Ich, Athene, und die mutigen Frauen aus Olympia - Frank Schwieger - E-Book

Ich, Athene, und die mutigen Frauen aus Olympia E-Book

Frank Schwieger

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Beschreibung

Starke Frauen gab es auch in der Antike – Athene & Co. packen aus! Athene, Göttin der Weisheit und Tapferkeit, ist reichlich geladen. Immer wollen die Männer alles bestimmen, alleine regeln und von ihren Abenteuern prahlen: der alte Grummelkopf Zeus oder der Trickser Odysseus. Doch damit ist jetzt Schluss! Denn schließlich gibt es im alten Griechenland genauso viele kluge Frauen, die spannende Abenteuer erlebt und mutige Taten vollbracht haben! Darum hat Athene einige der Klügsten und Mutigsten von ihnen zusammengerufen: die trickreiche Aphrodite, die furchtlose Antigone, die selbstlose Baukis, die entschlossene Atalante, die sportliche Kydippe. Nun sind sie es, die ihre Geschichte aufschreiben und von ihren Heldentaten berichten …

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Seitenzahl: 236

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Über das Buch

Endlich kommen die Frauen zu Wort!

 

Athene, Göttin der Weisheit und Tapferkeit, ist reichlich geladen. Immer wollen die Männer alles bestimmen, alleine regeln und von ihren Abenteuern prahlen. Doch damit ist jetzt Schluss! Denn schließlich gibt es im alten Griechenland genauso viele kluge Frauen, die spannende Abenteuer erlebt und mutige Taten vollbracht haben! Darum hat Athene einige der klügsten und mutigsten von ihnen zusammengerufen: die furchtlose Helle, die sportliche Atalante, die entschlossene Antigone, die wunderschöne Aphrodite ...

 

Das Freundschaftsbuch aus dem alten Griechenland: Hier berichten Athene & Co. live und unverblümt von ihren Abenteuern.

 

 

Von Frank Schwieger sind außerdem bei dtv lieferbar:

Kinder unterm Hakenkreuz

Ich, Aladin, und die Helden aus 1001 Nacht

Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten

Ich, Odysseus, und die Bande aus Troja

Ich, Kleopatra, und die alten Ägypter

Ich, Merlin, und die furchtlosen Ritter

Ich, Odin, und die wilden Wikinger

Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp

Ich, Caesar, und die Bande vom Kapitol

Der Schiffsjunge der Santa Maria

Die Rache des Gladiators

Das Löwenamulett

Flucht aus Rom

Frank Schwieger

Ich, Athene, und die mutigen Frauen aus Olympia

Live aus dem alten Griechenland

Mit Illustrationen von Ramona Wultschner

Unter uns: Es sind nicht nur Zeus und die anderen Götter auf dem Olymp, die mir gewaltig auf den Keks gehen. Es sind auch die Männer auf der Erde, die mich wütend machen: Immer wollen sie alles bestimmen, immer mit ihren ach so spannenden Abenteuern prahlen und am liebsten dicke Bücher darüber schreiben. Und immer glauben sie, wir Frauen könnten gar nichts und sollten am besten zu Hause bleiben und uns um das Essen und die Kinder kümmern. Das ist doch unfassbar, oder? Dabei haben Mädchen und Frauen zu allen Zeiten mindestens genauso großartige Taten vollbracht wie die unsterblichen Götter und die sterblichen Männer.

Darum habe ich einige der klügsten und mutigsten Frauen aus dem alten Griechenland gebeten, ihre Geschichte aufzuschreiben (dafür musste ich sogar in die Unterwelt hinabsteigen). Ich habe mich dann in eine einfache Frau verwandelt, in dem kleinen Städtchen Olympia ein Zimmer gemietet (Zeus sollte von der Sache nichts mitbekommen) und dort ein Buch aus all diesen wunderbaren Geschichten gemacht. Iris, die Götterbotin, hat es durch Raum und Zeit einem Typen gebracht, der sich Autor nennt. Der soll ziemlich verdattert gewesen sein, als die junge Göttin in ihrem glitzernden Regenbogenkleid plötzlich vor seiner Tür stand. Aber was sollte er machen? Es war immerhin ein göttlicher Auftrag, den ich ihm erteilt habe: Übersetze mein Buch in deine Sprache und sieh zu, dass es möglichst viele und möglichst junge Menschen lesen! Damit die endlich kapieren, dass Frauen und Mädchen genauso stark, mutig und klug sind wie Männer.

