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63 Storys
Hippopotomonstrosesquippedaliophobie * Interview mit Pan * Amors Stellvertreter * Hermes und der Therapeut * Die Hades-Brille * Dichter für einen Tag * Rapunzel und die Touris * Zaubertrank * Der Helm des Kronos - Kronos und Zeus * Besserwisser gesucht * Universums-Show * Rhapsody * Interview mit dem Universum * Kreuzfahrt durch die Milchstraße * Schutzengel eines Schuhverkäufers * WeisheitsGlas - Weisheit zum Löffeln * Anubis, my dear * Ausbildung zum Kulturbanausen * Ich male einen Baum * Interview mit einer Katze * Flashmob für Flora * Examinierter Phrasen-Drescher * Interview mit einem Filmhelden und einem Filmbösewicht * Friendzone * Jesus heutigentags * Kaffeedomantie - Der Kaffee weiß Bescheid * Sterntaler im Interview * The Show Must Go On * Überstunden als Weihnachtsengel * Erst der Sex, dann das Date * Pegasus Leasing * Erinnerungs-Modulator * Faun-Ethiker * Gespräch mit einem Schneemann * Adventskalender öffnet Türen * Eisbär in der Bar * Wie die Axt im Walde * Herkules, Ladon und die Äpfel der Hesperiden * Planet New * Drei Birnen * Die Brück' am Weih * Eichhörnchen an der Tür * Ich kann nicht klagen? Aber sowas von! * My Unfair Lady * Pygmalion, Galatea und Galateus * Lauter laute Organe * Im Tattoo-Studio * Die kleine Kneipe am Rande der Hölle * Pirat sein * Interview mit Zeus und Europa * Superkraft-Generator AZ-Supi * Mein Date mit Fortuna * Zu Besuch bei Noah und Haikal * Gespräch mit dem Sphinx von Gizeh * Die Schimpf-Enthusiasten * Interview mit dem Herbst * Salat * Der Schriftsteller und das Holzhaus * Durchgezecht * Meerjungfrau an Bord * Mit dem Reisebus durch die Comic-Orte * Mit dem Reisebus durch die Comic-Orte - Teil 2 * Die Ex-Gräfin
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63 Storys
Hippopotomonstrosesquippedaliophobie * Interview mit Pan * Amors Stellvertreter * Hermes und der Therapeut * Die Hades-Brille * Dichter für einen Tag * Rapunzel und die Touris * Zaubertrank * Der Helm des Kronos - Kronos und Zeus * Besserwisser gesucht * Universums-Show * Rhapsody * Interview mit dem Universum * Kreuzfahrt durch die Milchstraße * Schutzengel eines Schuhverkäufers * WeisheitsGlas - Weisheit zum Löffeln * Anubis, my dear * Ausbildung zum Kulturbanausen * Ich male einen Baum * Interview mit einer Katze * Flashmob für Flora * Examinierter Phrasen-Drescher * Interview mit einem Filmhelden und einem Filmbösewicht * Friendzone * Jesus heutigentags * Kaffeedomantie - Der Kaffee weiß Bescheid * Sterntaler im Interview * The Show Must Go On * Überstunden als Weihnachtsengel * Erst der Sex, dann das Date * Pegasus Leasing * Erinnerungs-Modulator * Faun-Ethiker * Gespräch mit einem Schneemann * Adventskalender öffnet Türen * Eisbär in der Bar * Wie die Axt im Walde * Herkules, Ladon und die Äpfel der Hesperiden * Planet New * Drei Birnen * Die Brück' am Weih * Eichhörnchen an der Tür * Ich kann nicht klagen? Aber sowas von! * My Unfair Lady * Pygmalion, Galatea und Galateus * Lauter laute Organe * Im Tattoo-Studio * Die kleine Kneipe am Rande der Hölle * Pirat sein * Interview mit Zeus und Europa * Superkraft-Generator AZ-Supi * Mein Date mit Fortuna * Zu Besuch bei Noah und Haikal * Gespräch mit dem Sphinx von Gizeh * Die Schimpf-Enthusiasten * Interview mit dem Herbst * Salat * Der Schriftsteller und das Holzhaus * Durchgezecht * Meerjungfrau an Bord * Mit dem Reisebus durch die Comic-Orte * Mit dem Reisebus durch die Comic-Orte - Teil 2 * Die Ex-Gräfin
Als Nostalgiker hielt ich es für eine gute Idee, den Modernismen eine Zeitlang den Rücken zu kehren und mich vertraut zu machen mit den Sprach-Gewohnheiten von einst. Meine Zeitmaschine warf mich irgendwo raus – vermutlich hatte sie genug von mir, da ich ständig an den Knöpfen spielte und auch ein paar Mal fragte: "Sind wir gleich da?"
"Sieh an, ein Wagehals", begrüßte mich ein älterer Herr. Ich hätte ihn gerne gefragt, um welches Jahrhundert es sich handelte, aber ich lasse die Dinge gerne auf mich zukommen. "Ein Kämpe oder eine Malefizperson?"
"Ich bin ein Zeitreisender – und hoffe, dass mich meine Zeitreisemaschine demnächst hier wieder abholt."
"Ein seltsames Begebnis, fürwahr. Wie schön, das erheischt meine gesamte Aufmerksamkeit. Auch ich bin gelangweilt von meiner Zeit, würde schlankerhand mich in die Zukunft absetzen. Es ist fatigant."
"Kein Problem; in der Zeitmaschine ist genügend Platz."
"Jüngsthin waren wieder Kriege; ist es in der Zukunft anders? Ich will nicht knastern, aber es ist wenig zauberisch zurzeit. Verwichen ist alle Zuversicht; man hat's dem Zeitgeist ausgetrieben. Es obsiegt der Hader. Wo wäre eine nennenswerte Lustbarkeit?" Er sah betrübt aus; wie sollte ich ihm die Zukunft schmackhaft machen, da ich soeben versucht hatte, ihr zu entkommen? "Frischauf! Ich will bloßfüßig auf dem Regenbogen gehen." Ein wenig verrückt wirkte er schon. Oder waren alle unsere Ahnen absonderlich? Wie mit der Mode – aus der Distanz betrachtet, wirkt sie lächerlich. Man muss eingebettet sein ins Jetzt, dann erscheint einem alles grundrichtig.
"Wir haben Lichtmond. Derselbe Mond begleitet uns – kommentiert nichts, ein stiller Beobachter, ein Zeitzeuge. Man müsste ein Mondvogel sein – und die Nacht gutheißen." Er klang richtig schwermütig.
"Deine Zeit hat schöne Wörter. Wir plagen uns mit Wortungetümen wie Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen oder Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz."
