Ichwahn - Markolf H. Niemz - E-Book

Ichwahn E-Book

Markolf H. Niemz

0,0
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ichwahn ist das größte Hindernis für Frieden
Selbstsucht wuchert global, und wir sind mittendrin: Stacheldraht um Europa und nach Mexiko, »America first«, Brexit, Finanzkrise, Diesel-Skandal, Terrorismus. Menschen und Institutionen greifen nach immer mehr Macht auf Kosten anderer – eine massive Überbewertung von Individualität und ein grundsätzlicher Denkfehler. Mit bestechender Logik widerspricht der Physiker Markolf Niemz allem Streben nach Abgrenzung und entwirft eine neue Sicht auf die Wirklichkeit, die Freiheit und das Glück. Eine fesselnde Reise zum Ich, die uns innehalten lässt!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 218

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Selbstsucht wuchert global, und wir sind mittendrin: Stacheldraht um Europa und nach Mexiko, »America first«, Brexit, Finanzkrise, Diesel-Skandal, Terrorismus. Menschen und Institutionen greifen nach immer mehr Macht auf Kosten anderer – eine massive Überbewertung von Individualität und ein grundsätzlicher Denkfehler.

Mit bestechender Logik widerspricht der Physiker Markolf Niemz allem Streben nach Abgrenzung: Durch unseren naturwissenschaftlich geprägten Blick zerlegen wir alles in immer kleinere Teile. Statt uns und die Welt als ein großes Ganzes, als Einheit zu betrachten, grenzen wir uns selbst gegen alles und jeden ab. Ichwahn in Form von Egoismus, Kapitalismus, Nationalismus und Fundamentalismus greift um sich und führt die Menschheit auf allen Ebenen in eine Sackgasse.

Ganzheitlich denkende Wissenschaftler wie Albert Einstein, Charles Darwin und Alfred Whitehead waren ihrer Zeit voraus, als sie versuchten, dieser Entwicklung mit ihren Ansätzen entgegenzuwirken. Prof. Dr. Markolf H. Niemz verknüpft die Theorien dieser drei Ausnahmewissenschaftler und stellt sie in einen neuen Zusammenhang. Sehr anschaulich erklärt er damit, was uns schon die Evolution lehrt: Die Natur fördert Individualität nicht. Es geht ihr nicht darum, das Beste für sich herauszuholen – es geht um das große Ganze. Und für das große Ganze tragen wir die Verantwortung alle gemeinsam.

PROF. DR.

MARKOLF H. NIEMZ

ICH

WAHN

Ein Physiker erklärt, warum Abgrenzung gegen unsere Natur ist

Der Schlüssel für ein neues Miteinander

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe 09/2017

Copyright © 2017 by Ludwig Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ulrike Strerath-Bolz

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-21495-1V001

www.Ludwig-Verlag.de

Inhalt

Das große Ganze

Ichwahn

Zwischenmenschlicher Ichwahn

Wirtschaftlicher Ichwahn

Politischer Ichwahn

Religiöser Ichwahn

Verkannte Wirklichkeit

Zwei oder nicht zwei?

Shankaras Seil

Darwins Finken

Einsteins Raumzeit

Whiteheads Prozesse

Verkanntes Licht

Welle oder Teilchen?

Tagebuch der Schöpfung

Die Lichtperspektive

Der Searchlight-Effekt

»Ich bin das Licht der Welt.«

Verkannte Freiheit

Frei oder nicht frei?

Räumliche Freiheitsgrade

Zeitliche Freiheitsgrade

Der freie Wille

Freiheit und Gott

Verkanntes Glück

Lucky oder happy?

Glücksboten im Gehirn

Glücklich-Sein durch Achtsamkeit

Glücklich-Sein durch Demut

Der Appell des 14. Dalai Lama

Erwachen in ein neues Ichbewusstsein

Das personale Ich

Das verbale Ich

Das kosmische Ich

»Es lebt uns.«

Talk mit dem Autor

10 Jahre Stiftung Lucys Kinder

Anmerkungen

Bildnachweis

Kontaktmöglichkeit

für uns alle

Es existiert eine Perspektive,

aus der die Wirklichkeit nicht

in Raum und Zeit aufspaltet.

Aus dieser Perspektive

trennt dich nichts von mir

und Leben nichts vom Tod.

Das große Ganze

WILLKOMMEN ZU EINER UNGEWOHNTEN SICHT AUF DAS LEBEN UND DEN KOSMOS!

