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Cornelia Lotter

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Beschreibung

Ein Mann wird erschossen in der Wohnung einer Prostituierten aufgefunden. War er ein Zuhälter oder ein Freier? Und wo ist die ukrainische Prostituierte hin? Diesmal geht es tief hinein in das Rotlichtmilieu. Kirsten Stein und Martin Bender haben es mit Menschenhandel, Zwangsprostitution, Loverboys und Crystal Meth zu tun.

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Cornelia Lotter

 

 

 

Hurenlohn

 

Ki und der Preis der Liebe

 

 

2. digitale Auflage 2016

© 2014 Cornelia Lotter

Wiebelstraße 6, 04315 Leipzig

[email protected]

www.autorin-cornelia-lotter.de

 

E-Book Erstellung: mybookMakeUp.com

Covergestaltung: Tanja Prokop

unter Verwendung eines Fotos vonpexels.com

 

Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Über die Autorin

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Nachwort

Das Buch

 

Ein Mann wird erschossen in der Wohnung einer Prostituierten aufgefunden. War er ein Zuhälter oder ein Freier? Und wo ist die ukrainische Prostituierte hin?

 

Diesmal geht es tief hinein in das Rotlichtmilieu. Kirsten Stein und Martin Bender haben es mit Menschenhandel, Zwangsprostitution, Loverboys und Crystal Meth zu tun.

 

„Hart, realistisch und vollkommen authentisch entführt Cornelia Lotter den Leser in die Tiefen der Prostitution und Perversion mancher Menschen.“ (Lesermeinung)

Über die Autorin

 

Cornelia Lotter wurde in Weimar geboren, wuchs in der Nähe auf und studierte in Meiningen Lehramt. Nach zwei Jahren im Schuldienst entschloss sie sich, einen Ausreiseantrag zu stellen und wechselte deshalb als Pflegerin in ein christliches Alterspflegeheim. 1984 durfte sie nach Tübingen übersiedeln, wo sie eine Umschulung zur Industriekauffrau absolvierte. Bis 2014 arbeitete sie als Sekretärin. Seit 2015 ist sie als Freie Autorin tätig.

 

"Hurenlohn" ist der 5. Fall für die Leipziger Ermittler Kirsten Stein und Martin Bender.

 

Cornelia Lotter veröffentlicht unter insgesamt 5 Pseudonymen sowohl in Verlagen als auch als Self-Publisherin.

 

Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller, im Syndikat und im Selfpublisher-Verband.

Prolog

 

Der Nachhall des Schusses dröhnt in den Ohren. In der Luft hängt ein beißend-brenzliger Geruch. Meine Knie zittern. Ungläubig schaue ich auf den Mann, der bäuchlings auf dem Bett liegt. In seinem nackten Rücken ein kleines Loch. Darum ein schwarzer Rand. Und Punkte. Mein Blick fällt auf den Gürtel, der noch immer um seine Hand geschlungen ist. Der Gürtel, dessen Bekanntschaft meine Haut mehr als einmal gemacht hat.

Sein Gesicht ist seitwärts gedreht, nur ein Auge ist zu sehen. Es blickt mich an. In ihm ist keine Verachtung mehr, keine Kälte. Nur Staunen. Auch ich staune. Ist die Qual jetzt wirklich vorbei? Kann ich jetzt endlich nach Hause?

Starr stehe ich am Bett, unfähig mich zu rühren. Die roten Plüschvorhänge verschwimmen. Ebenso wie die Plastikrosen in der Vase. Die noch von meiner Vorgängerin stammen.

Ein Geräusch von draußen lässt mich zusammenzucken. Werden sie jetzt kommen und mich holen?