Ich hoffe sehr, dass dieser Autortyp seinen Job gut gemacht hat. Sonst müsste ich ihm demnächst einen Besuch abstatten. Und das will er ganz bestimmt nicht …

 

Deine

Dies ist meine Geschichte

Ich bin bei einer waschechten Kopfgeburt auf die Welt gekommen, wahrscheinlich bei der einzigen Kopfgeburt, die es jemals gegeben hat. Ich bin nämlich aus dem Kopf meines Vaters herausgesprungen. In voller Rüstung. Du glaubst mir nicht? Dann lies weiter.

Vor der Hochzeit mit Hera war Zeus schon einmal verheiratet gewesen. Seine erste Frau hieß Metis. Sie war eine unglaublich kluge Titanin, die Tochter der Meeresgottheiten Tethys und Okeanos. Als Metis schwanger war, bekam Zeus Besuch von der alten Erdmutter Gaia. Und die prophezeite ihm nichts Gutes: »Hör gut zu, Zeusilein«, sagte sie. »Sollte deine Frau einen Sohn bekommen, dann wird der stärker und mächtiger werden als du und dich ruckzuck von deinem Götterthron stoßen. Sollte sie aber eine Tochter auf die Welt bringen, wird diese genauso klug und weise werden wie ihre Mutter Metis, also fünfmal klüger als du.«

Das war natürlich keine Prophezeiung, über die Zeus sich gefreut hat. Zeus ist ziemlich eitel, musst du wissen. Ein stärkerer Sohn? Eine klügere Tochter? Das hätte er unmöglich ertragen. Er wollte ganz sichergehen und hat seine Frau darum einfach mit einem großen Happs verschlungen. Furchtbar, nicht wahr? Und unappetitlich. Aber Götter können so etwas. Noch verrückter war, dass Metis diesen Happs überlebt hat. Aber sie ist ja eine unsterbliche Titanin. Sie lebte in Zeus weiter und ihre Weisheit ging auf ihn über. Wie auch immer das geschehen konnte. Aber so wurde Zeus ein wirklich kluger Gott. Und die Kinder in Metis’ Bauch wuchsen heran. Ja, du hast richtig gelesen. Metis erwartete Zwillinge, einen Sohn und eine Tochter.

Einige Monate später bekam Zeus furchtbare Kopfschmerzen, sein göttlicher Schädel dröhnte tagelang wie die Werkstatt des Schmiedegottes unter dem Vulkan Ätna. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und rief seinen Sohn Hephaistos zu Hilfe. Ja, inzwischen hatte seine zweite Frau Hera ihm einen Sohn geschenkt. Hephaistos öffnete seine Werkzeugkiste, holte eine gewaltige Axt hervor und spaltete damit Zeus’ Schädel. Aus der Spalte sprang ich heraus, in voller Rüstung mit Helm und Speer. Zeus schüttelte sich kurz, rieb sich den Kopf, der Spalt wuchs wieder zu und die Kopfschmerzen verschwanden.

»Danke, mein Sohn«, sagte er zu Hephaistos. Und zu mir sprach er: »Willkommen, Töchterchen! Du sollst Athene heißen.«

Ich muss schon an meinem ersten Tag reichlich beeindruckend ausgesehen haben. Helios, der Lenker des Sonnenwagens, erzählte mir später, dass er an diesem Tag seinen Wagen eine ganze Stunde lang angehalten hatte, um mich in Ruhe vom Himmel aus bewundern zu können.

Was aus meiner Mutter und meinem Bruder wurde? Tja, die blieben in Zeus. Und da sind sie immer noch. Ich denke, dass es ihnen da gar nicht so schlecht geht. Im Körper des Götterkönigs zu leben kann so übel nicht sein. Allenfalls etwas dunkel …

Zeus war kein besonders guter Vater, das muss ich schon sagen. Er hat sich, wenn ich ehrlich bin, eigentlich gar nicht um mich gekümmert. Ich hoffe, dein Vater hat mehr Zeit für dich! Na ja, aber ich war ja schon nach wenigen Tagen ausgewachsen, eine richtige Kindheit hatte ich nicht. Und außerdem ist Zeus als Götterkönig immer schwer beschäftigt, er muss sich um alles Mögliche und Unmögliche kümmern, da bleibt nicht viel Zeit für die Erziehung seiner vielen Kinder.

Als junge Frau verbrachte ich einige Zeit im Haus einer anderen Familie und freundete mich dort mit Pallas an, die etwa in meinem Alter war. Pallas war die Tochter des Meeresgottes Triton. Ihre Mutter habe ich nie kennengelernt, sie hatte die Familie schon vor Jahren verlassen. Triton war ein freundlicher Geselle, auch wenn sein Äußeres etwas gewöhnungsbedürftig war. Obenherum sah er aus wie ein gewöhnlicher Mann. Doch hatte er die Vorderbeine und die Hufe eines Pferdes und hinten den Schwanz eines großen Fisches. Er hielt sich meistens im Meer auf, da fühlte er sich am wohlsten.