Hier gibt es keine Aufwärmphase – wir legen sofort los. In diesem Buch geht es um nichts Geringeres als den Gesundheitszustand der Menschheit. Was würde uns wohl ein Arzt von einem fremden Stern attestieren, wenn wir ihn um ein ärztliches Gutachten bäten? Um es gleich vorwegzunehmen: Seine Diagnose wäre eindeutig – Ichwahn!

Wer von einem Wahn verfolgt ist, glaubt an etwas, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Unbeirrt hält er an seiner Überzeugung fest, obwohl sie einer kritischen Prüfung nicht standhält und ihn in seiner Lebensführung behindert. Zwei typische Beispiele sind Verfolgungswahn und Größenwahn. Im ersten Fall fühlt sich der Betroffene ständig verfolgt oder beobachtet, zum Beispiel von Agenten oder Außerirdischen. Im zweiten Fall hält sich der Betroffene für einen Superhelden, dem niemand das Wasser reichen kann. Aus psychiatrischer Sicht gilt Wahn als »inhaltliche Denkstörung«, bei der dem Betroffenen nicht bewusst ist, dass seine Überzeugung von der »Normalität« abweicht.

Doch was ist, wenn »Normalität« und Wirklichkeit nicht übereinstimmen? Angenommen, die »normale« Auffassung vom Ich als einem Individuum sei falsch. Das lateinische Wort individuum bedeutet wörtlich übersetzt »Unteilbares«. Es steht für das kleinste Element einer Menge (zum Beispiel einer Gemeinschaft), das sich nicht mehr zerlegen lässt und sich von den anderen Elementen abgrenzt. Sicher ist es korrekt, dass wir Menschen uns als die kleinsten Elemente der Menschheit begreifen, aber lassen wir uns auch voneinander abgrenzen? Körperlich mag die Abgrenzung noch zutreffen, doch in allem, was wir fühlen, denken und tun, werden wir von unserem Umfeld geprägt, also von anderen Menschen. Wer glaubt, sich abgrenzen zu können und keine Rücksicht nehmen zu müssen, hat demnach eine Auffassung vom Ich, die nicht der Wirklichkeit entspricht – er leidet an Ichwahn! Mit genau dieser Hypothese werden wir arbeiten:

Die Auffassung vom Ich als einem Individuum ist falsch und das derzeit größte Hindernis für Frieden.

Diese Hypothese ist sicher nicht aus der Luft gegriffen. Niemand wird mit dem Wissen geboren, ein Individuum zu sein. Bei unseren zwei Söhnen durfte ich selbst miterleben, dass das Ich eine mitunter recht zeitintensive Erfahrung ist. Sobald Kinder die Sprache entdecken, sprechen sie von sich selbst zunächst nur in der dritten Person. Erst wenn sie sich im Spiegel sehen und ihren eigenen Körper erfahren, formt sich allmählich ihre Auffassung vom Ich. Und dieses Ich ist nicht in Stein gemeißelt, wie es viele Menschen mutmaßen. Das soziale Umfeld, in dem wir aufwachsen und leben, hat einen großen Einfluss auf alles, was wir fühlen, denken und tun – und es ändert sich permanent! Eltern, Lehrer, Freunde und Mitmenschen prägen unser Verhalten. Ist es somit nicht grob fahrlässig, das Ich für ein Individuum zu halten?

Meine Hypothese hat weitreichende Konsequenzen für unsere Auffassungen von Gerechtigkeit und Verantwortung: In einer Welt, in der wir keine Individuen sind, können wir auch nicht einzeln für unser Handeln verantwortlich sein. Es wäre jedoch voreilig, daraus zu folgern, jeder dürfe tun und lassen, was er will. Ein Verbrechen ist stets ein Verbrechen. Verantwortlich ist aber nie allein der Täter, sondern immer auch das Umfeld einer Tat. Niemand ist eine Insel; niemand ist von sich aus gut oder schlecht. Wer Gerechtigkeit will, darf nie den Blick auf das große Ganze verlieren. Die Verantwortung für das Ganze tragen wir alle gemeinsam.

