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Die Bande vom Olymp endlich im Taschenbuch! Jetzt reicht's! Seit fast 3000 Jahren erzählen sich die Menschen von den griechischen Göttern und Helden, was sie wollen. Aber jetzt berichten die Olympier und Heroen höchstpersönlich – von A wie Achill bis Z wie Zeus! So erfahren die Leser, warum der große Held Achill in Mädchenkleidern herumläuft und Apoll einen Baum umarmt, was Beauty Queen Aphrodite und ein goldener Apfel mit dem trojanischen Krieg zu tun haben und warum Ariadne die Heulsuse von Naxos genannt wird – und natürlich auch davon, wo Big Boss Zeus bei all dem seine Hände mit im Spiel hat.
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Seitenzahl: 216
Das Freundschaftsbuch der griechischen Götter und Helden
Warum läuft der große Held Achilleus in Mädchenkleidern herum? Was haben Beauty Queen Aphrodite und ein goldener Apfel mit dem Trojanischen Krieg zu tun? Und warum wird Ariadne die ›Heulsuse von Naxos‹ genannt? Hier erfährst du es aus erster Hand.
Von A wie Achill bis Z wie Zeus: die bekanntesten Sagen der griechischen Mythologie – unverblümt von den Göttern und Helden selbst erzählt
Von Frank Schwieger sind außerdem bei dtv lieferbar:
Ich, Caesar, und die Bande vom Kapitol
Ich, Odin, und die wilden Wikinger
Ich, Merlin und die furchtlosen Ritter
Ich, Kleopatra, und die alten Ägypter
Ich, Odysseus, und die Bande aus Troja
Ich, Herakles, und meine großen Heldentaten
Ich, Aladin, und die Helden aus 1001 Nacht
Kinder unterm Hakenkreuz – Wie wir den Nationalsozialismus erlebten
Der Schiffsjunge der Santa Maria
Die Rache des Gladiators
Das Löwenamulett
Flucht aus Rom
Mit Illustrationen von Ramona Wultschner
in memoriam
Maria Rutenfranz
(1964-2016)
für Simon und für Daniel
und für all die anderen
Irgendwann bin ich explodiert. Aber so richtig! Ich habe den ganzen Olymp zusammengebrüllt und mit meinen Blitzen und Donnerkeilen nur so um mich geworfen. So ein Gewitter hat der Erdkreis noch nicht gesehen. In allen Ecken der Welt hat es geknallt und gekracht. Ein wahrhaft göttliches Feuerwerk.
Warum ich so sauer bin? Weil ihr Menschen mir gehörig auf die Nerven geht. Seit bald dreitausend Jahren bildet ihr euch ein, ihr wüsstet alles über uns. Ein Typ namens Homer hat im alten Griechenland damit angefangen. Und seitdem glaubt jeder, er könnte über uns schreiben und Halbwahrheiten, Verdrehtes oder einfach nur Erfundenes über uns Götter und Helden in die Welt setzen. Und ihr Kinder glaubt den Blödsinn auch noch.
Aber damit hat es jetzt ein Ende, das kann ich dir sagen. Schluss mit dem Geschreibsel – JETZT REDEN WIR!
Ich habe Hermes den Auftrag erteilt, meine größten Götter und Helden aufzusuchen und sich von ihnen ihre Geschichte erzählen zu lassen. Damit ihr endlich die WAHRHEIT über uns erfahrt. Und zwar aus ERSTER HAND. Hermes war bald zurück auf dem Olymp. Mit etlichen Abenteuern in der Tasche. Ich selbst habe das Werk als krönenden Abschluss mit meiner Geschichte bereichert. So ist ein wundervolles Buch entstanden, in dem endlich, endlich, endlich nichts als die Wahrheit über uns steht, und zwar die reine Wahrheit, die ganze Wahrheit, die göttliche und unverfälschte Wahrheit.
Wehe, einer von euch Menschen kommt auf die Idee, diese Wahrheit anzuzweifeln! Hier in meinem Palast auf dem Olymp liegen noch genug Blitzbündel bereit, die ich absolut treffsicher verschleudern kann!
