Ihr letzter Wunsch – ein Kind - Marie Francoise - E-Book

Ihr letzter Wunsch – ein Kind E-Book

Marie Francoise

0,0

Beschreibung

Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. »Herr Doktor, ich möchte die Wahrheit wissen.« Dr. Gerrit Scheibler sah von dem Krankenbericht auf, in dem er gerade gelesen hatte, und direkt in das Gesicht seiner jungen Patientin hinein. Sehr blaß, was durch die dichten dunklen Locken noch verstärkt wurde, stand sie vor ihm, und in ihren großen tiefblauen Augen konnte er unschwer die Angst erkennen, die sie im Herzen trug. »Bitte, Frau Krenn, nehmen Sie Platz.« Dr. Scheibler versuchte Zeit zu gewinnen. Die Wahrheit, hatte sie gesagt. Wie, um Himmels willen, sollte man ein achtzehnjähriges Mädchen mit einer so grausamen Wahrheit konfrontieren? Dr. Scheibler sah in die blauen Augen, die voller Erwartung auf ihn gerichtet waren, dann stand er abrupt auf und trat mit mechanischen, fast ein wenig eckigen Bewegungen ans Fenster. Auf drei Spuren krochen Autoschlangen am Krankenhaus vorbei. Stoßzeit. Es war jeden Tag dasselbe. Dr. Scheibler seufzte, dann drehte er sich mit einem Ruck um und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück. »Sie wollen also die Wahrheit wissen«, wiederholte er Leandra Krenns Worte. »Nun, die Wahrheit ist, daß Sie leider sehr krank sind.« Doch damit ließ sich Leandra nicht abspeisen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 130

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Daniel – 2 –

Ihr letzter Wunsch – ein Kind

Die ungewöhnliche Bitte einer Leukämie-Patientin

Marie Francoise

»Herr Doktor, ich möchte die Wahrheit wissen.«

Dr. Gerrit Scheibler sah von dem Krankenbericht auf, in dem er gerade gelesen hatte, und direkt in das Gesicht seiner jungen Patientin hinein. Sehr blaß, was durch die dichten dunklen Locken noch verstärkt wurde, stand sie vor ihm, und in ihren großen tiefblauen Augen konnte er unschwer die Angst erkennen, die sie im Herzen trug.

»Bitte, Frau Krenn, nehmen Sie Platz.« Dr. Scheibler versuchte Zeit zu gewinnen. Die Wahrheit, hatte sie gesagt. Wie, um Himmels willen, sollte man ein achtzehnjähriges Mädchen mit einer so grausamen Wahrheit konfrontieren?

Dr. Scheibler sah in die blauen Augen, die voller Erwartung auf ihn gerichtet waren, dann stand er abrupt auf und trat mit mechanischen, fast ein wenig eckigen Bewegungen ans Fenster. Auf drei Spuren krochen Autoschlangen am Krankenhaus vorbei. Stoßzeit. Es war jeden Tag dasselbe.

Dr. Scheibler seufzte, dann drehte er sich mit einem Ruck um und kehrte zu seinem Schreibtisch zurück.

»Sie wollen also die Wahrheit wissen«, wiederholte er Leandra Krenns Worte. »Nun, die Wahrheit ist, daß Sie leider sehr krank sind.«

Doch damit ließ sich Leandra nicht abspeisen. »Wie krank, Herr Doktor?«

Der junge Stationsarzt wand sich. Noch niemals hatte er eine solche Situation durchstehen müssen, und für einen Augenblick kam ihm der Gedanke, Leandra Krenn zum Chefarzt zu schicken. Doch Professor Thiersch hätte es sicher abgelehnt, mit der Patientin zu sprechen. Er verfügte nun mal nicht über den nötigen einfühlsamen Ton, und das wußte er auch.

Dr. Scheibler atmete tief durch. »Frau Krenn, Sie leiden an Leukämie.«

Einen Moment lang herrschte in Leandras Gehirn eine völlige Leere – ein großer, leerer Raum, der keinen Gedanken fassen konnte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Arzt an, dann wanderte ihr Blick unkontrolliert weiter und blieb an der großen Wanduhr hängen. Dieses riesige, runde Ding tickte unaufhörlich weiter. Warum blieb die Zeit nicht stehen?«

Von der Straße drangen Motorenlärm und Hupen herauf. Warum ging die Welt nicht einfach unter? Wie konnte das Leben weitergehen, wenn ihr gerade das Todesurteil präsentiert worden war?