Aber was ist »das große Ganze«? Es ist ein Synonym für die Wirklichkeit – und die sieht oft ganz anders aus, als wir sie uns vorstellen. Das beschrieb bereits vor 2500 Jahren der griechische Denker Platon: Im Höhlengleichnis1 hausen wir gefesselt in einer Höhle und mit dem Rücken zum Ausgang. Die Wirklichkeit erleben wir verzerrt auf einer Wand (siehe Abbildung 1). Solange wir nicht fähig sind, die Perspektive zu wechseln, halten wir Schatten für die Wirklichkeit. Erst beim Verlassen der Höhle begreifen wir, was wirklich ist.

Abb. 1: Platons Höhle

Nach dem Individuum werden wir also die Wirklichkeit zu einem zweiten großen Thema machen. Als Physiker will ich versuchen, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Die heutige Weltsicht ist von den Naturwissenschaften geprägt, doch insbesondere diese laufen Gefahr, die Wirklichkeit auf das unmittelbar Wahrnehmbare zu reduzieren, weil das ihre primäre Erfahrungsquelle ist. Wissenschaftlicher Fortschritt erfordert stets eine ordentliche Portion Intuition. Fehlt sie, tappen selbst engagierte Wissenschaftler lange im Dunkeln. Prominentes Beispiel ist die Quantentheorie, eine schlüssige Beschreibung des Mikrokosmos, an der viele brillante Physiker mitgewirkt haben. Es ist der Intuition von Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger zu verdanken, dass wir uns heute Bilder einer Quantenwelt machen können, auch wenn diese noch unscharf sind.

Bilder können nützlich sein, bergen allerdings eine große Gefahr: Auf der Suche nach der Wirklichkeit locken sie uns oft auf eine falsche Fährte. Das wussten schon die Verfasser heiliger Schriften, als sie uns mahnten, uns keine Bilder von Gott zu machen. Bilder sind unvollständig und verschleiern dadurch die Zusammenhänge. Was sehen Sie beispielsweise in Abbildung 2?

Abb. 2: Was sehen Sie hier?

Neun von zehn Lesern antworten mir, sie sähen in dieser Abbildung einen Sonnenuntergang über dem Meer. Bilder zeigen aber immer nur eine Momentaufnahme. Es fehlt die zeitliche Dimension. In Wirklichkeit zeigt Abbildung 2 den Aufgang der Sonne und nicht ihren Untergang!

Es ist das Licht der Sonne, das uns die zum Leben nötige Energie schenkt. Also ist Licht eine Zutat der Wirklichkeit. Doch eines der größten Rätsel der Physik ist nach wie vor das Wesen von Licht. Was ist Licht? Bisher konnte niemand diese Frage schlüssig beantworten. Albert Einstein schrieb einmal: »Fünfzig Jahre intensiven Nachdenkens haben mich der Antwort auf die Frage ›Was sind Lichtquanten?‹ nicht nähergebracht. Natürlich bildet sich heute jeder Wicht ein, er wisse die Antwort. Doch da täuscht er sich.«2

In der Schule habe ich noch gelernt, dass Licht mal ein Teilchen und mal eine Welle sei, je nachdem, mit welchem Experiment wir es analysieren. Aber beides zugleich kann das Licht nicht sein. Teilchen sind stets räumlich lokalisiert, Wellen breiten sich aus. Teilchen und Wellen sind eben nur Bilder, mit denen wir das Licht begreifen wollen, und diese Bilder entsprechen nicht der Wirklichkeit. Ich glaube heute sogar, den Grund zu wissen, weshalb wir Menschen niemals das Wesen von Licht verstehen werden: Licht ist uns immer einen Schritt voraus. Es bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit, die wir Menschen infolge unserer Masse nie erreichen. Wie könnten wir etwas begreifen, das zu schnell ist, als dass wir seiner habhaft werden?

Das Beispiel Licht zeigt, wie leicht wir die Wirklichkeit verkennen, wenn wir sie mikroskopisch zerlegen – doch so funktioniert Wissenschaft heute. Teilchenphysiker zerlegen Atome in »Elementarteilchen« in der Hoffnung, eines Tages eine »Weltformel« zu finden, mit deren Hilfe sie die ganze Welt erklären können. Sie basteln fieberhaft an einer theory of everything3 (auf Deutsch: eine Theorie für alles), aber ein zerlegtes Atom verliert alle seine atomaren Eigenschaften! Molekulargenetiker zerlegen komplexe Lebewesen in ihre Bestandteile in der Hoffnung, eines Tages dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen. Sie finden ein Genom nach dem anderen, aber ein zerlegtes Lebewesen lebt nicht mehr! Naturwissenschaften sind bestens geeignet, um einen Sachverhalt oder Vorgang zu beschreiben, doch sie erklären nicht, warum etwas so ist, wie es ist.

