Keine Hoffnung - Marie Francoise - E-Book

Keine Hoffnung E-Book

Marie Francoise

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Beschreibung

Dr. Daniel ist eine echte Erfolgsserie. Sie vereint medizinisch hochaktuelle Fälle und menschliche Schicksale, die uns zutiefst bewegen – und einen Arzt, den man sich in seiner Güte und Herzlichkeit zum Freund wünscht. Es war ein gemütliches, kleines Restaurant, das Sandra Köster mit ihrer Freundin Daniela Mertens besuchte. Sie saßen sich an einem winzigen Nischentischchen gegenüber und machten ein Gesicht, als hätte ihnen jemand prophezeit, daß in fünf Minuten die Welt untergehen werde. Und zumindest Sandra befand sich auch in einer entsprechenden Stimmung, für sie war der heutige Tag der Anfang eines ganz persönlichen Weltuntergangs – ausgelöst durch ihre Schwiegermutter. »Ich werde dich besuchen, so oft es geht«, versprach Daniela, um ihre Freundin mit diesen Worten ein bißchen aufzumuntern, was ihr jedoch nicht gelang. »Ach!« Deprimiert winkte Sandra ab. »Es wird nie mehr so sein wie jetzt.« »Komm, Sandra, sei doch nicht so traurig«, bat Daniela, dabei machte auch sie ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. »Vielleicht ist es ja ganz schön in Bayern. Ich bin sicher, du wirst dich dort rasch einleben.« Sandra schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht!« Sie seufzte. »Wenn es wenigstens München wäre. Aber Steinhausen! Hast du davon jemals schon gehört? Wahrscheinlich ein Kaff mit fünf Häusern, eine Kirche und einem Wirtshaus, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist.« Auch Daniela seufzte.

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Dr. Daniel – 3 –

Keine Hoffnung

Sie sehnt sich so sehr nach einem Kind

Marie Francoise

Es war ein gemütliches, kleines Restaurant, das Sandra Köster mit ihrer Freundin Daniela Mertens besuchte. Sie saßen sich an einem winzigen Nischentischchen gegenüber und machten ein Gesicht, als hätte ihnen jemand prophezeit, daß in fünf Minuten die Welt untergehen werde. Und zumindest Sandra befand sich auch in einer entsprechenden Stimmung, für sie war der heutige Tag der Anfang eines ganz persönlichen Weltuntergangs – ausgelöst durch ihre Schwiegermutter.

»Ich werde dich besuchen, so oft es geht«, versprach Daniela, um ihre Freundin mit diesen Worten ein bißchen aufzumuntern, was ihr jedoch nicht gelang.

»Ach!« Deprimiert winkte Sandra ab. »Es wird nie mehr so sein wie jetzt.«

»Komm, Sandra, sei doch nicht so traurig«, bat Daniela, dabei machte auch sie ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. »Vielleicht ist es ja ganz schön in Bayern. Ich bin sicher, du wirst dich dort rasch einleben.«

Sandra schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht!« Sie seufzte. »Wenn es wenigstens München wäre. Aber Steinhausen! Hast du davon jemals schon gehört? Wahrscheinlich ein Kaff mit fünf Häusern, eine Kirche und einem Wirtshaus, das auf keiner Landkarte verzeichnet ist.«

Auch Daniela seufzte. »Einfälle hat deine Schwiegermutter…« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie kommt sie nur darauf, dich von Stuttgart in die Einöde Bayerns zu lotsen.«

»Weil Horst und ich nach fünf Jahren Ehe noch immer kein Kind haben.«

Fassungslos starrte Daniela ihre Freundin an. »Wie bitte? Sie ist doch eine sechzigjährige Frau und kein naives kleines Mädchen mehr! Da kann sie doch wohl nicht allen Ernstes glauben, an eurer Kinderlosigkeit sei die Stadt Stuttgart schuld!«

Sandra nickte. »Doch. Sie ist überzeugt, daß die Großstadt einen denkbar schlechten Einfluß auf alle Bereiche des Lebens hat – insbesondere auf die Liebe. Und sie hat es mir bis heute nicht verziehen, daß ich nach der Hochzeit weiter zur Arbeit gegangen bin. Jetzt ist sie überglücklich, weil ich ab heute arbeitslos bin.«

»Du hast dich um keine Stelle beworben?« fragte Daniela überrascht.

