Mindestens sechs oder sieben Minuten ging das Elend so weiter, und mir kam es noch unendlich viel länger vor. Inzwischen juckte es an elf verschiedenen Stellen. Ich hatte das Gefühl, ich halte es keine Minute länger aus, aber ich biss die Zähne zusammen. Wenigstens versuchen wollte ich es. Just in dem Moment atmete Jim einmal tief durch, und dann fing er an zu schnarchen und zu blubbern – und kurz darauf ging es mir schon viel besser.

Nachdem die Motten ihn erwischt hatten, war es Jim gelungen, ein paar Teile von sich zu behalten. Sie nannten ihn deswegen Halbzombie, weil man ihm noch ein paar Dinge klarmachen konnte. Darin bestand sein Wert. Einem richtigen Zombie konnte man nicht alle Sachen beibringen, die Schwarze früher gelernt hatten.

So ein richtiger Zombie ist ein verdammter Mist. Man muss ihm auch die letzten Reste seines Gehirns rauspusten, bevor er wirklich nicht mehr zuckt. New York hat da manchmal ein richtiges Problem an der Backe.

Aber ein Halbzombie, hat die Witwe mir erzählt, ist immer noch ganz gut zu gebrauchen. Er kann zuhören, und auch wenn er nichts Neues mehr lernt, kann er trotzdem die Aufgaben wieder übernehmen, die er auch früher erledigt hat.

Tom gab mir ein Zeichen – er schmatzte leise mit den Lippen – und wir krochen auf allen vieren davon. Als wir ungefähr drei Meter weg waren, flüsterte Tom mir zu, dass er Jim aus Spaß an den Baum binden wolle.

Aber ich sagte Nein. Ich hatte Angst, dass er aufwachen und Lärm schlagen würde, und dann käme auch heraus, dass ich nicht im Bett war.

Dann sagte Tom, er habe nicht genug Kerzen dabei. Er wollte in die Küche schleichen und welche holen. Ich war dagegen. Jim konnte aufwachen und hinterherkommen. Aber Tom wollte es riskieren. Also schlichen wir in die Küche und nahmen uns drei Kerzen. Tom legte fünf Cent als Bezahlung auf den Tisch. Dann sind wir wieder raus. Inzwischen schwitzte ich vor Angst und wollte endlich weg. Nur Tom nicht, er musste unbedingt noch zu Jim kriechen und ihm einen Streich spielen. Ich wartete, und es verging eine ziemliche Weile. Alles war so still und einsam.

Sobald Tom zurück war, liefen wir den Pfad entlang, kletterten über den Gartenzaun und stiegen den steilen Hügel hinter dem Haus hinauf. Tom erzählte, er hätte Jim den Hut abgenommen und direkt über ihm an einen Ast gehängt. Jim habe ein bisschen gezuckt, aber aufgewacht war er nicht.

Später erzählte Jim dann, die Hexen hätten ihn verzaubert und seien auf ihm über den ganzen Staat geritten. Danach hätten sie ihn dann unter die Bäume gesetzt und seinen Hut an einen Zweig gehängt, um ihm zu zeigen, wer es gewesen war. Als Jim das nächste Mal davon erzählte, sagte er, sie seien mit ihm runter nach New Orleans geritten. Und danach hatte er es jedes Mal alles ein bisschen weiter ausgeschmückt, bis er erzählte, sie hätten ihn um die ganze Welt geritten und fast in den Tod getrieben, und sein Rücken sei ganz zerschunden. Jim war mächtig stolz darauf.

Zombies kamen von weit her, um Jims Geschichte zu hören, und er war angesehener als jeder andere Zombie im Land. Fremde Zombies standen da, die fauligen Münder vor Staunen aufgerissen, und starrten ihn an, als sei er ein Wunder. Jim trug immer das Fünf-Cent-Stück an einem Band um den Hals und sagte, es sei ein Amulett, das der Teufel ihm persönlich überreicht hat. Dabei hat er gesagt, dass er damit jeden heilen und jederzeit die Hexen rufen könne, er brauche nur etwas Bestimmtes zu dem Amulett zu sagen. Aber was das war, hat er uns nie erzählt.

Aus der ganzen Gegend kamen die Zombies und gaben Jim alles, was sie hatten, nur damit sie einen Blick auf das Fünf-Cent-Stück werfen durften. Aber anfassen wollten sie es nicht, weil der Teufel es berührt hatte, wie er ja auch sie einst berührt hatte.

