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Hilfe, überall Glitzer!
War früher wirklich mehr Lametta oder ist der vorweihnachtliche Dekowahn erst jetzt völlig außer Kontrolle geraten? Verkörpert »Last Christmas« die pure Besinnlichkeit oder doch den reinsten Ho-ho-horror? Alles Geschmackssache! Lucinde liebt Weihnachten über alles, aber Heike ist schon im September vom Fest gestresst und macht nur mit Mühe gute Miene zum bösen Krippenspiel. Nur in einem sind sie sich einig: Die letzten Feiertage des Jahres sind etwas ganz Besonderes. Man muss nur herausfinden, wie man sie am besten verdaut. Und eines steht fest: Ganz sicher nicht auf nüchternen Magen! Ein Buch über Familientreffen, Fresskoma und andere liebenswürdige Katastrophen – Vorfreude für alle!
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Seitenzahl: 288
LUCINDEHUTZENLAUB lebt und arbeitet im Süden Deutschlands. Die Autorin und DONNA-Kolumnistin liebt alles, was mit Weihnachten zu tun hat, vom Plätzchenbacken bis zum »Christbaumloben«.
HEIKEABIDI lebt mit ihrer Familie in der Pfalz. Vom Weihnachtstrubel lässt sie sich nicht sonderlich beeindrucken – denn nur so kann sie die Feiertage ganz entspannt genießen.
Gemeinsam trinken die beiden nicht nur Glühwein, sondern schreiben auch Bücher. Nach dem Bestseller Ich dachte, älter werden dauert länger folgte Ich dachte, sie ziehen nie aus.
Außerdem von Lucinde Hutzenlaub und Heike Abidi lieferbar:
Ich dachte, sie ziehen nie aus. Ein Überlebenstraining für alle Eltern, deren Kinder flügge werden (Lucinde Hutzenlaub, Heike Abidi)
Ich dachte, älter werden dauert länger. Ein Überlebenstraining für alle ab 50 (Lucinde Hutzenlaub, Heike Abidi)
Pasta d‘amore. Liebe auf Sizilianisch (Lucinde Hutzenlaub)
Wetten, ich kann lauter furzen? Wie man als Mutter von Jungs überlebt (Heike Abidi, Ursi Breidenbach)
Eine wahre Freundin ist wie ein BH: Sie unterstützt dich, lässt dich nie hängen und ist ganz nah an deinem Herzen (Heike Abidi, Ursi Breidenbach)
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Lucinde Hutzenlaub
Heike Abidi
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Copyright © 2020 by Penguin Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Covergestaltung: Bürosüd
Covermotiv: www.buerosued.de
Redaktion: Katharina Rottenbacher
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel GmbH, Köln
ISBN978-3-641-25485-8V003
www.penguin-verlag.de
Vorwort Lucinde: Oh, ich Fröhliche!
Vorwort Heike: Manche nennen mich den Weihnachtsgrinch
Teil 1:
Advent - der Weihnachtscountdown beginnt!
Das weihnachtliche Bullshit-Bingo, Teil 1
1. Offizieller Startschuss: Wer Last Christmas zuerst hört, hat gewonnen! (Lucinde)
2. Von wegen »Fastenzeit« (Heike)
3. Hach, dieses Funkeln! (Lucinde)
4. Ups, da steht ja noch der Nussknacker von vor x Jahren (Heike)
5. Adventskalender für ALLE! (Lucinde)
6. Adventskalender braucht kein Mensch – aber der Vierbeiner soll wirklich nicht leben wie ein Hund (Heike)
Das Weihnachtsquiz, Teil 1
Teil 2:
Seid ihr schon alle in Weihnachtsstimmung?
Das weihnachtliche Bullshit-Bingo, Teil 2
7. Lieblingstreffpunkt: Weihnachtsmarkt (Lucinde)
8. Plunder, Gedränge und die Sache mit der Romantik (Heike)
9. Nikolaus! Ahnenforschung gefällig? (Lucinde)
10. Würstchen, Wein und Tombola: die unvermeidliche Weihnachtsfeier (Heike)
11. Entschleunigungsprogramm: Was Aschenputtel mit Weihnachtspost zu tun hat (Lucinde)
12. Hochsaison für Bettelpost: Weihnachten naht, wenn der Briefkasten überquillt (Heike)
Das Weihnachtsquiz, Teil 2
Teil 3:
Morgen, Kinder, wird es festlich
Das weihnachtliche Bullshit-Bingo, Teil 3
13. Auf die Wunschzettel – fertig – los! (Lucinde)
14. Laut Werbung steht Weihnachten vor der Tür – gemeinsam mit einer dramatischen Hungersnot … (Heike)
15. Das ideale (Wichtel-)Geschenk! (Lucinde)
16. Von wegen: Wir schenken uns nichts … (Heike)
17. Hurra, ein Krippenspiel! (Lucinde)
18. Ein Hoch auf Plastik (Heike)
Das Weihnachtsquiz, Teil 3
Teil 4:
Es ist so weit: frohes Fest!
Das weihnachtliche Bullshit-Bingo, Teil 4
19. Alle meine Lieben … (Lucinde)
20. Der Plan ist, keinen zu haben (Heike)
21. Das Christkind hat geläutet (Lucinde)
22. Sieh mal im Wäschetrockner nach … (Heike)
23. Die wunderbare Auszeit zwischen den Jahren (Lucinde)
24. Silvester ist das bessere Weihnachten (Heike)
Das Weihnachtsquiz, Teil 4
Nachwort Lucinde: Zehn gute Gründe, Weihnachten zu lieben
Nachwort Heike: Wer ist hier der Grinch?
Danke, liebes Christkind …
Steckbrief
Lieblingsweihnachtsfilm: Alle Klassiker. Ich finde, es gibt nichts Schöneres, als auf der Couch zu liegen, ein Kind im Arm zu halten, einen Disneyfilm anzuschauen und vor Rührung zu schluchzen. Herzerwärmend.