Meine Mutter Thetis wollte so gerne einen unsterblichen Sohn haben. Du kannst das bestimmt verstehen: Alle Mütter sorgen sich um ihre Kinder. Da ist es am besten, wenn diese unsterblich sind, dann kann ihnen nichts passieren. Und dann bekam sie ein Kind nach dem anderen, insgesamt sieben. Natürlich wollte meine Mutter wissen, ob sie unsterblich waren. Und was hat sie gemacht, um das herauszufinden? Sie hat die Kleinen in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen. Leider waren sie nicht unsterblich. Darum habe ich keine Geschwister. Vielleicht wäre ich etwas ruhiger geworden, wäre ich mit Geschwistern aufgewachsen. So als Einzelkind konnte ich ja immer tun und lassen, was ich wollte. Meine Mutter hat mir fast alles erlaubt, sie war ja so vernarrt in mich.
Wieso ich nicht in einen Kochtopf geworfen wurde? Mein Vater Peleus hat das verhindert. Er hatte genug davon, seine Kinder gleich nach ihrer Geburt wieder zu verlieren. Er freute sich auch über ein sterbliches Kind, wahrscheinlich weil er selbst ein Sterblicher war. Als Thetis mich zum Kochtopf schleppte, machte er ihr eine Riesenszene und riss mich aus ihren Händen. Gut, dass mein Vater sich damals durchgesetzt hat. Das kam leider nicht oft vor, meine Mutter ist ja eine Göttin, da hatte mein Vater nicht viel zu melden. Auf jeden Fall bewahrte er mich vor dem kochenden Wasser, dafür bin ich ihm wirklich dankbar.
Nun hatten die beiden endlich einen Sohn, auch wenn er sterblich war.
Meine Eltern hatten mich wirklich lieb, das kann ich dir sagen, meine Mutter sogar so sehr, dass sie wenige Tage nach meiner Geburt mit mir in die Unterwelt ging. Nein, nicht um mich dortzulassen, dann hätte sie mich ja gleich in den Kochtopf werfen können. Sie überredete Hades, den Gott der Unterwelt, sie zu den Ufern der Styx durchzulassen. Die Schatten der Toten müssen ziemlich gestaunt haben, als eines Tages eine Meeresgöttin mit einem Baby auf dem Arm mitten durch sie hindurchschritt. Keine Ahnung, was die Schatten gedacht haben. Können Schatten überhaupt denken?
Die Styx ist ein großer Fluss, musst du wissen, der durch das finstere Reich des Hades fließt. Wer in diesen Fluss eintaucht, wird unverwundbar. Soweit ich weiß, bin ich der einzige Mensch, der in diesem Fluss gebadet hat. Na ja, gebadet ist wohl der falsche Ausdruck, ich konnte ja noch nicht schwimmen. Meine Mutter packte mich an der linken Ferse und tauchte mich in das schwarze Wasser. Bestimmt habe ich laut geschrien. Aber wenigstens war es kein kochendes Wasser. Dummerweise hielt sie meine Ferse so fest, dass die mit dem Wasser nicht in Berührung kam. Darum ist meine linke Ferse die einzige Stelle an meinem Körper, an der ich verwundbar bin. Irgendwann als Junge merkte ich das und erzählte es meiner Mutter. Die meinte, dass das nicht so schlimm sei. Wegen einer verwundbaren Ferse würde ich schon nicht sterben.
Als ich sieben oder acht Jahre alt war, musste ich Phthia, die Hauptstadt unseres Reiches, verlassen. Ich sollte etwas lernen, zur Schule gehen. Als meine Eltern mir das erzählten, freute ich mich zunächst. Phthia ist, um ehrlich zu sein, ein langweiliges Kaff in den Bergen, ich wollte endlich mal etwas sehen von der Welt. Doch als mir meine Eltern sagten, wo ich zur Schule gehen sollte, zerplatzte meine Freude. Ich sollte in einen abgelegenen Winkel des Gebirges gehen und dort die Schule eines Kentauren besuchen.