Pallas war meine beste Freundin. Im Umgang mit Lanze, Schild, Speer und Schwert war sie genauso geschickt wie ich. Wir liebten es, uns auf dem Hof vor ihrem Haus in der Kampfkunst zu messen. Natürlich achteten wir darauf, der anderen nicht wehzutun oder sie gar zu verletzen. Doch einmal ging es bei einem dieser Kampfspiele wohl etwas zu heftig zur Sache. Pallas und ich schlugen mit unseren Schwertern aufeinander ein, deckten uns mit unseren Schilden und keine von uns wollte aufgeben, obwohl wir beide schon reichlich verschwitzt und außer Atem waren. Diesen Kampf hat Zeus vom Olymp aus beobachtet – und sich eingemischt. Oh, hätte er sich doch zurückgehalten, er kümmerte sich ja sonst auch nie um mich! Aber er hatte sich Sorgen gemacht und befürchtet, dass Pallas mich verletzen könnte. Und darum schleuderte er vom Olymp aus die Aigis zwischen uns, die mich schützen sollte.

Die Aigis ist ein kleiner runder Brustpanzer aus der Werkstatt des Schmiedegottes Hephaistos. Sie besteht aus Holz, über das Hephaistos ein Ziegenfell gespannt hat, an dem zottelige Quasten hängen. Auf das Ziegenfell hat er den Kopf der Medusa gemalt. Medusa war eine Gorgonin, eine furchtbar hässliche Frau. Sie hatte Schlangenhaare, die Zähne eines Ebers, eine Stupsnase, einen Bart und eine Zunge, die immer heraushing. Jeder, der sie anschaute, erstarrte vor Schreck. Und so erging es leider auch meiner Freundin Pallas. Als die Aigis für einen winzigen Augenblick zwischen Pallas und mir in der Luft hing, erschreckte sich meine Freundin beinahe zu Tode und ließ ihren Schild sinken. Und im selben Moment traf sie der Hieb meines Schwertes.

Was soll ich noch sagen? Meine liebe Freundin Pallas starb kurz darauf in meinen Armen. Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie traurig ich war und welche Vorwürfe ich mir machte. Natürlich habe ich meinen Vater Zeus sofort zur Rede gestellt. Dem war Pallas’ Tod unangenehm, er hatte es ja nur gut gemeint. Er versprach, die Angelegenheit mit Triton zu besprechen. Und ich gelobte, mir für alle Zeiten einen zweiten Namen zuzulegen. Seit diesem schrecklichen Tag heiße ich nämlich Pallas Athene, zur Erinnerung an meine liebe Freundin. Zudem fertigte ich eine hölzerne Statue an, die mich darstellte und die ich Palladion nannte, auch zum Gedenken an meine Freundin.

Einige Zeit später bat mich der Titan Prometheus um Hilfe. Er hatte aus Erde und Ton seltsame Geschöpfe erschaffen. Sie sahen so aus wie wir Götter! Doch sie waren völlig leblos, lagen mit ausgestreckten Gliedern schlapp auf dem Boden herum.

»Was soll das sein?«, fragte ich Prometheus, nachdem er mir seine Geschöpfe voller Stolz gezeigt hatte.

»Ich nenne sie Menschen«, antwortete er. »Und ich habe ihnen Eigenschaften besorgt, und zwar von den Tieren. Von den Bienen habe ich mir den Fleiß genommen, von den Hunden die Treue, von den Eulen die Klugheit, von den Elefanten die Stärke, von den Delfinen die Fröhlichkeit, von den Löwen den Mut, von den Vögeln die Musikalität, von den Faultieren die Geduld, von den Kängurus die Sprunghaftigkeit. Diese und noch tausend andere Eigenschaften habe ich in ihre Brust gelegt. Ist das nicht wunderbar?«

»Aber sie sind ohne Leben«, wandte ich ein. »Und wahrscheinlich auch ohne Verstand.«

Prometheus grinste verlegen. »Das habe ich leider nicht geschafft, Athene. Darum habe ich dich gerufen.«

»Ich heiße Pallas Athene«, korrigierte ich ihn. »Was wird Zeus dazu sagen, wenn diese neuartigen Wesen plötzlich seine Erde bevölkern?«