Zumindest hat Tom es mir immer so erklärt. Dass es der Teufel war, der die Tubelose gemacht habe. Die Zombies, die es erwischte, fuhren dann einmal zur Hölle, bevor sie zurückkamen, wie wir sie kannten. Er meinte, der Kerl habe sie verzaubert, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass wirklich irgendein Zauber etwas damit zu tun hatte.

Als Tom und ich oben auf dem Hügel ankamen, konnten wir direkt ins Dorf hinuntersehen, und da blinkten noch drei oder vier Lichter, wahrscheinlich bei Kranken. Über uns funkelten die Sterne, sie funkelten so wunderschön. Und unten beim Dorf zog der Mississippi vorbei, so mächtig und breit! Wir rannten dann den Hügel auf der anderen Seite hinunter und fanden Jo Harper und Ben Rogers und noch zwei oder drei andere von den Jungs, die sich im Hof der alten Gerberei versteckt hatten und auf uns warteten. Wir machten ein Boot los und ruderten zweieinhalb Meilen den Fluss hinunter, bis zu dem großen Abbruch in der Uferböschung. Dort legten wir an.

Wir kletterten zu einem dichten Gebüsch hinauf. Tom ließ jeden Einzelnen schwören, das Geheimnis nicht zu verraten. Dann zeigte er uns ein Loch in dem Hügel, genau da, wo die Büsche am dichtesten wuchsen. Wir zündeten unsere Kerzen an und krochen auf Händen und Knien hinein. Der Gang war ungefähr zweihundert Meter lang, und dann öffnete sich vor uns eine Höhle. Tom tastete an den Wänden umher und verschwand auf einmal unter einem Felsen, wo nie jemand eine Öffnung vermutet hätte. Wir folgten ihm durch einen noch schmaleren Gang, bis wir in einen Raum gelangten, der ungefähr so groß wie ein Zimmer war, nur ziemlich kalt, feucht und muffig. Da blieben wir dann.

Tom hielt nun eine feierliche Ansprache und sagte: „Hier wollen wir also eine Räuberbande gründen und sie ‚Tom Sawyers Bande‘ nennen. Jedermann, der beitreten will, muss einen Eid schwören und in Blut mit seinem Namen unterzeichnen!“

Alle waren bereit, und so zog Tom ein Blatt Papier aus der Tasche, auf das er den Eid geschrieben hatte. Er las ihn uns vor. Darin stand, dass jeder Junge treu zur Bande stehen müsse und niemals deren Geheimnisse verraten dürfe. Wenn irgendjemand irgendeinem von uns irgendetwas zuleid täte, müsse einer, der dann dazu erwählt würde, denjenigen töten und auch dessen Familie; er dürfe nicht essen und nicht schlafen, ehe er sie nicht alle umgebracht und jedem ein blutiges Kreuz in die Brust geschnitten habe, was das Zeichen der Bande sein sollte. Und niemand, außer uns dürfe dieses Zeichen benutzen, und wenn er es doch täte, solle er verklagt, und wenn dies nichts helfe, einfach getötet werden. Und wenn einer aus der Bande die Geheimnisse verrate, werde ihm der Hals durchgeschnitten, sein Körper verbrannt und die Asche in alle vier Winde zerstreut, damit nicht einmal der Teufel ihn als Zombie zurückschicken konnte. Und sein Name würde dick mit Blut von der Liste der Mitglieder gestrichen, und dürfe bei Strafe nie wieder von der Bande erwähnt werden. Außerdem würde er verflucht und für immer und ewig vergessen sein.

Wir alle fanden den Eid prächtig und fragten Tom, ob er ihn sich ganz allein ausgedacht hatte. Er meinte, das meiste zumindest, aber einiges habe er auch in alten Piraten- und Räuberbüchern gefunden und jede Bande, die was auf sich hielte, hätte so was.

Es gab sogar unter den Zombies einige Gruppen, die etwas Klügeren, von denen auch welche in der Gerberei arbeiteten, die hatten auch einen abgelegt. Natürlich war er viel einfacher, mit viel weniger Worten und leichter zu grunzen.

Ein paar Jungs sagten, man solle auch die Familien der Jungen töten, die ihre Geheimnisse verrieten. Tom sagte, das sei eine gute Idee, nahm einen Stift und schrieb es noch dazu.

Da meinte Ben Rogers: „Was ist mit Huck Finn? Er hat keine Familie. Was wollt ihr mit dem machen?“

„Hat er nicht einen Vater?“, meinte Tom Sawyer.