"Ja, die Sprache geht ihren eigenen Weg, sie nimmt da keine Rücksicht auf liebgewonnene Gepflogenheiten. Aber man will ja auch keinen Händel mit ihr anfangen; so beugt man sich – und Majestät Sprache verändert sich ganz nach Belieben, leiht sich Kleider aus dem Ausland; sie will es dem Zeitgeist recht machen."
Meine Zeitmaschine kreuzte wieder auf. Vermutlich schlechtes Gewissen. Ich hieß ihn einsteigen.
"Ich kann meiner Zeit gut entraten. Das Jetzt affrontieren – ihm ein Morgen gegenüberzustellen, das ist wohllöblich."
"Vielleicht haben wir die Sprache immer falsch verstanden, sie sollte unsere Mamsell sein, eine Dienstmagd – aber sie ist unsere Zuchtmeisterin? Sie erfindet sich selbst, sie verwandelt sich ganz nach Belieben, nimmt die Gestalt an, die ihr zusagt; sie lässt sich nicht dreinreden, auch wenn manche Autoren versuchen, ihr neue Kunststücke beizubringen." Er stimmte mir zu – war aber hauptsächlich damit beschäftigt, die Zeitreisemaschine zu inspizieren.
"Sieh an, wie ein Mondvogel flattern wir in die Zukunft."
"Das entspricht auch so ungefähr dem Fahrstil der Zeitmaschine." Womit ich sie erneut verärgert hatte. "Ich setze Euch im alten Rom ab." Wann hatte sie das denn beschlossen? In gewisser Weise ähnelte sie der Sprache: eigenwillig. Als ob ein Pferd einem klarmachen wollte, dass es ein Wildpferd sei. "Oder ein Windpferd", sagte ich. "Sprache ist Wort-gewordene Magie."
"Dem kann ich zustimmen. Was ist nun tunlich?" Er sah sich um, hantierte an einigen Hebeln. Ich ließ ihn gewähren. Die Zeitmaschine bockte wie ein Rodeo-Pferd.
"Sie wird uns spornstreichs in der Zeit ihrer Wahl rausschmeißen. Das macht sie immer, wenn sie wütend ist."
"Ist schon witzig: Man versteht nicht nur einzelne Worte falsch, sondern die Sprache insgesamt." Er konnte sich für meinen Gedankengang begeistern.
"Vielleicht habe ich auch nur Hippopotomonstrosesquippedaliophobie – Angst vor langen Wörtern; Sehnsucht nach unbekümmerter Sprache, die nicht beladen ist mit Tonnen an Wichtigkeit und beinahe zusammenbricht unter der Last der Funktionalität."
Überraschenderweise setzte uns die Zeitmaschine 5000 Jahre in der Zukunft ab, wie sie uns giftig mitteilte.
Der erste Satz, den wir hörten, als wir ausstiegen, war: "Unbekannte Desoxyribonukleinsäuremolekularstruktur entdeckt!"
Schien ein lang anhaltender Trend zu sein, das mit den langen Wörtern.
ENDE
Phil: "Bei uns heute zu Gast im Studio: Hirtengott Pan. Du gibst ja selten Interviews, was hat Dich veranlasst, dem schönen Arkadien für eine Weile zu entsagen und Statements abzugeben?"
Pan: "Ich habe ein Buch veröffentlicht. Da ist ein bisschen Promotion angesagt. Dann klingelt die Kasse."
Phil: "Was hätte ein ländlicher Typ dem urbanen Zeitgeist denn mitzuteilen? Findet sich da Erwähnenswertes?"
Pan: "Immerhin hatte ich Jahrtausende Zeit, um mir was zu überlegen. Mein Verleger sagt, ich würde dem Zeitgeist zum Munde reden, aber ich will mich anpassen, will nicht so eine abgelebte Erscheinung sein. Zeitgemäßheit – das ist mein Stichwort. Von meinem Naturell her neige ich zu übergroßer Distanziertheit. Dem entgegenzuwirken, dagegen anzukämpfen – daher das Buch. Mein Versuch, mitzuhalten, dazuzugehören. Auch wenn einen die anderen Götter aus ihrem Kreis ausschließen: Ich bin ihnen obskur – ein Mischwesen – mit dem Unterkörper eines Ziegenbocks; da gilt man schnell als Außenseiter."
Phil: "Du hast uns ein ganzes Arsenal an Panflöten mitgebracht. Kannst Du auch andere Instrumente?"
Pan: "Für die Mondgöttin Selene habe ich zuweilen die Triangel erklingen lassen."
Phil: "Faszinierend. Das geht aufregender zu, als man denkt. Da ist ordentlich was los in Arkadien."
Pan: "Unterdrückst Du da ein Gähnen? Ich hab's gewusst! Ich langweile. Ich bin ein Langweiler!"
Er schlägt sich mit seinem Hirtenstab.
Pan: "Selbstbestrafung tut ja so gut."
Phil: "Das ist schon bizarr."
Pan: "Erzähl Du mir nicht, was bizarr ist – Du bist bereit, B-Promi-Götter einzuladen, nur wegen der Quote."
Phil: "Du bist Wald- und Naturgott – warst aber in diesem Amt äußerst stümperhaft."
Pan: "Die Welt ist eben kein Arkadien. Aber keine Panik, das sieht auf anderen Planeten weitaus schlimmer aus."
Er spielt eine berückend schöne Melodie auf seiner Panflöte.
Pan: "Damit beruhige ich mich jeweils. Bringt einen runter. Man würde sich ja sonst Sorgen machen um die Welt und deren Wohlergehen."
Phil: "Musik als Droge? Interessant."
Pan: "Ich habe die Panik perfektioniert – aber auch die Gegenmittel. Ein großartiges Auf und Ab. Eine Achterbahn der Gefühle. Ja, dafür stehe ich."
Phil: "Wie stehst Du zu Peter Pan und Pan Tau?"
Pan: "Die haben nicht diese ultra-krassen Bocksbeine; damit sind Sprünge möglich, sage ich Dir."
Er hopst im Studio herum.
Phil: "Wie ein junger Hase. Apropos, Du giltst als nicht ganz hasenrein. Hängst immer mit den Satyrn rum."
Pan: "Ich habe von allen Göttern den coolsten Bocksbart."
Er zwirbelt tüchtig daran herum.
Phil: "Ist das eine Kunst: Sich das schönzureden, was absonderlich ist?"
Pan: "Stolz sein auf die Andersartigkeit – habe kein Problem damit. Ich will nicht einer von diesen Wald- und Wiesen-Göttern sein, die ganz in ihrer Aufgabe aufgehen; meine Kompetenz reicht weiter; ich übertrage das auf andere Bereiche: Ein Hirte sein allen. Aber ich fürchte, ich habe alles verbockt."