1. Kapitel

 

6 Monate früher

 

Wir sitzen auf Kartoffelsäcken auf der Ladefläche eines Kamaz. Wir, das sind Olga, Swetlana, Natascha und ich. Der LKW rumpelt über Feldwege; längst hat er die Straße verlassen. Seit vielen Stunden hocken wir schon hier drin. „Wenn wir kontrolliert werden, versteckt euch hinter den Säcken!“, hatte uns Boris eingeschärft. Sicher schaue ich genauso ängstlich ins Halbdunkel wie die drei Frauen. Frauen, die fast noch Mädchen sind. Frauen, die wie ich hoffen, in Deutschland genug Geld verdienen zu können, um ihre Familien daheim, in Mariupol oder woher die Mädchen auch immer kommen, unterstützen zu können. Ich kenne die drei Frauen nicht. Nur unsere Vornamen haben wir uns genannt.

Vorn im Fahrerhaus sitzt mein Onkel Boris. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich die Möglichkeit haben werde, in Deutschland zu arbeiten. Nachdem unser Dorf Lebedynske in der Nähe von Mariupol am Freitag vor einer Woche mit Mörsergranaten beschossen worden war und auch unser Haus zerstört wurde, hat meine Mutter und Oleg, mein fünfjähriger Sohn, Zuflucht bei Verwandten in der Stadt gefunden. Im Nachbarhaus sind zwei kleine Jungen getötet worden. Bevor wir gegangen sind, haben wir noch an der Beerdigung teilgenommen. Es war ein roter und ein blauer Sarg. Die Familie war genauso fassungslos wie wir alle. Auch sie sind weggegangen. Für immer. Doch auch in Mariupol herrscht Angst vor einer Einnahme der Stadt durch die Russen. Überall Schilder, die auf die Schutzbunker hinweisen. Ganze Lebensmittelgeschäfte sind leergekauft. An Tankstellen lange Schlangen und Staus an der Ausfahrt Richtung Westen. Wer kann, flieht vor der herannahenden Front.

Für immer können Mamutschka und Oleg dort in der kleinen Wohnung auch nicht bleiben. Die Lebensmittel werden knapp, es ist kein Geld da. Auf dem Schwarzmarkt kostet alles ungeheuer viel. Der Winter steht vor der Tür, wir wissen nicht, ob wir heizen können oder ob uns die Russen das Gas wieder abdrehen werden. Irgendwann, wenn der Krieg endlich zu Ende ist, wollen wir unser Haus wieder aufbauen. Doch dafür brauchen wir Geld.

„Ich kenne jemand in Leipzig, der kann dir Arbeit beschaffen“, hat Boris eines Tages zu mir gesagt. „Wie soll ich nach Leipzig kommen?“, habe ich ihn gefragt. Ich kenne die Preise der Schleuser. Nie und nimmer hätte ich so viel Geld auftreiben können. „Mach dir darüber keine Sorgen“, beruhigte mich mein Onkel. „Ich strecke dir das Geld vor und du kannst es nach und nach abarbeiten. Da bleibt dir immer noch genug, um deine Familie zu unterstützen und für dein Haus zu sparen.“

Auf meine Frage, was für eine Arbeit das sei, hat er nur gesagt, dass ich mich schon daran gewöhnen werde. Das hat nicht gut geklungen. Ich bin nicht naiv. Ich bin auch nicht dumm. Ich habe Außenhandelskauffrau gelernt, kann Deutsch und Englisch fließend sprechen. „Das wird dir bei deinem Job helfen“, hat Boris gesagt. Was hätte ich tun sollen? Bei uns gibt es keine Arbeit. Oder wenn, dann verdiene ich so wenig, dass ich davon keine Familie ernähren kann. Der Vater von Oleg hat uns beizeiten verlassen, ich muss allein für meinen Sohn sorgen. Und für meine kranke Mutter dazu. Was habe ich für eine Wahl?

Ob die drei Mädchen ahnen, was ihnen bevorsteht? Ich klammere mich an meine Tasche. „Nimm nur das Nötigste mit!“, hat Boris gesagt, „du kannst alles, was du brauchst, dort kaufen!“ Das Nötigste. Was ist das? Beim Bombardement unseres Hauses ist das meiste in Feuer und Rauch aufgegangen. Meine ganzen Bücher, viele Sachen, Fotoalben. Meine Hand schlüpft in die Tasche und sucht nach dem abgegriffenen Ledereinband des einzigen Büchleins, das ich auf diese Reise ins Ungewisse mitgenommen habe. Es sind die Gedichte von unserem Nationaldichter Schewtschenko. Ein kleines Buch, das schon immer in unserem Bücherschrank gestanden hat. Auch Schewtschenko musste in die Fremde, genau wie ich.