„Ja, den hat er, aber er ist im Moment nicht aufzutreiben. Früher lag er manchmal besoffen mit den Schweinen in der Gerberei, aber seit einem Jahr oder länger ist er nicht mehr in der Gegend gesehen worden.“

Also berieten sie hin und her. Und beinah hätten sie mich ausgestoßen, denn jeder, meinten sie, müsse eine Familie oder zumindest irgendjemanden haben, den man töten konnte, sonst sei es für die anderen nicht gerecht. Aber keinem fiel eine Lösung ein. Alle saßen sie ratlos herum, und ich fing beinah an, zu heulen. Aber da hatte ich plötzlich eine Idee. Ich bot ihnen Miss Watson an, die konnten sie doch töten.

Alle waren einverstanden. „Die würde gehen, das ist in Ordnung. Huck kann mitmachen.“

Dann nahmen wir uns alle Stecknadeln, stachen uns in den Finger und unterschrieben mit unserem Blut. Auch ich machte mein Zeichen auf das Papier.

„Und womit soll sich die Bande nun hauptsächlich beschäftigen?“, wollte Ben Rogers wissen.

„Eigentlich nur mit Raub und Mord“, erwiderte Tom.

„Und wen wollen wir überfallen? Und was wollen wir rauben? Häuser oder Vieh oder …“

„Viehzeug und solche Sachen zu stehlen, das tun doch nur Einbrecher, das ist kein Raub“, erklärte Tom Sawyer. „Wir sind keine Einbrecher. So was hat doch keinen Stil. Wir sind Wegelagerer. Wir stoppen Kutschen und Wagen auf der Straße, mit Masken vor dem Gesicht, töten die Leute und nehmen uns ihre Uhren und ihr Geld.“

„Müssen wir die Leute unbedingt immer tothauen?“

„Aber sicher. Es ist einfach das Beste. Einige Behörden denken da zwar anders, aber in der Regel ist es das Klügste, sie umzubringen … Außer man bringt einige von ihnen hier zur Höhle und hält sie gefangen, bis sie ausgelöst werden.“

„Auslösen? Was ist das denn?“

„Keine Ahnung, aber so machen die das immer. Hab ich in den Büchern gelesen, und wir müssen das natürlich auch so machen.“

„Aber wie sollen wir das machen, wenn wir nicht einmal wissen, wie‘s geht?“

„Ja, zum Henker, wir müssen es eben machen. Ich habe doch gesagt, es steht so in den Büchern. Willst du es anders machen, als es da drin steht, und alles durcheinanderbringen?“

„Du hast klug reden, Tom Sawyer, aber wie um alles in der Welt wollen wir die Leute auslösen, wenn wir gar nicht wissen, wie das geht? Darauf will ich hinaus. Also was glaubst du, worum es dabei geht?“

„Ich weiß auch nicht. Vielleicht behalten wir sie einfach, bis sie ausgelöst sind, und das bedeutet, wir behalten sie, bis sie tot sind.“

„Na, das klingt doch schon viel besser. Das ist wenigstens eine Antwort. Warum hast du das nicht gleich gesagt? Wir behalten Sie, bis sie zu Tode ausgelöst sind. Aber sie werden uns eine Menge zu schaffen machen … alle unsere Vorräte aufessen und ständig versuchen abzuhauen.“

„Was redest du denn nur, Ben Rogers? Wie sollen sie abhauen, wenn ständig eine Wache da ist und sie niederschießt, sobald sie auch nur mit dem kleinen Finger zucken?“

„Fein! Was für eine tolle Idee. Also soll jemand die ganze Nacht Wache stehen und kein Auge zumachen, damit niemand entkommt? Das ist doch ziemlich idiotisch. Warum kann nicht einfach jemand einen Knüppel nehmen und sie auslösen, sobald sie herkommen?“

„Weil es so nicht in den Büchern steht, darum. Also Ben Rogers, willst du es jetzt vorschriftsmäßig machen oder nicht? Kannst du dir nicht vorstellen, dass die Leute, die diese Bücher schreiben, schon wissen, wie man so was macht? Glaubst du wirklich, dass du denen noch was beibringen kannst? Wohl kaum. Nein, Sir, wir werden sie ganz vorschriftsmäßig auslösen.“

„Okay. Von mir aus. Ich sage euch aber, es ist trotzdem dämlich. Sagt mal, wollen wir die Weiber auch totmachen?“