Er spielt eine traurige Melodie auf seiner Panflöte. Ich begleite ihn mit der Gitarre.
Pan: "Lass das! Ich konzertiere mit dem Orchester der Stille."
Phil: "Aha. Was sagst Du dazu, wie das Christentum mit Dir umgesprungen ist? Stichwort: Dämonisierung."
Pan: "Als ob ich Luzifer wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Ich bin weitaus mehr als ein x-beliebiges Abziehbild des Bösen."
Er zieht ein paar teuflische Fratzen.
Phil: "Inwieweit ist das bei Deinen Dates hilfreich? Stichwort: Wollust. Es heißt, Du gehst da ran wie Blücher. Wir haben zur Einstimmung das Fernsehballett zu uns eingeladen."
Ich hege meine Zweifel, ob das gutgeht, aber der Sender ist versichert. Ich bin verwirrt: Er macht Bockspringen mit den Ladys.
Pan: "Ich muss erst mal in Form kommen."
Phil: "So sieht Dein Vorspiel aus? Erstaunlich."
Vielleicht kann man von ihm noch was lernen. Das Ballett tanzt derweil – etwas ungeordnet – einen artigen Reigen.
Pan: "Ist doch Bockmist!"
Er sieht unzufrieden aus.
Pan: "Was ist mit der guten alten Unmoral? Das geht alles den Bach runter. Wollust ist eine Kunst, das zelebriert man nicht mit Standard-Tänzen."
Die Ballett-Tänzerinnen geben sich alle erdenkliche Mühe, seinem Wunsch nach Ordinärem entgegenzukommen.
Pan: "Nicht dreckig genug! So schafft Ihr es nie in das Gefolge des Dionysos."
Er führt sich auf wie ein Choreograf aus der Unterwelt.
Pan: "Orientiert Euch am Cancan. Seid anstößig, dann stoße ich zu Euch."
Er steppt mit seinen Bocksbeinen; der Boden dröhnt. Kalk rieselt von der Decke. Dann fallen Mörtel-Stücke herab.
Pan: "Das Studio muss beben; Vibrationen spüren. Bad Vibrations!"
Er ist ganz in seinem Element. Von ihm scheint eine magische Wirkung auszugehen, denn die Tänzerinnen schmiegen sich an ihn.
Pan: "Ausstrahlung ist alles."
Er müffelt arg nach Ziege. Sag ich ihm das?
Pan: "Arkadien ist da, wo ich bin. Man trägt die Landschaft mit sich herum. Das ist keine Schäfer-Ideologie, das ist Tatsache. Kann sein, dass sie mich ohne meine Bocks-Eigenschaften auf dem Olymp geduldet hätten; aber ich verleugne mich nicht. Man muss Bock haben auf sich als Gesamtheit, sonst schlägt das Leben Zickenalarm. Kannst mich ruhig zitieren."
Ich mache mir Notizen.
Phil: "Schon seltsam, dass ausgerechnet jemand wie Du Verwalter einer Idylle ist."
Pan: "Mich kann man nicht aus dem Paradies vertreiben. Vielleicht muss Menschheit das auch akzeptieren: dass es immer die vermeintlichen Schwächen sind, die einem alles zunichtemachen, einem alles verleiden, zerstören."
Er sieht rundum zufrieden aus. Beispielhaft.
Pan: "Mein Buch ist jetzt im Handel. Es heißt 'Nimm Dir Zeit für Panik'. Ich, als diplomierter Panik-Experte, rate dazu, die Panik bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu nutzen. Intensiveres Erleben, dazu die schönen Halluzinationen – das volle Programm."
Phil: "Es ist schön, dass Du die Werbetrommel rührst für die Panik; die meisten Gurus empfehlen ja Entspannung und Kontemplation."
Pan: "Geh aus Dir raus. Blindes Vertrauen in die Wahnsinns-Gefühle. Gefühle sind der Wahnsinn."
Er schenkt mir ein aus dem Bocksbeutel, aus dem er sich schon die ganze Zeit reichlich bedient hat. Dann drückt er mir eine der Panflöten in die Hand.
Pan: "Spiel, was Dir in den Sinn kommt. Aber Vorsicht: Die sind randvoll mit Magie, deren Stimmung überträgt sich auf Dich. Dein Selbst geht flöten – und macht anderem Platz: dem Universum."
Er sagt das geheimnisvoll, als ob das Mystik allererster Güte sei. Ich bringe nicht einen Ton aus dem Instrument hervor.
Pan: "Das Instrument spürt, dass Du ihm misstraust. Lass Dir von der Musik die Flötentöne beibringen, die Musik ist quasi Dein Tanzpartner, lass Dich führen."
Die Tanztruppe tanzt immer wilder, wie von Raserei ergriffen. Beachtliches Tempo. Pan fuhrwerkt mit seinem Hirtenstab herum. Gelegentlich trifft er ein Schienbein oder den Brustkorb einer Tänzerin. Ich frage mich, ob das in Arkadien so arkadisch ist, oder ob das allein auf seiner Sichtweise beruht.
Pan: "Kopf höher, Knie höher, alles höher!"
Das Erstaunliche: Keiner beschwert sich. Sie wollen es ihm recht machen.
Phil: "Was ist, wenn der Gute Hirte Ähnlichkeit mit dem Wolf hat?"
Pan: "Es ist nie verkehrt, sich mit den Gewohnheiten des Gegners vertraut zu machen. Ein Schauspieler schaut ja auch, ob er Verwertbares in sich findet, das ihn dazu befähigt, im finsteren Bereich seiner Seele zu agieren; unausgeleuchtet – was findet man dort vor? Wenn man die Panik als Arbeitsmaterial ansieht, dann ist man doch schon einen Schritt weiter, verbrüdert sich in gewissem Sinne mit der Panik – und billigt ihr nicht solchen Sonderstatus zu."
Das alles sagt er tanzend. Ich versuche derweil, der Panflöte irgendwas zu entlocken, aber sie schweigt mich an – nach wie vor. Gut, dass ich sie nicht zum Interview eingeladen habe. – Die Tänzerinnen sehen aus wie Mänaden vor ihrem Abschlussdiplom.
Phil: "Flottes Tempo. Aber frönt die Welt nicht ohnehin der Raserei?
Pan: "Was lehrt Dich der rasende Sturm, und wie viel lernst Du von einem lauen Lüftchen?"
Phil: "Wir reden hier doch nicht von Blähungen?"
Das Gesöff aus seinem Bocksbeutel benebelt ein wenig.
Phil: "Ich kann meine Aura sehen."