Die Geräusche um sie herum verwandelten sich in ihrem Kopf zu einem unerträglichen Getöse, und dazwischen hörte sie immer wieder Dr. Scheiblers Stimme: »Sie leiden an Leukämie… Leukämie… Leukämie…«

In diesem Moment schien in ihrem Kopf etwas zu explodieren, und diese Explosion machte sich in einem mark­erschütternden Schrei Luft.

Im nächsten Augenblick stürzten drei Schwestern herein, doch Dr. Scheibler bedeutete ihnen mit einer flüchtigen Handbewegung, daß er allein mit dieser Situation fertig würde. Sehr behutsam nahm er Leandra in den Arm, streichelte beruhigend ihren Rücken und wartete, bis der Schreikrampf nachließ und sich in einem schier unaufhaltsamen Tränenstrom ein Ventil suchte. Und während Leandras zierlicher Körper von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde, injizierte Dr. Scheibler ihr ein starkes Beruhigungsmittel. Danach brachte er sie in ihr Zimmer zurück und blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war.

*

Als Leandra erwachte, herrschte tiefe Dunkelheit, und für wenige Minuten hatte sie das Gefühl, als hätte sie das Gespräch mit Dr. Scheibler nur geträumt. Doch dann fiel ihr alles wieder ein – wie sie ihren Schmerz herausgeschrien hatte, ihr haltloses Weinen und schließlich der feine Stich, den sie kaum gespürt hatte.

Noch ein wenig benommen von dem Beruhigungsmittel richtete sich Leandra auf und schaltete das Licht über ihrem Bett an. Der Wecker auf dem fahrbaren Nachttisch zeigte fünf Minuten nach drei Uhr an. Seufzend legte sich Leandra wieder zurück. Sie fühlte sich entsetzlich einsam in dem kahlen Krankenzimmer. Die nette alte Dame, die es in den letzten Wochen mit ihr geteilt hatte, war gestern entlassen worden. Wie schön wäre es, jetzt mit ihr über das zu sprechen, was Dr. Scheibler gesagt hatte.

»Leukämie…«

Sie dachte an ihre Großmutter, die an dieser Krankheit gestorben war.

»Und ich werde auch daran sterben«, murmelte sie.

In diesem Moment wurde die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet, und Dr. Scheibler trat ein. Leandra richtete sich auf und sah ihm mit brennenden Augen entgegen.

»Ich habe das Licht gesehen«, erklärte der junge Arzt, zögerte einen Moment und setzte sich dann auf die Bettkante. »Möchten Sie mit mir sprechen?«

»Ich…, ich weiß es nicht«, stammelte Leandra. »Ja…, ich glaube schon.« Sie schwieg einen Moment, weil sie für die nächste Frage erst Mut sammeln mußte. »Herr Doktor, seien Sie ehrlich…, muß ich… sterben?«

Heftig schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Nein, Frau Krenn. Leukämie muß heute kein Todesurteil mehr sein, und gerade in Ihrem Fall halte ich es durchaus für möglich, daß…«

»Ich glaube Ihnen nicht, Herr Doktor«, erklärte Leandra rundheraus. Sie fühlte sich plötzlich ein wenig gefestigter – vielleicht auch nur deshalb, weil ihr dieses Gespräch so unwirklich erschien. Irgendwie schien es ihr, als würde sie mit Dr. Scheibler gar nicht über ihre eigene Krankheit sprechen. »Meine Großmutter ist an Leukämie gestorben, das heißt, eigentlich war sie ja gar nicht…« Sie ließ den Satz offen.

»Die Medizin hat seitdem Fortschritte gemacht«, beteuerte Dr. Scheibler. »Wir haben vor, Sie mit Zytostatika zu behandeln. Damit werden heute große Erfolge erzielt.« Er senkte den Kopf. »Leider kommt es auch zu Nebenwirkungen, aber…« Er stockte, dann setzte er rasch hinzu: »In Ihrem Fall besteht auch noch die Möglichkeit einer Knochenmarktransplantation. Diese Therapie birgt gewisse Gefahren, aber Professor Thiersch meint, daß gerade bei Ihnen die Chancen auf eine vollständige Heilung sehr gut stünden.«

Leandra runzelte die Stirn. »Knochenmarktransplantation.« Sie schüttelte den Kopf. »Davon verstehe ich nichts.«