Das Auto hält. Wir wissen nicht, warum und kauern uns ganz hinten auf den Boden. Jemand öffnet die Ladeklappe und schlägt die Plane zurück. „Aussteigen!“, befiehlt er. Ich atme auf. Es ist die Stimme von Boris. „Hier ist die polnische Grenze, ihr geht jetzt allein mit Igor weiter. Er bringt euch rüber. Er kennt den Weg.“

Als Boris mich umarmt, flüstert er mir zu. „Denk an Oleg, bei allem, was du tust!“ Es klingt wie eine Drohung.

2. Kapitel

 

Kriminalhauptkommissar Martin Bender stieg die ausgetretenen Holzstufen hinauf. Schon unten an den Klingelschildern hatte er gesehen, dass dies eines der vielen Häuser in Leipzig war, in dem Prostituierte in Wohnungen ihrem Gewerbe nachgingen. Nur die Vornamen hatten auf drei Schildern gestanden. Geschrieben mit ungelenker Hand. Das einzige, was ihn nun wunderte, war die Tatsache, dass es sich laut Leitstelle bei der Leiche, die er gleich sehen würde, um eine männliche handeln sollte.

Bevor er die Wohnung betrat, schlüpfte er in den weißen Schutzanzug, streifte die Überzieher über seine Schuhe und zog die Handschuhe an. Dann stülpte er sich die Kapuze über den Kopf und schloss den Reißverschluss bis zum Kinn. Schließlich war er hier nicht in einem der unsäglichen Krimis, die im Öffentlich-Rechtlichen zur besten Sendezeit dem Zuschauer ein völlig falsches Bild von der Ermittlungsarbeit der Polizei zeigten. Wann würde auch der letzte Drehbuchautor lernen, dass es keinen Durchsuchungsbefehl gab? Und dass die Leichen nicht in die Pathologie, sondern in die Rechtsmedizin kamen? Seufzend betrat er den Flur der Wohnung, in der schon die Kollegen der Spurensicherung beschäftigt waren. Die Wohnung entsprach in allem dem Klischee einer Prostituiertenwohnung: Überall Herzen, Girlanden mit bunten Lämpchen, Plastikblumen und die dominierende Farbe Rot. Im Schlafzimmer, das wohl eher als Arbeitszimmer bezeichnet werden musste, die Leiche. Der Mann lag mit unbekleidetem Oberkörper auf dem Rücken, doch einen Meter rechts neben ihm war ein Blutfleck von der Größe eines Handballs. „Haben Sie die Leiche umgedreht?“ Die Rechtsmedizinerin verneinte. „Er lag schon so da. Aber Sie haben Recht. Jemand muss ihn umgedreht haben.“

Neben der rechten Hand des Toten lag ein Ledergürtel. Nach der Einschätzung der Medizinerin zur vorläufigen Todesursache musste Bender angesichts der Austrittsöffnung des Geschosses, die relativ mittig neben dem Brustbein zu sehen war, also nicht fragen. Anders der Zeitpunkt. „Der Rigor mortis ist vollständig ausgeprägt. Ich würde sagen gestern zwischen achtzehn und einundzwanzig Uhr.“ Der Mörder hatte also gut vierundzwanzig Stunden Vorsprung. „Wer hat die Leiche gefunden?“