Ich betrachte meine Hände. Auch die Auren der Tänzerinnen wabern im Studio. Toll. Jetzt endlich gelingt es mir, wunderschöne Melodien auf der Panflöte zu spielen. Kann sein, dass sie nur in meiner Welt existieren: Töne von unglaublicher Harmonie. Ich könnte direkt bei einem Engels-Harfen-Orchester als Solist mitspielen. Pan nickt beifällig.
Pan: "Spüre das Arkadien in Dir; binde es an die Musik. Dann schafft es selbst jemand mit Bocksbeinen wie ein Gentleman dazustehen."
Er sieht zweifelsohne sehr elegant aus; nicht, weil er sich verkleidet, sondern weil er als er selbst auftritt.
Pan: "Mein Buch kostet 19,80 – es gibt demnächst auch einen Folgeband: 'Pancakes, Pandas und Pandoras Büchse'.
Phil: "Ich bin gespannt, was es damit auf sich hat."
Pan: "Mein Verleger macht Druck; ich bin deshalb schon in Panik. Aber das ist gut so. Der Panik mit Wohlwollen begegnen."
Er nimmt noch einen kräftigen Zug aus dem Bocksbeutel.
Pan: "Mein Buch ist der Mondgöttin Selene gewidmet. Sie hat mich inspiriert."
Phil: "Auch ich schreibe viel in den Mond, in den Wind, in den Schornstein. Ein Vielschreiber. Könnte mein neues Hobby werden: den Mond anzubellen."
In der Stellenausschreibung hieß es, dass Amor dringend Aushilfskräfte benötigen würde. Gute Kenntnisse im Bogenschießen setze man voraus. Arbeits-Flügel würden gestellt. Es würden nicht nur Epheben genommen. Klasse, da ich mich beruflich ohnehin umorientieren wollte, ging ich zu der im Inserat angegebenen Adresse. 'Verzaubert' prangte in Goldbuchstaben auf dem Ladenschild. Gut so, dick auftragen.
Der Ladeninhaber musterte mich. "Schon mal Rundflüge gemacht?"
"Drachenfliegen und einmotorige Maschinen", gab ich zur Antwort.
"Flügel gibt es hinten." Er wies in den hinteren Ladenraum. "Such Dir was aus."
"Ist es nicht so, dass die Flügel einen aussuchen?"
"Ich verleih doch keine Zauberstäbe; das hier ist keine Magie. Mythos ist ungleich stärker. Bist Du sicher, dass Du Dich darauf einlassen willst?"
"Naivität ist meine Stärke. Gutgläubigkeit ist mein Credo."
"Gute Voraussetzungen für alles das, was mit Mythos zu tun hat."
"Eine rein technische Frage: Wenn ich völlig eigennützig die Pfeile verschießen würde und durch Zufall eine von mir angebetete Frau treffen würde – wäre das okay?"
"Macht Amor ständig. Wäre sonst schwierig, ihn bei der Stange zu halten. Das sind so Vergünstigungen."
"Mythos hat was", sagte ich anerkennend.
Er händigte mir Pfeile und Köcher aus. "Wie sieht es mit Deiner Treffgenauigkeit aus?" Auf der anderen Straßenseite stand eine schöne Frau. "Nur zu; diese Pfeile sind aus feinstofflichem Material; die verletzen nicht; das ist eine völlig andere Wirkungsebene."
Ich schoss gleich drei Pfeile auf sie, sie wurde zur Nymphomanin, küsste drei Herren in ihrer Umgebung und entledigte sich ihrer Kleidung. "Bringt Spaß." Ich hätte den Job auch ohne Bezahlung gemacht, aber er drängte mir eine Handvoll Gold-Münzen auf. "Dublonen. Ist doch okay?"
"Vorschuss ist immer okay", beruhigte ich ihn.
"Liebe ist kompliziert. Wir machen sie einfach. Jeder Schuss ein Treffer." Er klang wie ein Schießbuden-Besitzer auf dem Jahrmarkt." "Und das Tolle ist, wenn Du die Flügel trägst, wirst Du unsichtbar. Unsichtbarkeits-Modus und Mythos gehören einfach zusammen. Man muss offenen Herzens hineinstolpern. Ist beinahe wie beim Himmelreich: Anders findet man es nicht bzw. anders gelangt man da nicht rein." Wer hätte gedacht, dass meine Blauäugigkeit mir einst zum Vorteil gereichen würde? "Wie im Märchen." "Verwechsle das nicht. Wir waren eher da. Mythos liegt allem zugrunde."
Ich schnallte mir das Flügelpaar um. Saß gut. Wie angegossen. "Gibt es die auch in taubenblau?"
"Ich muss mal schauen." Er schaute tatsächlich nach.
Okay, ich war kein Stalker, aber Cindy wich mir stets aus; wäre doch schön, wenn da etwas mehr Begeisterung für mich wäre. Da kamen Amors Pfeile doch wie gerufen; jetzt nur noch die moralischen Bedenken überwinden.
"Da empfehle ich den Moral-Betäuber; ist unablässig für diese Art von Arbeit. Amor braucht das auch ständig. Hat trotzdem Burn-out und die Krise. Ja, der Job schlaucht." Er nickte wissend. Er drückte mir eine Phiole in die Hand. Da stand tatsächlich 'Moral-Betäuber" drauf. Sie hielten es wohl nicht für nötig, irgendwas zu kaschieren. Ein gewisser Stolz schwang bei allem mit, was er tat: durchdrungen von Mythen-Stolz. Dass mir das entgangen war; wir hatten den Mythos in den Ruhestand geschickt, dabei war er nach wie vor quicklebendig – agierte munter mit.
Ein Nebeneffekt des Unsichtbarkeits-Modus: Man sah plötzlich Geister; sie winkten mir freundlich zu. So schnell ging das Switchen zwischen den Parallelwelten? "Es gibt jede Menge Parallelwelten ...", es tat ihm sichtlich gut, sein Wissen preisgeben zu können wie ein Museumsführer. Plötzlich erschien mir die ganze Welt wie eine Ausstellung mit unentdeckten Räumen; vielleicht war man bisher zu gelangweilt, zu desinteressiert, um sich im Museum genauer umzuschauen?
Ich schoss noch eine Weile auf Passanten. Mal flog ich dicht ran, mal von oben, dann mit Bande ... Es schien den Ladeninhaber zu überzeugen. Er händigte mir eine Lizenz aus. "Du hast jetzt die Lizenz zum Amorisieren", sagte er feierlich. Dann drückte er mir eine Liste mit Namen in die Hand. Da standen wohl Tausende drauf. "Muss bis Montag erledigt sein." Boah, voll der Stress. "Die Flügel haben den integrierten Weihnachtsmann-Modus – damit verläuft die Zeit wesentlich langsamer."