Was können wir daraus lernen? Um der Wirklichkeit ein gutes Stück näherzukommen, dürfen wir sie nicht in Teile zerlegen. Die Wirklichkeit ist ein großes Ganzes, und darum lässt sie sich nur als Ganzheit begreifen. Allein die Vorstellung einer Welt, die mir für eine Analyse gegenübersteht, ist grundverkehrt. Es gibt kein »die Welt und ich«, sondern allenfalls ein »die Welt mit ich«. Natur sind wir! Alles Leid, das wir ihr zufügen, aber auch alle Liebe, die wir ihr schenken, tun wir uns selbst an. Wir müssen nur ein wenig nachdenken, um zu erkennen, dass die Wirklichkeit ein großes Ganzes ist, das sich weder in zwei Teile noch in sieben Milliarden »menschliche Individuen« zerlegen lässt.

Diese neue Sicht auf die Wirklichkeit werden wir in den Folgekapiteln auf die Themen Freiheit und Glück anwenden. Beide Werte stehen bei uns hoch im Kurs, doch scheint es, als müssten wir den Umgang mit ihnen erst noch lernen, wenn sie uns zuteil werden. Nur wenige Menschen sind sich des größten Glücks bewusst: zu leben! Von Freiheit ganz zu schweigen – wer kann schon von sich behaupten, völlig frei über allen Verlockungen des Lebens zu stehen?

Freiheit und Glück haben viel mehr miteinander zu tun, als wir zunächst vermuten. Einen wertvollen Hinweis liefert unsere Sprache: Die Redensart »wunschlos glücklich sein« kommt nicht von ungefähr. Sie beruht auf dem Erfahrungsschatz vieler Generationen und besagt, dass sich Glück mit dem Frei-Sein von Wünschen einstellt. Unser Streben nach Macht und Besitz führt aber in genau die entgegengesetzte Richtung. Geld weckt Begehrlichkeiten und immer wieder neue Wünsche, die erfüllt werden wollen.

Damit ist der rote Faden skizziert, der sich durch dieses Buch zieht: Ich stelle unsere Auffassung vom Ich infrage – und unsere Vorstellungen von Wirklichkeit, Licht, Freiheit und Glück. Aus alledem erwächst ein neues Ichbewusstsein, in das hinein wir erwachen dürfen, wenn wir uns etwas wert sind. Mehr möchte ich noch nicht verraten. Ich werde es mit Ihnen teilen. Machen Sie sich bereit für eine äußerst inspirierende Lektüre voller Denkanstöße!

Ich freue mich, dass Sie mein Buch zur Hand genommen haben und ich Sie auf den folgenden Seiten mit einer ganz ungewohnten Sicht auf das Leben und den Kosmos vertraut machen darf. Ihnen bleibt es überlassen, wie Sie mit diesen Informationen umgehen werden. Ich habe nicht die Absicht, Sie von meinen Gedanken zu überzeugen. Im Gegenteil: Ich erwarte, dass Sie alles kritisch hinterfragen, was Sie gleich lesen werden. Nur so kann unter uns Menschen eine Weltsicht heranreifen, die mit allem, was wir über das Leben und den Kosmos wissen, vereinbar ist.

Markolf H. Niemz

Leben heißt Geben.

Alle unsere Institutionen beruhen auf Abgrenzung: Wir haben ein Geldsystem, das uns gegeneinander konkurrieren lässt; wir haben Staaten, die gegeneinander kämpfen; sogar unsere Religionen grenzen uns ab – voneinander und von Gott! Das alles führt dazu, dass wir glauben, uns auch von der Natur abgrenzen zu können. Wir könnten sie nach Belieben ausbeuten. Die Natur sei doch ohnehin nicht dasselbe wie wir. Allmählich (und hoffentlich nicht zu spät) lernen wir, dass dem nicht so ist. Was auch immer wir diesem wunderbaren Planeten antun, wirkt auf uns zurück.

Was können wir tun? Wir müssen aufwachen und unser Ichbewusstsein verändern. Sobald wir uns als eine Menschheit begreifen, die im Einklang mit der Natur leben möchte, werden wir achtsam sein. Wir werden das Leben wieder als ein Geschenk begreifen – ein Geschenk der Erde, der Natur, an uns. Wir sind nicht hier, um zu nehmen, sondern um zu geben. Leben heißt Geben.