Ein Kollege der Schutzpolizei antwortete ihm: „Die Nachbarin hat sich beschwert, weil ein Kunde lautstark Einlass begehrt hat. Daraufhin ist eine Streife vorbei gefahren, um nach dem Rechten zu sehen. Der Freier – denn um einen solchen handelte es sich – sagte aus, dass er für zwanzig Uhr einen Termin gemacht hat. Mit wem genau konnte er nicht sagen, es war ein Mann am Telefon, nachdem er die angegebene Nummer angerufen hatte und hat ihm diesen Termin gegeben. Nun hat aber niemand geöffnet, deshalb hat er randaliert. Die Nachbarin fand das komisch, dass niemand geöffnet hat, weil, nach ihren Angaben, immer jemand in der Wohnung gewesen sei. Daraufhin hat die Streife die Zentrale verständigt und den Schlüsseldienst gerufen.“ Bender bedankte sich für die Informationen und rief den diensthabenden Staatsanwalt an. Er wusste, dass sich in solchen Fällen die Staatsanwaltschaft immer gern selbst ein Bild vom Tatort machte. Dann klingelte er bei der Nachbarin.

Nach dem Gespräch war er auch nicht viel schlauer. „Es ist komisch“, hatte die Nachbarin gesagt, „ich habe sie zwar noch nie gesehen, aber ich bin sicher, dass in der Wohnung eine Frau lebte. Die Wände hier sind recht dünn, und man hört die Klospülung oder den Fernseher. Manchmal“, und hier stockte die Stimme der Frau, „habe ich auch das Weinen oder die Schreie einer Frau gehört.“ Sie sah zu Boden. Wahrscheinlich konnte sie sich denken, welche Frage Martin Bender auf der Zunge lag. Wie ignorant konnten Menschen nur sein, die das Leid ihrer Nächsten zwar mitbekamen, aber zögerten, Hilfe zu holen. Hier ist nicht die Prostituierte tot, rief sich Bender ins Gedächtnis. Er zeigte der Zeugin ein Foto des Toten, das er mit seinem Handy gemacht hatte. Die Nachbarin nickte. „Ja, den kenne ich. Er ist jeden Tag gekommen. Oft mehrmals, meist in Begleitung von einem anderen Mann. Ich bin ihm auch schon im Fahrstuhl begegnet. Ein Ausländer, irgendwo aus dem Osten.“

„Haben Sie gestern Abend zwischen Achtzehn und Einundzwanzig Uhr etwas Auffälliges gehört?“

Die Frau überlegt kurz. „Da war ich nicht da. Ich habe meine Tochter in Markkleeberg besucht.“ Bender bedankte sich und bat die Frau, sich zu melden, wenn ihr etwas einfallen würde.

War der Tote ein Freier oder ein Zuhälter gewesen? Papiere oder Handy hatte er nicht bei sich, was eine Identifizierung erschwerte. Allerdings hatte die Spusi jede Menge Fingerabdrücke in der Wohnung sichergestellt und die Abdrücke des Opfers würden sie vielleicht in der SIS II-Datenbank finden, wenn es sich um einen Zuhälter handeln sollte. Dieses Informationssystem, in dem alle relevanten Daten über Straftäter im Bereich des Schengen-Raumes gesammelt waren, wurde immer wichtiger, um international operierende Kriminelle aufzuspüren. Auch das Foto des Opfers würden sie mit den dort gespeicherten abgleichen.

Die Spurenlage bei Verbrechen im Rotlichtmilieu war stets mehr als ausreichend. Was jedoch eine Zuordnung erschwerte, war die schiere Menge der gefundenen DNA-Spuren.

Der Freier, der nun, statt seinen Spaß zu haben, mit der Polizei konfrontiert wurde, saß in einem der Polizeiwagen, die unten vor dem Haus standen. Die Schupos hatten den Eingangsbereich des Hauses abgesperrt und waren dabei, die Schaulustigen im Zaum zu halten und zu fotografieren. Nicht selten kam es vor, dass der Täter sich das Spektakel aus der Nähe ansah. Bender zog die Autotür auf und setzte sich dem Mann gegenüber. Er wollte sich selbst ein Bild von ihm machen. Auch wenn die Kollegen seine Aussage längst aufgenommen hatten.