Beruhigte mich trotzdem nicht. "Aber die Arbeit bleibt dieselbe. ... Eigentlich wollte ich zu Cindy."
"Erst wird die Liste abgearbeitet, dann hast Du Freischüsse", er sagte das, als ob die Rede von Freikugeln wäre – so wie beim Freischütz. Aber ich war noch nie ein Bedenkenträger, eher so etwas wie ein Early Adopter. Ausprobieren, testen, bis es kaputtgeht oder funktioniert. Die Dinge haben immer die Wahl.
Ein paar Geister begleiteten mich. "Mal sehen, wie Du Dich schlägst. Den meisten wird das nach ein paar Stunden zu viel. Anderen beim Verlieben zuschauen zu müssen – so muss wohl auch der Frühlingsgöttin zumute sein, wenn sie alles erblühen lässt und selber unbeteiligt ist; das ist der Preis des Unsichtbarkeits-Modus: Man befördert das Glück der anderen – aber man ist so etwas wie ein Ghostwriter – ungenannt, unerwähnt. Willkommen in der Geisterwelt!"
"Ich habe aber gar nicht vor, Gutes zu tun. Ich will Cindy für mich gewinnen. Durch und durch luziferische Motive."
"Amor ist daran zerbrochen, an diesem Widerspruch: tätig sein und dennoch als reines Mythen-Wesen verschrien."
Ich wusste nicht, warum mir die Geister das alles erzählten, als wäre das brühwarmer Klatsch; vermutlich waren sie froh, dass sich da jemand für interessierte. Jahrhunderte hingen an ihnen, man kannte die Storys der anderen.
Sie bestätigten meine Vermutung. "Alles olle Kamellen. Du bringst frischen Wind." Ich flatterte in der Tat sehr heftig mit den Flügeln; es brachte mir Spaß, steil emporzuschießen, ich spielte Verstecken zwischen den Wolken, versuchte sogar, aus den Wolken Figuren zu modellieren.
Zufällig landete ich vor Cindys Haus. "Mal klingeln." Sie öffnete – und erschrak fürchterlich, als ich das Flügelpaar abnahm und knapp zwei Meter vor ihr sichtbar wurde. Sie scheuerte mir eine. Ein Reflex, der zu unseren Begegnungen mittlerweile dazugehörte.
"Hau ab! Ist das ein scheiß Prank?" Ich hätte ihr gerne die Geister vorgestellt, aber da schlug sie die Tür schon wieder vor meiner Nase zu.
"Meine kleine Goldfee", hub ich an – da begoss sie mich mit irgend so einer Drecksbrühe. "Schnuckiputzi."
"Was?!" Sie riss das Küchenfenster auf. "Ich bin jetzt einer von Amors Stellvertretern. Geiler Job." Ich zeigte ihr die Dublonen. Schien sie nicht gnädig zu stimmen.
"Ich hab gleich Drehbeginn. Wehe, Du bist wieder am Set! Ich hasse Stalker!"
Klare Ansage. Traf ja bloß auf mich nicht zu. "Würde ein Stalker das hier tun?" Ich schoss einen Pfeil auf ihre Katze, die sich daraufhin ganz fürchterlich in den Nachbar-Hund verknallte.
"Hast Du sie noch alle?"
Der Hund – eine Bulldogge – nahm vor der Katze Reißaus. Jaja, die Liebe. "Glaubst Du mir jetzt?" Da sie eine Pfefferspray-Dose in der Hand hielt, lag die Vermutung nahe, dass sie vorläufig nicht von ihren Stalker-Vorwürfen abrücken würde. "Sanftmut ist eine Tugend ..." Weiter kam ich nicht, ein paar Geister stellten sich schützend vor mich, doch der Pfefferspray-Strahl drang einfach durch sie durch und näherte sich mir ... in erstaunlich langsamem Tempo. Das musste der Nebeneffekt sein, von dem der Ladeninhaber gesprochen hatte. Zeit-Dilatation. Schon praktisch. Ich hatte so viel mit dem Weihnachtsmann gemeinsam. Okay, vielleicht war er kein Stalker – oder doch? Ich hatte sogar Zeit, darüber nachzudenken, Zeit, mir das Flügelpaar anzuschnallen – mit praktischem Clip-Verschluss – und ab ging die Post zu ihrem Briefkasten. Dort miaute die Katze herzzerreißend. Die Bulldogge war tatsächlich auf einen Baum geflüchtet. Die Liebe vollbringt wirklich wahre Wunder. Ich war beeindruckt. Cindy hatte ihr Pfefferspray verschossen – und ich war immer noch verschossen in sie. "Ich hab hier eine Phiole. Nimmt Dir moralische Bedenken." Ich kam mir wirklich vor wie ein Drogen-Dealer, aber dieser Ton schien ihr vertraut.
Sie musterte die Phiole. "Sieht kostbar aus. Ein Film-Requisit?"
"Die ist so echt, wie die Welt falsch ist", sagte ich geheimnisvoll. "Parallelwelten ohne Ende, aber im Grunde ist alles ein Museum." Ich fühlte mich geistreich – so umgeben von News-süchtigen Geistern.
"Auf dem Erdenrund weht stets derselbe Geist, man spürt nichts Frisches. Dasselbe wird umkreist", so flüsterten sie – selbst Cindy konnte es hören, da ich ihre Hand hielt.
"Ich bin Vermittler zwischen den Welten", unterstrich ich meine Verdienste um die Geister-Diplomatie.
"Du hast doch einen an der Waffel!" Cindy versuchte, ihre Hand aus der meinen zu winden.
"Wenn Dich Amors Pfeil – bzw. meiner – zur Besinnung und Liebes-Raserei gebracht hat, wird Entzücken die Tages-Losung sein."
Ihr Nachbar fragte, ob er ihr helfen könnte, aber ein Pfeil meinerseits veranlasste ihn, der attraktiven Postbotin seine Liebe zu gestehen; vermutlich hätte er das auch ohne Pfeil gemacht. Vielleicht nicht so intensiv – denn er rutschte vor ihr auf den Knien, sprach von Heirat und einer Kinderschar, die er mit ihr großziehen wolle. Dabei tobten in seinem Garten schon zwei seiner Kinder – und seine Ehefrau wusste nicht so recht, was sie zu dem Verhalten ihres Mannes sagen sollte. Sie holte die Bratpfanne.
"Immer diese Klischees", moserte einer der Geister. "Wir brauchen mehr Show-Elemente; mehr Erotik."
Die Geister hatten recht; ich zog Cindy zur Couch. "Deine Entschlossenheit in allen Ehren, Du bist der weitaus übelste Stalker, den ich je hatte." Sie stieß mich unsanft gegen den Schrank.