Weißt du, was ein Kentaur ist? Ich hoffe nicht, dass deine Lehrer so aussehen. Ein Kentaur ist ein Pferd mit dem Oberkörper eines Mannes. Oder ein Mann mit dem Unterkörper eines Pferdes, also ein Mann mit vier Beinen, Hufen und einem Pferdeschwanz. Hübsch ist was anderes. Meine Mutter musste all ihre Überredungskünste aufwenden, um mich in diese Schule zu bringen. Als ich dann noch erfuhr, dass ich der einzige Schüler dieses Pferdelehrers sein sollte, verging mir auch die letzte Lust. Aber ich ging trotzdem, meinen Eltern zuliebe. Und ich habe es, da muss ich ehrlich sein, nicht bereut.
Mein Lehrer hieß Cheiron, er war ziemlich alt, und schon nach einigen Tagen machte mir sein Äußeres nichts mehr aus. Allein an das Klappern der Hufe konnte ich mich nie so richtig gewöhnen. Auch nicht an die Pferdeäpfel, die er hier und da fallen ließ. Aber Kentauren können wohl nicht anders. Cheiron war ein großartiger Lehrer, das sage ich gerne, ein weiser Pferdemann. Er brachte mir nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen bei, nicht nur Geschichte und griechische Landeskunde, nicht nur Ringen, Boxen, Laufen und Diskuswerfen, nein, Cheiron war auch ein ausgezeichneter Dichter und Musiker, ob du’s glaubst oder nicht.
Er konnte unzählige Gedichte und Lieder auswendig, ich musste sie auch alle lernen, auch wie man sie auf der Lyra spielt. Ich habe mir die Finger blutig gespielt, das kann ich dir sagen, und gesungen wie Apollon persönlich. Wenn ein Ton danebenging, schlug mir Cheiron mit dem Stock auf die Finger. Das war nicht so angenehm, also habe ich mich einfach mehr angestrengt. Mein Lieblingsfach war natürlich die Kampfkunst. Ach, wie habe ich das geliebt, das Bogenschießen, den Speerwurf, den Umgang mit Schwert und Schild! Cheiron brachte mir alle Tricks bei. Und ich war schnell. Und gut. Und wurde immer besser. Bald erfand ich eigene Tricks, mit denen ich meinen Lehrer überraschte. Er kam aus dem Staunen kaum mehr heraus. Irgendwann gab er es auf, er konnte mir in diesem Fach nichts mehr beibringen. Ich war einfach großartig.
Doch irgendwann war auch diese schöne Schulzeit zu Ende. Ich war sechzehn, als der Pferdemann mich nach Hause schickte. Er hatte mir alles beigebracht, was er wusste und konnte. Jetzt wartete der Ernst des Lebens auf mich, wie er sagte.
Ich freute mich riesig auf meine Eltern. In den letzten Jahren hatte ich sie immer nur zwischendurch gesehen, in den heißen Sommermonaten hatte ich ja Ferien. Aber jetzt wollte ich lange zu Hause bleiben und mich darauf vorbereiten, König zu werden. Mein Vater war in die Jahre gekommen, man sah ihm an, dass er in absehbarer Zeit in die Unterwelt einziehen würde. Meine Mutter war unverändert. Göttinnen altern ja nicht. Aber mir blieben nur zwei Jahre in Phthia, denn dann zog ein großes Unheil herauf. Ein Krieg bahnte sich an.
Agamemnon, der mächtigste König in ganz Griechenland, scharte die größten Krieger um sich und wollte die Stadt Troja angreifen. Das ist meine Chance, dachte ich, als die Neuigkeit mit einiger Verspätung in unser Bergstädtchen gelangte. Endlich Krieg! Endlich konnte ich zeigen, was ich draufhatte! Aber meine Eltern hatten andere Pläne. Meine Mutter war nämlich, als ich bei Cheiron war, zu einem Orakel gegangen und hatte sich nach meiner Zukunft erkundigt. Typisch Mütter, sind immer besorgt. Das Orakel hatte sich natürlich nicht festgelegt, das tun Orakel nie. Es sagte, dass ich entweder ein langes glückliches Leben mit vielen Kindern und Kindeskindern haben würde, nach dem sich keiner an mich erinnern wird, oder dass ich jung sterben würde, aber als ruhmreicher Krieger, an dessen Namen sich die Menschen auf ewig erinnern würden.