Christkind oder Weihnachtsmann? Sowohl als auch! Ich liebe Überraschungen! Noch viel lieber überrasche ich andere. Nicht nur meine Familie, sondern auch Freunde. Klar, das geht auch außerhalb der Weihnachtszeit, aber da finde ich es eben besonders schön.
Lieblingsweihnachtslied: Ich liebe alle. Singen kann ich zwar nicht besonders, aber am 25. Dezember in den Weihnachtslieder-wünsch-Gottesdienst zu gehen, ist für mich die pure Freude. Okay, okay. Für meine Nebensitzer nicht so, aber hey … es ist Weihnachten. Da sind die Menschen großzügig.
Schönstes Weihnachtsgeschenk ever: Mein Sohn hat mir einen Stiftehalter geschnitzt. Darauf steht »Für die beste Autorin und Mutter« – ist das nicht zauberhaft? Ich werde ihn definitiv aufheben, bis er selbst Kinder hat, wie so vieles, was mir meine Kinder gemalt und gebastelt haben. Dieses Jahr haben sie uns einen Salsa-Tanzkurs geschenkt. Entweder es wird das beste oder das schlimmste Geschenk meines Lebens. Fragen Sie mich danach noch einmal!
Lustigster Weihnachtsbrauch: Christbaumloben, die Gurke im Baum … Siehe Seite 39-43.
Lieblingsweihnachtsplätzchen: Ich liebe Vanillekipferl, Zimtsterne, schlichte Ausstecher und Schoko-Kaffee-Tatzen mit Orangenmarmelade nach einem alten, sehr geheimen Familienrezept. Wobei: Euch kann ich es ja verraten, oder? Siehe Seite 30.
Glühwein oder Punsch? Am liebsten beides. Wenigstens da sind Heike und ich uns einig. Noch dazu Lumumba und blonder Engel. An Weihnachten ist alles erlaubt.
Zum Heiligen Abend gehört bei uns: Dass wir für die Bescherung das halbe Wohnzimmer umstellen, damit auch alle um den Baum herumsitzen können. Und ein hart gekochtes Ei für meine Mutter.
Lieblingsweihnachtszitat: Mein Lieblingszitat ist die dritte Strophe des Weihnachtslieds von Theodor Storm:
Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muss ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein güldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl’s, ein Wunder ist geschehn.
Ich bin eigentlich ein totaler Sommermensch und liebe die Hitze, bunte Blumen, laue Abende und Schwimmen im Baggersee. Aber den Winter liebe ich auch. In meiner Idealvorstellung liegt eine weiße Decke über dem Land und die Sonne scheint auf schneebedeckte, glitzernde Felder. Meine Kinder fahren Schlitten, drinnen knistert das Kaminfeuer, und abends wird gespielt.
Kitschig? Und wie! Realistisch? Nun ja.
Trotzdem: Wie gut, dass ich mich nicht entscheiden muss.
Ich habe mir vorgenommen, diese Jahreszeit nicht zu entzaubern. Ich möchte wenigstens an Weihnachten in ein (vielleicht naives und dennoch) wunderschönes Fest der Liebe eintauchen, ohne mir selbst ständig ein zerstörerisches »Ja, aber« zuzuraunen. Ich finde es wundervoll, mit meinen Kindern zu backen, den Duft nach Zimt und roten Früchten in der Nase zu haben und mir zu überlegen, wem ich womit beschenken kann. Damit meine ich nicht unbedingt, dass Geschenke viel kosten sollen. Sie sollen nur zeigen, dass man dem anderen zugehört hat und ihm eine Freude machen will. Dazu ist Weihnachten doch perfekt, oder etwa nicht?
Unsere Kinder sind jetzt nicht mehr ganz klein, aber sie bekommen trotzdem noch Adventspäckchen. Jeden Sonntag eines. Darin ist immer dasselbe: Zeit. Wir gehen einmal gemeinsam Schlittschuhlaufen, einmal ins Kino, und einmal (das macht besonders viel Spaß) backen wir zusammen, dazu später mehr. Weihnachten ist für uns nicht nur am 24. Dezember, sondern vielmehr den ganzen Monat über. Ich liebe es. Und nein, ich bin nicht gewillt, das herzugeben. Auch wenn ich den Grinch ebenfalls sehr mag. Vor allem deshalb, weil es ein Happy End für ihn gibt.
Wenn man es genau nimmt, ist Weihnachten vielleicht genau das für mich: das Happy End meines Jahres.
Steckbrief
Lieblingsweihnachtsfilm: Bleibt mir weg mit Kitschfilmen wie Sissi, Drei Haselnüsse für Aschenbrödel oder Der kleine Lord. Stattdessen schau ich mir lieber Das Leben des Brian an. Aber natürlich sind auch Michel aus Lönneberga und Loriots Weihnachten bei den Hoppenstedts Pflichtprogramm. (Dass ich in einem Ort namens Hoppstädten aufgewachsen bin, kann doch kein Zufall sein!)
Christkind oder Weihnachtsmann? Christkind, definitiv. Wobei dieser Begriff in unserer Familie auch für eine umständliche, leicht verkorkste und unsichere ältere Frau steht. Fragt mich nicht, warum.
Lieblingsweihnachtslied:Happy New Year von ABBA
Schönstes Weihnachtsgeschenk ever: eine Gitarre (1973). Und natürlich Bücher …
Lustigster Weihnachtsbrauch: Ein Lied singen vor der Bescherung (und zwar jeder ein anderes – gleichzeitig). Ganz wichtige Tradition ist bei uns auch der Rausschmiss des Weihnachtsbaums, und zwar gleich am 27. Dezember. Endlich überstanden!