Ich zeigte ihr die Liste. "Ich muss heut noch so viel abarbeiten. Ich hab eigentlich gar keine Zeit fürs Stalken. Nehme sie mir aber trotzdem. Etwas mehr Entgegenkommen wär doch in unser aller Interesse." Fand sie nicht. Sie bewarf mich mit Sachen, die gerade so greifbar waren. Ich hatte Glück, zuweilen war so etwas wie Kissen oder eine Socke dabei. "Bei jedem siebten Wurf ist was Tolles dabei", sagte ich – und fing geschickt eine Vase auf.
Ich sah keinen anderen Ausweg, ich schoss einen Pfeil auf sie – daraufhin stürzte sie sich auf mich – und ich konnte mich vor wilden Küssen kaum retten. Toll. Klappte doch. Jeder Beruf hat so seine Vorteile – der eine bringt Donuts aus der Kantine mit nach Hause, mir flog die Angebetete in die Arme.
"Ich habe die Lizenz zum Amorisieren. In den Händen eines verantwortungsvollen Stalkers – was soll da schiefgehen?"
Ich war hochbeglückt. Ich flog mit ihr gleich in die Wolken. Wir bauten Luft- und Lustschlösser.
"Im siebten Himmel – das ist gar keine Redensart, das ist gelebte Magie!"
"Mythos", belehrte ich sie. "Da legen die echt Wert drauf. Mythos ist die Basis von allem, darauf türmen sich der Alltag, die Routine, das klägliche Schauspiel des sogenannten Realen." Toll, meine Sprüche nervten sie diesmal nicht, sie hörte mir tatsächlich zu. Sie war eingebunden in den Unsichtbarkeits-Zauber, wir hatten unsere eigene Welt, unser Séparée inmitten der Wolken.
"Ich strippe für Dich", schlug sie vor Ich sollte wohl lieber was aus der Phiole nehmen, denn mir kamen moralische Bedenken: Ich hatte sie übertölpelt. Am Ende war es gar nicht Amor, sondern eher Luzifer, der hier seinen Geschäften nachging? Würde Amor all den Widerstand unberücksichtigt lassen, Zeit und Raum in seine Dienste stellen, um an seine Ziele zu gelangen?
Die Geister feuerten mich an, dass ich derlei Bedenken rasch entsorgen sollte. "Sorge Dich nicht, lebe!", riefen sie mir zu. Sonderbarerweise wollte ich Cindy von mir überzeugen – all das blieb auf der Strecke, wenn ich betrog, die Abkürzung wählte. Wie ein Marathon-Läufer, dem wunderbarerweise Flügel gewachsen waren.
Ich beschoss sie mit einem Pfeil aus Blei – der die Wirkung des goldenen Pfeils rückgängig machte. Schlagartig entliebte sie sich; ich war plötzlich so weit fort von ihr, obwohl ich sie in den Armen hielt. Sie blieb dort, aber nur, damit sie nicht aus allen Wolken fiel.
"Es ist schon entscheidend, mit wem man sich im siebten Himmel befindet", sagte sie vorwurfsvoll. Ich gab auf. Cindy würde sich nie in mich verlieben, sie duldete ja nicht einmal meine Nähe. Wir schwebten zurück zur Erde. Ich konnte es mir nicht verkneifen, ein paar Loopings einzubauen. Etwas Show-Effekt muss sein.
"Leb wohl", sagte ich zu ihr.
Sie hielt meine Hand fest. "Vielleicht willst Du noch eine Weile bleiben? Nur, bis wir das geklärt haben, was da gerade vorgefallen ist. Das ist ja doch eher unüblich." Das erste Mal, dass sie mich einlud.
"Du musst zu Deinem Dreh. Und ich hab eine Liste abzuarbeiten." Ich streckte die Faust empor wie Superman, wenn er bereit zum Davonfliegen ist. Ich flog tatsächlich davon.
Aber Cindy rief mich am nächsten Tag an. Sie hätte Lust auf ein Rendezvous in den Wolken. Ich hatte mich ein paar Mal verschossen, selbst Bäume verliebten sich und Gebäude – die Geister fanden's amüsant; ich holte mir neuen Vorrat an Pfeilen beim Ladeninhaber. Ich fing an, Gefallen an dem Job zu finden.
"Die ganze Welt soll verzaubert werden. Und die Liebe ist der größte Magier, sie schafft Illusionen, die es mit den Realitäten aufnehmen können. Man darf Realität nicht so hinnehmen, man muss sie beschießen mit den richtigen Pfeilen", sagte er verschmitzt.
Ich konnte immer noch nicht sagen, ob er einen Dachschaden hatte, oder ob das Weisheit pur war.
"Die Welt ist verzwickt, man muss sie an den richtigen Stellen zwicken." Ich neigte immer mehr zu meiner Dachschaden-Hypothese. Ich war nicht überrascht, als er im Laufe unseres Gesprächs plötzlich mit der Info rausrückte: "Ich bin Amor. Tatsächlich. Aber ich wollte mich mal zurückziehen, sehen, wie andere mit der gestellten Aufgabe klarkommen. Ist Amor amoralisch? Ich modelliere die Realität, bin ich befugt dazu?"
Ich versprach ihm, mir darauf eine Antwort zu überlegen, aber jetzt wurde es Zeit für mein Date mit Cindy. Love is in the air. "Von düsteren Wolken verhangen war unsere Liebe, das war unser Verhängnis."
"Ficken wir nun, oder was?", wollte sie wissen.
Ich dachte: "Da bietet man einer Frau das Gespräch an – und alles, was sie will ist ... Die geht aber ran." Als Schauspielerin könnte Cindy das selbstverständlich improvisieren; was war echt? Dieser Zungenkuss? Ich beschloss meine Fragen vorerst auf Eis zu legen.
"Den Höhepunkt will ich aber inmitten der Wolken erleben", darauf bestand Cindy. Sie liebte das Außergewöhnliche. Hätte mir schon eher auffallen müssen; extravaganter sein, Mut zu Frappierendem.
"'Der Stalker und die Lady' – so könnte mein nächster großer Filmhit heißen. Wir schreiben jetzt das Drehbuch. Ich glaube, es ist Dir auf den Leib geschrieben." So anzüglich kannte ich sie nur aus ihren Filmen. "Ich ward zweimal von Amors Pfeil getroffen; erst die Verliebte, dann die Ernüchterte, doch dann mit neuer Klarheit eile ich nun meiner Liebe entgegen, die sich, so hoffe ich, als tüchtig erweist."