Meine Mutter wollte mich vor dem frühen Tod bewahren und schickte mich, als Agamemnon die Griechen für seinen Feldzug gegen Troja sammelte, zu König Lykomedes auf die kleine Insel Skyros. Dort musste ich mir, das war mir echt peinlich, Mädchenkleider anziehen. Der König hatte nämlich zwölf Töchter. Bei denen sollte ich leben, zwischen denen sollte ich mich verstecken, damit mich ja niemand finden und nach Troja schleppen könnte. Die anderen Griechen waren nämlich mächtig an Achilleus aus Thessalien interessiert. Warum? Es gab eine Weissagung, dass die Griechen den Krieg nur gewinnen könnten, wenn der starke Achilleus mit ihnen zöge. Keine Ahnung, wer das in die Welt gesetzt hat. Aber mir war es eigentlich ganz recht. Ich wollte ja mit! Ruhm und Ehre – herrlich! Nur meine Eltern wollten das nicht, besonders meine Mutter. Besorgte Mütter können einem ganz schön auf die Nerven gehen.
Sie suchten mich. Agamemnon hatte seine Leute ausgeschickt, um mich zu finden. Ohne mich wollte er nicht losziehen. Ein Krieg zog auf, und der große Achilleus lief in Mädchenklamotten über eine abgelegene Insel. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich fühlte?
Eines Tages kam hoher Besuch in den Palast meines Gastvaters. Odysseus, der König von Ithaka, einer der engsten Vertrauten des Agamemnon, hatte sich angekündigt. Mir war sofort klar, was er hier suchte. Oder besser: wen er hier suchte.
Er saß mit König Lykomedes in der großen Halle. Sie hatten gerade ihre Gastgeschenke ausgetauscht, wie es üblich ist bei uns Griechen. Da wurden wir, die Töchter des Königs, hereingerufen. Mann, war mir das peinlich. Ich trete zum ersten Mal dem berühmten Odysseus unter die Augen – mit Ohrringen, einer prächtigen Perlenkette, frisierten Haaren und in einem roten Kleid. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt. Danke, Mama!
»Das sind meine Töchter«, stellte Lykomedes uns vor. »Mein ganzer Stolz.«
»Ich zähle dreizehn«, sagte Odysseus und musterte uns kritisch. »Ich dachte, du hättest nur zwölf.«
Der schlaue Fuchs, dachte ich. Er weiß genau, was hier läuft. Aber ich lächelte tapfer weiter, genau wie meine zwölf »Schwestern«.
»Nein, nein, es sind dreizehn«, log Lykomedes. Er hatte meiner Mutter versprochen, mich nicht zu verraten. »Sie müssen auch gleich wieder gehen, sie haben … äh … Unterricht.«
»Dem will ich nicht im Wege stehen«, sagte Odysseus listig. »Unterricht ist wichtig. Aber denkt immer daran, liebe Mädchen, ihr lernt nicht für die Schule, sondern fürs Leben.«
Die Mädchen kicherten belustigt. Bei allen Göttern, waren die Hühner albern! Ich hielt mich dezent im Hintergrund.
»Du hast eine sehr große Tochter, Lykomedes. Die große Blonde dort hinten.« Odysseus grinste verschlagen. »Sie scheint auch sehr kräftig zu sein. Ich sehe starke Arme. Gar nicht typisch für ein Mädchen.«
»Ja, ja, das ist Achillea. Meine älteste Tochter. Sie ist etwas aus der Art geschlagen. Aber nun schleicht euch, Mädchen. Der Lehrer wartet nicht gerne.«
»Halt!«, rief Odysseus. »Ich habe noch Geschenke für deine Töchter. Wie es sich gehört.«
Er pfiff auf den Fingern. Zwei Sklaven kamen mit einer großen Kiste herein und breiteten die Gastgeschenke auf einem Tisch aus. Da waren Puppen, Armreifen, schöne Stoffe, Spiegel, Fläschchen mit den verschiedensten Parfüms, Salben und Cremes – und ein Helm und ein glänzendes, scharfes Schwert. Wir drängten uns um den Tisch, meine »Schwestern« griffen nach den Puppen, den Schmuckstücken, den Parfüms, doch ich konnte nicht länger an mich halten.