Lieblingsweihnachtsplätzchen: Zimtwaffeln! Wenn sie jemand für mich backt …
Glühwein oder Punsch? Ja, gern! Nüchtern erträgt doch kein Mensch die unvermeidliche Last Christmas-Beschallung.
Zum Heiligen Abend gehört bei uns: Raclette, Bescherung, Brettspiele (kennt ihr Nobody is perfect?)
Lieblingsweihnachtszitat: »Früher war mehr Lametta« (Loriot)
Ja, okay. Ich kann es nicht verheimlichen. Es gibt größere Weihnachtsfans als mich. Genauer gesagt – Weihnachten ist nicht gerade mein Ding. Ich bin sozusagen der Grinch.
Aber mit Sicherheit bin ich da nicht allein. Es gibt viele von uns. Doch umgeben von einer Überdosis Lametta, Last Christmas und Lübecker Marzipan wagen sich nur die wenigsten aus ihrer Deckung. Und machen gute Miene zu bösem Krippenspiel …
Kennen Sie die Redewendung »Das ist ja wie Weihnachten«? Soll wohl das Nonplusultra beschreiben. Wenn alles rundum wunderbar ist. Ganz ehrlich: Ist Weihnachten wirklich so fantastisch? Ich meine für Erwachsene, nicht für Kinder. Als ich klein war, dachte ich auch, Weihnachten sei an Herrlichkeit nicht zu toppen. Aber mal ernsthaft: Welcher Erwachsene tickt noch so? »Das ist ja wie Weihnachten« bedeutet in Wahrheit: übervolle Supermärkte, gestresste Kunden, überheizte Kaufhäuser, nervige Jingle-Bells-Beschallung, panische Verzweiflungskäufe.
Tolles Gefühl, oder? Ungefähr so klasse wie Magenkrämpfe und Fieber inmitten eines 20-Kilometer-Staus.
Dabei scheinen Redewendungen immer so wahr zu sein. Aber sind sie das auch tatsächlich? Viele wirken eher lächerlich, wenn man sie sich bildlich vor Augen führt. Zum Beispiel: »Das hängt mir zum Hals raus.« Sehen Sie? Zum Piepen. Oder: »Ein Auge auf jemanden werfen.« (Iiiih!) Oder: »Jemandem einen Bären aufbinden.« …
Köstlich, oder?
Und dann gibt es diese Redewendungen, die so logisch wirken, es bei genauerem Hinschauen aber gar nicht sind. Zum Beispiel: »Sich wie neugeboren fühlen.« Als ob das so herrlich wäre! Raus aus dem körperwarmen Fruchtwasser, rein in den ungemütlichen, grell beleuchteten Kreißsaal … In Wahrheit charakterisiert diese Formulierung überhaupt nichts Angenehmes, sondern vielmehr den ersten Schock, den man erlebt!
Nicht anders ist es mit »ein Gefühl wie Weihnachten«.
Okay, hieße es »wie Weihnachten als Kind«, wäre ich absolut einverstanden. Denn ich erinnere mich noch genau daran: diese Aufregung, diese Vorfreude! Dieses Ich-kann-es-kaum-Erwarten und Das-ist-der-schönste-Tag-im-Jahr.
Von meiner Mutter ist überliefert, dass sie einst am Heiligen Abend gejubelt hat: »Ich bin so glücklich und so herrlich!« Ja, wenn es überhaupt einen Tag gibt, an dem man sich herrlich fühlen kann, dann ist es der Heiligabend – aber nur in der Kindheit.
Für Erwachsene ist Heiligabend der Tag des Supermarkthorrors, des Last-minute-Geschenke-Shoppings, des Zähnezusammenbeißens (wegen der lieben Familie und überhaupt), des Extrem-Cookings und der krassen Anspannung: Werden alle zufrieden sein? Oder ist irgendwer enttäuscht? Alles muss perfekt klappen, in anderen Familien gelingt das doch auch!
Spoiler-Alarm: Nein, in anderen Familien läuft das genauso verquer wie bei Ihnen. Es gibt Blut, Schweiß und Tränen. Und Enttäuschungen. Vorwürfe. Befindlichkeiten. Egoismus. Bühnenreife Monologe. Geschmacklose Outfits. Und jede Menge Papierabfall …
Ja, zugegeben. Ich bin der Grinch. Aber genau deshalb kann ich die Feiertage entspannter genießen als die meisten anderen.
Oh, Sie wollen wissen, wie das geht?
Was für ein Glück, dass Sie genau dieses Buch in Händen halten. Lesen Sie einfach weiter. Und lassen Sie sich von Lucindes euphorischer Weihnachtsschwärmerei nicht irritieren. Bleiben wir cool und unfeierlich. Wetten, dass die Feiertage noch nie so herrlich waren?
Teil 1:
ADVENT – DER WEIHNACHTSCOUNTDOWN BEGINNT!
Die Vorweihnachtszeit hat gerade erst angefangen, doch bestimmte Sätze haben Sie in dieser Saison schon so oft gehört, dass Sie beim nächsten Mal am liebsten »Bingo!« rufen würden?
Tun Sie’s doch einfach! Aber erst, wenn Sie eine ganze Reihe unserer Sprüchesammlung abhaken können. Sollte nicht allzu lange dauern. Viel Spaß!
Ich hab noch kein einziges Geschenk.
Hoffentlich krieg ich nicht schon wieder was Praktisches.
Mein Mann bekommt ein Werkzeugset.
War nicht gerade neulich noch Hochsommer?
Wer geht mit Schlittschuhlaufen?
ENDLICH! Last Christmas im Radio.
Bei uns kriegt jeder einen Adventskalender.
Schon wieder Last Christmas im Radio.
Kein Stress. Noch fast vier Wochen bis Weihnachten.
Noch fünf Wochen bis Silvester!
Ich brauch dringend was Festliches zum Anziehen!
Ich kann echt keine Lebkuchen mehr sehen!