»Er wird sich freuen«, antwortete Prometheus. »Und die anderen Götter auch, also auch du, Pallas Athene. Denn die Menschen werden euch verehren und euch schöne Opfer darbringen.«

»Nicht schlecht«, überlegte ich. »Die Tiere sind ja leider zu doof dafür. Ob diese Menschen auch Tempel und Altäre bauen und Gebete sprechen können?«

»Mit Sicherheit«, sagte Prometheus. »Einige von ihnen werden Priesterinnen oder Priester werden, die sich ganz besonders um euch Göttinnen und Götter kümmern.«

Damit hatte er mich restlos überzeugt. »Also gut«, stimmte ich ihm zu. »Dann werde ich mich gleich an die Arbeit machen.«

Ich ging zu den leblosen Wesen, die um uns herum auf dem Boden lagen, und hauchte ihnen durch den Mund Leben ein. Du fragst dich vielleicht, wie das geht. Das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß nur, dass ich es kann. Du kannst es ja mal mit deinem Teddy probieren. Wenn es klappt, sag mir Bescheid.

So erschufen ein Titan und eine Göttin mit vereinten Kräften die ersten Menschen. Die waren noch reichlich verwirrt und schauten sich mit großen Augen um, während Prometheus und ich sie belustigt beobachteten.

»Sie werden ausschwärmen und sich über die Welt verteilen«, sagte Prometheus stolz. »Vielleicht auch irgendwann das Meer erobern.«

Ich musste lachen. »Nur nicht übertreiben, mein titanischer Freund. Schau sie dir doch an, sie sehen aus wie nackte Affen. Wie sollen sie da das Meer erobern? Sie werden jämmerlich ertrinken.«

»Sie könnten Fahrzeuge aus Holz bauen«, schwärmte Prometheus. »Fahrzeuge, die schwimmen können. Später werden sie sich auch in die Lüfte erheben und sogar zum Mond fliegen.«

Ich schüttelte den Kopf und ließ Prometheus mitsamt seinen Geschöpfen stehen. Der Junge war wohl etwas verwirrt im Kopf, dachte ich damals. Aber seine Geschöpfe waren ihm durchaus gelungen, das musste ich zugeben. Dass er mit seinem Gerede recht behalten sollte, konnte ich an diesem Tag wirklich nicht ahnen.

Viele Jahrhunderte zogen ins Land. Tatsächlich breiteten sich die Menschen über die ganze Welt aus, beackerten das Land, zähmten Tiere, bauten Häuser und Tempel, Straßen und Plätze, sogar Fahrzeuge, mit denen sie über das Meer fuhren. Die nannten sie Schiffe. Und sie gründeten Dörfer und Städte. Dafür taten sich immer einige Menschen zusammen, angeführt von einem Mann, der sich König nannte, suchten sich eine schöne Stelle aus und begannen, Häuser zu bauen, Tiere zu halten und das Land zu beackern. Und sehr schnell suchten sie sich eine Gottheit aus, die sie besonders verehren und unter deren Schutz sie ihre junge Stadt stellen wollten.

Das führte bei uns auf dem Olymp dazu (dort hatte ich mir inzwischen von Hephaistos einen großen Palast bauen lassen), dass wir beständig Ausschau hielten und die Menschen beobachteten. Natürlich wollte jeder und jede von uns in möglichst vielen Tempeln und Städten verehrt werden. Auf dem Platz, um den herum unsere Paläste auf dem Olymp standen, war eine große Tafel aufgestellt, auf der Hermes fein säuberlich auflistete, welche Gottheit in welcher Stadt von wie vielen Menschen verehrt wurde. Ares, der Kriegsgott, und Hades, der König der Unterwelt, standen ganz unten auf der Liste. Diese beiden Götter sind bei den Menschen nicht gerade beliebt. Ebenso wenig Hades’ Ehefrau Persephone, die den drittletzten Platz einnahm. Ganz oben stand natürlich Zeus, daran ließ sich wohl nicht rütteln. Aber um den zweiten Platz gab es ein ständiges Gerangel, um den stritten sich nämlich Tritons Vater Poseidon und ich!

Mal konnte der Meeresgott ein paar Tempel mehr vorweisen, mal ich, die mächtige Pallas Athene. Wir beglückwünschten uns immer gegenseitig, wenn die Menschen wieder eine neue Stadt gegründet, einen neuen Tempel gebaut und den anderen als Schutzgottheit ausgewählt hatten. Doch hinter dem Rücken des anderen ärgerten wir uns natürlich, zertrümmerten wütend die Einrichtung in unserem Palast und schworen uns, dass die nächste Stadt und der nächste Tempel auf jeden Fall uns gehören würden.