Ichwahn

ICHWAHN IST DIE PRIMÄRE URSACHE FÜR ALLE SOZIALEN KONFLIKTE.

Vor wenigen Jahren erschien ein provozierendes Buch des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Sein Titel: The God Delusion4 (auf Deutsch: Der Gotteswahn). Darin behandelt er Religion wie eine schwere psychische Störung, die unsere Gesellschaft negativ beeinflusse. Dawkins macht Religion nicht nur für den heutigen Terror verantwortlich5, sondern auch für die seelische Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen aus gläubigen Familien6. Seine Thesen sind umstritten, aber es spricht für ihn, dass er Missstände ernsthaft hinterfragt und nach Lösungen sucht.

Doch sowohl Dawkins als auch seine Kritiker übersehen einen wichtigen Punkt: Es sind stets Menschen, die in einen »heiligen Krieg« ziehen und andere traumatisieren. Religionen sind keine wirkenden Wesen, die Verantwortung übernehmen könnten. Verantwortlich für Missstände in unserer Gesellschaft sind allein wir. Aber wer sind wir? Die meisten Menschen betrachten sich selbst als Personen, die sich – mit Körper und Geist ausgestattet – von anderen abgrenzen und ein individuelles Leben bestreiten. Heute begreifen immer mehr Menschen das Leben als ihre Chance, »sich selbst zu verwirklichen«. Ein Trend, der viele Fragen aufwirft: Wer oder was ist das Selbst? Ist es identisch mit dem Ich? Kann sich ein Ich, falls es wirklich wäre, noch verwirklichen?

Entsprechend meiner Arbeitshypothese glaube ich, dass eine massive Überbewertung von Individualität die primäre Ursache für alle Konflikte des gesellschaftlichen Lebens ist. Ich spreche nicht wie Dawkins vom »Gotteswahn«, sondern von einem Ichwahn. Er äußert sich darin, dass Menschen sich nicht in die Perspektiven ihrer Mitmenschen hineinversetzen können oder wollen. Fast immer geht ihr Drang nach Selbstverwirklichung auf Kosten anderer. Ich unterscheide vier Typen des Ichwahns, die außerdem in verschiedenen Kombinationen auftreten können:

– zwischenmenschlicher Ichwahn,

– wirtschaftlicher Ichwahn,

– politischer Ichwahn,

– religiöser Ichwahn.

Zwischenmenschlicher Ichwahn ist die Ursache allen Leids, das sich die Menschen gegenseitig zufügen, und somit auch die Quelle der anderen drei Typen. Vermutlich ist er unser Erbe der Evolution – ihm liegt ein Kräftemessen zugrunde, wie es auch im Tierreich anzutreffen ist. Allerdings mit dem feinen Unterschied, dass Tiere gegeneinander kämpfen, um sich entweder zu ernähren oder um Nachwuchs zu zeugen. In beiden Fällen geht es um das Überleben der eigenen Art. Wenn Menschen gegeneinander antreten, stehen fast immer andere, überwiegend eigennützige Motive im Mittelpunkt: Habgier und Macht. Aus der Habgier erwächst wirtschaftlicher Ichwahn, aus der Gier nach Macht politischer Ichwahn oder religiöser Ichwahn. Im Folgenden werden wir uns mit allen vier Typen des Ichwahns befassen und ihren spezifischen Nährböden konkrete Namen geben.

Zwischenmenschlicher Ichwahn

Es ist nicht mehr zu übersehen, dass die Bedeutung des Ichs in unserer Gesellschaft stetig zunimmt. Standen früher noch der eigene Stamm und die Dorfgemeinschaft im Mittelpunkt des Geschehens, dreht sich das Leben heute bis auf wenige Ausnahmen (beispielsweise Naturvölker) in zunehmendem Maße um das Individuum. Doch diesem Trend sind natürliche Grenzen gesetzt: Der Lebensraum auf unserem Planeten ist räumlich begrenzt. Anders als früher spüren wir heute in nahezu allen Lebensbereichen die Präsenz unserer Mitmenschen. Mehrmals täglich müssen wir fremde Ansichten und Wünsche in unsere Entscheidungen einbeziehen, wenn wir gut miteinander auskommen wollen. Umso kleiner müssen die Freiheiten ausfallen, die wir uns gegenseitig einräumen. Wer glaubt, sich als Mitglied einer Gemeinschaft frei (also ohne Rücksicht auf andere Mitglieder) entfalten zu können, zerstört die Gemeinschaft, der er selbst angehört. Das fängt schon im Kleinen an, wenn sich zwei Menschen nicht in die Lage des jeweils anderen hineinversetzen können oder wollen (siehe Abbildung 3). Sie sehen nur sich selbst und nicht die Vorteile, die eine Gemeinschaft bietet.