Einmal wieder weiße Weihnacht … das wär so schön!
Wir hatten doch irgendwo einen Adventskranz?
Mist, es ist viel zu warm, um Glühwein zu trinken.
Ich nehm noch einen!
Hand aufs Herz: Haben Sie diese Bullshit-Bingo-Sätze nur gehört oder vielleicht sogar selbst gesagt? Wir können Sie trösten: Das ist keine Schande! Uns geht’s ja genauso. Vor allem oben rechts …
Ich verstehe, dass man in Schuh- und Klamottenläden schon im August beginnt, Winterjacken und Fellstiefel zu verkaufen. Es ist sicher sinnvoll, auf Kälte und Schnee vorbereitet zu sein, ähnlich wie man eben nicht erst im Dezember sein Auto mit Winterreifen bestückt. Alles gut.
Kein Mensch will von etwas Unangenehmem oder Gefährlichem überrascht werden. Warum auch? Die Frage danach, warum es Lebkuchen schon im August geben muss, ist trotzdem berechtigt. Schließlich ist – zumindest für die meisten – Weihnachten weder schlimm noch bedrohlich. Also, warum gibt es sie schon zu einer Zeit, in der das Freibad noch offen hat und wir meilenweit davon entfernt sind, Strümpfe zu tragen, geschweige denn Winterjacken, Schals und Mützen? Ganz einfach, sagen die dafür zuständigen Handelsvertreter und lachen sich ins Fäustchen, weil nämlich Spekulatius und Lebkuchen überhaupt kein Weihnachtsgebäck sind, sondern – Überraschung – Herbstgebäck. So. Beweisen kann man das auch ganz leicht: An keiner der Verpackungen hängen irgendwelche Glöckchen, Engel oder sonstiger Weihnachtsschmuck, der diese Assoziation herstellen würde. In Polen isst man Lebkuchen sowieso das ganze Jahr, weshalb sich dort auch alle wundern, dass es bei uns erst ab August welche gibt. Außerdem, und da haben die klugen Menschen mit den klingelnden Kassen sicher recht: Wenn man nicht möchte, muss man ja weder in Polen noch hier welche im Spätsommer kaufen!
Viele machen es natürlich trotzdem, ganz einfach, weil die Keks- und Schokoberge nun mal da sind. Klar, wer Dominosteine mag, mag sie auch im August. Ich mag sie weder im August noch im Dezember, aber das ist ein anderes Thema.
Was ich mag, ist Vorfreude. Allein die Vorstellung, wie es dann, ungefähr vier Monate später, sein wird, macht mich froh. Sobald ich die ersten Lebkuchen im Laden sehe, ist das für mich also kein Ärgernis, sondern der Moment, in dem die Weihnachtsvorfreude mit all dem Glück kurz aufblitzt, das mich in ein paar Monaten umhüllen wird.
Ich nenne dies Phase eins der Weihnachtsvorfreude. Im September und Oktober bin zwar auch ich gefühls- und freizeitmäßig noch anderweitig unterwegs, aber trotzdem wächst in mir langsam und beständig dieses unglaubliche Gefühl der Spannung. Weihnachten kommt! Ich freue mich! Ich freue mich einfach gern. Auch schon im Voraus. Lebkuchen kaufe ich selbstverständlich trotzdem keine. Die backe ich am liebsten selbst.
In einer Sache muss ich den Handelsvertretern allerdings widersprechen. Interessanterweise sind es ja nicht nur die Lebkuchen, die uns ab August überall begegnen – nein, pünktlich als Begleitmusik zu den ersten Regalen voller Lebkuchenherzen dudelt auch das erste Mal LastChristmas im Radio. Ich weiß das, denn ich stehe diesbezüglich seit Jahren in einem Wettbewerb mit meiner Freundin Jana. Wer es zuerst hört, hat gewonnen. Letztes Jahr war es der 3. August und Jana die Gewinnerin. Zum Beweis hat sie ihr Autoradiodisplay fotografiert. Ebenfalls im Bild: die Temperaturanzeige. Es hatte 26 Grad. Seitdem wissen wir, dass die einzige wirklich LastChristmas-freie Zeit zwischen dem 27. Dezember und dem 3. August ist. Wer dieses Lied nicht mag, sollte seinen Radiokonsum auf diese Monate reduzieren. Gut, wer jetzt auch noch was gegen Despacito hat, sollte vielleicht ganz aufs Radiohören verzichten, denn dieses Lied ist quasi das LastChristmas fürs Sommergefühl, aber im Gegensatz zu George Michaels Klassiker kann einem der Sommerhit von Luis Fonsi durchaus ganzjährig begegnen.
Wie erfolgreich ein Lied ist, erkennt man ja gern auch mal daran, dass es eine Coverversion mit bairischem Alternativtext gibt. Bei Despacito sind es gleich mehrere: »Wos passiert do?«, »Des passiert da« oder »Des passt mir so!« – Letzteres ein Lied über das perfekt sitzende Dirndl. Komisch, dass bei LastChristmas bisher keine bairische Version entstanden ist. Oder Moment: YouTube sei Dank, weiß ich nun, dass dies ein Irrtum ist. LastChristmas aka »Du bistas!«. Mit Akkordeon und sehr überschaubarem, ebenfalls bairischem Text. Nun gut. Immerhin kann man dazu selbst als Nichtbayer problemlos mitsingen. Bei dieser Spontanrecherche habe ich außerdem auch eine Heavy-Metal-LastChristmas-Variante von Slayer gefunden und Feliz Navidad auf Platt.