„Weißt du, Ben Rogers, wenn ich so ein Blödmann wäre wie du, würde ich mir das zumindest nicht anmerken lassen. Die Weiber totmachen? Nein, so was hat noch nie in den Büchern gestanden. Man bringt sie in die Höhle, und dann ist man immer ganz besonders höflich zu ihnen. Und irgendwann verlieben sie sich in einen und wollen gar nicht mehr nach Haus.“

„Wenn das tatsächlich so ist, soll es mir recht sein, aber wetten würde ich nicht drauf. Bald haben wir die ganze Höhle voller Weiber und Kerle, die nur darauf warten, ausgelöst zu werden, und wo haben wir dann noch Platz? Aber mach du nur weiter, ich halt mein Maul.“

„Und was machen wir mit den Zombies?“

„Die sind schon ein oder zwei Pennys wert, und wir können sie flussaufwärts an die anderen Piraten und Zombiehändler verkaufen.“

„Aber die haben doch ein Brandzeichen.“

„Bei Zombies ist mir das egal. Man stellt einfach einen Fuß auf sie drauf und schneidet es weg wie ein öliges Stück Stoff. Ist überhaupt nichts dabei. Schneid sein Brandzeichen weg und verkauf ihn taufrisch flussaufwärts. Es ist wirklich nichts leichter als das!“

Der kleine Tommy Barnes war inzwischen eingeschlafen, und als sie ihn aufweckten, hatte er Angst und heulte und sagte, er wolle nach Haus zu seiner Ma und kein Räuber mehr sein. Er hatte sowieso immer Angst vor Zombies. Er konnte sich einfach keinen von den Kerlen ansehen, dem irgendwo ein Knochen heraushing, ohne dass er anfing zu weinen.

Deswegen machten sich alle lustig über ihn und nannten ihn Heulsuse. Er wurde ziemlich wütend und sagte, er würde nach Haus gehen und alle Geheimnisse verraten. Aber Tom gab ihm fünf Cents, damit er den Mund hielt, und erklärte, dass wir jetzt alle nach Haus gehen würden und uns nächste Woche wiederträfen, um jemanden auszurauben, ein paar Leute umzubringen und reich zu werden.

Ben Rogers sagte, dass er nicht viel raus könne, nur sonntags, und er wollte deswegen am nächsten Sonntag anfangen, aber die anderen Jungs meinten, es wäre Sünde, so was am Sonntag zu tun, und damit war die Sache erledigt. Sie verabredeten, sich so bald wie möglich wieder zu treffen und einen Tag festzulegen. Danach wählten wir noch Tom Sawyer zum Hauptmann der Bande und Jo Harper zu seinem Stellvertreter. Dann gingen wir nach Haus.

Kurz bevor der neue Tag anbrach, kletterte ich auf den Schuppen und kroch durch mein Fenster. Die neuen Sachen waren ganz verschmiert und voller Lehm, und ich war todmüde.

 

KAPITEL DREI

Am nächsten Morgen gab es wegen meiner dreckigen Sachen natürlich eine Standpauke von Miss Watson. Aber die Witwe tadelte mich nicht. Sie wusch nur die Schmiere und den Lehm ab und machte ein so besorgtes Gesicht, dass ich mir vornahm, mich eine Weile zu benehmen, wenn es mir irgendwie gelang. Dann nahm mich Miss Watson mit in ihre Kammer und betete, aber es kam nicht viel dabei rum. Sie sagte, dass ich jetzt jeden Tag beten solle, und worum immer ich bat, würde ich auch bekommen.

Aber dem war nicht so. Ich hab‘s wirklich versucht. Einmal bekam ich wenigstens eine Angelschnur, aber keine Haken. Ohne Haken nützte sie mir nicht viel. Ich hab‘s dann noch drei oder vier Mal versucht mit den Haken, aber es hat nie funktioniert. Schließlich habe ich Miss Watson gefragt, ob sie es mal für mich versuchen könnte, aber sie hat gesagt, ich sei ein Narr. Sie hat mir nie erzählt, warum, und ich bin einfach nicht drauf gekommen.