In Griechenland gibt es eine besonders fruchtbare Gegend, eine lange Halbinsel, die an drei Seiten vom Meer umspült wird. Auf dieser Halbinsel wollten einige Menschen eine neue Stadt gründen. Ihr Anführer hieß Kekrops. Als sich diese Neuigkeit auf dem Olymp herumsprach, wurden Poseidon und ich sofort hellhörig. Die anderen Göttinnen und Götter waren zum Glück gerade irgendwo auf der Welt unterwegs und somit aus dem Rennen.

Poseidon und ich machten uns also sofort auf den Weg und flogen vom Olymp auf den staubigen Platz, den die Menschen zusammen mit ihrem Anführer Kekrops gerade angelegt hatten. Rundherum wollten sie ihre Häuser bauen. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie die Menschen uns anstarrten, als wir plötzlich in ihrer Mitte standen. Wir mussten nicht erklären, wer wir sind, sie erkannten uns sofort. Poseidon hatte triefnasses Haar und seinen Dreizack in der Hand, ich stand neben ihm in voller Rüstung, die Aigis auf meiner Brust, den Helm auf dem Kopf und die Lanze in der Hand. Einige Menschen fielen auf die Knie und wollten uns anbeten, doch wir bedeuteten ihnen, dass sie aufstehen und gut zuhören sollten.

»Kommen wir gleich zur Sache«, begann Poseidon und klopfte mit seinem Dreizack auf die trockene Erde. »Ihr braucht einen Schutzgott.«

»Oder eine Schutzgöttin«, fiel ich ihm ins Wort.

Poseidon grummelte etwas Unverständliches und fuhr dann fort. »Ihr habt die Wahl zwischen mir, dem gewaltigen Poseidon, dem Beherrscher des Wassers und der Meere, dem Bruder des Götterkönigs Zeus – und dieser jungen Dame hier. Die Entscheidung dürfte euch nicht schwerfallen, denke ich.«

»Was bietet ihr uns an?«

Das war Kekrops, der Anführer der Menschen, ein gut aussehender junger Mann. Er war einen Schritt vorgetreten und hatte diese Frage gestellt. Ein bisschen frech, fand ich. Trotzdem gefiel mir dieser mutige Bursche.

»Wie meinst du das?«, fragte Poseidon.

»Ihr könntet uns Geschenke anbieten«, erklärte Kekrops. »Dann entscheiden wir, welches Geschenk uns besser gefällt. Die Gottheit, die uns das bessere Geschenk gibt, machen wir zu unserer Schutzgottheit.«

»Was bildest …«, knurrte Poseidon.

»Gute Idee!«, fiel ich ihm ins Wort. »Mein Onkel kann anfangen. Was kann der Meeresgott diesen Menschen schenken?«

»Ich, äh, also …«, Poseidon war sichtlich überfordert. »Schenken? Wieso denn schenken? Ich will verehrt werden!«

Kekrops und die anderen Menschen schauten Poseidon skeptisch an. Einige schüttelten den Kopf.

»Also gut, also gut!«, gab mein Onkel schließlich nach. »Was haltet ihr davon?«

Im nächsten Moment stieß er mit gewaltiger Kraft die Spitzen seines Dreizacks in den Boden. Alle wichen einige Schritte zurück, auch Poseidon. Und schon befand sich an der Stelle, in die er seinen Dreizack gerammt hatte, ein Brunnen. Daneben stand ein Eimer. Poseidon griff sich den Eimer, schöpfte Wasser aus dem Brunnen und ging zu Kekrops. Der nahm den Eimer, überlegte kurz und trank einen Schluck. Dann verzog er das Gesicht und spuckte das Wasser wieder aus.

»Das ist ja salzig!«, schimpfte er.

»Ich bin der Meeresgott«, entgegnete Poseidon. »Das Salzwasser ist mein Zuhause. Ich bin mir sicher, dass eure Stadt eine große Seemacht werden wird. Dafür steht mein Geschenk.«

»Schön und gut«, sagte Kekrops. »Aber ein Brunnen mit salzigem Wasser nützt uns gar nichts. Was hast du uns zu bieten, Pallas Athene?«

»Das hier«, lächelte ich und schnippte mit den Fingern. Im selben Moment stand ein Olivenbaum neben Kekrops. Der erste Olivenbaum der Welt. Die Menschen machten »Ah!« und »Oh!«, doch Kekrops blieb skeptisch.