Schon ganz witzig, das alles, aber bei Weihnachtsliedern bin ich Traditionalistin. Ich brauche weder Dialekt- noch Hardrockversionen. Ich mag sehr gern die Originalmelodie, -instrumentalisierung und -sprache. Das heißt, was Texte angeht, bin ich ein winziges bisschen flexibel. Bei uns wird mit zunehmender Dunkelheit und dementsprechendem Weihnachtsgefühl nämlich tatsächlich auch gern und viel gesungen. Und auch wir liegen sowohl textlich als auch, was die Melodie angeht, öfter mal daneben. Dennoch: Phase zwei beginnt mit dem letzten Wochenende vor dem ersten Advent. Und wenn wir nicht singen, bringen wir langsam aber sicher Spotify mit Weihnachts-Playlists zum Glühen.
In Phase zwei brennen Kerzen, das Kaminfeuer knackt. In der Familienchatgruppe sammeln sich Rezepte für das Weihnachtsmahl, und ich habe immer noch keine Lebkuchen gekauft, dafür Unmengen an Vanille, Schokolade, Mehl und Zucker. Wir schreiben das letzte Wochenende vor dem ersten Advent, das meine Töchter und ich traditionell dazu nutzen, Kekse zu backen. Ab jetzt beginnt mein Lieblings-Countdown. Mein Mann Holger und mein dreizehnjähriger Sohn William wollen am großen Backen nicht teilnehmen. Sie wollen die Kekse lieber essen. Meine Mutter kommt auch erst später dazu, nämlich dann, wenn es etwas zu probieren gibt und ein Glas Sekt auf den erfolgreichen Tag. Das einzig männliche Wesen, das außer Lilli, Paulina, Maria und mir mit Begeisterung dabei ist, ist Paulinas Freund Marcel, und er macht seine Sache sehr gut. Auch meine bunte Schürze steht ihm ausgezeichnet. Wir backen – auch das ist Tradition – nach dem Kochbuch meiner Großmutter und dementsprechend eher schlichtes Gebäck. Wir lieben Ausstecher, Vanillekipferl und Zimtsterne und – die einzige Ausnahme: dunkle Schoko-Kaffee-Tatzen mit Orangenmarmelade. Leider sind sie auch ziemlich aufwendig. Und irgendwie immer zu wenig.
Ein anderes Thema beschäftigt uns nun gerade sowieso mindestens so sehr: Das Aufstellen des Tannenbaums.
Ich persönlich mag ja die Nordmanntannen am liebsten, denn deren Grün ist meiner Meinung nach am grünsten, die Nadeln sind am saftigsten und überhaupt die Äste am dichtesten. Mein Mann und ich sind uns da immer ziemlich einig. Ich kenne allerdings ein paar Familien, in denen der Baum nicht groß genug sein kann und ausgiebig diskutiert wird, welche Baumseite nach vorne gehört. Wenn dann die optimale Position gefunden ist, wird gerne mal festgestellt, dass er nun entweder nicht in den Ständer passt oder aber mit Ständer zu hoch fürs Wohnzimmer ist. Nichts, was man mit ein bisschen Eierlikör und Weihnachtsgebäck nicht klären könnte. Auch solche Diskussionen eignen sich nämlich prima als Tradition.
Unser Baum muss nicht groß sein. Im Gegenteil. Ich finde es sogar schön, wenn man ihn auf einen kleinen Tisch stellen kann. Praktischer Nebeneffekt: Er ist aus der Reichweite unserer Katzen. Jeder Baum hat eine andere Wirkung, aber egal ob groß oder klein, Hauptsache, er ist liebevoll geschmückt, es passen genügend echte Kerzen drauf und bunt verpackte Geschenke drunter. Egal wie: Am Ende steht der Baum, die erste Kerze auf dem Adventskranz brennt. Phase drei hat begonnen. Jetzt ist einfach auf allen Ebenen Weihnachten: die Düfte, die Lichter, die Lieder, das Essen. Ja, ich genieße es. Und wie. Natürlich könnte man mir jetzt vorwerfen, dass ich oberflächlich, genusssüchtig und unvernünftig bin. Das Einzige, was ich vielleicht unterschreiben würde, wäre Letzteres. Andererseits: Wann haben wir eigentlich verlernt zu genießen? Und warum gestehen wir es uns nicht zu? Es geht ja nicht vordergründig um Konsum, sondern auch darum, sich an dem zu freuen, was man hat, und dankbar dafür zu sein. Natürlich weiß ich, dass es viele Menschen gibt, denen es schlecht geht. Die in Ländern leben, in denen Krieg herrscht und Verzweiflung. Und natürlich kann man sich immer auf den Standpunkt stellen, dass Weihnachten nicht angemessen ist in Anbetracht all der Katastrophen überall auf der Welt, aber ganz ehrlich: Ich finde, es ist gerade die Zeit, in der man sich daran erinnern sollte, dass es so etwas wie Freude und Frieden, Nähe und Liebe, Glück und Zuversicht durchaus gibt. Vor allem, wenn man in seinem Umfeld dafür sorgt, dass es spürbar ist. Ich bin dankbar dafür, dass ich so viel Glück habe, und genau deshalb tauche ich – zumindest in dieser Phase – in die Nähe, Wärme und Geborgenheit ein, die es nun mal ganz besonders in der Weihnachtszeit gibt. Es ist wunderbar. Und das eigentliche Geschenk, finde ich. Das Beste daran: Man kann es jeden Tag aufs Neue auspacken.
Apropos: Bei uns gibt es noch einen weiteren wunderschönen Vorweihnachtsbrauch, der die Menschen miteinander verbindet. Ähnlich wie das Christbaumloben (dazu später mehr) führt es uns vom 1. bis zum 23. Dezember durch die komplette Gemeinde. Es nennt sich Adventsfenster. Man braucht dazu nur eine Kerze im Glas (oder eine Taschenlampe), eine Tasse und eine Liste mit dreiundzwanzig Adressen. Jeden Abend um 18 Uhr kann man sich bei der jeweiligen Adresse einfinden.