Ich hab mich dann in den Wald gesetzt und lange darüber nachgedacht. Ich sagte mir, wenn jemand alles bekommen kann, wofür er betet, warum bekommt dann Deacon Winn nicht sein Geld zurück, das er mit seinen Schweinen verloren hat? Warum bekommt die Witwe ihre silberne Schnupftabaksdose nicht zurück, die ihr gestohlen worden ist? Warum kann Miss Watson nicht dicker werden? Warum können sich die Leute nicht von der Tubelose heilen? Das muss doch das meistgesprochene Gebet in der ganzen Welt sein, außer in Europa, und trotzdem erwischt es die Leute ständig. Nein, hab ich mir gesagt, da ist einfach nichts dran. Ich bin dann zur Witwe gegangen und habe es ihr erzählt, und sie hat gesagt, dass die Dinge, die man durch Beten erlangen kann, „geistiger Natur“ sind.

Das war viel zu hoch für mich, aber sie erklärte mir, was sie meinte. Ich sollte anderen Menschen helfen und immer darauf achten, dass es allen anderen gut geht und nie an mich selbst denken. Damit war wohl auch Miss Watson gemeint.

Ich ging wieder hinaus in den Wald und grübelte lange darüber nach, aber ich konnte einfach keinen Vorteil darin sehen … außer für die anderen Leute. Also kam ich irgendwann zu dem Schluss, mir keine Gedanken mehr darüber zu machen und es einfach zu vergessen.

Manchmal nahm mich die Witwe zur Seite und erzählte mir mit so süßen Worten von der Vorsehung, dass einem das Wasser im Mund zusammenlief, aber oft schon am nächsten Tag schlug Miss Watson alles wieder kurz und klein. Ich nahm an, denn wie sollte es anders sein, dass es zwei verschiedene Vorsehungen gab, und ein armer Kerl wie ich, hatte es bei der Vorsehung der Witwe wahrscheinlich viel besser, doch wenn Miss Watson diesen Kerl bei ihrer Vorsehung erwischte, gab es für ihn keine Rettung mehr.

Ich hab mir das dann alles genau überlegt und mir gedacht, ich wollte zu der Vorsehung der Witwe beten, wenn die einen so unwissenden und elenden Kerl wie mich denn überhaupt nehmen würde und ohne mich nicht viel besser dran war.

Pap war seit einem Jahr nicht mehr gesehen worden, und mir sollte das nur recht sein. Ich wollte ihn auch nicht mehr sehen. Wenn er nüchtern war und mich in die Finger kriegte, hat er mich immer verdroschen. Sobald er auftauchte, habe ich mich in den Wald verdrückt. Irgendwann hat man ihn dann ertrunken im Fluss gefunden, zwölf Meilen vor der Stadt, haben die Leute erzählt. Sie meinten, er müsse es gewesen sein! Sie sagten, der Ertrunkene habe genau seine Größe gehabt, hätte in Lumpen gesteckt und ungewöhnlich langes Haar gehabt, was alles genau zu Pap passte. Aber sie konnten sein Gesicht nicht erkennen, er hatte so lange im Wasser gelegen, dass von dem nicht mehr viel übrig war. Sie erzählten, er sei auf dem Rücken im Wasser getrieben. Sie haben ihn dann am Flussufer verscharrt. Nur eins an der Sache schmeckte mir überhaupt nicht, weil ich etwas ganz genau wusste: Ein ertrunkener Mann treibt nicht auf dem Rücken im Wasser, sondern mit dem Gesicht nach unten. Deswegen wusste ich, dass es nicht Pap gewesen war, sondern eine Frau in Männerkleidern. Mir war weiterhin ziemlich unbehaglich. Ich war überzeugt, dass der Alte irgendwann wieder auftauchen würde, obwohl ich mir wirklich wünschte, er würde es bleiben lassen.

Ungefähr einen Monat lang spielten wir hin und wieder Räuber, aber danach habe ich nicht mehr mitgemacht. Wir hatten niemanden überfallen, niemanden totgehauen, keine Zombies gestohlen und sie flussaufwärts verkauft, sondern nur so getan, als ob.

Wir sprangen dann plötzlich aus dem Wald und verlangten Wegezoll von Schweinetreibern und Frauen mit Handkarren, die irgendwelches Gemüse zum Markt brachten. Wir verschleppten aber nie jemanden in unsere Höhle. Tom Sawyer nannte die Schweine Goldbarren und die Steckrüben und das andere Zeug Edelsteine. Und dann gingen wir in unsere Höhle und palaverten darüber, was wir getan, wie viele Leute wir getötet und wie wir ihnen Kreuze in die Brust geritzt hatten. Aber ich konnte einfach nicht erkennen, was uns das brachte.