Great expectations. "Na, die hat ja große Erwartungen", dachte ich – und war versucht, mir selbst einen dieser Pfeile zu schießen – wobei ich noch am Überlegen war: goldener Pfeil – oder der aus Blei? Ist es letztlich ein Segen, nicht mehr zu lieben? Brachte der Pfeil aus Blei das größere Glück?
Sie schlug mir den Bogen aus der Hand. "Wage es ja nicht! Deine Liebe bedeutet mir was. Sollte Ausdauer nicht belohnt werden? Ich habe keine Berge von Gold, aber ich kann Dir zwei andere Berge bieten."
"Dann will der Prophet beim Berg kommen", versicherte ich ihr.
"Ich glaube, ich lasse mir Wolken an die Decke pinseln. Wolken machen mich geil."
"Lass mich vorher mit meinem Pinsel ein wahres Meisterwerk vollbringen."
"Ich bin Hermes; nebenberuflich als Götterbote tätig, hauptberuflich momentan Mentalist. Ich tue so, als ob ich ein Illusionist sei, ein Bluffer. Aber als Trickster hat man das Tricksen nicht nötig. Telekinese, Präkognition, die ganze Psi-Litanei beherrsche ich aus dem Effeff. Dabei ist es echt öde: Gedankenlesen – völlig unspektakulär. An jedem Stiefel befinden sich zwei Flügel – das ermöglicht mir eine phänomenale Reisegeschwindigkeit, dennoch bevorzuge ich meinen Privatjet. Ist behäbiger, aber kollidiert nicht mit den momentanen Gesetzen der Physik: Überlichtgeschwindigkeit wird hier nicht gern gesehen. Überhaupt sind Götter unzeitgemäß, Ratio beherrscht das Feld. Und da komme ich mit meinem Bühnenprogramm – und konfrontiere sie mit dem Unfassbaren, einfach nicht Erklärbaren. Man muss den Rahmen schon weiter abstecken. Warum mache ich das? Bin ich nicht ausgelastet? Wer braucht heutigentags einen Psychopomp, einen Seelenführer? Da gibt es gewiss schon eine App für. Es gibt Versicherungen – wer braucht da noch einen Schutzgott? Ich muss mich umorientieren, nach vorne schauen. Sagt auch Odin. Er war Gaststar in einer meiner Sendungen; wir laden uns gegenseitig ein. Asgard ist herrlich im Sommer. Wäre eigentlich witzig, wenn jeder Mentalist wäre: Die Kunst, den anderen wirklich zu lesen, so als ob er ein interessanter Roman sei. So aber liest man kaum den Klappentext, man überliest, überspringt ganze Kapitel. Gilt vermutlich auch für die eigene Seele: Welcher Mensch macht sich schon die Mühe, da mal genauer hinzuschauen, was da eigentlich geschrieben steht? Jedenfalls hat mir die Arbeit als Mentalist einen ganz neuen Standpunkt vermitteln können: Wie wertvoll es ist, ein aufmerksamer Leser zu sein, genau hinzuschauen, genötigt sein – aufgrund meines Berufes -, alle möglichen Gedanken zu lesen, um dann theatralisch das soeben Gelesene dem staunenden Publikum zu verkünden. Vielleicht bin ich Applaus-süchtig geworden? Dem Publikum den Applaus auf so einfache Art abnötigen; ganz unverdient. Ich erschaffe eine Aura des Surrealen; sie glauben, sie träumen. Dann die Gespräche mit den Toten – dank ASW, Außersinnlicher Wahrnehmung, voll easy. Was auch interessant ist: Lesen im Weltgedächtnis; die Akasha-Chronik hat das Einiges zu bieten; als Gott bekommt man einen Leseausweis ... Okay, Bühnenmagie ist faszinierend, aber der ständige Druck, so zu tun, als sei man ein Scharlatan, ist anstrengend."
Mein Therapeut schaut mich groß an; ihm ist nicht ganz geheuer. War sein Blick zunächst noch nachsichtig, so habe ich nun den Eindruck, er wolle mich schnellstmöglich hinauskomplimentieren. Aber er spult sein Profi-Programm ab. "Wann begannen denn diese Störungen? Ich meine, dass es umkippt: Ein Mentalist, der sich selbst Echtheit attestiert – das ist doch echt krank." Er kichert auf eine Art, die mich darüber nachdenken lässt, ob er nicht einen seiner Kollegen konsultieren sollte.
Es klopft – und Odin kommt rein. "Ich brauche auch einen Termin." Seine beiden Raben flattern in der Praxis umher. "Die wollen uns aufs Abstellgleis schieben. Kein Wunder, dass wir aufgebacht sind!" Er haut mit der Faust auf den Glastisch. Der zerbirst. "Götter, die ihr Auskommen als Gaukler finden müssen; ist doch erbärmlich!" Er ist richtig aufgebracht.
"Das bringt die Zeit so mit sich. Der Therapeut kann uns da sicherlich behilflich sein." Ich lese in seinen Gedanken, dass er es nicht kann. Völlige Ratlosigkeit; beinahe Panik. Ich schieb dem Therapeuten einen Mitgliedausweis der Akasha-Chronik-Bibliothek zu. Er schaut mich verständnislos an. Hugin und Munin, die beiden Raben, versuchen derweil seine Freundschaft zu gewinnen, indem sie ihm in Rabensprache ausführlich von ihren Abenteuern berichten. Odin und ich hören gespannt zu, doch der Therapeut hält sich unhöflicherweise beide Ohren zu. Dann schluckt er einige der Pillen, die da so rumliegen. Ich drehe mit meinen Flügelschuhen eine Runde in seinem Zimmer; das entspannt. "Fliegen sollte für jedermann eine Option sein." Die Raben stimmen mir zu. Die Gedanken des Therapeuten rasen, ich komme kaum mit dem Lesen mit. "Ich glaube, das ist Rekord. 70 Gedanken pro Minute." Ich gratuliere ihm. "Meinen Sie, dass mein Aufgabengebiet einfach zu umfangreich ist? Sollte ich ein Sabbatical einlegen?" Er antwortet nicht. "Ich habe Ihr Buch gelesen; Sie gelten als Fachmann auf dem Gebiet der Belastungsstörungen", versuche ich, ihm auf die Sprünge zu helfen.
Odin sagt: "Dazu hätte ich auch eine Frage. Es betrifft die Ragnarök. Ließe sich das doch irgendwie vermeiden? Ich bin da nicht so der Experte, ich lasse die Sachen meistens laufen. Aber hier müsste man eingreifen. Ich will keine Weltuntergangs-Stimmung verbreiten, aber ..."
Der Therapeut schnappt sich meinen goldenen Hermesstab und geht auf uns los. "Noch nie was von Aggressions-Bewältigungs-Strategien gehört?", will ich von ihm wissen. Die beiden Raben stellen sich schützend vor mich. Finde ich nett; hochanständig.