Abb. 3: Zwischenmenschlicher Ichwahn

Wo treffen wir auf zwischenmenschlichen Ichwahn? Er kann sich überall ausbreiten, wo es zwischenmenschliche Beziehungen gibt: also in einer Partnerschaft, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben. Sein wichtigstes Kennzeichen ist die Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt, wie zum Beispiel Gewalttätigkeit in einer Partnerschaft oder Mobbing am Arbeitsplatz. Wer sich selbst für das Maß aller Dinge hält, neigt dazu, andere zu unterdrücken und bewusst oder unbewusst Gewalt anzuwenden. Dass Fernsehanstalten immer mehr Gewalt zur allerbesten Sendezeit zeigen, ist für mich nicht nachvollziehbar – die Verantwortlichen müssen besonders stark vom Ichwahn infiziert sein. Gleiches gilt für die Macher von Killerspielen, weil sie Gewalt verharmlosen und Töten zu einem Nervenkitzel machen. Für unseren Arzt vom fremden Stern wären wir psychisch krank: Wir ziehen es vor, uns von Gewalt unterhalten zu lassen, statt Gewaltfreiheit unter uns Menschen zu fördern.

Woher kommt der zwischenmenschliche Ichwahn? Sein Nährboden ist zweifellos der Egoismus. Egoistische Verhaltensweisen sind bereits in uns angelegt, wenn wir das Licht der Welt erblicken. Ohne eine gesunde Portion Egoismus würden wir schnell die Freude am Leben verlieren. Zu einer massiven Bedrohung wird Egoismus aber dann, wenn er die Oberhand gewinnt und zur Sucht wird. Es ist Selbstsucht, die zum zwischenmenschlichen Ichwahn führt. Tragisch ist, dass die betroffenen Menschen selbst gar nicht spüren, wie sie am eigenen Ast sägen. Sie erkennen nicht, dass sie auf andere und ein intaktes Umfeld angewiesen sind.

Wie lässt sich zwischenmenschlicher Ichwahn stoppen? Die beste Medizin ist eine breite Allgemeinbildung. Sie ist der Schlüssel, um komplexe Zusammenhänge durchschauen zu können. Ein Ich, das stets nur um sich selbst kreist, wird nie die enge Wechselbeziehung begreifen, die zwischen ihm und seinem Umfeld besteht. Es wird nicht erkennen, wie es mit seinem Verhalten sein Umfeld verändert und wie dieses veränderte Umfeld auf es selbst zurückwirkt.

Doch die Geschichte lehrt uns, dass Bildung nicht immer ausreicht, um soziale Wesen aus uns zu machen. Es muss auch noch die Einsicht hinzukommen, dass die Auffassung vom Ich als ein Individuum ohnehin nur eine Illusion ist. Wie lässt sich diese Einsicht gewinnen? Nun, zum Beispiel durch Bücher wie dieses! Ich schlage vor, von jedem Schüler vor seinem Abschluss ein Projekt einzufordern, in dem er positiv auf sein Umfeld gewirkt hat und die Rückwirkung selbst erfahren hat. Sie wird ihn sein Leben lang begleiten. Dieses Projekt sollte genauso hoch bewertet werden wie ein Hauptfach. Heute wird oft nur die Leistung eines Schülers bewertet – nicht sein Beitrag zum Wohl anderer. Leistungsorientierte Bildung fördert den Egoismus: Sie trimmt unsere Kinder darauf, sich gegen andere durchzusetzen, statt sich füreinander einzusetzen.