Eines Tages schickte Tom einen Jungen mit einer lodernden Fackel durchs Dorf, was wir eine Parole nannten (es war das Zeichen für die Bande, sich zu versammeln). Dann berichtete Tom, dass er geheime Nachricht von seinen Spionen bekommen habe.

Am nächsten Tag würde ein ganzer Haufen spanischer Händler und reicher Araber sein Lager in Cave Hollow aufschlagen, mit zweihundert Elefanten und vierhundert Zombies in prächtigen Uniformen und sechshundert Kamelen und über tausend Maultieren, die alle mit Diamanten beladen waren. Ihre Bewachung würde nur aus vierhundert Soldaten bestehen. Deswegen sollten wir uns in einen Hinterhalter, wie er es nannte, legen, die Mannschaft umbringen und uns die Beute schnappen. Er meinte, wir müssten unsere Schwerter schärfen und die Flinten ölen, damit wir bereit waren.

Er konnte nicht einmal einen alten Rübenkarren verfolgen, ohne die Schwerter und Flinten dabei zu haben, die doch nur aus Holzlatten und Besenstielen bestanden und die man so lange wetzen und ölen konnte, bis man schwarz wurde, ohne dass sie hinterher in irgendeiner Weise besser als Waffen getaugt hätten.

Ich konnte mir kaum vorstellen, dass wir in der Lage waren, es mit einer solchen Menge an Spaniern und Arabern aufzunehmen, aber die Kamele und die Elefanten wollte ich schon sehen. Also lag ich am nächsten Tag, es war ein Sonnabend, mit den anderen im Hinterhalter. Und als wir den Befehl bekamen, stürmten wir aus dem Wald und den Hügel hinunter. Aber da waren keine Spanier, keine Araber und auch keine Kamele oder Elefanten oder Zombies in prächtigen Uniformen. Es war nur ein Picknickausflug der Sonntagsschule und dazu noch der, einer ersten Klasse.

Wir machten viel Lärm und jagten die Kinder aus der Talmulde, aber wir eroberten nichts, außer ein paar Donuts und etwas Marmelade, obwohl Ben Rogers eine Puppe erwischte und Jo Harper ein Gesangbuch. Dann tauchten die Lehrer auf. Wir mussten alles wieder fallen lassen und machten, dass wir wegkamen.

Diamanten hatte ich jedenfalls keine gesehen, und das sagte ich Tom Sawyer auch. Er dagegen meinte, es seien jede Menge da gewesen und Araber auch und Elefanten und all das andere. Ich fragte ihn, warum wir sie dann nicht hatten sehen können. Er erwiderte, wenn ich nicht so grässlich ignorant wäre und mal ein Buch wie Don Quichotte gelesen hätte, müsste ich nicht so blöde Fragen stellen. Er sagte, all das würde durch Zauberei entstehen. Er sagte, dort seien Hunderte von Soldaten gewesen und Elefanten und Schätze und so weiter, aber wir hätten Feinde gehabt, die man Magier nennt. Und die hätten das Ganze aus reiner Boshaftigkeit in ein Kinderpicknick verwandelt. Dann hätten wir, fand ich, uns auf diese Zauberer stürzen sollen. Tom Sawyer meinte daraufhin, ich sei ein Hohlkopf.

„Was glaubst du denn?“, sagte er. „Ein Magier kann jede Menge Geister herbeirufen, und die zerfetzen dich in der Luft, bevor du Pieps sagen kannst. Sie sind so hoch wie Bäume und so dick wie Kirchen.“

„Mal angenommen“, erwiderte ich, „wir können ein paar Geister rufen, die uns helfen … können wir den anderen dann nicht mal zeigen, was eine Harke ist?“

„Und woher willst du die Geister kriegen?“

„Keine Ahnung. Woher kriegen die sie denn?“

„Na, die reiben eine alte Blechlampe oder einen Eisenring, und schon kommen die Geister herbeigeströmt, mit Blitz und Donner und Rauch und tun sofort alles, was man sagt. Denen macht es nichts aus, einen Schießturm aus dem Boden zu reißen und ihn dem Leiter einer Sonntagsschule über den Schädel zu dreschen oder irgendjemand anders.“