Dr. Scheibler zwang sich zu einem Lächeln. »Es würde auch zu weit führen, Ihnen das genau erklären zu wollen. Wichtig ist nur eines: Das Knochenmark muß von einem nahen Verwandten stammen – am besten von der Mutter oder von den Geschwistern – da sonst die Gefahr der Abstoßung besteht.«

Leandras Gesicht versteinerte. »Dann können Sie das Ganze gleich vergessen. Ich wurde als Baby adoptiert und weiß nicht, wer meine leiblichen Eltern sind.«

Dr. Scheibler war sichtlich geschockt, versuchte diese Tatsache aber zu überspielen. Er konnte der jungen Patientin unmöglich sagen, daß eine Knochenmarktransplantation tatsächlich die einzige Möglichkeit war, sie zu heilen. Mit Medikamenten konnte man in Leandras Fall nur versuchen, den rasch fortschreitenden Zellverfall aufzuhalten.

»Das ist ein Todesurteil, nicht wahr?« flüsterte Leandra.

Rasch schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Ganz und gar nicht, Frau Krenn. Es ist nur…«

Leandra wandte den Kopf ab und blickte ins Leere.

»Wissen Sie, was ich mir immer gewünscht habe?« fiel sie dem Arzt ins Wort. »Ich wollte heiraten. Eine ganz große, festliche Hochzeit sollte es sein.« Jetzt wandte sie sich Dr. Scheibler wieder zu. »Ich bin verlobt. Vor zwei Monaten haben Christian und ich Verlobung gefeiert. Kennen Sie Christian?«

Dr. Scheibler erinnerte sich an einen sympathischen jungen Mann mit blonden Locken und sanften grauen Augen.

»Ja, Frau Krenn, ich habe ihn einige Male gesehen, wenn er Sie besucht hat. Er scheint mir ein sehr netter Mann zu sein.«

Leandra nickte. »Er ist das Wichtigste in meinem Leben. Wir lieben uns sehr, und nächstes Jahr wollten wir heiraten.« Sie sah den Arzt scharf an. »Werde ich nächstes Jahr noch leben?«

Die Frage kam so überraschend, daß Dr. Scheibler unwillkürlich zusammenzuckte.

»Ja…«, brachte er mühsam hervor. »Ja, natürlich.«

Leandra schien seine Worte gar nicht gehört zu haben. »Und dann wollten wir Kinder haben – viele Kinder. Wir lieben Kinder.« Sie schwieg einen Moment. »Wissen Sie, wie sehr ich mich danach sehne, ein Baby im Arm zu halten? Mein Baby! Das Baby, das ich geboren habe!« Tränen liefen über ihr zartes Gesicht. »Und nun werde ich das alles nie erleben dürfen.« Sie schluchzte auf, dann vergrub sie das Gesicht im Kissen und begann haltlos zu weinen. Und dabei krallten sich ihre Finger in das Kissen, als wollte sie damit ihr Leben festhalten.

Dr. Scheibler konnte diese Qual nicht länger mit ansehen. Nahezu fluchtartig verließ er das Zimmer, wies die Nachtschwester an, Frau Krenn ein Beruhigungsmittel zu spritzen und schloß sich dann im Ärztezimmer ein. Doch Leandras Worte verfolgten ihn.

Heiraten…, ein Kind…

Sie hatte recht. Sie würde niemals ein Kind haben können.

*

Helga und Manfred Krenn waren zutiefst erschüttert, als sie vom Stationsarzt erfuhren, wie es um ihre Adoptivtochter stand.

»Mit Zytostatika können wir den Zellverfall zwar aufhalten, aber heilen können wir Ihre Tochter damit nicht«, erklärte Dr. Scheibler, und man spürte, daß ihm jedes Wort schwerfiel. Wie konnte ein achtzehnjähriges Mädchen nur mit einer solchen Krankheit geschlagen sein? »Eine wirkliche Heilungschance hat Frau Krenn nur dann, wenn wir eine Knochenmarktransplantation durchführen können.«

Verzweifelt schüttelte Helga Krenn den Kopf. »Das hat uns Leandra schon gesagt, aber… wir haben sie als Baby adoptiert. Irgendein entfernter Verwandter der Mutter hat die Formalitäten erledigt, weil die Mutter unter allen Umständen unbekannt bleiben wollte. Wir konnten nur in Erfahrung bringen, daß es sich offenbar um eine adlige junge Dame gehandelt hat, deren Ruf nicht in Mißkredit gebracht werden sollte.« Sie senkte den Kopf. »Leandra hat davon keine Ahnung. Wir wollten sie nicht damit belasten.«

Dr. Scheibler strich sich mit einer Hand über die Stirn. Es war eine Geste, die seine ganze Niedergeschlagenheit ausdrückte. Er hatte so sehr gehofft, daß wenigstens die Adoptiveltern des Mädchens seine leibliche Mutter kennen würden.