Bei Erwachsenen wirkt diese Erfahrung nach. Wer in der Schule gelernt hat, dass es im Leben darauf ankommt, sich durchzusetzen, wird sich in einer Partnerschaft ähnlich verhalten. Das Scheitern der Partnerschaft ist vorprogrammiert. Unter wirklichen Partnern geht es nämlich nicht darum, sich zu behaupten, sondern darum, sich zu zweit neue Freiheiten zu erschließen. Das Erfolgsrezept für eine glückliche Partnerschaft zwischen zwei Menschen lautet: Sie müssen das, was sie nur zu zweit erreichen können, stets höher bewerten als das, was jeder allein zu leisten vermag! Das ist die Zauberformel, mit der wir den Ichwahn packen können.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich spüre, dass unsere Gesellschaft heute um einiges kühler und anonymer ist als noch vor 20 Jahren. Mit dieser Beobachtung stehe ich nicht allein. Viele Menschen machen ähnliche Erfahrungen. Wie kann es sein, dass die Herzlichkeit zwischen uns immer mehr verloren geht, obwohl wir über Computer und Mobiltelefone in zunehmendem Maße miteinander vernetzt sind? Nehmen wir uns gegenseitig nicht mehr als Menschen wahr, wenn wir über Facebook, Twitter und Co. kommunizieren? Unsere größte Gefahr geht von uns selbst aus: Wenn jeder nur noch an sich denkt, denkt bald niemand mehr an uns!

Wirtschaftlicher Ichwahn

Die größte Herausforderung im Kampf gegen den Ichwahn besteht darin, dass er sein Erscheinungsbild verändern kann. Indem er sich tarnt, gelingt es ihm, unsere Rechtsprechung zu unterlaufen. Dieses Verhalten erinnert stark an das eines Virus. Tatsächlich arbeitet unsere Rechtsprechung ähnlich wie ein Immunsystem – sie soll vor schädlichen Einflüssen schützen. Wird physische oder psychische Gewalt noch in vielen Staaten geahndet, so gelingt es dem Ichwahn, sich in der Wirtschaft fast unbemerkt auszubreiten. Wem ist schon bewusst, dass Börsenberichte, die uns in zahlreichen Nachrichtenmagazinen präsentiert werden, versteckte Werbung für wirtschaftlichen Ichwahn sind?

Ursprünglich dienten Aktien dazu, ein Unternehmen mit frischem Kapital zu versorgen, damit es in die Infrastruktur seiner Produktion investieren konnte. Doch inzwischen sind Aktien und ihre Derivate zu Jonglierbällen von Spekulanten geworden. An den »Märkten« wird mit Geld gezockt wie in einem Casino. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, ob auf die Entwicklung von Unternehmen (siehe Abbildung 4), die Wechselkurse von Währungen oder den Preis von Reis gewettet wird. Dass lebensnotwendige Nahrung dadurch für sehr viele Menschen unerschwinglich wird, interessiert die Spekulanten nicht. Für die Not anderer sind sie unsensibel. Hauptsache, die Kasse stimmt, und der erzielte Gewinn ist möglichst hoch. Die Welt – ein Selbstbedienungsladen?

Abb. 4: Wirtschaftlicher Ichwahn

Aus der Not anderer Menschen Profit machen – das ist wohl das schlimmste Beispiel für wirtschaftlichen Ichwahn, und es scheint ansteckend zu sein. Im Internet tummeln sich unzählige Angebote, mit denen Menschen ihresgleichen (!) über den Tisch ziehen wollen. Ich selbst bekomme täglich viele Spam-Mails, in denen mir Traumgewinne versprochen werden oder in denen ich gebeten werde, meine Kontodaten abzugleichen. Was sind das für Menschen, die ihre kostbare Zeit darauf verwenden, andere reinzulegen?

Auch Politiker sind leider nicht gegen den wirtschaftlichen Ichwahn gefeit. In vielen Staaten steht die Korruption noch ganz oben auf der Tagesordnung. Schmiergelder sind nie gemeinnützig. Wenige Ichs profitieren davon, dass Entscheidungen getroffen werden, die vielen nicht passen. Ein Wirtschaftsdelikt, das der Korruption sehr nahe steht, ist der Lobbyismus: Interessenvertreter der Industrie pflegen persönliche Kontakte zu Politikern, um die Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Waren Lobbyisten am Werk, als Politiker neuen Abgaskontrollen zustimmten, die nur im Labor stattfinden? Ein deutscher Autohersteller hat vorsätzlich die Software seiner Dieselfahrzeuge manipuliert7, um den Ausstoß an Schadstoffen zu beschönigen. Mir blieb die Spucke weg: Ein Konzern von Weltrang bezahlt die eigenen Ingenieure, um treue Kunden und Mutter Natur zu beschei... Sie wissen, welches Wort ich meine! Ein Arzt, der vorsätzlich seine Patienten vergiftet, dürfte nie mehr praktizieren. Doch Mutter Natur wehrt sich nicht – noch nicht.