„Sie hatten also einen Termin mit der Bewohnerin der Wohnung?“

Der etwa Fünfzigjährige nickte. „Wie lief das ab? Woher hatten sie ihre Kontaktdaten?“

„Eine Anzeige in der LVZ. Sie wissen schon: Natascha verwöhnt dich. Oder so was in der Art.“

Ja, Bender kannte diese Anzeigen. Sie waren ihm ein immerwährender Dorn im Auge. Seit der Reform des Prostitutionsgesetzes hatten sie nicht nur quantitativ überhandgenommen, sondern ihr Inhalt war oft überdeutlich.

„Und Sie haben die Nummer angerufen?“

„Ja.“

„Jetzt lassen Sie sich doch nicht alles aus der Nase ziehen! Wie lief es weiter ab?“

Der Mann fühlte sich sichtlich unwohl. Er knetete seine fleischigen Finger. „Ein Mann war dran. Er sprach mit Akzent. Irgendwas Osteuropäisches. Er hat gefragt, wann ich kommen will. Ich hab gesagt, morgen um Acht. Er hat kurz überlegt, dann hat er gesagt, dass es okay ist. Er würde unten auf mich warten und mich in die Wohnung bringen. Das war’s.“

„Wie hieß die Frau in der Anzeige?“

„Natascha.“

„Können Sie mir die Nummer geben, die Sie angerufen haben? Die müssten Sie ja noch in Ihrem Handyspeicher haben.“

Der Mann zog sein Handy aus der Jackentasche, tippte darauf herum und diktierte Bender dann eine Nummer.

„Waren Sie das erste Mal in dieser Wohnung, oder kannten Sie Natascha schon?“

„Ich wollte das erste Mal zu ihr.“

„Gut, Ihre Personalien haben wir ja. Sie können dann gehen.“

Erleichtert stieg der Freier aus. Martin Bender wählte sofort die Nummer, die dieser ihm gegeben hatte. Es meldete sich nur die automatische Bandansage, die verkündete, dass der Empfänger nicht erreichbar sei. Bender rief im Kommissariat an und bat um eine Überprüfung der Nummer. Auch, wenn er sich nicht allzu viel von der Aktion versprach, wollte er doch nichts unversucht lassen. Über eine Funkzellenauswertung müsste ein Richter entscheiden. Doch wahrscheinlicher war, dass der oder die Täter das Handy ebenso wie die Waffe einfach entsorgt hatten.

Er ging ins Haus zurück, um bei den anderen Prostituierten zu klingeln. Vielleicht wüssten die ja etwas über ihre Kollegin oder kannten den Toten. Auf sein Klingeln an den Türen rührte sich nichts. Ganz sicher hatten die Frauen etwas von dem Aufruhr im Haus mitbekommen und stellten sich tot. Bender war sicher, dass in diesen Wohnungen viele ihre Dienste anboten, die illegal im Land waren oder gegen die Auflagen der Meldebehörden verstießen. Seit den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine waren auch jede Menge Frauen von dort hierher geschleust worden, um für ihre Familien in der Heimat das Überleben zu sichern. Es war allerdings seit der Änderung des Prostitutionsgesetzes 2002 schwierig nachzuweisen, ob die Frauen freiwillig oder gezwungenermaßen ihrem Geschäft nachgingen. Er würde auf jeden Fall das Kommissariat für Sexualdelikte mit in die Ermittlungen einbeziehen.

Martin Bender griff zum Handy und berief für den nächsten Morgen 9 Uhr die erste Besprechung ein.

3. Kapitel

 

Ki hatte sich mit ihrem neuen Klienten im Johanna-Park verabredet. Sie mochte diesen Park mit seinen japanisch anmutenden Holzbrücken, den Trauerweiden und schattigen Wegen besonders im Winter. Wenn keine Kinder den Spielplatz bevölkerten, sie sich nicht der Leere in ihrem Leben bewusst wurde und ihre Blicke nicht nach Männern Ausschau hielten, die allzu auffällig den Kindern beim Klettern zusahen.