»Wir können natürlich versuchen, einen Spender mit sehr ähnlichem Gewebetyp zu finden, aber… ich will ehrlich sein, die Chancen sind dann sehr gering.«

Das Ehepaar Krenn erstarrte förmlich. Erst jetzt begriffen sie, was der Arzt die ganze Zeit mitzuteilen versuchte.

»Heißt das, unsere Tochter wird… sterben?« brachte Manfred Krenn mühsam hervor.

»Wir werden natürlich alles tun, damit dieser Fall nicht eintritt«, wich Dr. Scheibler aus. »Aber…«

»Es ist sinnlos.«

Die unerwartete Stimme ließ alle drei herumfahren. Hochaufgerichtet stand Leandra in der geöffneten Tür. Niemand hatte sie hereinkommen hören.

»Ich werde die Klinik verlassen – auf eigenen Wunsch«, erklärte sie jetzt mit Bestimmtheit.

»Aber… das ist Wahnsinn!« begehrte Dr. Scheibler auf. »Außerhalb der Klinik haben Sie nicht die geringste Chance zu überleben!«

»Hier habe ich auch keine«, entgegnete Leandra bitter. »Ich habe mir Bücher besorgen lassen – über Zytostatika.« Sie schüttelte den Kopf. »Damit lasse ich mich nicht behandeln. Ich werde die Klinik noch heute verlassen.«

»Damit sprechen Sie Ihr eigenes Todesurteil«, erklärte der Chefarzt, der ebenfalls hinzugekommen war. »Bleiben Sie hier, und lassen Sie sich behandeln. Andernfalls sind Sie in spätestens einem Jahr tot.«

Der harte, ruppige Ton des Professors traf Leandra bis ins Innerste. Sie hatte sich ja von Anfang an ein wenig vor diesem Mann gefürchtet. Jetzt erschien er ihr wie das personifizierte Unheil. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.

»Was ist? Habe ich Sie erschreckt?« fuhr Professor Thiersch fort. Dann nickte er. »Das ist gut so. Sie machen sich von Ihrer Krankheit vermutlich eine falsche Vorstellung. Es ist nicht so, daß Sie nach einem Jahr ruhig und friedlich sterben werden. Sie werden Schmerzen haben. Sie werden die Hölle durchleiden. Wollen Sie das wirklich riskieren?«

Leandra schluckte. So hatte sie es sich tatsächlich nicht vorgestellt. Tränen traten in ihre Augen.

»Aber ich werde doch sowieso sterben«, schluchzte sie auf. »Nur eine Knochenmarktransplantation könnte mich retten, und die ist nicht möglich.«

»Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht«, versprach der Professor, und dabei klang seine Stimme schon merkwürdig ruhiger.

Leandra zögerte, doch dann hob sie entschlossen den Kopf. »Darauf lasse ich es nicht ankommen. Ich lasse mich nicht mit Medikamenten zugrunde richten. Ich kenne die Nebenwirkungen von Zytostatika. Nein, Herr Professor, da sterbe ich lieber in einem Jahr. Und wenn die Schmerzen kommen, die Sie mir angekündigt haben, dann werde ich Mittel und Wege finden, um mich davon zu erlösen.«

Abrupt wandte sich Professor ­Thiersch um. »Ihnen ist wirklich nicht zu helfen.«

Helga Krenn sah dem Chefarzt nach, dann wandte sie sich ihrer Tochter zu.

»Leandra, bitte, laß dir doch helfen«, flehte sie. »Bleib hier in dieser Klinik und…«

Doch das junge Mädchen schüttelte den Kopf. »Christian und ich haben gestern über alles gesprochen. Wir werden heiraten, und dann wollen wir ein Kind haben. Ein Jahr hat mir der Professor gegeben – das reicht. Und wenn ich gehen muß, dann wird Chris wenigstens nicht ganz allein sein.«

»Das wollen Sie tun?«

Leandra erschrak, als die scharfe Stimme des Chefarztes neben ihr erklang. Er hatte ihre Worte gehört und war noch einmal zurückgekommen.

»Sie wollen in Ihrem Zustand eine Schwangerschaft durchstehen?« Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Vergessen Sie es!«

»Aber…«, begehrte Leandra auf, doch Professor Thiersch schnitt ihr mit einer energischen Handbewegung das Wort ab.