„Und wer bringt sie dazu, so auszurasten?“

„Na, wer immer die alte Lampe reibt oder den Ring. Dem gehören sie, und sie müssen tun, was er befiehlt. Wenn er ihnen sagt, sie sollen einen vierzig Meilen langen Palast aus Diamanten bauen, der bis obenhin mit Kaugummi voll ist, dann tun sie das. Oder was immer du willst. Sie holen dir auch die Tochter eines Kaisers aus China, damit du sie heiraten kannst. Sie müssen es einfach tun … und zwar bevor die Sonne wieder aufgeht. Und mehr noch: Wenn du den Palast irgendwo anders im Land stehen haben willst, dann müssen Sie ihn dahin schleppen, verstehst du?“

„Also meiner Meinung nach“, sagte ich, „sind das ganz schöne Flachköpfe, wenn sie den Palast nicht selbst behalten, anstatt so einen Blödsinn damit anzustellen. Wenn ich einer von denen wäre, würde es mir kaum einfallen, angerannt zu kommen, nur weil jemand an einer alten Lampe rumpoliert.“

„Wie redest du denn, Huck Finn? Wenn jemand an der Lampe reibt, dann müsstest du kommen, ob du nun willst oder nicht.“

„Ich, der so hoch wie ein Baum und so breit wie eine Kirche bin? Okay, ich würde also kommen, aber ich würde auch dafür sorgen, dass der Kerl, der mich gerufen hat, so schnell wie möglich auf den höchsten Baum klettert, den er im ganzen Land finden kann.“

„Was soll‘s, mit dir kann man sowieso nicht reden, Huck Finn. Du scheinst ja wirklich von nichts eine Ahnung zu haben, du Hohlkopf.“

Ich ließ mir das alles zwei oder drei Tage durch den Kopf gehen, und dann beschloss ich auszuprobieren, ob irgendetwas dran war an der Geschichte. Ich besorgte mir eine alte Blechlampe und einen Eisenring, ging hinaus in den Wald und rieb und rieb, bis ich schwitzte wie eine Rothaut. Ich hatte vor, mir einen Palast zu bauen und ihn zu verkaufen. Aber es brachte alles nichts, kein einziger Geist ließ sich sehen. Also nahm ich an, dass Tom Sawyer nur wieder seine Lügengeschichten erzählt hatte. Wahrscheinlich glaubte er sogar an die Araber und die Elefanten, aber ich denke da anders. Für mich hatte der ganze Trupp ziemlich nach einer Sonntagsschule ausgesehen.

Als ich Tom mal fragte, warum Zombies eigentlich auch Säcke genannt wurden, meinte er, das käme daher, dass der Teufel ihnen die Lungen herausreißen und durch Jutesäcke ersetzen würde. Aber er antwortete erst, nachdem er ein oder zwei Minuten darüber nachgedacht hatte.

„Die Toten müssen ja schließlich immer noch atmen“, fügte er hinzu.

Aber das ergab für mich nun so überhaupt keinen Sinn. Also stellte ich Miss Watson die gleiche Frage, warum man Zombies auch Säcke nannte, und sie erklärte mir, das käme daher, dass man sie, wenn sie an der Tubelose gestorben seien, in Säcke binden müsse. Man könne dann gefahrlos erkennen, ob sie harmlos und dumm zurückkehren oder noch Teile von sich selbst wieder mitbringen oder einfach störrisch seien. Wenn sie schrien und heulten und wie Wölfe versuchten, aus den Säcken herauszukommen, musste man sie schnell töten, sonst würden sie herumspringen und anfangen, jeden zu beißen. Man musste ihnen die Köpfe abtrennen oder ihre Gehirne plattschlagen.

Und so wurde es gemacht.

Die meisten Zombies, mit denen die Menschen handelten, sie kauften und wieder verkauften, waren zahm und freundlich und hatten keine großen Ansprüche. Aber das wusste man erst, wenn sie zurückkamen. Deswegen nahm man den Sack – damit niemand verletzt wurde, bis man es herausgefunden hatte.

Als Sy Booth Tubelose bekam und seinen letzten Atemzug tat, kamen seine Brüder und verschnürten ihn gut und sicher und ließen ihn über Nacht so liegen. Am Morgen kehrten sie zurück, und er war fast immer noch derselbe. Ruhig und friedlich und keiner, der viel redete. Also ließen sie ihn aus dem Sack und schenkten ihn der Kirche, die er in seinem Leben immer so geliebt hatte.

Manchmal sah ich ihn noch, wie er Unkraut hackte, aber er machte es nicht besonders gut.