Die Konfirmanden, der Kirchenchor, aber auch viele Familien bereiten ein solches Fenster vor. Das Treffen dauert fünfzehn Minuten. Viele Gastgeber haben ein Fenster ganz besonders weihnachtlich geschmückt. Manchmal gibt es ein Schattenspiel, oder jemand erzählt einfach etwas. Es werden ein paar Lieder gesungen, und jemand spricht ein Gebet. Es gibt Kekse und Punsch oder Glühwein, und alle sind willkommen. Meist kommen viele. Kinder, die sich über die Geschichten freuen, Ältere, die sonst alleine wären, und viele Bekannte und Freunde, die es einfach genießen, sich kurz zu sehen. Auch wir haben letztes Jahr ein Fenster gemacht. Und auch wenn die eigentliche Veranstaltung auf fünfzehn Minuten begrenzt ist, so standen wir doch bis beinahe 22 Uhr um den Feuerkorb, haben gesungen und uns unterhalten.
Last Christmas steht übrigens nicht auf dem Liederzettel, dafür eher traditionelle Weihnachtslieder wie Stille Nacht und O du fröhliche.
Hört sich gut an. Je mehr mitsingen, umso weniger fällt auf, wie wenig ich die Töne treffe, aber vielleicht ist auch das an Weihnachten nicht so wichtig.
Holger sitzt in dieser Zeit oft abends am Klavier und spielt und singt Halleluja von Leonard Cohen oder noch viel lieber den Winter Song, im Original gesungen von Ronan Keating, geschrieben von Ingrid Michaelson und Sara Bareilles, sein persönliches Weihnachtslieblingslied, und fühlt sich selbst ein bisschen wie der irische Sänger. Ich gebe zu, ich bin dann durchaus gewillt, ihn ebenfalls ein bisschen für Ronan zu halten und ihn pflichtschuldigst anzuhimmeln. Vor allem dann, wenn er nach zehn Durchgängen wieder mit dem eigentlich schönen Lied aufhört.
Habe ich gerade noch behauptet, ich würde Weihnachtslieder gerne im Original hören? Das stimmt auch. Die Schulchor-Version von O Come, All Ye Faithful, komponiert von John Francis Wade, die die Schüler von Williams Schule dieses Jahr beim Weihnachtskonzert zum Besten gegeben haben, frei interpretiert von meinem Sohn, mag ich allerdings auch. Sehr sogar. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, dass sie den eigentlichen Sinn ausreichend transportiert. Für alle anderen außer mir, die den Originaltext bisher ebenfalls nicht ganz so genau kannten, hier die erste Strophe:
O come, all ye faithful,
joyful and triumphant,
O come ye, O come ye to Bethlehem.
Come and behold him
Born the king of angels!
O come let us adore him,
O come let us adore him,
O come let us adore him,
Christ the lord!
So weit, so wunderbar. Zugegebenermaßen ist das Englisch des 19. Jahrhunderts nicht ganz einfach zu verstehen. Besonders interessant wird es daher, wenn man wie William sein Textblatt vergisst und darum nach Gehör singen muss.
Wo kommt euer Baseball,
troyful and triangle
oh come now
oh come now to bethlehem
Come and we hang him (?)
king of all you anxious
oh come and have the door ring
oh come and have the door ring: to cry a lot!
Ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich mir Sorgen machen muss. Vor allem dieses »Come and we hang him« kam mir doch ein wenig brutal vor im Hinblick auf Weihnachten, andererseits macht dann sowohl der »King of all you anxious« wieder Sinn, »to cry a lot« sowieso und außerdem: So eine schwierige Vokabel wie anxious muss man sich erst einmal merken können. Sei’s drum. Weder im Chor noch im Publikum hat sich irgendjemand beschwert, und als ich neulich mal morgens das Lied mit Williams Text gesungen habe, natürlich nur leise und so heimlich vor mich hin, fand ich schon auch, dass es verblüffend richtig klang.
Meine Top Ten und ihre Interpreten:
Ja, ich oute mich hier und jetzt auch als Last Christmas-Freundin. Natürlich nicht nur, und es ist auch nicht mein Lieblingslied (schon gar nicht auf Bairisch), aber es gehört zu Weihnachten dazu, wie Lebkuchen und Spekulatius. Oder, in Handelsvertretersprech, das Herbstgebäck.
1. Winter Song, Ronan Keating
2. Nativity Carol, Ida Sand
3. This Christmas, Oh Wonder
4. Carol of the Bells, Mykola Dmytrovych Leontovych
5. Mis Deseos, Michael Bublé
6. Do You Hear What I Hear, Carole King
7. Panis Angelicus, Il Divo
8. Misa Criolla, Mercedes Sosa
9. Hallelujah, Rufus Wainwright
10. O Holy Night, Ellie Goulding
Oh, und hier natürlich auch noch das Schoko-Kaffee-Tatzen-Rezept. Die wiederum könnte ich durchaus auch ganz polnisch das ganze Jahr essen.
Zutaten:
140 g weiche Butter
50 g Puderzucker
120 g Mehl
20 g Kakao
½ TL frisch gemahlener Espresso
20 g Zartbitter-Raspelschokolade
Guss:
150 g Orangenmarmelade
200 g halbbittere Kuvertüre
Zubereitung:
Die Zutaten für den Teig verkneten. Mit feuchten Händen kleine Kugeln rollen (Haselnussgröße).
Auf ein Backblech setzen und mit einer Gabel flach drücken, sodass die Rillen sichtbar sind (sie sehen dann aus wie Gnocchi). Bei 175 Grad (Umluft) ca. zehn Minuten backen. Abkühlen lassen.
Guss: Orangenmarmelade erwärmen und pürieren. Die abgekühlten Kekse zur Hälfte in die Orangenmarmelade tauchen. Trocknen lassen. Die Kuvertüre schmelzen und die Kekse mit der Orangenmarmeladenseite hineintauchen. Wieder trocknen lassen. Fertig.