Mark Aubrich kam mit tief in den Manteltaschen vergrabenen Händen und nach vorn gedrückten Schultern auf sie zu. Seine grüne Wollmütze hatte er in die Stirn gezogen. Die runde Nickelbrille lenkte den Blick auf seine Augen, die dunkel waren vor Trauer. Sein Gesicht hatte eine ungesunde graue Farbe, die durch das Grün der Mütze noch betont wurde. Er drückte Kis Hand und murmelte eine Begrüßung.

Sie gingen die ersten Minuten schweigend die aufgeweichten Wege entlang. Der letzte Schnee war weggetaut, die Tage waren ungewöhnlich mild für Februar. Ki sehnte den Frühling herbei. Schließlich räusperte sich der Mann und begann zu sprechen. „Meine Frau und ich sind seit fünf Jahren geschieden. Zuerst hat meine Tochter bei ihrer Mutter gelebt. In der Pubertät hat es aber allzu oft gekracht zwischen den beiden und Stefanie wollte zu mir ziehen. Ich hatte nichts dagegen, ich habe meine Tochter immer geliebt und die Trennung von ihr hatte mich sehr mitgenommen. Also wohnt Stefanie seit zwei Jahren bei mir. Natürlich war auch unser Zusammenleben nicht immer eitel Sonnenschein. Sie wissen ja, wie so ein junger Mensch tickt. Grenzen austesten, sich ausprobieren, Jungs, all das.“

Mark Aubrich stockte. Ki ließ ihm die Zeit, wieder den Faden aufzunehmen. „Irgendwann dann begann sie sich wirklich zu verändern. Es muss so um ihren siebzehnten Geburtstag herum gewesen sein. Sie zog sich auffällig nuttig an, schminkte sich völlig übertrieben, schwänzte die Schule. Alle Gespräche mit ihr, auch von Seiten ihrer Mutter, fruchteten nichts. Ich kam einfach nicht mehr an sie ran. Sie lebte ihr eigenes Leben, ließ sich von niemand mehr reinreden. Ich vermutete, dass sie einen Freund hatte. Manchmal waren ihre Pupillen so groß, dass ich sicher war, sie nimmt Drogen.“

Wieder stockte der Mann. Zögernd fuhr er fort. „Einmal, da habe ich sie gesehen. Vor dem Bahnhof, mit einem Typen. An dem hing sie dran wie eine Nutte. Ich habe mir überlegt, ob ich hingehen, sie von dort wegzerren soll. Aber ich habe mich nicht getraut.“

Ki unterbrach ihn. „Und jetzt ist sie verschwunden?“

Mark Aubrich nickte. „Ja, seit ihrem achtzehnten Geburtstag vor einer Woche habe ich sie nicht mehr gesehen. Ihre Klamotten sind weg und sie auch. Ich fürchte, sie ist da in was reingerutscht, aus dem sie nicht aus eigener Kraft wieder rauskommt. Deshalb habe ich mich entschlossen, einen Detektiv zu beauftragen.“

„Ist sie schon öfter ausgerissen?“ Mark Aubrich schien die Frage unangenehm zu sein. „Ja, auch schon, als sie noch bei ihrer Mutter lebte. Aber dann war sie nach einer oder zwei Nächten immer wieder da.“

Ki ließ sich ein aktuelles Foto des Mädchens geben und die Telefonnummer ihres Handys. Das Foto zeigte eine sehr gut aussehende junge Frau mit blonden lockigen Haaren, deren Spitzen ihr ins Gesicht fielen. Unter dem linken Auge hatte sie einen Leberfleck. Ki informierte ihren Auftraggeber noch über die Konditionen und versprach, sich täglich bei ihm zu melden, um ihn über die neuesten Erkenntnisse zu informieren. „Eines muss Ihnen aber klar sein“, sagte sie zum Schluss zu dem verzweifelten Vater, „wenn Ihre Tochter nicht einsichtig ist und ihr Leben – wie immer es auch sein mag – so weiterleben will, können weder Sie, noch ich, noch die Polizei etwas daran ändern.“

Als Mark Aubrich sich verabschiedet hatte, ging Ki noch weiter Richtung Clara-Zetkin-Park, um ihre Gedanken zu sortieren. So, allein unter einer kalten Februarsonne, die doch schon die Ahnung des Frühlings in sich barg, konnte sie am besten nachdenken. Die Fontäne im See war, wie immer im Winter, abgeschaltet, das Eis auf dem Wasser zeigte bereits Risse.