 

Doch als seine Witwe nur ein paar Wochen später von den Motten geholt wurde, war das eine ganz andere Geschichte. Als sie zurückkam, wütete sie wie der Teufel persönlich, und hätte man sie nicht rechtzeitig in einen Sack gesteckt und festgebunden, wären wohl einige der Jungs ihre Augen losgeworden.

So ist das nun mal.

Als ich mit diesem neuen Wissen, warum Zombies auch Säcke genannt wurden und wie man sie in solche steckte, um zu sehen, wie sanft oder wild sie sich gebärdeten, wenn sie zurückkamen, zu Tom Sawyer ging, sagte der mir nur, er habe das alles längst gewusst. Ich sagte ihm, dass er mich anspinnen würde und dass er mir eine Geschichte von herausgerissenen Lungen und Kartoffelsäcken erzählt hätte. Aber er leugnete das bei den Seelen seiner Vorfahren und nannte mich einen Sturschädel.

„Niemals habe ich so was behauptet“, sagte er.

Oh, er ist schon immer ein Großmaul gewesen.

 

 

KAPITEL VIER

So vergingen drei oder vier Monate, und wir hatten inzwischen tiefen Winter. Ich war fast immer in die Schule gegangen und konnte schon ein bisschen lesen und etwas schreiben. Und das Einmaleins konnte ich bis zu sechs mal sieben ist fünfunddreißig. Ich nahm an, viel weiter würde ich es auch wohl nie bringen, und wenn ich ewig lebte. Rechnen ist nun mal nicht meine Stärke.

Zuerst habe ich die Schule gehasst, dann habe ich mich irgendwie dran gewöhnt. Wenn sie mich mal zu sehr angestrengt hat, bin ich einen Tag nicht hingegangen, und die Prügel, die ich dafür bekam, taten mir gut und erfrischten mich.

Je länger ich hinging, desto leichter wurde es. Auch an die Art der Witwe gewöhnte ich mich allmählich, und die beiden waren nicht mehr so kratzbürstig zu mir. Nur in einem festen Haus zu wohnen und in einem Bett zu schlafen, das wollte mir einfach nicht passen. Bevor das kalte Wetter kam, schlich ich mich nachts oft hinaus und schlief im Wald. Ich liebte mein altes, freies Leben, aber ich fing doch an, auch das neue ein wenig gern zu haben. Die Witwe meinte, ich würde mich langsam machen, und sie müsse sich wegen mir nicht mehr schämen.

Eines Morgens stieß ich beim Frühstück das Salzfass um und wollte eben ein paar Körner von dem verschütteten Salz nehmen, um es über die linke Schulter zu werfen, damit mir das Missgeschick kein Unglück brachte, jedoch Miss Watson kam mir zuvor: „Hände weg, Huckleberry!“, zeterte sie, „was für ein Chaos du immer anrichtest!“ Die Witwe wollte ein gutes Wort für mich einlegen, aber das konnte das Unglück auch nicht mehr aufhalten, das wusste ich nur zu gut.

Nach dem Frühstück war mir dann ganz unbehaglich zumute. Ich musste immer daran denken, was mir wohl zustoßen würde und wo. Ich kenne noch andere Mittel, um Unglück fernzuhalten, aber die ließen sich in diesem Fall nicht anwenden, und so verhielt ich mich einfach still und unauffällig und ging niedergeschlagen meines Wegs, immer auf der Hut vor irgendwelchen Überraschungen.

Ich lief den Garten hinunter und stieg am Übertritt über den hohen Bretterzaun. In der Nacht waren zwei Zentimeter frischer Schnee gefallen, und ich entdeckte Fußspuren. Sie führten direkt vom Steinbruch herüber. Am Übertritt war derjenige, zu dem sie gehörten, stehen geblieben und dann rings um den Gartenzaun gegangen. Im Garten selbst fand ich nichts, und das machte mich stutzig. Was hatte einer da draußen herumzulungern? Ich wollte den Spuren nachgehen, bückte mich aber erst noch einmal, um sie genauer zu untersuchen. Zunächst fiel mir nichts daran auf. Dann aber doch! Im linken Absatz befand sich ein Kreuz aus dicken Nägeln, um den Teufel fernzuhalten.

In der nächsten Sekunde schon rannte ich den Hügel hinunter. Immer wieder warf ich einen Blick über die Schulter, entdeckte aber niemanden. So schnell ich konnte, lief ich zum Haus vom Kreisrichter.

„Du bist ja ganz außer Atem, mein Junge“, empfing er mich. „Kommst du wegen deiner Zinsen?“