"In dem Tempo eilen wir ja geradezu auf Ragnarök zu. Hader, uneins sein, Gewalt-Exzesse ... alles sehr unschön". Odin sieht nachdenklich aus.
Ich gebe ihm recht. "Wenn selbst die Therapeuten untherapierbar sind ... Vielleicht waren die Götter einst so etwas wie Therapeuten für die Welt – aber man hat sie entsorgt, ihnen Bedeutungslosigkeit bescheinigt. 'Armseliger Gaukler' – soll das alles ein, was von mir übriggeblieben ist?!" Ich frage das anklagend den Therapeuten. Der zuckt mit den Schultern. Das macht er schon eine ganze Weile. Außerdem zuckt er mit dem Gesicht.
"Vielleicht muss ich nur mein Welt-Modell erweitern?", schlägt er vor. "Wenn ich das in meinem Club erzähl." Er borgt sich meine Flügelschuhe und dreht 'ne Runde; ich öffne ihm das Fenster – und er fliegt mit den Raben davon.
"Flieg nicht zu hoch", rufe ich ihm noch zu; man ist ja doch immer besorgt, was bei solch einem Erstflug alles schiefgehen kann.
Odin sagt nachdenklich: "Zeus hat sich nie als Therapeut gesehen; immer an sich gedacht ... Nicht bereit zu sein, anderen einen Teil seiner Freizeit zu opfern – stattdessen erfreut sein über all die Opfer, die einem dargebracht werden. Wir sollten mal mit ihm reden, ihn daraufhin ansprechen."
Der Therapeut kehrt zurück, einige Tauben im Schlepptau. "Die akzeptieren mich als einen von ihresgleichen", verkündet er stolz. Ich gratuliere ihm.
"Können wir dann weitermachen? Ragnarök und so." Odin wirkt so ungeduldig.
"Als Mentalist habe ich das Gefühl, als Betrüger dazustehen. Ich fake den Fake." Offensichtlich fällt es dem Therapeuten nach diesem Rundflug bedeutend leichter, meinen Gedanken zu folgen; vielleicht wird er ja richtig nützlich? Ich investiere in das Vertrauen. Meist macht man mit dem Vertrauen ja eine Bruchlandung ...
"Ich will zum Olymp! Nehmt mich mit zum Olymp!" Er beschwört uns. Er ist völlig high. Ich nehme auch ein paar der Pillen; Odin bedient sich ebenfalls. Die Raben haben auch schon einiges davon intus.
"Medikamente sind ja auch nicht die Lösung – und ich dachte, die machen beschwingt, dabei ist es das Göttliche, was einen wirklich abheben lässt." Als ob ihn die Erleuchtung getroffen hätte. Ich will ihn nicht enttäuschen und nicke bedächtig dazu. Erstaunlich, dass sich die Tauben mit den Raben so gut vertragen. Ist der Frieden greifbar? Ich stütze mich auf meinen Hermesstab, da mir die Pillen doch ganz schön zusetzen. "Ganz schön heavy. Was ist das?"
"Das meiste davon ist legal." Der Therapeut kichert. Das weiße Pulver vor ihm sieht jedenfalls nicht sehr legal aus. "Das ist das Schöne an meinem Beruf: die guten Bezugs-Möglichkeiten." Einige Tauben stützen ihn.
"Ich stoße den Intellektualismus vom Thron! Psi an die Macht! Psi gehört die Welt." Er wirkt völlig neben sich. Jedes Mal dasselbe, wenn ich den Rat eines Therapeuten brauche. Die flippen aus; ist nicht mit ihrem Welt-Modell kompatibel. Meist kreuzen auch noch andere Götter und Halbgötter auf. Wir haben so eine App, da weiß jeder, wo der andere steckt, ein Götter-Netzwerk, geht quer durch sämtliche Religionen. Wir haben da nicht so eine Kontakt-Scheu.
Ich frage: "Vielleicht sollte ich mich mehr auf Massensuggestion konzentrieren? Experimentieren, was mir mehr liegt." Er zeigt Thumbs up.
"Selbst Suggestion verhindert nicht Ragnarök", sagt Odin. Er macht einen Termin mit dem Therapeuten aus. "Da bin ich doch gern bereit, die Welt zu retten", sagt der leutselig.
"Welt retten – machen wir aber nicht nach Büroschluss." Der Therapeut hält das für einen Witz, aber das ist Odins Ernst.
"Welt retten immer vormittags zwischen 9 und 11 Uhr. Muss genügen." Bei Odin ist irgendwie die Luft raus.
"Dienst nach Vorschrift, häh?" Er geht auf meine Stichelei nicht ein.
"Ja, dann bis nächste Woche." "Kann sein, dass ich Zeus mitbringe. Eventuell ein paar Opfergaben bereithalten." "Okidoki." Der Therapeut wirkt recht aufgekratzt. Er legt ein Häufchen Pillen beiseite. "Die sind für Zeus. Ich könnte ihm auch Viagra besorgen." "Das wird nicht nötig sein, Heras Tobsuchtsanfälle sind jetzt schon legendär. Die Seitensprung-Quote sollte nicht steigen."
Wir lassen ihn mit den Tauben allein. "Tauben sind gut. Tauben haben Aschenputtel den Erfolg gebracht", hören wir beim Hinausgehen.
Was viele nicht wissen: Hades hat nicht nur eine Tarnkappe, er hat auch die entsprechende Brille dazu: Damit kann man das Unsichtbare sehen – eignet sich vorzüglich zur Erkundung der Geisterwelt – und man sieht jede Menge Aliens, die im Unsichtbarkeits-Modus unter uns weilen. Prädatoren und auch deren Beute sind beide gleichermaßen darauf aus, unsichtbar zu sein; man möchte sich tarnen, anpassen, unauffällig sein. So auch die Aliens, mit denen ich versuche, ins Gespräch zu kommen. Dank der Hades-Brille ist es mir ein Leichtes, sie während des Interviews im Auge zu behalten. Was sind ihre Absichten, wie lange wollen sie noch bleiben? Fiepende Geräusche als Antwort.
"Hattet Ihr keine Lust, unsere Sprache zu lernen?", herrsche ich sie an. Einschüchterung ist immer gut, zumal mein Hund seine ihm zugedachte Rolle als Bodyguard nicht ernst zu nehmen scheint. Er lässt sich von den Aliens kraulen.
"Sorry, wir sind es nicht gewohnt, dass man uns sehen kann. Aber ich habe jetzt den Übersetzer eingeschaltet und die Unterhaltung sollte jetzt problemlos funktionieren." Er guckt sehr optimistisch.