Ich setzte mir den Helm auf, packte das Schwert und fuchtelte damit in der großen Halle herum. Die Mädchen schrien entsetzt auf und wichen zur Seite. Endlich hatte ich wieder ein Schwert zwischen den Fingern! Und dann ein so hübsches und scharfes. Es lag perfekt in der Hand.
Odysseus grinste mich an.
»Lykomedes, mein Freund«, sprach er. »Gestattest du, dass ich mich eine Weile mit diesem starken, äh, Mädchen unterhalte?«
Der König senkte resignierend den Kopf. »Wir wissen beide, dass das kein Mädchen ist, nicht wahr?«
»Ich denke schon«, sagte Odysseus. »Komm, Achilleus, wir haben ein paar Dinge zu besprechen.«
»Gerne«, rief ich ihm zu und riss mir das Kleid vom Leib. »Wann geht’s nach Troja?«
»Morgen früh legt das Schiff ab. Wir Griechen treffen uns in Aulis. Die anderen warten schon auf mich. Und natürlich auf dich und die Krieger deines Volkes.«
»Aber die wird mein Vater anführen.«
»Es tut mir leid, mein Junge. Der große Held Peleus, dein Vater, ist vor einem Monat gestorben. Er war alt und krank. Ist die Nachricht hier noch nicht angekommen?«
»Nein«, sagte ich und atmete tief durch. Ein kurzer Moment der Trauer überfiel mich. Doch dann packte mich wieder die Kampfeslust und die Aussicht auf unsterblichen Ruhm, der bis zu den Sternen reicht.
»Komm«, sagte ich zu Odysseus. »Wir wollen reden.«
Ich werde wohl nie herausfinden, wer meine Eltern sind. Manchmal habe ich den Götterkönig Zeus im Verdacht, mein Vater zu sein. Er hatte einmal ein Verhältnis mit Dione, einer unbedeutenden Göttin, die sich nur selten bei uns auf dem Olymp blicken lässt. Ich sehe Dione etwas ähnlich, vielleicht ist sie also meine Mutter. Doch immer, wenn ich sie oder Zeus auf meine Herkunft anspreche, lächeln sie nur und schweigen.
Es gibt auch Menschen, die behaupten, dass ich aus Meeresschaum geboren wurde, einfach so, und danach sei ich auf einer großen Muschel zu einer Insel geschwommen und dort an Land gegangen, entweder auf Kythera oder auf Zypern. Eine merkwürdige Geschichte … Auf jeden Fall scheint sich hinter meiner Abstammung irgendein Rätsel zu verbergen, das ich wohl nie lösen werde.
Doch ich will dich nicht mit unlösbaren Rätseln langweilen, sondern dir lieber eine Geschichte erzählen, die dir zeigen wird, wie groß die Macht der Liebe und ihrer Göttin ist.
Es begann an dem Tag, an dem Peleus und Thetis heirateten. Du hast von den beiden schon gehört, es sind die Eltern dieses Angebers Achilleus. Zeus hatte alle Göttinnen und Götter in seinen Palast eingeladen, dort fand das Fest statt. Alle bis auf Eris, die Göttin des Streits. Die will nie einer in der Nähe haben, schon gar nicht auf einer Hochzeit. Doch irgendwie bekam Eris Wind von der Feier und vor allem davon, dass sie nicht auf der Gästeliste stand. Da wurde ihre Laune noch schlechter, als sie es ohnehin schon immer ist, und sie beschloss, uns das Fest so richtig zu vermiesen. Das kann sie ja besonders gut, die blöde Kuh. Was sie gemacht hat? Sie hat einen goldenen Apfel angefertigt und daraufgeschrieben: Für die Schönste!