Das letzte Beispiel ist ein Beleg dafür, dass der Ichwahn nicht nur einzelne Menschen befällt, sondern auch gesamte Unternehmen. Wirtschaftlicher Ichwahn kann also flächendeckender wirken als zwischenmenschlicher Ichwahn. Ein Unternehmen, das sich eine eigene Identität gibt und seinen Aktionären hohe Dividenden ausschütten will, tritt ähnlich auf wie ein menschliches Ich. Viele Unternehmen schauen auch nur auf den Profit. Jede noch so kleine Leistung wird mit maximalem Gewinn abgerechnet, jeder Konkurrent wie ein Feind behandelt. Doch wenn alle Konkurrenz vernichtet ist – von wem lässt sich dann noch etwas lernen?

»Konkurrenz« ist das Stichwort, um über die Motive für wirtschaftlichen Ichwahn nachzudenken. Es ist ähnlich wie beim Egoismus – eine gesunde Portion Konkurrenz tut uns allen gut. Ohne Konkurrenz stünden nicht nur die Fließbänder still, auch die Evolution des Lebens käme zum Erliegen: Langfristig überlebt diejenige Art, die besser im Einklang mit ihrem Umfeld lebt. Diese Formulierung beschreibt die natürliche Auslese viel besser als die zugespitzten Floskeln »der Stärkere setzt sich durch« oder »der Angepasstere setzt sich durch«. Es geht im Leben weder darum, Stärke zu zeigen, noch darum, sich unterzuordnen. Es kommt einzig und allein darauf an, im Einklang mit dem Kosmos zu leben – ein Leitspruch, den wir noch vertiefen werden.

Aber zur gefährlichen Bedrohung wird Konkurrenz stets dann, wenn sie sich mit Habgier paart. Der Nährboden, auf dem sich diese Paarung vollzieht, ist der Kapitalismus. Die gängige Praxis, etwas teurer zu verkaufen, wenn die Nachfrage steigt, zeugt von purer Habgier. Weshalb kostet eine Unterkunft in der Hauptsaison mehr als sonst? Es wird doch dieselbe Leistung geboten. Ich bin noch nie ein Freund des Kapitalismus gewesen – er raubt uns unsere Menschlichkeit. Die Vorzüge des industriellen Fortschritts sind mir bekannt, zügellose Märkte und die Ansammlung von Privateigentum aber höchst zuwider. Beides sind Auswüchse des Strebens nach Individualität. Zu wenige von uns geben etwas an die Gemeinschaft zurück, falls es mal nicht so rund läuft.

Was wir dringend brauchen, sind Reformen mit sozialen Regeln. Soziale Marktwirtschaft ist deutlich fairer als freie Märkte, solange die soziale Komponente nicht verkümmert. Doch leider zieht sich die Politik zunehmend aus der Pflicht zurück, Konzerne und Märkte zu regulieren. Das Ergebnis ist katastrophal: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Wer reich ist, wird noch reicher; wer arm ist, noch ärmer. Überzogene Spitzengehälter und brutales Lohndumping drohen, die Menschheit zu zerreißen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzt.

Politischer Ichwahn

Neben der Habgier gibt es eine andere Art von Gier, welche die Menschheit noch stärker bedroht: die Gier nach Macht. Politik hat eine vorrangige Aufgabe – dafür zu sorgen, dass Macht nicht in den Händen weniger gebündelt wird. Bündelung von Macht führt zu Monotonie und Stillstand. Leider fokussieren aber viele Politiker auf die eigene Wiederwahl, statt konsequent gegen alle Menschen, Firmen und Staaten vorzugehen, die ihre Macht missbrauchen. Es war die Gier nach Macht, welche die beiden Weltkriege entfacht hat. Im Ersten Weltkrieg, an dem sich 40 Staaten beteiligten, fanden etwa 17 Millionen Menschen den Tod.8 In der Bevölkerung löste er mit unzähligen Waisen, Witwen und einer ausgezehrten Kriegswirtschaft tiefste Verwerfungen aus. Mehr als 60 Staaten waren in den Zweiten Weltkrieg verwickelt; über 60 Millionen Menschen starben.9