»Nein«, antwortete Sandra niedergeschlagen. »Ich durfte ja nicht. Sie hat Horst bis zur Bewußtlosigkeit bearbeitet, damit er mir meine weitere Berufstätigkeit ausreden solle.«

»Und das hat er wirklich geschafft?«

Sandra senkte den Kopf. »Natürlich. Ich liebe Horst, und wenn er mich bittet…« Sie zuckte die Schultern. »Ich werde also in Steinhausen das Heimchen am Herd spielen und hoffen, daß ich bald schwanger werde.«

Mitleidig sah Daniela ihre Freundin an. »Versucht ihr’s wirklich schon seit fünf Jahren?«

»Ja… Jedenfalls fast. Horst war damals der Meinung, daß er mit seinen achtundzwanzig Jahren nicht mehr zu lange warten sollte. Und ich war bei unserer Hochzeit ja auch schon beinahe vierundzwanzig. Außerdem wünschen wir uns Kinder – je mehr, desto besser.« Sandra seufzte. »Allerdings fürchte ich, wir können froh sein, wenn wir wenigstens eines bekommen. Schau, ich bin mittlerweile neunundzwanzig, und allmählich bekomme ich wirklich ein wenig Panik.«

»Ach was!« wehrte Daniela resolut ab. »Meine Mutter war vierunddreißig, als ich zur Welt kam. Und ich habe noch drei jüngere Geschwister, dann kannst du’s dir ausrechnen, wie alt sie bei unserem Nesthäkchen war.« Sie überlegte einen Moment. »Warst du noch nie beim Arzt?«

»Doch. Er meint, bei mir wäre alles in Ordnung. Und auch Horst hat sich untersuchen lassen. An ihm liegt’s ebenfalls nicht.« Wieder seufzte Sandra. »Nachdem mein Arzt uns Luftveränderung empfohlen hatte, kaufte meine Schwiegermutter dieses verdammte Haus in Bayern. Sie hat überhaupt nicht begriffen, daß der Arzt nur einen Urlaub meinte – einen Urlaub, bei dem Horst und ich einmal völlig allein und ungestört sein sollten.«

»Sie hockt euch ständig auf der Pelle, was?« fragte Daniela mitleidig und dankte dabei dem Himmel, daß sie mit keiner solchen Schwiegermutter belastet war.

»Das kannst du laut sagen.« Sandra seufzte. »Das Schlimme daran ist, daß sie nicht wirklich bösartig ist. Sie meint es immer nur gut, aber damit kann sie einem gewaltig auf die Nerven gehen. Und jetzt wird alles noch ärger werden. Bisher hatte sie wenigstens ihre eigene Wohnung – wenn auch im selben Haus wie Horst und ich. Aber in Steinhausen bewohnen wir dasselbe Haus; ich habe sie also von morgens bis abends um mich.« Sie schwieg einen Augenblick und fügte dann bissig hinzu: »Wenn sie nicht auch noch bei uns im Schlafzimmer übernachten wird.«

Daniela mußte lachen. »So schlimm wird’s schon nicht werden Sandra.« Dann warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Du, ich muß nach Hause. Volker wird bestimmt schon auf mich warten.«

Die beiden Freundinnen bezahlten, dann verließen sie das Restaurant und verabschiedeten sich sehr herzlich voneinander. Daniela versprach immer wieder, daß sie oft zu Besuch kommen würde, doch Sandra wußte, daß das nicht so einfach war. Schließlich war Daniela ja weiterhin berufstätig, und ihren Urlaub würde sie nach wie vor mit ihrem Mann Volker im Süden verbringen.

Niedergeschlagen machte sich Sandra auf den Heimweg. Sie haßte das unschuldige Steinhausen schon jetzt, obwohl sie es noch gar nicht kannte.

*

Der Steinhausener Pfarrer Klaus Wenninger war mit seinen Nerven am Ende. Seit einer Woche war seine Schwester Martha Heimrath bei ihm zu Besuch und brachte seinen ganzen Rhythmus durcheinander. Sogar ein Wastl – eine liebenswerte Promenadenmischung, die nur mit dem Briefträger gelegentlich aneinandergeriet – lag nur noch trübsinnig unter dem Sofa und sah seinen Herrn mit nahezu vorwurfsvollem Blick an, als wollte er ihn bitten, die neue Hausgenossin so bald wie möglich wieder wegzuschicken.

Ganz unverhofft hatte Martha am letzten Samstag mit zwei Koffern vor dem Pfarrhaus gestanden.

»Mein Arzt hat mir Luftveränderung empfohlen«, hatte sie behauptet und war ohne weiteren Kommentar an ihrem Bruder vorbei ins Haus getreten. Damit war es mit der Ruhe vorbei gewesen.