Dann hat sie sich an ein Fenster des Festsaals geschlichen und den Apfel mitten auf die Tanzfläche geworfen, wo wir alle gerade bestens gelaunt herumtanzten. Ich sah den Apfel als Erste und dachte mir: Ist ja klar, der ist für mich. Dass Eris hinter dieser Nummer stand, erfuhr ich erst viel später. Ich wollte den Apfel gerade in einem Bausch meines Gewandes verschwinden lassen, da stellte sich Athene vor mich. Sie ist die Tochter des Göttervaters Zeus und eine mächtige Kriegsgöttin.
»Gib ihn her!«, keifte sie. »Der ist für mich!«
»Von wegen«, schnaufte Hera, Zeus’ Ehefrau, und trat neben Athene. »Ich bin hier die Chefin. Der Apfel gehört mir.«
»Das werden wir ja sehen«, schaltete sich Demeter ein, die Göttin der Felder und Wiesen.
»Oh ja, das werden wir sehen«, schrie Artemis, die Jagdgöttin, und stürzte sich auf mich.
Sei froh, dass du das, was sich dann auf der Tanzfläche abspielte, nicht gesehen hast. Das war vielleicht ein Gekreische und Gekloppe, reichlich unwürdig für so ein göttliches Fest. Gut, dass die Menschen nichts davon erfahren haben, weil außer Theseus kein Sterblicher zugegen war. Irgendwann wurde Zeus die Sache zu bunt, er wollte weiterfeiern, und er bat die drei Göttinnen, die sich bis zum Schluss um den Zankapfel geprügelt hatten (die anderen hatten inzwischen aufgegeben), vor seinen Thron: seine Frau Hera, seine Tochter Athene und mich. Wir drei sahen ziemlich mitgenommen aus: die Haare zerzaust, die Gesichter zerkratzt, die schönen Gewänder zerrissen.
»Papa!«, rief Athene. »Du musst entscheiden. Wer von uns dreien soll den Apfel haben? Doch sicherlich ich, oder?«
»Äh … Also … Ich weiß jetzt auch nicht …«, druckste Zeus. Ich wusste genau, was in ihm vorging: Er wollte es sich mit keiner von uns verderben, also musste er die Entscheidung jemand anders überlassen.
»Ich hab’s«, sagte er schließlich. »Fliegt alle drei zum Idagebirge, das liegt vor Troja. Dort hütet Paris, der Prinz von Troja, eine Schafherde. Paris kennt sich mit schönen Frauen aus, so sagt man. Er soll entscheiden, wem von euch der Apfel zusteht. Die Unterlegenen werden sein Urteil akzeptieren, verstanden? Mein Sohn Hermes wird euch begleiten.«
Wir sind natürlich sofort zum Berg Ida aufgebrochen, die Sache musste geklärt werden. Vorher haben wir uns aber schnell noch umgezogen und unsere Kratzspuren und blauen Flecken verschwinden lassen. So zerzaust wollten wir keinem Sterblichen unter die Augen treten, wäre ja echt peinlich gewesen. Hermes flog vorweg, wir drei hinterher, und im nächsten Augenblick standen wir schon vor Paris.
Kannst du dir vorstellen, wie der guckte, als so früh am Morgen wie aus dem Nichts vier Gottheiten vor ihm auftauchten? Der war kreidebleich im Gesicht und konnte anfangs nur unverständliches Zeug stammeln. Stell dir vor, wir vier würden frühmorgens plötzlich in deinem Zimmer auftauchen, das würde dir auch die Sprache verschlagen.
Hermes erklärte ihm unser Anliegen: »… und dann hat der Göttervater bestimmt, dass du die Sache entscheiden sollst, mein lieber Paris.«
Der junge Mann nickte betreten. Natürlich wusste er, dass er sich dem Ganzen nicht entziehen und einfach weglaufen konnte. Ein Sterblicher gegen vier Gottheiten – den Wettlauf hätte er nicht gewonnen.
»Also gut«, sagte er schließlich. »Tja, wer soll den Apfel haben? Ihr seht doch alle drei gut aus.« Er musterte uns von oben bis unten. Ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf, dem niemand widerstehen kann, und klimperte mit den Wimpern.