»Ein Baum?«, fragte er. »Ein gewöhnlicher Baum? Davon gibt es unendlich viele hier in der Gegend.«

»Schau dir seine Früchte an«, erklärte ich. »Sie heißen Oliven. Ihr könnt sie ernten und essen, sie schmecken köstlich. Ihr könnt auch Öl aus ihnen gewinnen, das jede Mahlzeit bereichert. Aber man kann dieses Öl nicht nur für tausend leckere Gerichte verwenden, sondern auch seinen Körper damit einreiben. Es belebt und duftet wunderbar.«

Die Menschen scharten sich um den Baum und schauten interessiert in seine Krone hinauf. Die ersten nickten überzeugt. Einige pflückten ein paar Oliven und rochen an ihnen.

»Ihr müsst sie vorher einlegen«, sagte ich. »Und sie würzen. Das kann ich euch später erklären. Hinzu kommt das Holz dieses Baums. Es ist härter als Eiche und hat eine wunderschöne Maserung. Ihr könnt die herrlichsten Teller und Schüsseln, Gabeln und Löffel, Dosen und Mörser aus ihm machen.«

Damit hatte ich sie überzeugt. Die Menschen standen jetzt alle unter meinem Olivenbaum und bewunderten diese einzigartige Schöpfung. Ich schaute zu Poseidon hinüber. Er stand mit zusammengepressten Lippen neben seinem Brunnen und sah reichlich grummelig aus.

»Na, Onkelchen«, raunte ich ihm zu. »Ich glaube, die Sache hier ist erledigt.«

»Mag sein«, brummelte er. »Aber die nächste Stadt gehört mir.«

Ich hatte diesen Wettstreit gewonnen, daran gab es keinen Zweifel mehr. Der Rest war Formsache. Kekrops kam zu mir, verneigte und bedankte sich und lud mich ein, die Schutzgöttin seiner neuen Stadt zu werden.

»Kann ich machen«, antwortete ich. »Wie heißt denn eure Stadt? Also die Stadt, die ihr noch bauen wollt? Bisher gibt es hier ja noch nichts.«

»Wir haben noch keinen Namen«, sagte Kekrops. »Hast du eine Idee, verehrte Göttin?«

Klar hatte ich eine Idee. »Ihr nennt sie Athen«, bestimmte ich. »Damit allen klar ist, wer hier das Sagen hat. Die ganze Halbinsel hier könnt ihr Attika nennen.«

»Okay«, nickte Kekrops. »Das werden wir machen. Das ist ein schöner Name, finde ich.«

»Ein Name, den jeder Mensch auf der Welt kennen sollte«, betonte ich. »Beeilt euch also, eine große und prächtige Stadt zu bauen, in der die Menschen in Wohlstand und Frieden leben können.«

»Das werden wir tun«, versprach Kekrops. »Ich bin mir sicher, dass unsere Stadt auch in tausend Jahren noch stehen wird und dass alle Menschen auf der Welt sie auch dann noch kennen.«

»Und natürlich mich und meinen prächtigen Tempel«, ergänzte ich. »Den solltet ihr dort drüben auf diesem großen Felsen bauen. Von dort oben kann man bis zum Meer schauen, ein wunderbarer Ausblick.«

»Wird gemacht«, versicherte Kekrops. »Wir fangen gleich morgen damit an.«

Ja, so wurde ich die Schutzgöttin dieser einzigartigen Stadt, von der du sicherlich schon gehört hast. Und in der mein Tempel immer noch steht! Du musst diese Stadt unbedingt einmal besuchen und mir vor meinem Tempel ein prächtiges Opfer darbringen, ein saftiges Hühnchen oder einen kräftigen Schafsbock. Darüber würde ich mich freuen und dann für den Rest deines Lebens gut auf dich aufpassen.

Dies ist meine Geschichte

Ein bisschen stolz war ich schon, als Athene mich fragte, ob ich an ihrem Buch mitschreiben wolle. Immerhin bin ich eine Titanin. Und wir Titanen haben über diese Welt geherrscht, bevor Zeus und seine Familie uns in einem langen Kampf besiegt und die Herrschaft an sich gerissen haben. Die meisten Titanen wurden daraufhin in den finsteren Tartaros gesperrt, eine gruselige Riesenhöhle tief unter der Unterwelt, wo nur die allerübelsten Übeltäter vor sich hin schmoren und von den Furien, den Hundertarmigen und ein paar anderen Supermonstern bewacht werden. Wir Titanen sind ja, genau wie die Götter, unsterblich. Darum konnte Zeus uns nicht töten.

Wieso ich nicht im Tartaros sitze? Ich hatte mich zusammen mit einigen anderen Titanen aus dem Krieg gegen die Götter herausgehalten und wurde darum von Zeus nicht in den Tartaros verbannt.