»Hochwürden.« Die Stimme seiner langjährigen Haushälterin Gerdi Schuster riß ihn aus seinen Gedanken. »Ich will nicht anmaßend sein, aber… wird Ihre Frau Schwester noch lange hier bleiben?«

Resigniert hob Pfarrer Wenniger beide Hände. »Das weiß nur der liebe Gott… das heißt, aus diesem Fall sollte man vielleicht sogar ihn heraushalten.«

Gerdi seufzte. »Ich habe ja nichts gegen Besuch im Pfarrhaus, aber…«

»Ich verstehe schon, Gerdi«, meinte Klaus Wenninger. »Meine Schwester ist schwer zu verkraften, und manchmal frage ich mich, wie mein Schwager die vergangenen dreißig Jahre überstanden hat.« Er schüttelte den Kopf. »Sie ist eine sehr resolute Person, die sich in alles einmischen muß, um glücklich zu sein. Ihnen redet sie in den Haushalt hinein und mir in meine Predigten. Aber ich fürchte, wir werden ihre Anwesenheit noch eine Weile erdulden müssen. Martha hat etwas von zwei Monaten verlauten lassen.«

»Ach, du liebe Zeit«, entfuhr es Gerdi, während sie sich vor Schreck auf das Sofa fallen ließ. »Zwei Monate!«

Pfarrer Wenninger nickte betrübt. »Ich weiß, was Sie denken, Gerdi. Nach diesen zwei Monaten sind wir beide vermutlich reif für die Insel, wie man so schön sagt.« Er winkte ärgerlich ab. »Dabei ist das mit der Luftveränderung nur eine Ausrede. Schließlich wohnt Martha in München, und recht viel anders ist die Luft hier in Steinhausen auch nicht… ein bißchen sauberer vielleicht – wenn man von dieser unerfreulichen Chemiefabrik einmal absieht.« Im selben Augenblick wurde ihm bewußt, daß er eben ein Wort benutzt hatte, das eines Pfarrers nicht würdig war, und warf einen entschuldigenden Blick nach oben, bevor er fortfuhr: »Der wahre Grund für Marthas plötzliche Sehnsucht nach mir ist, daß ihre Freundin Johanna hierherzieht, und ich wette, diese beiden Grazien haben irgend etwas ausgeheckt.«

Bei dem Ausdruck Grazien mußte Gerdi unwillkürlich schmunzeln. Sie liebte und verehrte »ihren« Herrn Pfarrer, doch mit einem würdigen Geistlichen hatte er nicht viel Ähnlichkeit – eher schon mit Don Camillo. Aber wahrscheinlich machte ihn gerade das so liebenswert.

»Na ja, uns bleibt eben nur die Hoffnung, daß Martha die meiste Zeit bei ihrer Freundin verbringen und uns beide weitgehend in Ruhe lassen wird«, fügte Pfarrer Wenninger hinzu, doch ihm war anzusehen, daß er mit dieser Möglichkeit eigentlich nicht rechnete.

*

Johanna Köster war in Hochstimmung. Endlich war es soweit! Heute abend würden sie schon in ihrem Häuschen in Steinhausen schlafen! Geschäftig lief die knapp sechzig-jährige, etwas korpulente Frau durch die Zimmer, die sie in den letzten Jahren bewohnt hatte, um sicherzugehen, daß sie nichts vergessen hatte. Ihr rundes Gesicht, das sowohl Gutmütigkeit als auch eiserne Entschlossenheit ausdrückte, strahlte vor Freude.

»Mama! Bist du soweit?« drang Horsts Stimme von unten herauf.

»Ja, mein Junge, ich komme sofort!« antwortete Johanna, dann ergriff sie ihren Koffer und ging vorsichtig die steile Treppe hinunter.

Der Möbelwagen war bereits vor einer Stunde losgefahren, und jetzt, da es soweit war, dachte Johanna doch ein wenig wehmütig an die Möbelstücke, die sie zurücklassen mußte. Sie mußte verhältnismäßig viel von ihrer Einrichtung dem Nachmieter überlassen, und das fiel ihr ziemlich schwer, aber sie sah natürlich ein, daß sich auch Horst und Sandra nicht von all ihren Einrichtungsgegenständen hatten trennen wollen. Und es war nun mal so, daß sie in Steinhausen nicht nur unter einem Dach, sondern eben auch in einer recht kleinen Wohnung leben mußten. Da mußte sich jeder von ihnen schon ein bißchen einschränken. Es war zwar ein zweigeschossiges Einfamilienhaus, und man konnte sich, wenn es nötig war, durchaus auch aus dem Weg gehen, aber es gab halt nur einen Eingang, und den mußten sie alle drei benutzen.