Paris schluckte. »Tja, ich würde sagen …«, stammelte er.
Da fuhr ihm Hera ins Wort: »Warte! Ich würde gerne einen Augenblick alleine mit dir sprechen. Unter vier Augen.«
Was hatte sie vor? Ich vergaß vor Überraschung das Wimpernklimpern.
»Kein Problem«, sagte Paris. »Wie du wünschst. Dort hinten ist ein Bach. Wir können uns ans Ufer setzen und reden.«
Die beiden verschwanden und waren kurz darauf wieder bei uns. Hera grinste übers ganze Gesicht. Sie zog Hermes auf die Seite. Athene und ich, wir spitzten unsere göttlichen Ohren.
»Ich habe ihm versprochen«, flüsterte Hera, »dass er der mächtigste König auf Erden wird, wenn er den Apfel mir zuspricht. Völlig klar, dass er sich für mich entscheidet.«
»Du hast ihn bestochen?«, fragte Hermes.
»Logo«, sagte Hera zufrieden. »Warum denn nicht?«
Mir fiel die Kinnlade herunter. Ich dachte, es ginge hier um Schönheit! Und um ein faires Urteil. Ich wollte mich gerade beschweren, da ging Athene auf Paris zu.
»Ich würde auch gerne ein Wörtchen mit dir reden«, sagte sie. Das gleiche Spielchen: Sie und Paris verschwanden kurz, und als sie zurückkamen, grinste Athene breit.
»Ich habe ihm versprochen, dass er der größte Krieger auf Erden wird«, raunte sie Hermes zu. »Wenn er sich für mich entscheidet.«
Hermes schüttelte wortlos den Kopf. Hera stemmte wütend die Hände in die Hüften. Ich schnappte nach Luft. Paris war sichtlich verwirrt. Er rang die Hände, sein Blick wanderte zwischen uns dreien hin und her.
Plötzlich hatte ich die Idee.
»Komm mit«, stieß ich hervor. »Ich muss auch mit dir reden.«
Ich zog den zitternden Sterblichen an die Seite. Wollen doch mal sehen, dachte ich, wer diesen Wettkampf gewinnt. Und wer das verlockendste Angebot machen kann.
»Möchtest du die schönste Frau der Welt heiraten?«, fragte ich ihn geradeheraus. »Die schönste sterbliche Frau, meine ich. Die schönste Göttin bin ja ich.«
Paris’ Ohren begannen zu glühen. Ich sah Schweißperlen auf seiner Stirn. Zwei gute Zeichen!
»Klar, das würde ich gerne«, sagte er mit belegter Stimme.
»Dann sprichst du den Apfel mir zu. Verstanden?«
Paris nickte nur. Ich hatte ihn am Haken, da war ich mir sicher. Männer sind doch alle gleich, überall auf der Welt. Liebe und Schönheit – damit kriegt man sie immer.
Wir kehrten zu den drei anderen zurück.
»Also?«, fragte Hera herausfordernd.
»Nun sag schon!«, fauchte Athene.
Paris räusperte sich. Dann gab er sich einen Ruck und rief laut: »Aphrodite ist die schönste Göttin. Ihr gebührt der goldene Apfel.«
Ich lächelte triumphierend. Hatte ich es doch gewusst!
Athene und Hera schauten Paris wütend an. »Das wirst du uns büßen«, schnaubte die Götterkönigin noch, da waren sie und Athene auch schon verschwunden.