Schoko-Kaffee-Tatzen? Lecker, muss ich unbedingt mal probieren. Egal wann. Meinetwegen auch im Advent. Und zwar ohne schlechtes Gewissen!
Schaffen Sie das auch? Oder ist die Frage »Wie komme ich durch die Vorweihnachtszeit, ohne zuzunehmen?« auch für Sie ein ständiger Begleiter? Dieses Erste-Welt-Problem dominiert doch jedes Jahr ab November die einschlägigen Frauenzeitschriften, Diätforen und Abnehmklubs.
Eine Frage, die meine Uroma weder interessiert noch verstanden hätte, da bin ich sicher. Und das nicht nur, weil sie in ihrem ganzen Leben weder irgendwelche Zeitschriften gelesen noch freiwillig gehungert hätte. Sondern auch, weil der Advent zu ihrer Zeit mehr von Verzicht denn von Völlerei geprägt war.
Ja, Überraschung: Eigentlich ist der Advent nämlich eine Fastenzeit. So wie die zwischen Fastnacht und Ostern. Sie kennen das: sieben Wochen ohne Zucker, Alkohol oder Auto. Oder ohne alles, was Luxus wäre. (»Mama, ich verzichte freiwillig sieben Wochen lang auf Gemüse« gilt übrigens nicht!)
Erstaunlicherweise liegt das Fasten vor Ostern wieder so richtig im Trend. Man muss gar nicht religiös sein, um mitzumachen – viele tun es, um zu »entschlacken« (als ob der menschliche Körper ein Hochofen wäre) oder auf Neudeutsch zu detoxen, um abzunehmen, die Leber zu schonen, ein Zeichen zu setzen, die Welt zu retten – oder wenigstens den eigenen Cholesterinspiegel.
Fasten ist in. Aber ganz bestimmt nicht während der Vorweihnachtszeit! Nein, in diesen angeblich so besinnlichen Wochen eilt man lieber von Christkindlmarkt zu Weihnachtsfeier und wieder heim an den Herd, um fleißig hochkalorische Süßigkeiten zu backen. Man ächzt über drückende Mägen und kneifende Hosenbünde. Dann nimmt man eben etwas gegen Sodbrennen ein und füllt – dezent aufstoßend – einen Überweisungsträger aus. Spende an die Hungernden dieser Welt. Nur um anschließend gedankenlos eine Kokosmakrone in den Mund zu schieben und nachzuschauen, ob der Merlot schon genug geatmet hat …
Mit anderen Worten: Man steuert geradewegs auf die nächste Konfektionsgröße zu. Nicht ahnend, dass man eigentlich nur die Philippus-Fastenzeit einhalten müsste, und schon wäre man alle Sorgen los. Oder wenigstens eine: die Angst vor den heimtückischen Kalorien.
Philippus-Fastenzeit heißt sie deshalb, weil sie am 15. November beginnt, gleich nach dem Gedenktag dieses Apostels. Und sie dauert genau vierzig Tage – also bis Heiligabend.
Wie – an Heiligabend wurde früher gefastet? Richtig – da gab es vor der Bescherung höchstens Kartoffelsalat und Wiener Würstchen.
Ja, dämmert jetzt was? Stimmt, das gab es doch früher bei Oma auch immer! Und in manchen Haushalten ist diese frugale Kombination auch heute noch Standard. Ein Klassiker eben. Und jetzt wissen Sie auch, woher diese schöne Tradition kommt.
Übrigens haben die Menschen früher aus etwas anderen Gründen gefastet als oben geschildert: Begriffe wie ökologischer Fußabdruck, CO2-Ausstoß, BMI oder Low-Carb kannten sie nicht. Sie wollten einfach nur Körper, Geist und Seele reinigen, um sich auf das bevorstehende Fest einzustimmen.
Das ist Vergangenheit. Konzentrieren wir uns auf die Gegenwart. Genauer gesagt auf ein Gedankenspiel: Mal angenommen, man würde ab Mitte November zwar fleißig backen, aber die Plätzchendose nicht vor dem ersten Weihnachtsfeiertag öffnen. Auch sonst würde man auf alles, was dick macht (Glühwein, Gänsekeule, gebrannte Mandeln) verzichten. Die erste üppige Mahlzeit wäre der Weihnachtsbraten am 25. Dezember.
Die Abnehmforen könnten dichtmachen! Die Fitnessstudios würden im neuen Jahr vergeblich auf den Ansturm der Abnehmwilligen warten. Die Frauenzeitschriften müssten sich einen neuen Themenschwerpunkt suchen – beziehungsweise die Diättipps vom Januar auf den Dezember vorverlegen. Mit anderen Worten: ein einziges Chaos!
Allerdings sieht es nicht danach aus, als würde die Philippus-Fastenzeit demnächst einen Boom erleben. Stattdessen hat man sich wohl damit abgefunden, dass in der Vorweihnachtszeit hemmungslos geschlemmt wird. Lebkuchen und Schmalzgebäck, Bratwurst und Eierpunsch, Ente und Klöße lauern schließlich überall! Eine heimtückische Kalorienfalle folgt der anderen. Man ist einfach machtlos dagegen! Hier ein bisschen Gebäck, dort etwas Fingerfood (Blätterteig! Teufelszeug!), dazu ein Gläschen Schampus – und zack, Völlegefühl.
Genuss ist etwas Wunderbares. Schade nur, wenn einem Zimtsterne und Vanillekipferl schon Anfang Dezember zuwider sind, weil man sich daran überfressen hat, und das köstliche Festtagsmenü eher heruntergewürgt als mit Genuss verzehrt wird, weil Hüftgold und Rettungsring nicht zu ignorieren sind und für ein schlechtes Gewissen sorgen.