Doch Johanna war sicher, daß es keine Schwierigkeiten geben würde. Sie liebte ihren Sohn über alles, und auch mit der Schwiegertochter kam sie – ihrer Meinung nach – sehr gut zurecht.

Schließlich mische ich mich auch nicht in ihre Ehe ein, dachte sie. Ich stehe ihnen nur mit Rat und Tat zur Seite, wenn sie es verlangen.

Das stimmte so natürlich nicht. Johanna mischte sich sehr wohl in die Ehe ihres Sohnes ein, und ihre Ratschläge erteilte sie meistens dann, wenn Horst und Sandra sie gar nicht hören wollten, doch das bemerkte Johanna in ihrem Eifer gar nicht. Sie wollte nur Gutes tun und ging den beiden jungen Menschen dabei gehörig auf die Nerven.

»Freut ihr euch schon?« fragte sie, als sie zu Horst und Sandra ins Auto stieg.

»Ja, natürlich, Mama«, antwortete Horst gehorsam. Er wollte nicht zugeben, daß ihm der Umzug von Stuttgart nach Steinhausen überhaupt nicht behagte. Sicher, er hatte in München sofort wieder eine Stelle als Bankkaufmann gefunden, aber er war nun mal in Stuttgart geboren und hing an seiner Heimat. Außerdem befürchtete er Schwierigkeiten, wenn Sandra und er erst gezwungen waren, mit der Mutter einen Haushalt zu teilen.

»Ach, ihr werdet euch in das Haus ebenso verlieben, wie ich es getan habe«, schwärmte Johanna. Sie hatte es abgelehnt, den jungen Leuten das Haus zu zeigen. Es sollte eine Überraschung werden. Und als Horst sich in München um eine Stellung beworben und zu einem Vorstellungsgespräch hatte hinfahren müssen, da mußte er seiner Mutter hoch und heilig versprechen, den kleinen Ort Steinhausen keinesfalls aufzusuchen. Horst hatte das Versprechen gegeben, und Johanna war sicher, daß er sich daran gehalten hatte.

Er hatte es auch tatsächlich getan, obwohl es ihm schwergefallen war, dem Wegweiser nach Steinhausen nicht zu folgen. Jetzt warf er seiner jungen Frau, die wie versteinert neben ihm saß, einen kurzen, prüfenden Blick zu. Er ahnte, was in ihr vorging, und berührte für einen Augenblick ihre Hand. Sandra wandte den Kopf und erwiderte seinen Blick, dann sah sie wieder starr geradeaus.

Horst liebte seine junge Frau über alles. Sie war hübsch, obgleich sie vermutlich nie eine Miss-Wahl gewonnen hätte, aber sie besaß eine Ausstrahlung, die so manches Männerherz höher schlagen ließ. So war es seinerzeit auch Horst ergangen, und er hatte sich auf den ersten Blick in das etwas scheue Mädchen verliebt. Zwei Jahre später hatten sie geheiratet, und es war eine glückliche Ehe, die sie führten, wenn es auch wegen Johanna des öfteren zu Meinungsverschiedenheiten kam.

Dabei gestand sich Horst ein, daß er an der ganzen Misere, in der sie jetzt steckten, wirklich nicht ganz unschuldig war. Er schaffte es einfach nicht, sich gegen seine Mutter durchzusetzen, und zwar aus dem einfachen Grund, weil er sie trotz aller Fehler und Eigenheiten sehr liebte.

Horst stellte das Radio an, damit die auf der Ablage montierten Lautsprecher seine im Fond sitzende Mutter für die Gespräche, die er und Sandra führten, ein wenig taub machten.

»Vielleicht gefällt es uns ja in Bayern«, meinte er und warf Sandra wieder einen kurzen Blick zu.

»Ja«, murmelte sie. »Vielleicht.«

Doch er spürte, daß sie nicht daran glaubte.