Ihr erster Gedanke galt den Loverboys. Sie wusste, dass diese Männer wesentlich jüngere Mädchen von sich abhängig machten, um sie dann in die Prostitution zu zwingen. Abhängig nicht von Drogen oder Alkohol – auch wenn Suchtmittel allzu oft eine Rolle spielten – sondern abhängig von ihren Gefühlen. Sie spielten ihnen die große, einzig wahre Liebe vor, nur um sie dann, wenn sie sich ihrer sicher waren, an andere Männer zu verkaufen. Meist kamen die Mädchen aus dieser emotionalen Abhängigkeit von selbst nicht wieder heraus. Ihre „Freunde“ waren Meister im Schauspielern und Manipulieren. Irgendwann ging es nur noch nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche.

Ki dachte an eine andere, ähnliche Form der Abhängigkeit, mit der sie in Ägypten konfrontiert worden war. Auch dort wurden Frauen von Männern mit Liebesschwüren eingelullt, bis sie ihnen alles gaben. Geld, Geschenke, Heirat und schließlich die ersehnte Aufenthaltserlaubnis im Gelobten Land. Wieso nur lassen Frauen das mit sich machen?, fragte sie sich wieder einmal. Doch gleich darauf dachte sie an ihre eigene Vergangenheit und rief sich ins Gedächtnis, wie sie in Berlin ihr Geld verdient hatte. Und auch ihre unglückselige Beziehung zu Fred war nicht gerade Ausdruck selbstbestimmten Handelns gewesen.

Ki lenkte ihre Gedanken wieder zu dem konkreten Fall und legte sich einen Schlachtplan zurecht. Zuerst würde sie versuchen, eine Freundin von Stefanie ausfindig zu machen. Eine, die mitbekommen hatte, wie alles anfing. Ki wusste, auf welche Schule Stefanie gegangen war, bevor sie ganz aufgehört hatte, am Unterricht teilzunehmen. Ihre Klassenkameraden würden jetzt in der 12. Klasse sein und bald ihr Abitur machen. Sie würde vor der Schule warten und hoffentlich eine auskunftsbereite Freundin finden. Außerdem würde sie über das Thema Loverboys mit Margret von der Sitte sprechen. Normalerweise würde sie die Freundin am Abend beim Training wiedersehen. Doch sie hatte sich krank gemeldet.

Und sie würde Geraldine besuchen. Die alte Freundin aus Berliner Zeiten, die auf Drängen und mit Hilfe Kis einen Ausstieg aus dem Prostituiertenmilieu geschafft hatte und jetzt in einem Altenheim arbeitete, kümmerte sich ehrenamtlich bei dem Verein Kobranet um hilfesuchende Prostituierte. Geraldine hatte dadurch immer noch ein Ohr am Geschehen im Rotlichtmilieu und könnte sich vielleicht einmal umhören. In jedem Fall war ein Besuch ohnehin schon lange überfällig.

Mit festem Schritt überquerte Ki die Ferdinand-Lassalle-Straße und ging in Richtung Käthe-Kollwitz-Straße. Von dort würde sie mit der Straßenbahn nach Hause fahren. Sie freute sich auf das Training, darauf, mit ihren Partnern und den Stöcken an ihren Bewegungsabläufen zu arbeiten. Mittlerweile hatte sie Dayang Isa, den 1. Dan, und ab und zu leitete sie schon selbst das Training. Dazu hatte sie die Übungsleiterlizenz C ablegen müssen.

---ENDE DER LESEPROBE---