Ein paar Jahre nach diesem Krieg lernte ich IHN kennen. Wen? Na, den Vater meiner Kinder. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, ich hätte ihn nicht kennengelernt. Dann wäre mir einiges erspart geblieben. Andererseits bin ich auch sehr stolz auf meine Kinder. Sie haben viel erreicht in ihrem Leben und werden von den Menschen überall auf der Welt verehrt. Überall auf der Welt gibt es Tempel, vor denen die Menschen meinen Kindern opfern und zu ihnen beten. Das hast du sicherlich auch schon einmal getan. Falls nicht, solltest du es zügig nachholen.

Du weißt natürlich, wer meine Kinder sind, nicht wahr? Klar weißt du das. Das sind die Göttin Artemis und der Gott Apollon. Ihr Vater ist Zeus, aber auch das wirst du wissen. Der gute Göttervater war zwar verheiratet mit seiner Schwester Hera. Aber das hielt ihn nicht davon ab, immer wieder andere Frauen näher kennenzulernen, wie er das gern nannte, und mit ihnen Kinder in die Welt zu setzen. Ich war nur eine seiner unüberschaubar vielen Liebschaften, darauf bin ich nicht besonders stolz. Aber ich war eine seiner ersten. Er war wirklich nett zu mir, das muss ich schon sagen, brachte mir Blumen und kleine Geschenke mit und gab den einfühlsamen Liebhaber. Ich war damals reichlich deprimiert. Fast meine ganze Familie und die meisten meiner Freundinnen und Freunde waren in den Tartaros gejagt worden. Da freute ich mich über etwas Aufmerksamkeit und über eine göttliche Schulter, an der ich Trost finden konnte.

Tja, was soll ich sagen? Ich wurde schwanger. Das ist ja immer so, wenn Zeus eine junge Dame näher kennenlernt. Dabei ist es ganz egal, ob diese junge Dame eine Göttin, eine Titanin oder ein Mensch ist. Und leider ist es auch immer so, dass Zeus diese junge Dame dann sitzen lässt und sich anderen Abenteuern zuwendet. Das wusste ich damals nicht, sonst hätte ich mich wohl nie mit ihm eingelassen. Aber über die Kinder, die aus unserer Liebschaft entsprungen sind, freue ich mich noch heute. Insofern bereue ich nichts.

Allerdings waren die Monate meiner Schwangerschaft und die ersten Tage danach die schlimmste Zeit meines Lebens. Davon werde ich dir jetzt erzählen. Schuld daran war die Göttermutter Hera. Die ist nämlich regelmäßig eifersüchtig auf die Liebschaften ihres Mannes. Das kann man verstehen. Mit Zeus verheiratet zu sein ist gewiss kein Vergnügen. Und regelmäßig kann sie ihre Wut nicht an Zeus auslassen, dem eigentlichen Grund für ihre Eifersucht. Denn der ist der mächtigste und stärkste aller Götter, hat obendrein diese grässlichen Blitze, vor denen sogar die Götter Angst haben. Darum lässt Hera ihre Wut wahlweise an den Kindern aus, die Zeus in die Welt setzt, oder an seinen Geliebten. Oder gleich an beiden. Obwohl die Kinder am wenigsten dafür können, dass Heras Göttergatte so ein untreuer Tunichtgut ist. Aber in diesem Punkt ist Hera nicht besonders fair, sondern einfach nur eifersüchtig und wütend. Und wenn eine Göttin wütend ist, dann kann sie richtig fies werden, das wirst du gleich sehen.

Bei mir kam hinzu, dass die alte Erdmutter Gaia, die Mutter aller Titanen und die Großmutter Heras, ihr geweissagt hatte, dass die Kinder, die Zeus mit einer Titanin haben sollte, mächtiger und berühmter werden würden als Heras eigene Kinder. Das sind Hephaistos, der hässliche Schmiedegott, Ares, der brutale Kriegsgott, Eileithyia, die Göttin der Geburt, und Hebe, die Göttin der Jugend. Diese vier Gottheiten liegen Hera besonders am Herzen, das kann man verstehen. Aber allzu mächtig und berühmt sind sie nicht. War klar, dass Hera hellhörig wurde, als ihre Oma Gaia ihr prophezeite, dass es mächtigere und beliebtere Götter geben könnte als ihre vier eigenen Kinder.