Horst seufzte leise. »Ich kann es ja auch nicht ändern, Liebling. Meine Mutter hat dieses Haus nun mal gekauft, und irgendwie werden wir schon zurechtkommen. Wer weiß, vielleicht…«

»Könntest du das Radio abschalten?« kam von hinten Johannas Stimme. »Ich kann mich ja überhaupt nicht mehr mit euch verständigen.«

Horst gehorchte, und kaum war die Musik abgestellt, da begann Johanna auch schon wieder zu plaudern. In den höchsten Tönen lobte sie das beschaulich gelegene Steinhausen und das reizende Einfamilienhaus, das sie durch Vermittlung ihrer alten Freundin Martha Heimrath hatte kaufen können.

Knapp drei Stunden später hatten Horst und Sandra dann zum ersten Mal Gelegenheit, dieses Haus zu sehen. Horst war zumindest von dem sehr idyllisch gelegenen Steinhausen angenehm überrascht, wenn auch die riesige Chemiefabrik nicht besonders gut zum Ortsbild paßte. Allerdings hatte er – ebenso wie Sandra – damit gerechnet, daß es sich um ein winziges Dorf am sprichwörtlichen Ende der Welt handelte. Doch was sich ihm nun präsentierte, war ein adretter Vorgebirgsort mit gepflegten Häusern, an deren Balkonen Geranien und Petunien in verschwenderischer Pracht blühten.

Dann, schon fast am Ortsausgang, wies Johanna plötzlich nach links.

»Da ist es!« verkündete sie voller Stolz

Horst bog in die winzige Seitenstraße ein und hielt vor dem kleinen Einfamilienhaus, vor dem bereits der Möbelwagen stand.

»Na, was sagt ihr?« fragte Johanna mit beifallheischendem Blick. »Ist es nicht ganz zauberhaft?«

Horst und Sandra wechselten einen Blick, und jeder von ihnen wußte, was der andere dachte: Wir beide in diesem Haus allein…

»Es ist wirklich hübsch, Mama«, erklärte Horst, und er meinte das durchaus ehrlich. Mit einer so angenehmen Überraschung hatte er nicht gerechnet.

Sandra war die erste, die das Haus betrat, und gegen ihren Willen begann sie sich dort sofort heimisch zu fühlen. Krampfhaft unterdrückte sie dieses Gefühl. Sie wollte hier nicht zu Hause sein! Mit Horst allein, das ja. Aber nicht mit Johanna als ihrer Hausgenossin.

Jetzt trat diese zu Sandra und legte nahezu mütterlich einen Arm um ihre Schultern.

»Warte nur ab, Sandra«, erklärte sie wie tröstend. »Hier in der würzigen Bergluft wird sich euer Problem ganz von allein lösen. Ehe du dich versiehst, werden hier die Babys eintrudeln.«

Sandra schloß sekundenlang die Augen, dann schüttelte sie unmerklich den Kopf. Wie naiv ihre Schwiegermutter doch war! Glaubte sie denn allen Ernstes, daß ihre Kinderlosigkeit an der Stuttgarter Stadtluft gelegen hatte?

»Es gibt hier in Steinhausen übrigens einen ausgezeichneten Gynäkologen«, fuhr Johanna jetzt fort, dann lächelte sie. »Meine Freundin Martha hat es mir erzählt. Dr. Daniel heißt er.« Sie überlegte einen Moment. »Vielleicht solltest du dich sicherheitshalber mal von ihm untersuchen lassen. Schließlich weiß man ja nie…«

»Ich war bereits beim Arzt«, entgegnete Sandra gereizt.

»Ich weiß, Sandra. Aber schau, dieser Stuttgarter Arzt könnte etwas übersehen haben. Du solltest dir sofort einen Termin bei Dr. Daniel geben lassen.«

Sandra seufzte. Es ging hier also genauso weiter, wie es in Stuttgart aufgehört hatte. Aber das hatte sie ja von vornherein gewußt. Und als sie jetzt sah, mit welchem Besitzerstolz ihre Schwiegermutter durch die Räume schritt, wurde ihr angst und bange vor diesem Leben, das heute seinen Anfang nehmen sollte.

*

»Ich verstehe gar nicht, warum Johanna nichts von sich hören läßt«, erklärte Martha Heimrath. »In ihrem letzten Brief hat sie geschrieben, daß sie am kommenden Ersten nach Steinhausen zieht. Mittlerweile haben wir den Fünfzehnten. Sie müßte doch schon längst hier sein.«

Pfarrer Wenninger seufzte. Diese Worte kamen in schöner Regelmäßigkeit so alle zwei Tage. Und dabei hielt es seine Schwester kaum noch hier im Pfarrhaus.

»Du weißt doch, welches Haus sie gekauft hat«, meinte er. »Geh halt einfach hinüber und…«