Irgendwie ist es ganz schön absurd, wie erst über Dominosteine im September gelästert und dann hemmungslos gefuttert wird, nur weil ein religiöses Fest bevorsteht, das ursprünglich mit Essen überhaupt nichts zu tun hat. (Oder gab es im Stall zu Bethlehem etwa Raclette, Rinderbraten und Rotkohl?) Und wie dann die Folgen dieser Völlerei zum Hauptthema werden – man warnt davor, man jammert darüber, man gibt kluge Tipps, und das alle Jahre wieder. Fress-Stress im Advent. Ein modernes Drama.
Das klingt jetzt vielleicht so, als wäre ich immun. Oh, glauben Sie mir, das Gegenteil ist der Fall! Ich kaufe zwar keine Lebkuchen, aber mein Mann tut es – und das, sobald das sogenannte »Herbstgebäck« (wie ich bei Lucinde gelernt habe) angeboten wird. Wenn’s sein muss, sogar im August. Ich backe auch keine Weihnachtsplätzchen, aber ich kenne liebe Menschen, die das ganz hervorragend können und gerne tun. Einige davon leben mit mir im gleichen Haushalt. Und ich habe zwar in meinem ganzen Leben noch keine religiöse Fastenzeit eingehalten, dafür aber umso mehr Diäten samt Jo-Jo-Effekt hinter mir und damit Gewichtsschwankungen von über fünfzig Kilo – bei unveränderter Körpergröße. Inzwischen müsste ich wohl einen guten Meter wachsen, um als normalgewichtig zu gelten.
Trotzdem habe ich keine Panik davor, im Winter zuzunehmen. Denn eigentlich ist die Gefahr dann ja nicht größer als sonst, wenn man es genau betrachtet. Die gefüllten Berliner in der fünften Jahreszeit sind schließlich genauso bedrohlich. Und die vielen Ostereier erst (ich rede jetzt nicht von Hühnereiern, sondern von solchen aus Blätterkrokant!). Ganz zu schweigen von wahnsinnig riskanten Grillpartys im Sommer, den dramatisch-üppigen Büfetts im All-inclusive-Urlaub, hinterlistiger Eiscreme und dem hochriskanten Aperol Spritz. Und dann die unheilvolle Lust auf Deftiges, wenn es wieder Herbst wird …
Dennoch mache ich mir seit ein paar Jahren keine Sorgen mehr um mein Gewicht. Und seitdem ist es absolut stabil. Zugenommen habe ich immer nur nach einer Diät – nicht nach einem Weihnachtsfest.
Außerdem bin ich seit ungefähr ebenso langer Zeit relativ sportlich, gemessen am Level normal aktiver Menschen. Gemessen an meinem früheren Ich bin ich sogar wahnsinnig sportlich. Inzwischen habe ich tatsächlich echten Spaß an der Bewegung, und selbst zwischen den Jahren war ich joggen und im Fitnessstudio. Der Wahnsinn!
Was mich aber am meisten von übermäßiger Völlerei abhält, ist weder meine neu entdeckte Sportlichkeit noch meine (nicht sonderlich stark ausgeprägte) Selbstbeherrschung, sondern eine OP-Narbe am Bauch, die sofort anfängt zu schmerzen, wenn ich auch nur eine Erbse zu viel gegessen habe. (Okay, der Effekt hält nicht allzu lange an. Ich muss nur eine halbe Stunde warten, und schon geht’s wieder. Und Flüssiges passt eh immer rein. Sonst wäre ich vermutlich schon längst ein Strich in der Landschaft statt noch immer eher ein Klecks …)
Und dann ist da noch die Sache mit der Gelassenheit. Ich halte es gut aus, keine perfekte Hausfrau zu sein. Keinen selbst gebastelten Adventskalender für alle Familienmitglieder aus dem Hut zu zaubern. Keine staubfreie Wohnung zu haben. Und vor allem keine sieben Mahlzeiten am Tag aufzutischen. Meistens tische ich keine einzige auf, sondern decke allenfalls den Tisch und stelle mich für kleinere Hilfsarbeiten zur Verfügung (Zutaten anreichen, Spülmaschine ausräumen, Getränke bereitstellen). Mit einem professionellen Koch als Ehemann war mir schon früh klar, dass ich bescheuert wäre, auf diesem Feld mit ihm zu konkurrieren. Also habe ich es gar nicht erst versucht.
Was ich ebenfalls vermeide: meine Familienmitglieder und Gäste zu Mahlzeiten zu nötigen, die sie gar nicht wollen, weil sie noch dabei sind, die vorherige zu verdauen. Ich meine – wozu überhaupt frühstücken, wenn mittags ein Festessen bevorsteht? Und warum Kuchen backen, wenn nachmittags eh keiner Appetit auf irgendwas hat? Meine Güte, vielleicht kriegt man noch nicht mal am Abend wieder was runter!
Wer Hunger hat, bekommt natürlich etwas zu essen. Und nicht irgendwas, sondern was Leckeres. Aber niemand muss sich bei uns nur aus Höflichkeit den Bauch vollschlagen.
Aber auch das wollen uns die einschlägigen Frauenzeitschriften ausreden. Ja, genau – dieselben, die uns Tipps dafür geben, wie wir die bösen Kaloriensünden im Advent umgehen. Und die uns dann im Januar sagen, wie wir die zusätzlichen Pfunde wieder loswerden. Die uns aber gleichzeitig weismachen wollen, wir müssten unsere Lieben an den Feiertagen mästen wie Weihnachtsgänse. Nur dann wären wir gute Frauen, Mütter, Gastgeberinnen.
Muss ich eigentlich erwähnen, dass das Käse ist?
Okay. Dann sind wir uns ja einig.
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Welches Essverhalten bringt uns fit und gesund durch die Vorweihnachtszeit?
Nun, ich würde sagen, so genussvoll, wie es ohne schlechtes Gewissen möglich ist!
Klingt einfacher, als es ist? Ach was. Es genügt, nichts in sich hineinzustopfen, worauf man nicht wirklich, wirklich