Paris schien die Drohung überhört zu haben. »Wann kriege ich denn das, was du mir versprochen hast?« Er tippelte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
»Da gibt es ein kleines Problem«, sagte ich. »Die Frau, die ich dir versprochen habe, ist verheiratet. Sie kann ihren Mann nicht einfach so holterdipolter verlassen.«
»Wie jetzt?« Paris entglitten die Gesichtszüge. »Versprochen ist versprochen. Und wird nicht gebrochen.«
»Nein, nein.« Ich legte beruhigend meine Hand auf seine Schulter. »Das kriegen wir schon hin. Du musst dich nur ein wenig gedulden.«
»Wie lange denn?«
Ich zuckte die Schultern. »Zeit ist relativ. Die Frau, die ich meine, heißt Helene. Sie ist die Königin von Sparta, verheiratet mit König Menelaos. Ich werde meinen Sohn Eros nach Sparta schicken. Er wird einen seiner goldenen Pfeile auf sie abfeuern. Und du wirst eine Gesandtschaft nach Sparta anführen. Dabei wird sich Helene in dich verlieben, ihren Mann verlassen und mit dir nach Troja ziehen.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Paris ungläubig.
»Göttergeheimnis«, sagte ich. »Such dir, bis es so weit ist, doch erst einmal eine Freundin, vielleicht eine der hübschen Bergnymphen, die hier in der Gegend leben.«
»Aber danach kriege ich diese schöne Helene, ja? Versprochen ist versprochen.«
Ich nickte. Paris lächelte zufrieden.
Ich habe wirklich nicht geahnt, welches Unheil ich mit meinem Angebot über Paris’ Heimatstadt Troja heraufbeschwor: Helenes Ehemann Menelaos wurde natürlich stinkesauer, als seine geliebte Frau ihn verließ und mit Paris nach Troja ging. Er und sein Bruder Agamemnon trommelten Tausende griechischer Krieger zusammen und begannen einen Krieg gegen Troja, der zehn Jahre dauern sollte und bei dem unzählige Helden den Tod finden sollten. Aber das ist eine andere Geschichte.
An diesem Tag im Idagebirge ging es um nicht weniger als um die Ehre der Allerschönsten. Ich musste diesen Apfel einfach haben, das kannst du doch verstehen, oder?
Ich habe lange überlegt, ob ich dir diese Geschichte erzählen soll. Es ist eine Geschichte, bei der ich, wie soll ich sagen – keine allzu gute Figur mache. Und dabei könnte ich dir von so vielen großen Taten erzählen, die ich vollbracht habe. Zum Beispiel habe ich ein paar Tage nach meiner Geburt den grausigen Drachen Python in einem harten Kampf niedergerungen und schließlich mit meinen Pfeilen getötet.
Das wäre so eine richtige Abenteuergeschichte, bei der ich am Ende als strahlender Sieger dastehen würde. Doch ein Gott, der ein Ungeheuer besiegt – das ist nichts Besonderes, oder? Das können doch Götter. Aber ein Gott, der sich hoffnungslos verliebt und von einem Mädchen ausgetrickst wird? Ja, auch wir Götter haben unsere Schwächen, genau wie ihr Menschen.
Es war ein wunderschöner Sommertag. Ich spazierte, nichts Böses ahnend, durch die Felder und Wälder, da sah ich plötzlich Eros, diesen frechen Liebesgott, wie er auf einem umgestürzten Baumstamm sitzt und versucht, seinen Bogen zu spannen.
»Hey!«, rief ich. »Waffen sind etwas für echte Kerle, nichts für kleine Jüngelchen. Tu dir bloß nicht weh mit deinem niedlichen Spielzeug!«
Eros guckte mich verschlagen an. »Keine Sorge. Du wirst bald sehen, wie gut ich mit meinem Bogen umgehen kann.«
Im nächsten Moment breitete er seine süßen Flügelchen aus und erhob sich in die Lüfte. Wieso fliegt er davon?, fragte ich mich noch. Da spürte ich schon einen stechenden Schmerz in meiner rechten Schulter. Dass mich der kleine Wicht mit einem seiner goldenen Pfeile getroffen hatte, begriff ich erst, als es schon zu spät war. Es war der Pfeil der Liebe: unsichtbar und verdammt wirkungsvoll.
Selber schuld, magst du jetzt denken. Man macht sich nicht über andere lustig, nicht über Kleinere und erst recht nicht über kleinere Götter. Du hast ja recht. Ich war total überheblich an diesem Tag, weil ich kurz zuvor Python besiegt hatte. Ich habe es auch bitter bereut. Und ich werde es nie wieder tun, versprochen.