Als ich dann schwanger war und Zeus mich alleingelassen hatte, begann der Ärger. Hera hatte das natürlich irgendwie herausgefunden und beschlossen, dass die Kinder, die ich in meinem Bauch trug, niemals das Licht der Welt erblicken sollten. Ja, es waren gleich zwei Kinder, die in meinem Bauch heranwuchsen. Das erschwerte meine Schwangerschaft zusätzlich. Hera suchte Hilfe bei ihrer Großmutter Gaia, der Erdmutter. Und die beauftragte den Drachen Python, mich und meine ungeborenen Kinder einfach zu verschlingen.

Python war ein gewaltiges Untier, musst du wissen, so groß wie ein Tempel. Er lebte am Fuße des Parnassgebirges mitten in Griechenland und terrorisierte dort die armen Bauern. Regelmäßig verputzte er nämlich einen von ihnen zum Frühstück. Zum Mittagessen gab es dann ein paar Schafe, Ziegen oder Kühe. Und zum Abendessen vielleicht eine zarte Bauerntochter oder einen knusprigen Bauernsohn. Python war ein wirklich grässliches Monster, gegen das sich die Menschen nicht zu helfen wussten. Mein Sohn Apollon hat ihn später erledigt. Und dort, wo Python gewütet hatte, das Orakel von Delphi gegründet und die Oberpriesterin der Orakelstätte zur Erinnerung an den Drachen Pythia genannt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Diesen Monsterdrachen hetzte Hera auf mich, eine schwangere Frau! Monatelang jagte das Untier mich durch ganz Griechenland. Ich war Tag und Nacht auf der Flucht, konnte nirgendwo ruhig schlafen. Immer hatte ich Angst, dass dieses Vieh eines Tages um die Ecke biegen, sein furchtbares Maul aufreißen und mich mit einem Happs verschlingen würde. Kannst du dir vorstellen, welche Albträume mich in diesen Monaten plagten? Wohl nur dann, wenn du selbst schon einmal von einem Drachen verfolgt wurdest. Ich hoffe, das ist dir noch nicht passiert. Oh, wie oft habe ich die stampfenden Schritte dieses Untiers gespürt, wie oft sein schauriges Brüllen gehört, wie oft seinen stinkenden Atem gerochen! Doch jedes Mal konnte ich ihm entwischen, auch wenn es oft nur um Haaresbreite war.

Tatsächlich gelang es dem Drachen nicht, mich zu fressen (sonst könnte ich dir diese Geschichte ja auch gar nicht erzählen). Immerhin bin ich eine tapfere Titanin, brauche kaum Schlaf, kann superschnell laufen und mich gut verstecken. Das hat mich und meine Kinder gerettet. Ob Python seine Verfolgungsjagd von selbst aufgegeben oder ob Hera ihn zurückgepfiffen hat, weiß ich bis heute nicht. Die erste Nacht ohne Angst vor dem Drachen war wirklich erholsam. Ich schlief viele Stunden in der Scheune eines Bauern, gut versteckt hinter einem Heuhaufen. Inzwischen war mein Bauch zu einer mächtigen Kugel herangewachsen. Die beiden göttlichen Kinder, die ich in mir trug, strampelten kräftig und wollten hinaus. Aber dafür brauchte ich einen ruhigen Platz und vielleicht jemanden, der mir bei der Entbindung half. Doch wo sollte ich beides finden?

Tatsächlich fand ich eine freundliche Bauersfrau, die bereit war, mir zu helfen. Die Wehen hatten schon eingesetzt, ich hatte große Schmerzen, es wurde höchste Zeit. Doch es klappte nicht! Ich versuchte alles, doch die Kinder wollten einfach nicht herauskommen. Oh, du ahnst nicht, was für gewaltige Schmerzen ich hatte. Die Bauersfrau versuchte alles, doch es war wie verhext. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu.

Ging es auch nicht.

Am vierten oder fünften Tag meiner Wehen bekam ich plötzlich Besuch. Ich war mit meinen Kräften schon ziemlich am Ende, darum erkannte ich sie zuerst nicht. Doch als ich bemerkte, dass ihr Kleid in allen Farben des Regenbogens schimmerte, wusste ich, wer neben mir stand. Es war Iris, die Götterbotin.

»Tut mir leid, Leto«, sagte sie mit zerknirschter Miene, während sie neben dem Bett stand, auf dem ich lag. »Hera hat der Erdmutter Gaia aufgetragen, dir eine Entbindung auf dem festen Land unmöglich zu machen.«

»Wie bitte?«, rief ich verzweifelt. »Unmöglich? Das ist nicht dein Ernst! Ich kann diese Schmerzen kaum noch ertragen. Wo soll ich meine Kinder denn dann zur Welt bringen? Etwa in der Luft? Oder im Meer?«