»Vergessen Sie es!« wiederholte er und wandte sich erneut zum Gehen, aber nach wenigen Schritten drehte er sich um, und als er zu sprechen begann, hatte sein Ton alle Schärfe verloren. »Fahren Sie nach Steinhausen und wenden Sie sich an Dr. Robert Daniel. Er ist Gynäkologe und wird Ihnen sagen, welche Chancen Sie haben.« Bei den letzten Worten war seine Stimme wieder hart geworden, dann verschwand er endgültig.

Leandra runzelte die Stirn. »Dr. Daniel?« Sie wandte sich dem Stationsarzt zu. »Wissen Sie, wer das ist?«

Dr. Scheibler nickte, doch dann schränkte er ein: »Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er hat vor etlichen Jahren hier als Assistenzarzt gearbeitet. Inzwischen hat er sich als Gynäkologe niedergelassen und hat einen ausgezeichneten Ruf.« Er schwieg kurz. »Sie sollten den Rat des Professors befolgen und sich an Dr. Daniel wenden.« Wieder machte er eine kurze Pause. »Noch besser wäre es allerdings, Sie würden hierbleiben.«

Doch Leandra schüttelte den Kopf. »Mein Entschluß steht fest. Noch heute werde ich die Klinik verlassen.«

*

Die Vormittagssprechstunde war zu Ende. Mit einem tiefen Seufzer stand Dr. Robert Daniel auf. Es war heute wieder einmal anstrengend gewesen, und so freute er sich jetzt auf seine Mittagspause. Der Nachmittag versprach ihm nämlich nur wenig Erleichterung, wie er mit einem kurzen Blick auf den Terminkalender hatte feststellen können.

Jetzt verließ er sein Sprechzimmer und trat ins Vorzimmer hinaus, in dem die junge Empfangsdame Gabi Meindl an der Schreibmaschine saß und gerade die letzten Worte tippte.

»Ich bin gleich fertig, Herr Doktor«, beeilte sie sich zu versichern.

»Schon gut, Frau Meindl«, entgegnete Dr. Daniel lächelnd. »Ich unterschreibe inzwischen die Briefe, die bereits hier liegen.«

Es war seine Gewohnheit, die anfallenden Rechnungen und Briefe noch vor dem Mittagessen zu unterschreiben, was für die junge Empfangsdame gelegentlich mit einigem Streß verbunden war. Auch jetzt waren ihre Wangen leicht gerötet, als sie den letzten Brief vor ihren Chef hinlegte. Dr. Daniel las ihn gewissenhaft durch, dann setzte er seine schwungvolle Unterschrift darauf.

»Gut«, meinte er. »Liegt sonst noch etwas an?«

Gabi warf einen kurzen Blick auf ihren Notizblock. »Ja, Herr Doktor, Frau Deichmann hat angerufen. Sie hat so starke Unterleibsschmerzen, daß sie nicht in die Praxis kommen kann.«

Dr. Daniel unterdrückte nur mit Mühe einen Seufzer. »Ich werde gleich nach dem Mittagessen zu ihr hinausfahren.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Schon gleich ein Uhr. In zwei Stunden begann die Nachmittagssprechstunde, und der Weg zu Frau Deichmann war weit. Er würde also wieder mal mehr oder weniger im Stehen essen müssen.

»Frau Kaufmann«, wandte er sich an die eben hinzugekommene Sprechstundenhilfe. »Sie haben vielleicht gehört, daß ich zu Frau Deichmann muß. Ich bin nicht sicher, ob ich zur Nachmittagssprechstunde pünktlich sein werde, aber ich werde mich natürlich beeilen.«

»Ist recht, Herr Doktor«, erwiderte die Sprechstundenhilfe. »Ich mache in der Zwischenzeit schon mal die nötigen Blutabnahmen, und soviel ich weiß, kommen zwei der angemeldeten Patientinnen ohnehin nur zum Schwangerschaftstest. Das kann ich ja auch allein erledigen.«

Dr. Daniel lächelte. »Sie sind eine Perle, Frau Kaufmann.« Dann nickte er den beiden Damen zu. »Mahlzeit zusammen.«

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief er ins erste Stockwerk hinauf und betrat seine Wohnung. Es duftete herzhaft nach Gulasch, und Dr. Daniel bemerkte, wie hungrig er war.

»Irene!« rief er in die Küche. »Kann ich gleich essen? Ich hab’s furchtbar eilig.«